Panoptica frauen.kultur.tirol 2020 - Land Tirol
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PA N O P T I CA INHALT frauen.kultur.tirol 2020 VORWORT Landesrätin Dr. Beate Palfrader Seite 3 EINLEITUNG Petra Streng Seite 5 KUNST May Hofer – ein farbenreiches Leben Seite 6 Sylvia Hofer Wien, Wien nur du allein oder was es heißen kann, den Inn gegen die Donau zu tauschen Seite 12 Claudia Schneider Blicke – Worte – Taten – Kunstvermittlung aus weiblicher Sicht Seite 18 Simone Gasser Frauen im Augustinermuseum Rattenberg Seite 24 Barbara Randolf KULTUR Laura Weidacher – Porträt einer ungewöhnlichen Künstlerin Seite 30 Christine Riccabona und Verena Zankl Die ganze Welt ist Theater! Theater, Theater – die Bretter , die die Welt bedeuten? Seite 36 Michaela Hutz KALEIDOSKOP Kann, muss, darf Jagd weiblich sein? Seite 44 Andrea Aschauer Interview mit Frau Prof. Högl: Schlafes Schwester Seite 50 Renate Linser-Sachers Auf’nånd schaugen – Frauennetzwerke in Südtirol Seite 56 Sabine Geiger Die Geschichte der häuslichen Erwerbstätigkeit – Heimarbeit – damals und heute Seite 62 Andrea Pancheri KALEIDOSKOP … DES MANNES Die erste Sirene – Biografische Erinnerungen Seite 66 Gunter Bakay Autorinnen und Autoren Seite 72
VORWORT Die vielfältigen Leistungen von Frauen im Kunst- und Kulturbereich sichtbar zu machen und ihre öf- fentliche Wahrnehmung zu stärken – mit dieser Intention wurde Panoptica vor mittlerweile acht Jahren ins Leben gerufen. Zwar hat sich vieles zum Positiven gewandelt, aber Chancengerechtigkeit ist nach wie vor keine Selbstverständlichkeit, sondern muss immer wieder aufs Neue eingemahnt und ver- teidigt werden. Die aktuelle Ausgabe der Panoptica 2020 zeigt in vielen Facetten, wie Frauen leben und arbeiten und welchen Beitrag sie für das Kunst- und Kulturleben in Tirol und darüber hinaus leisten. Es sind ganz in- Foto: © Tanja Cammerlander dividuelle Perspektiven und Formen, mit dem Le- ben (und auch mit der Arbeit) umzugehen. Familie, Haushalt und Erwerb sind nicht immer einfach zu Streng, die wieder für eine spannende bewerkstelligen. Und so manches persönliche Inte- Themenauswahl gesorgt hat und als resse wird hintangestellt. Doch von der Lebendig- Chefredakteurin für Panoptica verant- keit der Frauenkulturen zeugen die Artikel, die die wortlich zeichnet. Ebenso danke ich Bandbreite von Frausein widerspiegeln. Egal ob auf den Autorinnen und dem Autor für ihre der Bühne, hinter den Kulissen oder in der stetigen Beiträge sowie allen Frauen, die mit Auseinandersetzung mit dem Alltag – Tirol ist stolz ihrem Können und ihrem Engagement auf die vielfältigen Frauenaktivitäten! Es liegt in der die Tiroler Kunst- und Kulturszene be- Natur der Sache, dass manche still und andere öf- reichern. Ich wünsche den Leserinnen fentlichkeitswirksam agieren. Doch allen Frauen ist und Lesern eine interessante Lektüre gemein: Sie suchen ihren Weg und erbringen unver- und neue Einblicke in die (weiblichen) zichtbare Leistungen für die Gesellschaft. Tiroler Lebenslandschaften! Panoptica weckt ein Bewusstsein dafür, wie sehr das Kunst- und Kulturleben in Tirol von Frauen geprägt ist und stärkt weibliche Netzwerke – in Tirol und durch die Einbindung Südtirols auch über die Lan- desgrenzen hinweg. Vernetzung verleiht der kultur- Dr.in Beate Palfrader politischen Arbeit von Frauen das nötige Gewicht, Landesrätin für Bildung, Kultur, Arbeit ermöglicht Ermächtigung und Austausch und trägt und Wohnen dazu bei, eine Symmetrie der Geschlechter Wirk- lichkeit werden zu lassen. Vielfältig, qualitätsvoll und überraschend – so zeigt sich Panoptica auch in der vorliegenden 8. Ausgabe. Mein Dank gilt Petra PANOPTICA 2020 3
EINLEITUNG Was verbindet eine Forscherin mit ei- ner Jägerin, was ist der Konnex zwi- schen Netzwerkerin und Künstlerin und wie werden Frauen auch darge- stellt? Fragen und Antworten, die sich in den einzelnen Beiträgen wiederfin- den, wenn auch die Spurensuche zum Nachdenken anregt. Wir leben auf ei- ner Bühne, ob wir es nun wollen oder nicht. Welche Funktion nun die einzel- ne Frau innehat, ist individuell. Den Charme einer Schauspielerin im grel- len Licht der Öffentlichkeit hat auch eine Regisseurin oder Kulissenschiebe- rin. Künstlerinnen fassen ihre Impressi- onen in Musik, in Worten oder Bildern. Auch das Erforschen, die wissenschaft- liche Bearbeitung und das Analysieren zeigen anhand der Beiträge weibliche Zugangsweisen. Die einzelnen Artikel der Panoptica sind dementsprechend bunt und sub- Weibliche Schutzfigur aus dem Amazonas-Gebiet aus Peru und weib- jektiv gehalten. Und das ist auch gut liche Marionetten-Figur aus Myanmar so. Lassen wir der Vielfalt Freiraum, schauen wir auch einmal nach links Die Ausgabe der Panoptica 2020 beweist wieder- und rechts und versuchen auch männ- um, dass weibliche Lebenswelten, der Umgang mit liche Positionen zu verstehen. Kunst und Kultur, der Arbeit und dem Alltag reichhal- tige Themenkomplexe bieten. Das entspricht auch Die emanzipatorisch-feministische der alten Redewendung „etwas ist recht und billig”, Ausrichtung des Slogans und Rede- es ist angemessen. Denn man darf nicht vergessen, wendung „Eine Frau ohne Mann ist wie dass erst im 18. Jahrhundert billig als wohlfeil ver- ein Fisch ohne Fahrrad” ist klar erkenn- wendet wurde. Bis zu diesem Zeitpunkt galt billig als bar. Doch Sprichwörter sind nicht sel- Synonym für recht (rechtens). Die einzelnen Beiträ- ten einseitig und realitätsfremd. Frau- ge der Panoptica sind also absolut angemessen der en behaupten sich – und dies beweisen doch unterschiedlichen Lebenswelten von Frauen. alle Autorinnen (bzw. Interviewpart- Es kommen unterschiedliche Blickweisen zutage, ner) dieser Ausgabe, nebst Autor, der historische Rückblicke und aktuelle Befindlichkeiten. neben dem Weib‘ auch sich zu ergrün- IMPRESSUM den sucht. Danke an alle Beteiligten Eigentümer, Herausgeber und Verleger: Frauen leben vielleicht manchmal anders – doch sie und viel Vergnügen beim Lesen. © Amt der Tiroler Landesregierung sind in den gesellschaftlichen Kontext eingebunden, Für den Inhalt verantwortlich: HR Dr. Thomas Juen, Abteilung Kultur, zum Teil auch in Schemata gepresst, die nicht viel Michael-Gaismair-Straße 1, 6020 Innsbruck, email: kultur@tirol.gv.at Redaktion: Dr. Petra Streng Freiraum zulassen. Doch Frauen holen sich ihren Frei- Druck- und Gesamtherstellung: Alpina Druck, Innsbruck raum, stetig, hoffnungsvoll, energiegeladen, wenn Petra Streng Die mit Namen gekennzeichneten Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. auch so manche Barrieren Stolpersteine darstellen. Redaktion 4 PANOPTICA 2020 PANOPTICA 2020 5
MAY HOFER Meine Großmutter war eine lebhafte Frau, so je- mand, die immer in Bewegung sein muss – sowohl geistig als auch physisch. Sie konnte nie einfach nur Ein farbenreiches Leben dasitzen, etwas musste sie immer tun, etwas schaf- fen. Dazu kam ihr majestätisches Auftreten, die vor- nehme Eleganz. Sie war nie nur angezogen, sondern Sylvia Hofer ihr ganzes Äußeres war von Kopf bis Fuß harmonisch abgestimmt in Stil und Farbe. Eine kleine, energische Person, die bis ins hohe Alter modebewusste Finesse mit Extravaganz verbunden hat und auch damit ihr durch und durch künstlerisches Naturell zum Aus- druck brachte. In der kleinen galizischen Industriestadt Chybi bei Krakau, damals zur Donaumonarchie gehörend, wurde meine Großmutter am 8. September 1896 als Maria Ottawa geboren. Ihr Vater ist der Leiter der k. u. k. Zuckerfabrik und Bürgermeister von Chybi, May und Anton Hofer, 1919 Foto: Privat der seiner Tochter eine Weltreise verspricht, so- bald sie größer ist. Als Maria elf Jahre alt ist, stirbt er. Es folgt eine unruhige Wanderschaft, denn die „Südtirol war für mich ein völliges Mutter entschließt sich, zunächst nach Mähren, zu Neuland. Es war eine Wüste um mich Verwandten, und dann nach Pola (heutiges Pula in herum, und ich war ganz auf mich al- Kroatien) zu ziehen, wo die Brüder der Mutter als lein angewiesen. Es war eine schwieri- Marineoffiziere stationiert sind. Hier erlebt sie die ge Zeit, und ich habe mich erst müh- Eleganz des Kaiserreiches der letzten Jahre, die sie sam eingewöhnen müssen”, wird sie bis an ihr Lebensende prägen wird. später sagen. Da sie immer auf eigenen Beinen stehen will und er- Maria legt sich den Künstlernamen füllt ist vom Drang, selbst etwas zu schaffen, über- May zu und zusammen mit ihrem siedelt Maria während des Ersten Weltkrieges nach Mann Anton nehmen sie an Wettbe- Wien, inskribiert an der Kunstgewerbeschule (spä- werben, internationalen Ausstellun- ter Akademie für angewandte Kunst) und belegt gen und den Handwerksmessen in Pa- die Klassen für Textil bei Rosalie Rothansl, Email ris, Florenz und München teil, die die bei Adele von Starke und Modezeichnen bei Eduard einzige Möglichkeit darstellen, in der Wimmer-Wisgrill. europäischen Szene aufzutreten und wofür sie viele Anerkennungsdiplome Trotz des Krieges bleibt die Kunstszene in Wien le- und Preise bekommen. bendig und Maria begegnet Künstlern der Sezession Tabernakeltüre mit Pelikan, 1973, Email wie Josef Hoffmann oder Koloman Moser und des- Mit der befreundeten Familie Valier Limoges, Kapelle sen Meisterschüler Anton Hofer, einem Multitalent beschließen sie 1931, eine Pension Jesuheim, Girlan in Architektur, Malerei und Grafik. 1919 heiraten sie an der Adria zu eröffnen. Die Pension Foto: Privat und nachdem Anton Hofer eine Professur an der „Belvedere” ist weit und breit das ein- Akademie für angewandte Kunst ablehnt, folgt Ma- zige Hotel in dem kleinen Fischerdorf ria ihrem Mann schweren Herzens nach Bozen. Sie Miramare bei Rimini, ein schlichter wäre viel lieber in einer Großstadt geblieben. Die Bau, zu dem Anton Hofer die Pläne provinzielle Enge und das traditionelle Kunstver- erstellt. Die künstlerischen Aktivitä- ständnis in Südtirol erlebt sie Zeit ihres Lebens als ten verlagert May, inspiriert vom Meer bedrückend. und der Umgebung, in das Bemalen 6 PANOPTICA 2020 | KUNST PANOPTICA 2020 | KUNST 7
von Bastmatten mit Temperafarben wie ihre Farben sind: Kindheitserinne- und aus den selbst gesammelten Mu- rungen von alten Städtchen mit wind- scheln stellt sie collagenartige Bilder schiefen Häusern, Blumen, Tiere, En- zusammen, mit denen sie die Wände gel, die Sonne oder religiöse Themen, der Pension schmückt. ganz gleich ob Buddha, der gute Hirte oder eine Pietà. Mit ihren Werken ver- Ihr Sohn Arno (1923-2017) erlebt zu- zaubert sie die Betrachtenden, lädt ein sammen mit Willy (dem späteren zum Verweilen und Begutachten der Künstler) und Kurt Valier wunderbare Details und zieht sie in ihren Bann. Sommer der Freiheit am Meer. Durch den Zweiten Weltkrieg wird das Hotel Ab 1964 nimmt die Künstlerin an zahl- 1942 geräumt und geschlossen, jedoch reichen Ausstellungen in Italien und im von 1946 bis 1962 wiedereröffnet. Ausland teil. Vor allem ihre Paneele aus Stoffmosaik lösen große Bewunderung Immer bereit, Neues zu wagen, kehrt aus: „Dorf meiner Heimat” (1950), das May Hofer nach dem Zweiten Welt- an ihren Geburtsort erinnert; „Hahn krieg als Gasthörerin an die Akademie Aus dem Zyklus "Die Erschaffung der Welt, 5. Tag", 1969, Stoffapplika- kündigt den Morgen an” (1961) und tion, Österreichisches Museum für angewandte Kunst, Wien Foto: Privat für angewandte Kunst nach Wien zu- die „Versunkene Stadt” (1968), das von rück. Dort besucht sie die Klasse für der Bozner Sparkasse erworben wird. Email bei Professor Nedbal und lernt Das Wiener Museum für angewandte bei dessen Frau Marika Nedbal-Dol- Kunst kauft ihren „Schöpfungszyklus”, nizka, einer Ukrainerin, die Technik ein textiles Mosaik in drei Abschnitten des russischen Netzemails. Nach der von jeweils 65 x 65 cm (1969). endgültigen Schließung des Hotels (1962) verschafft sie sich den Freiraum Später entstehen in Email die Taber- für ihre eigentliche Leidenschaft, die nakel für das Jesuheim in Girlan und Kunst, und nach ihrer Rückkehr nach das Altenheim in Kastelruth, für das Bozen bezieht May Hofer das helle, sie auch eine Pietà schuf, sowie das inspirierende Atelier von Sophie und Emailbild „Der gute Hirte” für das Emanuel Fohn in der Leonardo-da-Vin- Völser Schwesternheim. Ihre späten ci-Straße, in dem vorher bereits die Bildteppiche „Der Fund der Dame von Gebrüder Stolz arbeiteten. Elche” (1990), „Die Königin von Saba” (1990) und „Der Turm von Babel” May Hofer wird künftig ihr künstleri- (1995) finden große Beachtung. sches Talent mit zwei sehr unterschied- lichen Materialien zum Ausdruck brin- Modezeichnung, 1918, Wien Foto: Privat May Hofer wird mit ihren Arbeiten und gen: Stoff und Email. Die weichen Ausstellungen zur Grande Dame der Stoffapplikationen setzt sie so zusam- Südtiroler Kunstszene. Sie ist mit den men, dass teilweise sehr große Pan- getragen, dem vor dem Brennen die gewünschte Künstlern Markus Vallazza und Gott- neaus entstehen. Die wie ein Mosaik Form gegeben wird. Letztere Technik ist das inzwi- hard Bonell eng befreundet, mit der aus übereinander gelegten Stoffstü- schen in Vergessenheit geratene Netzemail. Bildhauerin Sieglinde Tatz-Borgogno cke fügen sich Schicht für Schicht zu Sowohl die Bildteppiche als auch die Kompositionen entstehen gemeinsame Arbeiten. In einem Bildteppich zusammen. Das in Limoges-, Cloisonné- und Netzemail sind Erupti- ihrer Wohnung empfängt sie als beg- Email, bei dem das Rohmaterial aus onen voller Farben, temperamentvoll, leidenschaft- nadete Gastgeberin Jung und Alt aus einem matten Pulver besteht, wird zu lich, sehnsuchtsvoll. dem Kulturmilieu. einer schimmernden, glasähnlichen Substanz gebrannt; das Pulver wird May Hofers Arbeiten sind geprägt vom östlichen Am 8. Juli 1988 wird ihr als 92-Jährige entweder auf statisches Kupfer oder Kulturraum, den slawischen Volksweisheiten, den Altarkreuz, 1975, Email Cloisonné, Kapelle im Schwesternheim in Völs das Ehrenkreuz der Republik Öster- auf ein biegsames filigranes Netz auf- archaischen Mythen, wobei die Motive so vielfältig am Schlern Foto: Privat reich für ihre Verdienste im Bereich 8 PANOPTICA 2020 | KUNST PANOPTICA 2020 | KUNST 9
Hochzeitsanzeige May und Anton Hofer, 1919, Entwurf Anton Hofer Foto: Privat der Wissenschaft und der Kunst verliehen. In ihrer Dankesrede sagt sie: „Dass Österreich, mein Hei- matland, mir diese Ehrung zukommen lässt, erfüllt mich mit großer Freude. Auch danke ich Bozen und Südtirol, dass es mich angenommen und gefördert hat. Ich habe in meinem Alter viele Kreuze zu tra- gen. Das Kreuz, das ich heute angeheftet bekam, ist dabei ganz etwas Besonderes.” Trotz des Verlustes ihres Augenlichts in den letzten Jahren ihres Lebens arbeitet sie mithilfe ihrer Assis- tentin Martina Varesco unermüdlich weiter. „Weißt du, heute Nacht, als ich nicht schlafen konnte, habe ich in Gedanken wieder einen neuen Bildteppich entworfen”, erzählt sie mir wenige Wochen vor ih- rem Tod. Sie ist wohl das beste Beispiel dafür, wie jung ein Mensch mit über hundert Jahren sein kann. Ihr Leben war geprägt durch die bewegte Geschich- te Europas des 20. Jahrhunderts, sie war ein Kind ihrer Zeit, das drei Jahrhunderte erlebte – eine au- ßergewöhnliche Frau und Künstlerin in jedem Sinne. Der gute Hirte, 1975, Netzemail, Kapelle im Schwes- May Hofer starb am 3. Mai 2000 in Bozen im Alter ternheim in Völs am Schlern Foto: Privat von 103 Jahren. Die letzte Gaslaterne, 1992, textile Applikation Foto: Privat 10 PANOPTICA 2020 | KUNST PANOPTICA 2020 | KUNST 11
WIEN, WIEN NUR DU ALLEIN ODER Den Inn gegen die Donau zu tauschen heißt auch, Berge gegen Flachland, Bier gegen Wein, „Woss??” len kann, so wie in den Bergen. Sie sind beeindruckt von den prunkvollen gegen „Wie bitte?” auszuwechseln. Es werden Fassaden der Häuser und die Fassa- WAS ES HEISSEN KANN, DEN INN schneereiche Winter gegen heiße Sommer ge- tauscht: Statt am Wochenende mit der Rodel auf den der kunstvoll geschminkten Men- schen- übrigens wird beides davon GEGEN DIE DONAU ZU TAUSCHEN. den Berg, nach der Arbeit mit dem Rad an die Do- nau. Bald ist es zehn Jahre her, seit ich aus Innsbruck durch Facharbeit erschaffen und muss instandgehalten werden und beides nach Wien gezogen bin, ich bin somit als Exiltirole- dient als Aushängeschild. Claudia Schneider rin Expertin auf diesem Gebiet. Bei den TirolerInnen, die nun den Als Jugendliche fand ich es immer relativ unnötig, Schritt wagen in die Hauptstadt zu ja fast lächerlich, wenn die „Großen” zum Studie- übersiedeln, gibt es ebenso nur zwei ren nach Wien gingen, um dort dann mit denselben Varianten: Sie lieben es oder sie kön- FreundInnen in einer Wohngemeinschaft zu leben nen sich ganz und gar nicht einleben, wie die Jahre davor und sich auch sonst mit fast fühlen sich unwohl, wollen zurück. ausschließlich altbekannten Gesichtern zu umge- Beides gibt es häufig. Um es anders ben, sprich: Einfach nur die Stadt zu wechseln, nicht auszudrücken: Wäre ich Spediteurin, das Umfeld, sich aber dennoch von da an als Groß- würde ich mich allein auf Übersiedlun- stadtmensch zu fühlen. Deshalb wollte ich das nie. gen von Tirol nach Wien – und eben Die Pläne meiner FreundInnen, mich miteinberech- auch wieder zurück spezialisieren. Wer net, nach der Matura nach Wien zu gehen und eine schon nach fünf Monaten wieder zu- Wohngemeinschaft zu gründen (die gefühlt milli- rück will, bekäme 15 % Rabatt, wer die onste Tiroler WG in Wien), ließ mich dementspre- Firma weiter empfiehlt, sogar 20 %. chend kalt, was nicht an den FreundInnen lag oder daran, dass ich Wien nicht gemocht hätte. Sondern, Die, die bleiben fügen sich sehr gut ich wollte erstens: nicht weg aus dem überschauba- ein in den Flickenteppich der Wiener ren Innsbruck, und zweitens: wenn, dann richtig – Kunst und Kulturszene von der auch also weiter weg, zumindest dorthin, wo ich wirklich ich irgendwie ein Teil bin. Gerade in nicht sehr viele kenne. Aber dann ist das passiert, der Kunst und Kulturszene tönen ge- was immer passiert: Es kam alles anders als gedacht, fühlt überall die starken „K” und „Sch” und das ist gut so. Plötzlich fand ich mich nach der Laute des Berglandes von den Wän- Matura und dem ersten Studienjahr in Innsbruck, in den, Fassaden oder Bühnenbildern Wien wieder. wider. Ich will an dieser Stelle keine Aufzählung von berühmten, erfolg- Es gibt viele Gründe in die Hauptstadt zu ziehen, reichen TirolerInnen einfügen, auch aber, so scheint es, nur zwei Varianten, wie sich wenn es genügend Beispiele von TirolerInnen zu Wien verhalten: Die Einen finden KünstlerInnen gibt, die das geschützte die Stadt unmöglich, viel zu groß, die WienerInnen Tal, die bergige Landschaft gegen das überheblich und unfreundlich, viel zu wenig na- flachere Donaugebiet ausgetauscht turverbunden, und dann noch diese schrecklichen haben. Fast scheint es, als würden Winter – statt zauberhaften Schnee am Berghang, sich auch hier die Gegensätze anzie- Foto: Claudia Schneider graue Kälte in den Häuserschluchten ... Und ja: Der hen: Die als raunzend und sudernd Wiener-Winter bleibt eine Herausforderung, auch verschrienen WienerInnen verlangen nach Jahren noch … geradezu nach den als dickköpfig und eigenbrötlerisch geltenden TirolerIn- Die Anderen sind fasziniert von der Größe der Stadt, nen und umgekehrt. Nur durch das sehen die Möglichkeiten des Lebens in einer Metro- Gegenüber wird Identität geschaf- pole, doch können nie so ganz glauben, dass man fen. Das Wienerische, und hier lehne sich in dieser Stadt tatsächlich richtig zuhause füh- ich mich weit aus dem dreiflügeligen 12 PANOPTICA 2020 | KUNST PANOPTICA 2020 | KUNST 13
Holzfenster des Gründerzeithauses in oder mehr verleiht, ja, sogar ohne Bergführerlizenz Vergessen wird aber manchmal, dass das nicht auch nicht Kaffeekultur, denn die Göttin des dem ich lebe, konnte nur dieses ge- kennt man sich also TirolerIn irgendwie notgedrun- heißt, umgekehrt wäre das genauso. Es verhält sich Cafés wäre oft unsagbar traurig wüsste nuin Wienerische werden, weil es von gen mit Touristen aus. Das war für mich als Innsbru- hier ähnlich, wie mit dem Schließen der Augen: nur sie, was in manchen – auch den altehr- den aus allen Ecken der Welt in Wien ckerin ein Faktor, der mir das Eingewöhnen in Wien weil ich selbst nichts mehr sehe, heißt das noch lan- würdigen Cafés als Melange und Co zusammenkommenden und nach ei- leichter machte: denn, auch die Altstadt in Inns- ge nicht, dass ich unsichtbar bin. Das kann als klei- über den Bartresen wandert. Ich dachte ner „Heimat” Suchenden imaginiert, bruck hat nicht weniger TouristInnen die sich durch ner Merksatz helfen, und es wurde auch mir sehr mir jedenfalls, dass mir die Ideen hier zugleich erschaffen und durch ständi- die Gässchen schieben, als der erste Bezirk. schnell klar. Weil ich selbst mit Kaisermühlen Blu- in einem echten Wiener Café quasi von ge Wiederholung auch aufrechterhal- es aufgewachsen bin und so glaube einen Einblick allein kommen würden. Doch schon die ten wurde. Wien ist nun mal das, was Gäbe es da nur nicht diese Sprachbarriere … Waaaas ins Wienerische zu haben, kann ich nicht erwarten, erste Enttäuschung: Der mich bedie- daraus gemacht wird. und Wiiie Bitte? Wer nicht sofort verstanden wird, dass mein Tiroler Dialekt nicht auffällt oder gar ver- nende Kellner, ist sehr zuvorkommend ist kurz verunsichert, ob durch die Entwurzelung ei- standen wird. Enttäuschend war für mich nur, dass und freundlich und hat wenig mit den Jede Stadt hat ihre Verhaltenscodes nem auf kurz oder lang die eigene Sprache abhan- dieser „echte” Wiener (Fernseh-) Dialekt gar nicht „echten” Grantlern in weißem Hemd – ohne diese zu kennen, ist man Out- den gekommen ist. Deutlich wie nie wird einem die so viel gesprochen wird, aber vielleicht verbringe und Sakko zu tun, die den Titel „Herr siderIn. Wer in Innsbruck zu viel Siezt, eigene Dialekt-Einfärbung der Sprache vor Augen ich nur zu wenig Zeit in Kaisermühlen. Wer weiß. Ober” verdient haben. Ober ist nämlich gilt schnell als abgehoben, wer in Wien geführt. Ob man sich darauf in Schweigen hüllt, die tatsächlich eine passende Bezeichnung, zu wenig Siezt, gilt als unhöflich oder Flucht ergreift oder die Frage als Aufforderung ver- Ich schreibe diesen Artikel im Übrigen, wie könnte denn ein Ober hat die Oberherrschaft. Landei. Übrigens gelten Bergjacke steht, die eigene Lebensgeschichte zu erzählen, ist es auch anders sein: im Kaffeehaus. Denn: so steht Nur wer in seiner Gunst steht, wird ger- und -schuhe in Wien nicht als norma- charakterabhängig. Da quasi die ganze Filmbran- es in jedem Reiseführer der Welt: Wien ist bekannt ne, oder überhaupt bedient, andre so les Stadtoutfit. che Österreichs in Wien angesiedelt ist, die großen für seine Kaffeehauskultur- und ich sage absichtlich lange ignoriert, bis sie entweder aufge- Medien ebenso, sind alle ÖsterreicherInnen, woher ben und gehen, oder sich durch diese Es gibt aber auch Gemeinsamkeiten. sie auch kommen mögen, mehr oder minder an den Hartnäckigkeit im Ausharren ebendiese Als TirolerIn ist man quasi naturge- Wiener Dialekt gewöhnt. Zumindest in diese Rich- Gunst verdient haben. mäß an Tourismus gewöhnt. Auch, tung gibt es keine großen Verständnisschwierigkei- wer keine Gästezimmer, Ski, Rodeln ten. Von Wortspielereien einmal abgesehen. Foto: Tillman Schneider Foto: Claudia Schneider 14 PANOPTICA 2020 | KUNST PANOPTICA 2020 | KUNST 15
Nebenbei bemerkt bin ich froh in die- Apropos Geschmack. Die Wiener Küche ist nicht nur die so gut zum Wienerschnitzel pas- ses Café gefunden zu haben. Denn mit österreichischer Sozial-Kleber, sondern relativ hoch sen. Hier ein wichtiger Punkt für alle der Orientierung ist das so eine Sache. angesehen- relativ deshalb, weil ich denke, dass vor TirolerInnen, die in Wien ein Schnitzel Es ist gar nicht so leicht, sich als Inns- allem die WienerInnen selbst sie hoch schätzen- bestellen: Preiselbeeren muss man bruckerin in Wien zu orientieren. War- und naja objektiv ist das nicht ganz. Sieht man sie leider immer extra bestellen (oft auch um? Weil wir es von Kinderschuhen an nüchtern an – ja das ist ein Wortspiel – steht fest: bezahlen) ... gewöhnt sind zu wissen, wo Norden die Wiener Küche ist vielseitig. Es gibt Fleisch, es ist, denn dafür hat man ja die Nordket- gibt Fleischlos, es gibt süße, sogenannte Mehlspei- Ob letztendlich das alte Sieczynski- te. Dementsprechend leicht ist es auch sen, es gibt einfach und sehr kompliziert. Gerade Lied mit dem klingenden Refrain die andren Himmelsrichtungen zwar die Klassiker sind höchstens nicht unbedingt Super- „Wien, Wien nur du allein, sollst stets nicht präzise, aber ausreichend nach- food. Wienerschnitzel, Sachertorte, Apfelstrudel. die Stadt meiner Träume sein.” oder vollziehen zu können. Wie, frage ich Immerhin besteht letzterer zum Großteil aus Obst doch Falcos „Wien, nur Wien du kennst also in die Runde, wie, ja wie nur, soll (gut schmecken tut er wegen viel Butter und Sem- mich up kennst mich down. Du kennst das denn in Wien klappen, wo sie hier melbrösel, aber egal). Von diesen Klassikern der mich. Nur Wien, nur Wien du nur al- einfach – ob aus Platzgründen, weil Wiener Küche, ist der Apfelstrudel so etwas, wie die lein ...” besser zur Stadt passt, muss sie vergessen wurde, oder aus Bosheit healthy soultion, das Menue III in der Kantine. Die wohl jede/r für sich entscheiden. – keine Nordkette hingestellt haben. Marillenmarmelade, zwischen den Schoko-Boden- Vollkommen verloren und dann noch teilen und unter der Glasur der Sachertorte, kann Aber, Wien lass dir eines gesagt sein: mit soviel mehr Stadt um sich herum, trotz Wachauer-Marillen nicht als gesund gelten, Ich kenne dich auch up und down, also muss erst einmal gelernt werden, sich tut mir leid. Eben sowenig, wie die Preiselbeeren, pass auf, denn: ich bleib jedenfalls hier. zurechtzufinden. Und gleich eine Klar- stellung: Der U-bahnplan ist nicht als geographischer Orientierungsplan ge- dacht und funktioniert dafür auch ganz und gar nicht. Also müssen, so ganz ohne Nordkette, Strategien entwickelt werden. Sich an auffälligen Kirchtür- Foto: Tillman Schneider men orientieren? Funktioniert nicht. Denn Wien hat zwar keine Berge, aber Berg- und Bergsteigergassen, die zwar länger wurden, darüber möchte ich hier lieber nicht niemals ihren Namen gerecht werden, schreiben. Ebensowenig über die unverständliche aber dennoch ein tatsächliches Gefälle Vorliebe der Wiener für Einbahnen oder davon wie beschreiben, sprich: Wien ist hügelig erstaunlich lange man herumkurven muss, wenn und somit sind wenig, bis keine Punk- man nur ein einziges Mal das Abbiegen verpasst hat. te von überall sichtbar. Zweite Mög- Denn das ist eine der Wien-Erfahrungen, die man bei lichkeit: sich vollends auf Navi-Künste einem Besuch mit Auto sowieso nicht „umfahren” und Akkulaufzeit des Smartphones kann. Insgesamt ist es bei mir besser geworden und verlassen. Das war und ist für mich ich würde trotzdem kein Geld darauf verwetten, dass keine Option, weil ich es wichtig finde, ich es in diesem Leben noch schaffen werde, mich mich in meiner Umgebung auszuken- selbst sicher durch gewisse Winkel des ersten Bezirks nen und zumindest ungefähr zu wis- zu navigieren, denn immer noch erwische ich mich, sen, wo ich mich geographisch aufhal- wie ich manchmal freudig überrascht feststelle, te. Wie oft ich zu spät gekommen bin, dass ich tatsächlich ohne Umwege zum Ziel gelan- weil ich zwar schon in der Querstraße ge. Das Problem hierbei: Jedesmal vorher nachzu- des Treffpunkts war, aber dann in die sehen kratzt zu sehr an meinem Tiroler Stolz und falsche Richtung losgesteuert bin, weil durch ein Nachfragen unfreundlich angeschnauzt ich die Reihenfolgen von Nebenstra- werden, genauso. Das ist jedoch Geschmackssache. ßen noch immer verwechsle; Wie oft Und der Geschmack ist es auch, der ein wichtiger meine Lauferkundungen um einiges Wohlfühl-Indikator ist. Foto: Tillman Schneider 16 PANOPTICA 2020 | KUNST PANOPTICA 2020 | KUNST 17
BLICKE – WORTE – TATEN Seit einigen Jahren präsentiert das Frauenkulturma- (Mitarbeiter des Museums). Da wurde gazin „Panoptica” inhaltlich gesehen eine große Viel- viel mehr auf Fakten und Daten Wert ge- falt an Beiträgen von und über Frauen im Kunst- und legt. In meinen Führungen stehen immer Kunstvermittlung aus weiblicher Sicht Kulturbereich der gesamten Euregio (Europaregion Tirol – Südtirol – Trentino). die Menschen, die Personen in ihrer Zeit mit den Problemen und Herausforde- In der aktuellen Ausgabe darf ein Blick auf die „Kunst- rungen, die sich daraus ergeben, wie sie Simone Gasser vermittlung aus weiblicher Sicht” geworfen werden, damit umgegangen sind, welche Hand- in Worte gekleidet und wenn möglich zu Taten auf- lungen und Werke daraus entstanden fordernd. sind und ein Vergleich zu unserer Zeit im Mittelpunkt. Der Bereich der Kunstvermittlung sollte auch den Be- reich der Kulturvermittlung miteinbeziehen, da die Also finde ich persönlich, dass beim Vermittlung, abgesehen von den speziellen „Kunst- weiblichen Vermittlungspersonal (meine museen” in unserer Europaregion, meist in kleineren jetzt nicht nur mich) ein eher gesamt- und kulturgeschichtlichen Museen, oder, wohl auch heitlicher Aspekt im Vordergrund steht.” dem Tourismus geschuldet, durch Stadt-, Orts- und Regionsführungen, stattfindet. Wird nun recher- chiert und die breite Angebotspalette der einzelnen Institutionen durchforstet, so ergibt sich der starke Eindruck, dass Kunst- und Kulturvermittlung ziem- lich „weiblich” ist. Um eine Bestätigung dieses Eindrucks zu erhalten, wurden einige Frauen aus dem Bereich der Kunst- und Kulturvermittlung zu diesem Thema befragt, die Frage „Vermitteln Frauen anders?” wurde gestellt. Hier drei Beispiele. Frau Mag.a Sandra Malez vom Verband der Kulturver- mittlerinnen mit Sitz in Linz – Oberösterreichisches Landesmuseum, antwortete darauf: „ … wir wissen, Führung durch Mag.a Noggler-Gürtler Foto: Museum der Völker, 2019 dass der Beruf "Kulturvermittlung" eher weiblich ist. Das hängt vor allem mit den Rahmenbedingungen zusammen: In Museen, in denen die Rahmenbedin- Mag.a Lisa Noggler-Gürtler, Museum gungen für KulturvermittlerInnen besser sind (fixe der Völker Schwaz, antwortete: Anstellung mit gesichertem Verdienst) gibt es mehr „JA, VIELE Frauen vermitteln anders - männliche Kollegen, als in Institutionen mit prekären aufgrund anderer Sozialisierung, gelern- Arbeitsbedingungen.” ter Rollenverteilung, aber nicht alle…” Frau Dr. Barbara Thaler, freiberufliche Kunsthistori- Persönliche Erfahrungen als ehren- kerin in Innsbruck: „JA!” (Anm.: auf die Frage „Vermit- amtliche MuseumsführerIn im Haus Familiensonntag zur "Auswahl 15" im Aargauer Kunsthaus teln Frauen anders?”) – Aus meiner eigenen Erfahrung der Fasnacht in Imst, bestätigen die Foto: ullmann.photography (Stadtmuseum, Goldenes Dachl, Rathaus; vor allem „weibliche Sicht”. Jene von Männern Volksschulklassen und Senioren) kann ich sagen, dass seit jeher bestimmte und ausgeführte ich vor allem auf den menschlich-zwischenmenschli- Tradition, die im Imster Schemenlau- chen Bereich der historischen Protagonisten oder der fen seit Generationen geerbt und ver- Objekte eingehe. erbt, wird, als Frau zu vermitteln, ist Im Goldenen Dachl hatten wir nach der Umgestaltung eine Herausforderung, der sich aktuell einen Vorschlag für eine Führung von unserem Max nur zwei (!) ImsterInnen stellen. Ganz 18 PANOPTICA 2020 | KUNST PANOPTICA 2020 | KUNST 19
Als Mittler, welche die Beziehung zwischen Objekt Dieses Berufsbild wurde im Rahmen und Betrachter begleiten, können die Kunst- und Kul- der ICOM CECA Preconference anläss- turvermittler verstanden werden. Ihre Aufgabe ist es, lich des Österreichischen Museumsta- Neugierde zu wecken, Fragestellungen zu eröffnen ges in Steyr im Oktober 2017 von 130 und gemeinsam mit den „Konsumenten” Antworten Kulturvermittlerinnen und Kulturver- auf Fragen zu entdecken. Durch Kunst- und Kultur- mittlern aus ganz Österreich beschlos- vermittlung sollte ein allgemeiner Zugang zu Kultur- sen und trat am 11. Oktober 2017 in gut geschaffen werden, die zu vermittelnden Inhalte Kraft. müssen natürlich auf die Zielgruppen abgestimmt werden, um nachhaltige Ergebnisse zu erzielen. Große Aufgaben und ein weites Betäti- gungsfeld zeigen sich in der Auflistung, Unter dem Begriff „Kunstvermittlung” wird vieles stark sind die Forderungen und das En- verstanden, was mit Kunst und Kultur zusammen- gagement des Vereins, vorallem für hängt, darunter auch Museums-, Kunst- und Kultur- die Mitglieder. Erinnern wir uns kurz pädagogik, Kulturelle Bildung, Historische Bildungs- an das Statement von Mag.a Malez: arbeit, Musik- und Kunsterziehung. Kunst- und Kulturvermittlung ist eher „weiblich”. Gibt es eine fixe Anstellung Betrachten wir nun das Berufsfeld „Kunst- und Kul- mit gesichertem Verdienst, so gibt es turvermittlerIn” ein wenig genauer. Auf der Home- mehr männliche Kollegen. Institutio- page des Österreichischen Verbandes der Kulturver- nen mit „prekären Arbeitsbedingun- mittlerInnen wird definiert: gen” weisen mehr weibliche Vermittle- rInnen auf … wie sieht es also aus mit _ KulturvermittlerInnen initiieren inklusive Bildungs- den Rahmenbedingungen? und Kommunikationsprozesse. Sie machen Pro- gramm für ein heterogenes Publikum auf Basis Kindergartenführung im Haus der Fasnacht aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen und Fra- Professionelle Kunstvermittlung Foto: HdF Imst gestellungen. Hierfür recherchieren, selektieren und interpretieren sie auf Basis aktueller Forschungser- Welche Voraussetzungen für eine pro- kenntnisse Inhalte für ein heterogenes Publikum. fessionelle Kunstvermittlung sind ge- selbstverständlich zeigt sich als Frau „Kunst- und Kulturvermittlung bezeichnet alle Aktivi- Sie betreiben interdisziplinäre Netzwerkarbeit. fragt? Kunstvermittlung ist mehr als ein anderer Blick auf die Dinge, die täten, die das künstlerische und kulturelle Erbe im Kon- Kunstpädagogik und die Vermittlung Wortwahl ist eine andere, die Vermitt- text der vermittelnden Institutionen interessierten Per- _ KulturvermittlerInnen arbeiten an der Program- künstlerischer Praxis. Theoretische lung erfolgt durch ausgewählte Taten. sonen (Rezipienten) verständlich zugänglich machen mierung und inhaltlichen Ausrichtung der Insti- Kunstgeschichte, welche historisches Natürlich werden Fakten, Daten, etc. und zur Partizipation anregen”, so die Kunsthistorike- tution mit. Sie wählen und entwickeln adäquate Wissen und klare Fakten darbringt, ebenso sachlich vermittelt, der Blick- rin Mag. Dr. Marion Gruber, im Jahre 2006. Formate und Methoden, mit denen die Inhalte auf kann nur ein Teil der Kunstvermittlung winkel des weiblichen Geschlechts ist personale und mediale Weise vermittelt werden sein. Welche Ausbildung wird also be- ein anderer, ganz ohne Zweifel, gewiss Alle Aktivitäten, welche interessierten Personen In- (Apps, Audioguides, Ausstellungs- und Künstle- nötigt, um zwischen den Objekten der jedoch respektvoll und voller Stolz auf formationen, Geschichten und Fakten zugänglich rInnengespräche, Begleithefte, BesucherInnen- unterschiedlichen Institutionen und die Tradition und die lange Kulturge- machen, werden im Allgemeinen als Vermittlung be- kataloge, Diskussionen, Führungen, Raumtexte, den interessierten „Konsumenten” zu schichte! zeichnet. Im Bereich der Kunst- und Kulturvermitt- Workshops etc.). Sie kuratieren partizipatorische vermitteln? lung betreffen die aufbereiteten und bereitgestellten Aktionen sowie Interventionen und setzen Pro- Informationen das künstlerische und kulturelle Erbe grammschwerpunkte. Dies bedingt eine ständige Nicht nur die Zielgruppen zeigen ihre Was ist nun eigentlich einer Gesellschaft. So können Kulturgüter und Kunst- Reflexion von Theorie und Praxis. Bedürfnisse auf, auch das zu Vermit- Kunstvermittlung? werke als Informationsträger gesehen werden. Zu telnde ist nicht bedürfnislos. Kunst- bedenken ist, dass die Kunst- und Kulturvermittlung _ KulturvermittlerInnen gehen bei ihrer Tätigkeit vermittlerInnen und Kunstvermittler Aufsätze, die darüber verfasst wurden, nicht wertfrei ist. Der Inhalt der Vermittlung ist ge- von der Gegenwart aus. Sie diskutieren die gesell- müssen sich mit der zu vermittelnden stammen größtenteils von Frauen … bunden an die Institution und die jeweiligen Vermitt- schaftliche Relevanz der institutionellen Fragestel- Materie auseinandersetzen, sich ei- so sollte in Folge deren weiblicher Blick ler, die Interpretation der Information entspricht der lungen und der musealen Objekte und setzen sie in narbeiten, Verständnis aufbringen. auf die Thematik geworfen werden. spezifischen Auffassung und Position der Institution. aktuelle Kontexte. Vermutlich werden die tiefen Bedeu- 20 PANOPTICA 2020 | KUNST PANOPTICA 2020 | KUNST 21
tungen zahlreicher Kunstwerke nicht den (meist) selbst bezahlt, im bestmöglichen Fall entschlüsselt oder den „Konsumen- vom „Auftraggeber” finanziell unterstützt. Das vor- ten” gänzlich vermittelt werden. Die wiegend freiberuflich tätige „Kulturpersonal” der In- Aufbereitung durch die Gruppe der stitutionen – fixe Anstellungen oder langfristige Ver- Kunstvermittler ist notwendig, im Ge- träge sind Mangelware – sollte also neben fachlicher genzug ist aber auch ein Kompromiss Kompetenz (Universitätsabschluss) auch eine fun- gefragt, welcher mit den „Konsumen- dierte Ausbildung in der Vermittlungsarbeit vorwei- ten” getroffen werden muss. Durch sen. In unserer Tourismusregion wäre es natürlich die große Breite unterschiedlichster auch nicht schlecht, Fremdsprachenkenntnisse (1 Zielgruppen können eine bessere Ein- oder 2 oder 3 ?) aufzuweisen und somit das Angebot teilung und adäquatere Angebote vor- der Kultureinrichtungen glänzen zu lassen. Wenn es bereitet werden. zu einem „Auftrag” kommt, so darf auch die Vorbe- reitungsarbeit, das Einarbeiten in eine neue Thema- Dialogische Führungen, Kunstgesprä- tik, etwaige Übersetzungsarbeiten usw. nicht außer che, Workshops, Spezialführungen, Acht gelassen werden. Ob diese Aufgaben mitein- Themenführungen, Director’s Choice, gerechnet oder berechnet werden können, ist oft private Führungen, usw. – die Liste lie- Grund für Diskussionen. ße sich noch länger weiterführen. Mu- seen sind kreativ und bereit, Vieles im Bereich Kunst- und Kulturvermittlung Und das digitale Zeitalter? anzubieten und „zu verkaufen”. Digitale Zeitreise in den Swarovski Kristallwelten Viele Museen bieten Audioguides und digitale Mög- Foto: Simone Gasser lichkeiten der Kunstvermittlung an. Bis Inhalte und Ausbildung und Anerkennung Themen aufbereitet und für die digitale Verwendung vorbereitet und oft auch übersetzt werden, vergeht Würden museale Institutionen nicht Vermittelte Emotionen in den Swarovski Kristallwelten Wie bereits mehrfach erwähnt, ist die Foto: Simone Gasser viel Zeit und auch der finanzielle Aufwand ist nicht ideale Plattformen bieten, um das Tätigkeit der Kunst- und Kulturver- zu unterschätzen. kulturelle Erbe, Kunst und Kultur von mittlerInnen ein frauendominiertes damals und heute, von Mensch zu Feld. Museumspädagogik, die Aus- Werfen wir einen Blick auf ein themenspezifisches Werden in naher Zukunft neue Medien die persön- Mensch zu vermitteln, um im digitalen bildung zum „Vermittler” wird meist Studienprogramm an der „Angewandten” (Universi- liche Kunst- und Kulturvermittlung ersetzen oder und oft unpersönlichen Zeitalter einen in den Universitätslehrgängen nicht tät für angewandte Kunst) in Wien. Das Institut für wäre es angebracht, sich in Österreich mit der The- persönlichen Gegenpol mit intensiven als Unterrichtsfach angeboten. Nach Kunstwissenschaften, Kunstpädagogik und Kunst- matik und Problematik der Kunst- und Kulturver- Blicken, starken Worten und nachhal- einem Studienabschluss kann für ein vermittlung, welches von Frau Univ. Prof. Barbara mittlung intensiver auseinanderzusetzen? tigen Taten darzustellen? weiterführendes Studium – natürlich Putz-Plecko als Vorstand geleitet wird, bietet ein selbst zu bezahlen – aus einer Vielzahl Studienprogramm an, in welchem künstlerische an Lehrgängen gewählt werden. Die Praxis eng mit kunst- und kulturwissenschaftlicher, Preise sind hoch und viele, meist Frau- designtheoretischer, architekturtheoretischer sowie en, „jobben” in Museen und kulturellen didaktischer Reflexion verknüpft wird und damit für Institutionen, üben sich in der Praxis Berufe im Schnittfeld von Kunst und Bildung vorbe- und versuchen, mit diesen Tätigkeiten reitet und ausbildet. Ein Problembewusstsein für die ein wenig Geld für die Zusatzausbil- soziale und historische Dimension von Kunst und dung zu verdienen. Werden Vergleiche Ästhetik sollte durch dieses Programm geschaffen mit Deutschland angestellt, so lässt werden sowie ein kritisches Verständnis von Funkti- sich erkennen, dass das Berufsfeld onen und dem fundamentalen Zusammenhang von „Museumspädagogik” schon länger Kunst, Kulturtheorien und Gesellschaft. ein anerkannter Berufszweig (und so- mit auch eine sichere Einnahmequelle) Auch in den Bundesländern werden von Kulturins- im musealen Bereich ist. In Österreich titutionen und Initiativen Lehrgänge und Seminare kann davon erst geträumt werden … angeboten, die kostenpflichtigen Programme wer- 22 PANOPTICA 2020 | KUNST PANOPTICA 2020 | KUNST 23
FRAUEN IM AUGUSTINERMUSEUM Das Augustinermuseum war nie ein Frauenkloster – doch Frauen haben hier „ihre” Spuren hinterlassen – direkt oder indirekt – in Vergangenheit, Gegenwart RATTENBERG und Zukunft. - Hl. Maria Magdalena: Statue aus der Spätgotik; Einblicke in Historisches und Gegenwärtiges eher ländlicher Herkunft; bezeichnend hier sind die eher derben Gesichtszüge in relativ naiver Barbara Randolf Manier; und bezeichnend ist weiters ihr Kopf; der Künstler hat sie mit einem Kropf dargestellt – und dies kommt nicht von ungefähr: in der damaligen Zeit herrschte Jodmangel und Kröpfe waren daher keine Seltenheit (übrigens auch von Medizinhisto- rikern bestätigt); der Künstler hat sich eine Frau aus der Bevölkerung als Model ausgesucht; Ma- ria Magdalena ist dabei prinzipiell eine besondere Hl. Notburga, Öl auf Leinwand, um 1780 Frauengestalt in der Überlieferung: eigentlich sind Foto: Augustinermuseum Rattenberg es drei Magdalenen”geschichten” die komprimiert wurden; das Ziel dabei war es, neben der Hl. Maria und der „sündigen” Eva eine Frau darzustellen, die - Hl. Notburga: ihre Überlieferung ist sich bekehrte, die nach langer Zeit ihren „rechten” untrennbar mit Rattenberg verbun- Weg fand (ganz unter dem Motto: vom Saulus den, obwohl historische Fakten feh- zum Paulus) len; doch sie hat hier wie überhaupt im Tiroler Unterland ihre Spuren hinterlassen; im erweiterten Sinne kann man sie auch als erste Gewerk- schafterin bezeichnen; und seit eini- gen Jahren ist sie auch Patronin der Trachtenträger „Eine zierliche Frau mit einer Sichel in der Hand, die Sichel auf Gemäl- den oft auch über ihr schwebend: Notburga als Magd eines Bauern in Eben am Achensee. Notburga mit einem Schlüsselbund: die „Beschlie- ßerin” der Herren von Rottenburg. Ein Leichenzug, von einem Ochsen- gespann gezogen, quert den Inn: er Hl. Notburga, Öl auf Leinwand, um 1780 bleibt in Eben, dem gewünschten Foto: Augustinermuseum Begräbnisort, stehen. Dort zieht Rattenberg jetzt noch der Hl. Leib der Notbur- ga im Zentrum des Hochaltares, gar nicht dienstbotenmäßig, sondern hochherrschaftlich reich gekleidet von den adeligen Damen der Fa- milie Tannenberg von Tratzberg, Maria Magdalena, Holz, gefasst, um 1520, Pfarre St. Ulrich am Pillersee- wiederum die Sichel der ehemali- Foto: Augustinermuseum Rattenberg gen bäuerlichen Dienstmagd in der 24 PANOPTICA 2020 | KUNST PANOPTICA 2020 | KUNST 25
Hand, zahlreiche Pilger an. Nicht Und so, wie sie hier dargestellt ist, geht sie auf wenige davon kommen aus Bayern, eine Fehlinterpretation deutscher Rom-Pilger zu- wo die Notburgaverehrung beson- rück. Diese sind auf ihrem Weg dorthin in den itali- ders blüht – fast wäre man versucht, enischen Kirchen und Domen auf sog. Volto Santo Notburga als bayerische Heilige in Darstellungen gestoßen. Das waren Darstellungen Tirol zu bezeichnen. Tatsächlich ist mit Christus am Kreuz, der aber nicht – wie bei uns Notburga die einzige Tirolerin, die üblich – mit einem Lendentuch bekleidet, sondern heilig gesprochen wurde! in eine prunkvolle Ärmeltunika gehüllt war, was die deutschen Pilger als Frauenkleid interpretiert haben. Im späteren 13. Jahrhundert als Und da das mit dem Vollbart der Figur nicht zusam- Tochter eines Hutmachers aus Rat- menpasste, haben sie die Geschichte einer anderen tenberg geboren, wurde ihr Ge- Frau am Kreuz, der hl. Wilgefortis umgeschrieben burtshaus durch eine Gedenktafel und daraus die hl. Kümmernis gemacht. „bestimmt”. Ihr Lebensweg war Demnach soll die hl. Kümmernis in frühchristlicher Johanneshauptteller, 19. Jahrhundert so hart wie damals ganz allgemein Zeit gelebt haben und die Tochter eines portugiesi- Foto: Augustinermuseum Rattenberg das Schicksal der unteren Stände, schen Königs gewesen sein, die sich zum Christen- die lange Zeit für die Geschichts- tum bekehrt und dann ihren heidnischen Verlobten - Johanneshaupt und „weibliche” forschung „uninteressant” waren. nicht mehr heiraten will. Sie bittet Gott, er möge sie Volksmedizin: Salome forderte für Nicht so Notburga: die Magd, die doch hässlich machen, und Gott lässt ihr über Nacht ihren Tanz ja das Haupt Johannes sicher ihre „Leistung” brachte (sonst einen Vollbart wachsen, sodass ihr Verlobter tatsäch- des Täufers; in der Volksreligiosität wäre sie wohl nicht zur Beschließe- lich nichts mehr mit ihr zu tun haben will, was man hat man dies unmittelbar umge- rin im Adelshaushalt aufgestiegen), ihm im Grunde auch nicht verübeln kann. Ihr Vater setzt: das Haupt, der Kopf steht pars kann als Prototyp unserer heutigen Hl. Kümmernis, Öl auf Leinwand, Anfang 19. Jahrhundert, Privatbesitz war aber so erzürnt darüber, dass diese anscheinend pro toto für menschliche Anliegen, Foto: Augustinermuseum Rattenberg Gewerkschafter gelten – sie wei- gute Partie nicht zustande gekommen ist, dass er die damit verbunden werden; also gerte sich, nach dem Angelus-Läu- seine Tochter ans Kreuz hat schlagen lassen, um sie es waren vor allem Frauen, die sich ten weiter zu arbeiten und hängte gestellt wird eine Frau mit Bart, mit langem Ge- ihrem wahren Bräutigam – Christus – möglichst ähn- bei Migräne oder Kopfschmerzen ihre Sichel in die Luft. Als solche ist wand, ans Kreuz genagelt; die Überlieferung dazu lich zu machen. an den Heiligen wandten; dazu nah- sie ein Gegenstück zum spanischen berichtet: sie habe sich heimlich zum Christentum men sie die künstlerische Nachbil- Hl. Isidor, für den Engel den Pflug bekehrt und wollte trotz dem Willen ihres „heid- Der Kult der hl. Kümmernis hat sich ab dem 15. Jahr- dung seines Kopfes, hoben sie über führten, und mit ihm flankiert sie nischen” Vaters nicht einen ebenso heidnischen hundert besonders im süddeutschen Raum und in ihr Haupt – Genesung sollte folgen zahlreiche Altäre. Ihre Verehrung Prinzen heiraten; sie betete zu Gott um Hilfe und Tirol verbreitet. Und bald schon ist eine zweite Le- breitete sich nicht nur nach Bayern in der Nacht vor der Hochzeit wuchs ihr ein Bart; gende mit ins Spiel gebracht worden, nämlich die - Frau und künstlerische Aussagen: sondern bis nach Slowenien aus. absolut unannehmbar für ihren Bräutigam; ihr Va- des armen Spielmannes, die auch dem Bild darge- Maria Peters – Sonderausstellung Wie bei so vielen berühmten Perso- ter war so erzürnt, dass er – so die Überlieferung stellt ist: Im Verlauf ihrer Verehrung hat man bald an- im Sommer 2018 nen mischte sich in ihre Lebensge- – sie ebenso wir ihr Gott kreuzigen ließ; es gibt zu gefangen, Bildwerke von ihr in Kirchen und Kapellen schichte die Legende, verlockte sie ihrer „Geschichte” noch Varianten, die aus dem aufzustellen. Eines Tages ist ein armer Spielmann an Die Künstlerin Maria Peters (*1966 in zur Vermarktung. Die Hl. Hildegard italienischen Raum kommen; Fakt ist, dass sie in einer dieser Darstellungen vorbeigekommen, hat Tirol) nennt sich selbst eine Erzählerin. von Bingen ist jetzt vor allem Patro- Tirol und Südtirol eine beliebte Heilige, gerade für sich der traurigen Geschichte der Heiligen erinnert In ihren Arbeiten und Ausstellungen nin für Bio-Produkte, Mozart kann Frauenanliegen war und ihr zu Ehren ein Stück auf seiner Geige gespielt. collagiert sie Bilder und Texte zu räum- sich gegen Mozartkugeln nicht weh- Als Dank hat ihm die Kümmernis einen goldenen lich erfahrbaren Geschichten. ren und auch unsere Notburga wird Dieses kleine Bild vom Ende des 18. Jahrhunderts Schuh zugeworfen, den der arme Spielmann sicher touristisch für verschiedenartige stellt eine Heilige dar, die vielleicht nicht allen be- gerne genommen hat. Aber wie das Leben eben so Seit 2016 arbeitet Peters an einem Produkte genutzt, „benützt”." (zit. kannt ist. Es handelt sich tatsächlich um eine Heilige spielt: Er wurde verhaftet, des Diebstahls angeklagt Zyklus mit dem Titel Lost to regain – Herta Arnold, Ausstellung im Augus- und nicht um einen Heiligen, obwohl es auf den ers- und zum Tode verurteilt. Am Tag seiner Hinrichtung Die Suche nach dem Paradies und tinermuseum Rattenberg 2001) ten Blick so aussieht. Dargestellt ist hier die hl. Küm- hat man ihm dann gestattet, nochmals vor der hl. wieder zurück. In Episoden (ähnlich mernis, eine Heilige, die es in Wirklichkeit nie gege- Kümmernis zu spielen, und da hat sie ihm vor Zeu- einer TV-Serie oder einem Fortset- - Hl. Kümmernis: ihre Darstellung ben hat, deren Kult sich aber bis ins 14. Jahrhundert gen auch noch den 2. Schuh zugeworfen, wodurch zungsroman) erzählt sie die Lebens- wird oftmals (eigentlich zumeist) zurückverfolgen lässt. seine Unschuld bewiesen war. (zit. Augustinermuse- geschichten von 24 Frauenfiguren, mit Jesus Christus verwechselt; dar- um Rattenberg, H. Drexel) die nacheinander leben und die sich 26 PANOPTICA 2020 | KUNST PANOPTICA 2020 | KUNST 27
Sonderausstellung Lost to regain (Maria Peters), Augustinermuseum Rattenberg Foto: Maria Peters ihre Lebenserinnerungen mit Hilfe ei- ren Auftritt. Sie ist in Geschichte vernarrt und bereist nes Zaubers jeweils weitervererben. archäologische Stätten in Griechenland und Ägypten Der Erzählzeitraum umspannt dabei – die dabei entstandenen Bilder und Tagebuchblätter etwa 2000 Jahre und reicht vom 19. zeichnen ihre wichtigsten Lebensstationen nach. Jahrhundert bis ins Jahr 3968. Kommentare aus der Zukunft, gemalt und geschrie- Die Erinnerungen der Protagonistin- ben von Lieke/Nachfolgerin 22 aus dem Jahr 3675, nen dieser Geschichte werden mit Hil- ergänzen diese historischen Berichte. fe eines Zaubers von einer Figur auf die nächste weitergegeben, deshalb In einem ehemaligen Männerkloster sind, wie aus- bekommen alle Figuren neben einem geführt, auch Frauen präsent. Seien es nun heilige Namen auch die Bezeichnung „Nach- Frauen oder Objekte die für Frauenbelange inter- folgerin/Nummer XX”. Sie alle sind essant sind. Aktuelle Positionen, wie etwa von der künstlerisch tätig und Peters arbeitet Künstlerin Maria Peters, zeigen vielleicht Stilbrüche, für die Ausstellungen in unterschiedli- sind aber auch Kommentare zu weiblichen Lebens- chen Identitäten. welten und deren Interpretationen. Man kann also absolut Frau sein, um in ein Männerkloster und Sak- In „Dinner mit Odysseus” im Augusti- ralmuseum zu kommen … nermuseum hat nun Anastasija-So- phie/Nachfolgerin 01 ihren spektakulä- Sonderausstellung Lost to regain (Maria Peters), Augustinermuseum Rattenberg Foto: Maria Peters 28 PANOPTICA 2020 | KUNST PANOPTICA 2020 | KUNST 29
LAURA WEIDACHER – PORTRÄT EINER Laura Weidacher passt in keine Schublade. Sie ist ein kritischer, wacher Geist und fasziniert mit ihrem Mezzosopranistin – ein glorioser Kar- rierestart. Zudem: In dieser Zeit wird Esprit, ihrem ansteckenden Elan und ihrem Humor. Laura Weidacher zweifache Mutter. UNGEWÖHNLICHEN KÜNSTLERIN Kaum zu glauben, dass sie heuer 80 Jahre alt gewor- den ist. Sie heiratet 1969 den Kunstmaler Rudolf Buchli, ist nun schweizerisch- österreichische Doppelbürgerin und Anlässlich ihres 80. Geburtstages Das Forschungsinstitut Brenner-Archiv hat 2011 eine trägt den Namen Weidacher-Buchli. Sammlung übernommen, die Laura Weidachers Christine Riccabona und Verena Zankl künstlerisches Schaffen dokumentiert. In bislang Das normale Leben einer Doppelbelas- drei Kassetten werden Texte, Fotografien, Ausstel- tung aus Hausfrau/Mutter und Opern- lungsbroschüren, Konzepte zu Installationen und sängerin beginnt. Als sie das Angebot „Kunst-am-Bau”-Projekten sowie die Masterbänder eines Engagements an die Komische der Filmmitschnitte ihrer Liveperformances archi- Oper in Berlin wegen des damals gel- viert. Diese bieten die Gelegenheit, das Werk der tenden Schweizer Eherechts nicht an- Autorin, Fotografin, intermedialen Künstlerin und nimmt und sich für den Verbleib in der Performerin kennenzulernen oder vielmehr ihr ela- Familie entscheidet, bricht sie ihre Ge- boriertes, facettenreiches Sprach-, Kunst- und Me- sangskarriere schweren Herzens ab. dienwerk zu ‚entdecken‘. Im Rahmen eines Seminars Der Traum ist ausgeträumt. Dennoch der Universität Innsbruck ist 2012 eine erste Bache- bewirkt diese Lebensentscheidung ihre lorarbeit entstanden (Julia Schwarz, siehe Onlinele- produktivsten Jahre als Künstlerin in der xikon LiteraturTirol.at, Eintrag zu Laura Weidacher). Schweiz. In den 1970er-Jahren – an der Seite ihres Künstlerpartners, von dem Obwohl Laura Weidacher bereits seit 1961 in der sie sich 1985 trennen wird – beginnt sie Schweiz lebt, besucht sie ein- bis zweimal im Jahr zu schreiben, zu fotografieren, erste ihre Heimatstadt Innsbruck. Die feinsinnige Autorin Liveperformances zu realisieren, Hap- hat in der literarischen Gesellschaft des Turmbundes penings zu organisieren, sich an Aus- ein kulturelles Umfeld, eine „Oase”, eine „Heimat in der Heimat” gefunden, wie sie einmal geschrieben hat. Dass sie in der Schweiz eine künstlerische Kar- riere gemacht hat und bis heute aktive Kulturjourna- listin ist, dürfte in Tirol weniger bekannt sein. Laura Weidacher wird 1940 in Innsbruck geboren – ein Kriegskind. Ihr Vater ist der bekannte Musi- kerpoet Sepp Weidacher, die Familie wohnt in der Innsbrucker Hofburg mit Blick auf das Landestheater und den Leopoldsbrunnen. Laura Weidacher besucht in den ersten Nachkriegsjahren die Schule in St. Ni- kolaus und Hötting und erlebt trotz der schwierigen Nachkriegszeit eine glückliche Kindheit. Sie singt im Chor der Musikschule, besucht das Konservatorium, studiert Geige und Sologesang, erhält Schauspiel- unterricht und möchte Opernsängerin werden. Als junge Frau geht sie 21-jährig nach Basel zum – Laura Weidacher in der Rolle des Cherubino in Mozarts Oper „Le nozze die Fiagro”, Stadttheater St. Gallen, 1968 Foto: Sammlung Weidacher, Forschungsinstitut Brenner-Archiv selbst finanzierten – Gesangsstudium, 1967 schließt sie es ab, bekommt ein Stipendium für das Interna- Laura Weidacher: Palimpsest Orfeo. Acryl und tionale Opernstudio am Opernhaus Zürich und ein Gouache auf Papier, 1985 erstes Engagement am Opernhaus in St. Gallen als Foto: Sammlung Weidacher, Forschungsinstitut Brenner-Archiv 30 PANOPTICA 2020 | KULTUR PANOPTICA 2020 | KULTUR 31
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