WILDNIS NEWS Nr. 3 11/2019 - Wie retten wir unsere Insekten? IUCN Kategorie I Gebiet Pirin in Gefahr Die Rolle des Buchdruckers im Waldökosystem ...
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Österreichische Post AG Info.Mail Entgelt bezahlt WILDNIS NEWS Nr. 3 11/2019 Wie retten wir unsere Insekten? IUCN Kategorie I Gebiet Pirin in Gefahr Die Rolle des Buchdruckers im Waldökosystem
GEDANKENSPLITTER WIE RETTEN WIR UNSERE INSEKTEN? W ie schon in der letzten Ausgabe unserer Wild- F ortsetzung des Beitrags „6. Große Massensterben im Gange“ der NEWS 2/2019 tem Natur und somit ihre persönliche Daseinsberechti- gung. Auch die oft negativ behafteten Sechsbeiner erfül- len essentielle Aufgaben, die uns nicht immer bewusst nisNEWS möchte ich mich auch dieses Mal mit dem „Entire ecosystems are collapsing, we are at the begin- sind oder gar auffallen, da sie für uns verdeckt ablaufen. Haus der Wildnis beschäfti- ning of a mass extinction“ Greta Thunberg, UN-Klima- Eine ihrer wichtigsten Funktionen ist ihre Stellung im gen. Für nicht wenige Per- gipfel New York 2019 Nahrungsnetz: unzählige Tiere nutzen Insekten auf- sonen besteht die Befürch- grund ihres hohen Eiweißgehaltes als Nahrungsquelle. Klare und gleichzeitig mahnende Worte spricht die Gesetz des Falles die Erde wäre insektenfrei, würde das tung, dass das Weltnaturerbe 16-jährige Klimaaktivistin Greta Thunberg im Zuge bestehende Nahrungsnetz zusammenbrechen. Beispiels- Wildnisgebiet Dürrenstein, mit all seiner Einzigartig- der UN-Klimakonferenz Ende September in New York: weise fressen Vögel pro Jahr etwa 400 bis 500 Millio- keit, durch das neue Besucher- und Kompetenzzent- „Ganze Ökosysteme brechen zusammen, wir stehen am nen Tonnen Insekten (Nyffeler, Sekercioglu & Whelan rum am Altar des Tourismus geopfert wird. Ich möchte Anfang eines Massenaussterbens.“ Sie und viele weite- 2018). Aber auch Reptilien, Amphibien und Säugetiere versuchen, diese Ängste zu entkräften. Abgesehen da- re Fridays-for-Future-Aktivisten gehen auf die Straßen, sind auf das Kleingetier als Futter angewiesen und wür- von, dass für mich persönlich der Schutz des Gebietes um auf die kommende Klimakatastrophe aufmerksam den ohne sie schlichtweg verhungern. über alle anderen Interessen zu stellen ist, lassen die zu machen. Wissenschaftlerinnen warnen seit Jahrzehn- Ziele und Regeln eines UNESCO-Weltnaturerbes und ten vor den immensen Folgen unserer nicht enden wol- eines Wildnisgebietes der Kategorie I nach IUCN einen lenden Profitgier und der laufenden Klimaerwärmung. derartigen Schritt nicht zu. Eine intensive Nutzung in- Wie bereits in der letzten Ausgabe der NEWS erörtert, folge touristischer Interessen würde zum Verlust der sind sensible Organismen wie Insekten besonders stark diversen Auszeichnungen und Anerkennungen führen. gefährdet. Die Artendiversität sinkt täglich dramatisch. Um dies zu verhindern und unseren zukünftigen Gene- Mit dem Zentrum verfolgen wir eine völlig andere Stra- rationen eine gesunde Umwelt als Lebensgrundlage zu tegie. Einerseits wollen wir im Haus der Wildnis einer übergeben, ist jetzt die Zeit, das beginnende Umdenken größeren Zahl an BesucherInnen die Besonderheiten in die Praxis umzusetzen. des Gebietes, aber auch die Probleme unserer Umwelt präsentieren und andererseits bietet uns dieses Zent- Brauchen wir Insekten? rum die Möglichkeit unsere Gäste auch auf die anderen Ein Planet ohne Insekten mag auf den ersten Blick verlo- Naturschönheiten der Region hinzuweisen. Durch ein ckend wirken: keine lästigen Gelsen in lauen Sommer- Bienen und andere Bestäuber ermöglichen uns den Genuss von wert- gestärktes und attraktives Führungsangebot, speziell nächten, keine Fraßschäden an den Lieblingsrosen und vollen Lebensmitteln. © Laura Pabst abseits des Wildnisgebietes, könnte/sollte es gelingen, keine Wespen im Weinglas. Doch wäre eine Welt ohne ein Naturerlebnis ohne Besuch des Wildnisgebietes zu Insekten wirklich so viel besser? WissenschaftlerInnen Auch der Mensch wäre direkt betroffen. Eine ganze In- gewährleisten. Die nächsten Wochen und Monate wer- sind sich einig, dass genau das Gegenteil der Fall wäre. dustriebranche und damit unzählige einhergehende Ar- den wir gemeinsam mit unseren Partnern an entspre- beitsplätze hat sich von Insekten abhängig gemacht: die chenden Konzepten arbeiten. „Das Problem bei der Ausrottung von Tierarten ist, dass Nahrungsmittelindustrie. Viele Obst- und Gemüsesor- die Natur, deren Teil wir sind, unglaublich komplex ist ten und sogar unsere heißbegehrte Schokolade, wären Abschließend erlauben Sie mir, Ihnen schon jetzt schö- und Verbindungen in alle Richtung aufweist. Wenn eine ohne ihre fleißigen Bestäuber bald Vergangenheit. ne Festtage und ein gesundes Jahr 2020 zu wünschen! Verbindung beschädigt wird, kann man nie voraussagen wie weit der Schaden wirklich geht“ erklärt Sir David At- Äußerst störend wäre auch der penetrante Aasgeruch in Ihr tenborough den Dominoeffekt des Artensterbens. Jede unserer Luft. Auf Aas spezialisierte Arten sind insbeson- Christoph Leditznig Tierart hat ihre ökologische Rolle, ihre Funktion im Sys- dere die Aaskäfer (z.B. die Totengräber) und die Larven Wildnis NEWS 2 Nr. 3 11/19
(Maden) zahlreicher Fliegenarten, speziell aus der Fami- lie der Fleischfliegen und der Schmeißfliegen ernähren sich von Tierkadavern. Nicht von Insekten befallene Lei- chen vertrocknen oft zu größeren Teilen und werden viel langsamer mikrobiell abgebaut. Insekten erfüllen noch viele weitere entscheidende Aufgaben in unseren Öko- systemen – viele sind uns noch nicht einmal bekannt. Was können wir tun? Wenn im Amazonas, der Lunge unserer Erde, über 400.000 ha Wald abgebrannt sind, fragt man sich: ist Rettung überhaupt noch möglich? Besteht Hoffnung? Expertenmeinungen gehen auseinander. Zukunftszyni- ker sehen schwarz, Hoffnungsfreudige geben noch nicht auf. Die berühmte Schimpansenforscherin Jane Goodall beispielsweise gilt als Hoffnung schenkende Expertin. Sie reist mit ihren 85 Jahren hochmotiviert durch die Welt, um vor allem junges Publikum zu informieren und motivieren. „The greatest danger is apathy!“ Sie meint, jedes Individuum kann die Welt verändern und es ist noch nicht zu spät unsere Naturschätze zu bewahren. Jeder Schritt in eine naturfreundliche Zukunft bringt uns weiter, jeder Quadratmeter Blühwiese schafft Le- bensraum für Insekten und weiteren Organismen. Gehölzstreifen, Hecken und auch einzelne Bäume bieten wichtige Rückzugsorte für unsere heimische Insektenwelt. © Laura Pabst Nach Schnabler 2017 sind für eine reiche Insektendiver- Um diese 3 Punkte erfüllen zu können muss der ste- sität im Offenland zusammenfassend folgende Faktoren tig steigende Lebensraumverlust und der zu häufige ausschlaggebend: Einsatz von Insektiziden deutlich reduziert wer- den. Erfolge wie das Totalverbot des höchst umstrit- • Das Habitat sollte heterogen (verschieden- tenen, von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) artig) sein. Je höher die Wirtspflanzenvielfalt, sogar als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuf- desto höher die Insektendiversität. te Herbizid Glyphosat für Österreich müssen weiter • Das Habitat sollte groß sein. Je größer es forciert werden. 50% der Fläche Deutschlands wird ist, desto höher fällt die Wirtspflanzenmasse landwirtschaftlich genutzt – diese riesige Acker- aus. Die Insektenmasse und – diversität steigen landschaften müssen ökologisch verträglich gestal- meist. tet werden. Extensive Landwirtschaft muss vom • Habitate sollten miteinander verbunden sein. Staat mehr gefördert werden, um den Landwirten Die Insektendiversität steigt mit Vorhandensein eine sichere Lebensgrundlage bieten zu können. Ein weiterer, qualitativ hochwertiger Habitate und entscheidender Faktor ist das Verschwinden von Wei- ihrer Vernetzung untereinander. Genetischer detieren in naturverträglicher Haltung aus der freien Regionale Pflanzen, die zu ihrer Blüte kommen dürfen, sind eine Austausch kann stattfinden; neue Lebensräume Landschaft, wobei dem Rind und dem Pferd eine wichtige Nahrungsquelle für unsere Insekten © Laura Pabst können erschlossen werden besonders große ökologische Bedeutung zukommt Wildnis NEWS 3 Nr. 3 11/19
Strukturelemente wie Totholz oder Steinhaufen bie- ten unterschiedlichsten Arten Versteck- und Brut- möglichkeiten. Viele Insekten überwintern auch in hohlen Stängeln, somit ist ein ungemähtes wildes Eck besonders wert- voll. Auch ordnungsgemäß gebaute Insektenhotels schaffen für auf Halme spezialisierte Arten Nist- möglichkeiten. Wer seinen Garten insektenfreundlich gestaltet, wird bald neue zoologische Besucher beobachten kön- nen. Dazu wurde vom Naturschutzbund Österreich eine digitale Plattform eingerichtet. Auf https://na- turschutzbund.at/naturbeobachtung-at.html kön- nen Funde mit Foto hochgeladen werden. Dadurch werden Daten zur Verbreitung unterschiedlichster Arten gesammelt und folglich wissenschaftlich ver- merkt und gesichert. Über Organisationen, wie zum Beispiel den Naturschutzbund Österreich können mithilfe von Spenden naturschutzfachlich wertvolle Flächen aufgekauft werden. Somit wird ein dauer- hafter Schutz gewährleistet. Insekten wie die Lauchschrecke (Mecostethus parapleurus, Lauchschrecke) fühlen sich in ungemähten Wiesen, die lange Halme zum Festhalten und Verstecken vorweisen, wohl. © Laura Pabst (Nickel, H. 2019). Gleichzeitig muss der kurzfris- werden, da bereits zu viele Habitate fragmentiert tig als erfolgreich wirkende Monokultur-Wahn sind. Weiters müssen PolitikerInnen offen werden durch abwechselnde Fruchtfolgen ersetzt werden. für naturverträgliches Bauen und eine vernünftige Kleine vernetzte Lebensräume wie Hecken oder Stadtbegrünung. Blühflächen müssen an Wichtigkeit gewinnen Neben politischen Entscheidungsträgern, kann auch und am besten an Radwegen angelegt werden. Zu jede Privatperson die Insekten-Diversität fördern. nah an schnell befahrenen Straßen können sie als Jeder mit Privatgarten oder auch Balkon sollte Nah- ökologische Falle mehr Schaden anrichten als Heil rung und Lebensraum für unsere Tierwelt anbieten bewirken. Hier wird das Anpflanzen regional wach- (Ideen dazu können z.B. unter https://www.natu- sender Pflanzen empfohlen. Für Österreich bedeutet rimgarten.at/eingeholt werden). Empfehlenswert ist das: keine einjährigen Saatmischungen aus Übersee. selteneres Mähen der Grünflächen und Stehenlassen Totholz sollte in keinem Garten fehlen. Viele Käferarten, wie der Insekten benötigen viele kleine vernetzte Lebens- eines Teilbereichs der Wiese, damit Pflanzen zu ihrer Leiterbock Saperda scalaris (Linnaeus, 1758) entwickeln sich im räume. Weiterer Straßenbau muss unterbunden Blüte kommen können. abgestorbenen Holz. © Laura Pabst Wildnis NEWS 4 Nr. 3 11/19
Vorbildwirkung & Ausblick an unserer fantastischen Tierwelt Jede vom Menschen unberührte erfreuen. Hoffen wir auf eine Zu- Fläche bietet beste Voraussetzun- kunft in der Natur wieder an Wert gen für eine natürliche Entwick- gewinnt und wir es schaffen einen lung von Lebewesen. In Zeiten respektvollen Umgang mit ihr zu völliger Zerstörung von Naturflä- leben. chen, bekommen als Wildnisgebiet gekürte Flächen eine Sonderstel- lung. Nur hier können sich Insek- Laura Pabst ten frei entwickeln. Störquellen Literatur: wie Pestizide oder Straßen sind Demelt, C. (1957): Interessante Beob- nicht vorhanden. Daraus resultiert achtungen am Bockkäfer Tragosoma eine reiche Insektenwelt, die resis- depsarium L. in Kärnten (Coleopt. tent und resilient gegenüber ne- Cerambycidae) mit 3 Abbildun- gativen Umweltfaktoren ist. Hoch gen des Verfassers – Carinthia II – spezialisierte oder auch sehr sel- 147_67: 139 - 143. Überwinterung und Eiablage sind für viele Arten nur in hohlen Stängeln möglich. Seien wir mutig entgegen des tene Arten finden Rückzug. Der Kust, T. (2016): Entomofaunistische gängigen Ordnungssinns und räumen den Garten nicht zu gründlich auf. Lassen wir verblühte/ abgestorbenen Untersuchungen im Wildnisgebiet Pflanzen einfach stehen und sichern so den Sechsbeinern ein Zuhause. © Laura Pabst Käfer Tragosoma depsarium, L gilt Dürrenstein. 1. Teil: Käfer (Coleo- beispielsweise als Charakterart des ptera), Schwebfliegen (Diptera: Syr- Wildnisgebiets Dürrenstein. Das phidae), Köcherfliegen (Trichopte- seltene Urwaldrelikt entwickelt ra). Silva Fera 5: 78-95. sich ausschließlich in alten und Nickel, H. (2019): RESOLUTION - anbrüchigen Nadelhölzern wie deutscher Naturschutzakteure zum Kiefer, Fichte und Tanne oberhalb lnsekten- und Biodiversitätsschwund 1000 m Seehöhe (Demelt 1957). – Verein für zur Förderung naturna- Er ist ein Beispiel von vielen be- her Weidelandschaften Süddeutsch- lands 1-2. drohten Insekten, deren Zukunft Nyffeler, M., Sekercioglu, C. H., Whe- durch den hohen Schutzstatus des lan, C. J., 2018: Insectivorous birds Wildnisgebiets nicht nur an Sicher- consume an estimated 400–500 heit gewinnt, sondern an Häufig- million tons of prey annually. The keit zunimmt, da Forstarbeiten Science of Nature 105: 47. im Bereich Hundsau vor über 20 Jahren eingestellt wurden (Kust https://apps.derstandard.at/priva- 2016) und somit die optimalen cywall/story/2000106185207/es- Lebensgrundlagen für Spezialisten gibt-kein-unkraut-ein-botaniker- geschaffen wurden. kaempft-gegen-das-sterben https://w w w.landschaft-arten- Je mehr geschützte Naturflächen schutz.de/resolution-zum-insek- existieren, je mehr Menschen die ten-und-biodiversitaetsschwund/ Wichtigkeit von Wildnis erkennen, https://www.tabularasamagazin. desto wahrscheinlicher können de/wieso-die-artenvielfalt-erhal- Der in Deutschland bereits vom Aussterben bedrohte Zottenbock profitiert von dem hohen Schutzstatus auch zukünftige Generationen sich ten-werden-muss/ des Wildnisgebietes Dürrensteins © Theo Kust Wildnis NEWS 5 Nr. 3 11/19
Erzabbau und Verarbeitung waren hier seit Jahrhun- DIE 3 SÄULEN DER NACHHALTIGKEIT? derten von größter Bedeutung und mit einem enormen Bedarf an Holz und Holzkohle und den damit ver- I n den letzten Jahren ist der Begriff Nachhaltigkeit in aller Munde - eigentlich wäre das ein Grund zur Freude und Zuversicht, aber leider muss man feststel- verstanden wissen wollte. Er hat eine schonende Nut- zung der Wälder angeregt mit dem Ziel, eine Hol- zentnahme auch in Zukunft zu ermöglichen. Er fasste bundenen dramatischen Schwund an Waldflächen ver- bunden. So ist ihm bewusst geworden, dass bei einem fortschreitenden Raubbau an den natürlichen Ressour- len, dass die wenigsten Menschen wissen was Nachhal- damit das eher spärliche forstwirtschaftliche Wissen cen, jener Tag, an welchem der letzte Baum in Sachsen tigkeit eigentlich bedeutet und woher dieser Begriff seiner Zeit zusammen und ergänzte es aber mit eigenen gefällt werden würde, nicht mehr fern war. ursprünglich kommt. Erfahrungen und Ideen. So hat er in seiner Abhandlung gefordert, dass man Es ist nun einige Jahre her, dass im Jahr 2013 der Be- Interessanter Weise war Hans Carl von Carlowitz kein pro Jahr nicht mehr Holz einschlagen darf, als eben griff der Nachhaltigkeit sein 300jähriges Jubiläum „ge- "gelernter" Forstmann, hatte aber durch seinen Vater in diesem Zeitraum nachwächst. Geht man nach die- feiert“ hat, was aber an den meisten Mitmenschen un- Georg Carl, der kursächsische Oberforstmeister war, sem Prinzip vor, kann eine Nutzung – und darum geht bemerkt vorübergegangen ist. neben seinem Studium der Rechts- und Staatswis- es bei Nachhaltigkeit - eigentlich beliebig lange und senschaften, doch einen starken forstlichen Bezug. Er zeitlich unbegrenzt durchgeführt werden. In der um- Im Jahr 1713 hat Hans Carl von Carlowitz diesen Be- wurde zum stellvertretenden Berghauptmann und spä- fangreichen Schrift kommt der Begriff "Nachhaltig- griff geprägt, als er in seinem Werk "Sylvicultura oe- ter zum Oberberghauptmann - vergleichbar mit einem keit" nur einmal vor - aber damit hat er den Begriff der conomica", das er als "Haußwirthliche Nachricht und heutigen Bergbauminister - im sächsischen Erzgebirge mengenmäßigen Nachhaltigkeit geprägt, zumindest Naturmäßige Anweisung zur Wilden Baum-Zucht" ernannt. ein erster und ganz wichtiger Schritt auf dem langen Weg zu einer umfassenden Nachhaltigkeit. Die Idee ei- ner schonenden, zukunftsfähigen Nutzung geht aber viel weiter zurück, schon Jahrhunderte vor Carlowitz gab es Mönchsorden und Volksgruppen, die sich dieser Geisteshaltung verpflichtet fühlten. Seine schriftlich niedergelegten Erkenntnisse und Ideen haben aber selbst im deutschsprachigem Europa nicht sofort eine weite Verbreitung gefunden, denn noch um das Jahr 1800 werden beispielsweise, auf unser Gebiet bezogen, von den ersten Wander- und Erlebnisschrift- stellern die Zustände in den nördlichen Voralpenland angeprangert und mit den drastischen Worten "vom Gipfel bis in die Täler sind die Berge kahlgeschlagen und verwüstet" beschrieben. Erst allmählich wurde das Prinzip Nachhaltigkeit in der Forstwirtschaft umgesetzt. Damit rechnet sich die Forstwirtschaft zu recht den Verdienst an, als Vorreiter der Nachhaltigkeits-Idee zu gelten - wobei dies leider nur auf einen geringen Pro- Auch wir Menschen sind ein Teil des Ökosystems und von dessen Funktionsfähigkeit abhängig. © Reinhard Pekny zentsatz der weltweiten Holznutzungen zutrifft, und Wildnis NEWS 6 Nr. 3 11/19
selbst bei uns in Europa keine umfassende Nachhaltig- Es fällt uns Menschen schwer sich ein- keit, selbst in der Forstwirtschaft, flächendeckend er- zugestehen, dass wir, entgegen unserem reicht wurde. subjektiven Empfinden, nicht im Zen- trum des Universums stehen und der Die 3 Säulen der Nachhaltigkeit - Mittelpunkt sind, um den sich diese Welt die gar nicht 3 sind! dreht. Wir sind ein Teil eines Ganzen, wenn auch ein wichtiger und großarti- Weit verbreitet wird die Ansicht vertreten, dass die For- ger Teil dieses lebendigen Gefüges. Auch derung nach Nachhaltigkeit drei Bereiche betrifft, die deshalb so wichtig und bedeutend, weil alle bedient werden wollen. wir starken Einfluss auf das Funktionie- ren dieses Systems haben und nehmen Das sind die ökologische, die ökonomische und die sozi- was eine sehr hohe Verantwortung für ale Nachhaltigkeit. das Gesamtsystem und nicht nur unse- rer eigenen, persönlichen Interessen nach Oft werden diese drei Bereiche als Säulen dargestellt sich zieht. die dann das "Dach" einer nachhaltigen Entwicklung, oder eben unsere Zivilisation, tragen. Heute liegt es an unseren Entscheidun- gen und den daraus folgenden Handlun- Dieses weit verbreitete Bild und immer wieder zitierter gen, ob wir den Fortbestand oder den Irrtum, beruht einerseits auf einer kompletten Fehlein- Untergang unserer Zivilisation verursa- schätzung der tatsächlichen Situation. Andererseits sind chen. diese „3 Säulen der Nachhaltigkeit“ eine Erfindung der deutschen Chemischen Industrie, die sich im Zuge der Bei dieser Frage geht es primär um uns als angestrebten „Ökologisierung der Wirtschaft“ logi- Wenn Ökosysteme sehr intensiv genutzt werden, ist es nicht immer möglich, dass sie sich Menschheit. Natur- und Umweltschutz scher Weise in einer ökologischen Nachhaltigkeit nicht wieder regenerieren können, oder es braucht sehr viel Zeit. © Reinhard Pekny ist primär Selbstschutz! Weder unsere wieder finden konnte. So wurden auch noch andere As- "Umwelt" noch die "Natur" braucht uns. pekte und Sichtweisen einfordert damit man bei dieser vernachlässigen und den Zusammenbruch des Ökosys- Wir als Menschen brauchen einen bestimmten Zustand Aktion die eine „grüne Identität“ (um nicht zu sagen tems Erde riskieren indem wir weiterhin so exzessiven von Umwelt und Natur, brauchen bestimmte "ökosys- "Grünes Mäntelchen") spenden sollte, auch involviert Raubbau betreiben, dann haben auch die anderen Säu- temare Dienstleistungen" dieses Planeten, ohne die werden konnte. Dies zeigt wie sehr unser Blick durch len keinerlei feste Grundlage, auf der sie stehen könn- WIR nicht existieren könnten. eine total antrophozentrische Sicht- und Denkweise ten. getrübt ist. Das Leben wird überleben. Auch nach einer schweren Natürlich ist es richtig, dass wir auch ökonomischen Schädigung oder fast totalem Zusammenbruch, wie Diese „drei Säulen“ sind nämlich keinesfalls gleichwer- „Erfolg“ brauchen, natürlich ist es richtig, dass der schon einige Male in der Erdgeschichte der letzten 600 tig und stehen nebeneinander, sondern jede Existenz soziale Friede lebensnotwendig und wertvoll ist. Es Millionen Jahren geschehen ist, wird es wieder in Viel- und Entwicklung unsere Zivilisation steht auf dem ist unbestritten, dass Menschen Arbeit und Aufgaben falt erblühen! Nur wir als Menschen, als hochkomple- FUNDAMENT der Ökologie! Und auf diesem Fun- brauchen, dass etwas produziert, geerntet, erzeugt und xe Lebewesen mit sehr hohen Ansprüchen an unsere dament können dann die beiden anderen oder beliebig konsumiert werden muss und darf! Aber dabei sollte Lebens- und Umwelt werden dann wohl nicht mehr viele "Säulen" der Nachhaltigkeit stehen. man nie aus den Augen verlieren, dass all dies ohne ein dabei sein. funktionierendes, gesundes und langfristig abgesicher- Zerstören oder schwächen wir aber die Grundlage un- tes (durch hohe Diversität und Resilienz !!!) Ökosys- sere Existenz indem wir die ökologische Nachhaltigkeit tem nicht möglich wäre. Reinhard Pekny Wildnis NEWS 7 Nr. 3 11/19
WELTNATURERBE & IUCN KATEGORIE I GEBIET PIRIN IN GEFAHR D as UNESCO Weltnaturerbe Pirin Nationalpark (IUCN Kategorie II) beinhaltet zwei IUCN Kate- gorie I Naturreservate mit 600 Jahre alten Waldbestän- den und befindet sich im Südwesten Bulgariens. Seit einigen Jahren ist das Schutzgebiet mitsamt der Alt- bestände durch geplante Schiresorts mit neuen Schiab- fahrten und Gebäuden im Weltnaturerbe und sogar in Kategorie I Schutzgebieten gefährdet. Auch einige der ältesten Waldbestände Europas (von Schlangenhaut- Kiefer Pinus heldreichii und Balkankiefer Pinus peuce) sind in Gefahr, gefällt zu werden, falls der umstrittene Managementplan bewilligt wird. In mehreren bulgari- schen Städten gibt es Initiativen und Demonstrationen gegen das Schigebiet und für den Pirin. Das UNESCO Weltnaturerbe Pirin Nationalpark ist einer von drei Nationalparks des Landes. Das Schutz- gebiet umfasst heute über 400 km 2 von 950 bis 2.914m Seehöhe, begann 1934 als Naturreservat, wurde 1962 in einem Ausmaß von 67 km 2 zum Nationalpark und 1983 zum UNESCO Weltnaturerbe. Es ist Important Bird und Biodiversity Area von BirdLife International und Teil des Natura 2000 Netzwerks. Der National- park beinhaltet zwei Naturreservate, das ältere Reservat Eine Schlangenhaut-Kiefer (Pinus heldreichii) im Pirin Nationalpark (Quelle: forthenature.org/gallery/320/) wurde 1934 gegründet. Es ist eines der ältesten Schutz- Vihren mit 2.914 m, und über 60 Gipfel erreichen über gebiete Bulgariens und Teil des UNESCO Mensch und 2.600 m. Die Flüsse sind kurz, führen viel Wasser, und die Biosphäre Programms. Der Nationalpark ist gänz- der höchste Wasserfall ist ca. 12 m hoch. lich unbesiedelt, beinhaltet 118 Glazialseen, die zwei südlichsten Gletscher Europas und Bulgariens ältesten 57% des Nationalparks sind mit Wald bedeckt. 34% des Baum mit über 1.300 Jahren - eine Schlangenhaut- bewaldeten Anteils sind Bestände, die über 140 - zum Kiefer (Pinus heldreichii), die die Gründung des Staates Teil bis zu 600 - Jahre alt sind. Von 16 Baumarten sind Bulgariens im Jahr 681 erlebte. Hier leben 45 Säuge- drei endemisch im Balkan (Bulgarische Tanne Abies tierarten, 159 Vogelarten, 11 Reptilien-, 8 Amphibi- borisiiregis, Balkankiefer oder Mazedonische Kiefer Pi- en- und 6 Fischarten. Durch die südliche Lage und die nus peuce und Schlangenhaut-Kiefer Pinus heldreichii). hohen Gebirge ist die hohe Zahl an endemischen Pflan- Die häufigsten Arten sind die Latsche (Pinus mugo), zen- und Tierarten bemerkenswert. Die Verfassung Bul- die Balkankiefer oder Mazedonische Kiefer (Pinus gariens sieht vor, dass der Nationalpark ausschließlich in peuce), die Gemeine Fichte (Picea abies), die Rotbuche Gletscherseen im Pirin Nationalpark Staatsbesitz ist. Der Nationalpark hat ca. 92 Mitarbeiter (Fagus sylvatica) und die Schlangenhaut-Kiefer (Pinus (Quelle: forthenature.org/gallery/320/) und zwei Besucherzentren. Der höchste Gipfel ist der heldreichii). Wildnis NEWS 8 Nr. 3 11/19
Im Schutzgebiet kommen 114 Pflanzenarten vor, die 2.091 Arten von Wirbellosen sind bestä- auf der Roten Liste Bulgariens gelistet sind. Davon sind tigt, was ca. 40% der geschätzten 4.500 18 Arten im Schutzgebiet endemisch. Weitere 17 Arten Arten des Schutzgebietes ausmacht. Die- kommen nur innerhalb Bulgariens vor. Das bedeutet, se sind schlecht erforscht. 218 sind ende- dass 35 in Bulgarien endemische Pflanzenarten im Pi- misch, 176 Reliktarten und 294 seltene rin Nationalpark vorkommen. Das Gebiet beherbergt Arten. auch 86 Pflanzenarten, die im Balkan endemisch sind. In den letzten Jahren geriet der Pirin Nati- 229 Wirbeltierarten kommen im Schutzgebiet vor, onalpark mitsamt seinen zwei Naturreser- davon sind 45 Säugetierarten. Die Schneemaus (Chi- vaten und Europas ältesten Waldbeständen onomys nivalis, vormals Arvicola nivalis und Microtus in große Gefahr: durch industrielle und nivalis) ist eine Reliktart. Unter den Arten des höchs- illegale Abholzung, Wilderei, exzessive ten Schutzstatus sind der Braunbär, der Wolf, die Wild- Wegenutzung, Befahren des Gebietes mit katze, der Baummarder, das Wildschwein, das Rotwild, Autos, und allem voran Skiresorts. das Rehwild und die Gemse. Die Kleinsäuger, vor al- lem Nagetiere und Fledermäuse, sind noch nicht voll- Seit den frühen 1990er Jahren gab es eine Die ältesten Waldbestände Europas werden gefällt für Holznutzung, Skiresorts, kommen erforscht. ständige Entwicklung von Schigebietsinf- Bautätigkeit und Straßen (Quelle: forthenature.org/gallery/320/) rastruktur entlang der Nordostflanke des Gebietes, vor allem im Ort Bansko, der zu einem in- ge ein gegen das Bulgarische Ministerium für Umwelt Die Zahl der Vogelarten beträgt 159. Drei Arten ternationalen Winterresort geworden ist. Im Jahr 2003 und Wasser, da die Pläne zur Entwicklung des Gebietes sind Reliktarten – Raufußkauz, Weißrückenspecht wurde am Todorka und auf umgebenden Hängen der eine Verletzung der Umweltrichtlinien darstellen. und Dreizehenspecht. Die seltensten Brutvogelarten Wald gefällt und mit dem Bau des Resorts begonnen sind der Schreiadler mit einem einzigen Brutpaar, der – heute befinden sich hier 13 Schilifte und 75 Kilome- Bulgarien lag 2014 auf der weltweiten Liste für Me- Zwergadler, der Steinadler mit zwei bis fünf Paaren, ter Schipisten. Die Erweiterung des Resorts fand statt, dienfreiheit (Reporters Without Borders’ World Press Schlangenadler mit zwei Paaren, Sakerfalke, Wander- obwohl die Gesetzgebung des Gebietes dies innerhalb Freedom Index) auf Platz 100 von 180 Ländern, hat falke mit drei Paaren, Auerhuhn, Haselhuhn, Stein- der Schutzgebietsgrenzen strikt verbietet. Seit dem Be- seitdem Plätze verloren und liegt in der EU an letzter huhn, Wachtelkönig, Waldschnepfe und Hohltaube. ginn der Bauaktivitäten gab es in Bansko durch den Stelle (2014 Ungarn Platz 64, Serbien 54) (Quelle: ht- Fluß Glazne schwere Überflutungen durch die illegalen tps://advox.globalvoices.org/2015/02/04/thecollap- Eingriffe. se-of-media-freedom-in-bulgaria/). Im Dezember 2017 änderte die bulgarische Regierung Schenken wir dem UNESCO Weltnaturerbe Pirin Na- die Gesetzgebung um den Nationalpark ganz ohne tionalpark mit seinen zwei Naturreservaten der IUCN Vorwarnung, um die industrielle Holznutzung und Kategorie I die internationale Aufmerksamkeit, die es den Bau von Straßen und Gebäuden innerhalb von verdient! Auf dass das Schutzgebiet mit seinen Altbe- 50 % der Fläche des Schutzgebietes zu ermöglichen. ständen bzw. was davon übriggeblieben ist, erhalten bleibt! Dies führte zu einer Welle von Protesten gegen die Siehe auch: https://www.pirin.bg/, https://www. kontinuierlichen Manipulationen und Eingriffe im wildnisgebiet.at/weltnaturerbe-pirin-in-gefahr/, htt- Weltnaturerbe. Die Proteste wurden unterstützt durch ps://wilderness-society.org/pirin-is-in-danger-again/ Ska Keller, der Vizepräsidentin der Grünen/EFA-Frak- Neue Skiresorts entstehen im Schutzgebiet tion im Europäischen Parlament. Im November 2017 (Quelle: forthenature.org/gallery/320/) reichten der WWF und andere lokale NGOs eine Kla- Ingrid Kohl Wildnis NEWS 9 Nr. 3 11/19
sind sie vor Bruch ebenso geschützt wie vor zu tiefen LATSCHEN Temperaturen. Und sie können durch Wurzelbildung an ihren Sprossen weite Ausläufer bilden. Allzu lange D urch ihre eigenartige Wuchsform und ihre weite Verbreitung – vornehmlich über der Baumgrenze – zählt die Latsche, Pinus mugo, für jeden Bergfreund Schneebedeckungen eignen sich jedoch nicht für Lat- schen, denn als immergrüne Nadelhölzer sind sie vom Schwarzen Schneeschimmel bedroht. Immerhin sollen zu den geläufigsten Gehölzen. Auch ihr deutscher ihre 3 bis 5 cm langen Nadeln bis zu einem Jahrzehnt Name ist leicht zu merken, denn 'Latschen' nennen wir lang assimilieren können, bevor sie abgeworfen werden. umgangssprachlich auch ausgetretene Schuhe sowie An feuchten Nordhängen werden deshalb Latschen oft eine Gangart, die ebenso krumm und weich ist wie die vom ähnlich wachsenden Grünerlengebüsch abgelöst. Zweige unseres Strauchs. Und in unserem für den Alpennordrand typischen nie- derschlagsreichen Gebiet kann sogar die Buche als do- Ebenso treffend ist die Bezeichnung 'Legföhre'. Im- minierende Baumart in sonnseitigen Lawinenstrichen merhin ist diese auch als Bergkiefer bezeichnete Art Die bereits einjährigen Zapfen benötigen noch einen zweiten ausgedehnte Legbuchenbestände bilden. Sommer, bis sie reif sind ©Werner Gamerith die einzige innerhalb der Gattung Föhre, die keine auf- rechte Baumform bildet, sondern wenige Meter hohes Krummholz ist für uns Menschen abweisend und von Falken oder Steinadlern und unzähligen Kleintie- 'Krummholz'. Wenn wir die rauen Standorte betrach- mühsam zu durchqueren. Deshalb bezeichnet man ren als Nahrungsrevier genutzt wird. Für die Gämsen ten, die sie besiedelt – die subalpine Höhenstufe über Latschenfelder zuweilen auch als Latschenfilz. Zur Ge- bildet das Latschengebüsch den Kernlebensraum. Hier dem hochmontanen Fichtenwald, in tieferen Lagen winnung von Weideland auf Almen, den in den Alpen finden sie gute Einstände, besonders wenn im Spät- Lawinenbahnen, Hochmoore oder Kaltluftseen – er- einzigartigen Kulturlandschaften an der Baumgrenze, frühling die Geißen ihre Kitze führen. kennen wir unschwer ihre erfolgreiche Überlebensstra- wurden und werden sie seit Jahrhunderten zurückge- tegie. drängt. Dadurch entstand ein parkartiges Mosaik aus Wie alle Nadelhölzer sind die Legföhren Windbestäu- nahrhaftem Grün- und schützendem Buschland, das ber. Nicht in jedem Jahr blühen sie. Dann erscheinen Ihre elastischen Triebe werden von ruhenden oder neben dem Weidevieh auch vom Haarwild, von Vögeln im Frühling an der Basis von Langtrieben zahlreiche bewegten Schneelasten zu Boden gedrückt. Dadurch wie Ringdrosseln, Birk- und Schneehühnern, aber auch männliche Blütenzapfen, denen an den Triebenden in weitaus geringerer Zahl rot gefärbte weibliche Blüten- stände gegenüberstehen. Bei trockenem Wind schwe- ben ganze Wolken von Blütenstaub über den Latschen- feldern. Es braucht jedoch zwei bis drei Bergsommer, bis sich die 1 cm großen weiblichen Blütenstände zu etwa 5 cm großen reifen Zapfen entwickelt haben. Solche Anpassungen an die kurze Vegetationsperio- de verdienen unsere Bewunderung. Von allen größe- ren Holzgewächsen steigt die lichtbedürftige Latsche am weitesten in die subalpine Stufe hinauf. Noch weit oberhalb der letzten Wetterfichten bildet die Latsche mit Hochstauden, Alpenrosen und weiteren Zwerg- sträuchern die höchstgelegene Waldgesellschaft unserer europäischen Gebirge. Gämsen bewegen sich auch in Latschen mühelos. Zum Säugen ihrer Die bereits einjährigen Zapfen bläst der Wind Wolken von Kitze suchen die Geißen eine Wiese auf ©Werner Gamerith Blütenstaub aus den männlichen Blüten ©Werner Gamerith Werner Gamerith Wildnis NEWS 10 Nr. 3 11/19
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Wildnisgebietsverwaltung Dürrenstein wünschen allen Leserinnen und Lesern der WildnisNews ein gesegnetes Weihnachtsfest und alles Gute für das Jahr 2020! Wildnis NEWS 11 Nr. 3 11/19
Die Veränderung der Lebensraumbedingungen durch DIE ROLLE DES BUCHDRUCKERS Buchdruckerbefall hat häufig einen Anstieg im Arten- reichtum zur Folge. Die Anzahl verschiedener Gefäß- IM WALDÖKOSYSTEM pflanzen steigt bei Erhöhung des Lichteinfalls auf den Waldboden umgehend an und damit auch die Vielfalt an Insekten (z. B. blütenbesuchende Schmetterlinge). B orkenkäferbefall gehört zu den natürlichen bioti- schen Störungsereignissen in Nadelwäldern. Welt- weit gibt es ca. 6000 Arten von Borkenkäfern (Scolyti- Käfer nur in kränkelnden oder absterbenden Bäumen günstige Entwicklungsbedingungen vor. Für die Fichte selbst werden durch kleinflächiges Ab- sterben der Altbäume ideale Verjüngungsmöglichkei- nae aus der Familie der Curculionidae), in Europa sind Der Buchdrucker spielt für den Nährstoffkreislauf des ten geschaffen. Daher stammt der plakative Ausdruck es ca. 150 Arten an verschiedenen Baumarten. Bekannt Waldes eine wichtige Rolle, da befallene Bäume schnel- „Walderneuerer“ für der Buchdrucker. ist neben dem Kupferstecher (Pityogenes chalcographus) ler absterben und die organische Substanz abgebaut vor allem der Buchdrucker (Ips typographus), weil er der werden kann. Die Elimination von abwehrschwachen Abgestorbene Bäume bieten Lebensraum für eine Viel- wichtigste Schädling in Fichtenwäldern ist. Das The- Baumindividuen wirkt sich insgesamt positiv auf die zahl holzbewohnender Pilze und Insekten. Auch Vögel ma Borkenkäfer ist ein strittiges und emotionales von Vitalität des Fichtenwaldes aus. wie der Habichtskauz profitieren vom Borkenkäferbe- dem viele Waldbesitzer hilflos betroffen sind während fall, da Waldstücke aufgelichtet werden, was die Jagd in Nationalparken und im Wildnisgebiet Dürrenstein auf Mäuse erleichtert. Des Weiteren eignen sich abge- Vermehrungen stattfinden, die niemand zu bremsen storbene Bäume als Bruthöhlen, nicht nur für Eulen, versucht. Das sorgt für Unverständnis. Doch es ist für sondern auch für viele andere Vogelarten. das Management und die Bekämpfung des Buchdru- ckers wichtig, seine Biologie und Rolle im Waldökosys- Zu den natürlichen Feinden des Buchdruckers gehö- tem zu erforschen und das kann man gut in Gebieten, ren parasitische Wespen, v.a. Brack- und Erzwespen in denen der Mensch sich zurücknimmt und natürliche (Hymenoptera), räuberische Fliegen (Diptera) und Kä- Prozesse, wie eben Vermehrung und Befall, zulässt und fer (Coleoptera). Hier ist im Besonderen der Ameisen- beobachtet. Kein Parasit hat jemals den Fehler began- buntkäfer (Thanasimus formicarius) aus der Familie gen seinen Wirt auszurotten, ohne mit seinem eigenen der Buntkäfer (Cleridae) zu nennen. Diese vertilgen Verschwinden dafür bezahlen zu müssen. Der Buch- als adulte Käfer mehrere Buchdrucker pro Tag, und als drucker ist nicht der Feind der Fichte, der Killer, wie es Larve stellen sie sehr effizient den Buchdrucker-Larven gerne dargestellt wird. Es lohnt sich, den Buchdrucker im Gangsystem nach. einmal nicht in seiner Rolle als gemeinen Schädling zu sehen, sondern seine Rolle im Waldokösystem zu be- Als Räuber spielen auch Spechte (Picidae) eine Rolle, trachten. vor allem der Dreizehenspecht (Picoides tridactylus). Der Buchdrucker und dessen Wirtsbaumart, die Ge- Schneller als Räuber können parasitische Milben (Aca- meine Fichte (Picea abies), haben sich im Laufe der ri) und Fadenwürmer (Nematoda) auf die Dichtezu- Evolution aneinander angepasst, diese Störungsregime nahme der Buchdrucker reagieren und daher tragen sie gehören daher zur natürlichen Dynamik fichtenrei- zu deren Rückgang bei. Aber auch Bakterien, Einzeller cher Waldökosysteme. Buchdrucker sind in der Lage, und Pilze (vor allem die Gattungen Beauveria und Pae- das Abwehrsystem von Fichten zu überwinden, da sie cilomyces) sind häufige Krankheitserreger des Buchdru- Rindeninhaltsstoffe zur Herstellung von Aggregations- Abgestorbene Fichten im Wildnisgebiet. Totholz bietet einer Vielzahl ckers. Die Ausbreitung vieler dieser Gegenspieler geht von Folgeorganismen Lebensraum, wie zum Beispiel diesem Holzzer- von den Käfer-Brutsystemen aus, in denen sie sich ent- pheromonen nutzen, mit denen sie innerartlich kom- setzenden Pilz. Wer hier die Vegetation anschaut, findet Verjüngung munizieren können. Damit können sie in hoher Dichte von Fichten, Tannen und Buchen, den Baumarten der natürlichen wickeln, also aus dem stehenden und später liegenden angreifen. Ist die Populationsdichte gering, finden die Waldgesellschaft © Werner Gamerith Holz der abgestorbenen Fichten, das im Wirtschafts- Wildnis NEWS 12 Nr. 3 11/19
Ameisenbuntkäfer (r) verfolgt Buchdrucker (l). Einer der vielen natürlichen Feinde des Buchdruckers, der im Wildnisgebiet in hohen Dichten auftritt. © Josef Pennerstorfer wald auch dann oft noch beseitigt wird, wenn der Buchdrucker schon ausgeflogen ist und diese Maßnahme kontraproduktiv geworden ist. Borkenkäfer sind natürlicher Bestandteil vom Waldökosystem und der Befall wird durch seinen Gegenspielerkomplex reguliert. Ein naturnaher oder Naturwald bietet dem Buchdrucker nicht so günstige Bedingungen für Massenvermehrungen, wie er sie in vielen Wirtschaftswäldern vorfindet. Wo im gleichaltrigen Reinbestand standortsunan- gepasste und genetisch verarmte Fichten auf den falschen Böden stocken, ist der Buch- drucker ein großes Problem. Diese Situation hat sich durch den Klimawandel in den letzten Jahren noch enorm verschärft, weil tockengestresste Bäume wehrloser sind und häufiger und stärkere Stürme auftreten, die so viel Brutmaterial zur Verfügung stellen, dass Massenvermehrungen unvermeidlich sind. Aus der Erforschung des Buchdruckers in unberührten Wäldern, wie im Wildnisgebiet, lassen sich wertvolle Erkenntnisse ge- winnen, die für das Management von Wirtschaftswäldern von großer Bedeutung sind. Maria von Rochow Wildnis NEWS 13 Nr. 3 11/19
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