EUCH KLASSIK - PROGRAMM 2017/2018 ZÜRICH La Chaux-de-Fonds - Migros-Kulturprozent-Classics
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R I N W IR B S SIK G E N EU C H K L A 7/2018 Z Ü R I C H G R A M M 201 PRO· La Chaux-de-Fonds · Luzern Gen f
E N T- C L A S S I C S LT U R P R O Z MIGROS-K2U018 in der Maag-Halle Zürich 7/ Pr ogr amm 201 Dienstag, 24. Oktober 2017 – Abo I Samstag, 24. März 2018 – Abo II TSCHECHISCHE PHILHARMONIE Sonntag, 25. März 2018 – Zürich Jiří Bělohlávek (Leitung) Spezialkonzert Truls Mørk (Violoncello) BBC SYMPHONY ORCHESTRA → Seite 10 Sakari Oramo (Leitung) Vilde Frang (Violine) Dienstag, 14. November 2017 – Abo II → Seite 30 SPANISCHES NATIONALORCHESTER David Afkham (Leitung) Dienstag, 8. Mai 2018 – Abo I Javier Perianes (Klavier) MARIINSKY ORCHESTRA → Seite 16 Valery Gergiev (Leitung) Inhaltsverzeichnis → Seite 36 Mittwoch, 24. Januar 2018 – Abo I Migros-Kulturprozent-Classics . . . . . . . . . . . . . 3 MAHLER CHAMBER ORCHESTRA Samstag, 9. Juni 2018 – Abo II Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4–5 Daniele Gatti (Leitung) WIENER SYMPHONIKER Zum Programm . . . . . . . . . . . . . . . . . 6–7 → Seite 24 Philippe Jordan (Leitung) Ein nachhaltiges Engagement . . . . . . . . . . . . . 8 Gautier Capuçon (Violoncello) Unsere Solistinnen und Solisten von morgen . . . . . . . . . . 9 → Seite 42 Konzert 1: Tschechische Philharmonie . . . . . . . . . . . . 10–15 Konzert 2: Spanisches Nationalorchester . . . . . . . . . . . 16–23 Konzert 3: Mahler Chamber Orchestra . . . . . . . . . . . . 24–29 Konzert 4: BBC Symphony Orchestra . . . . . . . . . . . . 30–35 Konzert 5: Mariinsky Orchestra . . . . . . . . . . . . . 36–41 Konzert 6: Wiener Symphoniker . . . . . . . . . . . . . 42–47 Abos und Karten . . . . . . . . . . . . . . . . 48–49 Saalplan Maag-Halle Zürich . . . . . . . . . . . . . . 50–51 Tourneen 2017/2018 . . . . . . . . . . . . . . . . 52–53 Extrakonzerte 2017/2018 . . . . . . . . . . . . . . . 54 3
V O R W O R T Sehr geehrtes Publikum Musik begleitet uns – ob wir es wollen oder nicht – fast immer und überall. Menschen mit Als privater Kulturförderer kann das Migros-Kulturprozent bei seinen eigenen Projekten Kopfhörern sind aus dem öffentlichen Raum nicht mehr wegzudenken. Was sie wohl hören, frage bewusst inhaltliche Intendanzen unterstützen und somit klare Akzente setzen. Bereits Migros- ich mich oft, wenn ich im Tram wippende Köpfe beobachte. Jedem seine eigene Musik, Gründer Gottlieb Duttweiler lancierte schnell und unbürokratisch eigene Projekte – wie die wann sie gerade passt. Die Digitalisierung macht vieles möglich. Musik auf Abruf zum Beispiel. 1948 gegründeten Klubhauskonzerte (seit 2009 unter dem Namen Migros-Kulturprozent-Classics Wir hören auf Internetplattformen unseren Mix der Woche und entdecken laufend neue Kompo geführt) – mit dem Ziel, einer breiten Bevölkerung grosse klassische Orchester zu moderaten sitionen. Wir sind es mittlerweile gewohnt, eine unendliche Fülle an Interpretationen direkt aus Preisen zugänglich zu machen. Seit 1957 ist das Migros-Kulturprozent in den Statuten der Migros dem Internet zu fischen. Wir konsumieren Musik über die verschiedensten Musikstile hinweg verankert und hinsichtlich seiner Grösse und Vielfalt ein einzigartiges Konstrukt. Das kulturelle und oft, ohne konzentriert hinzuhören. und soziale Engagement eines Unternehmens an den Umsatz zu knüpfen und nicht an den Gewinn, ist auch heute noch – weltweit – ein einzigartiges Fördermodell. Meiner Meinung nach geht aber nach wie vor nichts über das musikalische Erlebnis auf der Bühne: Interpretation, Nuancen, Zusammenspiel, Talent, Tagesform und Publikum: Diese Kombination Musik begleitet uns durch das Leben, manchmal aus Kopfhörern und oft auch live in einem lässt authentischen Genuss und ganz besondere Momente entstehen. Im Konzertsaal hat man Konzert. Sie, wertes Publikum, zeigen uns, dass es sich immer wieder aufs Neue lohnt, teil am Entstehen und Vergehen der Klänge, an der Unmittelbarkeit der Musik, der durchaus eine Saison voller Klangerlebnisse zu programmieren. Wir freuen uns auch in der neuen eine existenzielle Dimension anhaftet. Wie kaum eine andere Kunstform ist die Musik dazu Saison auf Sie! geeignet, in Gemeinschaft an einem Ort erlebt zu werden – sei dies in einem Konzertsaal oder an einem Open-Air-Konzert. Seien Sie musikalisch herzlich gegrüsst Dem Migros-Kulturprozent ist es ein Anliegen, junge Musikerinnen und Musiker bei ihren ersten Schritten auf der Bühne zu begleiten: Unsere Talentförderung ergänzen wir in dieser Saison mit einem neuen Format. Die Reihe «Unsere Solistinnen und Solisten von morgen» ermöglicht es Ihnen, wertes Publikum, junge, in der Schweiz lebende Musikerinnen und Musiker zu entdecken. Wir lancieren diese Reihe in der Überzeugung, dass Künstlerinnen und Künstler die Chance brauchen, aufzutreten und so nachhaltige Erfahrungen zu sammeln. Musikerinnen und Musiker, die sich durch ein besonders grosses solistisches Potenzial auszeichnen, können so ihre Konzert erfahrung erweitern und ihren Bekanntheitsgrad steigern. Manche internationale Karriere hat mit Hedy Graber der Unterstützung durch das Migros-Kulturprozent ihren Anfang genommen. Mit «Unsere Leiterin Direktion Kultur und Soziales Solistinnen und Solisten von morgen» verstärken wir unser Engagement im Nachwuchsbereich. Migros-Genossenschafts-Bund 4 5
G R A M M Z U M P RO Sehr geehrtes Publikum Liebe Klassikfreunde Ich freue mich, Ihnen unsere Konzerte der neuen Saison 2017/2018 vorstellen zu dürfen. Lassen Sie sich mitreissen und inspirieren von grossartigen Dirigenten wie, Christian Thielemann, Jiří Bělohlávek, Daniele Gatti, Valery Gergiev oder Philippe Jordan. Fiebern Sie mit, wenn Es erwarten Sie musikalische Begegnungen und Entdeckungen mit zeitlosen Meisterwerken wunderbare Solistinnen und Solisten wie Truls Mørk, Vilde Frang, Denis Mazuev oder Gautier der klassischen Musik, gespielt von den führenden Orchestern, Dirigenten und Solisten der Capuçon ihre musikalischen Hochseilakte aufführen. heutigen Zeit. Aber nicht nur die etablierten klassischen Musikerinnen und Musiker sind bei uns zu Gast. Es sind nicht nur hervorragende Dirigenten und Instrumentalisten, sondern – und dies ist für In der neuen Reihe «Unsere Solistinnen und Solisten von morgen» werden auch junge hochbegabte diese Kunstform essentiell – Interpreten, welche sich stets bemühen, die von den Komponisten Förderpreisträgerinnen und Förderpreisträger des Migros-Kulturprozent in kurzen Rezitals kunstvoll in Noten gefassten Gedanken und Emotionen stets aufs Neue zum Leben zu erwe- in Zürich und Luzern zu entdecken sein. Erleben Sie die kommenden Interpreten, welche mit cken. Wie Regisseure suchen sie nach zeitgemässen Deutungen des Notentextes, weisen den Sicherheit dafür sorgen werden, dass die klassische Musik auch in Zukunft lebendig und von Themen, Melodien und Rhythmen Charaktere und Stimmungen zu und versuchen, Sie, verehrtes zeitloser Schönheit bleibt. Publikum, in den Bann des musikalischen Geschehens hineinzuziehen. Ich wünsche Ihnen herzlich inspirierende Musikerlebnisse in unseren Konzerten. Um diesen Bemühungen gerecht zu werden, braucht es sorgfältig gewählte, aufeinander abge stimmte Konzert-Programme, welche den Interpreten eine grösstmögliche Gestaltungsfreiheit bieten und gleichzeitig mannigfaltige harmonischen Spannungsbögen für die Zuhörer schaffen. Begleiten Sie uns auf den musikalischen Entdeckungsreisen durch tschechische, spanische, englische, österreichische und russische Klangwelten und Traditionen mit der Tschechischen Philharmonie, dem Spanischen Nationalorchester, dem Mahler Chamber Orchestra, dem BBC Mischa Damev Symphony Orchestra aus London, den Wiener Symphonikern und dem Mariinsky Orchestra Intendant aus Sankt Petersburg. Migros-Kulturprozent-Classics 6 7
A C H H A LT I G E S E S O L I S T I N N E N E I N N U N S E R N M O RGE N E M E N T I S T E N V O E NG A G S c h w e iz es M e r ig M r o s usik t - K u lt u r alen t e d pr o z en t U ND S OL Die Talentwettbewerbe In der neuen Konzertserie präsentieren wir die besten Studien- und Förderpreisträger Musik Das Migros-Kulturprozent fördert begabte Instrumentalmusiker/-innen und Sänger/-innen mit des Migros-Kulturprozent. Entdecken Sie jeweils eine Stunde vor folgenden Migros-Kultur- Studien- und Förderpreisen. Dank den Studienpreisen können sich diese auf ihre Aus- oder Weiter- prozent-Classics-Konzerten unsere Solisten von morgen in einem halbstündigen Rezital: bildung konzentrieren. Die Förderpreise begleiten sie auf nachhaltige Weise auf ihrem Weg 22.10.2017, 30.11.2017, 23.1.2018 und 31.5.2018 in Luzern, 24.10.2017, 24.3.2018 und 9.6.2018 von der Schule in den Beruf. Sie beinhalten Massnahmen wie die Aufnahme in die Konzertvermitt- in Zürich. Ihr Abonnement oder Ihre Konzertkarte berechtigt zum kostenlosen Eintritt. lung, die Aufschaltung eines Profils auf der Online-Talentplattform des Migros-Kulturprozent und die Unterstützung bei der Promotion. Ziel ist es, Nachwuchstalenten einen optimalen Karrierestart zu ermöglichen. www.migros-kulturprozent.ch/talentwettbewerbe www.migros-kulturprozent.ch/talente-entdecken Besenv al © Gabrielle Kammermusik-Wettbewerb Bur st © Lauren t Alle zwei bis drei Jahre veranstaltet das Migros-Kulturprozent einen öffentlichen Kammermusik- ichaud Valentine M wettbewerb zur Förderung junger Kammermusik-Ensembles. Die drei Finalisten-Ensembles werden Laura Schm id rkus © Ver a Ma in die Konzertvermittlung des Migros-Kulturprozent aufgenommen. Das Preisträger-Ensemble zil © Amélie Kor erhält zudem ein Preisgeld von 10 000 Franken sowie die Ernennung zum «Migros-Kulturprozent- Ensemble». Diese Auszeichnung beinhaltet ein umfassendes Förderpaket. www.migros-kulturprozent.ch/kammermusikwettbewerb Konzertvermittlung ier Poizat François-X av Das Migros-Kulturprozent übernimmt im Rahmen seiner Konzertvermittlung zwei Drittel des Eduard Mät zener Honorars von ausgewählten Studienpreisträgern/-innen und Kammermusik-Ensembles. Damit ermöglicht es den Konzertveranstaltern/-innen, zu bescheidenen Konditionen qualitativ anspruchs- volle Konzerte mit Schweizer Musiktalenten anzubieten. Die Musikerinnen und Musiker ihrerseits können so ihre Konzerterfahrung erweitern und ihren Bekanntheitsgrad erhöhen. www.migros-kulturprozent.ch/konzertvermittlung rber Joel von Le htrio Orion Streic 8 9
Konzert 1 – Abonnement I Spieldauer inkl. Pause ca. 110 Minuten Maag-Halle Zürich Tschechische Philharmonie Dienstag, 24. Oktober 2017, 19.30 Uhr Jiří Bělohlávek (Leitung) Truls Mørk (Violoncello) Programm Leoš Janáček (1854–1928) Ouvertüre «Eifersucht» zur Oper «Jenůfa» Antonín Dvořák (1841–1904) Allegro Konzert für Violoncello und Orchester Adagio, ma non troppo Nr. 2 h-Moll op. 104 Finale. Allegro moderato Pause Antonín Dvořák Allegro con brio Sinfonie Nr. 8 G-Dur op. 88 Adagio Allegro grazioso – Molto vivace Allegro, ma non troppo © Johs Boe Truls Mørk 10 11
PR O G R A M M Orchester durchzusetzen. Und doch liegen Schatten von Melancholie über Ko n z e r t 1 dem Werk. Während der Arbeit am 2. Satz erfuhr Dvořák von der schweren Erkrankung seiner Schwägerin Josefina, die er als junger Mann geliebt hatte. Leoš Janáček (1854–1928) Immer wieder rollen die Wellen der Emotionen Daraufhin verwendete er die Melodie Ouvertüre «Eifersucht» zur Oper aus der Tiefe des Orchesters an, werden besänf- ihres Lieblingslieds «Lasst mich allein» aus «Jenůfa» tigt, peitschen erneut in die Höhe. Auch an kon- dem Zyklus «Zypressen» als Seitenthema. Mit der Prager Erstaufführung von «Jenůfa» 1916 kreter Klangmalerei mangelt es nicht, etwa Als Josefina wenige Monate später starb, gelang Leoš Janáček endlich der ersehnte Durch- wenn die Geigen das Flimmern der Hitze und das baute er ein entsprechendes Zitat auch in bruch als Komponist – im Alter von 62 Jahren. Summen von Fliegen nachgestalten. das Finale ein – gegen den Willen des Wid- Seit ihrer Premiere im Jahr 1904 war die Oper mungsträgers Wihan, der sich zum Abschluss nur im mährischen Brünn gegeben worden. Die Antonín Dvořák (1841–1904) eine virtuose Solokadenz gewünscht hatte. Entstehung des Werks lag noch einmal deut- Konzert für Violoncello und Orchester lich länger zurück: Erste Entwürfe datieren von Nr. 2 h-Moll op. 104 Antonín Dvořák (1841–1904) 1894, abgeschlossen wurde es aber erst 1903. Im Vergleich zu seinen Sinfonien, Orchesterstü- Sinfonie Nr. 8 G-Dur op. 88 Innerhalb dieses Reifeprozesses hatte Janáček cken oder Opern hat sich der Böhme Antonín Wie aus dem Nichts erschien Antonín Dvořák zu einem eigenen Stil gefunden, der sich durch Dvořák der Gattung des Solokonzerts eher sel- 1878 auf der Musikbühne Europas und eroberte eine Kombination volkstümlicher und moderner ten gewidmet: Lediglich drei Werke, für Klavier, das Publikum mit seinen slawisch grundierten Elemente auszeichnet und von der tschechi- Violine sowie Violoncello, stammen aus seiner Werken im Handumdrehen. Festlegen lassen schen Sprachmelodie geprägt ist. Dies gilt auch Feder. Dafür gelang es ihm mit dem in den USA auf das Klischee des «böhmischen Musikanten» für das Vorspiel zu «Jenůfa», das Janáček schon entstandenen op. 104, die bis dahin spärliche wollte er sich aber nicht, wie das Beispiel seiner Antonín Dvořák 1894 schrieb, dann aber verwarf und separat Literatur für Cello um einen kanonischen Beitrag grimmigen 7. Sinfonie zeigte. In der 1889 kom- zur Aufführung brachte. Im Rückblick wirkt es zu bereichern – und das trotz persönlicher Vor- ponierten Achten dominierten dann wieder die wegs der «Bauchmusiker», als der er vielen galt, wie eine kompositorische Einstimmung auf das behalte gegen das Instrument. Inspiriert wurde nationalen Tonfälle – Grund für ihre Beliebtheit sondern ein Künstler, der solche Folklorismen Hauptthema der Oper, Eifersucht (tschechisch: Dvořák durch das 1894 in New York urauf bis heute. Allerdings ist das tschechische Kolo- dosiert und gezielt einsetzte. Auch die vielfäl «Žárlivost»). In «Jenůfa» ist es der junge Laca, geführte Cellokonzert seines Kollegen Victor rit ein geborgtes: Vom melancholischen Beginn tigen Abweichungen vom klassischen Formen- der seine Geliebte aus Eifersucht misshandelt, Herbert. Noch im selben Jahr machte er sich an über den vexierbildartigen langsamen Satz bis arsenal in der Achten sind Ergebnis bewusster am Ende aber treu zu ihr steht. Für das Vorspiel ein eigenes Werk, das er dem Cellisten des zum überschäumenden Finale wählt Dvořák Planung: Im 1. Satz etwa wird die Überfülle wiederum gab es eine konkrete Inspirations- Böhmischen Quartetts, Hanuš Wihan, widmete. keine originalen Volksmelodien, sondern ahmt melodischer Einfälle durch das genau austa- quelle, das mährische Volkslied vom sterbenden Das h-Moll-Konzert, in traditioneller Dreisät diese in Tonfall und Struktur nach. Im Scherzo rierte Verhältnis von Dur- und Moll-Passagen Hirten, der seine Braut mit in den Tod nehmen zigkeit angelegt, zeigt das Soloinstrument nicht unterläuft er sogar die Hörerwartungen, indem aufgefangen. Und im Finale durchdringen sich möchte, damit sie kein anderer bekommt. nur von seiner gesanglichen Seite, sondern auch statt eines rustikalen Volkstanzes ein wehmüti- so unterschiedliche Formkonzepte wie Rondo, Janáček übernahm einzelne Motive des Lieds, als energiegeladenen, selbstbewusst auftrump- ger Walzer erklingt; erst in der Coda blitzt ganz Sonatensatz und Variationenzyklus, bevor die überformte und erweiterte sie zu einer Ton- fenden Charakter. Mit kraftvollen Gesten vermag kurz ein echtes Volkslied auf, allerdings versteckt Wiederkehr der einleitenden Trompetenfanfare dichtung von grosser Plastizität und Intensität. es sich immer wieder gegen das stark besetzte in Oboen und Fagotten. Dvořák war also keines- für eine Rundung des Geschehens sorgt. 12 13
INTE R P R E T E N Jiří Bělohlávek Als der 22-jährige Jiří Bělohlávek Assistent von scher Komponisten setzten Massstäbe, v. a. Ko n z e r t 1 Sergiu Celibidache wurde, schien sein Aufstieg die Einspielungen mit Werken Janáĉeks und in die internationale Dirigentenszene vorgezeich- Martinůs geniessen Referenzstatus. Besondere net. 1968 war das, und prompt folgten diverse Erfolge feierte der 1946 geborene Dirigent in Preise bei Wettbewerben, 1972 die erste Chef- England: Hier leitete er jahrelang das BBC Sym- dirigentenstelle in Brünn, später der Wechsel phony Orchestra, das ihn mittlerweile zum Ehren- nach Prag zu den Symphonikern. 1990 trat dirigenten ernannte. 2007 gestaltete er als erster Tschechische Philharmonie Bělohlávek die Nachfolge des legendären Václav Nichtengländer die Last Night of the Proms. Auf eine lange und wechselvolle Geschichte wechselbaren, samtig-weichen Gesamtklangs. Neumann bei der Tschechischen Philharmonie Bělohlávek ist nicht nur Träger des Tschechischen kann die Tschechische Philharmonie zurückbli- In den vergangenen Jahren gab es reichlich an, zu der er 2012 erneut als Chefdirigent zurück- Ehrenkreuzes, sondern wurde 2012 auch zum cken. Ihr Premierenkonzert im Jahr 1896 wurde Preise für CD-Einspielungen, darunter mehrere kehrte. Seine Aufnahmen mit Musik tschechi- Commander of the British Empire ernannt. von keinem Geringeren als Antonín Dvořák ge- Grand Prix du Disque und eine Grammy-Nomi- leitet. Eigenständigkeit erlangte das Orchester nierung. Regelmässig wird die Tschechische Truls Mørk aber erst fünf Jahre später, als man sich orga- Philharmonie unter die besten Orchester Euro- Klavier, Violine oder doch Cello? Das war zu Wettbewerb in Moskau erfolgreich, siegte in nisatorisch vom Prager Nationaltheater löste. pas gewählt. Zu ihren Chefdirigenten gehörten Beginn von Truls Mørks musikalischem Werde- Florenz und New York. Seither legte er für das Vor allem seit der Ägide von Václav Talich Persönlichkeiten wie Václav Neumann, Vladimir gang eine offene Frage. Und auch nach der Ent- gesamte Cello-Repertoire Referenzaufnahmen (1919–41) gilt die Tschechische Philharmonie mit Ashkenazy und Eliahu Inbal; ihr aktueller Leiter scheidung zugunsten des Cellos wurde der junge vor, seine Einspielung der Solo-Suiten von Sitz im Prager Rudolfinum als führendes Sinfo- ist der Tscheche Jiří Bělohlávek. Mann aus Bergen von seinen Eltern, beide Benjamin Britten wurde mit einem Grammy nieorchester des Landes, auch dank ihres unver- Berufsmusiker, keineswegs gedrängt, in ihre belohnt. Nach einem Zeckenbiss 2009 schien Fussstapfen zu treten. Damit fusst Mørks einzig- seine Laufbahn gefährdet, bis er Ende 2010 ge- artige Karriere, die eher spät begann, auf freiem heilt auf die Konzertbühne zurückkehrte. Berühmt Willen, auf einer Liebe zur Musik, die sich um bio- ist Mørk für sein gesangliches Spiel – nicht grafische Hürden wenig schert. Als erster skan- umsonst nennt er den Bariton Dietrich Fischer- dinavischer Musiker war er beim Tschaikowski- Dieskau als eines seiner künstlerischen Vorbilder. Truls Mørk ek Jiří Bělohláv Philharmonie 14 Tschechische 15
Konzert 1 – Abonnement II Spieldauer inkl. Pause ca. 110 Minuten © Felix Broede Maag-Halle Zürich Spanisches Nationalorchester Dienstag, 14. November 2017, 19.30 Uhr David Afkham (Leitung) Javier Perianes (Klavier) Programm Maurice Ravel (1875–1937) Prélude à la nuit. Très modéré «Rhapsodie Espagnole» Malagueña. Assez vif Habanera. Assez lent et d’un rythme las Feria. Assez animé Manuel de Falla (1876–1946) En el Generalife «Nächte in spanischen Gärten» Danza lejana En los jardines de la Sierra de Córdoba Pause Claude Debussy (1862–1918) Par les rues et par les chemins Images pour Orchestre Nr. 2 «Ibéria» Les parfums de la nuit Le matin d’un jour de fête Igor Strawinsky (1882–1971) Suite «Der Feuervogel» (1919) m David Afk ha 16 17
PR O G R A M M Manuel de Falla (1876–1946) Themen, arabischem Musikgut und impressionis- Kon z er t 2 «Nächte in spanischen Gärten» tischer Instrumentierung. Der solistische Klavier- «Nächte in spanischen Gärten», Manuel de part ist sehr brillant gehalten, aber stets in das Fallas wohl bekanntestes Orchesterwerk, orchestrale Stimmengewebe eingebunden. Maurice Ravel (1875–1937) gilt als Liebeserklärung des Komponisten «Rhapsodie espagnole» an seine andalusische Heimat. Und das Für Maurice Ravel war Spanien, zu Recht, entstand der dreisätzige Zyklus das Geburtsland seiner Mutter, doch wesentlich in Paris! Hier, in der eine Art Sehnsuchtsraum, Projek- Metropole, «malte ich die spanischen tionsfläche für ganz persönliche Nächte vielleicht noch schöner, als sie Bilder und Stimmungen. Bereits die in Wirklichkeit sind», so de Falla rückbli- 1895 komponierte Habanera für ckend. Allerdings wäre das Stück ohne zwei Klaviere, eines seiner frühen die künstlerischen Anregungen, die de Meisterwerke, setzt auf spanisches Falla in Paris empfing, nie entstanden. Kolorit, allerdings nur indirekt: Sie Während er zuhause in Spanien mit verzichtet auf Originalweisen, und Missachtung gestraft wurde, bestärk- selbst der berühmte Habanera-(Tango-) ten ihn Kollegen wie Dukas und Ravel Rhythmus droht hinter einem Schleier auf seinem kompositorischen Weg. von Triolen zu verschwinden. Das Stück Ein weiterer Exilant, der Pianist gehört zu einer Sammlung, der Ravel den Ricardo Viñes, riet de Falla, das vielsagenden Titel «Sites auriculaires» ursprünglich für Klavier konzipierte gab, auf Deutsch etwa «Erlauschte Land- Material zu einem grossen sinfo- schaften». Zwölf Jahre später ergänzte nischen Werk auszuarbeiten. Zur er die Habanera um drei weitere Spanien- Uraufführung kam es erst 1916, Sätze – eine Nachtszene, einen Flamenco- sieben Jahre nach den ersten artigen Tanz und ein rauschendes Fest – Entwürfen. Stilistisch stellen die zur «Rhapsodie espagnole» und orchest- «Nächte in spanischen Gärten» eine Maurice Ravel rierte den Zyklus anschliessend. Mit diesem Mischung zwischen Klavierkonzert und Ton ersten Vorstoss in die Orchesterwelt der deutlich. Durch spezifische Spieltechniken wie dichtung dar, de Falla selbst bezeichnete sie Spätromantik landete der 32-jährige Ravel Glissandi, Flageoletts, Triller in extremen Lagen, als «sinfonische Impressionen». Abgesehen von einen beachtlichen Publikumserfolg und bewies gezupfte oder gedämpfte Töne erzielt Ravel ihren zum Teil konkret benannten Schauplätzen ganz nebenbei erstaunliches instrumentatori- eine räumliche Tiefe, wie sie kein Pianist erzeu- (Granada, das Hinterland Córdobas), gibt es keine sches Geschick. Die Ensemblefassung der gen kann. Das Resultat sind differenzierteste programmatischen Hinweise. Dass beim Hören Rhapsodie lässt die ursprüngliche Klavierver- Farbnuancen, ein unablässiges Schwanken des dennoch sehr plastische, farbenreiche Bilder sion nicht nur vergessen, sondern überflügelt Klangbilds, vom fahlen Auftakt bis zum orgias- entstehen, liegt an de Fallas fantasiereicher sie in klanglicher wie emotionaler Hinsicht tischen Rausch der Schlusstakte. Klangregie, einer Kombination von andalusischen 18 19
PR O G R A M M Kon z er t 2 führen: «Gigues» nach England, «Ibéria» nach die Gelegenheit und sagte sofort zu. Diaghilew Spanien, «Rondes de printemps» nach Italien. Das und seine Mitstreiter, der Choreograf Michail längste und gewichtigste dieser drei «Images» Fokin und der Kostümbildner Léon Bakst, hatten Claude Debussy (1862–1918) allel an einem Klavier- und einem Orchester ist das mittlere, «Ibéria»; es hat sich auch – nach Sujet und Handlung des Balletts bereits entwor- Images pour Orchestre Nr. 2 «Ibéria» zyklus, die beide diesen Titel tragen sollten. Die einer höchst kontrovers verlaufenen Premiere – fen. Sie bedienten sich dabei dreier Erzählungen Bildhafte Überschriften finden sich in Claude Fertigstellung des Orchesterwerks zog sich als das bei weitem populärste erwiesen und aus der berühmten Sammlung «Russische Volks- Debussys Schaffen häufig, der allgemein gehal- allerdings deutlich länger hin. Erst 1912 lagen wird gern separat aufgeführt. «Ibéria» besteht märchen»: Iwan Zarewitsch fängt den mythi- tene Titel «Images» sogar mehrfach. Kurz nach die insgesamt drei Stücke vor, die in jeweils selbst wiederum aus drei Teilen, die ineinander schen Feuervogel, schenkt ihm das Leben und der Jahrhundertwende arbeitete Debussy par- unterschiedliche musikalische Landschaften übergehen: Auf eine Strassen- folgt eine Nacht- besiegt mit seiner Hilfe den Zauberer Kastschei. szene, zuletzt dämmert ein Festtagsmorgen Auf diese märchentypische Konstellation mit heran. Das gesamte Stück ist entscheidend vom klarer Rollenverteilung von Gut und Böse, Hell Claude Debussy Rhythmus geprägt: Kastagnetten grundieren und Dunkel antwortet Strawinsky mit einem das geschäftige Treiben in der Stadt («Par les ähnlich klaren kompositorischen Rezept, das er rues et par les chemins»), während im Mittelteil freilich bis ins Kleinste ausdifferenzierte: Iwan ein extrem verlangsamter Habanera-Rhythmus und seine Braut werden durch diatonische Melo- durch die flirrende Atmosphäre schimmert («Les dien charakterisiert, Kastschei durch Chromatik, parfums de la nuit»). Mit der Morgensonne zieht der Feuervogel durch zusätzliche Intervalle. von ferne ein Marsch heran, um den herum sich Ein Modell, das Strawinsky bei seinem Lehrer weitere folkloristische Einsprengsel gruppieren Rimsky-Korsakow studiert hatte, wie auch die («Le matin d’un jour de fête»). Klangmalerei also glänzende Instrumentierung dem Älteren ver- oder, um einen Begriff Debussys zu verwenden: pflichtet ist. Weitere Vorbilder sind Tschaikowsky évocation. Er habe sich, schrieb der Komponist (Figurenzeichnung) und Mussorgsky (der hym anlässlich der Uraufführung, «bemüht, für das nische Schluss). Harmonisch dagegen geht das Ohr die Eindrücke des Auges zu übersetzen». Werk selbstbewusst neue Wege. Aus der Ballett musik stellte Strawinsky selbst 1919 eine Orches- Igor Strawinsky (1882–1971) tersuite zusammen . Suite «Der Feuervogel» (1919) Für den «Feuervogel» liess Igor Strawinsky sogar eine Oper liegen. Im Herbst 1909 hatte der junge Komponist gerade den 1. Akt der «Nach- tigall» nach Andersen beendet, als er ein Tele- gramm von Sergej Diaghilew erhielt, ob er ein Stück für dessen in Paris gastierende Ballett- kompanie schreiben wolle. Strawinsky, ausser- halb seiner Heimat noch völlig unbekannt, ergriff 20 21
IN T E R P R E T E N David Afkham David Afkham ist eine Ausnahmeerscheinung der Ensembles, mit denen Afkham bereits gear- Kon z er t 2 unter den jungen Dirigenten der Gegenwart. Der beitet hat, ist lang, sie reicht von den Philhar- 1983 geborene Sohn eines Iraners und einer monikern von Boston, Chicago und Los Angeles Deutschen lernte früh Klavier und Geige, errang bis zum Philharmonia Orchestra in London, dem Preise beim Wettbewerb «Jugend musiziert» Orchestre National de France und der Staats und wurde mit 15 Jungstudent in seiner Heimat- kapelle Dresden. 2013 dann der Ritterschlag, als stadt Freiburg. Diverse Stipendien und Aus- das Spanische Nationalorchester den 30-Jähri- Spanisches Nationalorchester zeichnungen schlossen sich an, zudem assis- gen zum Chefdirigenten kürte. Angst, dass diese Aushängeschild und Flaggschiff der klassischen Turinas und Halffters, die einem weltweiten tierte er an mehreren europäischen Spitzen steile Karriere ihm zu Kopf steigen könnte, Musikszene Spaniens – so liesse sich das Selbst- Publikum in Konzerten und Aufnahmen nahe orchestern, darunter am Concertgebouw, wo braucht man nicht zu haben: «Mir geht es immer verständnis des Spanischen Nationalorchesters gebracht wurden. Seit der Jahrtausendwende Bernhard Haitink sein Mentor wurde. Die Liste nur um die Musik.» umreissen. Ein Kind des Bürgerkriegs, konnte es wurde dieses Repertoire deutlich erweitert, etwa erst nach 1940 seine reguläre Arbeit aufneh- im Blick auf Uraufführungen und die Zusammen- Javier Perianes men. In der Folgezeit prägten vor allem einhei- arbeit mit zeitgenössischen Komponisten. Der Ein spanischer Pianist, der Schubert spielt? Symphoniker von Chicago und Boston, Dirigen- mische Dirigenten seinen Werdegang, darunter nächste Schritt nach vorn erfolgte 2014 mit der Und dafür höchstes Kritikerlob erhält? Javier ten wie Daniel Barenboim, Zubin Mehta und Jesús López-Cobos, Josep Pons sowie beson- Berufung des jungen Deutschen David Afkham Perianes gelang dieses Kunststück im Jahr 2008, Daniel Harding. Natürlich ist ein wichtiges ders Rafael Frühbeck de Burgos. Auch das zum neuen Chefdirigenten, der fest entschlossen als er eine CD mit Impromptus und Klavier künstlerisches Standbein weiterhin die Musik Repertoire des Orchesters fokussierte sich auf ist, das Orchester international als feste Grösse stücken vorlegte. Seitdem war der 1978 gebo- seines Heimatlandes, so macht sich Perianes spanische Musik: auf Werke Rodrigos, de Fallas, zu etablieren. rene Andalusier auf den wichtigsten Konzert für die Werke eines Granados, Albéniz, für Kom- podien weltweit zu Gast, in der Wigmore und der ponisten wie Frederic Mompou und Manuel Carnegie Hall ebenso wie in Berlin, Tokio und Blasco de Nebra stark. Seine Einspielung des Shanghai, beim Lucerne Festival oder beim vielleicht berühmtesten spanischen Orchester- Prager Frühling. Zu seinen musikalischen Part- stücks, de Fallas «Nächte in spanischen Gärten» nern zählen die Wiener Philharmoniker, die (2011), wurde für einen Grammy nominiert. es Javier Perian m David Afk ha hester 22 Nationalorc 23 Spanisches
Konzert 3 – Abonnement I Spieldauer inkl. Pause ca. 110 Minuten © Geoffroy Schied Maag-Halle Zürich Mahler Chamber Orchestra Mittwoch, 24. Januar 2018, 19.30 Uhr Daniele Gatti (Leitung) Programm Robert Schumann (1810–1856) Ouvertüre zur Oper «Genoveva», op. 81 Ludwig van Beethoven (1770–1827) Adagio – Allegro vivace Sinfonie Nr. 4 B-Dur op. 60 Adagio Allegro vivace Allegro ma non troppo Pause Robert Schumann (1810–1856) Lebhaft Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 97 «Rheinische» Scherzo. Sehr mässig Nicht schnell Feierlich Lebhaft – Schneller ti Daniele Gat 24 25
PR O G R A M M Robert Schumann Ko n z e r t 3 len. Den konkreten Anstoss gab laut Robert Schumann (1810–1856) (Holzbläser) und Ritterromantik (Hornfanfaren). seinem Biografen Wilhelm Joseph von Ouvertüre zur Oper «Genoveva» op. 81 Bei der Komposition der Oper, die bis Mitte 1848 Wasielewski ein Besuch des Kölner Robert Schumann hatte zahlreiche Opernpläne, erfolgte, griff Schumann auf dieses thematische Doms. Dessen sakrale Atmosphäre, von denen er aber nur einen einzigen ausführte: Material zurück. aber auch Eindrücke der Landschaft «Genoveva», uraufgeführt 1850 in Leipzig. Bis und des rheinischen Lebens sollen in heute konnte sich das Stück beim Publikum Ludwig van Beethoven (1770–1827) die unglaublich rasch niedergeschrie- nicht so recht durchsetzen, unterscheidet es Sinfonie Nr. 4 B-Dur op. 60 bene Es-Dur-Sinfonie eingeflossen sich mit seiner lyrischen Innenschau doch deut- Die Vierte gehört zu den unterschätztesten Sin- sein. Plastische Bilder lässt das lich von zeitgenössischen Werken. Etwa vom fonien Ludwig van Beethovens. Robert Schumann Werk beim Hören in der Tat entste- fast zeitgleich entstandenen und aufgeführten brachte es auf den Punkt, als er sie eine «grie- hen: das Strömen eines mächtigen «Lohengrin» Wagners, der wie «Genoveva» das chisch schlanke Maid zwischen zwei Nordland- Flusses im 1. Satz, eine feierliche Thema der Gattentreue vor romantisch-mittel riesen» (den Sinfonien Nr. 3 und 5) nannte. Tat- Zeremonie im 4. und fröhliches alterlicher Kulisse verhandelt. Karriere im Kon- sächlich ist jeglicher sinfonische Hang zum Treiben im 5. Satz. Von Programm- zertsaal machte allein die Ouvertüre der Oper. Ausladenden, Überwältigenden hier auf klassi- musik kann dennoch keine Rede sein, dazu sind Schumann komponierte sie bemerkenswerter- sches Mass zurückgedrängt. Knappe, klare For- tung gegen Hauptsatz, Fanfare gegen Melodie die Anklänge zu vage. Vielmehr diente Schumann weise direkt im Anschluss an die Lektüre von men bestimmen das Werk, dem die zahlreichen (1. Satz), Melodie gegen Marsch (2. Satz), Zweier- dieser Bilderreichtum dazu, identische kompo- Hebbels Tragödie «Genoveva» im April 1847 – Spielarten Beethovenschen Humors eine ganz gegen Dreierrhythmus (3. Satz), Energie gegen sitorische Prinzipien an sehr unterschiedlichen noch bevor ein einziger Buchstabe des Librettos eigene Prägung geben. Bei der Suche nach einem Erstarrung (4. Satz). Und in allen vier Sätzen musikalischen Gestalten zu erproben. So ver- existierte! Und tatsächlich wurde um den Anlass für diese lebenszugewandte Musik hat prallen diese Gegensätze irgendwann musika- wischte er in allen Sätzen die traditionellen Operntext in der Folge heftig gerungen. Der von man oft biografische Gründe ins Feld geführt. lisch aufeinander – nur werden die daraus ent- Formgrenzen auf raffinierte Weise, wodurch der Schumann beauftragte Dichter Reinick orien- Laut dem Dirigenten Ignaz von Seyfried war stehenden Konflikte, anders als in den Werken erwähnte Eindruck ewigen Strömens entsteht. tierte sich lieber am Märchenton der «Genoveva» Beethoven im Entstehungsjahr 1806 «heiter, zu tragischen Charakters, rasch wieder beigelegt, Zudem bauen viele Melodien auf denselben Tiecks statt an Hebbels psychologischer Tiefen- jedem Scherz aufgelegt». Dennoch dürfte die abgelöst durch Witz und Überraschungseffekte. Kernintervallen auf, hängen also innerlich zusam- schärfe. Am Ende schrieb Schumann das Lib- Andersartigkeit der Vierten zunächst ästhe men. Und am Ende führt das übersprudelnde retto grösstenteils selbst und fügte einen neuen, tische Ursachen haben, ein Denken in Kontras- Robert Schumann (1810–1856) Finale die Themen der früheren Sätze, v. a. des versöhnlichen Schluss an. Dieses Happyend ten nämlich, das Beethoven ebenso wie seinen Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 97 «Rheinische» sakralen 4. Satzes, zu einem hymnischen Schluss. scheint bereits in der Ouvertüre vorgebildet, Vorbildern Haydn und Mozart zu eigen war. Ein Ortswechsel wurde für Robert Schumann Den Beinamen «Rheinische» trägt die Sinfonie wenn das c-Moll des Hauptteils in der Coda Dieses Denken bezieht sich nicht nur auf das zum Anlass für seine letzte, die 3. Sinfonie. zu Recht: als ein Werk, das für den Komponisten einem strahlenden, ja hymnischen C-Dur weicht. Verhältnis von op. 60 zu den umliegenden hero- Schon bald nachdem er im September 1850 sein einen Neubeginn in jeder Hinsicht ankündigen Thematisch umreisst das Stück die wesentli- isch-tragischen Werken, sondern auch auf die Amt als Düsseldorfer Musikdirektor antrat, sollte. Die Realität hielt dem freilich nicht stand: chen Elemente der Handlung: unterdrückte Sehn- Binnenstruktur der Sinfonie selbst. Jeder Ein muss in ihm der Wunsch gereift sein, sich mit Gut drei Jahre später unternahm Schumann süchte (Seufzermotive in den Geigen), Liebe zelsatz arbeitet dezidiert mit Kontrasten: Einlei- einem neuen, repräsentativen Werk vorzustel- einen Suizidversuch – im Rhein. 26 27
INTE R P R E T E N Ko n z e r t 3 Mahler Chamber Orchestra Daniele Gatti Das Mahler Chamber Orchestra ist eng mit dem Jonas Kaufmann und Yuja Wang. Für eine Berlioz- Daniele Gattis Karriere als Dirigent verlief einem spektakulären «Parsifal». Drei Jahre lang, Wirken Claudio Abbados verknüpft, der 1986, Einspielung von 2003 gab es den Deutschen zunächst eher gemächlich, um später einen von 2009 bis 2012, war er Chefdirigent am noch in Zeiten des Kalten Kriegs, das Gustav Schallplattenpreis, eine Beethoven-Aufnahme desto eindrucksvolleren Sog zu entwickeln. Mit Zürcher Opernhaus, seit 2016 leitet er eines Mahler Jugendorchester als musikalisches Frie- mit Martha Argerich wurde für den Grammy 27 debütierte der gebürtige Mailänder an der der renommiertesten Orchester der Welt, das densprojekt gegründet hatte. Neun Jahre später nominiert. Zu den zahlreichen Tourneen des Scala, es folgten Auftritte im Teatro Fenice, in Concertgebouw in Amsterdam. Auch mit dem bewog das Erreichen der Altersgrenze einige MCO kommen einige «Residenzien», etwa seit Berlin und an der Met. Nach leitenden Positionen Mahler Chamber Orchestra arbeitet Gatti regel- seiner Mitglieder, ein neues Ensemble zu etab- 2009 in den Metropolen Nordrhein-Westfalens. in Rom, London und Bologna kam 2007 die Beru- mässig zusammen. Er hat «natürliches Charisma, lieren. Auch hieran hatte Abbado wesentlichen Neben Abbado war der junge Daniel Harding fung zum Musikdirektor des Orchestre National Autorität und Energie», bilanzierte jüngst der Anteil. Seitdem hat das Mahler Chamber von Beginn an das Gesicht des Orchesters. de France. Auch die Wiener Philharmoniker waren «Guardian», und ein enger Weggefährte Gattis Orchestra, als Projektgemeinschaft von Elite Aktuell fungiert der Italiener Daniele Gatti als mittlerweile auf Gatti aufmerksam geworden, brachte es so auf den Punkt: «Er ist ein Musiker musikern, mit den besten Solisten weltweit zu- Artistic Advisor. 2008 gab er seinen Einstand in Bayreuth mit für Musiker.» sammengearbeitet, darunter Anna Netrebko, ti Daniele Gat stra mber Orche 28 Mahler Cha 29
Konzert 4 – Abonnement II Spieldauer inkl. Pause ca. 110 Minuten Maag-Halle BBC Symphony Orchestra Samstag, 24. März 2018, 19.30 Uhr Sakari Oramo (Leitung) Vilde Frang (Violine) Programm Anna Clyne (*1980) «This Midnight Hour», Schweizer Erstaufführung Benjamin Britten (1913–1976) Moderato con moto Konzert für Violine und Orchester Vivace D-Dur op. 15 Passacaglia Pause Ludwig van Beethoven (1770–1827) Erwachen heiterer Empfindungen bei der Sinfonie Nr. 6 F-Dur op. 68 «Pastorale» Ankunft auf dem Lande. Allegro ma non troppo Szene am Bach. Andante molto moto Lustiges Zusammensein der Landleute. Allegro Gewitter, Sturm. Allegro Hirtengesang, frohe und dankbare Gefühle nach dem Sturm. Allegretto Vilde Frang 30 31
PR O G R A M M Anna Clyne 6. Sinfonie, der «Pastorale». Oft Kon z er t 4 genug als Programmmusik miss verstanden, stellt sie doch den Menschen, das erlebende, empfin- Anna Clyne (*1980) dem eine Frau durch die Nacht hastet: Aus- dende Ich in den Mittelpunkt. «This Midnight Hour» gangspunkt für schnelle, sich schier überschla- Seine Gefühle, heitere zu Beginn, Anna Clyne, in London geboren, lebt zwischen- gende Rhythmen, deren Ausgelassenheit immer dankbare ganz zum Schluss, sind zeitlich in den USA und gehört zu den renom- wieder bedrohliche Züge annimmt. der Gegenstand der Musik. Wenn miertesten Komponistinnen ihrer Generation. Naturlaute vorkommen – Vogel- Nach ihrem Studium in Edinburg und New York Benjamin Britten (1913–1976) rufe, Bachrauschen, Donner –, arbeitete sie als Composer in Residence mit Konzert für Violine und Orchester dann stets integriert in die Ent- mehreren namhaften Orchestern zusammen, D-Dur op. 15 wicklung, als Teil des künstle- darunter die Sinfonieorchester von Chicago und Auf den ersten Blick erscheint Benjamin Brittens rischen Ganzen. Eine beson- Baltimore. 2015 war sie für einen Grammy in der Violinkonzert von 1938/39 wie ein weiterer dere Rolle kommt der «Pasto- Sparte zeitgenössische Musik nominiert, ein Gattungsbeitrag nach herkömmlichem Muster: rale» auch als Schwester- Jahr später erhielt sie den Hindemith-Preis des dreisätzig, mit einem lyrisch-nachdenklichen werk der teilweise parallel Schleswig-Holstein Musik Festivals. Eine Resi- 1. Satz, dem ein wildes Scherzo und ein Passa- entstandenen Fünften zu: denz gab auch den Anlass für das 12-minütige caglia-Finale folgen. Klangschönheit, Virtuosität Beide Sinfonie sind auf ein «erlösendes» Finale Orchesterstück «This Midnight Hour». Clyne und weitgespannte Kantilenen sind Charakte- Aufkommen des Faschismus und die Wider hin angelegt, unterscheiden sich aber in den komponierte es für das Pariser Orchestre natio- ristika dieses Konzerts, dessen spieltechnischer sprüche des alten Europa in seinem Werk reflek- Mitteln. Wo die Nr. 5 Trotz und kämpferischen nal d’Île de France und speziell mit Blick auf Anspruch in einer grossen Solokadenz kulmi- tiert. Nicht konkret-programmatisch, sondern im Geist zelebriert, setzt die «Pastorale» auf Motiv- dessen Streicherkorpus. Der Beginn des Werks niert – ein Werk ganz in der klassisch-romanti- Einfangen von Atmosphäre – und ohne darüber wiederholungen, ruhige Klangentfaltung, ent- erwächst klanglich ganz aus den Instrumental- schen Tradition. Doch das ist bei weitem nicht das rein Musikalische zu vergessen. Zwischen spanntes Nachhorchen. So besticht ausge- farben der tiefen Streicher. Im weiteren Verlauf alles. Denn auch die Entstehungsumstände von Abschluss der Komposition und Uraufführung in rechnet die Durchführung des 1. Satzes, sonst erhalten auch die Holzbläser reichlich Gelegen- op. 15 sind in die Komposition eingeflossen: in New York 1940 lag der Ausbruch des Zweiten Ort herber thematischer Konflikte, durch end- heit zu solistischen Äusserungen, bevor sich die Form musikalischer Konflikte und Widersprüche, Weltkriegs. Brittens Vorahnungen hatten sich lose Klangflächen, die lediglich harmonisch Textur zunehmend verdichtet, vom eher kam- als latente Bedrohung, als ein ständiges Brodeln einmal mehr bitter bestätigt. neu beleuchtet werden. Und im «Gewitter»- mermusikalischen Musizieren zum grossen, unter der Oberfläche. Schon das Hauptthema Satz resultiert der Eindruck von Gefahr nicht wuchtigen Gesamtklang. Was den Inhalt des des 1. Satzes erzählt hiervon, indem es eine Ludwig van Beethoven (1770–1827) aus dem Aufeinanderprallen gegensätzlicher Stücks angeht, nennt Clyne zwei Inspirations- flehentliche Kantilene mit einem düster pochen- Sinfonie Nr. 6 F-Dur op. 68 «Pastorale» Motive, sondern aus der Unvorhersehbarkeit quellen, beides Gedichte. Da wäre zunächst den Begleitrhythmus verbindet. Das Scherzo Ludwig van Beethoven war ein Stadtmensch, der Ereignisse und der grellen Instrumentation. Baudelaires «Harmonie du soir», dessen melan- wirkt wie ein gespenstischer Totentanz, und der den es in die Natur zog. «Kein Mensch kann das Ein gänzlich neues ästhetisches Konzept also, cholische Walzerseligkeit sie mithilfe engma- Schlusssatz hat bei aller archaischen Strenge Land so lieben wie ich», gestand er einmal. das Beethoven bei der Uraufführung 1808 schig geführter Streicherstimmen in akkordeon- etwas Unausweichliches. Damit erweist sich «Geben doch Wälder, Bäume, Felsen den Wider- noch unterstrich, als er beide Sinfonien im sel- artige Klänge übersetzt. Und dann das Kurz- der junge Britten einmal mehr als Chronist sei- hall, den der Mensch wünscht!» Zum Klang ben Konzert spielen liess: als ungleiches Paar poem des Spaniers Juan Ramón Jiménez, in ner Zeit: als pazifistischer Künstler, der das ereignis wurde dieser «Widerhall» in seiner von Geschwistern. 32 33
INTE R P R E T E N Ko n z e r t 4 BBC Symphony Orchestra Fünf grosse Sinfonieorchester leistet sich die es traditionell die First und Last Night bestreitet. britische BBC, und das 1930 gegründete und in Daneben widmet es sich schwerpunktmässig London beheimatete Symphony Orchestra darf der Neuen Musik, mit Uraufführungen zahl als Flaggschiff des Quintetts gelten. Allein die reicher Werke von Schnittke bis Rihm. Als Namen seiner Chefdirigenten sprechen Bände: Ergänzung hierzu sind die seit 2000 angebote- Vilde Frang Adrian Boult, Antal Doráti, Colin Davis, Pierre nen Residencies für Komponisten anzusehen: «Vilde Frang ist alles ausser Mainstream.» So von Nielsen, Korngold und Britten, sie spielt Boulez, Andrew Davis… 2013 übernahm der Die erste hatte Mark-Anthony Turnage inne, brachte das SRF das Erscheinungsbild der nor- Schönberg, Bartók und Strauss. Trotzdem wird Finne Sakari Oramo den renommierten Chef dem John Adams und Oliver Knussen folgten. wegischen Geigerin anlässlich ihrer Schweiz- mit sie Publikumspreisen geradezu überschüt- posten. Dem internationalen Publikum ist das Zum künstlerischen Portfolio des Orchesters Tournee 2014 auf den Punkt. Mit Starallüren und tet: Seit 2011 erhielt sie fast jährlich einen BBC Symphony Orchestra vor allem durch seine gehören auch Opernaufführungen, Familien glattem Geigenglamour hat die 1986 in Oslo ECHO Klassik. Und natürlich fusst dieses Auftritte bei den Londoner Proms bekannt, wo konzerte sowie Filmmusik. geborene Frang in der Tat nichts am Hut. Ihre Selbstverständnis auf einer umfassenden gei- Auftritte und vor allem ihr Spiel bestechen durch gerischen Ausbildung. Obwohl Vilde Frang Sakari Oramo eine Natürlichkeit, die absolut authentisch schon mit zehn im Rundfunk debütierte, suchte Als der Finne Sakari Oramo 1998 Nachfolger von hin in seiner finnischen Heimat tätig, wo er 2006 wirkt. Aus diesem Grund kann sie sich auch sie noch lange, bis 2009 nämlich, den Kontakt Simon Rattle am Pult des City of Birmingham die West Coast Kokkola Opera als alternatives künstlerische Wege abseits des Gewohnten zu Mentoren wie Anne-Sophie Mutter, Kolja Symphony Orchestra wurde, war sein Name nur Opernprojekt aus der Taufe hob. Zum Dirigieren leisten: Ihr Repertoire umfasst Solokonzerte Blacher und Ana Chumachenco. Fachleuten ein Begriff. Das hat sich nachhaltig kam Oramo interessanterweise nicht auf direk- geändert. Mittlerweile zählt der aus Helsinki tem Weg: Er begann seine Ausbildung während stammende Oramo zu den führenden Dirigenten seiner Zeit als Konzertmeister des Finnischen weltweit. Nach zehn Jahren in Birmingham Radiosinfonieorchesters. Dort machte er als wechselte er als Künstlerischer Leiter zum Einspringer für einen erkrankten Dirigenten so Stockholm Philharmonic Orchestra, 2013 über- nachdrücklich auf sich aufmerksam, dass man nahm er zusätzlich das Chefdirigentenamt des ihm schon bald die Orchesterleitung übertrug. BBC Symphony Orchestra. Daneben ist er weiter- Vilde Frang o Sakari Oram 34 ony Orchest ra 35 BBC Symph
Konzert 5 – Abonnement I Spieldauer inkl. Pause ca. 110 Minuten Maag-Halle Zürich Mariinsky Orchestra Dienstag, 8. Mai 2018, 18.00 Uhr Valery Gergiev (Leitung) Programm Peter Tschaikowski (1840–1893) Introduzione e Allegro. Moderato assai Sinfonie Nr. 3 D-Dur op. 29 «Polnische» Alla tedesca. Allegro moderato e semplice Andante elegiaco Scherzo. Allegro vivo Finale. Allegro con fuoco – Tempo di Polacca Pause Peter Tschaikowski (1840–1893) Andante sostenuto – Moderato con anima Sinfonie Nr. 4 f-Moll op. 36 Andantino in modo di canzona Scherzo. Pizzicato ostinato – Allegro Finale. Allegro con fuoco ev Valery Gergi 36 37
PR O G R A M M Peter Tschaikowski Kon z er t 5 Peter Tschaikowski (1840–1893) hinter die Bekenntnissinfonien 4, 5 und 6. Eine Sinfonie Nr. 3 D-Dur op. 29 «Polnische» Wiederentdeckung ist dieses klangschöne Werk Nach der betont russisch-ukrainischen 2. Sin allemal wert. fonie mit ihren zahlreichen Rückgriffen auf die Volksmusik seines Landes zeigte sich Peter Peter Tschaikowski (1840–1893) Tschaikowski in der 1875 komponierten Dritten Sinfonie Nr. 4 f-Moll op. 36 von einer ganz anderen, geradezu polyglotten 1877 war für Peter Tschaikowski ein Schicksals- Seite. Ihr Beiname «Polnische» bezieht sich auf jahr – in persönlicher, künstlerischer und finan- die Verwendung einer Polonaise im letzten zieller Hinsicht. Dem wachsenden Erfolg als Satz. Zuvor aber erkundet die Musik noch wei- Komponist stand die Erkenntnis gegenüber, tere Tonfälle «internationalen» Zuschnitts aus aufgrund seiner Homosexualität kein selbstbe- den Bereichen Marsch, Tanz, Idylle, Fantastik. stimmtes Leben führen zu können. Der Versuch, Der 2. Satz ist sogar explizit mit «Alla tedesca» mittels einer Hochzeit den bürgerlichen Schein überschrieben. Auch sonst weist Tschaikowskis zu wahren, scheiterte katastrophal. Wenigstens op. 29 einige Besonderheiten auf. Als einzige die drängendsten Geldsorgen war Tschaikowski seiner sechs Sinfonien steht die Dritte in einer los, seit ihm eine Gönnerin, Nadeschda von Dur-Tonart – wobei diesem Dur immer wieder Meck, eine grosszügige Jahresrente gewährte. Moll-Passagen kontrastierend gegenüberge- All diese widersprüchlichen Ereignisse, das stellt werden, so in der Einleitung, im 3. und 4. unablässige Schwanken zwischen Aufbruchs- Satz sowie in etlichen Seitenthemen. Zudem ist stimmung und neuen Rückschlägen, bilden den die Sinfonie fünfsätzig, weicht also trotz ihrer Hintergrund für die 1877 komponierte Sinfonie «Westorientierung» vom klassischen Modell Nr. 4 f-Moll. Ihre Anfangstakte formulieren einen ab. Vorbild scheinen eher individuell gestal- mottoartigen Gedanken, laut Tschaikowski «das tete Werke wie Beethovens «Pastorale» oder Fatum, jene schicksalhafte Kraft, die wie ein Schumanns «Rheinische» gewesen zu sein, Damoklesschwert über dem Kopf hängt.» Und und ähnlich bildhaft-vielgestaltig wirkt auch genau diese Funktion erfüllt das Motto im Ver- Tschaikowskis 3. Sinfonie. Ihrer Aufnahme scha- lauf des Werks: Es kehrt immer dann wieder, trollierbaren Fantasiebildern (3. Satz). Im Finale, dete das zunächst nicht, im Gegenteil. Die ers- wenn man nicht damit rechnet, bringt sich mah- das einem rauschenden Volksfest nachgebildet ten Aufführungen in Moskau und St. Petersburg nend in Erinnerung oder zerstört eine trügeri- ist, bahnt sich ein versöhnliches Ende an – aber waren erfolgreich, auch die professionelle Kritik sche Idylle. Unter diesem Schicksalsvorbehalt dann tönt wieder der Schicksalsgedanke dazwi- äusserte sich positiv. Erst im Laufe der Zeit entfaltet sich die f-Moll-Sinfonie: zwischen schen und degradiert jegliche Hoffnung zum trat die Dritte in ihrer Beliebtheit hinter andere Depression und Glücksträumen (1. Satz), über- schönen Schein. Tschaikowskis Fazit? «Man Kompositionen Tschaikowskis zurück, vor allem wältigenden Erinnerungen (2. Satz) und unkon- kann dennoch leben ...» 38 39
IN T E R P R E T E N Kon z er t 5 Mariinsky Orchestra Valery Gergiev Das Mariinsky Orchestra gehört zu den ältes- testen ist es gleichwohl nach wie vor für Inter- Über Valery Gergiev heisst es zuweilen, er müsse gement am Petersburger Mariinsky Theater. ten musikalischen Institutionen Russlands pretationen russischer Musik. Bei Kritiker einen Doppelgänger haben, von einem Menschen Diese Namen verbürgen aber auch, dass bei überhaupt – und steht doch mit beiden Beinen umfragen wird das Mariinsky Orchestra regel- allein sei sein Arbeitspensum gar nicht zu bewäl- Gergiev Quantität nicht mit Qualitätsverlust ein- in der Gegenwart. Zu verdanken ist das vor mässig zu den besten Klangkörpern der Welt tigen. Tatsächlich hat der 1953 in Wladikawkas hergeht, im Gegenteil. Für sein Wirken als Pianist allem seinem Chefdirigenten Valery Gergiev, gezählt. Zuhause in St. Petersburg ist es der geborene Gergiev gleich mehrere Chef- oder und Dirigent erhielt er diverse Auszeichnungen, der das Orchester in den vergangenen drei unumstrittene musikalische «Platzhirsch»: Es Gastdirigentenämter bei Spitzenorchestern inne: darunter den Herbert-von-Karajan-Preis, den Jahrzehnten zu internationaler Bekanntheit spielt in der 2007 eröffneten Mariinsky Konzert- aktuell beim London Symphony Orchestra und ECHO Klassik sowie den Titel «Held der Arbeit führte. Zudem erweiterte er das Repertoire des halle, Einspielungen werden unter dem gleich- bei den Münchner Philharmonikern, zuvor in der Russischen Föderation». Von Valery Gergievs ehemaligen Opernorchesters, das politisch namigen Label veröffentlicht, und natürlich hat Rotterdam sowie an der Metropolitan Opera, faszinierender Musikerpersönlichkeit konnte sich bedingt mehrfach seinen Namen wechselte, das Orchester auch sein eigenes Festival, die ganz zu schweigen von seinen zahlreichen Auf- das Publikum der Migros-Kulturprozent-Classics um aktuelle sinfonische Literatur. Am bekann- «Sterne der Weissen Nächte». tritten bei Festivals und natürlich seinem Enga- schon mehrfach überzeugen. ev Valery Gergi 40 rchestra 41 Mariinsk y O
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