EUCH KLASSIK - PROGRAMM 2019/20 ZÜRICH La Chaux-de-Fonds - Migros-Kulturprozent-Classics

 
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EUCH KLASSIK - PROGRAMM 2019/20 ZÜRICH La Chaux-de-Fonds - Migros-Kulturprozent-Classics
W IR B R I N G E N
E UCH K  L A  S S I K

                   019 /  2   0  Z Ü R I C H
P   R O G R A M M 2   - Fo n d s
               f · L u zern · L   a Chaux-de
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EUCH KLASSIK - PROGRAMM 2019/20 ZÜRICH La Chaux-de-Fonds - Migros-Kulturprozent-Classics
E N T- C L A S S I C S
                                                                                                          L T U R  P R O  Z
                                                                                              MIGROS-K/2U0 in der Tonhalle Maag Zürich
                                                                                                            9
                                                                                              Pr ogr amm 201

                                                                                              Sonntag, 6. Oktober 2019 – Abo I     Sonntag, 15. März 2020 – Abo II
                                                                                              WIENER SYMPHONIKER                   HR-SINFONIEORCHESTER
                                                                                              Philippe Jordan (Leitung)            Andrés Orozco-Estrada (Leitung)
                                                                                              Julia Fischer (Violine)              Joshua Bell (Violine)
                                                                                              → Seite 9                            → Seite 27

                                                                                              Freitag, 8. November 2019 – Abo II   Donnerstag, 28. April 2020 – Abo II
                                                                                              ORCHESTRA DELL’ACCADEMIA             MAHLER CHAMBER ORCHESTRA
                                                                                              NAZIONALE DI SANTA CECILIA           Lahav Shani (Leitung und Klavier)
                                                                                              Sir Antonio Pappano (Leitung)        → Seite 33
                                                                                              Francesco Piemontesi* (Klavier)
                                                                                              → Seite 15                           Montag, 11. Mai 2020 – Abo I
                                                                                                                                   RUSSISCHES NATIONALORCHESTER
Inhaltsverzeichnis                                                                            Dienstag, 21. Januar 2020 – Abo I    Mikhail Pletnev (Leitung)
                                                                                              KAMMERORCHESTER BASEL                Lucas Debargue (Klavier)
Migros-Kulturprozent-Classics . . . . . . . . . . . . .                                   3   Sylvain Cambreling (Leitung)         → Seite 39
Vorwort       .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .                      4–5   Sol Gabetta (Violoncello)
Zum Programm  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .                         6–7   → Seite 21
Konzert 1: Wiener Symphoniker  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .                   8–13
Konzert 2: Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia  .  .  .  .  .  .      14–19
Konzert 3: Kammerorchester Basel . . . . . . . . . . . .                              20–25
Konzert 4: hr-Sinfonieorchester   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   26–31
Konzert 5: Mahler Chamber Orchestra  .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .    32–37
Konzert 6: Russisches Nationalorchester  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .              38–45
Abos und Karten      . . . . . . . . . . . . . . . .                                  46–47
Saalplan Tonhalle Maag Zürich  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .                  48–49
Tourneen und Einzelkonzerte  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .                 50–51
Ein nachhaltiges Engagement      . . . . . . . . . . . . .                               52   *Schweizer Solist

                                                                                                                                                                         3
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V O R W O R T
Sehr geehrte Musikliebhaberinnen und Musikliebhaber

«Die lebendige Idee ist es, was die Migros ausmacht», sagte Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler      Gottlieb Duttweiler revolutionierte nicht nur den Lebensmittelhandel, er setzte sich zudem
im Mai 1940 – und setzte damit das Fundament, auf dem die Migros noch heute steht. Eine             dafür ein, dass wachsendem Wohlstand stets noch grössere soziale und kulturelle Leistungen
Ideenwelt aufbauen, eine Vision haben, mit Leidenschaft und Pioniergeist etwas verwirklichen:       folgen. Deshalb gibt es das Migros-Kulturprozent, das auf der «lebendigen Idee» basiert,
Das alles ist Migros-typisch.                                                                       mit unterschiedlichsten Projekten etwas Gutes für die Gesellschaft zu tun.
                                                                                                    Unsere Migros-Kulturprozent-Classics sind ein Teil davon – und darauf sind wir stolz.
Eine Vision hatte Dutti auch, als er im Jahr 1948 eigens die Klubhaus-Konzerte ins Leben rief:
der breiten Bevölkerung Zugang zur klassischen Musik verschaffen, auf höchstem künstlerischem       Herzlich
Niveau und dennoch erschwinglich für alle. Migros-typisch eben.

Mit den Migros-Kulturprozent-Classics haben wir die von Duttweiler geschaffene Tradition in die
Zukunft übertragen. Jede Saison lancieren wir neue Formate mit dem Ziel, jungen Musizierenden
beim Start ihrer Karriere zu helfen und Ihnen, wertes Publikum, neue Entdeckungen zu bieten.
«Ouvertüre» heisst die neu geschaffene Talentfördermassnahme. Vor allen Konzerten – in Bern,
Genf, Luzern und Zürich – erhalten ausgewählte Nachwuchstalente die Chance, auf der grossen                                 Hedy Graber
Bühne aufzutreten. So eröffnen sich neue Horizonte: den Nachwuchskünstlerinnen und                                          Leiterin Direktion Kultur und Soziales
-künstlern genauso wie dem Konzertpublikum.                                                                                 Migros-Genossenschafts-Bund

Sie sind einzigartig und musizieren auf höchstem Niveau: die Solistinnen und Solisten, Dirigenten
sowie Orchester, die in der Saison 2019/2020 der Migros-Kulturprozent-Classics auftreten.
Sie zählen zu den Besten der Welt. Und sie zeigen einmal mehr: Klassische Konzerte sind nicht
nur ein kulturelles Erbe, das lebendig wird, sondern sie bieten musikalische Erlebnisse, die
lange nachklingen.

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EUCH KLASSIK - PROGRAMM 2019/20 ZÜRICH La Chaux-de-Fonds - Migros-Kulturprozent-Classics
G R A M M
Z U M P RO
Verehrtes Publikum

Auch in der kommenden Spielzeit möchten wir Ihnen wieder klassische Konzerte zu moderaten     Besonderen Wert legen wir auch diesmal wieder auf die Förderung junger Künstlerinnen
Eintrittspreisen, aber auf höchstem Niveau bieten. Dass wir hierzu Spitzenorchester aus       und Künstler. Zu Beginn jedes Konzerts erhalten talentierte Sänger und Instrumentalisten
ganz Europa eingeladen haben, ist kein Zufall. In einer Zeit, die mit Abschottung und neuen   aus der Schweiz Gelegenheit, sich Ihnen, liebes Publikum, vorzustellen. Eine «Ouvertüre»
Grenzen von sich reden macht, halten wir es für umso wichtiger, auf das Verbindende           in doppelter Hinsicht: nicht nur als Einstimmung auf den Konzertabend, sondern auch als
hinzuweisen. Und eines der zentralen gemeinschaftsstiftenden Elemente unseres Kontinents      Türöffner für «Unsere Stars von morgen».
ist eben die klassische Musik.
                                                                                              In diesem Sinne freuen wir uns auf eine erfahrungsreiche, Grenzen überwindende Spielzeit.
Aus diesem Grund heissen wir nächste Saison Orchester aus Italien, Russland, Österreich,
Deutschland und natürlich auch aus der Schweiz als Gäste willkommen. Während die einen
Musik aus ihrem eigenen Land präsentieren, wagen die anderen einen Blick über den
Tellerrand. Auf das hr-Sinfonieorchester mit seinem Brahms-Strauss-Schwerpunkt freuen
wir uns ebenso wie auf das rein russische Programm von Mikhail Pletnevs Russischem
Nationalorchester – und sind andererseits gespannt, wie Antonio Pappano und die Accademia
Nazionale di Santa Cecilia Musik der deutschen Romantik interpretieren werden.
Das Mahler Chamber Orchestra wiederum, ein dezidiert international angelegtes Projekt,
schlägt eine musikalische Brücke von West nach Ost.                                                                   Mischa Damev
                                                                                                                      Intendant
Einzelne Konzerthighlights hervorzuheben, fällt angesichts der Breite unseres Angebots                                Migros-Kulturprozent-Classics
schwer. Vielleicht die einem einzigen Komponisten gewidmeten Porträtabende: Brahms
(Wiener Symphoniker) und Rimski-Korsakow (Russisches Nationalorchester)? Das Migros-
Debüt des französischen Pianisten Lucas Debargue mit Rachmaninows 1. Klavierkonzert
sollte man sich jedenfalls nicht entgehen lassen, ebenso wenig die Uraufführung von
Wolfgang Rihms «Concerto en SOL» mit der Cellistin Sol Gabetta. Ein Wiedersehen gibt
es mit Weltklassesolisten wie Julia Fischer, Francesco Piemontesi und Joshua Bell
sowie mit Nachwuchsstar Lahav Shani in seiner Doppelrolle als Dirigent und Pianist.

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Konzert 1 – Abo I

                                Tonhalle Maag Zürich Wiener Symphoniker
                        Sonntag, 6. Oktober 2019, 18.30 h Philippe Jordan (Leitung)
                       		 Julia Fischer (Violine)

                                                             Programm

                                            «Ouvertüre»: Unsere Stars von morgen (ca. 10')

                                 Johannes Brahms (1833–1897) Allegro non troppo
                                  Konzert für Violine und Orchester Adagio
                                              D-Dur op. 77 (ca. 43') Allegro giocoso, ma non troppo vivace

                                                                Pause

                                        Johannes Brahms Allegro non troppo
                       Sinfonie Nr. 4 e-Moll, op. 98 (ca. 40') Andante moderato
                       		                                      Allegro giocoso
                       		 Allegro energico e passionato

                   r
    Julia Fische

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PR O G R A M M
Ko n z e r t 1

Johannes Brahms (1833–1897)                        kernd auf die Spitze: Während die Orchester­
Konzert für Violine und Orchester                  instrumente virtuose Begleitfiguren einwerfen,
D-Dur op. 77                                       übt sich der Solist konsequent in Mehrstimmig-
So manch ein Werk, das heute als Klassiker         keit. Weitere Glanzstückchen aus dem Inventar
der Geigenliteratur gilt, hatte es anfangs         der Kontrapunktik verbirgt Brahms geschickt
schwer. Wie die Violinkonzerte Beethovens und      hinter dem ungarischen Flair des Satzes.
Tschaikowskis stiess auch das D-Dur-Konzert
von Johannes Brahms (1878) auf Skepsis:            Johannes Brahms (1833–1897)
Brahms war schliesslich Pianist, kein Streicher.   Sinfonie Nr. 4 e-Moll, op. 98
Zudem dachte er in sinfonischen Strukturen,        Jede der vier Sinfonien von Johannes Brahms
pure Virtuosität war ihm ein Gräuel. Pablo de      beginnt anders: schmerzlich zerrissen die erste,
Sarasate, einer der grössten Geiger seiner Zeit,   friedvoll die zweite, kämpferisch die dritte. Am
brachte die Vorbehalte gegen op. 77 auf den        Anfang der 1885 vollendeten Sinfonie Nr. 4
Punkt, als er lästerte, er wolle nicht mit dem     steht eine Geigenmelodie, so wehmütig und
Instrument in der Hand der einzigen Melodie des    verträumt, als sei sie eben erst erfunden. Spon-
ganzen Stücks lauschen.                            taner Einfall oder nicht – interessant ist, was
Bei dieser Melodie handelt es sich um das in       Brahms im Verlauf des Satzes aus diesem
der Tat berückende Oboensolo zu Beginn des         Gebilde macht. Er benutzt es nämlich als Stein-
zweiten Satzes. Was Sarasate verkannte: dass       bruch für zahlreiche weitere Themen und
Brahms weder auf gesanglichen Schmelz noch         Motive, in denen das Kernintervall der Melodie,
auf instrumentale Brillanz verzichtet, beides      die Terz, eine entscheidende Rolle spielt.
allerdings in ein komplexes kompositorisches       Das ist typisch für einen Komponisten, der
Gefüge einbindet. Solist und Orchester sind        romantische Empfindsamkeit und kühlen Kons-
absolut gleichberechtigt, und das von Beginn an:   truktionswillen in sich vereinigt. Im Finale der                                                                                      Johannes Brahms
So herrscht im 1. Satz bei der Vorstellung der     Sinfonie treibt Brahms diesen (scheinbaren)
Hauptthemen geradezu brüderliche Eintracht.        Gegensatz auf die Spitze, indem er nach Art
Auch im Adagio hat die Oboe zwar das erste, die    barocker Meister ein achttaktiges Thema 30         Sinfonie etwas leichtgewichtiger angelegt, als   Anfangsschwierigkeiten setzte sich die Vierte
Sologeige aber das zweite und vielleicht wichti-   Variationen unterwirft. Auch hier beruht alles     elegisches Andante und turbulent-grimmiges       sowohl beim Publikum als auch bei den Fach­
gere Wort, indem sie die Bläsermelodie weiter-     auf der Terz als zentralem Baustein – klanglich    Scherzo. Nichtsdestotrotz verweisen auch sie     kritikern rasch durch. Heute gilt sie als End- und
führt, umformuliert und so den Ablauf des Satzes   aber durchläuft dieser Satz Ausdrucksextreme       dank des archaischen Tonfalls (Andante) und      Gipfelpunkt nicht nur von Brahms’ orchestralem
entscheidend bestimmt. Im Finale treibt Brahms     von erschütternd über zärtlich bis majestätisch.   kontrapunktischer Techniken (Scherzo) auf        Œuvre, sondern der romantischen Sinfonie
die Gleichberechtigung der Partner augenzwin-      Demgegenüber sind die beiden Mittelsätze der       Brahms’ kompositorische Doppelstrategie. Nach    schlechthin.

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EUCH KLASSIK - PROGRAMM 2019/20 ZÜRICH La Chaux-de-Fonds - Migros-Kulturprozent-Classics
INTE R P R E T E N                                                                                      Philippe Jordan
                                                                                                        Im Herbst 2020 wird Philippe Jordan Musik­             Jordans Wirken ist auf etlichen CDs und DVDs
Ko n z e r t 1                                                                                          direktor der Wiener Staatsoper. Ein weiterer           dokumentiert, vor allem im Bereich der Oper:
                                                                                                        Mosaikstein in der glanzvollen Karriere des            «Salome», «Tannhäuser», «Carmen» und «Figaro»,
                                                                                                        Schweizer Dirigenten, die 1994 mit einem Enga-         um nur einige zu nennen. Für die Aufnahme der
                                                                                                        gement am Stadttheater Ulm begann. Von da an           «Alpensinfonie» mit dem Orchester der Pariser
                                                                                                        ging es steil bergauf: Assistent von Daniel            Oper erhielt Jordan den renommierten CHOC
                                                                                                        Barenboim an der Staatsoper Unter den Linden           de l’année 2010. Mit den Wiener Symphoni-
                                                                                                        (1998), Chefdirigent in Graz (2001) und schliess-      kern, deren Geschicke er seit 2014 leitet, ist die
Wiener Symphoniker                                                                                      lich musikalischer Direktor der Opéra National         Einspielung sämtlicher Beethoven-Sinfonien
Die Wiener Symphoniker, im Jahr 1900 als             zeit 2021 wird Andrés Orozco-Estrada seinen        de Paris (2009). Dazu Gastspiele in New York,          geplant; zum Jubiläumsjahr 2020 soll der Zyklus
Orchester des Wiener Concertvereins gegrün-          Posten übernehmen. Als Kulturbotschafter Wiens     London, Mailand, München sowie bei den Fes-            komplett vorliegen.
det, machten schon bald durch Ur- und Erstauf-       bestreitet das Orchester jährlich mehrere Kon-     tivals von Glyndebourne, Bayreuth und Salzburg.
führungen bedeutender Werke, wie Bruckners           zerttourneen ins europäische und aussereuro-
Neunter oder Mahlers Sechster, von sich reden.       päische Ausland, mit den Bregenzer Festspielen     Julia Fischer
Auch nach dem Zweiten Weltkrieg mangelte             besteht schon seit 1946 eine erfolgreiche          Julia Fischers Werdegang steckt voller Superla-        dence ist Julia Fischer hochbegehrt, wie ihre
es dem Orchester niemals an Qualität, sondern        Kooperation. Durch rege Konzerttätigkeit in den    tive: jüngste Hochschulprofessorin Deutsch-            Engagements in Berlin, Dresden, Amsterdam,
lediglich an einem eigenen musikalischen Profil.     Wiener Aussenbezirken, durch Benefiz- und          lands, meistverkauftes Klassikdebüt auf iTunes         Frankfurt und bei den Festspielen Mecklenburg-
Zu seinen Leitern zählten Dirigenten wie Herbert     Jugendkonzerte findet zudem eine Rückbesin-        und von der Süddeutschen Zeitung zur «Jahr-            Vorpommern belegen. Ihre Ausnahmestellung
von Karajan, Wolfgang Sawallisch oder Carlo          nung auf die Ursprünge des Orchesters statt, das   hundert-Geigerin» geadelt – mit gerade einmal          zeigt sich auch darin, dass sie mittlerweile den
Maria Giulini. Seit 2014 ist Philippe Jordan Chef-   gegründet wurde, um möglichst vielen Menschen      23 Jahren. Seit dem Sieg beim Yehudi-Menuhin-          CD-Labels den Rücken gekehrt hat und stattdes-
dirigent der Symphoniker; mit Beginn der Spiel-      klassische Musik nahezubringen.                    Wettbewerb 1995 hat sie so ziemlich alles              sen ganz auf Selbstvermarktung setzt. 2016
                                                                                                        gewonnen, was die Musikszene an Auszeich-              wurde ihr in ihrem Heimatort München zudem
                                                                                                        nungen bietet, vom Gramophone Award über               das Bundesverdienstkreuz verliehen. Und als
                                                                                                        den Diapason d’Or und den Echo Klassik bis hin         wäre all dies nicht genug, ist Fischer auch noch
                                                                                                        zum Midem Classic Award. Als Artist in Resi-           eine ausgezeichnete Pianistin.

                                                                                                                                                               r
                                                                                                                                                Julia Fische
                                                                                                                           an
                                                                                                           Philippe Jord

12                                                     phoniker                                                                                                                                               13
                                          Wiener Sym
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Konzert 2 – Abo II
© Eric Richmond Warner Classics

                                                                       Tonhalle Maag Zürich Orchestra dell’Accademia Nazionale
                                                            Freitag, 8. November 2019, 19.30 h di Santa Cecilia
                                                           		                                  Sir Antonio Pappano (Leitung)
                                                           		 Francesco Piemontesi (Klavier)

                                                                                                    Programm

                                                                                   «Ouvertüre»: Unsere Stars von morgen (ca. 10')

                                                                  Carl Maria von Weber (1786–1826)
                                                                 Ouvertüre zur Oper «Euryanthe» (ca. 10')

                                                                          Frédéric Chopin (1810–1849) Allegro maestoso
                                                           Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 (ca. 41') Romance – Larghetto
                                                           		 Rondo – Vivace

                                                                                                       Pause

                                                            Robert Schumann (1810–1856)                     Sostenuto assai – Allegro ma non troppo
                                                           Sinfonie Nr. 2 C-Dur op. 61 (ca. 40')            (mit einer langsamen und feierlichen Einleitung)
                                                           		                                               Scherzo. Allegro vivace
                                                           		                                               Adagio espressivo
                                                           		                                               Allegro molto vivace

                                                 Pappano
                                  Sir A ntonio

                                  14                                                                                                                     15
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PR O G R A M M
Kon z er t 2

Carl Maria von Weber (1786–1826)                     der Wiederkehr der Anfangsthematik in die             Chopin selbst allerdings dürfte dem
Ouvertüre zur Oper «Euryanthe»                       Schranken gewiesen wird. Am guten Ende der            langsamen Satz den Vorzug gegeben
Die Uraufführung des «Freischütz» 1821 in Berlin     Oper lässt diese Ouvertüre keinen Zweifel – dass      haben: eine Romanze in E-Dur, die vom
war ein derartiger Triumph für Carl Maria von        es bis dorthin ein weiter Weg ist, aber auch nicht.   Klangkontrast zwischen gedämpften
Weber, dass der nächste Schritt nur folgerichtig                                                           Streichern und klar gezeichneter Klavier-
erschien: die Komposition einer heroisch-drama-      Frédéric Chopin (1810–1849)                           melodie lebt – «wie ein Traum im Mond-
tischen Oper. Der Auftrag hierzu kam aus Wien,       Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1               licht» (Chopin). Adressatin dieses nächtli-
als Librettistin wählte Weber die Romantikerin       Das Klavierkonzert e-Moll markiert eine Wende         chen Grusses war Konstancja Gladkowska
Helmina von Chézy. Dramaturgische Schwächen          im Leben Frédéric Chopins. Seine Premiere             gewesen, eine junge Sängerin, von der sich
des Textbuchs gelten als Hauptgrund, warum           erfolgte im Rahmen von Chopins Warschauer             Chopin 1830 ebenfalls hatte verabschieden
sich «Euryanthe» trotz erfolgreicher Premiere        Abschiedskonzert im Oktober 1830; wenige              müssen. Mit dem Klavierkonzert konnte er                                              Frédéric Chopin
nie so recht durchsetzen konnte. Was umso            Wochen später verliess er Polen Richtung Paris.       wenigstens eine klingende Reminiszenz an
bedauerlicher ist, als Webers Oper entwick-          Auch dort diente ihm das Stück Anfang 1832 als        sie mit in die Fremde nehmen.
lungsgeschichtlich für Wagners Musikdramen           Einstand und Türöffner. Anwesend waren                                                                    Satz, einer romantischen Paraphrase über ein
den Boden bereitet.                                  neben der pianistischen Crème de la Crème –           Robert Schumann (1810–1856)                         Stück aus dem «Musikalischen Opfer». Aber
An den «Lohengrin» etwa erinnert nicht nur vom       Kalkbrenner, Hiller, Mendelssohn – auch Ver­          Sinfonie Nr. 2 C-Dur op. 61                         auch schon in den Anfangstakten des Werks,
Inhalt her vieles: Ritterromantik, das Thema der     leger, Klavierbauer und vor allem: potenzielle        Die 2. Sinfonie von Robert Schumann ist das         wenn Bläser- und Streicherstimmen gegenein-
Gattentreue, Verklärungsszenen und eine spezi-       Kunden aus Adel und Bürgertum, für die er in          Dokument einer Krise – biografisch wie kom­         ander in Konkurrenz treten.
elle Figurenkonstellation. Auch stilistisch setzte   der Folge als Klavierlehrer arbeiten würde.           positorisch. Schumann selbst bekannte später,       Als weiteres Vorbild ist Franz Schubert zu nen-
Weber Massstäbe für die Zukunft: durch drama-        Sie alle konnten sich anhand des e-Moll-Kon-          er habe sie «im December 1845 noch halb             nen, dessen Entdeckung als Sinfoniker ja auf
tische Deklamation, die Weitung geschlossener        zerts überzeugen, dass der junge polnische Emi-       krank» geschrieben, und meinte auch, man            Schumann persönlich zurückgeht. Schuberts
Formen, instrumentale Effekte und Ansätze zu         grant über Geschmack, Stilsicherheit und eine         müsse ihr dies anhören. «Erst im letzten Satz       grosse C-Dur-Sinfonie stand mit ihrer über-
einer Leitmotivtechnik.                              exzellente Klaviertechnik verfügte. Im ersten         fing ich an mich wieder zu fühlen; wirklich wurde   schäumenden rhythmischen Energie und ihren
In der Ouvertüre zu «Euryanthe» verfolgte Weber      Satz des Werks sind es drei Themen, die Chopin        ich auch nach Beendigung des ganzen Werkes          Sehnsuchtsklängen für Schumanns Werk Pate.
einen ähnlichen Ansatz wie in der zum «Frei-         auf seine unnachahmliche Weise durch Ver­             wieder wohler.»                                     Zur Gestaltung innermusikalischer Konflikte und
schütz»: Zentrale Themen der Oper werden nicht       zierungen und Umspielungen subtil verfeinert.         Im Vorfeld der Sinfonie hatte Schumann einge-       deren Überwindung wiederum griff Schumann
bloss vorgestellt, sondern zu einem konflikthaf-     Ganz anders das Finale, eine pianistische Tour        hend Kontrapunktstudien betrieben und sich mit      auf einen dritten Komponisten zurück: Ludwig van
ten Ablauf verdichtet. So mündet der anfängliche     de Force im Stil eines polnischen Volks­tanzes,       der Musik Johann Sebastian Bachs beschäftigt.       Beethoven. Im Finale ist es sogar ein Beethoven-
Jubelton unerwartet in eine mystische Geigen-        des Krakowiak. Noch heute lässt sich erahnen,         Hierdurch lernte er eigenem Bekunden nach das       Zitat, das für die endgültige Bestätigung von
passage, die auf die Geisterszene des ersten Akts    welchen Eindruck die kaum gezügelte Wildheit          Komponieren noch einmal neu. Tatsächlich            C-Dur sorgt: eine Zeile aus dem Liederzyklus
vorausweist. Aus ihr entwickelt sich ein immer       dieses Rondos auf das Pariser Salonpublikum           spielt das Schaffen Bachs eine bedeutende           «An die ferne Geliebte», mit der Schumann ein-
dichteres, turbulenteres Fugato, das zuletzt von     gemacht haben mag.                                    Rolle für die 2. Sinfonie, vor allem im langsamen   mal mehr seine Liebe zu Clara bekundete.

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IN T E R P R E T E N                                                                                                Sir Antonio Pappano
                                                                                                                    Seine britisch-italienische Staatsbürgerschaft       auch das italienische Opernrepertoire liegt.
Kon z er t 2                                                                                                        lebt der 1959 bei London geborene Antonio            2006 brachte ihm die Einspielung von «Tristan
                                                                                                                    Pappano seit vielen Jahren auch dirigentisch aus:    und Isolde» mit Plácido Domingo einen von mitt-
                                                                                                                    als Künstlerischer Leiter des Royal Opera House      lerweile vier Echo Klassik ein, 2013 erhielt er
                                                                                                                    in London sowie des Orchestra dell’Academia          den International Opera Award als Dirigent des
                                                                                                                    Nazionale di Santa Cecilia in Rom. Entdeckt          Jahres. Auch die gesellschaftlichen Auszeich-
                                                                                                                    wurde Pappano von Daniel Barenboim, der ihn          nungen Pappanos spiegeln seine Verwurzelung
                                                                                                                    als Assistenten nach Bayreuth mitnahm; wei-          in zwei Ländern: 2012 wurde er mit dem Ver-
Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia                                                                 tere Stationen waren die Opernhäuser von Oslo        dienstorden der Italienischen Republik geehrt
Gegründet 1908, widmete sich das Orchestra Renommee – und das mittlerweile wieder sehr                              und Brüssel. Pappano gehört zu den wenigen           und zusätzlich von der Queen geadelt.
dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia in erfolgreich auch auf dem Gebiet der Oper. Die                          Dirigenten weltweit, denen sowohl Wagner als
seinen Anfangsjahren ausschliesslich dem sin- Einspielungen von Puccinis «Madama Butterfly»
fonischen Repertoire. Werke wie Respighis mit Angela Georghiu, von Rossinis «Stabat                                 Francesco Piemontesi
«Fontane» und «Pini di Roma» wurden urauf­ Mater» mit Anna Netrebko sowie von Verdis                                Zehn Jahre ist es her, da kürte die BBC Francesco    Londoner Wigmore Hall aufzuführen. Höchstes
geführt, prominente Dirigenten wie Mahler, «Aida» mit Jonas Kaufmann und Anja Harteros                              Piemontesi zum «New Generation Artist» – der         Kritikerlob gab es auch für seine Aufnahme der
Strauss, Toscanini und Furtwängler gaben sich erlangten Kultstatus und wurden mit Preisen                           Startschuss zu einer internationalen Karriere, die   24 Préludes von Debussy (2015), der er 2018 den
die Klinke in die Hand. Unter der Leitung von überhäuft. Unter den jüngeren Veröffentlichun-                        den aus Locarno stammenden Pianisten mittler-        ersten Band von Liszts «Années de Pélérinage»
Giuseppe Sinopoli und Daniele Gatti, vor allem gen sind die drei Sinfonien von Leonard Bernstein                    weile rund um die Welt geführt hat. Piemontesi,      folgen liess. Die «Frankfurter Allgemeine Zeitung»
aber seit der Amtsübernahme durch Antonio zu nennen, der von 1983 bis zu seinem Tod                                 ausgebildet von Klavierlegenden wie Alexis           pries seine «subtile Anschlagtechnik», für die
Pappano 2005 erspielte sich das Vorzeige­ Ehrenpräsident des Orchesters war.                                        Weissenberg, Murray Perahia und Alfred Brendel,      «Neue Zürcher Zeitung» ist er schlichtweg ein
ensemble aus Italiens Hauptstadt internationales                                                                    spielte im Concertgebouw Amsterdam, in der           «Klangzauberer». Seit 2013 prägt Piemontesi das
                                                                                                                    Berliner Philharmonie, in den USA, in Japan          Musikfestival Settimane Musicali di Ascona als
                                                                                                                    und China. 2016/17 wurde ihm die Ehre zuteil,        künstlerischer Leiter.
                                                                                                                    sämtliche Mozart-Sonaten in der renommierten

                                                                                                                                                                            emontesi
                                                                                                                                                             Francesco Pi
                                                                                                                                       Pappano
                                                                                                                        Sir A ntonio
                                                                                                             ilia
                                                                                              di Santa Cec
                                                                  ll’Accadem   ia Nazionale
18                                                   Orchestra de                                                                                                                                                       19
Konzert 3 – Abo I

                          Tonhalle Maag Zürich Kammerorchester Basel
                Dienstag, 21. Januar 2020, 19.30 h Sylvain Cambreling (Leitung)
               		 Sol Gabetta (Violoncello)

                                                       Programm

                                      «Ouvertüre»: Unsere Stars von morgen (ca. 10')

                             Igor Strawinski (1882–1971) Vivace – Moderato
               «Concerto in Re» für Streichorchester (ca. 22') Arioso. Andantino
               		 Rondo. Allegro

                                  Wolfgang Rihm (*1952)
                                 «Concerto en SOL» (ca. 20')
                                              Uraufführung

                                                          Pause

               Felix Mendelssohn Bartholdy (1809–1847)        Andante con moto – Allegro un poco agitato
                                     Sinfonie Nr. 3 a-Moll    Vivace non troppo
                             «Schottische» op. 56 (ca. 40')   Adagio
               		                                             Allegro vivacissimo – Allegro maestoso assai

Sol Gabet ta

20                                                                                                       21
PR O G R A M M
Ko n z e r t 3
                                                                                                                                                            Wolfgang Rihm

Igor Strawinski (1882–1971)                         huldigt augenzwinkernd italienischem Belcanto:                                                          ssen Sinfonien vollendet. Ihre Anfänge freilich
«Concerto in Re» für Streichorchester               Celli und erste Geigen wetteifern hier um die                                                           reichen ins Jahr 1829 zurück, als der junge
Aufführungen von Igor Strawinskis Concerto in       elegantere Melodielinie. Das Schlussrondo setzt                                                         Komponist die Britischen Inseln besuchte und
Re sind für das Kammerorchester Basel geradezu      dann wieder auf motorische Energie; lediglich                                                           vor allem in Schottland zahlreiche Reiseeindrü-
eine Verpflichtung, steht man doch in der Tra-      im Mittelteil kommt sein Perpetuum-mobile-                                                              cke sammelte, die sich auch kompositorisch
dition von Paul Sachers legendärem Basler           Charakter kurzzeitig zum Erliegen.                                                                      niederschlugen. So notierte er angesichts der
Kammerorchester, das von 1926–1987 bestand                                                                                                                  Ruinen des Holyrood Palace in Edinburgh einen
und dem das Concerto gewidmet ist. Sacher           Wolfgang Rihm (*1952)                                                                                   musikalischen Einfall, der zur Keimzelle des
hatte es zum 20-jährigen Jubiläum seines            «Concerto en SOL» Uraufführung                                                                          langsamen Satzes wurde: «Ich glaube, ich habe
Ensembles bei Strawinski in Auftrag gegeben.        Der erfolgreichste lebende deutsche Kompo-                                                              heut da den Anfang meiner Schottischen Sym-
Trotz vielfältiger Verpflichtungen kam der Kom-     nist – dieses Etikett kommt eindeutig Wolfgang                                                          phonie gefunden.»
ponist der Bitte nach; im Januar 1947 erfolgte      Rihm zu. Kompositionsstudent schon als Schüler,                                                         Dass es ganze 13 Jahre bis zur Fertigstellung des
die Uraufführung.                                   gelang ihm mit 22 der Durchbruch bei den            musik ebenso wie im Vokalen, wobei v.a. seine       Werks dauerte, dafür lassen sich mehrere Gründe
Stilistisch gesehen, bildet das Concerto in Re      Donaueschinger Musiktagen. Zu seinen Lehrern        Bühnenwerke besondere Beachtung fanden.             ins Feld führen. Auf der direkt anschliessenden
den Abschluss von Strawinskis mittlerer, der        zählten Wolfgang Fortner, Karlheinz Stockhausen     Illuster ist auch die Riege seiner Uraufführungs-   Italienreise fehlte dem jungen Komponisten die
neoklassizistischen Schaffensphase, zu der          und Klaus Huber, in deren Fussstapfen Rihm          solisten: Daniel Barenboim, Anne-Sophie Mutter,     Inspiration, die «Schottische Nebelstimmung»,
Werke wie das Capriccio für Klavier und             bald selbst trat. Nach vierjähriger Lehrtätigkeit   Steven Isserlis, Renaud Capuçon, um nur einige      wie er schrieb. Später kamen allgemeine Über-
Orchester (1929) oder das Concerto in Es (1938)     in München übernahm er 1985 die Professur für       zu nennen. Bei der Eröffnung der Elbphilharmonie    legungen hinzu, die Schwierigkeit, nach Beetho-
gehören. Ein letztes Mal bedient sich der           Komposition in seiner Heimatstadt Karlsruhe.        Hamburg stand ebenfalls ein neues Rihm-Werk         ven ein überzeugendes sinfonisches Konzept zu
Komponist hier dezidiert barocker Formen            Der Schweiz ist er seit 2016 eng verbunden: als     im Zentrum. Von seinen zahlreichen Auszeichnun-     entwickeln – überlagert von der Frage, wie viel
und Tonfälle – in einer spielerisch aufge-          Leiter der von Pierre Boulez begründeten Lucerne    gen seien hier nur der Ernst von Siemens Musik-     «Programm», also Inhalte, man einem Orches-
lockerten Atmosphäre, die an Bachs Branden-         Festival Academy.                                   preis, der Grawemeyer Award sowie das Bundes-       terwerk zumuten durfte.
burgische Konzerte erinnert.                        Geht es darum, Rihms Schaffen zu beschreiben,       verdienstkreuz mit Stern genannt. Schliess­lich     Die gefundene Lösung jedenfalls begeisterte
Der 1. Satz ist ein beschwingtes Vivace im          fällt immer wieder ein Begriff: Subjektivität.      noch ein Blick auf seine Schüler, zu denen u.a.     zeitgenössische Hörer auf Anhieb. Jeder Satz
Giguen-Rhythmus, das den Gegensatz von D-Dur        Eigene Wege zu finden, eine eigene Sprache zu       Jörg Widmann, Philip David Hefti und Rebecca        der a-Moll–Sinfonie setzt einen anderen inhalt-
und d-Moll lustvoll ausspielt. Immer wieder         entwickeln, das ist für ihn der Wesenskern          Saunders zählen.                                    lichen Schwerpunkt (Natur – Volksfest – Rui-
treten einzelne Instrumente nach Art eines          künstlerischer Ästhetik; Dogmatismus begreift                                                           nen – Kampf), ohne die formalen Vorgaben der
Concerto grosso, solistisch oder in Kleingruppen,   er als «Zeichen der Schwäche». In diesem Sinne      Felix Mendelssohn Bartholdy (1809–1847)             Tradition zu vernachlässigen. Zudem ist das Werk
aus dem Streicherverbund hervor. Dagegen wir-       standen seine Werke oft quer zu den Trends,         Sinfonie Nr. 3 a-Moll «Schottische»                 als Zyklus angelegt: durch Mendelssohns Vor-
ken die beiden eingeschobenen Moderato-             eben weil sie so stark vom Künstler-Ich geprägt     Von der Nummerierung lasse man sich nicht           schrift, die vier Sätze ohne Pause hintereinander
Abschnitte mit ihren blockhaften Tutti-Akkorden     sind. Kompositorisch fühlt sich Rihm in allen       täuschen: Mendelssohns «Schottische» wurde          zu spielen, ebenso wie durch verwandtschaft­
regelrecht statisch. Der 2. Satz, ein Arioso,       Genres zu Hause, in der Kammer- und Orchester-      erst 1842 und damit als letzte seiner fünf gro-     liche Beziehungen zwischen den Hauptthemen.

22                                                                                                                                                                                                        23
INTE R P R E T E N                                                                                    Sylvain Cambreling
                                                                                                      Mit Sylvain Cambreling gastiert ein Dirigent bei       ereilte: Opernchef in Frankfurt (1992–1997), in
Ko n z e r t 3                                                                                        Migros-Kulturprozent-Classics, der in den ver-         Stuttgart (2012–2018), dazwischen Chefdirigent
                                                                                                      gangenen Jahrzehnten vor allem in der deut-            des SWR Sinfonieorchesters Baden-Baden und
                                                                                                      schen Musiklandschaft Spuren hinterliess.              Freiburg, Gastspiele in Wien, Salzburg, an der
                                                                                                      Danach sah es anfangs gar nicht aus, beschränkte       Met, der Scala. Zweimal wurde Cambreling zum
                                                                                                      sich Cambrelings Wirken als junger Dirigent doch       Dirigenten des Jahres gekürt, für die Einspielung
                                                                                                      zunächst auf sein Heimatland Frankreich, die           von Messiaens Orchesterwerken gab es 2009
                                                                                                      Oper Lyon und das Pariser Ensemble Intercon-           den Jahrespreis der Deutschen Schallplatten-
Kammerorchester Basel                                                                                 temporain. 1981 ging er nach Brüssel. Am dorti-        kritik. Aktuell hat der «Universalist unter den
Dass ein Orchester auch ohne festen Dirigenten       Romantik bis zur Moderne, die man mit regel-     gen Opernhaus La Monnaie arbeitete er dann so          Dirigenten» seine Zelte bei den Symphonikern
auf höchstem Niveau musizieren kann, beweist         mässig vergebenen Kompositionsaufträgen          erfolgreich, dass ihn ein Ruf nach dem andern          in Hamburg aufgeschlagen.
das Kammerorchester Basel seit mehr als zwei         bereichert. Unter seinem Ersten Gastdirigenten
Jahrzehnten. Gegründet 1984 als Serenata             Giovanni Antonini beteiligt sich das Orchester   Sol Gabetta
Basel, erfolgte die Umbenennung im Jahr 1999;        an einer neuen Gesamtaufnahme von Haydns         Schon mehrmals war sie im Rahmen von Migros-           in Olsberg sowie Auftritte mit den renommier-
seither verzichtet man auch auf einen Chefdiri-      Sinfonien, zusammen mit Heinz Holliger wird      Kulturprozent-Classics zu hören: die argentini-        testen Orchestern weltweit, von den Berliner,
genten. Wie beim legendären Basler Kammer-           man zudem Schuberts Sinfonien einspielen.        sche Cellistin Sol Gabetta, die seit Jahren ihren      Wiener und Münchner Philharmonikern bis zum
orchester von Paul Sacher ist die stilistische       Grossen Wert legt das Ensemble auch auf die      Wohnsitz in der Schweiz hat. Obwohl erst Ende          Orchestre National de Radio France und den
Bandbreite des Ensembles gross: Sie reicht von       Musikvermittlung an Kinder und Jugendliche.      30, kann Gabetta auf eine beeindruckende musi-         Tschechischen Philharmonikern. «Sie versprüht
der Alten Musik – die auf historischen Instru-       2008 erhielt das Kammerorchester Basel einen     kalische Laufbahn zurückblicken: 3. Preis beim         eine fast unbändige Musizierlust, lässt den
menten präsentiert wird – über Klassik und           Echo Klassik.                                    ARD-Musikwettbewerb 1998, mehrfache Echo-              Cellobogen vor Freude tanzen», urteilte die
                                                                                                      Klassik-Preisträgerin, Premio Gardel 2009 und          Presse. Und Gabetta gibt diese Freude an der
                                                                                                      zuletzt der Herbert-von-Karajan-Musikpreis.            Musik weiter: als Moderatorin des BR-Klassik-
                                                                                                      Dazu hochgelobte CD-Einspielungen, eine stetig         Magazins «KlickKlack», das vor allem junge
                                                                                                      wachsende Fangemeinde, ein eigenes Festival            Menschen anspricht.

                                                                                                                                              Sol Gabet ta
                                                                                                                               g
                                                                                                         Sylva   in C ambrelin

24                                         ester Basel
                                                                                                                                                                                                           25
                              Kammerorch
Konzert 4 – Abo II
© Werner Kmetitsch

                                                         Tonhalle Maag Zürich hr-Sinfonieorchester
                                                   Sonntag, 15. März 2020, 18.30 h Andrés Orozco-Estrada (Leitung)
                                                  		 Joshua Bell (Violine)

                                                                                         Programm

                                                                       «Ouvertüre»: Unsere Stars von morgen (ca. 10')

                                                            Johannes Brahms (1833–1897) Allegro non troppo
                                                             Konzert für Violine und Orchester Adagio
                                                                         D-Dur op. 77 (ca. 43') Allegro giocoso, ma non troppo vivace

                                                                                            Pause

                                                               Richard Strauss (1864–1949)
                                                  «Don Juan», Sinfonische Tondichtung (ca. 20')

                                                                          Richard Strauss
                                                                          Suite aus der Oper
                                                                 «Der Rosenkavalier» (ca. 25')

                                      o-Estrada
                          Andrés Orozc

                     26                                                                                                                 27
PR O G R A M M                                                                                                                                               Richard Strauss

Kon z er t 4

Johannes Brahms (1833–1897)                          instrumente virtuose Begleitfiguren einwerfen,                                                          mannsthal mit Skepsis zu begegnen. Nach den
Konzert für Violine und Orchester                    übt sich der Solist konsequent in Mehrstimmig-                                                          hochambitionierten Vorgängerwerken «Salome»
D-Dur op. 77                                         keit. Weitere Glanzstückchen aus dem Inventar                                                           und «Elektra», letztere auf einen Hofmannsthal-
So manch ein Werk, das heute als Klassiker der       der Kontrapunktik verbirgt Brahms geschickt                                                             Text, wirkte der «Rosenkavalier» wie eine Flucht
Geigenliteratur gilt, hatte es anfangs schwer. Wie   hinter dem ungarischen Flair des Satzes.                                                                in die heile Welt von 1740. Dem widersprach der
die Violinkonzerte Beethovens und Tschaikowskis                                                                                                              Dichter mit der Bemerkung, es sei «mehr von der
stiess auch das D-Dur-Konzert von Johannes           Richard Strauss (1864–1949)                                                                             Vergangenheit in der Gegenwart, als man ahnt».
Brahms (1878) auf Skepsis: Brahms war schliess-      «Don Juan», Sinfonische Tondichtung                                                                     Eine gewisse Aktualität, oder besser Überzeit-
lich Pianist, kein Streicher. Zudem dachte er in     «Don Juan» gehört nicht nur zu den ersten Ton-                                                          lichkeit, gehört im «Rosenkavalier» also zum
sinfonischen Strukturen, pure Virtuosität war ihm    dichtungen von Richard Strauss, sondern auch                                                            Konzept. Weshalb Strauss hier auch bewusst
ein Gräuel. Pablo de Sarasate, einer der gröss-      zu den interessantesten. Anders als bei späte-                                                          auf den Paradetanz des 19. (nicht des 18.) Jahr-
ten Geiger seiner Zeit, brachte die Vorbehalte       ren Werken – dem «Till Eulenspiegel» oder der                                                           hunderts zurückgreift, auf den Wiener Walzer
gegen op. 77 auf den Punkt, als er lästerte, er      «Alpensinfonie» zum Beispiel – schwieg sich                                                             nämlich – ganz zu schweigen von seinem eige-
wolle nicht mit dem Instrument in der Hand der       Strauss über das Programm, also den Inhalt des                                                          nen Personalstil, der zwar die Modernismen
einzigen Melodie des ganzen Stücks lauschen.         Stücks, aus. Die Passagen aus Lenaus Vers-           zunehmend selbstbewusst – um ganz zuletzt,         der «Elektra» meidet, aber immer noch erkenn-
Bei dieser Melodie handelt es sich um das in         drama, die er der Partitur voranstellte, ergeben     auf dem Gipfel des Triumphs, umzuschlagen in       bar zeitgenössisch ist. Inhaltlich spiegelt sich
der Tat berückende Oboensolo zu Beginn des           lediglich ein Psychogramm des Helden; von            Melancholie und Lebensüberdruss.                   diese Haltung im Vergänglichkeitsmonolog der
zweiten Satzes. Was Sarasate verkannte: dass         einer «Handlung» kein Wort. Und doch lässt sich      Und genau diese Kombination aus kraftstrotzen-     Feldmarschallin: «Die Zeit, die ist ein sonder-
Brahms weder auf gesanglichen Schmelz noch           diese als Reigen von Liebesabenteuern, von           der, sexuell grundierter Diesseitigkeit und fah-   bar Ding.»
auf instrumentale Brillanz verzichtet, beides        Werbung, Eroberung und Abschied leicht nach-         lem, ersterbendem Abgesang in Moll fügt sich       Vordergründig arbeitet der «Rosenkavalier» mit
allerdings in ein komplexes kompositorisches         vollziehen.                                          nahtlos in die Entstehungszeit (1888) der Ton-     den üblichen Versatzstücken einer musikali-
Gefüge einbindet. Solist und Orchester sind          Das liegt v. a. an der Prägnanz der Themen, die      dichtung ein: eine von Fortschrittsglauben und     schen Komödie, mit Intrigen, Verkleidungen und
absolut gleichberechtigt, und das von Beginn an:     so plastisch gestaltet und raffiniert instrumen-     Optimismus geprägte Epoche, die aufkommende        Liebe auf den ersten Blick. Auch die Figuren sind
So herrscht im ersten Satz bei der Vorstellung der   tiert sind, wie es wohl nur ein Richard Strauss      Endzeitstimmung nur mühsam kaschierte. «Don        bekannt: der lüsterne Baron, die alternde Dame,
Hauptthemen geradezu brüderliche Eintracht.          vermochte. Dem überschäumenden Elan der              Juan» wurde Strauss’ erster grosser Erfolg.        das junge Liebespaar. Hinter diesen Typisierun-
Auch im Adagio hat die Oboe zwar das erste, die      Anfangstakte wird sich kein Hörer entziehen                                                             gen aber werden immer wieder die Menschen
Sologeige aber das zweite und vielleicht wichti-     können – mit dieser auffahrenden Gebärde tritt,      Richard Strauss (1864–1949)                        erkennbar, ihre Selbstzweifel, ihre inneren
gere Wort, indem sie die Bläsermelodie weiter-       nein: stürmt Don Juan selbst auf die Bühne.          Suite aus der Oper «Der Rosenkavalier»             Widersprüche. Aus der Musik zur Oper wurde
führt, umformuliert und so den Ablauf des Satzes     Später beruhigt sich die Musik, sorgt für Intimi-    Eine Rokoko-Oper im Jahr 1911? Aus der Feder       viel später (wohl 1944 durch Arthur Rodzinski)
entscheidend bestimmt. Im Finale treibt Brahms       tät und solistisches Liebesgeflüster (Geige,         zweier Künstler, die man eher der Avantgarde       eine Orchestersuite zusammengestellt, die nicht
die Gleichberechtigung der Partner augenzwin-        Flöte, Oboe). Aufhalten lässt sich ein Don Juan      zurechnete? Es gab durchaus Grund, dem neuen       der Handlung folgt, sondern mit einer rauschen-
kernd auf die Spitze: Während die Orchester­         davon nicht, im Gegenteil, seine Auftritte klingen   Projekt von Richard Strauss und Hugo von Hof-      den Walzerepisode endet.

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INTE R P R E T E N                                                                                           Andrés Orozco-Estrada
                                                                                                             Andrés Orozco-Estrada stammt aus Medellín,            ter übernehmen wird, die Symphoniker nämlich.
Ko n z e r t 4                                                                                               doch seine musikalische Karriere ist eng mit der      Dazwischen liegen seine Debüts mit den Berliner
                                                                                                             Stadt Wien verbunden. Hier studierte er sechs         Philharmonikern (2017), bei den BBC Proms und
                                                                                                             Jahre lang Dirigieren, feierte 2004 seinen Durch-     den Wiener Philharmonikern (beide 2018). «Ich
                                                                                                             bruch als Einspringer mit Bruckners Vierter und       dirigiere um mein Leben!», bekannte er einmal,
                                                                                                             wurde 2009 zum Chef des Tonkünstler-Orches-           und tatsächlich machte ihn seine mitreissende,
                                                                                                             ters Niederösterreich gekürt. Nach weiteren           hochemotionale Art sowohl in Frankfurt wie im
                                                                                                             Leitungspositionen in San Sebastián und Hous-         Baskenland zum Publikumsliebling. Das Land
hr-Sinfonieorchester                                                                                         ton folgte 2014 mit dem Wechsel an die Spitze         Österreich drückte seine Zuneigung auf offizielle
Die Anfänge des Orchesters liegen im Jahr 1924,           Inbal, Hugh Wolff und Paavo Järvi erhielt das      des hr-Sinfonieorchesters der nächste Karriere-       Weise aus: durch Verleihung der Ehrenstaatsbür-
als Radio Frankfurt seine Hörer mit Live-Musik            hr-Sinfonieorchester, so der Name seit 2005,       sprung. Und der übernächste steht 2021 an,            gerschaft an den Kolumbianer.
aus dem Studio überraschte. Unter dem Namen               neue Impulse. Projekte wie Barock+, die Klang-     wenn Orozco-Estrada erneut ein Wiener Orches-
«Frankfurter Rundfunk-Symphonie-Orchester»                biennale für zeitgenössische Musik und das
wurde v. a. die zeitgenössische Moderne gepflegt,         Music Discovery Project, mit dem man ein jun-      Joshua Bell
Werke von Arnold Schönberg, Paul Hindemith                ges Publikum anspricht, zeigen die künstlerische   Man nennt ihn den «Poeten an der Violine» – und       der Ausflüge in den Jazz- und Rockbereich, an der
oder Kurt Weill etwa. Nach dem Krieg blieb man            Bandbreite des Orchesters. Die Auszeichnungen      wirklich ist das kantable, ausdrucksvolle Spiel       Seite von Musikern wie Chick Corea oder James
dieser Linie treu und nahm durch die Verpflich-           für seine CD-Einspielungen sind vielzählig, dar-   des US-amerikanischen Geigers Joshua Bell             Taylor. Mehr als 40 CDs hat Joshua Bell mittler-
tung eines farbigen Chefdirigenten (Dean Dixon)           unter zwei Grammy-Nominierungen, mehrere           unverkennbar. Schon als 14-Jähriger konzertierte      weile veröffentlicht und dafür diverse Auszeich-
sowie durch Gastspiele in Osteuropa auch in               Echos, der Cannes Classical Award und der          er mit einem Profiorchester, drei Jahre später        nungen erhalten, vom Gramophone Award über
gesellschaftlicher Hinsicht eine Vorreiterrolle           Grand Prix du Disque.                              folgte sein Debüt in der New Yorker Carnegie          den Diapason d’Or bis zu einem Grammy für die
ein. Unter der künstlerischen Leitung von Eliahu                                                             Hall. Ein weiteres Markenzeichen Bells: künstle-      Ersteinspielung des Violinkonzerts von Nicholas
                                                                                                             rische Neugier. Zu seinem Repertoire gehören          Maw. Auch als Dirigent ist der 1967 geborene
                                                                                                             Vivaldis «Vier Jahreszeiten» ebenso wie Violin-       Musiker höchst erfolgreich: 2011 kürte ihn die
                                                                                                             konzerte von Barber, Bloch, Goldmark und von          Academy of St Martin in the Fields zum Nachfol-
                                                                                                             Zeitgenossen, daneben gönnt er sich immer wie-        ger ihres legendären Gründers Neville Marriner.

                                                                                                                                                     Joshua Bell
                                                                                                                                     trada
                                                                                                                A ndré   s Orozco-Es

30                                          rc   hester
                                                                                                                                                                                                                 31
                               hr-Sinfonieo
Konzert 5 – Abo II
© Marco Borggreve

                                                     Tonhalle Maag Zürich Mahler Chamber Orchestra
                                              Dienstag, 28. April 2020, 19.30 h Lahav Shani (Leitung und Klavier)

                                                                         Programm

                                                        «Ouvertüre»: Unsere Stars von morgen (ca. 10')

                                          Darius Milhaud (1892–1974) Prélude. Modéré
                                  «La création du monde», op. 81 (ca. 18') Le chaos avant la création. Fugue
                                                                           La naissance de la flore et de la faune
                                  		 La naissance de l’homme et de la femme. Vif
                                  		 Le désir
                                  		 Le printemps ou l’apaisement

                                      Dmitri Schostakowitsch (1906–1975) Allegro
                                             Konzert für Klavier und Orchester Andante
                                                  Nr. 2 F-Dur op. 102 (ca. 20') Allegro

                                                                            Pause

                                  Ludwig van Beethoven (1770–1827) Allegro con brio
                                           Sinfonie Nr. 5 c-Moll, op. 67 Andante con moto
                                         «Schicksals-Sinfonie» (ca. 35') Allegro
                                  		Allegro

                              i
                    Lahav Shan

                    32                                                                                              33
PR O G R A M M
Kon z er t 5

Darius Milhaud (1892–1974)                        ten Abschnitt seine Vereinigung zelebriert wird    bindlich im Ton, mit frechen Themen im Jung­   den er an seine erste Moll-Sinfonie stellte. In
«La création du monde», op. 81                    (Soli von Klarinette und Saxophon). Das kurze      pionierstil und einem wehmütigen Mittelsatz    diese Zeit fallen einige markante Ereignisse poli-
Die «Ballets Suédois» waren ähnlich wie           Finale schliesslich kombiniert Motive der vor-     von Chopin’scher Eleganz. Wenn da nur die      tischer wie privater Art: die drohende Nieder-
Diaghilews berühmte «Ballets Russes» ein          hergehenden Sätze und deutet so die zyklische      kleinen, versteckten Widerborstigkeiten nicht  lage gegen Napoleon, das Eingeständnis irre-
hauptsächlich in Paris aktives Ensemble, das      Struktur irdischen Lebens an.                      wären: falsche Akkorde, schrille Zwischentöne, versibler Ertaubung, aber auch ein neues künst-
durch innovative Tanzproduktionen von sich                                                           Spott über pianistische Leerfloskeln und im    lerisches Niveau seit Beendigung der «Eroica».
reden machte. In den fünf Jahren seines Beste-    Dmitri Schostakowitsch (1906–1975)                 Finale ein 7∕ 8 -Takt, der zum Stolpern bei Höchst-
                                                                                                                                                    Welches Konzept verfolgte Beethoven in der
hens arbeitete das Team um den Schweden           Konzert für Klavier und Orchester                  geschwindigkeit einlädt … Keine künstlerische  neuen Sinfonie?
Jean Börlin mit Künstlern wie Ravel, Honegger,    Nr. 2 F-Dur op. 102                                Leistung? In diesem Fall wird man dem Kompo-   Dass die berühmten Anfangstöne der Fünften für
Satie und Cocteau zusammen. 1923 entstand         Mit seinem F-Dur-Klavierkonzert bereicherte        nisten getrost widersprechen dürfen.           das Schicksal stehen, das «an die Pforte klopft»,
das Ballett «La création du monde» mit Musik      Dmitri Schostakowitsch im Jahr 1957 das Reper-                                                    ist bekannt. Entscheidend aber ist der musikali-
von Darius Milhaud. Bei der Uraufführung          toire um ein Werk, das beim Publikum ausser­       Ludwig van Beethoven (1770–1827)               sche Prozess, den sie in Gang setzen. Beethoven
erregte es grosses Aufsehen: nicht nur wegen      ordentliche Beliebtheit geniesst und auch von      Sinfonie Nr. 5 c-Moll, op. 67                  schreibt nicht einfach eine Sinfonie, die in Moll
seines Inhalts, der sich afrikanischer Schöp-     Fachkritikern geschätzt wird. Eine bemerkens-      Vier Jahre lang, von 1804 bis 1808, arbeitete beginnt und in Dur endet, sondern er inszeniert
fungsmythen bedient, sondern auch wegen der       werte Ausnahme bildete Schostakowitsch selbst.     Ludwig van Beethoven an seiner 5. Sinfonie – diese Entwicklung als folgerichtig, um nicht zu
spektakulären Kostüme von Fernand Léger. Und,     Es enthalte «keine nennenswerte künstlerische      ein deutliches Zeichen für den hohen Anspruch, sagen notwendig. In vier Stufen wird das
natürlich, wegen der Musik: Sie ist ganz unver-   Leistung», schrieb er an einen Freund. Ehrliche                                                   Schicksal überwunden: So scheint C-Dur am
kennbar vom Jazz inspiriert, den Milhaud 1920     Selbstkritik oder Schutzbehauptung?                                                               Ende von Satz eins bereits erreicht, als eine
in London und 1922 in New York hatte studieren    Fest steht zumindest, dass es Solokonzerte im                                                     düstere Coda dieses Ergebnis wieder einkas-
können und von dem er begeistert war.             sozialistischen Realismus nicht leicht hatten.                                                    siert. Im zweiten Satz wird der lyrische Gesamt-
Bluesharmonien prägen bereits das meditative      Schostakowitschs 1. Klavierkonzert von 1933,                                                      eindruck zusehends durch Marschsignale auf­
Vorspiel, bevor Milhaud im zweiten Satz, der      das eine selbstbewusste Absage an spätroman-                                                      gebrochen – Vorahnung des finalen Triumphs.
das Chaos vor dem Schöpfungsakt malt, eine        tisches Virtuosentum darstellt, wurde aufgrund                                                    Selbst das (nicht als solches bezeichnete)
Fuge im Jazzstil präsentiert. Klanglich höchst    seines ätzenden Sarkasmus kaum noch gespielt.                                                     Scherzo lebt ganz von musikalischen Konflikten,
effektvoll, wandert das Fugenthema vom Kon-       Und das 1947 komponierte Violinkonzert, das                                                       und hier, in den letzten Takten, erfolgt dann end-
trabass zu Posaune, Saxophon und Trompete,        künstlerischen Ernst mit humanistischem Ethos                                                     gültig der Umschwung zum erlösenden C-Dur.
um anschliessend das gesamte Orchester in         verbindet, musste sieben Jahre lang auf seine                                                     Der Schlusssatz ist Jubel pur, dessen weltum-
seinen Bann zu ziehen. Im dritten Satz, bei der   Uraufführung warten.                                                                              spannendes Ethos durch Zusatzinstrumente wie
Erschaffung der Lebewesen, kehrt dieses           Op. 102 ist daher ein Konzert «durch die Hinter-                                                  Piccolo, Posaunen und Kontrafagott zum Aus-
Material verwandelt wieder. Danach hat das        tür»: ein Geburtstagsständchen für den 19-jäh-                                                    druck kommt. «Dem Schicksal in den Rachen
erste Menschenpaar zu den flotten Rhythmen        rigen Sohn Maxim, der sich auf eine Karriere als                                                  greifen» – hier geschieht es musikalisch.
eines Cakewalks seinen Auftritt, bevor im fünf-   Pianist vorbereitete. Klassisch im Aufbau, ver-
                                                                                                                                                           Dmitri Schostakowitsch
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IN T E R P R E T E N
Kon z er t 5

Mahler Chamber Orchestra                                                                            Lahav Shani
Das Mahler Chamber Orchestra ist eng mit dem       Yuja Wang. Für eine Berlioz-Einspielung von      Wird nach den grössten dirigentischen Nach-      nic, bei der Staatskapelle Berlin, wurde 2017
Wirken Claudio Abbados verknüpft, der 1986,        2003 gab es den Deutschen Schallplattenpreis,    wuchshoffnungen unserer Zeit gefragt, fällt      Ständiger Gastdirigent der Wiener Symphoniker
noch in Zeiten des Kalten Kriegs, das Gustav       eine Beethoven-Aufnahme mit Martha Argerich      immer wieder ein Name: Lahav Shani. «Ein         und ein Jahr später sogar Chefdirigent der Phil-
Mahler Jugendorchester als musikalisches Frie-     wurde für den Grammy nominiert. Zu den zahl-     Ausnahmetalent», so der Deutschlandfunk, ein     harmoniker von Rotterdam. Damit nicht genug,
densprojekt gründete. Elf Jahre später bewog       reichen Tourneen des MCO kommen einige           «Temperamentsbündel», ergänzte der Wiener        wird er ab 2020 als Nachfolger von Zubin Mehta
das Erreichen der Altersgrenze einige seiner       «Residenzien», etwa seit 2009 in den Metropo-    «Standard». 2013, mit 24 Jahren, triumphierte    die Leitung des Israel Philharmonic Orchestra
Mitglieder, ein neues Ensemble zu etablieren –     len Nordrhein-Westfalens. Neben Abbado war       der Israeli beim Gustav-Mahler-Dirigentenwett-   übernehmen. Mit dieser Berufung schliesst sich
auch hieran hatte Abbado wesentlichen Anteil.      der junge Daniel Harding von Beginn an das       bewerb in Bamberg und erhielt daraufhin Ein­     ein Kreis, für den in Tel Aviv geborenen Lahav
Seitdem hat das Mahler Chamber Orchestra, als      Gesicht des Orchesters; er wurde mittlerweile    ladungen von den besten Orchestern weltweit.     Shani, der auch ein exzellenter Pianist ist: Trat
Projektgemeinschaft von Elitemusikern, mit den     zum Ehrendirigenten gekürt. Als Artistic Part-   Shani gastierte beim City of Birmingham Sym-     er doch schon als 16-Jähriger zusammen mit
besten Solisten weltweit zusammengearbeitet,       ners fungieren derzeit Mitsuko Uchida, Teodor    phony Orchestra, beim Los Angeles Philharmo-     Mehta und den Philharmonikern auf.
darunter Anna Netrebko, Jonas Kaufmann und         Currentzis und Pekka Kuusisto.

                                                                                                        Lahav Shani

                                                                stra
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                                      Mahler Cha
Konzert 6 – Abo I
© Xiomara Bender

                                         Tonhalle Maag Zürich Russisches Nationalorchester
                                     Montag, 11. Mai 2020, 19.30 h Mikhail Pletnev (Leitung)
                                    		 Lucas Debargue (Klavier)

                                                                                Programm

                                                             «Ouvertüre»: Unsere Stars von morgen (ca. 10')

                                     Sergei Rachmaninow (1873–1943) Vivace
                                    		
                                    		Andante
                                         Konzert für Klavier und Orchester
                                                                           Allegro vivace
                                                        Nr. 1 fis-Moll op. 1 (ca. 39')

                                    		  Nikolai Rimsky-Korsakov (1844–1908) Introduktion. Andante sostenuto
                                    		Tanz der Vögel. Allegro
                                    Suite aus der Oper «Schneeflöckchen» (ca. 15')
                                                                                   Cortège. Allegro alla marcia
                                                                                   Tanz der Possenreisser. Vivace

                                                                                   Pause

                                    		         Nikolai Rimsky-Korsakov Allegro – Allegretto alla marcia
                                    		Allegro – Maestoso
                                                        Suite aus der Oper
                                                                             Allegro – Moderato – Andantino – Allegro – Andante –
                                    «Das Märchen vom Zaren Saltan» (ca. 25') Lento – Moderato – Allegro

                                    		       Nikolai Rimsky-Korsakov Vorspiel: Lob der Einsamkeit. Larghetto alla breve
                                    		Hochzeitszug – Überfall der Tataren. Allegretto –
                                        Suite aus der Oper «Die Legende
                                                                            Allegro assai
                                     von der unsichtbaren Stadt Kitesch» Die Schlacht am Kershenez. Allegro
                                      (arr. Maximilian Steinberg) (ca. 25') Der selige Tod der Jungfrau Fewronia – Die Wallfahrt
                                                                            zur unsichtbaren Stadt. Larghetto – Andante non troppo –
                                                                            Più mosso

                              gue
                   Lucas Debar

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PR O G R A M M
Kon z er t 6

Sergei Rachmaninow (1873–1943)                        gesten auf, behält den energischen Bewegungs-
Konzert für Klavier und Orchester                     impuls aber bei. Auf halber Strecke beruhigt
Nr. 1 fis-Moll op. 1                                  sich das Geschehen kurzzeitig, bevor der Solist
Sergei Rachmaninows 1. Klavierkonzert ist das         mit furiosen Triolenpassagen einen packenden
Werk eines 18-Jährigen, der gerade sein Studium       Schlusspunkt setzt.
am Moskauer Konservatorium beendete. Auch
wenn es Vorbilder wie Schumann, Chopin und vor        Nikolai Rimsky-Korsakov (1844–1908)
allem Grieg nicht verleugnet, weist es doch vor-      Suite aus der Oper «Schneeflöckchen»
aus in Rachmaninows berufliche Zukunft. Bei           Nikolai Rimsky-Korsakovs Leben und Werk stehen
einer Teil-Uraufführung des Werks im März             beispielhaft für die Suche eines Künstlers nach
1892 lobte die Presse «Geschmack, Sensibilität,       den ihm eigenen Ausdrucksmitteln. Als 17-Jähri-
Melodie, Eleganz und unbezweifelbares hand-           ger stiess der Sohn eines Verwaltungsbeamten
werkliches Können» des jungen Mannes.                 zum Kreis um Balakirew, wo man ihn nicht nur
Der Anfang des Konzerts gleicht einem Fanal:          ermunterte, die Laufbahn eines Komponisten ein-
Auf eine Unisono-Fanfare der Bläser antwortet         zuschlagen, sondern ihm auch ästhetische Vor­
der Solist mit einer überfallartigen Akkord-          gaben machte: Hinwendung zu Stoffen der russi-
Kaskade. Die eigentlichen Hauptthemen des             schen Geschichte, Studium der Volksmusik,
1. Satzes dagegen sind lyrischen Charakters,          Abgrenzung von «westlichen» Einflüssen. Schon
dunkel timbriert und atmen bereits die typische       bald galt der junge Rimsky neben Mussorgski und                                                                                        Rimsky-Korsakov
Rachmaninow-Aura mit ihrem sehnsüchtigen              Borodin als grosser Hoffnungsträger des Kreises.
Auf und Ab. In der Durchführung findet ganz all-      Mit der Übernahme einer Professur am Peters-
mählich ein Rollentausch statt: Zunächst hat das      burger Konservatorium 1871 begann die allmäh-      Musikalisch hat die Abkehr von den Balakirew-       Nikolai Rimsky-Korsakov (1844–1908)
Orchester allein das Wort, dann bringt sich das       liche Abnabelung vom Mentor Balakirew. Auch        Idealen dem Werk nicht geschadet, eher im           Suite aus der Oper
Klavier als Begleiter ins Spiel, etabliert sich als   im Opernschaffen von Rimsky schlägt sich dies      Gegenteil. In «Schneeflöckchen» erweist sich        «Das Märchen vom Zaren Saltan»
Dialogpartner und übernimmt zuletzt die Führung.      nieder: Behandelte sein Erstling «Das Mädchen      Rimski-Korsakow als begnadeter Charakter-           Den «Hummelflug» kennt jeder – aber wer kennt
Der liedartig angelegte 2. Satz lebt von reizvollen   von Pskow» noch ein historisches Thema, spielt     zeichner und Klangzauberer. Einen kleinen Ein-      die Oper, aus der er stammt? Nikolai Rimsky-
Dialogen des Klaviers mit Fagott, Horn und ande-      seine dritte Oper «Schneeflöckchen» in mär-        druck davon gibt die Suite aus der Oper: die von    Korsakov schrieb «Das Märchen vom Zaren
ren Bläsern. Hier erweist sich Rachmaninow als        chenhafter Vorzeit. Schneeflöckchen, die Toch-     vielen Vogelrufen durchzogene Vorahnung des         Saltan» im Alter von 55 Jahren, auf dem Höhe-
ausserordentlich klangsensibler Komponist mit         ter von Frühlingsfee und Väterchen Frost, begibt   Frühlings (Introduktion), der zwitschernde Vogel-   punkt seines Ruhms. Als Dozent am Petersburger
Sinn für Orchesterfarben. Das Finale nimmt den        sich unter die Menschen, lernt die Liebe kennen,   tanz (zweiter Satz), der feierliche Aufzug des      Konservatorium, erfolgreicher Opernkomponist
zu Beginn des Konzerts etablierten Gegensatz          aber auch den Tod. Als am Ende der Frühling        Zaren mit seiner unregelmässigen Taktgliede-        und letztes aktives Mitglied des «Mächtigen
von Orchester-Unisono und virtuosen Klavier-          Einzug hält, schmilzt sie dahin.                   rung und der wilde Tanz der Possenreisser.          Häufleins», des Kreises um Mussorgski und

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