KONZEPT: KUNST MINIMAL ART UND KONZEPTKUNST DER 1960ER JAHRE HANNAH HÖCH IN NÜRNBERG BADEN-WÜRTTEMBERG: DIE SAMMLUNG PRINZHORN - Kulturstiftung ...
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Das Magazin der Kulturstiftung der Länder 4 2016 KONZEPT: KUNST MINIMAL ART UND KONZEPTKUNST DER 1960ER JAHRE HANNAH HÖCH IN NÜRNBERG BADEN-WÜRTTEMBERG: DIE SAMMLUNG PRINZHORN
EDITORIAL Farbe, Idee statt Werk, Idee ist Werk. Wo alles nichts war, konnte nichts alles sein: Alles war Kunst, was in den Anspruch versetzt wurde, Kunst zu sein. Konzept als Kunst Nun stand die Kunstgeschichtsschreibung – wie mancher Künstler oder Galerist – vor der Hausforde rung, Begriffe zu finden für etwas, das sich nicht be greifen lassen wollte: Minimal Art, Land-Art, Fluxus, Performance oder Happening? Konzept statt Kunst? Also „Konzeptkunst“? Ein Zentrum dieses Umsturzes, der heute längst in sich wieder historisch ist, lag im Rheinland, wo visio näre Sammler, Museumsleiter, Kuratoren oder Galeris ten früh die Zeichen dieser Zeit erkannten, oft gegen erbitterten öffentlichen Widerstand. Um so glücklicher ist die Kulturstiftung der Länder, dass es uns gelun gen ist, mit der Sammlung der legendären Galeristen Dorothee und Konrad Fischer eine frühe und hochbe deutende Kollektion von Konzeptkunst für das Rhein Isabel Pfeiffer-Poensgen, Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder land sichern zu können – Grund genug, den Themen schwerpunkt der Dezemberausgabe von Arsprototo einem Blick zurück auf diese Pioniere der Avantgarde Liebe Leserin, lieber Leser, zu widmen. Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien eine schöne Kunstgeschichte ist, wie jede Geschichtsschreibung, Weihnachtszeit und einen ebensolchen Jahreswech eine Hilfskonstruktion. Sie versucht zu ordnen, zu sor sel und empfehle Ihnen in unserer Länder-Reihe über tieren, zu gruppieren; sie wählt aus und scheidet aus, große Sammler ab Seite 54 den Artikel über den „An sie entdeckt und vergisst. Namenlosem gibt sie Namen. sammler“ Hans Prinzhorn, dessen heute weltbekannte Das Ergebnis sind die Ismen, die wir alle kennen, und Sammlung zu seiner Zeit ebenfalls die Frage aufwarf, von denen wir glauben, sie bauten aufeinander auf, ent was Kunst war und was nicht: Prinzhorn sammelte wickelten sich linear. Das eine, so scheint es, folgt auf Kunst von Psychiatriepatienten. wie durch das andere: Strenges folgt stets auf Bewegtes, Klassizismen auf Barockes, Realismen auf Idealismen, Ihre Avantgarde auf Rückbesinnung, die ihrerseits wiede rum als Avantgarde firmiert. Und in der Tat ist viel von all dem aus der Rückschau richtig: Die Dinge sortieren sich. Doch dann schlug mit dem Zweiten Weltkrieg gleichsam die Stunde Null – auch für diese Form der Kunst und Kunstgeschichte. 1945 schien alles aufge hoben. Auf das Primat des abstrakten Expressionismus und des Informel, das die Jahre nach dem Krieg be stimmt hatte, folgte die wohl radikalste Umwälzung, die das Publikum wie auch die Kunstgeschichte bis dato zu verarbeiten hatten. Jenseits von Geschmacksfragen hatte es jahrhundertelang zumindest Konsens gege ben über die Frage, was Kunst war und was nicht, was ein Bild, was eine Plastik. Doch jetzt schickte sich eine neue Generation von Künstlerinnen und Künstlern an, Die Go ldsc h mied e K.C . D e c k e lt e r r i n e u n d e i n Pa a r S a u c i e r e n a u s diesen Konsens aufzukündigen. H erm a n n u n d L . B ühre r dem Hofsilber des Königreiches Württemberg Alles, was früher oder später Ordnung in das komp le t t ie r t en n ac h 1 8 4 4 Kunstschaffen und dessen Bewertung gebracht hatte, Si l b er, i n n en ve rgolde t da s Tafelsilbe r d e s stand auf dem Prüfstand: Eigenhändigkeit und Per wür ttem bergisc h e n H o fe s, Stuttgart und Ludwigsburg, um 1845/46 manenz, Ästhetik und Originalität, Bild und Abbild. Bruce Nauman, Vino Rosso, 1987, n a c h Ent w ü r fe n d e r Gew i c ht zu s.: 8.550 g Stattdessen: Flüchtigkeit statt Ewigkeit, Serialität statt 61 × 50,9 cm; Kunstsammlung Nord- Londo n e r Ma n u fa k tur Einzigartigkeit, Produkt statt Schöpfung, Weiß statt rhein-Westfalen Mo r t ime r u n d Hunt . G alerie N eus e Kuns thandel G mb H , Ac him N eus e Vo lker Wurster ARSPROTOTO 4 2016 3 Co ntres c arp e 1 4 , 2 8 2 03 Bremen, Tel. : 042 1 3 2 56 42 , w w w. galerie neuse .com
AUTOREN IMPRESSUM INHALT 1960er Jahre, als – in den USA beginnend – die Kunst sich konzeptuell neuen Ansätzen Arsprototo Das Magazin der Kulturstiftung der Länder 3 EDITORIAL TITELTHEMA KONZEPTKUNST zuwandte. Wie definierten Gilbert & George, Lützowplatz 9, 10785 Berlin Bruce Nauman, Richard Long, On Kawara oder eben Konrad Fischer die Kunst um und was machten sie anders, fragt Imdahl. Und Telefon 030 - 89 36 35-0 Fax 030 - 8914251 Redaktion 030 - 89 36 35-27 E-Mail arsprototo@kulturstiftung.de 4 8 AUTOREN / IMPRESSUM ROSSE BUHNE G 20 KEINE EXPERIMENTE? wie brachten Dorothee und Konrad Fischer Internet www.kulturstiftung.de die Werke der Künstler von Minimal Art, von Max Beckmann Aktionskunst oder Land-Art nach Deutsch Herausgeberin Isabel Pfeiffer-Poensgen, land? Und ins Museum: Die über Jahrzehnte Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder zusammengetragene Sammlung des Ehepaars Projektleitung Dr. Stephanie Tasch 10 „DIE POESIE“ UND gelangte jetzt nebst umfangreichem Archiv in Chefredakteurin Carolin Hilker-Möll „ERZENGEL MICHAEL“ die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Geschäftsführender Redakteur Johannes Fellmann Düsseldorf. ––– Seite 26 Redaktionelle Mitarbeit Jenny Berg, Elisa Kaiser, von Moritz von Schwind REGINA WYRWOLL Carolin Kohl Wie entwickelte sich nach dem Startschuss Senior Editor Dieter E. Beuermann Consulting Editor Dr. Philipp Demandt 12 FISCHSAURIERFOSSILIEN documenta 2 die fruchtbare, von jungen Galeristen, mutigen Museumsleuten und Konzeption und Gestaltung Stan Hema mit AUS POSIDONIENSCHIEFER avantgardistischen Künstlern geprägte reiche Vladimir Llovet Casademont, www.stanhema.com Kunstszene an Rhein und Ruhr, fragt Regina Vertriebsleitung, Abonnement, Internet Johannes Fellmann 14 S ONETTENKRANZ Wyrwoll, von 2001 bis 2011 Generalsekre tärin der Kunststiftung NRW in Düsseldorf. Anzeigen Jenny Berg, Telefon 030 - 89 36 35-21 von Heinrich Heine Die Kunsthistorikerin, langjährige Kulturkor Dr. Ursula Boekels (Zeit Kunstverlag), respondentin für art, Süddeutsche Zeitung, Telefon 040 - 3280-1633 aspekte (ZDF) in NRW, Chefredakteurin von 15 „ZARATHUSTRA“-HANDEXEMPLAR „Kunst Intern“ und ab 2002 Herausgeberin Abonnements Arsprototo – Abonnementservice, von Peter Gast der Reihe „Synergien Energien“, die sich mit Bessemerstraße 51, 12103 Berlin der Kunstentwicklung in Nordrhein-West E-Mail abo@kulturstiftung.de falen seit den 1960er Jahren beschäftigt, beschreibt für Arsprototo in Schlaglichtern MICHAEL LADENBURGER Telefon 030 - 89 36 35-29 Fax 030 - 26 55 56‑71 Jahresabonnement: 20 Euro 16 EISENKUNSTGUSS den Siegeszug US-amerikanischer Avant Erscheinungsweise Viermal jährlich aus der Sammlung Ewald Barth gardekunst im Rheinland. Welche politische Was macht Beethoven, wenn er gerade mal Erscheinungstermin dieser Ausgabe: 8.12.2016 Relevanz erlangten Fluxus-Aktionen von nicht Symphonien komponiert? Er wirft Gedruckte Auflage dieser Ausgabe: 16.000 Bazon Brock, Wolf Vostell und Joseph Beuys beispielsweise seine Haushälterin raus, weil sie krank wurde. Außerdem hatte sie auch Nachdruck von Bildern und Artikeln, auch oder Kunst-Festivals in Aachen? Wie misch noch den Spinat falsch zubereitet. Kurzer auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung ten junge Kuratoren mit Happenings den hand engagiert Beethoven eine der besten der Redaktion. etablierten Ausstellungsbetrieb in Köln auf? Köchinnen Wiens. Dafür spart der Kompo Litho Mega-Satz-Service, Berlin Und welche Rolle spielten vermögende Herstellung Buch- und Offsetdruckerei Sammler beim Kunsttransfer zwischen New nist beim Verschicken von Streichquartetten Wie Minimal Art und Konzeptkunst eifrig Porto: Woher weiß Michael Laden H. Heenemann GmbH & Co., Berlin York und Krefeld? ––– Seite 20 Vertrieb OML KG , Berlin ins Rheinland kamen burger, Kustos im Beethoven-Haus in Bonn, ISSN 1860 - 3327 — von Regina Wyrwoll diese erstaunlichen Details aus dem Alltag des äußerst musikalischen Junggesellen? Der Arsprototo erscheint mit Unterstützung des FISCHERS Sammlungsleiter ergattert seit Jahren nicht Freundeskreises der Kulturstiftung der Länder. nur kostbare Handschriften der weltbekann 26 ten Kompositionen, ihm gelingen auch Kulturstiftung der Länder Stiftung bürgerlichen Rechts FRIENDS immer wieder Erwerbungen, die ein neues Licht auf einen Komponisten werfen, den Lützowplatz 9, 10785 Berlin man längst zu kennen glaubt. Für Arsprototo Telefon 030 - 89 36 35-0 Fax 030 - 89 14 251 lenkt Ladenburger diesmal den Blick auf E-Mail kontakt@kulturstiftung.de Beethovens alltägliche Sorgen, wenn der Internet www.kulturstiftung.de Generalsekretärin Isabel Pfeiffer-Poensgen Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen nahezu taube und äußerst misstrauische Komponist aus Angst, vom Personal betrogen Stellv. Generalsekretär Prof. Dr. Frank Druffner in Düsseldorf erwirbt die Sammlung von zu werden, beispielsweise pingelig täglich die Dezernenten Dr. Britta Kaiser-Schuster, Dorothee und Konrad Fischer ausgegebenen Kerzen abzählt – und das auf Dr. Stephanie Tasch — von Georg Imdahl Notizzetteln festhält. ––– Seite 38 Leiterin der Verwaltung Erika Lancelle GEORG IMDAHL Finanzbuchhalterin Angela Neumann-Bauermeister Kein „spießiger Händler“ sei er gewesen, der Sekretariat Gabriele Lorenz, Monika Michalak Galerist Konrad Fischer. Eher Künstler, fand Titelbild: Robert Assistentin des Vorstands Jenny Berg Carl Andre, der 1967 mit berühmt gewor Mangold, Column Structure XVI, 2007, Informationsgemeinschaft zur Feststellung denen Bodenplatten als erstem Kunstwerk 304,8 × 243,8 cm; der Verbreitung von Werbeträgern e.V. Fischers Galerie in Düsseldorf eröffnete. Der über Martin Heideggers Frühwerk promo Kunstsammlung vierte und an der Kunstakademie Münster Nordrhein-Westfalen lehrende Kunstkritiker Georg Imdahl wirft für Arsprototo einen Blick zurück in die 4 ARSPROTOTO 4 2016 5
INHALT 36 DOPPELTE RUINEN LÄNDERPORTRÄT BADEN-WÜRTTEMBERG Helfen Sie mit: Im Schloss Bruchsal in Baden- Württemberg brauchen zwei Landschaftsgemälde Ihre Unterstützung 54 SCHWEISSWUNDER 38 GENIE UND ALLTAG UND AUSDRUCKS Das Bonner Beethoven-Haus erwirbt ein rares Doppelblatt mit Notizen von Ludwig NIEDERSCHLÄGE van Beethoven — von Michael Ladenburger 44 DADA UND DANACH 14 Gemälde, Aquarelle und Collagen Der Kunsthistoriker, Mediziner und Sammler Hannah Höchs bleiben in Nürnberg Hans Prinzhorn in Heidelberg — von Uta Baier — von Johannes Fellmann 60 KUNST UND KULTUR IN DEN LÄNDERN 50 ENRY MOORE — IMPULS FÜR EUROPA H Das LWL-Museum für Kunst und Kultur in 64 F RISCHZELLENKUR FÜR SANATORIUMSMÖBEL Münster rückt einen der wichtigsten Bildhauer Der Freundeskreis der Kulturstiftung der Länder des 20. Jahrhunderts in den Fokus half bei der Restaurierung von Jugendstilmöbeln im Berliner Bröhan-Museum 52 NEUE BÜCHER 66 S CHÖN IM DEPOT 53 SPENDEN / ABONNIEREN / BILDNACHWEIS Nicole Fritz über ein Gemälde von Asger Jorn im Depot des Kunstmuseums Ravensburg 6
ERWERBUNGEN Der Künstler Trübsinn und Schaffensdrang gingen gen richtet der 21-Jährige 1905 in Berlin werte Einheit hat. Mich Beckmann dem zivilisatorischen Eingriff des Men Max Beckmann, Große Buhne, 1905, während Max Beckmanns Paris-Aufent ein Atelier ein und erlebt ein Jahr später vorgestellt und ihm gratuliert“, schrieb schen und der Natur, mit dem Men 80 × 159,5 cm; Museum der bildenden halt 1903/04 eine Allianz ein: „Wenn mit dem Gemälde „Junge Männer am der legendäre Kunstsammler und Publi schen als winzigem Statisten. Die „Große Künste Leipzig als junger ich nicht im Café oder im Bett bin male ich Bilder von 5,5 × 4 m Größe. Kurzum Meer“ bei der Ausstellung des Deutschen Künstlerbundes den Durchbruch: „Sig zist Harry Graf Kessler. Mit der „Großen Buhne“ war 1905 bereits ein Meeres Buhne“ markiert Beckmanns Entwick lung zum eigenständigen Künstler. Das Förderer dieser Erwerbung: Mann benehme ich mich wie es für einen genialen Menschen recht und billig ist.“ Inspiration durch die Großen der franzö norellisch und mit Qualitäten von Cour bet und Cézanne, aber doch von starker Eigenheit im Rhythmus der Akzente und motiv entstanden: Pastos der Farbauf trag, rhythmisch die Pinselhiebe – Beck mann inszeniert das extreme Querformat Museum der bildenden Künste Leipzig konnte das wichtige frühe Werk nun dauerhaft erwerben, nachdem es zuvor Kulturstiftung der Länder, Ernst von Siemens Kunststiftung, Gerhard und Margit Merkel sischen Malerei inklusive. Nach Umwe in der Tonalität, die eine bewunderns als bildnerische Konfrontation zwischen als Leihgabe die Sammlung bereicherte. 8 9
KUNST AUF LAGER KARTONS VOLLER POESIE Eine Leier im Arm schreitet die geflügelte Poesie über eine Wolke, entblößt dabei anmutig ihr linkes Bein. Mütterlich beäugt sie drei Putti zu ihren Füßen, die, versehen mit Architekturmodell, Farbpalette und antiker Theatermaske, nebst der übergroßen Poesie für die weiteren Künste Architektur, Malerei und Theater stehen. Die Nähe zwischen Lyrik und Musik unterstreichend, führt die engelsgleiche Dichtkunst liebevoll einen vierten Putto mit Geige und Schal- meien an der Hand. Moritz von Schwind (1804 –1871) entwirft seine Personifikation der Poesie als ein empyreisches Wesen, das er in Kohle und Kreide erdet: In Größe und Schönheit lässt er sie die anderen Kunstfor- men überragen, zeichnet sie jedoch zugleich als Mutter der Künste und somit als einen- des Element. Der bedeutende Spätroman tiker Schwind legte seine Allegorie der „Poesie“ wie die gleichfalls großformatige Kohle- und Kreidezeichnung „Erzengel Michael“ als Karton an – eine Entwurfs- zeichnung, die dem eigentlichen Werk vorausgeht: Während der Karton, der Michael als Bezwinger des Teufels darstellt, nachgewiesenermaßen als Vorlage für ein verschollenes Ölbild diente, skizziert die Interpretation der Poesie mutmaßlich die Grundidee für ein Fresko. Mit dem An- spruch, selbst Vorzeichnungen zu eigen ständigen Kunstwerken zu erheben, führte der in Wien geborene Maler und Zeichner Schwind die beiden Kartons mit größter Sorgfalt aus. Über die Jahre haben die fragilen Papierbögen, die zum Kernbestand der Graphischen Sammlung des Kultur historischen Museums Magdeburg gehören, stark gelitten: Schwinds zarte Linien und Schraffuren verblassten unter Verschmut- zungen und Wasserflecken, frühere Repara- turen von Rissen im Bildträger hinterließen auf den Motiven störende Makel. Mit Hilfe des von der Kulturstiftung der Länder mitgetragenen Restaurierungsbündnisses „Kunst auf Lager“ fanden „Die Poesie“ und „Erzengel Michael“ zu ihrer einstigen Wirkungskraft zurück: Dank aufwendiger Reinigungen, sorgfältiger Retuschen und einer Neuspannung der Papierbögen kön- nen Schwinds großformatige Kartons nun in Magdeburg wieder öffentlich präsentiert werden. Moritz von Schwind, Die Poesie, um 1860, 217 × 95 cm (links); Erzengel Michael, vor 1848, 170 × 115 cm (rechts); Kultur- historisches Museum Magdeburg 10
KUNST AUF LAGER Dass wir heute die Überreste von Fisch lung des Staatlichen Museums für Natur frisst. Ganze Knochen können so aus „Kunst auf Lager“. Die urzeitlichen uniter (die frühere Bezeichnung Stenopte- sauriern bestaunen können, die vor 182 kunde in Stuttgart. Umso ärgerlicher, den Fossilplatten herausbrechen. Um Bewohner der Schieferplatten können rygius crassicostatus ist heute wissenschaft- Millionen Jahren die Erde bevölkerten, dass die Fossilien häufig Opfer des ge diesen Prozess aufzuhalten, wurden nun wieder gefahrlos der Öffentlichkeit lich nicht mehr gültig), 182 Millionen FRISCHER haben wir den Konservierungskräften der Natur zu verdanken. Im Jura durch fährlichen sogenannten Pyrit-Zerfalls werden: Bei Kontakt mit Wasser und nun sieben besonders angegriffene Fisch saurierfossilien fachmännisch gereinigt präsentiert werden und uns die Welt vor unserer Zeit veranschaulichen. Jahre alt (Jurazeit), 372 × 152 cm, Fundort: Holzmaden, Baden-Württem- FISCH Faulschlamm entstanden, gehören Fossil Sauerstoff – schon zu hohe Luftfeuchtig und imprägniert. Die Kulturstiftung der berg; Staatliches Museum für Naturkunde platten aus Posidonienschiefer deshalb keit reicht aus – entsteht aggressive Länder unterstützte die Restaurierungs Schieferplatte mit einem Exemplar der Stuttgart zu den wertvollsten Objekten der Samm Schwefelsäure, die sich in das Fossil arbeiten im Rahmen des Bündnisses seltenen Fischsaurierart Stenopterygius 12 ARSPROTOTO 4 2016 13
ERWERBUNGEN ERWERBUNGEN die Verteilung des vierten Bandes unter strikter Ge heimhaltung. Heute ist nur noch der Verbleib weniger Bissiges Buch verschenkter Drucke bekannt. Schon deshalb handelt es sich bei dem jüngst von der Klassik Stiftung Weimar erworbenen Handexemplar des – unter dem Pseudo nym Peter Gast tätigen – Komponisten und Schriftstel Es beeinflusste die politische Ideologie des 20. Jahrhun lers Heinrich Köselitz (1854 –1918) um ein spektaku derts wie kaum ein anderes Werk und war doch zu läres Zeugnis. Einzigartige Bedeutung aber gewinnt nächst ein Ladenhüter: 1883 und 1884 im Chemnitzer dieser Druck durch ein beiliegendes Blatt mit bislang Verlag E. Schmeitzner erschienen, verkauften sich die unbekannten eigenhändigen Korrekturen Friedrich ersten drei Bände von Friedrich Nietzsches (1844 – Nietzsches, die den im Text vorgenommenen Verände 1900) „Zarathustra“ gerade einmal in 60 bis 70 Exem rungen seines Freundes zugrunde liegen. Das kostbare plaren. Sein aufwühlendes philosophisches Traktat über Ensemble aus der Sammlung Max Dregers ergänzt den Übermenschen Zarathustra stieß auf Unverständnis somit künftig nicht nur Nietzsches wie Gasts Nachlass – selbst bei seinen ihm sonst gewogenen Lesern. Den im Goethe- und Schiller-Archiv der Klassik Stiftung vierten und letzten Teil empfand Nietzsche als noch Weimar, sondern verspricht darüber hinaus wertvolle radikaler und so entschied er sich 1885 für einen Aufschlüsse über die Entstehung eines der wichtigsten Privatdruck des Manuskripts – in einer Auflage von philosophischen Werke des 19. Jahrhunderts. nur 40 Stück. Ergänzt durch den Hinweis „Für meine Freunde und nicht für die Öffentlichkeit“ – und teil Förderer dieser Erwerbung: weise mit handschriftlichen Widmungen wie „Ein Kulturstiftung der Länder, Beauftragte der verbotenes Buch, Vorsicht es beißt!“ versehen –, erfolgte Bundesregierung für Kultur und Medien gesellschaftlichen Leben der Metropole, Anspielungen auf Personen, Moden und „DOCH LÄCHLE über die Heinrich Heine (1797–1856) in dieser Zeit schreibt: „Berlin ist gar keine Geistesströmungen Heines enge Verbindun- gen zum Varnhagen-Kreis und seine enge NUR!“ Stadt, sondern Berlin gibt bloß den Ort dazu her, wo sich eine Menge Menschen, und zwar darunter viele Menschen von Verflechtung mit den Protagonisten der deutsch-jüdischen Kultur, mit der jüdischen Aufklärung und Assimilation. Geist, versammeln, denen der Ort ganz Hegel schickte ihr Pralinen in die Loge, gleichgültig ist.“ Förderer dieser Erwerbung: Heinrich Heine schwärmte von der „Cou- Über die alle begeisternde „Rike“ schreibt Kulturstiftung der Länder, Beauftragte der sine der Venus von Milo“, Alexander von der junge Dichter: „Sie vereinigt in sich die Bundesregierung für Kultur und Medien Humboldt lag der jungen Frau zu Füßen: Jokaste und die Julia, das Antikste und das Friederike Robert, geb. Braun (1795 –1832) Modernste!“ Und schwärmt: „Madame, galt als „schönste Schwäbin ihrer Zeit“ und Sie sind die Schönste aller Frauen!“ Der verzauberte zahlreiche Geistesgrößen in Student widmet der Angehimmelten den den Berliner Salons des Biedermeier. Doch „Sonettenkranz an Friederike Robert, geb. den erfreulichen Jahren Friederike Roberts Braun“ und übersendet im Mai 1824 eine in Berlin waren düstere vorangegangen: eigenhändige Fassung des Gedichts in Obwohl der Vater ihr noch eine für die sorgfältiger Schönschrift. Den aus drei damalige Zeit ungewöhnlich gute Schul Sonetten bestehenden „Kranz“ veröffent- bildung ermöglicht hatte, gab er Friederike lichte Heinrich Heine in einer überarbeite- 17-jährig dem italienischen Schmuckhänd- ten Version erst 12 Jahre später unter dem ler Giambattista Primavesi zur Frau. Jahre- Titel „Friedrike“ in seinen „Neuen Gedich- lang tingelte sie mit ihm über die Jahr- ten“. Im Urtext besingt der Dichter Friede- märkte. Als die Geschäfte immer schlechter rike mit christlicher Metaphorik: „… Doch liefen, soll der skrupellose Primavesi seine lächle nur! Denn wenn du lächelst, greifen / Gattin Friederike sogar zur Prostitution Die Engel droben nach der Harf, und gezwungen haben. Aus den Fängen des singen / Des Halleluja dröhnenden Choral.“ Zuhälter-Ehemannes kaufte die verzweifelte Nun kommt das einmalige biographische Friederike schließlich ihr zukünftiger, Dokument aus der Frühzeit seines Schaffens zweiter Mann frei, der Schriftsteller und in das Archiv des Düsseldorfer Heinrich- Wilhelm Hensel, Friederike Robert, Journalist Ludwig Robert, Bruder der Heine-Instituts, der Forschungseinrichtung, 1823 romantischen Schriftstellerin Rahel Varnha- die die weltweit umfangreichste Sammlung gen, die viele Jahre einen berühmten Salon an schriftlichen Zeugnissen des „letzten in Berlin führte. Kurz nach der Eheschlie- Dichters der Romantik“ bewahrt. Die ßung zog das Paar 1824 nach Berlin, Friede- Handschrift schließt nicht nur eine Lücke rike Robert avancierte innerhalb weniger in der historisch-kritischen Werkedition, Wochen zur vielverehrten Protagonistin im sondern illustriert mit ihren zahlreichen 14 ARSPROTOTO 4 2016 15
KUNST AUF LAGER Dessau 24.02. - 12.03.2017 EISERN GESAMMELT KURT WEILL 25 Jahre König Friedrich Wilhelm III. von Preu- Nils Ulrich Tukur Landgren ßen (1770 –1840) und seine Gemahlin Angelika Luise von Preußen (1776 –1810) erstrah- Aurelia Kirchschlager Shimkus len in neuem Glanz: Die lebensgroßen eisernen Büsten – aus dem Besitz des RevolutionäR ! Dessauer Zahnarztes Ewald Barth Kurt Weill (1898 –1968) – rücken nach aufwendiger Restaurierung wieder in das Licht der Öffentlichkeit. Während des Zweiten Weltkriegs im Zerbster Schloss in Sicher- heit geglaubt, wurde die einst 1.800 Russische Avantgarde aus der Objekte umfassende Privatsammlung 1945 unter Schutt und Asche begraben. Sammlung Vladimir Tsarenkov Erst Jahre später gelang Ewald Barth die Rettung seiner Schätze aus den Ruinen 11.12.2016 – 12.3.2017 des Schlosses. Die Restaurierung aus Luther, Weill 400 Werke von 110 Künstlern gewählter Exemplare des mit großer Leidenschaft zusammengetragenen & Mendelssohn 1907 – um 1930 Großzügig gefördert von Konvoluts gelang mit Unterstützung des Erleben Sie unter dem Motto „Luther, Weill & Mendelssohn“ unvergessliche Festivalmomente Freundeskreises der Kulturstiftung der in Dessau, Wörlitz, Wittenberg, Halle und Magdeburg und feiern Sie mit uns den 25. Geburts- tag des Kurt Weill Fest. Das Festspielangebot reicht vom Solo-Konzert über Orchesterkonzer- Länder im Rahmen der Initiative „Kunst Kunstsammlungen Chemnitz te bis zu den großen Bühnen-Werken Kurt Weills und seiner Zeitgenossen. Sichern Sie sich auf Lager“. Über die königlichen Mo- die besten Plätze und lassen Sie sich begeistern für Kurt Weill, seine Musik und seine Zeit. delle hinaus legt die Ausstellung die Theaterplatz 1 | 09111 Chemnitz | www.kunstsammlungen-chemnitz.de Vielseitigkeit des Materials überzeugend dar: Neben Schmuck, Statuetten und Tel. 0341 . 14 990 900 www.kurt-weill-fest.de Abb.: Alexander Deineka, Baseball, 1935, Vladimir Tsarenkov’s Collection, London © VG Bild-Kunst, Bonn 2016 Büsten nach Entwürfen bedeutender Künstler wie Christian Daniel Rauch oder Karl Friedrich Schinkel gehören gefördert durch die auch Gebrauchs- und Ziergegenstände Arsprototo Russ Avantgarde final.indd 3 10.11.1 wie Vasen und Plaketten aus Eisen dazu. In Umfang und Vielfalt ohne Vergleich, galt Ewald Barths Eisenkunstguss-Samm- lung bereits zu ihrer Entstehungszeit als die bedeutendste ihrer Art in Deutsch- land. Die unikale Sammlung wird nun im Dessauer Museum für Stadtgeschichte präsentiert. Aus der Eisenkunstguss-Sammlung von Ewald Barth: je v.l.n.r. Standuhr, um 1820 –30; Wilhelm August Stilarsky, Der digitale Kunstführer Warwick-Vase, Nachguss nach 1840; Erdmann Theodor Kalide, Reiterstatuette des Kronprinzen Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, 1830; Christian Daniel Rauch, Büste des Friedrich Wilhelm III. für das Ruhrgebiet von Preußen, 1816; Wilhelm August Stilarsky nach Christian Daniel Rauch, Büste der Königin Luise von Preußen, 1818; Viktoria-Statuette (Teil eines ursprünglich vierarmigen Leuchters), um 1820 –30; Museum für Stadtgeschichte Dessau 16 www.kunstgebiet.ruhr
Regina Wyrwoll über Konzeptkunst und Minimal Art TITELTHEMA KONZEPTKUNST im Rheinland der 1960er Jahre — Seite 20 AVANTGARDE Georg Imdahl über die Sammlung von Dorothee und Konrad Fischer für die Kunstsammlung Nordrhein- Westfalen — Seite 26 UND AKTION Blick in die Ausstellung „Wolke & Kristall. Die Sammlung Dorothee und Konrad Fischer“ in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen / K20. Vorne: Richard Long, Circle for Konrad, 1997, Durchmesser 660 cm; Hinten v.l.n.r.: Robert Mangold, Column Structure XVI, 2007, 304,8 × 243,8 cm; Robert Mangold, Irregular Blue Gray Area with a Drawn Ellipse # 2, 1986, 228,6 × 189,2 cm; Frank Stella, Delphine and Hippolyte, 1959, 230,5 × 334,8 × 7,9 cm (nicht Teil der Sammlung Fischer); Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen 18 ARSPROTOTO 4 2016 19
TITELTHEMA KONZEPTKUNST sie endlich, die zweite Avantgarde – nach radikal auf aktuelle Kunst – nicht zuletzt der Verfemung der ersten durch die aus Kostengründen – und verursachte Nazis! Dieser Begriff aus der Militärspra damit auch überregional widerhallende che, der sich als „Vorhut“ (mit Feindbe Skandale wie bereits 1961 mit einer KEINE EXPERIMENTE? rührung) übersetzen lässt, kennzeichnete Ausstellung von Yves Klein im zu den die folgenden Jahrzehnte wie kein zwei Krefelder Museen gehörenden Haus ter. Er ließ sich – je nach Sichtweise – Lange. auf die spröde Konzeptkunst eines Carl Andra Lauffs-Wegner, eine der sechs Andre oder Sol LeWitt, auf die Fluxus- Töchter des Unternehmers Walter Lauffs, Wie Konzeptkunst und Minimal Art ins Rheinland kamen Arbeiten eines Joseph Beuys wie auf erinnert sich: Ein Artikel von Hans von Regina Wyrwoll die dem realen Leben abgeschaute und Strelow vom 22. Dezember 1967 in „Die marktfreundliche Pop-Art eines Roy Zeit“ über Paul Wember – interessanter Lichtenstein oder Andy Warhol, sogar weise betitelt mit „Keine Experimente“, auf Film und Video anwenden. Die hohe obwohl er das Engagement des Krefelder Aktivität der rheinischen Kunstszene und Museumsdirektors für die Avantgarde Installationsansicht von Joseph Beuys’ ihrer Akteure, mit angefeuert durch die zum Thema hatte – begeisterte ihren „Schmerzraum“ in der Düsseldorfer Mutter- Ey-Straße 5, Dezember 1983. Bereits im Studenten und einen Teil der Professoren Vater so sehr, dass er Kontakt zu Wem Frühjahr 1983 hatte Beuys die neuen der Düsseldorfer Kunstakademie, ließ ber aufnahm. Daraus entwickelte sich Galerieräume von Dorothee und Konrad die „Kunstfamilie“ sich rasch vermehren Wembers langjährige Beratung der Fischer mit „Dumme Kiste“ eröffnet und führte zu der weltweit bis heute Familie Lauffs: „Nur ganz selten hat und die oberen Stockwerke und damit einzigartigen Vielzahl von Museen und mein Vater etwas eigenständig gekauft.“ auch unversehens auf die Plätze verwies: Ausstellungshäusern für zeitgenössische Etwa 500 Werke der aktuellen Kunst, Heftige interne Auseinandersetzungen Kunst an Rhein und Ruhr. meist Hauptwerke, wie sich später her sowie Besucherreaktionen auf den US- Im Europa der 1960er Jahre stehen ausstellte, wurden zusammengetragen Import waren die Folge. im Wesentlichen sechs Orte und sieben und im Krefelder Museum ohne vertrag Doch waren die Frische und Energie Namen für die Avantgarde: in Luzern liche Bindung über 40 Jahre immer dieser Kunst – radikale Experimente mit Jean-Christophe Ammann, in Bern wieder ausgestellt. Andra Lauffs-Wegner Material, Form und Format, zeitbezo Harald Szeemann, in Amsterdam Wil hat im Krefelder Museum ihre Initiation gene Künste wie Performance oder Film / lem Sandberg und später Wim Beeren, als Sammlerin erfahren: „Wenn man zu Video, Op-Art, Pop-Art, Minimal Art, in Kopenhagen Knud W. Jensen, in Wember gefahren ist, kam man immer Konzeptkunst, Land-Art, die nach und Stockholm Pontus Hultén und später in glücklich nach Hause, richtig beglückt! nach ins Rheinland kamen – nicht zu Eindhoven Rudi Fuchs. In Deutschland, Jede Eröffnung war ein Ereignis.“ Julian übersehen. Einige Museumsdirektoren genauer gesagt im Rheinland, ragte früh Heynen, stellvertretender Direktor des (und mit ihnen eine noch überschaubare eine charismatische und weit über die Krefelder Museums unter Wembers Anzahl von Künstlern, Galeristen, Grenzen strahlende Figur heraus: Paul Nachfolger Gerhard Storck und danach Kunstkritikern und Sammlern) reagier Wember, von 1947 bis 1975 Direktor viele Jahre Kurator der Kunstsammlung ten mit einer gewissen Zeitverzögerung, des Kaiser-Wilhelm-Museums in Krefeld. NRW, erinnert sich: „Paul Wember ist Konrad Fischer und Carl Andre während der Eröffnung der Galerie „Ausstellungen bei Konrad Fischer“ in der dann aber doch entschieden: Hier war Er setzte von Beginn seiner Amtszeit an nicht viel gereist, denn bis man damals Düsseldorfer Neubrückstraße 12 am 21.10.1967. Vorne rechts Carl Andres Werk „5 × 20 Altstadt Rectangle“ eine Dienstreise von der Stadt genehmigt bekommen hat, dauerte es lange. Außer D ie 60er Jahre des vergangenen Réalistes als Zentrum der Nachkriegs- sekretär der documenta 2, berichtet, dem war Wember Kriegsinvalide. Er Jahrhunderts waren nicht gerade Kunstwelt gefeiert, doch nun machten übernahmen die Verantwortlichen fuhr alle paar Jahre nach Paris. Sein arm an gesellschaftlichen Um zunehmend US-amerikanische Künstler Arnold Bode und Werner Haftmann un- erster Kontakt im Rheinland war [der brüchen – auf den Straßen der großen und eine junge Künstlergeneration im gesehen ein kostenlos angeliefertes und Galerist] Alfred Schmela.“ Wember Universitätsstädte revoltierten die Stu Rheinland von sich reden. Sie wandten vom Museum of Modern Art in New nutzte im Laufe der Jahre die sich schnell denten („Macht kaputt, was Euch kaputt sich von der Malerei ihrer Lehrer ab, York, kuratiertes Konvolut mit Werken entwickelnde Galerienlandschaft des macht!“), die englische Pop-Musik füllte probierten jenseits von Leinwand und von Künstlern wie Jackson Pollock, Mark Rheinlands: Haus Lange wurde 1969 Fußballstadien mit innovativer Musik klassischer Skulptur neue Formate und Rothko und Robert Rauschenberg. mit der legendären Ausstellung „Live in und kreischenden Fans und in der bil Techniken aus und entwarfen Visionen Wegen der unerwarteten Größe dieser your Head – When Attitude Becomes denden Kunst stellte eine neue Künstler einer Einheit von Kunst und Leben. Bilder – Zwirner musste gestehen, dass er Form“ von Harald Szeemann wiederer generation die Ästhetik des Informel in 1959 erschien zum ersten Mal auf ihre Maße nicht überprüft hatte – konn öffnet, bei der viele Künstler der beiden Frage und verbannte sie auf die Schreib der großen Bühne der documenta 2 in ten sie nur im Erdgeschoss des Museum Galerien Konrad Fischer und Rolf Ricke tische der Kunsthistoriker. Paris wurde Kassel aktuelle US-amerikanische Kunst, Fridericianum präsentiert werden, was vertreten waren. seit Ende des Zweiten Weltkrieges mit ein Auftritt mit Folgen. Wie der spätere die eher kleinformatige Kunst aus den Auch die beiden anderen Museen, der École de Paris und den Nouveaux Galerist Rudolf Zwirner, damals General anderen Ländern in die Nebenräume Kasper König 1966 in New York. Als Vermittler von Kunst und Künstlern nach die entschieden für die deutsche Avant Europa hatte er Dorothee und Konrad Fischer von Anfang an beraten 20 ARSPROTOTO 4 2016 21
garde und für die junge Künstlergenera Geste in die Höhe hielt – fotografiert nen war die Haltung Ruhrbergs, die tion von der Ostküste der USA eintra von Heinrich Riebesehl und als Ikone Museen nicht zu zerstören, wie die ten, standen in der rheinischen Provinz, eingegangen in die Kunstgeschichte. Studenten es forderten, sondern für neue in Mönchengladbach und Leverkusen: Wobei bis heute die Frage unbeantwortet Aufgaben zu öffnen. Johannes Cladders, ab 1957 Assistent ist, warum Beuys das Kreuz mit sich Auch Sammler suchten die Öffent von Paul Wember und von 1967 bis führte. lichkeit: 1968 zeigte der Schokoladen 1985 Direktor des Mönchengladbacher Auch der eher traditionelle Ausstel fabrikant und promovierte Kunsthistori Kunstmuseums, nach dem Neubau lungsbetrieb führte zu gehöriger öffent ker Peter Ludwig aus Aachen unter dem umbenannt in Museum Abteiberg, und licher Empörung wie Harald Szeemanns Titel „Kunst der sechziger Jahre“ zum die beiden Direktoren von Museum von der Stadt Köln beauftragte Ausstel ersten Mal seine rasch wachsende Kollek Schloss Morsbroich in Leverkusen, Udo lung „Happening und Fluxus“ von 1970 tion aktueller Kunst mit viel US-ameri Kultermann von 1959 bis 1964, gefolgt (Teilnehmer: Joseph Beuys, Günther kanischer Pop-Art, aber auch Franzosen von Rolf Wedewer von 1965 bis 1995. Brus, Alan Kaprow, Charlotte Moorman, und Deutschen, im dortigen Suermondt- Sie machten ihre Museen neben Krefeld Otto Mühl, Hermann Nitsch, Ben Museum, 1969 dann mit ungleich für die kommenden Jahre zu deutschen Vautier und Wolf Vostell) im Kölnischen größerem und nachhaltigem Erfolg im Zentren für Konzeptkunst, Minimal Art Kunstverein, die massenhafte Vereinsaus Kölner Wallraf-Richartz-Museum. und später Arte Povera, wobei „Konzept tritte zur Folge hatte. Diesen Erfolg verdankte Ludwig unter kunst“ durchaus weitherzig ausgelegt Im Rheinland entstanden im Zuge Joseph Beuys beim „Festival der Neuen Kunst“ an der anderem dem Katalog zur Ausstellung, wurde und aufsteigende regionale Mata der gesellschaftlichen und künstlerischen Technischen Hochschule Aachen, nachdem er vom den er von Wolf Vostell gestalten ließ dore wie Joseph Beuys, Sigmar Polke Umwälzungen neue Institutionen: 1968 Faustschlag eines Besuchers im Gesicht getroffen und der in fünf Auflagen seinen Sieges wurde, 1964 und Gerhard Richter einschloss. Sie alle gründete Klaus Honnef, Kunstkritiker zug durch die internationale Kunstwelt hatten, wie es Karl Ruhrberg einmal bei den Aachener Nachrichten, mit dem antrat – den Vertrieb hatte Ludwig dem beschrieb, nicht nur keine Scheu, son Wirt Will Kranenpohl und der Künstle späteren Kunstbuchhändler und Verleger dern im Gegenteil große Lust daran, sich rin Rune Mields den Verein „Zentrum Walther König übertragen. Im Jahr zuvor „mit dem erschütterten Museumsbegriff, für aktuelle Kunst – Gegenverkehr e.V.“, hatte an gleicher Stelle der Chefrestaura dem erschütterten Kunstbegriff und dem der bis 1972 existierte und sich ganz der tor der Kölner Museen, Wolfgang Hahn, erneuerten gesellschaftlichen Verständnis zweiten Avantgarde verpflichtet hatte. mit seiner vorbildhaften internationalen von Kunst“ in direkter Kooperation mit Es wurden Undergroundfilme gezeigt, Sammlung ein erfolgreiches Gastspiel den Künstlern zu beschäftigen. So klein Gerhard Richter hatte 1969 dort seine gegeben. die Museen waren, sie wollten an die erste Einzelausstellung, Eat Art von Und zeitgleich erschienen schließlich Spitze der Kunstentwicklung in West Daniel Spoerri und Pin-Up Girls von auch Galerien neuen Typs, die eine deutschland. Marianne Stockebrand, Mel Ramos fanden ihren Weg in die Schlüsselrolle in der Öffnung des Rhein ehemalige wissenschaftliche Assistentin Grenzstadt. Zeitweise hatte der Verein Installationsansicht der Ausstellung “Live in Your landes hin zu amerikanischer Kunst und Head – When Attitudes Become Form” in der Kunst- am Krefelder Museum, erinnert sich 500 zahlende Mitglieder. Honnef und halle Bern 1969, kuratiert von Harald Szeeman. Die dem Einzug von Minimal Art, Konzept gern an die besondere Atmosphäre jener Mields zogen weiter an den Kunstverein Ausstellung machte im selben Jahr Station im Museum kunst und der ihnen verwandten Arte Jahre: „Wir waren damals keine Kon in Münster, wo sie ihr radikales Pro Haus Lange in Krefeld sowie am Institute of Contem- Povera mit Mario Merz und Jannis porary Arts in London. Zu sehen sind Werke von kurrenten, im Gegenteil, man war froh, gramm fortsetzten. Alighiero Boetti, Mario Merz, Richard Artschwager, Kounellis an den Rhein übernahmen: wenn sich auch andere mit den Künst 1967 eröffnete die Städtische Kunst Robert Morris, Bruce Nauman und Barry Flanagan 1967 eröffnete der Künstler Konrad lern unserer Avantgarde beschäftigten. halle in Düsseldorf und im gleichen Lueg als Konrad Fischer mit seiner Frau Grundriss der „Prospect 71: Projection“ in der Kunsthalle Düsseldorf mit Zuordnung der Wir mochten halt die spröde Kunst Jahr eine weitere in Köln. Diese Häuser Art“ eröffnete, gab es lautstarken Protest Dorothee seinen ersten Ausstellungsraum Künstler. Die dritte Ausstellung der „Prospect“-Reihe zeigte über 110 Positionen in Form von Filmen, Videos, Diapositiven und Fotografien, 1971 lieber als Pop oder marktgängige sollten keine eigene Sammlung auf von Studenten gegen die „elitäre Kunst“, „Ausstellungen bei Konrad Fischer“ in Arbeiten.“ bauen, sondern hatten stattdessen den darunter auch von Jörg Immendorff, der Düsseldorf mit einer Präsentation von Die politisch an Bedeutung gewach Auftrag, Ausstellungen losgelöst vom einem anderen Künstler Honig in die Carl Andre. Anfang 1968 kam der sene Virulenz der künstlerischen Akti Museumsbetrieb zu machen oder, wie in Haare pumpen wollte. Ruhrberg erin Galerist Rolf Ricke aus Kassel nach Köln vitäten und Aktionen, auch die Fluxus- Köln, den städtischen Museen die nötige nerte sich in einem Interview mit Uwe und eröffnete mit Jasper Johns. Den Veranstaltungen mit Bazon Brock, Wolf Ausstellungsfläche bereit zu stellen. Karl M. Schneede kurz vor seinem Tod 2006: jungen Schallplattenhändler hatten die Vostell und Joseph Beuys führten zu teils Ruhrberg, erster Direktor der Düssel „Ich war damals noch Mitglied des documenta 1, insbesondere aber die spektakulären Konfrontationen. Erinnert dorfer Kunsthalle, vorher Journalist Boxrings Düsseldorf und stand auf der documenta 2 mit den schon erwähnten sei an die Attacke auf Beuys während des und zeitweise Operndramaturg mit Treppe […]. Und dann habe ich gesagt: Arbeiten von Pollock, Rothko und „Festivals der Neuen Kunst“ 1964 an Ausgleichssport Boxen, geriet mit dem ‚Immendorff, die Garderobe ist da un Rauschenberg so elektrisiert, dass er fast der Aachener Technischen Hochschule, damals von vielen Künstlern als architek ten!‘ Ich hätte ihm auch eine gelangt. täglich die Ausstellung besucht und sie als der Faustschlag eines Zuschauers bei tonisch völlig ungeeignet abgelehnten Das hat er gemerkt. Und da ist er brav systematisch durchfotografiert hatte. Beuys ein Nasenbluten auslöste und brutalistischen Gebäude zwischen die die Treppe herunter gegangen und hat Die Galerien Fischer und Ricke dieser geistesgegenwärtig aus der Tasche Fronten. Als er 1969 die aus Den Haag die Honigpumpe abgegeben.“ Stein des verband bei allen Unterschieden eins: Installationsansicht der „Prospect 71: Projection“. Mit der Konzentration auf ein Kreuz zog und mit deklamatorischer übernommene Ausstellung „Minimal Anstoßes und vieler hitziger Diskussio die Leidenschaft für aktuelle, noch nicht das junge Medium Video machten die beiden Organisatoren Konrad Fischer und Hans Strelow die neuesten Tendenzen der Avantgarde für ein breites Publikum zugänglich, 1971 22 ARSPROTOTO 4 2016 23
rie bis heute treu. Thomas Kellein kons tatierte 2010: „Seine legendäre Wirkung manifestierte sich zusammengefasst darin, dass er in der rheinischen Kunst szene für viele Jahre nach 1967 – ver gleichbar nur mit Joseph Beuys – der wahrscheinlich wichtigste Wegweiser für die tragfähigen künstlerischen Richtun gen war.“ Und Friedrich Meschede, Nachfolger von Kellein als Direktor der Kunsthalle Bielefeld, ergänzt: „Man muss sich klar machen, dass Konrad Fischer über die Jahre erfolgreich mit drei ver Blick in die Ausstellung „Prospect 68“, Kunsthalle Düsseldorf, 1968 schiedenen Künstlergenerationen gear beitet hat, eine seltene Leistung!“ Fischer starb 1996, seine Frau Dorothee führte die Galerie bis zu ihrem Tod 2015 wei ter, seither leitet Tochter Berta Fischer die Galerie, inzwischen mit einer Depen dance in Berlin. Rolf Ricke hatte auf andere Weise Glück: Der Industrielle und Sammler Hans Joachim Etzold aus Moers am Niederrhein gab ihm im Dezember 1964 rund 16.000 DM (damals 4.000 Dollar), um in New York für ihn amerikanische Konrad Lueg, Sigmar Polke, Blinky Palermo und Gerhard Richter Pop-Graphik einzukaufen, wie sie Etzold vor der Galerie Heiner Friedrich in Köln, 1967 bei Paul Wember im Krefelder Haus Lange gesehen hatte. Ricke konnte im den Kunstmarkt zu profitieren. Das Dies war der Start für die Medien- und eine Art Vorschau auf die kommenden Januar 1965 einen Exklusivvertrag für Terrain vorbereitet hatten ihnen in Videokunst in Deutschland. Zwirner Ausstellungen der beteiligten Galerien den Europavertrieb mit der legendären Düsseldorf seit 1957 hauptsächlich die und Stünke, die beide nur wenig Geld geben. Damit lag der Schwerpunkt auf Dorothee und Konrad Fischer mit Bruce Nauman, 1989 Tatjana Grossmann abschließen, die Galeristen Jean-Pierre Wilhelm (der mit ihren Galerien verdienten, gründeten der Qualität der einzelnen Werke und damals sämtliche Graphiken für die seine „Galerie 22“ allerdings schon 1960 1966 mit 16 Galerien den „Verein pro weniger auf deren Vermarktbarkeit, was durchgesetzte Kunst, hohe Risikobereit erarbeiteten die Ausstellung meist vor Pop-Künstler druckte. Es gelang ihm, aufgab) und Alfred („Vatta“) Schmela. gressiver deutscher Kunsthändler“ und schließlich 1973 auch das Ende von schaft und überaus schmale finanzielle Ort. Diese herzliche Gastfreundschaft alle Wünsche Etzolds zu erfüllen, der In Köln waren es Hein Stünke mit der veranstalteten 1967 mit ihnen den ersten „Prospect“ besiegelte. Immerhin: Die Mittel. Konrad Fischer hatte als Künstler machte in der New Yorker Kunstszene ihm die Arbeiten für eine Ausstellung in Galerie „Der Spiegel“, die sich seit 1945 Kölner Kunstmarkt. Der damalige Köl nationale und internationale Resonanz eine Antenne für Künstler und ihre schnell von sich reden – sie war das erste seiner Kasseler Galerie überließ – da sie zum wichtigsten künstlerischen Diskurs ner Kulturdezernent Kurt Hackenberg war sowohl beim Kölner Kunstmarkt wie Bedürfnisse. Aber er hatte auch einen und vielleicht wichtigste Kapital für bereits verkauft waren, hatte Ricke kein ort in Köln entwickelt hatte, und später überließ ihnen die „Wohnstube“ Kölns, auch bei „Prospect“ überwältigend. guten Freund: Kasper König lebte zu der Dorothee und Konrad Fischer, wobei Risiko. 1967 begann er, wie Harald Rudolf Zwirner, der 1962 aus Essen nach den Gürzenich – die traditionsreiche Damit hatte sich das Rheinland mit Zeit in New York und kannte sich bes sein immer waches und begabtes Marke Szeemann es ausdrückte, „das Abenteuer Köln umgezogen war. Flankiert wurden Festhalle in der Kölner Altstadt. Es Hilfe unterschiedlichster Akteure inner tens aus. Er verdiente sich seinen Unter tingtalent für seine Künstler bald große mit der Objekt- und Prozesskunst“ mit diese ersten Wegbereiter von der Wup wurde ein durchschlagender Erfolg: In halb weniger Jahre nach der Initialzün halt als Scout und Vermittler von Kunst Erfolge erzielte. einer Ausstellung von Gary Kuehn, die pertaler „Galerie Parnass“ des Architek vier Tagen kamen rund 15.000 Besucher, dung der documenta 2 als wichtigster und Künstlern nach Europa und umge In den ersten beiden Jahren reali – wie viele spätere in Köln – vor Ort in ten Rudolf Jährling, die sich seit 1949 und es wurden 1,5 Millionen Mark Standort der US-amerikanischen Avant kehrt. Da Fischer vorerst aus finanziellen sierte Fischer bereits 25 Ausstellungen Kassel entstand. Ricke, der seine guten bis zu ihrer Schließung 1965 radikal den umgesetzt. garde in Deutschland etabliert; ein Gründen nicht reisen konnte, aber durch in der kleinen Galerie in der Neubrück Beziehungen nach New York so eifrig aktuellen Entwicklungen in Frankreich Die Düsseldorfer Antwort blieb Kunsttransfer, der nicht ohne Folgen für Kunstzeitschriften gut informiert war, straße 12, einem elf Meter langen und pflegte wie sein Düsseldorfer Kollege und Deutschland verschrieben hatte und nicht aus: Konrad Fischer, der vom die Entwicklung des Kunstmarktes und bat er König, ihm zu helfen. Er bot ihm kaum drei Meter breiten Tordurchgang. Fischer, wurde zum Galeristen von seit dem Beginn der sechziger Jahre mit Kölner Verein abgelehnt worden war, der Rezeption der Künstler in den Verei sogar eine Teilhaberschaft an, die König Die meisten waren Erstpräsentationen Richard Serra, James Rosenquist, Keith ihren Happening- und Fluxus-Veranstal zeigte in der Düsseldorfer Kunsthalle nigten Staaten blieb. Die Galerie Fischer aber ausschlug. Jahrelang war gerade in Deutschland: Richard Artschwager, Sonnier, Bill Bollinger, von den Deut tungen Kunstgeschichte schrieb: Nam 1968 zusammen mit dem damaligen erscheint in diesem Kapitel deutsch-ame genug Geld für den Hin- und Rückflug Richard Long, Hamish Fulton, Dan schen Michael Buthe, Ulrich Rückriem June Paik veranstaltete dort 1963 als Kunstkritiker und späteren Galeristen rikanischer Kunstgeschichte als eine der der Künstler vorhanden; für das karge Flavin, Jan Dibbets, Bruce Nauman, und anderen. Pop-Art verkaufte er jahre erste Einzelausstellung seine „Exposition Hans Strelow „Prospect 68“, eine von zentralen Schnittstellen dieses transat restliche Budget war Dorothee Fischers Panamarenko, Hanne Darboven, Law lang an Peter Ludwig, der ihn aber of Music – Electronic Television“, bei der externen Fachleuten jurierte Verkaufsaus lantischen Austauschs. Gehalt als Lehrerin unverzichtbar. Die rence Weiner und viele mehr. Obwohl er verließ, als Ricke sich der Konzeptkunst sich Joseph Beuys, überraschend für alle, stellung mit internationalen Galerien, ersten Jahre wohnten die Künstler bei keine Verträge mit den Künstlern schloss, zuwandte. Rolf Ricke ging zur Wende einmischte und mit einer Axt und einem die wie eine Avantgarde-Kunstausstel den Fischers, wurden gut versorgt und blieben die meisten von ihnen der Gale 1967/68 nach Köln, um vom aufstreben Paar Schuhe ein Piano zertrümmerte. lung auftrat. Man wollte mit „Prospect“ 24 ARSPROTOTO 4 2016 25
TITELTHEMA KONZEPTKUNST FISCHERS FRIENDS Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf erwirbt die umfangreiche Sammlung des Ehepaars Dorothee und Konrad Fischer von Georg Imdahl Bruce Nauman, Setting a Good Corner (Allegory & Metaphor), 1999, Video-Still; Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen C ontemporary art is postconceptual art“ – ebenso zwar nicht per se obsolet wurden – doch sahen sich die einfach wie einleuchtend hat Peter Osborne defi Künstler nicht mehr als Maler, Bildhauer, Zeichner, niert, was unter zeitgenössischer Kunst zu verstehen vielmehr entwickelten sie für jede Setzung eine jeweils sei. Der britische Philosoph weist der Konzeptkunst eigene Form und bedienten sich, wenn erforderlich, eine zentrale Bedeutung zu: Was immer heute als nur mehr nach Bedarf des einzelnen Genres. zeitgenössisch gelten kann, hat demnach den Konzep So filmt Bruce Nauman die nächtliche Atmosphäre tualismus der 1960er Jahre wie einen Katalysator in seinem verwaisten Atelier oder richtet die Video durchlaufen und hinterfragt sich, im Sinne des Kon kamera auf sich selbst, als er auf seiner texanischen zeptualismus, als Kunst selbstkritisch. In jenen 60er Ranch einen Zaun errichtet: „Setting a Good Corner Jahren wurde in der Tat noch einmal grundsätzlich neu (Allegory & Metaphor)“. Was immer der Künstler tut, verhandelt, was überhaupt als Kunst zu gelten habe. und sei es eine alltägliche Verrichtung wie jene, ein Aus einer tradierten Geltung heraus sollte sie sich nicht paar Pfosten in den Boden zu rammen, Draht dazwi mehr begründen, womit Malerei, Skulptur, Zeichnung schen zu spannen und ein Tor einzuhängen – es wird kunstwürdig bzw. wird selbst zur Kunst. Douglas Huebler bietet als Kunstwerk ein Zertifikat zum Kauf. Hanne Darboven legt ausführliche, hermetische Archive an, Stanley Brouwn stellt einen Karteikarten schrank aus Metall mit 1001 Karten aus. Die Sammlung Dorothee und Konrad Fischer verkörpert den konzeptuellen Aufbruch in der Kunst der 1960er Jahre in solchen exemplarischen Werken und Werkgruppen. Wie ein Scheinwerfer richtet sie sich auf die entscheidenden Jahre und hält prägende Momente in einer – auch persönlich motivierten – Auswahl fest. Das Konvolut entstand in der Ausein andersetzung und oft auch in jahrelangen Freundschaf On Kawara, NOV.3, 1996, 1996, aus Today Series (1966 – 2013), 20,5 × 25,5 × 4,5 cm; ten mit den Künstlern der Galerie. Keineswegs basiert Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen sie auf einer orthodoxen Vorstellung zeitgenössischer Bruce Nauman, burning small fires, 1968, Künstlerbuch mit Fotoaufnahmen, 31,8 × 24,1 cm; Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen 26 ARSPROTOTO 4 2016 27
Carl Andre, Copper-Magnesium Alloy Square, 1969, 1 × 200 × 200 cm, Platten je 1 × 20 × 20 cm; Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen Kunst; den offenen, künstlerischen Geist verbürgen auch er mit einer eigenwilligen deutschen Ausprägung unterschiedliche Ansätze wie jene eines Robert Ryman, der Pop-Art gegen einen hehren, utopisch-modernis der die Malerei auf ihre ureigenen Bedingungen ab tischen Anspruch von Malerei gestichelt, indem er klopfte, nämlich als Ding an der Wand mit allen seinen Putzlappen, Geschenkpapiere, Handtücher und Tisch Bestandteilen, bis zur Aktionskunst von Gilbert & decken zum Motiv machte. Während er solche Muster George im Zeichen einer Kunst für alle. Besonders in aber in seiner eigenen Malerei bald als ausgeschöpft den frühen Jahren – um 1970 – zeichnet sich die sah, erkannte er das serielle Prinzip in der Minimal Art Sammlung durch Klarheit und Stringenz aus, wobei als substanzielle Option – allen voran bei Carl Andre, sich die untrügliche Intuition für Qualität fraglos auch dem Künstler, mit dem er im Oktober 1967 seine aus der Tatsache herleiten lässt, dass Konrad und Galerie eröffnete und so eine enge freundschaftliche Dorothee Fischer beide Künstler waren. „You are a fine Verbindung von Galerist und Künstler eingehen sollte. fellow, an artist, not a stuffy dealer“, hat der Künstler Jenes „5 × 20 Altstadt Rectangle“ mit hundert Platten Carl Andre zu Konrad Fischer bemerkt: Der sei ein aus Walzstahl (siehe Abb. S. 20), das das Publikum mit Kollege, ein Künstler, kein spießiger Händler. der Minimal Art konfrontierte, eliminierte nicht nur Fischer verfügte über einen besonderen sechsten jegliches plastische Volumen der Skulptur, es unterlief Sinn, als es darum ging, die Relevanz neuer Ansätze darüber hinaus auch die üblichen Erwartungen an wahrzunehmen. In den frühen 1960er Jahren hatte Kunst – für viele Galeriebesucher war sie als solche gar nicht erkennbar, wenn sie das Ensemble der Boden platten in der Galerie in der Düsseldorfer Altstadt betraten. Man müsse seinen Geist verarmen lassen: Das sei echte Befreiung, befand Andre. Sie führte ihn dazu, „Materialien der Gesellschaft in einer Form zu verwen den, in der sie die Gesellschaft nicht verwendet“. Mit Hanne Darboven, Lohn- / Gehaltsliste für Monat Juli 1.–31., 25.7.1968, der am Boden sich ausbreitenden Fläche wie in der 1968, 50,5 × 45,5 × 2,5 cm; Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen frühen Arbeit „Copper-Magnesium Alloy Square“ von 1969 schuf Andre einen eigenen Typus flacher Skulp tur, mit der er auf die in den Himmel aufragende „Endlose Säule“ von Constantin Brâncuși aus dem Jahr Gilbert & George, Great Expectations, 1972, 41× 66,5 × 2,5 cm; 1937 reagierte. Den Raum der Skulptur hatte Andre Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen regelrecht „herausgepresst“, wie die Kunsthistorikerin 28 ARSPROTOTO 4 2016 29
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