KONZEPT: KUNST MINIMAL ART UND KONZEPTKUNST DER 1960ER JAHRE HANNAH HÖCH IN NÜRNBERG BADEN-WÜRTTEMBERG: DIE SAMMLUNG PRINZHORN - Kulturstiftung ...

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KONZEPT: KUNST MINIMAL ART UND KONZEPTKUNST DER 1960ER JAHRE HANNAH HÖCH IN NÜRNBERG BADEN-WÜRTTEMBERG: DIE SAMMLUNG PRINZHORN - Kulturstiftung ...
Das Magazin der
Kulturstiftung der
Länder
4 2016

                     KONZEPT:
                     KUNST
                     MINIMAL ART UND KONZEPTKUNST
                     DER 1960ER JAHRE

                                           HANNAH HÖCH IN
                                                NÜRNBERG
                                      BADEN-WÜRTTEMBERG:
                                            DIE SAMMLUNG
                                                PRINZHORN
KONZEPT: KUNST MINIMAL ART UND KONZEPTKUNST DER 1960ER JAHRE HANNAH HÖCH IN NÜRNBERG BADEN-WÜRTTEMBERG: DIE SAMMLUNG PRINZHORN - Kulturstiftung ...
EDITORIAL                                                    Farbe, Idee statt Werk, Idee ist Werk. Wo alles nichts
                                                                                                                                                                                                                         war, konnte nichts alles sein: Alles war Kunst, was in
                                                                                                                                                                                                                         den Anspruch versetzt wurde, Kunst zu sein.
                                                                                                                                                            Konzept als Kunst                                                 Nun stand die Kunstgeschichtsschreibung – wie
                                                                                                                                                                                                                         mancher Künstler oder Galerist – vor der Hausforde­
                                                                                                                                                                                                                         rung, Begriffe zu finden für etwas, das sich nicht be­
                                                                                                                                                                                                                         greifen lassen wollte: Minimal Art, Land-Art, Fluxus,
                                                                                                                                                                                                                         Performance oder Happening? Konzept statt Kunst?
                                                                                                                                                                                                                         Also „Konzeptkunst“?
                                                                                                                                                                                                                              Ein Zentrum dieses Umsturzes, der heute längst in
                                                                                                                                                                                                                         sich wieder historisch ist, lag im Rheinland, wo visio­
                                                                                                                                                                                                                         näre Sammler, Museumsleiter, Kuratoren oder Galeris­
                                                                                                                                                                                                                         ten früh die Zeichen dieser Zeit erkannten, oft gegen
                                                                                                                                                                                                                         erbitterten öffentlichen Widerstand. Um so glücklicher
                                                                                                                                                                                                                         ist die Kulturstiftung der Länder, dass es uns gelun­
                                                                                                                                                                                                                         gen ist, mit der Sammlung der legendären Galeristen
                                                                                                                                                                                                                         Dorothee und Konrad Fischer eine frühe und hochbe­
                                                                                                                                                                                                                         deutende Kollektion von Konzeptkunst für das Rhein­
                                                                                                                                             Isabel Pfeiffer-Poensgen,
                                                                                                                                             Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder                             land sichern zu können – Grund genug, den Themen­
                                                                                                                                                                                                                         schwerpunkt der Dezemberausgabe von Arsprototo
                                                                                                                                                                                                                         einem Blick zurück auf diese Pioniere der Avantgarde
                                                                                                                                                            Liebe Leserin, lieber Leser,                                 zu widmen.
                                                                                                                                                                                                                              Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien eine schöne
                                                                                                                                                            Kunstgeschichte ist, wie jede Geschichtsschreibung,          Weihnachtszeit und einen ebensolchen Jahreswech­
                                                                                                                                                            eine Hilfskonstruktion. Sie versucht zu ordnen, zu sor­      sel und empfehle Ihnen in unserer Länder-Reihe über
                                                                                                                                                            tieren, zu gruppieren; sie wählt aus und scheidet aus,       große Sammler ab Seite 54 den Artikel über den „An­
                                                                                                                                                            sie entdeckt und vergisst. Namenlosem gibt sie Namen.        sammler“ Hans Prinzhorn, dessen heute weltbekannte
                                                                                                                                                            Das Ergebnis sind die Ismen, die wir alle kennen, und        Sammlung zu seiner Zeit ebenfalls die Frage aufwarf,
                                                                                                                                                            von denen wir glauben, sie bauten aufeinander auf, ent­      was Kunst war und was nicht: Prinzhorn sammelte
                                                                                                                                                            wickelten sich linear. Das eine, so scheint es, folgt auf    Kunst von Psychiatriepatienten.
                                                                                                                                                            wie durch das andere: Strenges folgt stets auf Bewegtes,
                                                                                                                                                            Klassizismen auf Barockes, Realismen auf Idealismen,             Ihre
                                                                                                                                                            Avantgarde auf Rückbesinnung, die ihrerseits wiede­
                                                                                                                                                            rum als Avantgarde firmiert. Und in der Tat ist viel von
                                                                                                                                                            all dem aus der Rückschau richtig: Die Dinge sortieren
                                                                                                                                                            sich.
                                                                                                                                                                 Doch dann schlug mit dem Zweiten Weltkrieg
                                                                                                                                                            gleichsam die Stunde Null – auch für diese Form der
                                                                                                                                                            Kunst und Kunstgeschichte. 1945 schien alles aufge­
                                                                                                                                                            hoben. Auf das Primat des abstrakten Expressionismus
                                                                                                                                                            und des Informel, das die Jahre nach dem Krieg be­
                                                                                                                                                            stimmt hatte, folgte die wohl radikalste Umwälzung,
                                                                                                                                                            die das Publikum wie auch die Kunstgeschichte bis dato
                                                                                                                                                            zu verarbeiten hatten. Jenseits von Geschmacksfragen
                                                                                                                                                            hatte es jahrhundertelang zumindest Konsens gege­
                                                                                                                                                            ben über die Frage, was Kunst war und was nicht, was
                                                                                                                                                            ein Bild, was eine Plastik. Doch jetzt schickte sich eine
                                                                                                                                                            neue Generation von Künstlerinnen und Künstlern an,
    Die Go ldsc h mied e K.C .            D e c k e lt e r r i n e u n d e i n Pa a r S a u c i e r e n a u s                                               diesen Konsens aufzukündigen.
   H erm a n n u n d L . B ühre r      dem Hofsilber des Königreiches Württemberg                                                                                Alles, was früher oder später Ordnung in das
komp le t t ie r t en n ac h 1 8 4 4                                                                                                                        Kunstschaffen und dessen Bewertung gebracht hatte,
                                                                                                          Si l b er, i n n en ve rgolde t
         da s Tafelsilbe r d e s                                                                                                                            stand auf dem Prüfstand: Eigenhändigkeit und Per­
wür ttem bergisc h e n H o fe s,               Stuttgart und Ludwigsburg, um 1845/46                                                                        manenz, Ästhetik und Originalität, Bild und Abbild.
                                                                                                                                                                                                                                       Bruce Nauman, Vino Rosso, 1987,
       n a c h Ent w ü r fe n d e r                                                                         Gew i c ht zu s.: 8.550 g                       Stattdessen: Flüchtigkeit statt Ewigkeit, Serialität statt                 61 × 50,9 cm; Kunstsammlung Nord-
     Londo n e r Ma n u fa k tur                                                                                                                            Einzigartigkeit, Produkt statt Schöpfung, Weiß statt                       rhein-Westfalen
       Mo r t ime r u n d Hunt .

                                                            G alerie N eus e Kuns thandel G mb H , Ac him N eus e Vo lker Wurster                           ARSPROTOTO 4 2016                                                                                                 3
                                                Co ntres c arp e 1 4 , 2 8 2 03 Bremen, Tel. : 042 1 3 2 56 42 , w w w. galerie neuse .com
KONZEPT: KUNST MINIMAL ART UND KONZEPTKUNST DER 1960ER JAHRE HANNAH HÖCH IN NÜRNBERG BADEN-WÜRTTEMBERG: DIE SAMMLUNG PRINZHORN - Kulturstiftung ...
AUTOREN                                                                                          IMPRESSUM                                           INHALT
                                                1960er Jahre, als – in den USA beginnend –
                                                die Kunst sich konzeptuell neuen Ansätzen
                                                                                                 Arsprototo
                                                                                                 Das Magazin der Kulturstiftung der Länder
                                                                                                                                                     3      EDITORIAL                      TITELTHEMA KONZEPTKUNST
                                                zuwandte. Wie definierten Gilbert & George,      Lützowplatz 9, 10785 Berlin
                                                Bruce Nauman, Richard Long, On Kawara
                                                oder eben Konrad Fischer die Kunst um und
                                                was machten sie anders, fragt Imdahl. Und
                                                                                                 Telefon 030 - 89 36 35-0 Fax 030 - 8914251
                                                                                                 Redaktion 030 - 89 36 35-27
                                                                                                 E-Mail arsprototo@kulturstiftung.de
                                                                                                                                                     4

                                                                                                                                                     8
                                                                                                                                                            AUTOREN / IMPRESSUM

                                                                                                                                                             ROSSE BUHNE
                                                                                                                                                            G
                                                                                                                                                                                           20
                                                                                                                                                                                             	 KEINE
                                                                                                                                                                                                EXPERIMENTE?
                                                wie brachten Dorothee und Konrad Fischer         Internet www.kulturstiftung.de
                                                die Werke der Künstler von Minimal Art,                                                                     von Max Beckmann
                                                Aktionskunst oder Land-Art nach Deutsch­         Herausgeberin Isabel Pfeiffer-Poensgen,
                                                land? Und ins Museum: Die über Jahrzehnte        Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder
                                                zusammengetragene Sammlung des Ehepaars          Projektleitung Dr. Stephanie Tasch                  10    „DIE
                                                                                                                                                               POESIE“ UND
                                                gelangte jetzt nebst umfangreichem Archiv in     Chefredakteurin Carolin Hilker-Möll                       „ERZENGEL MICHAEL“
                                                die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in         Geschäftsführender Redakteur Johannes Fellmann
                                                Düsseldorf. ––– Seite 26                         Redaktionelle Mitarbeit Jenny Berg, Elisa Kaiser,          von Moritz von Schwind
REGINA WYRWOLL                                                                                   Carolin Kohl
Wie entwickelte sich nach dem Startschuss                                                        Senior Editor Dieter E. Beuermann
                                                                                                 Consulting Editor Dr. Philipp Demandt
                                                                                                                                                     12     FISCHSAURIERFOSSILIEN
documenta 2 die fruchtbare, von jungen
Galeristen, mutigen Museumsleuten und                                                            Konzeption und Gestaltung Stan Hema mit                    AUS POSIDONIENSCHIEFER
avantgardistischen Künstlern geprägte reiche                                                     Vladimir Llovet Casademont, www.stanhema.com
Kunstszene an Rhein und Ruhr, fragt Regina                                                       Vertriebsleitung, Abonnement, Internet
                                                                                                 Johannes Fellmann
                                                                                                                                                     14     S ONETTENKRANZ
Wyrwoll, von 2001 bis 2011 Generalsekre­
tärin der Kunststiftung NRW in Düsseldorf.                                                       Anzeigen Jenny Berg, Telefon 030 - 89 36 35-21              von Heinrich Heine
Die Kunsthistorikerin, langjährige Kulturkor­                                                    Dr. Ursula Boekels (Zeit Kunstverlag),
respondentin für art, Süddeutsche Zeitung,                                                       Telefon 040 - 3280-1633
aspekte (ZDF) in NRW, Chefredakteurin von
                                                                                                                                                     15    „ZARATHUSTRA“-HANDEXEMPLAR
                                                                                                                                                           
„Kunst Intern“ und ab 2002 Herausgeberin                                                         Abonnements Arsprototo – Abonnementservice,                von Peter Gast
der Reihe „Synergien Energien“, die sich mit                                                     Bessemerstraße 51, 12103 Berlin
der Kunstentwicklung in Nordrhein-West­                                                          E-Mail abo@kulturstiftung.de
falen seit den 1960er Jahren beschäftigt,
be­schreibt für Arsprototo in Schlaglichtern    MICHAEL LADENBURGER
                                                                                                 Telefon 030 - 89 36 35-29 Fax 030 - 26 55 56‑71
                                                                                                 Jahresabonnement: 20 Euro
                                                                                                                                                     16     EISENKUNSTGUSS
                                                                                                                                                            
den Siegeszug US-amerikanischer Avant­                                                           Erscheinungsweise Viermal jährlich                  		     aus der Sammlung Ewald Barth
gardekunst im Rheinland. Welche politische      Was macht Beethoven, wenn er gerade mal          Erscheinungstermin dieser Ausgabe: 8.12.2016
Relevanz erlangten Fluxus-Aktionen von          nicht Symphonien komponiert? Er wirft            Gedruckte Auflage dieser Ausgabe: 16.000
Bazon Brock, Wolf Vostell und Joseph Beuys      beispielsweise seine Haushälterin raus, weil
                                                sie krank wurde. Außerdem hatte sie auch         Nachdruck von Bildern und Artikeln, auch
oder Kunst-Festivals in Aachen? Wie misch­
                                                noch den Spinat falsch zubereitet. Kurzer­       auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung
ten junge Kuratoren mit Happenings den
                                                hand engagiert Beethoven eine der besten         der Redaktion.
etablierten Ausstellungsbetrieb in Köln auf?
                                                Köchinnen Wiens. Dafür spart der Kompo­          Litho Mega-Satz-Service, Berlin
Und welche Rolle spielten vermögende
                                                                                                 Herstellung Buch- und Offsetdruckerei
Sammler beim Kunsttransfer zwischen New         nist beim Verschicken von Streichquartetten                                                                                                     Wie Minimal Art und Konzeptkunst
                                                eifrig Porto: Woher weiß Michael Laden­          H. Heenemann GmbH & Co., Berlin
York und Krefeld? ––– Seite 20
                                                                                                 Vertrieb OML KG , Berlin                                                                       ins Rheinland kamen
                                                burger, Kustos im Beethoven-Haus in Bonn,
                                                                                                 ISSN 1860 - 3327                                                                               — von Regina Wyrwoll
                                                diese erstaunlichen Details aus dem Alltag des
                                                äußerst musikalischen Junggesellen? Der          Arsprototo erscheint mit Unterstützung des

                                                                                                                                                                                                FISCHERS
                                                Sammlungsleiter ergattert seit Jahren nicht      Freundeskreises der Kulturstiftung der Länder.
                                                nur kostbare Handschriften der weltbekann­                                                                                                 26
                                                ten Kompositionen, ihm gelingen auch             Kulturstiftung der Länder
                                                                                                 Stiftung bürgerlichen Rechts                                                                	

                                                                                                                                                                                                FRIENDS
                                                immer wieder Erwerbungen, die ein neues
                                                Licht auf einen Komponisten werfen, den          Lützowplatz 9, 10785 Berlin
                                                man längst zu kennen glaubt. Für Arsprototo      Telefon 030 - 89 36 35-0 Fax 030 - 89 14 251
                                                lenkt Ladenburger diesmal den Blick auf          E-Mail kontakt@kulturstiftung.de
                                                Beethovens alltägliche Sorgen, wenn der          Internet www.kulturstiftung.de
                                                                                                 Generalsekretärin Isabel Pfeiffer-Poensgen                                                     Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen
                                                nahezu taube und äußerst misstrauische
                                                Komponist aus Angst, vom Personal betrogen       Stellv. Generalsekretär Prof. Dr. Frank Druffner                                               in Düsseldorf erwirbt die Sammlung von
                                                zu werden, beispielsweise pingelig täglich die   Dezernenten Dr. Britta Kaiser-Schuster,                                                        Dorothee und Konrad Fischer
                                                ausgegebenen Kerzen abzählt – und das auf        Dr. Stephanie Tasch                                                                            — von Georg Imdahl
                                                Notizzetteln festhält. ––– Seite 38              Leiterin der Verwaltung Erika Lancelle
GEORG IMDAHL                                                                                     Finanzbuchhalterin Angela Neumann-Bauermeister
Kein „spießiger Händler“ sei er gewesen, der                                                     Sekretariat Gabriele Lorenz, Monika Michalak
Galerist Konrad Fischer. Eher Künstler, fand                         Titelbild: Robert           Assistentin des Vorstands Jenny Berg
Carl Andre, der 1967 mit berühmt gewor­                              Mangold, Column
                                                                     Structure XVI, 2007,        Informationsgemeinschaft zur Feststellung
denen Bodenplatten als erstem Kunstwerk
                                                                     304,8 × 243,8 cm;           der Verbreitung von Werbeträgern e.V.
Fischers Galerie in Düsseldorf eröffnete. Der
über Martin Heideggers Frühwerk promo­                               Kunstsammlung
vierte und an der Kunstakademie Münster                              Nordrhein-Westfalen
lehrende Kunstkritiker Georg Imdahl wirft
für Arsprototo einen Blick zurück in die

4                                                                                                                                                    ARSPROTOTO 4 2016                                                                   5
KONZEPT: KUNST MINIMAL ART UND KONZEPTKUNST DER 1960ER JAHRE HANNAH HÖCH IN NÜRNBERG BADEN-WÜRTTEMBERG: DIE SAMMLUNG PRINZHORN - Kulturstiftung ...
INHALT

36	   DOPPELTE RUINEN                                LÄNDERPORTRÄT BADEN-WÜRTTEMBERG
       Helfen Sie mit: Im Schloss Bruchsal in Baden-
       Württemberg brauchen zwei Landschafts­gemälde
       Ihre Unterstützung
                                                       54
                                                         	 SCHWEISSWUNDER
38  	GENIE UND ALLTAG                                      UND AUSDRUCKS­
       Das Bonner Beethoven-Haus erwirbt ein rares
       Doppelblatt mit Notizen von Ludwig
                                                            NIEDERSCHLÄGE
       van Beethoven — von Michael Ladenburger

44
    	 DADA UND
       DANACH

       14 Gemälde, Aquarelle und Collagen                   Der Kunsthistoriker, Mediziner und Sammler
       Hannah Höchs bleiben in Nürnberg                     Hans Prinzhorn in Heidelberg — von Uta Baier
       — von Johannes Fellmann
                                                       60   KUNST UND KULTUR IN DEN LÄNDERN
50      ENRY MOORE — IMPULS FÜR EUROPA
       H
       Das LWL-Museum für Kunst und Kultur in          64   F RISCHZELLENKUR FÜR SANATORIUMSMÖBEL
       Münster rückt einen der wichtigsten Bildhauer
                                                             Der Freundeskreis der Kulturstiftung der Länder
       des 20. Jahrhunderts in den Fokus
                                                             half bei der Restaurierung von Jugendstilmöbeln im
                                                             Berliner Bröhan-Museum
52     NEUE BÜCHER
                                                       66   S CHÖN IM DEPOT
53     SPENDEN / ABONNIEREN / BILDNACHWEIS
                                                             Nicole Fritz über ein Gemälde von Asger Jorn
                                                             im Depot des Kunstmuseums Ravensburg

6
KONZEPT: KUNST MINIMAL ART UND KONZEPTKUNST DER 1960ER JAHRE HANNAH HÖCH IN NÜRNBERG BADEN-WÜRTTEMBERG: DIE SAMMLUNG PRINZHORN - Kulturstiftung ...
ERWERBUNGEN

Der Künstler
               Trübsinn und Schaffensdrang gingen          gen richtet der 21-Jährige 1905 in Berlin    werte Einheit hat. Mich Beckmann           dem zivilisatorischen Eingriff des Men­    Max Beckmann, Große Buhne, 1905,
               während Max Beckmanns Paris-Aufent­         ein Atelier ein und erlebt ein Jahr später   vorgestellt und ihm gratuliert“, schrieb   schen und der Natur, mit dem Men­          80 × 159,5 cm; Museum der bildenden
               halt 1903/04 eine Allianz ein: „Wenn        mit dem Gemälde „Junge Männer am             der legendäre Kunstsammler und Publi­      schen als winzigem Statisten. Die „Große   Künste Leipzig

als junger     ich nicht im Café oder im Bett bin male
               ich Bilder von 5,5 × 4 m Größe. Kurzum
                                                           Meer“ bei der Ausstellung des Deutschen
                                                           Künstlerbundes den Durchbruch: „Sig­
                                                                                                        zist Harry Graf Kessler. Mit der „Großen
                                                                                                        Buhne“ war 1905 bereits ein Meeres­
                                                                                                                                                   Buhne“ markiert Beckmanns Entwick­
                                                                                                                                                   lung zum eigenständigen Künstler. Das      Förderer dieser Erwerbung:

Mann           benehme ich mich wie es für einen
               ge­nialen Menschen recht und billig ist.“
               Inspiration durch die Großen der franzö­
                                                           norellisch und mit Qualitäten von Cour­
                                                           bet und Cézanne, aber doch von starker
                                                           Eigenheit im Rhythmus der Akzente und
                                                                                                        motiv entstanden: Pastos der Farbauf­
                                                                                                        trag, rhythmisch die Pinselhiebe – Beck­
                                                                                                        mann inszeniert das extreme Querformat
                                                                                                                                                   Museum der bildenden Künste Leipzig
                                                                                                                                                   konnte das wichtige frühe Werk nun
                                                                                                                                                   dauerhaft erwerben, nachdem es zuvor
                                                                                                                                                                                              Kultur­stiftung der Länder, Ernst von
                                                                                                                                                                                              Siemens Kunststiftung, Gerhard und
                                                                                                                                                                                              Margit Merkel
               sischen Malerei inklusive. Nach Umwe­       in der Tonalität, die eine bewunderns­       als bildnerische Konfrontation zwischen    als Leihgabe die Sammlung bereicherte.
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KONZEPT: KUNST MINIMAL ART UND KONZEPTKUNST DER 1960ER JAHRE HANNAH HÖCH IN NÜRNBERG BADEN-WÜRTTEMBERG: DIE SAMMLUNG PRINZHORN - Kulturstiftung ...
KUNST AUF LAGER

KARTONS VOLLER
POESIE
Eine Leier im Arm schreitet die geflügelte
Poesie über eine Wolke, entblößt dabei
anmutig ihr linkes Bein. Mütterlich beäugt
sie drei Putti zu ihren Füßen, die, versehen
mit Architekturmodell, Farbpalette und
antiker Theatermaske, nebst der übergroßen
Poesie für die weiteren Künste Architektur,
Malerei und Theater stehen. Die Nähe
zwischen Lyrik und Musik unterstreichend,
führt die engelsgleiche Dichtkunst liebevoll
einen vierten Putto mit Geige und Schal-
meien an der Hand. Moritz von Schwind
(1804 –1871) entwirft seine Personifikation
der Poesie als ein empyreisches Wesen, das
er in Kohle und Kreide erdet: In Größe und
Schönheit lässt er sie die anderen Kunstfor-
men überragen, zeichnet sie jedoch zugleich
als Mutter der Künste und somit als einen-
des Element. Der bedeutende Spätroman­
tiker Schwind legte seine Allegorie der
„Poesie“ wie die gleichfalls großformatige
Kohle- und Kreidezeichnung „Erzengel
Michael“ als Karton an – eine Entwurfs-
zeichnung, die dem eigentlichen Werk
vorausgeht: Während der Karton, der
Michael als Bezwinger des Teufels darstellt,
nachgewiesenermaßen als Vorlage für ein
verschollenes Ölbild diente, skizziert die
Interpretation der Poesie mutmaßlich die
Grundidee für ein Fresko. Mit dem An-
spruch, selbst Vorzeichnungen zu eigen­
ständigen Kunstwerken zu erheben, führte
der in Wien geborene Maler und Zeichner
Schwind die beiden Kartons mit größter
Sorgfalt aus. Über die Jahre haben die
fragilen Papier­bögen, die zum Kernbestand
der Graphischen Sammlung des Kultur­
historischen Museums Magdeburg gehören,
stark gelitten: Schwinds zarte Linien und
Schraffuren verblassten unter Verschmut-
zungen und Wasserflecken, frühere Repara-
turen von Rissen im Bildträger hinterließen
auf den Motiven störende Makel. Mit Hilfe
des von der Kulturstiftung der Länder
mitgetragenen Restaurierungsbündnisses
„Kunst auf Lager“ fanden „Die Poesie“
und „Erzengel Michael“ zu ihrer einstigen
Wirkungskraft zurück: Dank aufwendiger
Reinigungen, sorgfältiger Retuschen und
einer Neuspannung der Papierbögen kön-
nen Schwinds großformatige Kartons nun
in Magdeburg wieder öffentlich präsentiert
werden.

Moritz von Schwind, Die Poesie, um 1860,
217 × 95 cm (links); Erzengel Michael,
vor 1848, 170 × 115 cm (rechts); Kultur­-
histo­risches Museum Magdeburg

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KONZEPT: KUNST MINIMAL ART UND KONZEPTKUNST DER 1960ER JAHRE HANNAH HÖCH IN NÜRNBERG BADEN-WÜRTTEMBERG: DIE SAMMLUNG PRINZHORN - Kulturstiftung ...
KUNST AUF LAGER   Dass wir heute die Überreste von Fisch­   lung des Staatlichen Museums für Natur­    frisst. Ganze Knochen können so aus        „Kunst auf Lager“. Die urzeitlichen       uniter (die frühere Bezeichnung Stenopte-
                  sauriern bestaunen können, die vor 182    kunde in Stuttgart. Umso ärgerlicher,      den Fossilplatten herausbrechen. Um        Bewohner der Schieferplatten können       rygius crassicostatus ist heute wissenschaft-
                  Millionen Jahren die Erde bevölkerten,    dass die Fossilien häufig Opfer des ge­    diesen Prozess aufzuhalten, wurden         nun wieder gefahrlos der Öffentlichkeit   lich nicht mehr gültig), 182 Millionen

FRISCHER          haben wir den Konservierungskräften
                  der Natur zu verdanken. Im Jura durch
                                                            fährlichen sogenannten Pyrit-Zerfalls
                                                            werden: Bei Kontakt mit Wasser und
                                                                                                       nun sieben besonders angegriffene Fisch­
                                                                                                       saurier­fossilien fachmännisch gereinigt
                                                                                                                                                  präsentiert werden und uns die Welt
                                                                                                                                                  vor unserer Zeit veranschaulichen.
                                                                                                                                                                                            Jahre alt (Jurazeit), 372 × 152 cm,
                                                                                                                                                                                            Fundort: Holzmaden, Baden-Württem-

FISCH
                  Faulschlamm entstanden, gehören Fossil­   Sauerstoff – schon zu hohe Luftfeuchtig­   und imprägniert. Die Kulturstiftung der                                              berg; Staatliches Museum für Naturkunde
                  platten aus Posidonienschiefer deshalb    keit reicht aus – entsteht aggressive      Länder unterstützte die Restaurierungs­    Schieferplatte mit einem Exemplar der     Stuttgart
                  zu den wertvollsten Objekten der Samm­    Schwefelsäure, die sich in das Fossil      arbeiten im Rahmen des Bündnisses          seltenen Fischsaurierart Stenopterygius

12                                                                                                                   ARSPROTOTO 4 2016                                                                                                 13
KONZEPT: KUNST MINIMAL ART UND KONZEPTKUNST DER 1960ER JAHRE HANNAH HÖCH IN NÜRNBERG BADEN-WÜRTTEMBERG: DIE SAMMLUNG PRINZHORN - Kulturstiftung ...
ERWERBUNGEN                                                                                                                                  ERWERBUNGEN                                                  die Verteilung des vierten Bandes unter strikter Ge­
                                                                                                                                                                                                          heimhaltung. Heute ist nur noch der Verbleib weniger

                                                                                                                                             Bissiges Buch
                                                                                                                                                                                                          verschenkter Drucke bekannt. Schon deshalb handelt
                                                                                                                                                                                                          es sich bei dem jüngst von der Klassik Stiftung Weimar
                                                                                                                                                                                                          erworbenen Handexemplar des – unter dem Pseudo­
                                                                                                                                                                                                          nym Peter Gast tätigen – Komponisten und Schriftstel­
                                                                                                                                             Es beeinflusste die politische Ideologie des 20. Jahrhun­    lers Heinrich Köselitz (1854 –1918) um ein spektaku­
                                                                                                                                             derts wie kaum ein anderes Werk und war doch zu­             läres Zeugnis. Einzigartige Bedeutung aber gewinnt
                                                                                                                                             nächst ein Ladenhüter: 1883 und 1884 im Chemnitzer           dieser Druck durch ein beiliegendes Blatt mit bislang
                                                                                                                                             Verlag E. Schmeitzner erschienen, verkauften sich die        unbekannten eigenhändigen Korrekturen Friedrich
                                                                                                                                             ersten drei Bände von Friedrich Nietzsches (1844 –           Nietzsches, die den im Text vorgenommenen Verände­
                                                                                                                                             1900) „Zarathustra“ gerade einmal in 60 bis 70 Exem­         rungen seines Freundes zugrunde liegen. Das kostbare
                                                                                                                                             plaren. Sein aufwühlendes philosophisches Traktat über       Ensemble aus der Sammlung Max Dregers ergänzt
                                                                                                                                             den Übermenschen Zarathustra stieß auf Unverständnis         somit künftig nicht nur Nietzsches wie Gasts Nachlass
                                                                                                                                             – selbst bei seinen ihm sonst gewogenen Lesern. Den          im Goethe- und Schiller-Archiv der Klassik Stiftung
                                                                                                                                             vierten und letzten Teil empfand Nietzsche als noch          Weimar, sondern verspricht darüber hinaus wertvolle
                                                                                                                                             radikaler und so entschied er sich 1885 für einen            Aufschlüsse über die Entstehung eines der wichtigsten
                                                                                                                                             ­Privat­druck des Manuskripts – in einer Auflage von         philosophischen Werke des 19. Jahrhunderts.
                                                                                                                                              nur 40 Stück. Ergänzt durch den Hinweis „Für meine
                                                                                                                                              Freunde und nicht für die Öffentlichkeit“ – und teil­       Förderer dieser Erwerbung:
                                                                                                                                              weise mit handschriftlichen Widmungen wie „Ein              Kulturstiftung der Länder, Beauftragte der
                                                                                                                                              verbotenes Buch, Vorsicht es beißt!“ versehen –, erfolgte   Bundes­regierung für Kultur und Medien

                                               gesellschaftlichen Leben der Metropole,         Anspielungen auf Personen, Moden und

„DOCH LÄCHLE                                   über die Heinrich Heine (1797–1856) in
                                               dieser Zeit schreibt: „Berlin ist gar keine
                                                                                               Geistesströmungen Heines enge Verbindun-
                                                                                               gen zum Varnhagen-Kreis und seine enge

 NUR!“                                         Stadt, sondern Berlin gibt bloß den Ort
                                               dazu her, wo sich eine Menge Menschen,
                                               und zwar darunter viele Menschen von
                                                                                               Verflechtung mit den Protagonisten der
                                                                                               deutsch-jüdischen Kultur, mit der jüdischen
                                                                                               Aufklärung und Assimilation.
                                               Geist, versammeln, denen der Ort ganz
Hegel schickte ihr Pralinen in die Loge,       gleichgültig ist.“                              Förderer dieser Erwerbung:
Heinrich Heine schwärmte von der „Cou-         Über die alle begeisternde „Rike“ schreibt      Kulturstiftung der Länder, Beauftragte der
sine der Venus von Milo“, Alexander von        der junge Dichter: „Sie vereinigt in sich die   Bundesregierung für Kultur und Medien
Humboldt lag der jungen Frau zu Füßen:         Jokaste und die Julia, das Antikste und das
Friederike Robert, geb. Braun (1795 –1832)     Modernste!“ Und schwärmt: „Madame,
galt als „schönste Schwäbin ihrer Zeit“ und    Sie sind die Schönste aller Frauen!“ Der
verzauberte zahlreiche Geistesgrößen in        Student widmet der Angehimmelten den
den Berliner Salons des Biedermeier. Doch      „Sonettenkranz an Friederike Robert, geb.
den erfreulichen Jahren Friederike Roberts     Braun“ und übersendet im Mai 1824 eine
in Berlin waren düstere vorangegangen:         eigenhändige Fassung des Gedichts in
Obwohl der Vater ihr noch eine für die         sorgfältiger Schönschrift. Den aus drei
damalige Zeit ungewöhnlich gute Schul­         Sonetten bestehenden „Kranz“ veröffent-
bildung ermöglicht hatte, gab er Friederike    lichte Heinrich Heine in einer überarbeite-
17-jährig dem italienischen Schmuckhänd-       ten Version erst 12 Jahre später unter dem
ler Giambattista Primavesi zur Frau. Jahre-    Titel „Friedrike“ in seinen „Neuen Gedich-
lang tingelte sie mit ihm über die Jahr-       ten“. Im Urtext besingt der Dichter Friede-
märkte. Als die Geschäfte immer schlechter     rike mit christlicher Metaphorik: „… Doch
liefen, soll der skrupellose Primavesi seine   lächle nur! Denn wenn du lächelst, greifen /
Gattin Friederike sogar zur Prostitution       Die Engel droben nach der Harf, und
gezwungen haben. Aus den Fängen des            singen / Des Halleluja dröhnenden Choral.“
Zuhälter-Ehemannes kaufte die verzweifelte     Nun kommt das einmalige biographische
Friederike schließlich ihr zukünftiger,        Dokument aus der Frühzeit seines Schaffens
zweiter Mann frei, der Schriftsteller und      in das Archiv des Düsseldorfer Heinrich-        Wilhelm Hensel, Friederike Robert,
Journalist Ludwig Robert, Bruder der           Heine-Instituts, der Forschungseinrichtung,     1823
romantischen Schriftstellerin Rahel Varnha-    die die weltweit umfangreichste Sammlung
gen, die viele Jahre einen berühmten Salon     an schriftlichen Zeugnissen des „letzten
in Berlin führte. Kurz nach der Eheschlie-     Dichters der Romantik“ bewahrt. Die
ßung zog das Paar 1824 nach Berlin, Friede-    Handschrift schließt nicht nur eine Lücke
rike Robert avancierte innerhalb weniger       in der historisch-kritischen Werkedition,
Wochen zur vielverehrten Protagonistin im      sondern illustriert mit ihren zahlreichen

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KONZEPT: KUNST MINIMAL ART UND KONZEPTKUNST DER 1960ER JAHRE HANNAH HÖCH IN NÜRNBERG BADEN-WÜRTTEMBERG: DIE SAMMLUNG PRINZHORN - Kulturstiftung ...
KUNST AUF LAGER                                            Dessau 24.02. - 12.03.2017

EISERN
GESAMMELT                                                                KURT WEILL
                                                                               25 Jahre
König Friedrich Wilhelm III. von Preu-      Nils
                                                                                                                         Ulrich Tukur
                                            Landgren
ßen (1770 –1840) und seine Gemahlin                                                                 Angelika
Luise von Preußen (1776 –1810) erstrah-                    Aurelia
                                                                                                    Kirchschlager
                                                           Shimkus
len in neuem Glanz: Die lebensgroßen
eisernen Büsten – aus dem Besitz des

                                                                                                                                                  RevolutionäR !
Dessauer Zahnarztes Ewald Barth                                                 Kurt Weill
(1898 –1968) – rücken nach aufwendiger
Restaurierung wieder in das Licht der
Öffentlichkeit. Während des Zweiten
Weltkriegs im Zerbster Schloss in Sicher-
heit geglaubt, wurde die einst 1.800                                                                                                              Russische Avantgarde aus der
Objekte umfassende Privatsammlung
1945 unter Schutt und Asche begraben.                                                                                                             Sammlung Vladimir Tsarenkov
Erst Jahre später gelang Ewald Barth die
Rettung seiner Schätze aus den Ruinen
                                                                                                                                                  11.12.2016 – 12.3.2017
des Schlosses. Die Restaurierung aus­              Luther, Weill                                                                                  400 Werke von 110 Künstlern
gewählter Exemplare des mit großer
Leidenschaft zusammengetragenen
                                                           & Mendelssohn                                                                          1907 – um 1930                                                       Großzügig gefördert von
Konvoluts gelang mit Unterstützung des      Erleben Sie unter dem Motto „Luther, Weill & Mendelssohn“ unvergessliche Festivalmomente
Freundeskreises der Kultur­stiftung der     in Dessau, Wörlitz, Wittenberg, Halle und Magdeburg und feiern Sie mit uns den 25. Geburts-
                                            tag des Kurt Weill Fest. Das Festspielangebot reicht vom Solo-Konzert über Orchesterkonzer-
Länder im Rahmen der Initiative „Kunst
                                                                                                                                                  Kunstsammlungen Chemnitz
                                            te bis zu den großen Bühnen-Werken Kurt Weills und seiner Zeitgenossen. Sichern Sie sich
auf Lager“. Über die königlichen Mo-        die besten Plätze und lassen Sie sich begeistern für Kurt Weill, seine Musik und seine Zeit.
delle hinaus legt die Ausstellung die                                                                                                             Theaterplatz 1 | 09111 Chemnitz | www.kunstsammlungen-chemnitz.de
Vielseitigkeit des Materials überzeugend
dar: Neben Schmuck, Statuetten und          Tel. 0341 . 14 990 900                           www.kurt-weill-fest.de                               Abb.: Alexander Deineka, Baseball, 1935, Vladimir Tsarenkov’s Collection, London © VG Bild-Kunst, Bonn 2016

Büsten nach Entwürfen bedeutender
Künstler wie Christian Daniel Rauch
oder Karl Friedrich Schinkel gehören                                                                                                                                                                                     gefördert durch die
auch Gebrauchs- und Ziergegenstände                                                                                                Arsprototo Russ Avantgarde final.indd 3                                                                                 10.11.1
wie Vasen und Plaketten aus Eisen dazu.
In Umfang und Vielfalt ohne Vergleich,
galt Ewald Barths Eisenkunstguss-Samm-
lung bereits zu ihrer Entstehungszeit als
die bedeutendste ihrer Art in Deutsch-
land. Die unikale Sammlung wird nun
im Dessauer Museum für Stadtgeschichte
präsentiert.

Aus der Eisenkunstguss-Sammlung von
Ewald Barth: je v.l.n.r. Standuhr, um
1820 –30; Wilhelm August Stilarsky,
                                                                                                                                                                           Der digitale
                                                                                                                                                                                  Kunstführer
Warwick-Vase, Nachguss nach 1840;
Erdmann Theodor Kalide, Reiterstatuette
des Kronprinzen Friedrich Wilhelm IV.
von Preußen, 1830; Christian Daniel
Rauch, Büste des Friedrich Wilhelm III.                                                                                                                                              für das
                                                                                                                                                                                    Ruhrgebiet
von Preußen, 1816; Wilhelm August
Stilarsky nach Christian Daniel Rauch,
Büste der Königin Luise von Preußen,
1818; Viktoria-Statuette (Teil eines
ursprünglich vierarmigen Leuchters), um
1820 –30; Museum für Stadtgeschichte
Dessau

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                                                                                                                      www.kunstgebiet.ruhr
KONZEPT: KUNST MINIMAL ART UND KONZEPTKUNST DER 1960ER JAHRE HANNAH HÖCH IN NÜRNBERG BADEN-WÜRTTEMBERG: DIE SAMMLUNG PRINZHORN - Kulturstiftung ...
Regina Wyrwoll über Konzeptkunst und Minimal Art              TITELTHEMA KONZEPTKUNST
im Rheinland der 1960er Jahre — Seite 20

                                                              AVANTGARDE
Georg Imdahl über die Sammlung von Dorothee und
Konrad Fischer für die Kunstsammlung Nordrhein-
Westfalen — Seite 26

                                                              UND AKTION

Blick in die Ausstellung „Wolke & Kristall. Die Sammlung
Dorothee und Konrad Fischer“ in der Kunstsammlung
Nordrhein-Westfalen / K20. Vorne: Richard Long, Circle for
Konrad, 1997, Durchmesser 660 cm; Hinten v.l.n.r.: Robert
Mangold, Column Structure XVI, 2007, 304,8 × 243,8 cm;
Robert Mangold, Irregular Blue Gray Area with a Drawn
Ellipse # 2, 1986, 228,6 × 189,2 cm; Frank Stella, Delphine
and Hippolyte, 1959, 230,5 × 334,8 × 7,9 cm (nicht Teil der
Sammlung Fischer); Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen
18                                                            ARSPROTOTO 4 2016         19
TITELTHEMA KONZEPTKUNST                                                                                                                                                             sie endlich, die zweite Avantgarde – nach    radikal auf aktuelle Kunst – nicht zuletzt
                                                                                                                                                                                    der Verfemung der ersten durch die           aus Kostengründen – und verursachte
                                                                                                                                                                                    Nazis! Dieser Begriff aus der Militärspra­   damit auch überregional widerhallende
                                                                                                                                                                                    che, der sich als „Vorhut“ (mit Feindbe­     Skandale wie bereits 1961 mit einer

KEINE EXPERIMENTE?
                                                                                                                                                                                    rührung) übersetzen lässt, kennzeichnete     Ausstellung von Yves Klein im zu den
                                                                                                                                                                                    die folgenden Jahrzehnte wie kein zwei­      Krefelder Museen gehörenden Haus
                                                                                                                                                                                    ter. Er ließ sich – je nach Sichtweise –     Lange.
                                                                                                                                                                                    auf die spröde Konzeptkunst eines Carl            Andra Lauffs-Wegner, eine der sechs
                                                                                                                                                                                    Andre oder Sol LeWitt, auf die Fluxus-       Töchter des Unternehmers Walter Lauffs,
Wie Konzeptkunst und Minimal Art ins Rheinland kamen                                                                                                                                Arbeiten eines Joseph Beuys wie auf          erinnert sich: Ein Artikel von Hans
von Regina Wyrwoll                                                                                                                                                                  die dem realen Leben abgeschaute und         Strelow vom 22. Dezember 1967 in „Die
                                                                                                                                                                                    marktfreundliche Pop-Art eines Roy           Zeit“ über Paul Wember – interessanter­
                                                                                                                                                                                    Lichtenstein oder Andy Warhol, sogar         weise betitelt mit „Keine Experimente“,
                                                                                                                                                                                    auf Film und Video anwenden. Die hohe        obwohl er das Engagement des Krefelder
                                                                                                                                                                                    Aktivität der rheinischen Kunstszene und     Museumsdirektors für die Avantgarde
                                                                                                                                       Installationsansicht von Joseph Beuys’       ihrer Akteure, mit angefeuert durch die      zum Thema hatte – begeisterte ihren
                                                                                                                                       „Schmerzraum“ in der Düsseldorfer Mutter-
                                                                                                                                       Ey-Straße 5, Dezember 1983. Bereits im       Studenten und einen Teil der Professoren     Vater so sehr, dass er Kontakt zu Wem­
                                                                                                                                       Frühjahr 1983 hatte Beuys die neuen          der Düsseldorfer Kunst­akademie, ließ        ber aufnahm. Daraus entwickelte sich
                                                                                                                                       Galerie­räume von Dorothee und Konrad        die „Kunstfamilie“ sich rasch vermehren      Wembers langjährige Beratung der
                                                                                                                                       Fischer mit „Dumme Kiste“ eröffnet
                                                                                                                                                                                    und führte zu der weltweit bis heute         Familie Lauffs: „Nur ganz selten hat
                                                                                                                                       und die oberen Stockwerke und damit          einzigartigen Vielzahl von Museen und        mein Vater etwas eigenständig gekauft.“
                                                                                                                                       auch unversehens auf die Plätze verwies:     Ausstellungshäusern für zeitgenössische      Etwa 500 Werke der aktuellen Kunst,
                                                                                                                                       Heftige interne Auseinandersetzungen         Kunst an Rhein und Ruhr.                     meist Hauptwerke, wie sich später her­
                                                                                                                                       sowie Besucherreaktionen auf den US-              Im Europa der 1960er Jahre stehen       ausstellte, wurden zusammengetragen
                                                                                                                                       Import waren die Folge.                      im Wesentlichen sechs Orte und sieben        und im Krefelder Museum ohne vertrag­
                                                                                                                                           Doch waren die Frische und Energie       Namen für die Avantgarde: in Luzern          liche Bindung über 40 Jahre immer
                                                                                                                                       dieser Kunst – radikale Experimente mit      Jean-Christophe Ammann, in Bern              wieder ausgestellt. Andra Lauffs-Wegner
                                                                                                                                       Material, Form und Format, zeitbezo­         Harald Szeemann, in Amsterdam Wil­           hat im Krefelder Museum ihre Initiation
                                                                                                                                       gene Künste wie Performance oder Film /      lem Sandberg und später Wim Beeren,          als Sammlerin erfahren: „Wenn man zu
                                                                                                                                       Video, Op-Art, Pop-Art, Minimal Art,         in Kopenhagen Knud W. Jensen, in             Wember gefahren ist, kam man immer
                                                                                                                                       Konzeptkunst, Land-Art, die nach und         Stockholm Pontus Hultén und später in        glücklich nach Hause, richtig beglückt!
                                                                                                                                       nach ins Rheinland kamen – nicht zu          Eindhoven Rudi Fuchs. In Deutschland,        Jede Eröffnung war ein Ereignis.“ Julian
                                                                                                                                       übersehen. Einige Museumsdirektoren          genauer gesagt im Rheinland, ragte früh      Heynen, stellvertretender Direktor des
                                                                                                                                       (und mit ihnen eine noch überschaubare       eine charismatische und weit über die        Krefelder Museums unter Wembers
                                                                                                                                       Anzahl von Künstlern, Galeristen,            Grenzen strahlende Figur heraus: Paul        Nachfolger Gerhard Storck und danach
                                                                                                                                       Kunstkritikern und Sammlern) reagier­        Wember, von 1947 bis 1975 Direktor           viele Jahre Kurator der Kunstsammlung
                                                                                                                                       ten mit einer gewissen Zeitverzögerung,      des Kaiser-Wilhelm-Museums in Krefeld.       NRW, erinnert sich: „Paul Wember ist
Konrad Fischer und Carl Andre während der Eröffnung der Galerie „Ausstellungen bei Konrad Fischer“ in der                              dann aber doch entschieden: Hier war         Er setzte von Beginn seiner Amtszeit an      nicht viel gereist, denn bis man damals
Düsseldorfer Neubrückstraße 12 am 21.10.1967. Vorne rechts Carl Andres Werk „5 × 20 Altstadt Rectangle“                                                                                                                          eine Dienstreise von der Stadt genehmigt
                                                                                                                                                                                                                                 bekommen hat, dauerte es lange. Außer­

D
      ie 60er Jahre des vergangenen          Réalistes als Zentrum der Nachkriegs-         sekretär der documenta 2, berichtet,                                                                                                  dem war Wember Kriegsinvalide. Er
      Jahrhunderts waren nicht gerade        Kunstwelt gefeiert, doch nun machten          übernahmen die Verantwortlichen                                                                                                       fuhr alle paar Jahre nach Paris. Sein
      arm an gesellschaftlichen Um­          zunehmend US-amerikanische Künstler           Arnold Bode und Werner Haftmann un­-                                                                                                  erster Kontakt im Rheinland war [der
brüchen – auf den Straßen der großen         und eine junge Künstlergeneration im          gesehen ein kostenlos angeliefertes und                                                                                               Galerist] Alfred Schmela.“ Wember
Universitätsstädte revoltierten die Stu­     Rheinland von sich reden. Sie wandten         vom Museum of Modern Art in New                                                                                                       nutzte im Laufe der Jahre die sich schnell
denten („Macht kaputt, was Euch kaputt       sich von der Malerei ihrer Lehrer ab,         York, kuratiertes Konvolut mit Werken                                                                                                 entwickelnde Galerienlandschaft des
macht!“), die englische Pop-Musik füllte     probierten jenseits von Leinwand und          von Künstlern wie Jackson Pollock, Mark                                                                                               Rheinlands: Haus Lange wurde 1969
Fußballstadien mit innovativer Musik         klassischer Skulptur neue Formate und         Rothko und Robert Rauschenberg.                                                                                                       mit der legendären Ausstellung „Live in
und kreischenden Fans und in der bil­        Techniken aus und entwarfen Visionen          Wegen der unerwarteten Größe dieser                                                                                                   your Head – When Attitude Becomes
denden Kunst stellte eine neue Künstler­     einer Einheit von Kunst und Leben.            Bilder – Zwirner musste gestehen, dass er                                                                                             Form“ von Harald Szeemann wiederer­
generation die Ästhetik des Informel in           1959 erschien zum ersten Mal auf         ihre Maße nicht überprüft hatte – konn­                                                                                               öffnet, bei der viele Künstler der beiden
Frage und verbannte sie auf die Schreib­     der großen Bühne der documenta 2 in           ten sie nur im Erdgeschoss des Museum                                                                                                 Galerien Konrad Fischer und Rolf Ricke
tische der Kunsthistoriker. Paris wurde      Kassel aktuelle US-amerikanische Kunst,       Fridericianum präsentiert werden, was                                                                                                 vertreten waren.
seit Ende des Zweiten Weltkrieges mit        ein Auftritt mit Folgen. Wie der spätere      die eher kleinformatige Kunst aus den                                                                                                      Auch die beiden anderen Museen,
der École de Paris und den Nouveaux          Galerist Rudolf Zwirner, damals General­      anderen Ländern in die Nebenräume           Kasper König 1966 in New York. Als Vermittler von Kunst und Künstlern nach                die entschieden für die deutsche Avant­
                                                                                                                                       Europa hatte er Dorothee und Konrad Fischer von Anfang an beraten

20                                                                                                                                                    ARSPROTOTO 4 2016                                                                                                 21
garde und für die junge Künstlergenera­     Geste in die Höhe hielt – fotografiert                                                             nen war die Haltung Ruhrbergs, die
tion von der Ostküste der USA eintra­       von Heinrich Riebesehl und als Ikone                                                               Museen nicht zu zerstören, wie die
ten, standen in der rheinischen Provinz,    eingegangen in die Kunstgeschichte.                                                                Studenten es forderten, sondern für neue
in Mönchengladbach und Leverkusen:          Wobei bis heute die Frage unbeantwortet                                                            Aufgaben zu öffnen.
Johannes Cladders, ab 1957 Assistent        ist, warum Beuys das Kreuz mit sich                                                                      Auch Sammler suchten die Öffent­
von Paul Wember und von 1967 bis            führte.                                                                                            lichkeit: 1968 zeigte der Schokoladen­
1985 Direktor des Mönchengladbacher              Auch der eher traditionelle Ausstel­                                                          fabrikant und promovierte Kunsthistori­
Kunstmuseums, nach dem Neubau               lungsbetrieb führte zu gehöriger öffent­                                                           ker Peter Ludwig aus Aachen unter dem
umbenannt in Museum Abteiberg, und          licher Empörung wie Harald Szeemanns                                                               Titel „Kunst der sechziger Jahre“ zum
die beiden Direktoren von Museum            von der Stadt Köln beauftragte Ausstel­                                                            ersten Mal seine rasch wachsende Kollek­
Schloss Morsbroich in Leverkusen, Udo       lung „Happening und Fluxus“ von 1970                                                               tion aktueller Kunst mit viel US-ameri­
Kultermann von 1959 bis 1964, gefolgt       (Teilnehmer: Joseph Beuys, Günther                                                                 kanischer Pop-Art, aber auch Franzosen
von Rolf Wedewer von 1965 bis 1995.         Brus, Alan Kaprow, Charlotte Moorman,                                                              und Deutschen, im dortigen Suermondt-
Sie machten ihre Museen neben Krefeld       Otto Mühl, Hermann Nitsch, Ben                                                                     Museum, 1969 dann mit ungleich
für die kommenden Jahre zu deutschen        Vautier und Wolf Vostell) im Kölnischen                                                            größerem und nachhaltigem Erfolg im
Zentren für Konzeptkunst, Minimal Art       Kunstverein, die massenhafte Vereinsaus­                                                           Kölner Wallraf-Richartz-Museum.
und später Arte Povera, wobei „Konzept­     tritte zur Folge hatte.                                                                            ­Diesen Erfolg verdankte Ludwig unter
kunst“ durchaus weitherzig ausgelegt             Im Rheinland entstanden im Zuge         Joseph Beuys beim „Festival der Neuen Kunst“ an der    anderem dem Katalog zur Ausstellung,
wurde und aufsteigende regionale Mata­      der gesellschaftlichen und künstlerischen    Technischen Hochschule Aachen, nachdem er vom          den er von Wolf Vostell gestalten ließ
dore wie Joseph Beuys, Sigmar Polke         Umwälzungen neue Institutionen: 1968         Faustschlag eines Besuchers im Gesicht getroffen       und der in fünf Auflagen seinen Sieges­
                                                                                         wurde, 1964
und Gerhard Richter einschloss. Sie alle    gründete Klaus Honnef, Kunstkritiker                                                                zug durch die internationale Kunstwelt
hatten, wie es Karl Ruhrberg einmal         bei den Aachener Nachrichten, mit dem                                                               antrat – den Vertrieb hatte Ludwig dem
beschrieb, nicht nur keine Scheu, son­      Wirt Will Kranenpohl und der Künstle­                                                               späteren Kunstbuchhändler und Verleger
dern im Gegenteil große Lust daran, sich    rin Rune Mields den Verein „Zentrum                                                                 Walther König übertragen. Im Jahr zuvor
„mit dem erschütterten Museumsbegriff,      für aktuelle Kunst – Gegenverkehr e.V.“,                                                            hatte an gleicher Stelle der Chefrestaura­
dem erschütterten Kunstbegriff und dem      der bis 1972 existierte und sich ganz der                                                           tor der Kölner Museen, Wolfgang Hahn,
erneuerten gesellschaftlichen Verständnis   zweiten Avantgarde verpflichtet hatte.                                                              mit seiner vorbildhaften internationalen
von Kunst“ in direkter Kooperation mit      Es wurden Undergroundfilme gezeigt,                                                                 Sammlung ein erfolgreiches Gastspiel
den Künstlern zu beschäftigen. So klein     Gerhard Richter hatte 1969 dort seine                                                               gegeben.
die Museen waren, sie wollten an die        erste Einzelausstellung, Eat Art von                                                                     Und zeitgleich erschienen schließlich
Spitze der Kunstentwicklung in West­        Daniel Spoerri und Pin-Up Girls von                                                                 auch Galerien neuen Typs, die eine
deutschland. Marianne Stockebrand,          Mel Ramos fanden ihren Weg in die                                                                   Schlüsselrolle in der Öffnung des Rhein­
ehemalige wissenschaftliche Assistentin     Grenzstadt. Zeitweise hatte der Verein       Installationsansicht der Ausstellung “Live in Your     landes hin zu amerikanischer Kunst und
                                                                                         Head – When Attitudes Become Form” in der Kunst-
am Krefelder Museum, erinnert sich          500 zahlende Mitglieder. Honnef und          halle Bern 1969, kuratiert von Harald Szeeman. Die     dem Einzug von Minimal Art, Konzept­
gern an die besondere Atmosphäre jener      Mields zogen weiter an den Kunstverein       Ausstellung machte im selben Jahr Station im Museum    kunst und der ihnen verwandten Arte
Jahre: „Wir waren damals keine Kon­         in Münster, wo sie ihr radikales Pro­        Haus Lange in Krefeld sowie am Institute of Contem-    Povera mit Mario Merz und Jannis
                                                                                         porary Arts in London. Zu sehen sind Werke von
kurrenten, im Gegenteil, man war froh,      gramm fortsetzten.                           Alighiero Boetti, Mario Merz, Richard Artschwager,
                                                                                                                                                Kounellis an den Rhein übernahmen:
wenn sich auch andere mit den Künst­             1967 eröffnete die Städtische Kunst­    Robert Morris, Bruce Nauman und Barry Flanagan         1967 eröffnete der Künstler Konrad
lern unserer Avantgarde beschäftigten.      halle in Düsseldorf und im gleichen                                                                 Lueg als Konrad Fischer mit seiner Frau      Grundriss der „Prospect 71: Projection“ in der Kunsthalle Düsseldorf mit Zuordnung der
Wir mochten halt die spröde Kunst           Jahr eine weitere in Köln. Diese Häuser      Art“ eröffnete, gab es lautstarken Protest             Dorothee seinen ersten Ausstellungsraum      Künstler. Die dritte Ausstellung der „Prospect“-Reihe zeigte über 110 Positionen in Form
                                                                                                                                                                                             von Filmen, Videos, Diapositiven und Fotografien, 1971
lieber als Pop oder marktgängige            sollten keine eigene Sammlung auf­           von Studenten gegen die „elitäre Kunst“,               „Ausstellungen bei Konrad Fischer“ in
Arbeiten.“                                  bauen, sondern hatten stattdessen den        darunter auch von Jörg Immendorff, der                 Düsseldorf mit einer Präsentation von
     Die politisch an Bedeutung gewach­     Auftrag, Ausstellungen losgelöst vom         einem anderen Künstler Honig in die                    Carl Andre. Anfang 1968 kam der
sene Virulenz der künstlerischen Akti­      Museumsbetrieb zu machen oder, wie in        Haare pumpen wollte. Ruhrberg erin­                    Galerist Rolf Ricke aus Kassel nach Köln
vitäten und Aktionen, auch die Fluxus-      Köln, den städtischen Museen die nötige      nerte sich in einem Interview mit Uwe                  und eröffnete mit Jasper Johns. Den
Veranstaltungen mit Bazon Brock, Wolf       Ausstellungsfläche bereit zu stellen. Karl   M. Schneede kurz vor seinem Tod 2006:                  jungen Schallplattenhändler hatten die
Vostell und Joseph Beuys führten zu teils   Ruhrberg, erster Direktor der Düssel­        „Ich war damals noch Mitglied des                      documenta 1, insbesondere aber die
spektakulären Konfrontationen. Erinnert     dorfer Kunsthalle, vorher Journalist         Boxrings Düsseldorf und stand auf der                  documenta 2 mit den schon erwähnten
sei an die Attacke auf Beuys während des    und  zeitweise Operndramaturg mit            Treppe […]. Und dann habe ich gesagt:                  Arbeiten von Pollock, Rothko und
„Festivals der Neuen Kunst“ 1964 an         Ausgleichssport Boxen, geriet mit dem        ‚Immendorff, die Garderobe ist da un­                  Rauschenberg so elektrisiert, dass er fast
der Aachener Technischen Hochschule,        damals von vielen Künstlern als architek­    ten!‘ Ich hätte ihm auch eine gelangt.                 täglich die Ausstellung besucht und sie
als der Faustschlag eines Zuschauers bei    tonisch völlig ungeeignet abgelehnten        Das hat er gemerkt. Und da ist er brav                 systematisch durchfotografiert hatte.
Beuys ein Nasenbluten auslöste und          brutalistischen Gebäude zwischen die         die Treppe herunter gegangen und hat                        Die Galerien Fischer und Ricke
dieser geistesgegenwärtig aus der Tasche    Fronten. Als er 1969 die aus Den Haag        die Honigpumpe abgegeben.“ Stein des                   verband bei allen Unterschieden eins:        Installationsansicht der „Prospect 71: Projection“. Mit der Konzen­tration auf
ein Kreuz zog und mit deklamatorischer      übernommene Ausstellung „Minimal             Anstoßes und vieler hitziger Diskussio­                die Leidenschaft für aktuelle, noch nicht    das junge Medium Video machten die beiden Organisatoren Konrad Fischer
                                                                                                                                                                                             und Hans Strelow die neuesten Tendenzen der Avantgarde für ein breites
                                                                                                                                                                                             Publikum zugänglich, 1971

22                                                                                                                                                            ARSPROTOTO 4 2016                                                                                                     23
rie bis heute treu. Thomas Kellein kons­
                                                                                           tatierte 2010: „Seine legendäre Wirkung
                                                                                           manifestierte sich zusammengefasst
                                                                                           darin, dass er in der rheinischen Kunst­
                                                                                           szene für viele Jahre nach 1967 – ver­
                                                                                           gleichbar nur mit Joseph Beuys – der
                                                                                           wahrscheinlich wichtigste Wegweiser für
                                                                                           die tragfähigen künstlerischen Richtun­
                                                                                           gen war.“ Und Friedrich Meschede,
                                                                                           Nachfolger von Kellein als Direktor der
                                                                                           Kunsthalle Bielefeld, ergänzt: „Man muss
                                                                                           sich klar machen, dass Konrad Fischer
                                                                                           über die Jahre erfolgreich mit drei ver­
Blick in die Ausstellung „Prospect 68“, Kunsthalle Düsseldorf, 1968                        schiedenen Künstlergenerationen gear­
                                                                                           beitet hat, eine seltene Leistung!“ Fischer
                                                                                           starb 1996, seine Frau Dorothee führte
                                                                                           die Galerie bis zu ihrem Tod 2015 wei­
                                                                                           ter, seither leitet Tochter Berta Fischer
                                                                                           die Galerie, inzwischen mit einer Depen­
                                                                                           dance in Berlin.
                                                                                                Rolf Ricke hatte auf andere Weise
                                                                                           Glück: Der Industrielle und Sammler
                                                                                           Hans Joachim Etzold aus Moers am
                                                                                           Niederrhein gab ihm im Dezember 1964
                                                                                           rund 16.000 DM (damals 4.000 Dollar),
                                                                                           um in New York für ihn amerikanische          Konrad Lueg, Sigmar Polke, Blinky Palermo und Gerhard Richter
                                                                                           Pop-Graphik einzukaufen, wie sie Etzold       vor der Galerie Heiner Friedrich in Köln, 1967
                                                                                           bei Paul Wember im Krefelder Haus
                                                                                           Lange gesehen hatte. Ricke konnte im          den Kunstmarkt zu profitieren. Das           Dies war der Start für die Medien- und      eine Art Vorschau auf die kommenden
                                                                                           Januar 1965 einen Exklusivvertrag für         Terrain vorbereitet hatten ihnen in          Videokunst in Deutschland. Zwirner          Ausstellungen der beteiligten Galerien
                                                                                           den Europavertrieb mit der legendären         Düsseldorf seit 1957 hauptsächlich die       und Stünke, die beide nur wenig Geld        geben. Damit lag der Schwerpunkt auf
Dorothee und Konrad Fischer mit Bruce Nauman, 1989                                         Tatjana Grossmann abschließen, die            Galeristen Jean-Pierre Wilhelm (der          mit ihren Galerien verdienten, gründeten    der Qualität der einzelnen Werke und
                                                                                           damals sämtliche Graphiken für die            seine „Galerie 22“ allerdings schon 1960     1966 mit 16 Galerien den „Verein pro­       weniger auf deren Vermarktbarkeit, was
durchgesetzte Kunst, hohe Risikobereit­       erarbeiteten die Ausstellung meist vor       Pop-Künstler druckte. Es gelang ihm,          aufgab) und Alfred („Vatta“) Schmela.        gressiver deutscher Kunsthändler“ und       schließlich 1973 auch das Ende von
schaft und überaus schmale finanzielle        Ort. Diese herz­liche Gastfreundschaft       alle Wünsche Etzolds zu erfüllen, der         In Köln waren es Hein Stünke mit der         veranstalteten 1967 mit ihnen den ersten    „Prospect“ besiegelte. Immerhin: Die
Mittel. Konrad Fischer hatte als Künstler     machte in der New Yorker Kunstszene          ihm die Arbeiten für eine Ausstellung in      Galerie „Der Spiegel“, die sich seit 1945    Kölner Kunstmarkt. Der damalige Köl­        nationale und internationale Resonanz
eine Antenne für Künstler und ihre            schnell von sich reden – sie war das erste   seiner Kasseler Galerie überließ – da sie     zum wichtigsten künstlerischen Diskurs­      ner Kulturdezernent Kurt Hackenberg         war sowohl beim Kölner Kunstmarkt wie
Bedürfnisse. Aber er hatte auch einen         und vielleicht wichtigste Kapital für        bereits verkauft waren, hatte Ricke kein      ort in Köln entwickelt hatte, und später     überließ ihnen die „Wohnstube“ Kölns,       auch bei „Prospect“ überwältigend.
guten Freund: Kasper König lebte zu der       Dorothee und Konrad Fischer, wobei           Risiko. 1967 begann er, wie Harald            Rudolf Zwirner, der 1962 aus Essen nach      den Gürzenich – die traditionsreiche             Damit hatte sich das Rheinland mit
Zeit in New York und kannte sich bes­         sein immer waches und begabtes Marke­        Szeemann es ausdrückte, „das Abenteuer        Köln umgezogen war. Flankiert wurden         Festhalle in der Kölner Altstadt. Es        Hilfe unterschiedlichster Akteure inner­
tens aus. Er verdiente sich seinen Unter­     tingtalent für seine Künstler bald große     mit der Objekt- und Prozesskunst“ mit         diese ersten Wegbereiter von der Wup­        wurde ein durchschlagender Erfolg: In       halb weniger Jahre nach der Initialzün­
halt als Scout und Vermittler von Kunst       Erfolge erzielte.                            einer Ausstellung von Gary Kuehn, die         pertaler „Galerie Parnass“ des Architek­     vier Tagen kamen rund 15.000 Besucher,      dung der documenta 2 als wichtigster
und Künstlern nach Europa und umge­                In den ersten beiden Jahren reali­      – wie viele spätere in Köln – vor Ort in      ten Rudolf Jährling, die sich seit 1949      und es wurden 1,5 Millionen Mark            Standort der US-amerikanischen Avant­
kehrt. Da Fischer vorerst aus finanziellen    sierte Fischer bereits 25 Ausstellungen      Kassel entstand. Ricke, der seine guten       bis zu ihrer Schließung 1965 radikal den     umgesetzt.                                  garde in Deutschland etabliert; ein
Gründen nicht reisen konnte, aber durch       in der kleinen Galerie in der Neubrück­      Beziehungen nach New York so eifrig           aktuellen Entwicklungen in Frankreich             Die Düsseldorfer Antwort blieb         Kunsttransfer, der nicht ohne Folgen für
Kunstzeitschriften gut informiert war,        straße 12, einem elf Meter langen und        pflegte wie sein Düsseldorfer Kollege         und Deutschland verschrieben hatte und       nicht aus: Konrad Fischer, der vom          die Entwicklung des Kunstmarktes und
bat er König, ihm zu helfen. Er bot ihm       kaum drei Meter breiten Tordurchgang.        Fischer, wurde zum Galeristen von             seit dem Beginn der sechziger Jahre mit      Kölner Verein abgelehnt worden war,         der Rezeption der Künstler in den Verei­
sogar eine Teilhaberschaft an, die König      Die meisten waren Erstpräsentationen         Richard Serra, James Rosenquist, Keith        ihren Happening- und Fluxus-Veranstal­       zeigte in der Düsseldorfer Kunsthalle       nigten Staaten blieb. Die Galerie Fischer
aber ausschlug. Jahrelang war gerade          in Deutschland: Richard Artschwager,         Sonnier, Bill Bollinger, von den Deut­        tungen Kunstgeschichte schrieb: Nam          1968 zusammen mit dem damaligen             erscheint in diesem Kapitel deutsch-ame­
genug Geld für den Hin- und Rückflug          Richard Long, Hamish Fulton, Dan             schen Michael Buthe, Ulrich Rückriem          June Paik veranstaltete dort 1963 als        Kunstkritiker und späteren Galeristen       rikanischer Kunstgeschichte als eine der
der Künstler vorhanden; für das karge         Flavin, Jan Dibbets, Bruce Nauman,           und anderen. Pop-Art verkaufte er jahre­      erste Einzelausstellung seine „Exposition    Hans Strelow „Prospect 68“, eine von        zentralen Schnittstellen dieses transat­
restliche Budget war Dorothee Fischers        Panamarenko, Hanne Darboven, Law­            lang an Peter Ludwig, der ihn aber            of Music – Electronic Television“, bei der   externen Fachleuten jurierte Verkaufsaus­   lantischen Austauschs.
Gehalt als Lehrerin unverzichtbar. Die        rence Weiner und viele mehr. Obwohl er       verließ, als Ricke sich der Konzeptkunst      sich Joseph Beuys, überraschend für alle,    stellung mit internationalen Galerien,
ersten Jahre wohnten die Künstler bei         keine Verträge mit den Künstlern schloss,    zuwandte. Rolf Ricke ging zur Wende           einmischte und mit einer Axt und einem       die wie eine Avantgarde-Kunstausstel­
den Fischers, wurden gut versorgt und         blieben die meisten von ihnen der Gale­      1967/68 nach Köln, um vom aufstreben­         Paar Schuhe ein Piano zertrümmerte.          lung auftrat. Man wollte mit „Prospect“

24                                                                                                                                                     ARSPROTOTO 4 2016                                                                                                25
TITELTHEMA KONZEPTKUNST

FISCHERS FRIENDS
Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen
in Düsseldorf erwirbt die umfangreiche Sammlung des
Ehepaars Dorothee und Konrad Fischer
von Georg Imdahl

                                                                           Bruce Nauman, Setting a Good Corner (Allegory & Metaphor),
                                                                           1999, Video-Still; Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen

                                                                           C
                                                                                ontemporary art is postconceptual art“ – ebenso          zwar nicht per se obsolet wurden – doch sahen sich die
                                                                                einfach wie einleuchtend hat Peter Osborne defi­         Künstler nicht mehr als Maler, Bildhauer, Zeichner,
                                                                                niert, was unter zeitgenössischer Kunst zu verstehen     vielmehr entwickelten sie für jede Setzung eine jeweils
                                                                           sei. Der britische Philosoph weist der Konzeptkunst           eigene Form und bedienten sich, wenn erforderlich,
                                                                           eine zentrale Bedeutung zu: Was immer heute als               nur mehr nach Bedarf des einzelnen Genres.
                                                                           zeitgenössisch gelten kann, hat demnach den Konzep­                So filmt Bruce Nauman die nächtliche Atmosphäre
                                                                           tualismus der 1960er Jahre wie einen Katalysator              in seinem verwaisten Atelier oder richtet die Video­
                                                                           durchlaufen und hinterfragt sich, im Sinne des Kon­           kamera auf sich selbst, als er auf seiner texanischen
                                                                           zeptualismus, als Kunst selbstkritisch. In jenen 60er         Ranch einen Zaun errichtet: „Setting a Good Corner
                                                                           Jahren wurde in der Tat noch einmal grundsätzlich neu         (Allegory & Metaphor)“. Was immer der Künstler tut,
                                                                           verhandelt, was überhaupt als Kunst zu gelten habe.           und sei es eine alltägliche Verrichtung wie jene, ein
                                                                           Aus einer tradierten Geltung heraus sollte sie sich nicht     paar Pfosten in den Boden zu rammen, Draht dazwi­
                                                                           mehr begründen, womit Malerei, Skulptur, Zeichnung           schen zu spannen und ein Tor einzuhängen – es wird
                                                                                                                                        kunstwürdig bzw. wird selbst zur Kunst. Douglas
                                                                                                                                        Huebler bietet als Kunstwerk ein Zertifikat zum
                                                                                                                                        Kauf. Hanne Darboven legt ausführliche, hermetische
                                                                                                                                        ­Archive an, Stanley Brouwn stellt einen Karteikarten­
                                                                                                                                         schrank aus Metall mit 1001 Karten aus.
                                                                                                                                              Die Sammlung Dorothee und Konrad Fischer
                                                                                                                                         verkörpert den konzeptuellen Aufbruch in der Kunst
                                                                                                                                         der 1960er Jahre in solchen exemplarischen Werken
                                                                                                                                         und Werkgruppen. Wie ein Scheinwerfer richtet sie
                                                                                                                                         sich auf die entscheidenden Jahre und hält prägende
                                                                                                                                         Momente in einer – auch persönlich motivierten
                                                                                                                                         – Auswahl fest. Das Konvolut entstand in der Ausein­
                                                                                                                                         andersetzung und oft auch in jahrelangen Freundschaf­
                                                                           On Kawara, NOV.3, 1996, 1996, aus Today Series
                                                                           (1966 – 2013), 20,5 × 25,5 × 4,5 cm;                          ten mit den Künstlern der Galerie. Keineswegs basiert
                                                                           Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen                             sie auf einer orthodoxen Vorstellung zeitgenössischer
Bruce Nauman, burning small fires, 1968, Künstlerbuch mit Fotoaufnahmen,
31,8 × 24,1 cm; Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen

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Carl Andre, Copper-Magnesium Alloy Square,
               1969, 1 × 200 × 200 cm, Platten je 1 × 20 × 20 cm;
               Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen

Kunst; den offenen, künstlerischen Geist verbürgen              auch er mit einer eigenwilligen deutschen Ausprägung
unterschiedliche Ansätze wie jene eines Robert Ryman,           der Pop-Art gegen einen hehren, utopisch-modernis­
der die Malerei auf ihre ureigenen Bedingungen ab­              tischen Anspruch von Malerei gestichelt, indem er
klopfte, nämlich als Ding an der Wand mit allen seinen          Putzlappen, Geschenkpapiere, Handtücher und Tisch­
Bestandteilen, bis zur Aktionskunst von Gilbert &               decken zum Motiv machte. Während er solche Muster
George im Zeichen einer Kunst für alle. Besonders in            aber in seiner eigenen Malerei bald als ausgeschöpft
den frühen Jahren – um 1970 – zeichnet sich die                 sah, erkannte er das serielle Prinzip in der Minimal Art
Sammlung durch Klarheit und Stringenz aus, wobei                als substanzielle Option – allen voran bei Carl Andre,
sich die untrügliche Intuition für Qualität fraglos auch        dem Künstler, mit dem er im Oktober 1967 seine
aus der Tatsache herleiten lässt, dass Konrad und               Galerie eröffnete und so eine enge freundschaftliche
Dorothee Fischer beide Künstler waren. „You are a fine          Verbindung von Galerist und Künstler eingehen sollte.
fellow, an artist, not a stuffy dealer“, hat der Künstler       Jenes „5 × 20 Altstadt Rectangle“ mit hundert Platten
Carl Andre zu Konrad Fischer bemerkt: Der sei ein               aus Walzstahl (siehe Abb. S. 20), das das Publikum mit
Kollege, ein Künstler, kein spießiger Händler.                  der Minimal Art konfrontierte, eliminierte nicht nur
     Fischer verfügte über einen besonderen sechsten            jegliches plastische Volumen der Skulptur, es unterlief
Sinn, als es darum ging, die Relevanz neuer Ansätze             darüber hinaus auch die üblichen Erwartungen an
wahrzunehmen. In den frühen 1960er Jahren hatte                 Kunst – für viele Galeriebesucher war sie als solche gar
                                                                nicht erkennbar, wenn sie das Ensemble der Boden­
                                                                platten in der Galerie in der Düsseldorfer Altstadt
                                                                betraten.
                                                                     Man müsse seinen Geist verarmen lassen: Das sei
                                                                echte Befreiung, befand Andre. Sie führte ihn dazu,
                                                                „Materialien der Gesellschaft in einer Form zu verwen­
                                                                den, in der sie die Gesellschaft nicht verwendet“. Mit     Hanne Darboven, Lohn- / Gehaltsliste für Monat Juli 1.–31., 25.7.1968,
                                                                der am Boden sich ausbreitenden Fläche wie in der          1968, 50,5 × 45,5 × 2,5 cm; Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen
                                                                frühen Arbeit „Copper-Magnesium Alloy Square“ von
                                                                1969 schuf Andre einen eigenen Typus flacher Skulp­
                                                                tur, mit der er auf die in den Himmel aufragende
                                                                „Endlose Säule“ von Constantin Brâncuși aus dem Jahr
Gilbert & George, Great Expectations,
1972, 41× 66,5 × 2,5 cm;                                        1937 reagierte. Den Raum der Skulptur hatte Andre
Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen                               regelrecht „herausgepresst“, wie die Kunsthistorikerin

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