WIR ALLE WAREN EINMAL JUNG - Worthaus

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WIR ALLE WAREN EINMAL JUNG - Worthaus
DIE NEUE SCHOKOLADE-        NOËMI KNOCH ÜBER            BERN HAT JETZT EIN
WELT VON DANIEL BLOCH       IHR JAHR IN PARIS           KOSCHERES RESTAURANT
S. 4                        S. 20                       S. 24

DAS MAGAZIN DER JÜDISCHEN GEMEINDE BERN                         Nr. 103 01 / 2018

WIR ALLE WAREN EINMAL JUNG
       ODER: WAS ZEHN MITGLIEDER ÜBER 40 ZUR «JEWISH YOUTH» MEINEN – S. 10
WIR ALLE WAREN EINMAL JUNG - Worthaus
INHALT
    FORUM 103 - 01 / 2018

    AKTUELL                                              PORTRAIT
    AGNES HIRSCHI                                        MARTIN MÜRNER
    Die Stieftochter des Judenretters und                Der Instrumentenbauer lädt in sein Atelier
    Diplomaten Carl Lutz hat ein Buch geschrieben.       am Stadtrand von Bern.
    16                                                   26

    BEYOND DUTY		                    19   AKTUELL                           KULTUR
    Ausstellung und Diskussion            DER RUMÄNISCHE EX-KÖNIG      18   NEUES BUCH VON            43
    über Judenretter im Käfigturm         IST GESTORBEN 		                  EVE STOCKHAMMER

                                          SIG-TAGUNG ÜBER JÜDISCHE     23   GEDENKTAFEL FÜR GEORGES   45
    GURLITT IM KUNSTMUSEUM 39             IDENTITÄT                         BRUNSCHVIG IN RIEHEN
    Ein Blick auf die Ausstellung
    über «Entartete Kunst»                VOLLE SYNAGOGE IN DER        25   REISEBERICHT AUS SAFED    46
                                          NACHT DER RELIGIONEN
                                                                            DER RABBI HAT DAS WORT    47
    OLYMPIA-ATTENTAT 1972 40
    Erinnerungen an eine                  GEMEINDE                          PEOPLE
    besondere Begegnung                   DIE JUBILÄUMSFEIER ZU        28   DAS GOKART-RENNEN 2017    49
                                          150 JAHRE FRAUENVEREIN
                                                                            NAMEN &
    BESONDERE HAGGADOT              48    SCHABBAT WELTWEIT GEFEIERT 32     FAMILIENNACHRICHTEN       50
    JGB-Mitglied Georg Eisner
    präsentiert seine Sammlung            STUDENTEN BESUCHEN BIEL      37   IMPRESSUM 			             51

2   forum – 103 | 01 / 2018
WIR ALLE WAREN EINMAL JUNG - Worthaus
EDITORIAL

                                   LIEBE LESERINNEN                               tät in jenem Alter damals geprägt hat, und   retteten, unter ihnen auch Carl Lutz. Des-
                                   UND LESER                                      was sie den Jungen von heute wünschen.       sen Stieftochter Agnes Hirschi hat «Fo-
                                                                                                                               rum»-Autor Peter Abelin empfangen.
                                   Diese Ausgabe führt Sie an einige attrak-  Im Haus der Religionen spielte sich eine
                                   tive Reiseziele. Auftakt ist ein Abstecher kleine Weltsensation ab: Im Dezember             Einblick in ihre persönlichen Welten ge-
                                   in die süsse Welt von Unternehmer und      stellte Michael Kohn ein Koscherzertifi-         währen uns zwei weitere Mitglieder:
                                   Chocolatier Daniel Bloch im Berner Jura.   kat für die Küche des Hindupriesters Sa-         Martin Mürner zeigt sein Atelier als Ins-
                                   Er verrät im grossen Interview, wie er Visi-
                                                                              sikumar Tharmalingam aus, im Februar             trumentenbauer, wo auch das Alphorn
                                   onen, Leidenschaften und wirtschaftliche   fand die Eröffnungsfeier des ersten Berner       steht, das durch eine Plakataktion des SIG
                                   Realität auf einen Nenner bringt.          Koscherrestaurants am Europaplatz statt.         schweizweit bekannt wurde. Passend zu
                                                                              Die beiden erzählen, was es für diesen           Pessach präsentiert Georg Eisner einige
                                   Geschrieben haben wir in den letzten bei- Schritt brauchte.                                 Exemplare aus seiner Sammlung von Hag-
                                   den Ausgaben viel über die heute 18- bis                                                    gadot.
                                   35-Jährigen und die Anstrengungen von Zu kritischen Auseinandersetzungen mit
                                   Assistenzrabbiner Michael Kohn, der «Je- der Geschichte kam es in den letzten Mo-           Auch für diese Nummer gilt: Ohne die
                                   wish Youth of Bern» jüdisches Leben nä- naten in Bern gleich mehrfach. Unter dem            inhaltlichen und finanziellen Beiträge von
                                   her zu bringen. Die «Forum»-Redaktion Titel «Beyond Duty» im wieder eröffne-                zahlreichen Personen wäre diese Ausgabe
                                   hat sich diesmal bei den älteren Genera- ten Polit-Forum Käfigturm fand im Feb-             in dieser facettenreichen Form nicht zu-
                                   tionen umgehört. Fünf Männer und fünf ruar eine Rückschau auf Diplomaten statt,             stande gekommen. Herzlichen Dank!
                                   Frauen zwischen 41 und 99 Jahren be- die während der Kriegsjahre jenseits ihrer
                                   richten, was sie und ihre jüdische Identi- Pflichten Abertausenden Juden das Leben          Die Redaktion

                                   ANZEIGE
BILDER: PETER ABELIN / SIMON ROM

                                   forum – 103 | 01 / 2018                                                                                                                  3
WIR ALLE WAREN EINMAL JUNG - Worthaus
INTERVIEW

                                                                   Herr Bloch, Courtelary liegt nicht ge-
                                                                   rade an den Verkehrshauptachsen. Wie
                                                                   kam Ihr Grossvater Camille Bloch dazu,
                                                                   ausgerechnet hier zu investieren?
                                                                   Mein Grossvater hat bei der Schokola-
                                                                   defabrik Tobler die kaufmännische Leh-
                                                                   re gemacht. Im Krisenjahr 1929 konnte
                                                                   er von den Gebrüdern Lindt, die ihren
                                                                   Schokoladebetrieb in Bern einstellen
                                                                   mussten, Maschinen kaufen und begann
                                                                   mit der Schokoladeherstellung am Jä-
                                                                   gerweg im Breitenrain in Bern. Das lief
                                                                   relativ gut. Die anderen Chocolatiers wie
                                                                   Nestlé, Suchard, Tobler oder Caillier hat-
                                                                   ten ein Preiskartell, mein Grossvater war
                                                                   jedoch nicht an diese Preise gebunden.
                                                                   Er konnte seine Schokolade gut verkau-
                                                                   fen, seine Firma florierte. Und so suchte
                                                                   er 1935 einen neuen Standort, weil er
                                                                   keinen Platz mehr hatte. Hier im Jura
                                                                   kannte er einen Grossrat, der Bürger-
                                                                   meister eines Dorfs in der Gegend war.
                                                                   Dieser sagte meinem Grossvater, hier in
                                                                   Courtelary könne er etwas kaufen, das
                                                                   schon existiere.

                                                                   Ein Glückstreffer bis heute?
                                                                   Ich habe mir immer wieder überlegt,
                                                                   was Glück ist und was Zufall. Das wird ja
                                                                   oft gleichgesetzt. Für mich gibt es einen
                                                                   Unterschied: Glück ist, wenn man etwas
                                                                   macht. Das enthält auch ein Element
                                                                   des Zufalls. Man kann nicht alles beein-
                                                                   flussen. Aber man macht etwas daraus.
                                                                   Der französische Forscher Louis Pasteur
                                                                   sagte zu Lebzeiten im 19. Jahrhundert
                                                                   – ich sage es auf Englisch: «Luck stri-
                                                                   kes the prepared mind.» Das traf in der
                                                                   Geschichte dieser Firma immer zu. Das
    «WIR WOLLEN UNSERE                                             heisst: Mein Grossvater, mein Vater und

    LEIDENSCHAFT MIT                                               ich waren jeweils vorbereitet, aber es
                                                                   war auch immer etwas Zufall im Spiel.

    ANDEREN TEILEN»                                                Was hat Sie dazu bewegt, den Stand-
                                                                   ort hier in Courtelary beizubehalten
                                                                   und das neue Besucherzentrum hier
    Eine süsse Erlebniswelt erwartet Besucherinnen und Besu-
    cher neu in Courtelary im Berner Jura, wo die Firma Chocolat   zu bauen?
    Camille Bloch SA den Produktionsstandort deutlich ausgebaut    Courtelary ist ein spezieller Ort. Es gab
    hat. Verwaltungsratspräsident und CEO Daniel Bloch verrät      durchaus Überlegungen, die Fabrik an-
    dem «Forum» im Interview, welche Visionen ihn beschäftigen.    derswo anzusiedeln. Zu berücksichtigen
    Interview: Daniel Eisner, Hannah Einhaus                       sind Faktoren wie Steuern, Strompreise
                                                                   oder die Logistik. Matchentscheidend
                                                                   ist aber, ob man die richtigen Mitar-

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WIR ALLE WAREN EINMAL JUNG - Worthaus
beiter bekommt. Heute liegen wir hier       unsere Leidenschaft mit anderen Men-       Hat Ihre Firma auch etwas typisch Jü-
                      gar nicht so schlecht. Wir sprechen hier    schen zu teilen. Mein Vater hatte schon    disches?
                      Französisch und Deutsch und sind gut        immer die Vorstellung, die Fabrik der      Sie enthält einige typische Elemente. So
                      aufgestellt, um in den französischen und    Öffentlichkeit zugänglich zu machen.       betreiben wir einen grossen Aufwand
                      den deutschen Markt zu exportieren.         Von daher ist der Grundgedanke von         um koschere Schokolade zu produzie-
                      Die Lage in der Natur ist ein Standort-     dem, was wir hier realisiert haben, von    ren. Dies betrifft nur etwa drei Prozent
                      vorteil für das neue Besucherzentrum.       ihm mitgetragen und geprägt. Er hatte      unseres Produktionsvolumens, doch für
                      Kommt hinzu, dass die Menschen mo-          mich aber davor gewarnt, das Projekt       rund zwei Wochen steht die Fabrik prak-
                      biler geworden sind, insbesondere die       zu gross zu machen.                        tisch still. Immerhin sind wir dank der
                      Qualifizierteren, die einen Arbeitsweg                                                 koscheren Schokolade schon lange in
                      von 45 Minuten auf sich nehmen. Mit         Wenn er sehen könnte, was hier ent-        der Lage, Rohstoffe zurückzuverfolgen.
                      Bern, Biel, Solothurn, Neuchâtel oder       standen ist, hätte er Freude?              Eine Kompetenz, die heute sehr wichtig
                      La Chaux-de-Fonds haben wir ein gutes       Ja, ich denke schon, es würde ihm sehr     geworden ist uns für die ganze Produkti-
                      Einzugsgebiet. Und diejenigen, die hier-    gefallen. Das Einzige, das er bedauerte,   on zugute kommt. Wir pflegen das Jüdi-
                      her zur Arbeit kommen, sind generell        war, dass wir auf dem Areal eine Linde     sche, solange es geht…
                      treuere Arbeitnehmer. Wir haben viele       fällen mussten.
                      langjährige Mitarbeiter, auch solche, die                                              ...und sind ebenso ein Beispiel für
                      ihr ganzes Arbeitsleben hier verbracht      Existiert ein Ort im neuen Besucher-       Schweizer Wirtschaftsgeschichte...
                      haben. Aber tendenziell hat die Fluktua-    zentrum , der Sie persönlich berührt?      ... ja, vor anderthalb Jahren wurde ich
                      tion zugenommen.                            Ja, es ist der Platz in Turin, wo man      vom Bundesrat eingeladen für einen
                                                                  sich auf ein Motorrad setzen und Sel-      Vortrag auf der Reise von Biel nach St.
                      Ist das Unternehmen mit der Neuaus-         fies machen kann. Da muss ich etwas        Imier. Ich bedankte mich dafür, dass wir
                      richtung auch gewachsen?                    ausholen: Heute lebt man zwar bes-         noch hier sind. Wären wir nicht in der
                      Ja, wir haben mehr Leute, weil auch neue    ser und gesünder und wird älter, man       Schweiz, hätten wir als Juden diese Ge-
                      Aktivitäten hinzugekommen sind. Wir         hat mehr Möglichkeiten, Sicherheit         schichte nicht. In anderen Ländern hät-
                      haben eine neue Logistik aufgebaut, mit     und Wohlstand, aber dennoch ma-            ten wir damals verschwinden müssen.
                      neuen Abläufen, um Prozesse zu rationa-     chen sich viele Menschen Sorgen um
                      lisieren. Das andere ist das neue Begeg-    die Zukunft. Man sieht Bedrohungen         Diese jüdisch-schweizerische Veran-
                      nungszentrum «Chez Camille Bloch»,          wie Kriege und Klimawandel oder            kerung hat sich sicher auch in Ihrer
                      wo wir rund 30 zusätzliche Beschäftigte     hat Angst vor Frustration, obwohl es       familiären Kultur fortgesetzt, wenn
                      haben. Wir sind jetzt 180 Leute anstatt     einem alles in allem besser geht. Das      wir an Ihren Vater Rolf Bloch denken,
                      wie bis vor kurzem 150. Insgesamt ist       beschäftigt mich. Ich möchte in einer      der acht Jahre lang den Schweizeri-
                      heute rund ein Viertel der Beschäftigten    hoffnungsvollen Welt leben, in der         schen Israelitischen Gemeindebund
                      seit höchstens einem Jahr dabei.            man an die Zukunft glaubt. Ich möch-       präsidiert hatte. Geschah dies auch
                                                                  te Zuversicht für die Zukunft schaffen,    aus solch einer Dankbarkeit?
                      Ihr Vater Rolf Bloch war eine wichtige      und dieser Platz mit dem Selfie soll ein   Ja, er sagte es so. Er war ein ausseror-
                      Figur. Vieles, was hier neu entstanden      solcher Ort der Sorglosigkeit sein. Ich    dentlich pflichtbewusster Mensch. Dass
                      ist, hat er nicht mehr erlebt. Wie viel     bewege mich gerne in einem Schwe-          er sozusagen davongekommen ist, hat zu
                      von ihm steckt dennoch drin?                bezustand. «Il dolce della vita» lautet    diesem Denken zweifelsfrei beigetragen.
                      (Nach längerem Überlegen): Als mein         auch der Claim, das Leben zu genies-
                      Vater das erste Mal von meinen Plä-         sen und die Leichtigkeit zu leben.         Ihre Verwurzelung als Jude und
                      nen erfuhr, dachte er, dass ich etwas                                                  Schweizer geht ja sehr tief. Man denke
                      übermütig sei. Er war vorsichtiger als      Warum gerade Turin?                        auch an Ihren Grossonkel Jean Nord-
                      ich. Ohne ihn hätte ich diesen Umbau        Unsere Marke Torino soll nach der          mann, der wie Ihr Vater SIG-Präsi-
                      wahrscheinlich früher in Angriff ge-        Stadt Turin benannt worden sein.           dent war. Ist ein solches Engagement
                      nommen. Aber ich bin froh, habe ich         Mein Grossvater war Reisen und             schon eine Option für die Zeit, wenn
                      es nicht vorher gemacht. Ich war mit        dem südlichen Lebensgefühl zuge-           Sie hier nicht mehr arbeiten werden?
                      ihm in dauerndem Austausch. Wir ha-         neigt. Dasselbe gilt für «Ragusa»:         Nun, von heute aus gesehen rechne ich
BILD: DANIEL EISNER

                      ben uns gut ergänzt. Er war nicht der       Das war einst der Name der heu-            nicht damit. Aber manchmal ist es eben
                      geborene Optimist. Was er stets gepflegt    tigen Stadt Dubrovnik in Kroatien.         so: Nicht ich plane das Leben, sondern
                      hatte, war der direkte Kontakt zu den       Wir schaffen mit Bildern und Ge-           das Leben plant mich. Ich kann aber mit
                      Menschen. Unsere Neuausrichtung             schichten eine emotionale Welt zu          meinem Grossonkel und meinem Vater
                      steht in Verbindung mit der Vision,         unseren Produkten.                         sehr wohl etwas teilen: Sie waren Cito-

                      forum – 103 | 01 / 2018                                                                                                           5
WIR ALLE WAREN EINMAL JUNG - Worthaus
INTERVIEW

    yens, nicht Bourgeois, die sich für eine
    Sache einsetzten, die ihnen wichtig war.

    Wie sieht es aus mit den Gefühlen für
    die JGB, wo Sie aufgewachsen sind?
    Ich bin sehr verbunden mit der Jüdi-
    schen Gemeinde Bern. Das geht klar
    über den Glauben hinaus, zurück zu Be-
    ziehungen aus der Kindheit, zu den Ski-
    lagern, zu den Samstagnachmittagen. Ich
    bin nicht sehr häufig in der Synagoge,
    und meine Frau ist nicht jüdisch, aber
    wir haben drei Kinder, und sie konnten
    selbst entscheiden, was ihnen lieber ist.    Daniel Bloch: «Ich bevorzuge eine betriebseigene Nachwuchsförderung.»
    Meine älteste Tochter Salome entschied
    sich für den reformierten Weg, und mein      kann. Doch es gab Leute, die darüber            Kontakt zu Menschen zu pflegen. Hie
    Sohn Arsène besuchte den jüdischen           staunten. Ich war schon in der Schule           und da gehe ich hinüber in den öffent-
    Religionsunterricht. Beide mussten an-       einer, der gerne vom reinen Schulstoff          lichen Teil unserer Fabrik und rede mit
    fänglich sowohl in den Reli als auch in      abschweifte. Mir wurde das damals               den Besuchern. Das passt mir sehr gut.
    die kirchliche Unterweisung, damit sie       etwas ausgetrieben, aber ich brauche            Ich hätte gerne einmal einen Film ge-
    sich selbst ein Bild machen konnten. Bei     das, bis heute. Man ist natürlich durch         dreht. Wo andere Tatsachen sehen, er-
    seinem Übertritt in die liberale Gemein-     seine Herkunft und sein Umfeld ge-              kenne ich die Filmhandlung. Das neue
    de Or Chadasch in Zürich wurde Arsène        prägt. Aber die Mission, die man hat,           Besucherzentrum ist letztlich auch ein
    gefragt, welches Fest ihn denn anspre-       soll man so erfüllen, dass es zu einem          Ort von Geschichten, von Stories.
    che. Er erwähnte Chanukka, da erhalte        passt. Für mich heisst das, den direkten
    man Geschenke. Die Rabbiner meinten,
    das sei eine jüdische Antwort. Wichtig
    und gut ist, dass sie sich beide für einen     SCHOKOLADENDUFT                               der Firma im Tal von St. Imier im Kan-
    Glauben entschieden haben.                     UND BUCHLEKTÜRE                               ton Bern sieht und keine Auslagerungen
                                                   Wer am Bahnhof Courtelary an der Li-          der Produktion ins Ausland plant, nicht
    Worin sehen Sie momentan Ihre wich-            nie Biel–La Chaux-de-Fonds aus dem            einmal Teilauslagerungen. Als Familien-
    tigste Aufgabe?                                Zug steigt, riecht schokoladesüsslichen       unternehmer hat er es gerne klein und
    Meine zentrale Mission ist aktuell sicher      Duft. Die Firma Chocolat Camille Bloch        kompakt. Dass er sich nicht als Manager
    die, dieses Unternehmen in eine sichere        SA liegt nur hundert Meter entfernt. Im       und Verwalter, sondern als Visionär ver-
    Zukunft zu führen. Während ich früher          Oktober 2017 hat das Unternehmen die          steht, zeigt auch sein im Jahr 2017 pu-
    zeigen musste, dass ich generell führen        Infrastruktur erweitert und ein Besucher-     bliziertes Erstlingswerk «Creating Passion
    kann, bin ich heute in einer neuen Lage        zentrum eröffnet, welches multimedial         – vom Sprung aus dem warmen Wasser».
    und versuche, andere Personen in Kader-        und interaktiv die Geschichte des Unter-      Auf rund 150 attraktiv gestalteten Seiten
    positionen zu fördern. Ich arbeite nicht       nehmens und die Produktion von Torino-        im Kleinformat geht der Autor der Frage
    mit Expertinnen und Experten, die etwas        und Ragusa-Stengeln aufzeigt. Eine Passe-     nach, was es braucht, um ein Unterneh-
    schon zehnmal gemacht haben, sondern           relle im Obergeschoss verbindet neu den       men kreativ zu führen und zugleich die
    ich beauftrage eigene Angestellte mit ei-      produzierenden Gebäudeteil links mit der      Leidenschaft der Mitarbeiter zu wecken.
    nem Projekt, die das dann zum ersten           Verwaltung und dem neuen Besucher-            Daniel Bloch versucht in lockerem Stil, die
    Mal machen, neue Verantwortung über-           zentrum rechts der an Kantonsstrasse. 40      Geschichten hinter betriebswirtschaftli-
    nehmen und daran wachsen. Das ist die          Millionen Franken hat das Unternehmen         chen Prozessen zu verstehen und Fakten
    betriebseigene Nachwuchsförderung.             investiert und dafür in seiner fast 90-jäh-   mit seinen Sinnen zu erfassen. Entstan-
                                                   rigen Geschichte erst das dritte Mal einen    den ist ein Werk, das sich ursprünglich an
    Sie erzählen gerne Geschichten. Gibt           Kredit aufgenommen.                           Studienabgänger von Wirtschaftsfächern
    es noch eine Geschichte, die noch              Daniel Bloch, der nach Camille und Rolf       richtete, letztlich aber – so die Eigenbe-
    nicht geschrieben ist?                         Bloch das Unternehmen in dritter Gene-        schreibung – ein Publikum ansprechen
    Ich habe früher den Kindern selber             ration führt, hat mit dieser Erweiterung      will, das auch im Arbeitsleben nach über-
    erfundene Geschichten erzählt, für             ein Signal gesetzt, dass er die Verankerung   geordneten Werten strebt. (ein./dei.)
    mich war das normal, dass man das

6   forum – 103 | 01 / 2018
WIR ALLE WAREN EINMAL JUNG - Worthaus
AKTUELL

                                                                                       Die «Jewish Youth of Bern» der heu-      Je nach Herkunftsfamilie spielte die
                                                                                       te 18- bis 35-Jährigen ist in aller      jüdische Tradition eine andere Rolle.
                                                                                       Munde: Seit gut einem Jahr ist eine      Jugendbünde, Israelaufenthalte und
                                                                                       Gruppe von jungen Mitgliedern um         Studien trugen ihren Teil bei. Jung
                                                                                       Rabbiner Michael Kohn daran, ein         sein bedeutete und bedeutet, das Her-
                                                                                       jüdisches Leben in Bern aktiv zu ge-     kömmliche herauszufordern, zu hin-

                                               WIR
                                                                                       stalten. Die «Forum»-Redaktion hat       terfragen, auszubrechen und die Su-
                                                                                       mehrfach darüber berichtet. Diese        che nach eigenen Lebensentwürfen zu
                                                                                       neuen Aktivitäten stossen auch bei       beginnen. Wir haben die Porträtierten

                                               ALLE
                                                                                       Mitgliedern über 35 auf Anklang. Wir     gefragt, welche Rolle die jüdische Er-
                                                                                       haben uns für diese Ausgabe bei den      ziehung in ihrer Jugend spielte, wie
                                                                                       älteren Generationen umgehört und        sie sich im Alter von 20 bis 30 Jahren

                                               WAREN
                                                                                       zehn Mitglieder zwischen 41 und 99       persönlich und beruflich entwickelten,
                                                                                       besucht, die sich zu unterschiedli-      was ihnen damals gefiel und woran sie
                                                                                       chen Jahrzehnten mit ihrer jüdischen     sich damals rieben.
                                                                                       Identität auseinandergesetzt hatten.     Schliesslich baten wir alle um eine

                                               EINMAL                                  Jeder Mensch ist ein Kind seiner Zeit,
                                                                                       die jungen Jahre der Befragten wa-
                                                                                       ren durch das Zeitgeschehen unter-
                                                                                                                                Einschätzung der heutigen «Jewish
                                                                                                                                Youth». Zusammengekommen ist ein
                                                                                                                                kleines Bouquet von Denkanstössen.

                                               JUNG                                    schiedlich geprägt.                      (ein.)

                                               Myria Ditesheim-Zlotnicki
                                               *1919, La Chaux-de-Fonds, Sekretärin und Hausfrau

                                                                                                            meines Vaters Jacques musste meine Mutter Jeanne alleine
                                                                                                            für die Familie aufkommen. Ich war damals elf und trug
                                                                                                            als ältestes von drei Geschwistern von einem Tag auf den
                                                                                                            anderen plötzlich sehr viel Verantwortung. Nach Kriegsen-
                                                                                                            de erfuhren wir, dass fast der ganze polnische Familien-
                                                                                                            zweig von den Nazis ermordet worden war.
                                                                                                            Die jüdische Gemeinde von La Chaux-de-Fonds war sehr
                                                                                                            aktiv und der Zusammenhalt zwischen den Familien stark,
                                                                                                            und zwar auch über die Grenzen der verschiedenen religi-
                                                                                                            ösen Ausrichtungen hinaus. Trotz den beengten Raumver-
                                                                                                            hältnissen pflegten meine Eltern ein offenes Haus und lies-
BILD LINKS: DANIEL EISNER / BILD RECHTS: ZVG

                                                                                                            sen es sich nicht nehmen, zum Laubhüttenfest jeweils die
                                                                                                            ganze Gemeinde in ihre Sukkah einzuladen. In lebendiger
                                                                                                            Erinnerung geblieben sind mir auch die rauschenden Bälle,
                                                                                                            welche die jüdische Gemeinde unter aktiver Mitwirkung
                                                                                                            der Jugend jeweils zu Chanukka veranstaltete. Wir Kinder
                                                                                                            besuchten zweimal wöchentlich den Cheder (Religions-
                                                                                                            unterricht). Obschon es keinen eigentlichen Jugendbund
                                                                                                            gab, trafen sich die Jungen oft und gern. In diesem Rah-
                                                                                                            men entstand auch die tiefe Freundschaft zu Anette Dites-
                                               «Mein Vater stammte aus einer religiösen Familie in Polen,   heim, deren ältesten Bruder Henri (1915-2011) ich 1941
                                               meine Mutter aus La Chaux-de-Fonds. Im Haushalt lebten       heiratete. Unsere ersten Ehejahre fielen mit dem Zweiten
                                               drei Generationen. Nach dem frühen unfallbedingten Tod       Weltkrieg und Henris Zeit im Aktivdienst zusammen und

                                               forum – 103 | 01 / 2018                                                                                                    7
WIR ALLE WAREN EINMAL JUNG - Worthaus
AKTUELL

    waren von grosser Unsicherheit geprägt. Nachdem Henri         Sohn Jacques André zur Welt, drei Jahre später folgte Toch-
    in Bern eine Stelle als Maschineningenieur gefunden hatte,    ter Maryse. Der Wegzug aus La Chaux-de-Fonds war nicht
    zogen wir 1941 in die Bundesstadt und schlossen uns bald      Ausdruck jugendlicher Rebellion, sondern eine Frage der
    der JGB an. Über die herzliche Aufnahme und die vielen        Existenz. So waren die harten Winter das Einzige, was ich
    Freundschaften bin ich bis heute sehr dankbar. 1942 kam       gerne hinter mir gelassen habe.» (mro.)

    Georg Eisner
    *1930, Basel, Augenarzt

                                                                  te, hielt man es für Propaganda. Meine Eltern, beide Ärz-
                                                                  te, waren seit ihrer Studienzeit Zionisten, und in diesem
                                                                  Sinne wuchs ich nicht-religiös jüdisch auf. Meine Mutter
                                                                  stammte ursprünglich aus dem aargauischen Lengnau,
                                                                  mein Vater war Sohn eines polnischen Juden und in Basel
                                                                  aufgewachsen. Weder in der Schule noch in der Freizeit
                                                                  wurde ich, trotz der allgegenwärtigen deutschen Propa-
                                                                  ganda, als Jude beschimpft. Allerdings wurde damals in
                                                                  Basel den Juden keine Mitgliedschaft in Vereinen oder bei
                                                                  den Pfandfindern zugestanden. Ich selbst war aktiv im
                                                                  nicht-orthodoxen Jugendbund Emuna.

                                                                  Nach meiner Matura 1949 ging ich mit einer Gruppe
                                                                  von jungen Leuten aus Frankreich und aus Nordafrika im
                                                                  Rahmen des Haschomer Hazair in den neu gegründeten
                                                                  Staat Israel. Zuerst waren wir auf Hachscharah im Kibbuz
                                                                  Evron bei Naharija, danach gründeten wir den neuen Kib-
                                                                  buz Karmiah an der Grenze zum Gazastreifen, wo ich als
                                                                  Schreiner und Zimmermann arbeitete. 1953 kehrte ich in
                                                                  die Schweiz zurück und studierte in Basel Medizin. Für
    «Meine ganze Jugend war geprägt durch die Kriegsjahre.        das Militärische fehlte mir zwar die Begeisterung, aber
    Ich wuchs in der Stadt Basel auf, die zur offenen Stadt       dennoch leistete ich wie viele andere Schweizer Juden
    deklariert worden war und im Fall eines deutschen An-         aus Dankbarkeit für unsere Verschonung im Krieg meinen
    griffs nicht verteidigt worden wäre. Man wusste, dass         Dienst. Nach dem Staatsexamen 1959 kam ich in die Offi-
    Juden nichts Gutes bevorstand, aber das ganze Ausmass         ziersschule, lernte an deren Ende meine Frau kennen, und
    des Schreckens ahnte niemand. Und als es durchsicker-         im Jahr 1960 heirateten wir.» (ein.)

    Michèle Bloch
    *1939, Bulle/FR, medizinische Laborantin

    «Als Mädchen habe ich eine glückliche und unbeschwerte        Wichtig war, dass wir uns unserer jüdischen Identität be-
    Zeit erlebt, in einer intakten jüdischen Familie mit drei     wusst waren. An die Zeit des Zweiten Weltkriegs habe ich
    jüngeren Brüdern. Bulle war unser Zuhause, da mein Vater      fast keine Erinnerungen, ich war damals ein kleines Mäd-
    dort Direktor einer Möbelfabrik war. Meine Eltern haben       chen. Was ich aber mitbekommen habe, waren die grossen
    uns Kindern ein traditionelles jüdisches Leben vorgelebt,     Sorgen meiner Eltern. Und wie meine Eltern sowie mein
    das aber nicht besonders religiös war. Zentral waren für      Onkel und dessen Frau sich für Kriegsflüchtlinge eingesetzt
    uns die jüdischen Festtage, die wir meistens bei meinen       haben. Ich sehe noch die Flüchtlinge vor mir, die auch bei
    Grosseltern in Fribourg feierten. Meinen Eltern war es        uns zuhause waren. Sehr gut kann ich mich an die Staats-
    wichtig, uns jüdische Werte zu vermitteln, wie die Freiheit   gründung Israels erinnern, an die Zeit, als wir gebannt am
    des Denkens oder die Toleranz gegenüber Mitmenschen.          Radio das Geschehen verfolgten. Damals war ich neun.

8   forum – 103 | 01 / 2018
WIR ALLE WAREN EINMAL JUNG - Worthaus
Mit 19 machte ich in Fribourg die Handelsmatura. Ich
              sprach damals praktisch kein Deutsch. Also ging ich nach
              Zürich und Bern, um dort Laborantin zu lernen. Nach die-
              ser Ausbildung hatte ich eine Stelle in Lausanne, dann in
              Genf.

              Ich war 22, als mein Mann Rolf und ich heirateten, und
              mit 27 Jahren hatte ich drei Kinder. Für Rolf und mich
              war klar, dass wir unseren Kindern jüdische Tradition und
              jüdische Werte so vermitteln wollten, wie wir es selber
              mitbekommen und gelernt hatten. Unser Ziel war es, un-
              sere Kinder so zu erziehen, dass sie später, was ihre eigene
              Lebensgestaltung angeht, alle Freiheiten haben sollten.»
              «Unsere drei Kinder haben alle unterschiedliche Wege ge-
              wählt. Laurence und ihre Familie leben ein weitgehend
              nichtjüdisches Leben. Daniel und seine nichtjüdische Frau
              engagieren sich im jüdischen Umfeld und überlassen es
              ihren Kindern, ob und wie sie ihr religiöses Leben leben
              wollen. Und Stéphane und seine Frau, die konvertiert hat,
              sind mit ihren Kindern in einem ziemlich traditionellen
              jüdischen Umfeld zuhause.»

              Georges Hill
              *1946, Bern, Laborant und Fotograf

                                                                             «Ich bin in einem relativ liberalen Elternhaus aufgewach-
                                                                             sen, wobei wir die Traditionen doch ziemlich streng ein-
                                                                             gehalten haben, insbesondere an den Hohen Feiertagen
                                                                             oder an Pessach. Auch gefeiert haben wir an den Freitag-
                                                                             abenden den Schabbat-Eingang.

                                                                             Alles, was ich zuhause mitbekommen und gelernt habe,
                                                                             hat sich mir eingeprägt, auch wenn ich heute Gesetze und
                                                                             Rituale freier interpretiere. Ein Fixpunkt war der Religi-
                                                                             onsunterricht, wo ich gerne jüdische Basics lernte, auch
                                                                             wenn die Art, wie die Lehrer den Unterricht gestalteten,
                                                                             für meinen Geschmack etwas gar trocken war. Wichtiger
                                                                             war meine Zeit in der Jugendgruppe Haschomer Hazair,
                                                                             wo nicht nur Zionismus und Sozialismus, sondern auch
                                                                             lebendiges, gelebtes Judentum vermittelt wurde.

                                                                             In meinen späteren Jahren hat sich, was meine Einstel-
                                                                             lung zum Judentum angeht, in den Grundzügen nichts
                                                                             verändert. Ich führte schon früh ein eigenständiges Le-
                                                                             ben: Zwischen 16 und Mitte 20 lebte ich in Basel, wo ich
                                                                             meine Lehre als Laborant in der Chemieindustrie machte.
                                                                             Zugleich war ich politisch interessiert und im damaligen
BILDER: ZVG

                                                                             Landesring der Unabhängigen aktiv. Das jüdische Leben
                                                                             in Basel genoss ich bei Verwandten, im Haschomer Hazair
                                                                             und im Jüdischen Turnverein JTV. Geprägt hat mich, was

              forum – 103 | 01 / 2018                                                                                                     9
WIR ALLE WAREN EINMAL JUNG - Worthaus
AKTUELL

   Israel angeht, der Sechstagekrieg. Gebannt sassen wir da-   gelernt und gelebt hatten, und dem real existierenden So-
   mals am Radio und verfolgten so das Geschehen, das uns      zialismus in den kommunistischen Staaten des Ostblocks.
   alle aufwühlte. Wir machten uns Sorgen um unsere Ange-      Es war ernüchternd festzustellen, dass in grossen Staaten,
   hörigen. Und gleichzeitig waren wir fasziniert von den      in grossen Gebilden wie der Sowjetunion diese Ideale sich
   Heldengeschichten, die wir zu hören bekamen. Was mich       nicht entfalten konnten beziehungsweise ad absurdum
   damals beschäftigte, war die Diskrepanz zwischen den so-    geführt wurden. In kleinen Zellen wie in den sozialistisch
   zialistischen Idealen, wie wir sie im Haschomer Hazair      geprägten Kibbuzim in Israel war das ganz anders.» (dei.)

   Renée Brands
   *1947, Bern, Shiatsu-Lehrerin

                                                               Später, als mein Vater schon gestorben war, las sie mir alle
                                                               Briefe meiner Grosseltern vor. Meine Eltern, vor allem
                                                               mein Vater, hat sich aber immer aktiv für den interreligiö-
                                                               sen Diskurs in Bern eingesetzt.

                                                               Mit 20 habe ich mein erstes Kind geboren. Damit erwach-
                                                               te in mir der Wunsch, meine Kinder jüdisch zu erziehen.
                                                               Ich begann, in die Synagoge zu gehen. Ich habe oft nicht
                                                               verstanden, was im Gottesdienst gemacht wird. Dafür
                                                               habe ich mich geschämt, und ich wagte nicht, Fragen zu
                                                               stellen. Ich war in der Folge sehr aktiv in der Wizo, und
                                                               meine Mutter besuchte den Frauenverein. Das Judentum
                                                               als Tradition wurde mir immer wichtiger. Eine Tradition
                                                               zu haben, ähnelt einer Familie: Es bedeutet Heimat und
                                                               gleicht einem Ort, an dem man sich wohl fühlt. Religion
                                                               bedeutet für mich ein Bewusstsein zu schaffen, zu unter-
                                                               scheiden und der Indifferenz zuvorzukommen.

                                                               Mein Mann und ich hatten einen grossen Freundeskreis.
                                                               Wir waren eine Gruppe junger Menschen, die viel mitei-
                                                               nander unternahmen. Wir hatten damals auch sehr viele
                                                               israelische Freunde, die Veterinär- und Zahnmedizin an
                                                               der Universität Bern studierten, weil dies in Israel noch
                                                               nicht möglich war. Ich liebte es, am Freitagabend Gäste
                                                               zu empfangen. Meine schöne Zeit war die Zeit mit meiner
                                                               Familie und mit meinen Freunden. Ich wuchs in einem
                                                               sehr toleranten Zuhause auf, und meine Eltern haben mir
   «Ich wusste lange nichts von meiner jüdischen Abstam-       viele Freiheiten gelassen. Darum habe ich mich wohl auch
   mung. Durch den traumatischen Verlust ihrer Eltern in       immer am meisten an der Intoleranz und an kleingeis-
   Ausschwitz hat meine Mutter nicht über ihre jüdische        tigen Menschen gestossen. Ausländerfeindlichkeit ist mir
   Herkunft gesprochen, und wir haben auch keine jüdi-         ein Gräuel. Auch das sich Beklagen auf hohem Niveau und
   schen Traditionen gepflegt. Zwar haben wir ein paar Mal     die Ernsthaftigkeit bedrücken mich. Holländer beklagen
   Pessach bei meinem Onkel in Holland gefeiert, ich konnte    sich auch, aber sie machen es lachend. Wenn ich etwas
   dieses Fest aber nicht einordnen und habe es fraglos hin-   anders machen würde: Ich hätte schon früher zwei Tage
   genommen, wie man es als Kind oft tut. Erst als ich etwa    in der Woche arbeiten können. Meine jetzige Arbeit als
   zehn Jahre alt war, hat mich meine Mutter aufgeklärt.       Shiatsu-Lehrerin erfüllt mein Leben sehr. (nik.)

10 forum – 103 | 01 / 2018
Carole Hyams-Zlot
*1961, Bern, Pflegefachfrau

                                                             klarmachen, dass israelisch und jüdisch nicht identisch
                                                             sind. Bis 1992 lebte ich in den USA und erarbeitete mir
                                                             dort Abschlüsse als Registered Nurse und als Massage-The-
                                                             rapeutin. Das Jüdische ist in New York so selbstverständ-
                                                             lich. Trotzdem war ich eher unglücklich und einsam. Meine
                                                             Freunde und meine Familie fehlten mir sehr. Ich war schon
                                                             über 30 Jahre alt, als unsere drei Kinder zur Welt kamen
                                                             (1992, 1996 und 2000). In dieser Zeit lebten wir in Bern.
                                                             Von 2005 bis 2012 kehrten wir nochmals zurück in die
                                                             USA und führten dort ein extrem jüdisches Leben, gingen
                                                             jeden Schabbes in die Synagoge und waren sehr involviert
                                                             in der Gemeinde. Wir hatten einen hervorragenden Rabbi.
                                                             Meine Familie väterlicherseits kam ursprünglich aus Polen
                                                             und war ziemlich religiös. Als Kind fühlte ich mich immer
                                                             als etwas Besonderes, (deswegen aber nicht als etwas Bes-
                                                             seres!). Ich war jahrelang in der Jugendgruppe Hagoschrim
                                                             und wurde später Madricha. Da spürte ich immer eine tie-
                                                             fe, feierliche, warme Verbindung. Auch an den Traditionen
                                                             hänge ich nach wie vor. Später war ich dann auch noch im
                                                             Vorstand der Gemeinde tätig.
«Nach meiner Ausbildung zur Pflegefachfrau habe ich
ziemlich jung geheiratet. Mit 25 Jahren zog ich zu meinem    Ich selbst fühlte mich manchmal geteilt in zwei Welten,
jüdischen Mann Ron nach New York. Ich war überzeugt,         eine jüdische und eine nichtjüdische. Ich habe auch heute
dort werde alles besser sein. Hier in Bern musste ich mein   noch meine jüdischen und meine nichtjüdischen Freunde.
Jüdischsein oft erklären und den nichtjüdischen Leuten       Viele kennen sich allerdings.» (ein.)

Daniel Gerson
*1963, Basel, Historiker

                                                             «Ich war als Jugendlicher in Basel aktiv in der zionistisch gepräg-
                                                             ten Jugendbewegung Emuna, die damals das Auffangbecken für
                                                             alle Nichtorthodoxen war. Nach meinem Studienbeginn ging
                                                             diese Nestwärme verloren. Die jüdische Studentenschaft hatte
                                                             für mich nicht mehr dieselbe emotionale Bindung. Dieser enge
                                                             jüdische Zusammenhalt hat sich nach 20 aufgelöst.

                                                             Die Geselligkeit der Samstagnachmittage und der Machanot mit
                                                             Gleichaltrigen verflüchtigte sich. Einige gingen auch nach Is-
                                                             rael. Im Studium in Basel von 1982 bis 1989 begann ich mich
                                                             hingegen mit der jüdischen Geschichte auseinanderzusetzen. Es
                                                             folgten ein Jahr bei der Jüdischen Rundschau und Aufenthalte
                                                             in New York, Berlin und Paris. Dies waren tolle Horizonterwei-
                                                             terungen.

                                                             Ich habe in den jungen Jahren in Basel freiwillig eine Anpas-
                                                             sungsleistung an ein sehr traditionelles Religionsverständnis
                                                             vollbracht. Problematisch empfand ich manchmal die soziale
                                                             Kontrolle, wichtig waren die soziale Nähe und ein Gefühl der
                                                             Zugehörigkeit. Das Positive hat überwogen. Im Gegensatz zu

forum – 103 | 01 / 2018                                                                                                            11
AKTUELL

   meinem Vater, einem Schoah-Überlebenden, wollte ich mein        Es gab auch ein paar antisemitische Erlebnisse, aber die
   Verhältnis zum Judentum nicht nur über die traumatische Er-     bestimmten meinen Alltag nicht. Ich lebte als Kind kurz
   fahrung des Holocaust definieren, sondern auch durch viel-      in Israel, das prägte mich ebenfalls positiv, was die jüdi-
   schichtige kulturelle und religiöse Traditionen und durch die   sche Identität anbelangt. Eine Alija war in späteren Jahren
   Existenz Israels.                                               jedoch nie ein Thema.» (ein.)

   Richard Bloch
   *1968, Bern, Einkaufsleiter, BIT

                                                                   ist einfacher, wenn man sich innerhalb einer Beziehung
                                                                   die Religion teilt. So erspart man sich Diskussionen. Ich
                                                                   konnte mir nicht vorstellen, Weihnachten zu feiern, und
                                                                   ich hatte das Glück, mit Tamara eine grossartige jüdi-
                                                                   sche Frau kennenzulernen.

                                                                   Ich erinnere mich gerne, wie unbeschwert und unkom-
                                                                   pliziert wir etwas unternahmen. Es wurde nicht lange
                                                                   im Voraus geplant, man machte es einfach. Auch an die
                                                                   Teilnahme an Anlässen des Jüdischen Turnvereins, den
                                                                   Wizo-Bällen und den Gerümpelturnieren denke ich ger-
                                                                   ne zurück. Ein längerer Aufenthalt in New York und in
                                                                   der Romandie gehören zu meinen schönen Erinnerun-
                                                                   gen sowie eine intensive Interrail-Reise durch Europa.

                                                                   Ich war als Jugendlicher weniger kritisch als heute. Jetzt
                                                                   hinterfrage ich Haltungen und Meinungen mehr, viel-
                                                                   leicht weil ich Kinder habe. Ich nahm an keinen De-
                                                                   monstrationen teil. Heute habe ich mehr Verständnis
   «Wir feierten alle wichtigen Feste. Während der Hohen           dafür, dass Leute auf die Strasse gehen, wenn sie etwas
   Feiertage erhielten wir zwei Tage schulfrei. Wir benut-         nicht gut finden.
   zen keine Verkehrsmittel und liefen zur Synagoge. Jeden
   Freitag kam meine Grossmutter, und wir feierten mit der         Mein unkritisches Denken gegenüber Respektpersonen
   Familie Schabbat. Anfangs hatten wir keinen koscheren           wie Eltern und Lehrern oder auch gegenüber Informa-
   Haushalt. Später, als mein Bruder nach seiner Bar Mizwa         tionen und Gesichtspunkten, die ich über Zeitungen er-
   zunehmend religiöser wurde, führten meine Eltern einen          fuhr, habe ich gerne hinter mir gelassen. Ich bin froh,
   koscheren Haushalt ein. Bei meinen späteren Überlegun-          dass ich mir mit dem Älterwerden zunehmend eine ei-
   gen über meine zukünftige Familie habe ich mich ent-            gene Meinung bilden konnte und nun auch dafür ein-
   schieden, dass ich eine jüdische Frau heiraten möchte. Es       stehen kann.» (nik.)

   Myriam Siksou
   *1970, Bern, Betriebsökonomin

   «Meine jüdische Erziehung hat mich nachhaltig geprägt:          Alles Jüdische in Wissenschaft, Politik, Kunst und Litera-
   Meine internationale und mehrsprachige sefardische Fa-          tur machten mich irgendwie stolz; sinnliche Erfahrungen
   milie, ihre Werte, die Disziplin von Geboten und Verbo-         wie Musik, Traditionsgerichte, Rituale und Düfte aller Art
   ten im Alltag, Anekdoten der intellektuellen mütterlichen       taten den Rest. Und dann dies: Als ich beispielsweise an
   Seite und bodenständige Schwänke der väterlichen Ver-           Weihnachten unbedingt Blockflöte spielen wollte, wurde
   wandtschaft, die Macht der Geschichten und das Rühmen           mir die Flöte überraschend schnell geschenkt. Überhaupt
   aller jüdischen und judenfreundlichen Errungenschaften          kein Problem, hiess es zuhause. Schliesslich war auch Je-
   aus aller Welt.                                                 sus ein Jude.

12 forum – 103 | 01 / 2018
AKTUELL

Irgendwann wurde mir diese Welt zu eng, das konnte
nicht alles sein. Die Herkunft ist zwar wichtig, doch mein
Horizont ist die Welt, und die will entdeckt und erlebt
werden.

Tradition war mehr Pflicht als Lust und letztlich auch
Frust. Ab 20 stellte ich mir meine eigenen Sinnfragen. Mit
dem Einzug meines nichtjüdischen Lebenspartners sor-
tierte ich aus, was ich aus meiner jüdischen Erziehung
dauerhaft behalten, verändern oder über Bord werfen
wollte. Dieser Prozess dauert bis heute an. Die Frage nach
meiner jüdischen Identität ist heute keine Obsession. Jü-
dische Identität ist wandelbar und formt sich unabhängig
von Institutionen und strengen Normen.

Ich blicke gerne zurück auf alle Menschen, die mich he-
rausgefordert und geprägt haben. Mitunter meine Begeg-
nungen und Freundschaften aus meinen Vorstandsjahren
bei der schweizerischen und den internationalen Studen-
tenorganisationen. Zeitweise kam es aber zum Overkill an
Networking und institutionellem Judentum.» (dei.)

Michael Halpern
*1977, Bern, Arzt

                                                             mit ihren Festen war schon immer fester Bestandteil mei-
                                                             nes Lebens. Wir besuchten oft die Synagoge, ich ging in
                                                             die Dubim, und meine Eltern pflegten regen Kontakt mit
                                                             Freunden innerhalb der jüdischen Gemeinde. Israel genoss
                                                             einen hohen Stellenwert in meiner Familie, und ich lernte
                                                             das Land durch Urlaubsreisen kennen und lieben.

                                                             Ich habe sehr schöne Erinnerungen an die Zeit in meinem
                                                             Ulpan im Kibbuz Yotvata und an die Iwrit-Sommerkurse an
                                                             den Universitäten Tel Aviv und Haifa. Ein Abend, der mein
                                                             Leben verändert hat, und auf den ich gerne zurückblicke,
                                                             ist ein Anlass der jüdischen Studenten im Café Kairo. An
                                                             diesem Event habe ich meine jetzige Frau Lea kennenge-
                                                             lernt, die mir drei wunderbare Kinder geschenkt hat. Ich
                                                             fühlte mich früher häufig genötigt, am Schabbes den Got-
                                                             tesdienst in der Synagoge zu besuchen und in die Dubim
                                                             zu gehen. Dieses übersteigerte Pflichtgefühl konnte ich
                                                             zum Glück mit der Zeit abbauen. Mich hat die öffentliche
                                                             und mediale Wahrnehmung von Israel mit ihrem Doppel-
                                                             standard und ihrer häufigen Funktion als Katalysator für
                                                             den zeitgenössischen Antisemitismus geärgert.
«Das Judentum durchdringt meine Kindheit und Jugend:         Ich habe mich von empfundenen Zwängen, wie zum Bei-
Jüdischer Humor und jüdische Melancholie, jüdische Kul-      spiel Kaschrut befreit. Ich ‹oute› mich weniger häufig
tur, jüdische Literatur und jüdische Musik, das Bewusst-     öffentlich als Jude, entsage mich leidiger und einseitiger
sein der Diaspora mit all seinen Facetten, auch dem inhä-    Israel-Diskussionen mit Nicht-Juden und geniesse das Ju-
renten Schmerz der nahen Schoah. Die jüdische Religion       dentum ‹privater›.» (nik.)

forum – 103 | 01 / 2018                                                                                                   13
AKTUELL

   Myria Ditesheim-                          Ideale, die junge Menschen beflügel-     Georges Hill
                                             ten, ja, wir sahen eine geradezu mes-
   Zlotnicki                                 sianische Zukunft vor uns. Heute hat
                                             sich manches als Illusion entpuppt.
                                             Die intellektuelle Zerschlagung des
                                             europäischen Judentums durch den
                                             Holocaust ist noch lange nicht bewäl-
                                             tigt. Ein bissele Anatevka und Klezmer
                                             reichen nicht für neue Inhalte.

                                             Wir benötigen ein tieferes histori-
                                             sches Bewusstsein und das Wissen
                                             über die Grundlagen des jüdischen
                                             Erbes. Wir müssen jedoch selbst ent-
                                             scheiden, wie wir damit leben wol-
                                             len. Für solche Entscheide braucht es
                                             Wissen. Und zum Erwerb des Wissens       «Wenn ich sehe und beobachte, wie
                                             braucht es Neugier. Diese zu wecken      die jungen Menschen heute leben
                                             ist jetzt wohl unsere wichtigste Auf-
                                                                                      und funktionieren, fällt mir auf, dass
                                             gabe. Die neuen Lernangebote in der
   «Dass den heutigen jungen Erwachse-       Gemeinde gehen in diese Richtung.»       es für sie schwierig ist, sich zu orien-
   nen so viele Möglichkeiten offenste-      (ein.)                                   tieren und sich auf wenige wichtige
   hen, finde ich grundsätzlich positiv.                                              Dinge zu konzentrieren. Ich beneide
                                                                                      sie deshalb nicht wirklich. Mit dem
   Ich stelle aber fest, dass diese auch                                              riesigen Angebot an Aktivitäten und
   eine Konkurrenz zur Religion und                                                   den sozialen Medien ist ihr Alltag un-
   den Angeboten einer jüdischen Ge-                                                  übersichtlich geworden. Was ich den
   meinde bilden. Ich wünsche der jun-       Michèle Bloch                            Jungen mitgeben möchte: Verzettelt
   gen Generation mehr Zusammenhalt                                                   euch nicht. Versucht herauszufinden,
   und ein stärkeres Bewusstsein für die                                              was euch wichtig ist, und konzent-
   jüdische Identität.» (mro.)                                                        riert euch darauf.» (dei.)

                                                                                      Renée Brands
   Georg Eisner

                                             «Dass wir heute mit Michael Kohn
                                             einen Jugendrabbiner haben, der sich
                                             insbesondere für die Generation der
                                             18- bis 35-Jährigen engagiert, ist ein
                                             ermutigendes Signal. Bevor Rabbiner
                                             Kohn in Bern war, gab es für die Jun-
                                             gen praktisch nichts, was nicht sehr     Ich denke, es ist für jede Generati-
                                             motivierend war.» (dei.)                 on dasselbe: Es macht Spass, jung zu
   «Ich denke, für die heutige jüdische                                               sein! Die Jungen von heute sollen ihre
   Jugend ist es schwieriger, Jude zu sein                                            Jugend einfach geniessen. (nik.)
   als in den 1950er-Jahren. Israel barg

14 forum – 103 | 01 / 2018
AKTUELL

                                                       einfach, die Vielfalt des Judentums zu        Nachteilen verbunden. Ich wünsche ich
                                                       leben. Wichtig ist, dass eine gewisse         ihnen eine Eigenständigkeit im Denken,
              Carole Hyams-Zlot                        Pluralität dennoch verwirklicht wer-          die sie früh pflegen und leben.» (nik.)
                                                       den kann. Aufgabe der Gemeinde ist,
                                                       dialogbereit und konstruktiv damit
                                                       umzugehen.                                    Myriam Siksou
                                                       In meiner Jugend gab es zwischen
                                                       einer konservativen Form des jü-
                                                       disch-religiösen Gemeindelebens und
                                                       der Alija nach Israel kaum Alternati-
                                                       ven. Heute ist es anders. Das Schwei-
                                                       zer Judentum ist vielfältiger gewor-
                                                       den, und zugleich hat Israel nicht
              Da schaue ich am besten auf unsere       mehr das Image eines Landes im Auf-
              Söhne. Beide sind oder waren freiwil-    bruch. Die Diskurse über das Jüdisch-
              lig bei den Dubim. Rabbiner Micha-       sein sind in der Diaspora breiter und
              el Kohn und die Jugendkommission         freier geworden. (ein.)
              haben soeben das Projekt «Fit für                                                      «Wenn ich an die jungen Leute von
              die Zukunft» lanciert, mein Jüngster                                                   heute denke, kann ich ihnen kein Ge-
              macht dort mit. Einer meiner Söhne       Richard Bloch                                 heimrezept auf den Weg mitgeben. Das
              feierte seine Bar Mizwa in den USA.                                                    A und O sind Respekt, Weltoffenheit
              Als Juden hatten sie dort mehr Mög-                                                    und Aufmerksamkeit für unsere Mit-
              lichkeiten, Wissen aufzunehmen, da                                                     menschen. Das Wissen und das Erleben
              die Juden in den Vereinigten Staaten                                                   der eigenen Herkunft leisten erste per-
              viel integrierter und mehr an der Zahl                                                 sönliche Orientierungshilfe.»(dei.)
              sind. Unsere Söhne lieben die Tradi-
              tionen ebenso und nehmen gerne an
              Festivitäten teil. Eine Herausforde-                                                   Michael Halpern
              rung ist heute, angemessen auf anti-
              semitische Äusserungen zu reagieren.
              (ein.)

                                                       «In Bezug auf das Judentum befürch-
              Daniel Gerson                            te ich, dass Traditionen verloren gehen,
                                                       weil Jugendliche an keinen jüdischen Er-
                                                       eignissen teilnehmen. In der Gemeinde
                                                       Bern, aber auch in Basel haben sie des-
                                                       wegen Schwierigkeiten. Das macht mich
                                                       traurig. Die Eltern sollten hier unterstüt-
                                                       zend wirken und die Jugendlichen dazu         Bezogen auf das Judentum schätze ich
                                                       ermuntern, andere jüdische Jugendliche        die Situation der heutigen Jugend als
                                                       zu treffen und an jüdischen Ereignissen       nicht viel anders ein als zu meiner Zeit.
                                                       teilzunehmen. Das ist wichtig, damit sie      Ich wünsche den Jungen, dass sie sich
                                                       ihre jüdische Identität entwickeln kön-       die Freiheit nehmen, sich ohne auf-
                                                       nen und sich nicht dafür schämen.             erlegte Zwänge zu positionieren und
                                                                                                     auch immer wieder neu zu positionie-
              Gewisse Grundkonstellationen sind        Im Allgemeinen haben die Jugendlichen         ren. Sie sollten sich aber auch bewusst
              gleich: Man formt in diesem Alter        viel mehr Möglichkeiten, sich Informati-      sein, dass sie nicht darum herumkom-
              sein eigenes Leben. Unsere Gesell-       onen durch diverse Medien zu beschaf-         men, sich zu positionieren – Jude IST
BILDER: ZVG

              schaft ist heute generell offener und    fen. Das ist ein grosser Vorteil und bringt   man! (nik.)
              mobiler. An einem Ort wie Bern, wo       mehr Unabhängigkeit im Denken. Na-
              nur wenige Juden wohnen, ist es nicht    türlich ist die Informationsflut auch mit

              forum – 103 | 01 / 2018                                                                                                            15
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16 forum – 103 | 01 / 2018
AKTUELL

                     DIE DREI LEBEN DER AGNES HIRSCHI-GRAUSZ
                     geschichte Weitgehend hinter den Kulissen hat sich Agnes Hirschi welt-
                     weit für die Rehabilitierung und gebührende Beachtung ihres Stiefvaters
                     Carl Lutz engagiert, der im Zweiten Weltkrieg in Budapest über 50‘000 Ju-
                     den gerettet hat. Erst durch die Ausstellung «The Last Swiss Holocaust-Sur-
                     vivors» und das Buch «Under Swiss Protection» wurde die frühere Berner
                     Lokaljournalistin selbst als Holocaust-Überlebende geoutet. Auch gute Be-
                     kannte waren völlig überrascht. – Peter Abelin

                                                                                                           dierung Budapests im folgenden Winter
                                                                                                           dem Tod im Luftschutzkeller nur knapp.
                                                                                                           Die Befreiung durch die russische Ar-
                                                                                                           mee wäre dem siebenjährigen Mädchen
                                                                                                           fast zum Verhängnis geworden, schoss
                                                                                                           ein betrunkener Soldat doch wahllos
                                                                                                           unter das Bett, wo ihre Mutter es ver-
                                                                                                           steckt hatte. Der Kontakt mit Carl Lutz
                                                                                                           brach auch nach dessen Rückkehr in die
                                                                                                           Schweiz nicht ab, wo seine Vorgesetzten
                                                                                                           sein humanitäres Engagement als Kom-
                                                                                                           petenzüberschreitung rügten. Er trennte
                                                                                                           sich von seiner Ehefrau, heiratete Mag-
                                                                                                           da Grausz und wurde zum Stiefvater von
                                                                                                           deren Tochter, für die in Bern ein zweites
                                                                                                           Leben begann.

                                                                                                           JOURNALISTIN UND
                                                                                                           KREISRICHTERIN
                                                                                                           Sie hiess nun Agnes, besuchte die Schu-
                                                                                                           len, wurde in der evangelisch-metho-
                                                                                                           distischen Tradition ihres gläubigen
                     Von Budapest nach Münchenbuchsee: Agnes Hirschi zeigt Jugendbilder mit Mutter         Stiefvaters konfirmiert und absolvierte
                     Magda und Carl Lutz aus dem Buch «Under Swiss Protection».                            eine Handelsausbildung. 1962 heiratete
                                                                                                           sie Eric Hirschi und wurde bald Mut-
                                                                                                           ter von zwei Söhnen. Als Lokaljourna-
                     Ihr erstes Leben begann am 3. Januar       Religion: «Das ist ein Fluch – vergiss     listin bei der «Berner Zeitung» war sie
                     1938 in London. Das eigentlich in Bu-      es». Kein Wunder: Überleben hiess das      unermüdlich auf Achse; sie berichtete
                     dapest lebende jüdische Ehepaar Sándor     vordringliche Ziel. Deshalb suchten Mut-   über Parlamentsdebatten in Regionsge-
                     und Magda Grausz wollte seiner Tochter     ter und Tochter im Mai 1944 auch den       meinden ebenso wie über Modeschauen
                     Agi durch die britische Staatsbürger-      Schweizer Vizekonsul Carl Lutz auf. Von    und Geschäftseröffnungen in der Stadt
                     schaft und die im Geburtsschein ver-       ihm erhofften sie einen der begehrten      Bern. Das SP-Mitglied amtierte auch als
                     merkte Religion «anglikanisch» die Le-     Schutzbriefe, welche die Deportation       Kreisrichterin in Fraubrunnen und war
                     bensaussichten in bedrohlichen Zeiten      in ein Konzentrationslager verhindern      aktiv in der reformierten Kirchgemein-
                     verbessern. Zum Exil in England konnten    konnten. Es kam sogar noch besser: Der     de ihres Wohnorts Münchenbuchsee. In
BILD: PETER ABELIN

                     sich die Eltern aber nicht durchringen.    Diplomat fand Gefallen an Magda Grausz,    der ganzen Zeit ihrer Berufstätigkeit sei
                     Das Jüdische im Familienleben in Buda-     engagierte sie als Haushälterin und nahm   sie «total ausgefüllt» gewesen und habe
                     pest beschränkte sich in der Erinnerung    sie und ihre Familie bei sich und seiner   ihre Herkunft verdrängt, sagt sie im Ge-
                     des damaligen Kindes auf ein Chanuk-       Ehefrau Gertrud auf. Trotzdem entgin-      spräch mit dem «Forum». Ganz war dies
                     ka-Lied. Ihre Mutter sagte ihr über ihre   gen sie während der massiven Bombar-       allerdings nicht möglich: 1968 musste

                     forum – 103 | 01 / 2018                                                                                                            17
AKTUELL

   sie den frühen Tod ihrer Mutter verarbei-    nen aus drei Kontinenten – oder deren         Etwas verändert hat sich inzwischen ihre
   ten, 1975 war sie dabei, als ihr Stiefva-    Nachkommen – dokumentieren darin              religiöse Identität. Zwar sei sie nach wie
   ter einen Herzinfarkt erlitt und starb. Am   das damalige Geschehen an Hand ihres          vor in der reformierten Kirche «mehr
   Sterbebett gelobte sie, sich für eine an-    persönlichen Schicksals. Zu den so Vor-       daheim». Aber sie fühle sich auch in ei-
   gemessene Würdigung von Carl Lutz in         gestellten gehören auch Eva Bino (Mutter      ner Synagoge «sehr wohl». Und, um
   der Öffentlichkeit zu engagieren. Vorerst    von JGB-Mitglied Peter Bino) und Agnes        den Kreis zu ihrer Kindheit vollends zu
   überliess die Vielbeschäftigte die Pfle-     Heffner (Mutter von Rebbezen Nora Pol-        schliessen: Sie feiert jedes Jahr Chanukka
   ge seines Nachlasses und die offiziellen     nauer).                                       – nun mit der Familie von JGB-Mitglied
   Termine aber gerne seiner ersten Frau                                                      Andreas «Bandi» Sas, dessen 1986 verstor-
   Gertrud Lutz-Fankhauser, mit der sie         INZWISCHEN «SEHR WOHL»                        bene Ehefrau Wanda ihre Jugendfreundin
   sich nun regelmässig traf: «Es war eine      IN DER SYNAGOGE                               in Budapest war – eine enge Beziehung,
   Art von allmählicher Übergabe des Ver-       Betrachtet Agnes Hirschi, die im Januar ei-   die später in Bern nahtlos weitergeführt
   mächtnisses», blickt Agnes Hirschi auf       nen runden Geburtstag feiern konnte, ihre     wurde.
   die folgenden 20 Jahre zurück.               Mission nun als abgeschlossen? Beginnt
                                                für sie ein viertes, ruhigeres Leben? Vor-      Buchhinweis:
   REISENDE IN SACHEN CARL LUTZ                 derhand gehe die Hektik noch weiter, lau-       Agnes Hirschi und Charlotte Schallié
   Umso unermüdlicher stürzte sie sich          tet die Antwort. Sie hoffe aber, auch mal       (Hrsg): «Under Swiss Protection –
   nach der Pensionierung 1995 in ihr           Zeit zu finden, um ihre Tagebuch-Notizen,       Jewish Eyewitness Accounts from
   drittes Leben als «Reisende in Sachen        Dossiers und Unterlagen zu ordnen. Zu-          Wartime in Budapest»
   Carl Lutz», wie sie es gegenüber dem         dem möchte sie die zahlreichen Kontakte         ibidem-Verlag Stuttgart. 403 Seiten,
   «Forum» einmal nannte. Ausstellungen,        und Freundschaften pflegen, die durch           SFR 46.90. Das Buch ist auch in der
   Vorträge, Ehrungen, Filme und Bücher         ihre Reisen und Recherchen entstanden           JGB-Bibliothek vorhanden.
   sorgten dafür, dass Carl Lutz heute in der   sind: «Diese haben mein Leben sehr be-          Eine deutsche Übersetzung ist geplant.
   Schweiz und weltweit in seiner tatsäch-      reichert», bekennt die Frau, deren Ehe-
   lichen historischen Bedeutung wahrge-        mann vor zwei Jahren gestorben ist.
   nommen wird. Agnes Hirschi war zwar
   fast immer dabei, sah ihre Aufgabe aber
   vorwiegend im Hintergrund. Doch im
   Jahr 2017 kam sie nicht darum herum,
   als Person selbst im Rampenlicht zu ste-
   hen: In der Wanderausstellung «The Last
   Swiss Holocaust Survivors», die im letz-
   ten Herbst mit grossem Erfolg im Berner
   Kornhausforum gezeigt wurde, stand die
   Geschichte ihrer Rettung durch Carl Lutz
   gleichberechtigt neben den Schilderun-
   gen anderer Überlebender. Sie habe diese
   Publizität nie gesucht, beteuert Hirschi
   glaubwürdig. Und doch freute sie sich
   über die durchwegs positiven Reaktio-        ZUM TOD VON
   nen. Viele ihrer Bekannten seien völlig                                                    mals anlässlich einer Ehrung von Kö-
   überrascht gewesen, da sie ihre Vergan-      RUMÄNIENS EX-KÖNIG                            nigsmutter Prinzessin Elena (1896–
   genheit «nie an die grosse Glocke ge-        MICHAEL I.                                    1982), die während des Zweiten
   hängt» habe.                                 Am 5. Dezember 2017 ist Ex-König              Weltkrieges bei der Rettung vieler
                                                Michael I. von Rumänien 96-jährig             rumänischer Juden geholfen hatte
   Gleich in der Mehrfachrolle als Mit-He-      gestorben. Im Exil lebte der Monarch          und von Yad Vaschem 1993 postum
   rausgeberin, Autorin und Porträtierte        bereits seit seiner Vertreibung durch         als «Gerechte unter den Völkern» an-
   fand sich Agnes Hirschi im umfassenden       die Kommunisten im Jahr 1947, zu-             erkannt wurde. Auf dem Bild zu sehen
   Buch «Under Swiss Protection» wieder,        letzt in Aubonne (VD). Georges Hill,          sind (v.l.): Israels Botschafter Raphael
   mit dem die offizielle Schweiz ihr Jahr      jahrzehntelang     «Forum»-Fotograf,          Gvir und seine Frau Dvora, Ex-König
   als Vorsitzende der International Ho-        lernte im Oktober 1993 den Ex-Kö-             Michael I. von Rumänien und sei-
   locaust Remembrance Alliance (IHRA)          nig auf der israelischen Botschaft in         ne Frau, Prinzessin Anna von Bour-
   krönte. 36 von Carl Lutz gerettete Perso-    Bern kennen. Dieses Bild entstand da-         bon-Parma. – Hannah Einhaus

18 forum – 103 | 01 / 2018
AKTUELL

                                              WIE ERINNERN OHNE ÜBERLEBENDE?
                                              ausstellung und podium : holocaust remembrance day Der Ho-
                                              locaust-Gedenktag gehörte auch dieses Jahr fix in die Agenda von rund
                                              30 diplomatischen Vertretungen. Am 29. Januar 2018 luden das Aussend-
                                              epartement EDA und die israelische Botschaft in Bern zur Eröffnung einer
                                              Ausstellung über Diplomaten ein, die im Zweiten Weltkrieg Zehntausende
                                              Menschen gerettet haben. Zehn Tage später folgte dazu im Käfigturm ein
                                              Podium mit Historikern und Diplomaten. – Hannah Einhaus

                                                                                                                                  Holocaust aufzustehen und sicherzustel-
                                                                                                                                  len, dass dies nie mehr geschieht.»

                                                                                                                               An der Podiumsdiskussion im Polit-Fo-
                                                                                                                               rum des Käfigturms in Bern am 8. Feb-
                                                                                                                               ruar 2018 debattierten die Historiker
                                                                                                                               François Wisard (EDA), Simon Erlanger
                                                                                                                               (Uni Luzern) und Helena Kanyar (Uni Ba-
                                                                                                                               sel) mit den beiden Diplomaten François
                                                                                                                               Nordmann und Jacques Pitteloud. Wisard
                                                                                                                               schilderte die Arbeit von Vizekonsul Carl
                                              Im Gespräch (v.l.): Jacques Pitteloud, François Nordmann, Hannah Einhaus, Simon  Lutz und weiteren Diplomaten, die mit
                                              Erlanger, Helena Kanyar, François Wisard.                                        Schutzpässen abertausende Menschen in
                                                                                                                               Budapest vor dem Tod bewahrten. Kanyar
                                                                                                                               unterstrich die wichtige Rolle von Lutz’
                                              Die Erinnerungskultur in Bezug auf den Botschafter Jacob Keidar betonte, dass erster Frau Gertrud, die später zur Vize-
                                              Holocaust wird von Jahr zu Jahr zu ei- heute hunderttausende Menschen Nach- präsidentin des UNO-Kinderhilfswerks
                                              ner grösseren Herausforderung. In die- fahren der damaligen Geretteten sind. Unicef avancierte. Erlanger skizzierte,
                                              sem Punkt waren sich die Redner an der Nationalratspräsident Dominique de wie die Rückweisungen von Juden an der
                                              Gedenkfeier vom 29. Januar im Berner Buman (CVP/FR) erinnerte an die zu- Schweizer Grenze nicht aus Furcht vor
                                              Yehudi Menuhin-Forum einig. SIG-Prä- nehmende Gefahr, die mit dem Tod der Hitlerdeutschland stattfanden, sondern
                                              sident Herbert Winter mahnte nicht nur letzten Holocaust-Überlebenden einher- Bestandteil der schweizerischen Abwehr-
                                              vor dem dauernd lauernden Antisemi- geht: die Gefahr von Verdrängung und politik gegen die «Verjudung» seit dem
                                              tismus, sondern machte klar, dass diese Verbiegung der Geschichte sowie die Ersten Weltkrieg waren. Alt Botschafter
                                              Vorsicht in einem umfassenden Sinn nö- Verbreitung von Halbwahrheiten und Nordmann betonte, dass die Wahrung
                                              tig sei. Zum einen sei der Antisemitismus Lügen. Umso wichtiger sei es, die Me- fremder Interessen durch die schweize-
                                              nicht tot, zum anderen richte sich die chanismen zu durchschauen, wie unter rische Diplomatie eine grosse Bandbreite
                                              Gefahr der Aufhetzung nicht nur gegen gewissen Umständen aus gewöhnlichen biete. Botschafter Pitteloud berichtete von
BILD LINKS: GEORGES HILL / BILD RECHTS: ZVG

                                              Juden. Daher dürfe man nie still bleiben. Männern und Frauen Mörder werden seinem Einsatz in Afrika, wo er 1994 Au-
                                              Lob erteilte Winter der International Ho- konnten – und wieder werden könnten. genzeuge des Genozids in Ruanda wurde.
                                              locaust Remembrance Alliance (IHRA),                                             Er unterstrich die Wichtigkeit, das Gesche-
                                              die für ein Jahr – noch bis März 2018 – Konkrete Mittel, das Wissen um den Ho- hene nicht zu vergessen, zu verschweigen
                                              unter der Ägide des Aussendepartements locaust auch in Zukunft zu fördern, prä- oder schönzureden. Im Einklang mit den
                                              EDA steht. In Zusammenarbeit mit der sentierte Botschafter Benno Bättig, der Historikern forderte er eine angemessene
                                              Holocaust-Gedenkstätte Jad Vaschem noch bis März den Vorsitz der IHRA in- und aufrichtige Erinnerungskultur. Erst
                                              und der israelischen Botschaft war auch nehat. Er erinnerte an die Zunahme von eine kritische Selbstreflexion, so Modera-
                                              die Ausstellung «Beyond Duty: Zwischen verbaler und physischer Gewalt in vielen torin Hannah Einhaus abschliessend, bilde
                                              Pflichten und Gewissen» über Diploma- IHRA-Mitgliedsstaaten: «Als Experten, die nötige Grundlage für eine echte de-
                                              ten entstanden, die im Zweiten Weltkrieg Regierungsvertreter und Menschen ist es mokratische Auseinandersetzung.
                                              Menschenleben gerettet hatten. Israels unsere Pflicht, gegen die Leugnung des

                                              forum – 103 | 01 / 2018                                                                                                        19
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