Wissenschaft für die Praxis - Mitteilungen der Stiftung für die Wissenschaft Heft 3 Juli 2021
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Herausgeber: Stiftung für die Wissenschaft Geschäftsstelle: Simrockstraße 4, 53113 Bonn Postanschrift: Postfach 14 29, 53004 Bonn Telefon: (02 28) 2 04-57 31 Fax: (02 28) 2 04-57 35 E-Mail: stiftung-wissenschaft@dsgv.de Internet: www.stiftung-wissenschaft.de Verantwortlich: Dr. Klaus Krummrich Redaktion: George Clegg Telefon: (02 28) 2 04-57 31 Fax: (02 28) 2 04-57 35 Gestaltung: weber preprint service, Bonn Die Mitteilungen erscheinen zweimal im Jahr und werden der interessierten Fach- öffentlichkeit unentgeltlich zur Verfügung gestellt. ISSN 2701-5270 Titelbild: Dem Physiker, Jurist und Erfinder, Erforscher des Vakuumphänomens, Otto von Guericke (1602–1686), ist in seiner Geburtsstadt Magdeburg ein Denkmal gewidmet. Es wurde 1907 neben dem Alten Rathaus der Stadt errichtet und zeigt den zweimaligen Bürgermeister der Stadt, der durch sein berühmtes Experiment mit den Magdeburger Halbkugeln die Kraft des Vakuums nachwies. Nach ihm benennt sich auch die Universität der Hauptstadt des Landes Sachsen-Anhalt. Foto: falco
Editorial Editorial Seit fast anderthalb Jahren gilt in der gesamten Welt der Pandemie-Ausnahmezustand. Als am 27. Januar 2020 der erste Corona-Fall in Bayern gemeldet wurde, ahnten hierzulande wohl nur Wenige, welch harte Zeiten den Menschen und der Wirt- schaft bevorstehen sollten. Dr. Karl-Peter Schackmann-Fallis, Nun scheint nach einer hoch belastenden Zeit endlich Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des DSGV, das Licht am Ende des Tunnels heller zu leuchten, Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung für die Wissenschaft. scheinen sich die konsequenten Schutzmaßnahmen und der verbreitete Einsatz wirksamer Impfstoffe Als wäre diese Aufgabe nicht Herausforderung genug, auszuzahlen. Dennoch: entscheidende Nagelproben stehen Gesellschaft und Unternehmen mit den noch- für eine gute Zukunftsperspektive des Landes stehen mals forcierten Zielen nach dem Regierungsbeschluss noch bevor. zum Klimaschutzgesetz parallel tiefgreifende Um- brüche bevor. Deutschland soll nunmehr schon 2045 Denn durch das Herunterfahren weiter Teile des klimaneutral werden. Mobilität, Wohnen und Produk- öffentlichen Lebens wie auch durch die finanziellen tionsabläufe müssen in einer jetzt knapper bemesse- Lasten der Corona-Bekämpfung ist die deutsche nen Zeitspanne auf die neuen Anforderungen einer Staatsverschuldungsquote 2020 nach Analyse der klima- und umweltschonenden Zukunft ausgerichtet Chefvolkswirte der Sparkassen-Finanzgruppe um werden. Dies aber kann in einer auf effiziente Hoch- gut 10 Prozentpunkte auf 70 Prozent gestiegen. Das technologie angewiesenen Gesellschaft nur dann Defizit, das in diesem Jahr mindestens 3,5 Prozent gelingen, wenn die dazu nötigen kreativen und auch erreichen dürfte, führt 2021 zu einer nochmals finanziellen Ressourcen intelligent eingesetzt werden. höheren Staatsverschuldung. Eine kluge Haushalts- politik ist notwendig, um die Schuldenquote wieder in Auch bei der Erfüllung der Nachhaltigkeitsziele wächst Richtung der Maastricht-Grenze von 60 Prozent zu den Sparkassen als maßgeblichen Finanzierungspart- schieben. Die Re-Aktivierung des innerstädtischen nern des Mittelstands und starken Sachwaltern der Lebens, das schon vor der Pandemie unter dem Regionen und ihrer Menschen eine maßgebliche zunehmenden Einfluss der Internet-Anbieter litt, Verantwortung zu. Wie die Verwerfungen der Pandemie fordert auch die Sparkassen in ihrer Rolle als aufgearbeitet werden können – bei gleichzeitiger Förderer der Region. Hier ist neben finanziellen Mitgestaltung einer lebenswerten Zukunft – ist auch im Kraftanstrengungen auch viel Innovationskraft Rahmen des Bonner Akademischen Sommers fundiert gefragt. diskutiert worden. 3
Inhalt Inhalt EDITORIAL 3 Inhalt 5 Das aktuelle Interview 6 In Zeiten von Corona Felsen in der Brandung Newsticker 10 Wissenschaft vor Ort 11 Digitaler Bonner Akademischer Sommer 2021 – Städte nachhaltig und lebenswert gestalten Mobilität neu gedacht Interview: Innenstädten nach Corona neues Leben einhauchen – Sparkassen könnten Schlüsselrolle spielen Veranstaltungen 22 Best Paper Award Economic and Social History 2021 – Pandemien treffen vor allem sozial Schwache Unternehmensgeschichte 23 Reif für’s Archiv – Eiserner Sparkassenvorsteher Förderkolleg 24 Gendergerechte Teilhabe: Frauenförderung im Kolleg – Neue Workshop-Reihe will Karriere fördern Wegweisender Türöffner für Karrieregerechtigkeit – Diversity Management fördert Motivation und verbessert Risikokultur Zukunftsthema in den Fokus genommen – Praxisnahe Strategien für erfolgreiche Frauen Den Bewusstseinswandel offensiv anstoßen – Verantwortung fordern und Chancen nutzen Institut für Kreditrecht Mainz 31 Personalia 34 Neue Herausgeberin für Credit and Capital Markets Hochschule 35 Erfolgreiche Studierende geehrt – Digitale Feier krönte realen Leistungswillen CREDIT and CAPITAL MARKETS – KREDIT und KAPITAL 36 5
Die Schutzmaske als neues „Pandemie-Lebensgefühl“ und sichtbarer Ausdruck vieler gesellschaftlich hoch belastender Monate der Verunsicherung. Foto: Robert Wilkos Sparkassen gaben Mittelstand Rückhalt in der Krise In Zeiten von Corona Felsen in der Brandung Ende Januar 2020 wurde in nomie und öffentlich-rechtliche Bayern der erste Covid-Fall in Finanzwirtschaft an der Otto- Deutschland registriert. Wie von-Guericke-Universität zu weltweit breitete sich auch Magdeburg stellten. hierzulande die Pandemie mit Herr Professor Dr. Gischer, Deutschland verharrt jetzt erschreckender Geschwindig- seit mehr als eineinhalb Jahren im Corona-Ausnahme- keit aus. Die Politik reagierte zustand: Halten Sie rückblickend betrachtet die bislang von den politischen Entscheidungsträgern verfügten mit harten Einschränkungen Maßnahmen aus der volkswirtschaftlichen Perspektive des wirtschaftlichen und ge- für gelungen und sinnvoll? sellschaftlichen Lebens auf die Es ist wohlfeil, im Nachhinein so zu tun, als hätte man schnell ansteigenden Infek- vorher alles besser gewusst, insofern waren die meisten ergriffenen Maßnahmen ökonomisch durchaus tionsraten. Waren die verfüg- begründet. Letztendlich haben wir nicht nur in ten Maßnahmen in ihrer ganzen Deutschland ein wohl bekanntes keynesianisches Deficit Spending zur Stärkung der effektiven Nachfrage Tragweite berechtigt? Und wel- eingesetzt, mithin eine durchaus probate Strategie. che Folgen haben sie für die zu- Kurzarbeitergeld, Liquiditätshilfen oder Ausgleichs- zahlungen waren – und sind auch weiterhin – zweck- künftige Entwicklung des Stand- mäßig und wirksam, die befristete Senkung der Mehr- ortes Deutschland? Fragen, die wertsteuer hätte man sich allerdings schenken können. Nachteilig hat sich auch die – leider – typisch deutsche wir Professor Dr. Horst Gischer Überbürokratisierung beinahe aller Programme vom Lehrstuhl für Monetäre Öko- erwiesen. Über die massive finanzielle Stützung von 6
Das aktuelle Interview global tätigen Konzernen, wie beispielsweise die Lufthansa ierte cher stud ss o r D r. Horst Gis u n g zum oder TUI, kann man trefflich Profe Ausbild ch A b sc h luss einer a ft sl e hre streiten. Eine Übernahme von na a n n V olkswirtsch Bankkau fm nd. 19 7 8 Risiken erfordert dann aber auch U n iv ers ität Dortmu ät an der r Universit eine aktive Mitwirkung an der m o vie rt e er an de H a bilitation pro 1 9 9 4 e rfolgte die fts- Unternehmensführung. Dortmund , swirtscha ia Le g e n di für Volk U niv er- und Ven munder b e n fa lls an Dort a n d e r „Euphorie ist aber lehre sität. , e D e r V ertretungsp rofessu lg r te 1 9 9 7 die chum fo ersität Bo rofessor nicht angebracht.“ Ruhr-Univ g zu m U niv ersitäts-P dere Ernenn u n , insbeson o lk sw ir ts chaftslehre ä t fü r für V der Faku lt Kredit an der Otto-v on- Mit der sogenannten Geld und a ft sw isse haft n sc rg . bundeseinheitlichen Notbremse zur Wirtsch Magdebu niversität Eindämmung der Corona-Pandemie Guericke-U sind ab Ende April die Restriktionen y für Bürger und Teile der Wirtschaft für e Universit o r a n d e r Macquari sfü hre nder eine geraume Zeit noch einmal 1 V isit ing Profess it 2 0 0 7 Geschäft t seit 20 0 d und se E) an der verschärft worden. Für wie realistisch fess o r Gischer is G rü n d u ngsmitglie ic kl u n g e.V. (FZS hr- Pro Australien sow ie assene n tw aber des Le halten Sie jetzt noch die Theorie des Sydney in sz en tru m s für Spark Be ru fu n g zum Inh an de r es Forschu ng rfolgte die irtschaft V-Effekts, also einer raschen und Direktor d n iv ersit ät. 2012 e -r ech tlic h e Finanzw Z ud e m is t er tto -v o n -G uericke-U m ie u n d öffentlich u rg e r U niversität. ie der kräftigen konjunkturellen Erholung O Ökono r Magdeb uss sow Monetäre haft an de hen Aussch stuhls für ftsw is se n sc tschaft s p o li ti sc ausgeb er d er nach Abflauen der Pandemie? r Wirtscha lied im Wir nd Mither Fakultät fü ko o p ti ertes Mitg r S o ci alpolitik u ere m Verein s fü unter and ewerb des ung. it sg ru ppe Wettb ts ch aftsforsch Den V-Effekt kann man eindrucksvoll A rb e sh ef te zu r W ir eljahre an der Entwicklung des DAX-Indexes DIW-Viert nachvollziehen: Seit Beginn der Pande- mie schaffte er es rasant zum „All Time Die in Rede stehenden Größenordnungen sind in der High“! Realwirtschaftlich ist zwar Optimismus ange- Tat beeindruckend, die Frage ist allerdings: Kommen bracht, aber zu Euphorie besteht kein Anlass. Wir sie überhaupt bei den Adressaten an? Eine umfangrei- werden die Vorkrisen-Niveaus beim Bruttoinlandspro- che und nachhaltige öffentliche Förderung der Erneue- dukt und beim Außenhandel bis 2022 wieder errei- rung bzw. Erweiterung der Infrastruktur ist fraglos chen. Das nachfolgende Wachstum aber steht auf sehr zielführend, vermeidbare Bürokratie bei der Zuteilung tönernen Füßen. Die Verwerfungen auf den globalen bewirkt allerdings leider das Gegenteil. Der immer Märkten für Rohstoffe, wie zum Beispiel Rohöl, Metalle noch höchst unbefriedigende Zugang zum schnellen oder Holz und Vorprodukte sind offensichtlich. Viele Internet in Deutschland ist ein trauriges Beispiel: gut Liefer- und Wertschöpfungsketten müssen überdacht gedacht, aber über Jahre hinweg grottenschlecht werden. Nicht nur die bereits steigenden Preise lassen gemacht. Notwendig sind schlanke und schnell um- erhebliche Probleme befürchten. Zudem haben auch setzbare Programme, konzipiert unter anderem mit der die anhaltenden Zerwürfnisse zwischen den politi- Kompetenz der Betroffenen, umgesetzt von – auch schen Großmächten USA, China und Russland einen technisch – funktionsfähigen Verwaltungen. eher dämpfenden Einfluss auf die (Welt-) Konjunktur. Trotz der massiven Ausweitung des Instruments „Kurzarbeitergeld“ verloren 2020 mehr als eine „Gut gedacht, in Millionen Menschen ihren Arbeitsplatz. Was ist da der Praxis leider schiefgelaufen? schlecht gemacht.“ Etliche Wirtschaftsbereiche, so zum Beispiel Hotellerie, Gastronomie und stationärer Einzelhandel sind kom- „Wir wollen mit Wumms aus der Krise kommen“, hat Bun- plett von der Nachfrage abgeschnitten worden. Da desfinanzminister Scholz die finanziellen Maßnahmen werden zahlreiche Betriebe dauerhaft geschlossen und zur Krisenabfederung begründet. EU-weit werden knapp Arbeitskräfte entlassen. Zudem spiegeln die offiziellen 750 Milliarden Euro zur Bewältigung der Corona-Krise Zahlen vor allem die „Leiharbeit“, also flexible Poten- bereitgestellt. Gut und zukunftweisend angelegtes Geld? tiale der Unternehmen, wider. Stark betroffen sind 7
Das aktuelle Interview Das Corona-Virus zwang auch Deutschland viele Monate in die Lockdown-Agonie. Fotos: Gert Altmann Solo-Selbständige, kleine Gewerbetreibende und realisiert wurden. Ähnliches gilt für die „Organisation“ Teilzeitkräfte, für die kein Kurzarbeitergeld gezahlt von Kinderbetreuung oder Schulunterricht. Ich fürchte, wird. Ein erfolgreiches „Comeback“ der deutschen wir befinden uns in weiten Teilen immer noch im Wirtschaft wird aber nicht zuletzt aufgrund der Be- „Trial“-Modus, in der Hoffnung, die „Errors“ signifikant völkerungsentwicklung einen relativ zeitnahen Bedarf zu reduzieren. Ob wir tatsächlich jemals einen EU-ein- an Arbeitskräften signalisieren. heitlichen digitalen Impfpass bekommen, wage ich – mehr als 15(!!) Monate nach Beginn der Pandemie – „Lerneffekte werden weiterhin zu bezweifeln. Nicht nur die bisweilen skurrilen Auswüchse des Föderalismus haben „schlan- nur in überschaubarem ke“ Lösungen für akute Probleme erheblich behindert, Umfang realisiert.“ auch vorausschauende Planung für bereits sichtbare Fragestellungen, zum Beispiel Lüftungskonzepte für Sie haben in einem früheren Stadium der Pandemie- Schulgebäude, war nicht wirklich erkennbar. Die Politik Bekämpfung von den Prinzipien „learning by doing“ wirkte weit überwiegend als getriebene und weniger und „trial and error“ gesprochen. In welcher Phase als gestaltende Instanz. befinden wir uns denn derzeit: im intelligenten Lern- prozess oder im Versuch-und-Irrtum-Modus? Was würden Sie als besonders gelungene „Fallschirme“ zur langfristigen Abfederung der wirtschaftlichen Ein Blick auf das „Impf-Durcheinander“ belegt, dass Folgen der Pandemie bezeichnen und wo sehen Sie die Lerneffekte allenfalls in sehr überschaubarem Umfang gravierendsten Irrtümer bzw. Fehler? Aktuelle Publikationen: Gischer, H./Herz, B./Menkhoff, L. (2020), Gischer, H./Richter, T. (2019), „Zur Leistungsfähig- „Geld, Kredit und Banken – Eine Einführung“, 4. Aufl., keit europäischer Banken: Ist die Aufwand-Ertrag- Berlin u.a. Relation ein belastbarer Indikator?“, Betriebswirt- schaftliche Forschung und Praxis, Vol. 71(3), Gischer, H./Kowallik, M. (2020), „Der Beitrag des S. 354–382 Zinsbuchs zum Gesamtergebnis einer Sparkasse“, Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft, Gischer, H./Herz, B./Menkhoff, L. (2019), „Antizykli- Vol. 32, S. 114–125 scher Kapitalpuffer aktiviert – zu spät, zu wenig und dennoch richtig“, Wirtschaftsdienst, Vol. 99, 784–788 Gischer, H./Ilchmann, C./Kesseler, B. (2019), „Fall- stricke der Europäischen Integration: Banken- und Gischer, H./Ilchmann, C. (2018), „Banking sector Kapitalmarktunion aus deutscher Perspektive“, diversity and socioeconomic structure – criteria for ORDO Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und matching pairs“, Viertelsjahrshefte zur Wirtschafts- Gesellschaft Nr. 69, S. 153–174. forschung, Vol. 87(4), S. 39–54 8
Das aktuelle Interview Das Kurzarbeitergeld ist fraglos ein echter Fallschirm, wie übrigens auch schon in der Finanzkrise. Die Mehrwertsteuervariation war ein Rohrkrepierer mit unnötigem Aufwand bei höchst überschauba- rem Nutzen. Absurd ist, dass staatlich gestützte Großunterneh- men ihren Shareholdern üppige Dividenden ausschütten – darunter Konzerne, an denen „der Staat“ als zum Teil größter Einzelaktionär beteiligt ist. Das versteht außer den Begünstigten niemand. „Mit einem großen Wurf nach der Die mittelstandsorientierten Kreditinstitute wie die Sparkassen ließen ihre gewerblichen Pandemie ist nicht Kunden auch während der schwierigen Pandemie-Zeiten nicht im Regen stehen. Foto: Sparkassen-Bilderwelt zu rechnen.“ risch. Gewinner sind Branchen mit digitalem Zugang, Im bisherigen Pandemieverlauf beherrschen offensicht- zentralen Logistikkonzepten und – strenggenommen lich die Virologen den wissenschaftlichen Diskurs. Wird – „virtuellen“ Standorten. Die breitflächige „Home- die Stunde der Wirtschaftswissenschaft noch schlagen, Office-Strategie“ wird vermutlich schnell an ihre wenn es gilt, die konjunkturellen Folgen der Pandemie Grenzen stoßen. Ein durchschnittlicher Vier-Personen- aufzuarbeiten? Haushalt mit zwei schulpflichtigen Kindern und berufstätigen Eltern verfügt gar nicht über den not- Das ist – möglicherweise – zu „befürchten“. Präziser: wendigen Wohn- bzw. Arbeitsraum, von der erforder- In der Zunft sind die Wege zur Bewältigung der lichen Ruhe ganz zu schweigen – und die digitale konjunkturellen Folgen mitnichten unumstritten, ich Grundausstattung ist noch nicht einmal mit einbe- verweise nur auf die bereits wieder aufgekeimte zogen. Lassen wir uns überraschen! Diskussion über die Schuldenbremse. Wir bewegen uns immer noch – oder wieder? – auf eher dogma- tischen Ebenen, unsere theoretischen Konzepte haben „Regierung und der sich noch weiter von der Realität entfernt. Ich erinnere Aufsicht fehlt das nur an die emphatischen Warnungen vor der Ein- führung eines Mindestlohns. Wir streiten mehrheit- Gespür für die Nöte lich über mutmaßlich optimale Allokationen, blenden des Mittelstandes.“ aber Verteilungseffekte weitgehend aus, in der prak- tischen Konjunkturpolitik sind diese Bereiche untrenn- Welche Rolle wird – muss – die Finanzwirtschaft, und bar miteinander verbunden. Mit einem „großen Wurf“ hier insbesondere der Sparkassensektor übernehmen, nach der Pandemie rechne ich nicht. um die wirtschaftlichen Folgewirkungen der Pandemie überwinden zu helfen? Wird sich die Wirtschaftsstruktur nach Abklingen der Corona-Krise grundlegend verändert haben – welche Die Sparkassen-Finanzgruppe hat sich, wie auch der Branchen werden gewinnen, wer steht auf der Verlierer- Verbund der Genossenschaftsbanken, in Krisenzeiten seite? als Felsen in der Brandung erwiesen. Der nicht nur in Deutschland extrem wichtige Mittelstand hat in den Der strukturelle Wandel erhält einen neuen Schub. Die regional operierenden Kreditinstituten Rückhalt und Tourismusbranche, inklusive Luftverkehr, wird sich neu Unterstützung gefunden, während sich die großen „erfinden“ müssen, der stationäre Einzelhandel eben- Banken erkennbar zurückgehalten haben. Eine funk- falls. Die Hoffnung auf eine effiziente privatwirtschaft- tionierende Kunde-Bank-Beziehung ist gerade in der liche Gesundheitsversorgung war offenkundig trüge- Krise ein Pfund, mit dem sich auch in der Zukunft 9
Das aktuelle Interview wuchern lässt. Leider blendet die öffentliche Wahr- „Spätestens im Jahr nehmung diese wirtschaftlich relevanten Fakten häufig aus. Auch Aufsicht und Regulierung fehlt das Gespür 2023 wird es ein für die tatsächlichen Bedürfnisse sowohl der mittel- New Normal geben.“ ständischen Wirtschaft als auch der privaten Haus- halte. Die Belastungen für Sparkassen und Genossen- Ich habe keine Zweifel, dass wir spätestens im Jahr schaftsbanken werden auch nach der Pandemie nicht 2023 ein „New Normal“ erreicht haben werden. Aber schlagartig sinken. Im Gegenteil, die anstehende die Betonung liegt auf „new“, also anders als gewohnt. Umsetzung der ESG-Taxonomie1 und die unklare, Wir müssen unsere globalen Netzwerke und Abhängig- wenig überzeugende Zinspolitik der Europäischen keiten neu organisieren, die heimische Verkehrs- und Zentralbank stellen zusätzliche bedrohliche Heraus- Informationstechnologie zukunftsfest machen und forderungen für die nähere Zukunft dar. belastbare Konzepte für die Alters- und Pflegebetreu- ung – sowie deren Finanzierung – entwickeln. Benötigt werden jetzt, und hier meine ich tatsächlich jetzt, 1 Die englische Abkürzung ESG (Environmental, Social and Gover- konkrete Strategien und verlässliche Umsetzungs- nance) steht für Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung. Sie wird auch häufig mit dem Begriff „nachhaltig“ gleichgesetzt. In pläne. Der Zeitdruck wächst und es gibt viel zu tun … der EU-Taxonomie werden u. a. die europaweiten Kriterien für klima- verträgliche Investments festgelegt. Wir bedanken uns herzlich für dieses Gespräch. Newsticker Das Institut für Bank- und Finanzgeschichte e. V. (IBF) veranstaltet am 27. Oktober 2021 das Symposium „Rating-Performance: Einflussfaktoren, Herausforderungen und die Rolle der Regulierung“. Die ursprünglich für Februar 2021 geplante Konferenz zum Thema „Banking and the State“ ist auf den 9. November 2021 verlegt worden. Noch offen ist, ob die Tagungen als Präzenz- oder Online-Veranstaltungen stattfinden. www.ibf-frankfurt.de Das Wissenschaftliche Symposium „Karriere von Führungskräften innerhalb und außer- halb von Organisationen“ der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte e. V. (GUG) findet am 21. und 22. Oktober 2021 in Stuttgart statt. Im Anschluss an das Symposium lädt die GUG am 22. Oktober 2021 zu einer öffentlichen Vortragsveranstaltung „Fach- kräftemangel und Migration“ ein. Gastgeber beider Veranstaltungen ist die Ed. Züblin AG in Stuttgart. www.unternehmensgeschichte.de/Veranstaltungskalender Der Verein für Socialpolitik plant seine VfS-Jahrestagung 2021 zum Kernthema „Climate Economics“„ vom 26.bis 29. September 2021 in Regensburg. www.socialpolitik.de/de/termin/jahrestagung-2021 Die Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Finanzwirtschaft (DGF) ist an der Universität von Innsbruck vorgesehen. Sie ist vom 30. September bis zum 2. Oktober 2021 geplant. Die Tagung musste aufgrund der Corona-Pandemie von ursprünglich 2020 auf 2021 verschoben werden. www.uibk.ac.at/congress/dgf2021/ 10
Wissenschaft vor Ort Begrüßte herzlich die Teilnehmer und Gäste des ersten digitalen Bonner Akademischen Sommers und führte mit Unterstützung beeindruckender Übertragungstechnik durch die virtuellen Diskussionen: Moderatorin Bärbel Kaatz. Fotos: Jun Fukuda, Bonn Digitaler Bonner Akademischer Sommer 2021 Städte nachhaltig und lebenswert gestalten Der Bonner akademische Mit rund 220 digital zugeschalteten Teilnehmern konnte Moderatorin Bärbel Kaatz von der Stiftung für Sommer 2021 konnte gleich mit die Wissenschaft ein neues Rekord-Teilnehmerfeld zwei Premieren aufwarten. Erst- begrüßen. Sie erlebten im Livestream einen angereg- ten Gedankenaustausch und schalteten sich lebhaft mals firmierte er unter dem mit eigenen Kommentaren und Fragen in die Diskus- Markenzeichen „Stiftung für die sionen ein. Das zeigte, wie sehr die beiden debattier- ten Megatrends „Revitalisierung der Innenstädte nach Wissenschaft“ und fand unter Corona“ und die „Mobilität der Zukunft“ die Menschen dem Eindruck von Corona zudem bewegen. in digitaler Form statt. In seinem Grußwort machte der Präsident des Deut- schen Sparkassen- und Giroverbandes, Helmut Schle- Im Zentrum der Veranstaltung stand die Frage, wie die weis, eindringlich bewusst, dass auch nach der Pande- Zukunft nachhaltig gestaltet werden kann und welche mie die Umsetzung von Nachhaltigkeitsanforderungen Rolle die Sparkassen dabei spielen können. In enga- eine zentrale Zukunftsaufgabe bleibt. Sparkassen gierten Diskussionen zeigten führende Repräsentanten hätten einen entscheidenden Beitrag zur Bewältigung aus Wissenschaft, Wirtschaft und aus Sparkassen der Pandemie geleistet, durch Erhalt und Digitalisie- praxisnahe Wege auf, wie vom derzeitigen Krisen- rung des Zahlungsverkehrs, Unterstützung von Kunden modus in eine zukunftsweisende Transformations- bei der Implementierung von Hilfsprogrammen und die phase übergeleitet werden kann. Liquiditätssicherung mit Krediten. Dieser Einsatz habe 11
Wissenschaft vor Ort das Kundenvertrauen deutlich gestärkt und gezeigt: Die Stärkung persönlicher Lebenswege sei Kern der „Sparkassen sind immer dann am besten, wenn sie eng Sparkassenaufgaben: „Ich hoffe, dass wir aus der an ihrem Gründungsauftrag bleiben – und die echten Pandemie gelernt haben und Maß und Mitte der Bedürfnisse der Kunden erfüllen.“ Gesellschaft wiederfinden.“ Dieser Hinweis auf das Zusammenspiel von gesellschaftlichem Zusammenhalt und nachhaltiger Entwicklung verwies auf den ersten Themenblock der Veranstaltung zur Revitalisierung der Innenstädte nach Corona und die Bedeutung der Sparkassen bei diesem Gestaltungsprozess. Neue Innenstädte als Zukunftsmodell Für die zukunftsfähige Gestaltung von Innenstädten ist ein grundlegendes Umdenken erforderlich. Diese These vertrat Professor Dr. Uwe Schneidewind, Oberbürger- meister von Wuppertal, in seinem Impulsvortrag. „Die Stärkung persönlicher Lebenswege ist ein Kern der Sparkassenaufgaben“, definiert DSGV-Präsident Helmut Schleweis. Foto: DSGV Auch nach der Pandemie sei eine Rückkehr zum Status ante quo nicht denkbar. „Die neue Normalität ist nicht die von 2019 und 2020“, mahnte Schleweis. Aufgaben wie Vermögensaufbau, Wohneigentum, Digitalisierung und die Lebensverhältnisse in Stadt und Land seien durch Corona dringender geworden. Aus dem sozialpo- litischen Gründungsauftrag ergebe sich die Aufgabe, „möglichst allen Menschen ein selbstbestimmtes, sicheres und gutes Leben zu ermöglichen“. Um dem zeitgemäß nachzukommen, sei die Umsetzung von Nachhaltigkeitsanforderungen unerlässlich. Sparkas- Fordert ein grundlegendes Umdenken bei der sen seien durch ihre traditionelle Kundennähe beson- Innenstadtgestaltung: Wuppertals Oberbürgermeister ders gut in der Lage, die Transformationsprozesse in Professor Dr. Uwe Schneidewind. Foto: Stadt Wuppertal Wirtschaft und Gesellschaft in der Breite voranzu- treiben. Das gelte insbesondere für die notwendige Innenstädte der Zukunft, so Schneidewind, müssten Beteiligung der Menschen an den Veränderungen: eine hohe Aufenthalts- und Erlebnisqualität bieten. „Denn Teilhabe ist unser Geschäftsmodell“. Von der damit einhergehenden Frequentierung profi- tiere auch der Einzelhandel. Wesentlich sei, die Einzig- Sparkassen, erläuterte Schleweis, gestalteten die artigkeit der Innenstädte zu erhalten. Das verbinde Transformation in allen zentralen Bereichen. Im priva- Individualität mit Lebensqualität und komme so den ten Vermögensaufbau böten sie über die Deka nach- Innenstädten im Wettbewerb untereinander zugute. haltige Anlagemöglichkeiten. Durch gezielte Beratung Sparkassen spielten bei der zukunftsorientierten von Unternehmenskunden und die Bereitstellung von Stadtentwicklung eine Schlüsselrolle. Im Laufe der Transformationskrediten unterstützten sie die Anpas- Corona-Pandemie hätten Konsumenten durch das sung von Geschäftsmodellen. Zudem stießen sie im Online-Shopping neue Routinen und Erfahrungen direkten Lebensumfeld der Menschen Änderungen an, entwickelt, die den lokalen Einzelhandel vor große indem sie energieeffizientes Bauen und Wohnen Herausforderungen stellten. Digitale Plattformen förderten, während Landesbanken und Verbundpartner verbänden die Vorteile von digitalem und lokalem neue Verkehrs- und Infrastrukturkonzepte begleite- Einkaufen miteinander. Hier habe die Sparkasse ten. Wuppertal mit ihrem Engagement an der Stadtapp 12
Mit „Utopiastadt“ im ehemaligen Mirker Bahnhof in Wuppertal wurde laut Schneidewind ein gelungenes Projekt für kreative Formen des gesellschaftlichen Austausches geschaffen. Foto: Stadt Wuppertal. „Bliggit“ dazu beigetragen, ein „zentrales digitales (Difu), für eine multifunktionale Lösung mit unter- Eingangstor zur Innenstadt“ zu schaffen. schiedlichen Nutzungsarten plädierte, warnte Professor Dr. Dr. Thomas Roeb vom Fachbereich BWL (Handels- Konzeptionell könnten Sparkassen zudem ihre Erfah- betriebslehre) an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, die rung mit der gemeinwohlorientierten Planung von Bedeutung der großen Handelsketten zu unterschätzen Erholungs- und Freiräumen einbringen. Als Beispiel und sie übereilt aus den Innenstädten zu verdrängen. nannte er die „Utopiastadt“, die im ehemaligen Mirker Bahnhof an der Nordtrasse einen Freiraum für kreative Formen des gesellschaftlichen Austausches biete. Bei der Entwicklung solcher Projekte komme den Sparkassen eine zentrale Rolle zu. Innovative Innen- stadtplanung sei immerhin ein wirtschaftlicher Trans- formationsprozess, der eine enge Zusammenarbeit von Stadt, Akteuren und Finanzdienstleistern erfordere. Plädiert für die Schaffung von mehr Wohn-, Sozial- und Gesellschaftraum bei der Gestaltung von Innenstädten: Professor Dr. Carsten Kühl. Foto: DiFu Diese Anbieter würden von den Menschen nachgefragt und übten auch Anziehungskraft auf die Besucher in den Innenstädten aus, so Roeb. Zugleich plädierte er dafür, durch den Erhalt von historischen Gebäuden Individualität und Ästhetik der Innenstädte zu erhal- Warnte davor, alte Bausubstanz voreilig zu zerstören: ten. Viel zu leicht werde prägende alte Bausubstanz Professor Dr. Dr. Thomas Roeb. Foto: Jun Fukuda durch neue gesichtslose Architektur ersetzt. Seiner In der Diskussionsrunde zeigten sich auch unterschied- Ansicht nach wird auch künftig der Individualverkehr liche Gedankenansätze zur Zukunftsgestaltung attrak- eine Rolle für das urbane Lebensumfeld in Innenstäd- tiver und lebendiger Innenstädte. Während Professor ten spielen, weil eine vollkommen autofreie Innenstadt Dr. Carsten Kühl, Wissenschaftlicher Direktor und auch zu Fehlallokationen vor allem zu Lasten des Institutsleiter am Deutschen Institut für Urbanistik kleinteiligen Einzelhandels führen könnte. 13
Wissenschaft vor Ort Profi-Technik im Einsatz: Garantie für das reibungs- lose Gelingen des erstmals digital ausgetragenen Bonner Akademi- schen Sommers. Foto: Jun Fukuda Bei der Steuerung der urbanen Mobilität werden Die Sparkasse Wuppertal lege bei der Gestaltung ihrer allerdings die Belange des Klima- und Umweltschutzes neuen Filialen viel Wert darauf, dass sie als Anzie- künftig eine weitaus bedeutendere Rolle spielen, hob hungspunkte und als „Marktplatz“ für verschiedenste Kühl hervor. Für die Städte stellten der Klimaschutz Intitiativen in den Stadtquartieren wahrgenommen und Mobilitätsfragen ungeachtet der aktuellen Heraus- werden, erklärte Jütz. Durch das vernetzte Filialangebot forderungen durch die Corona-Krise die beiden wich- werde den Menschen zudem das Zusammenspiel von tigsten Zukunftsherausforderungen dar, betonte er digitalen und lokalen Angeboten vor Augen geführt. (siehe auch Interview „Innenstädten nach Corona neues Leben einhauchen“ in diesem Heft). Skeptisch sieht Kühl dagegen im Widerspruch zu Roeb die Ansiedlung großer Handelsketten. Seiner Ansicht nach beruht das derzeitige Übergewicht dieser Anbie- ter in den Innenstädten auch darauf, dass sie in der Lage seien, Immobilieninvestoren höhere Renditen zu bieten. Wenn die historische Bausubstanz nicht den Anforderungen dieser Unternehmen entspräche, könne deren Erhalt gefährdet sein. Er plädierte deshalb dafür, bei der Innenstadtgestaltung verstärkt auch auf Wohnungen, Raum für soziale und kulturelle Nutzung sowie auf eine Durchmischung der Gebäudeensembles mit Grünflächen zu setzen. Einig waren sich die Diskutanten, dass auch die Sparkassen eine gewichtige Rolle bei der Revitalisie- Sparkassen begleiten die Vitalisierung der Innenstädte offensiv rung von Innenstädten spielen können. Axel Jütz, und konstruktiv, so Axel Jütz. Foto: Stadtsparkasse Wuppertal Vorstandsmitglied der Stadtsparkasse Wuppertal, legte dar, wie sein Haus die Entwicklung der Stadt begleitet. „Wir können als Sparkassen keine neuen Innenstädte Auch er verwies auf die neue „360-Grad-App“ „Bliggit“, schaffen. Aber wir können die Filialen in den Stadt- die Einwohnern und Besuchern einen umfassenden quartieren so gestalten, dass sie als Anlauf- und Überblick über alle Angebote in der Stadt gebe und Kontaktstellen das gesellschaftliche Leben fördern. damit deren Attraktivität auch im zunehmendem Damit werden wir auch unserer gemeinwohlorientier- Wettbewerb mit Internetanbietern steigere. ten Ausrichtung gerecht“, so Jütz. Roeb verwies darauf, dass das komplexe Spannungs- Dass Sparkassen aufgrund ihres hohen Vertrauens- feld zwischen digitaler Innovation einerseits und bonus, ihrer guten Vernetzung und intimen Kenntnisse persönlicher Kundenbindung andererseits nicht der örtlichen Gegebenheiten als treibende Kräfte bei problemlos sein könnte. Der zentrale Vorteil der der Stadtentwicklung mitwirken können, war ein Fazit, Sparkassen, der enge persönliche Kontakt, drohe ihnen dem letztlich alle zustimmen konnten. durch die breite Nutzung von digitalen Angeboten und durch Filialschließungen zu entgleiten, warnte er. Juliane Clegg 14
Wissenschaft vor Ort Deutsche Autobranche durchläuft eine Phase der Revolution Mobilität neu gedacht Im zweiten Themenschwerpunkt diskutierten die Teilnehmer über aktuelle Entwicklungen und Per- spektiven der Mobilität in Zeiten eines wachsenden Nachhaltig- keitbewusstseins. Mobilität, so führte der Vorsitzende des Kuratoriums der Stiftung für die Wissenschaft, Dr. Karl-Peter Schack- mann-Fallis, Geschäftsführendes DSGV-Vorstands- mitglied, in die Thematik ein, sei sicherlich ein Grund- pfeiler der modernen Volkswirtschaft, gewährleiste sie doch, dass Arbeitskräfte, Waren und Konsumenten zur richtigen Zeit am richtigen Ort seien. Individuelle Der Öffentliche Personennahverkehr auf dem Land bietet nach Ansicht von Dr. Hans-Günter Henneke noch Mobilität werde zudem mit gesellschaftlichem Fort- keine akzeptable Alternative zum Individualverkehr. schritt und wirtschaftlichem Wachstum, Selbstverwirk- Foto: Sparkassen-Bilderwelt lichung und individuellem Erfolg verbunden. Allerdings nehme im Zeichen des zunehmenden Nachhaltigkeits- Schackmann-Fallis verwies darauf, dass die Sparkassen bewusstseins die Bedeutung des Autos als Statussym- von diesem gesellschaftlichen Umdenken und der bol ab. Zunehmend beherrschten drei Megatrends die Debatte um die Zukunft des Verbrennermotors erheb- Debatte: „autonomes Fahren“, „neue umweltverträg- lich betroffen seien. Auf mehreren Ebenen: Zum einen liche Antriebssysteme“ und „alternative Mobilität“. seien sie wichtige Berater und Kreditgeber der mittel- ständischen Wirtschaft. Zum zweiten sähen sich auch die Kommunen aufgrund der politisch geforderten Transformation hin zu klimaneutraler Mobilität und Produktion mit erheblichem Investitionsaufwand konfrontiert, z. B. für den Aufbau einer ausreichenden Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge. Dies fordere die Sparkassen sowohl als Finanziers von Investitionsvor- haben als auch bei der Bereitstellung effizienter digitaler Bezahlsysteme. Als originäre Partner der mittelständischen Wirtschaft und der Kommunen sähen sich die Sparkassen bei der Begleitung der Transformation in besonderer Verant- wortung. Dieser Verpflichtung würden sie auch durch ihre große Finanzkraft gerecht werden, versicherte Schackmann-Fallis. Mit dem Branchendienst des DSGV verfüge man zudem über eine Research-Gruppe, die Begrüßte als Schirmherr der Veranstaltung herzlich per Video- gemeinsam mit der zentralen Ratingeinheit der zuschaltung aus Berlin die Gäste und Teilnehmer des digitalen Bonner Akademischen Sommers: Dr. Karl-Peter Schackmann-Fallis. Sparkassen-Finanzgruppe die geforderten Nachhaltig- Foto: DSGV keitskriterien für die Automobilwirtschaft sachgerecht 15
Wissenschaft vor Ort erfassen und beurteilen könne. Das ermögliche es nermotor benötigten. Zudem gehe es in Zeiten der Sparkassen und Unternehmen, die anspruchsvollen politischen und gesellschaftlichen Nachhaltigkeits- politischen Anforderungen des Transformationsprozes- diskussionen nicht mehr vornehmlich um die Frage, ob ses sachgerecht umzusetzen. man ein eigenes Automobil besitze. Vielmehr rücke das Thema „Mobilität“ in seiner ganzen Vielschichtig- Automarkt verändert keit zunehmend in den Fokus. In den nächsten zehn bis 20 Jahren, so seine Prognose, werde durch die neue sich dramatisch Philosophie ein deutlich verändertes Anbieter-Univer- sum rund um die individuelle Mobilität entstehen – sei es durch die Zunahme des Carsharing oder durch den Einsatz intelligenter neuer Technologien bis hin zum autonomen Fahren. In Deutschland entwickelt der Markt der E-Autos – auch bedingt durch eine inzwischen erheblich erweiterte Reichweite – eine „ungeheure Dynamik“, belegte Bratzel mit entsprechenden Statistiken. In den zurück- liegenden 23 Monaten hätten Pkw mit Elektroantrieb ein Plus von 23 Prozent verzeichnet und damit bei den Neuzulassungen Diesel-Fahrzeuge erstmals hinter sich gelassen. Die steigende Akzeptanz dieser Antriebsart erfordert laut Bratzel den forcierten Ausbau der Ladesäulen- Infrastruktur, denn rund 80 Prozent der bisherigen Prophezeit eine revolutionäre Entwicklung Ladevorgänge fänden bisher in der privaten Garage auf dem Sektor der Mobilität: Professor Dr. Stefan Bratzel. statt. 400.000 Normal- und 50.000 öffentliche Schnell- Foto: Jun Fukuda ladepunkte werden seiner Ansicht nach bundesweit auf Dauer benötigt, um eine flächendeckende Versorgung Professor Dr. Stefan Bratzel, Direktor und Gründer des mit der notwendigen Energie sicherzustellen. Center of Automotive Management (CAM) an der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach, belegte in seinem einführenden Impulsvortrag die Die Transformation These, dass sich die Automobilindustrie in einem fordert Sparkassen tiefgreifenden Paradigmenwechsel befindet. Zuneh- mend werde die seit 100 Jahren etablierte, geschlos- sene Gesellschaft der traditionellen Automobilher- steller aufgebrochen durch neue Marktteilnehmer – wie Tesla –, die sich entweder im Bereich der Hersteller von E-Autos etablieren oder – wie UBER – als „Mobility Provider“ den wachsenden Markt im Car-Sharing abdecken. Multinationale Firmengiganten wie Apple, Microsoft oder Amazon verstünden sich als Treiber technologischer Innovationen im Automobilsektor bis hin zum autonomen Fahren. Diesen Zukunftsfeldern öffneten sich, so Bratzel, auch die deutschen Automobilhersteller, lange Zeit stark fixiert auf herkömmliche Antriebssysteme mit spürba- rer Innovationsdynamik. Durchaus erfolgversprechend, wie die Absatzzahlen von Elektrofahrzeugen etwa bei VW belegten. „Wir erleben in der Welt der Automobil- Will die von der Veränderung im Automobilsektor betroffenen industrie eine Revolution“, so Bratzel. Tesla habe mit Unternehmen auf ihrem Transformationsweg positiv begleiten: dem Paradigma gebrochen, dass Autos einen Verbren- Burkhard Wittmacher. Foto: Kreissparkasse Esslingen-Nürtingen 16
Wissenschaft vor Ort Der Absatzmarkt für Elektrofahrzeuge entwickelt sich in der EU überproportional dynamisch. Grafik: Center of Automotive Management. In der Diskussion verwies Burkhard Wittmacher, die sich verändernden Marktanforderungen zu be- Vorstandschef der Kreissparkasse Esslingen-Nürtin- gleiten. Andererseits fördere man junge, innovative gen, auf Herausforderungen für die Sparkassen durch Unternehmen, die ihr Geschäftsmodell auf das neue den Transformationsprozess. Im Geschäftsgebiet der Mobilitäts-Universum ausrichteten. württembergischen Sparkasse gehört die Zulieferer- Branche für Autohersteller zu den führenden Wirt- Einig zeigte sich der Sparkassenvorstand mit schaftssektoren. Daraus leitete der Vorstandschef zwei Dr. Hans-Günter Henneke, Hauptgeschäftsführer Handlungsmaximen ab: Einerseits sei es vorrangiges des Deutschen Landkreistages und DSGV-Vize- Ziel, diese Unternehmen aktiv bei der Anpassung an präsident, die Umorientierung im Mobilitätssektor mit der notwendigen Sensibilität für die Belange der Menschen anzugehen. Es sei nicht wünschenswert, die bekannte internationale Wettbewerbsstärke und Innovationskraft der deutschen Automobilindustrie durch ausschließlich politisch-ideologische Ent- scheidungen zu gefährden. Die ländlichen Räume mehr berücksichtigen Für den Geschäftsführer des Landkreistages leidet die Diskussion um den Transformationsprozess unter einer einseitigen, weil städterbezogenen Sichtweise. In der Euphorie um das Zurückdrängen des Individualver- kehrs würden die Verhältnisse in ländlichen Räumen Mahnt, die Belange der ländlichen Regionen bei der nur unzureichend berücksichtigt, kritisierte er. Dort sei Umgestaltung der Mobilitätsanforderungen nicht aus dem Blick zu verlieren: Dr. Hans-Günter Henneke. in weiten Teilen der öffentliche Personennahverkehr so Foto: Deutscher Landkreistag unterentwickelt, dass er als Alternative zum Individual- 17
Wissenschaft vor Ort verkehr nicht in Frage komme. Diese Realität bei einer Mobilitätsalternativen auf gezielte Förderanreize politisch forcierten Umgestaltung außer Acht zu setzen, forderte Jipp. Dann würde auch der eingelei- lassen, könnte zu einer gesellschaftlichen Spaltung tete Transformationsprozess nicht als Bedrohung, zwischen Stadt und Land führen. sondern als Chance begriffen. „Derzeit fühlen sich viele Menschen auf dem Land von Dass die von der Neuausrichtung im Automobilsektor der Politik abgehängt, denn es ist zwar viel geredet betroffenen Firmen den Wandel erfolgreich gestalten aber wenig gehandelt worden“, so Henneke. Deutlich können, darin waren sich Bratzel und Wittmacher einig. warnte er Kommunen und auch Sparkassen, Marktteil- Die zumeist mittelständischen Unternehmen des nehmer aufgrund eines vermeintlich überholten Zulieferersektors seien sehr flexibel, sie müssten sich Geschäftsmodells aktiv mit „zum Verschwinden brin- nur auf die Anforderungen der Zukunftstechnologien gen zu wollen“. „Sie als Sparkassen sind in der Verant- einlassen, so der Sparkassenchef. Denn, so zitierte wortung für Ihre jeweilige regionale Wirtschaft. Sie Bratzel Charles Darwin: „Es sind nicht die Größten und sind nicht dazu da, politische Vorgaben durch eine Intelligentesten, die überleben, es sind die, die sich am gezielte Steuerung der Kreditvergaben umzusetzen.“ schnellsten anpassen können“. Damit setzte er am Ende einer lebhaften Diskussionsrunde wohl ein Einig waren sich Henneke und Wittmacher, dass Markt einigendes Ausrufezeichen. und Staat in einer vernünftigen Relation zukunfts- weisende Umstellungsprozesse anstoßen müssten. „Mehr Freiheit für den Markt und weniger politischen Zwang“, auf diese Formel brachte es der Vorstandschef der Kreissparkasse Esslingen-Nürtingen kurz und bündig. Auch Professorin Dr. Meike Jipp, Institutsleiterin des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Berlin, lehnte Verbote als Mittel zur Durchsetzung ideologischer Vorgaben ab: „Es gibt die menschliche Motivation mobil zu sein, diesem Bedürfnis der Men- schen muss man Rechnung tragen und es bei den Zukunftsplanungen berücksichtigen.“ Statt Verboten sollte die Politik bei der Gestaltung nachhaltiger Dankte den Teilnehmerinnen und Teilnehmern an der Veranstaltung sowie den Referenten für die lebhafte Diskussion: Pia Jankowski. Foto: Peter Himsel Pia Jankowski, Vorstandsvorsitzende der Stiftung für die Wissenschaft, verwies in ihrem Schlusswort noch einmal auf die Intention des Bonner Akademischen Sommers als ein Forum, bei dem die Wissenschaft auf die Praxis trifft und damit einen Blick über den Teller- rand des akademischen Diskurses hinaus gestattet. Auch die Themenschwerpunkte dieser außergewöhn- lichen Tagung hätten gezeigt, wie intensiv die disku- tierten Veränderungen das Leben der Menschen beeinflussten und damit auch zwangsläufig die Spar- Förderanreize für einen positiven Mentalitätswandel: kassen beschäftigen müssten. Das regte Professorin Dr. Meike Jipp an. Foto: DLR Juliane Clegg 18
Wissenschaft vor Ort Innenstädten nach Corona neues Leben einhauchen Sparkassen könnten Schlüsselrolle spielen Die Corona-Pandemie hat dem tungen und soziale Projekte sind einige Nutzungsmög- lichkeiten, die die Leerstellen füllen können. Handel und Wandel in den Innen- städten spürbar zugesetzt und Könnte man sagen, dass Corona einen ohnehin schon länger zu beobachtenden Strukturwandel beim inner- damit einen schon länger zu städtischen Handel und Gewerbe nur noch beschleu- beobachtenden Prozess des nigt? Strukturwandels noch einmal Das kann man so sagen. Am deutlichsten zeigt sich die beschleunigt. Wie sich dieser Beschleunigung des Wandels am Beispiel des Online- Handels. Den gab es schon vor der Pandemie und auch Trend zur Verödung vieler Cities da stand er bereits in Konkurrenz mit den Einkaufsan- stoppen oder gar umkehren geboten vor Ort. Als Online-Shopping in der Pandemie die einzige Option war, hat der Online-Handel viele lässt und welche Rolle dabei die Erstnutzer*innen des Internets dazugewonnen. Dieser Sparkassen spielen könnten, Prozess wird sich nicht aufhalten oder zurückdrehen lassen. Die einzige Handlungsoption ist, den Wandel dazu befragten wir Professor Dr. aktiv zu gestalten. Nur so besteht die Chance, dass das Carsten Kühl, Wissenschaftlicher durch Corona erzwungene Experiment der Digitalisie- rung den stationären Einzelhandel und lebendige Direktor und Geschäftsführer des Innenstädte nicht zu stark beeinträchtigt. Deutschen Instituts für Urbanis- tik, Berlin. „Einnahmeausfall der Kommunen Herr Professor Kühl, die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie stellten Einzelhandel, Gastrono- war drastisch.“ mie, Kultur und Sport vor große Probleme. Wird sich das auf die künftige kommunale Infrastruktur und das In die Haushalte von Städten und Gemeinden reißt die soziale Leben auswirken? Pandemie Lücken. Rund 85 Prozent der von Ihrem Institut befragten Kämmerer rechnen im Vergleich zur Die Auswirkungen auf das kommunale Leben sind zum Vor-Corona-Zeit mit mittelfristig geringeren Einnahmen. einen davon abhängig, was jetzt unternommen wird, Droht ein finanzielles Ausbluten der Kommunen mit um möglichst wenige bestehende Nutzungen zu gravierenden Folgen für die Bürger? verlieren. Damit unwiederbringliche Verluste und irreparable Schäden vermieden werden können, sind Der Einnahmeausfall war für die Kommunen 2020 weitere Übergangshilfen nötig. Zum anderen gilt es, drastisch. Da Kommunen anders als Bund und Länder künftig aus den Veränderungen neue Werte zu schöp- die Belastung nicht durch Verschuldung ausgleichen fen und gewichenes urbanes Leben zurückzubringen. können, bleiben zwei Lösungsmöglichkeiten: Sie Für die Zukunft der Innenstädte ist es wichtig, dass der können ihre Ausgaben reduzieren, was aber gerade in vermehrte Leerstand aktiv und nach den Gegebenhei- einer Krisensituation kontraproduktiv wäre. Die andere ten vor Ort gestaltet wird. Wohnraum, Kultureinrich- Möglichkeit ist, dass die fehlenden Einnahmen von 19
Wissenschaft vor Ort Bund und Ländern kompensiert werden. So ist es im vergangenen n Kühl Dr. Carste Jahr geschehen. Es ist abzusehen, Professor li ch e r scha ft dass es diese Art der Unterstützung ist Wissen sc h äfts- n d G e für 2021 nicht mehr so rückhaltlos Direktor u Deutschen führer des k geben wird. Das betrifft auch die r Urbanisti Instituts fü a ch dem Innenstadtentwicklung. Sie ist eine Berlin. N (DIFU) in lk sw irt- er V o ureigene Aufgabe der Kommune Studium d h a ft sl e h re an der und kann nur vor Ort zielgerichtet, sc itä t Mainz Univers lgte nachhaltig und gewinnbringend swirt) erfo (Dipl.-Volk n umgesetzt werden. Damit Kommu- Promotio 1994 die 3 r. p o l.). Bis 200 nen in diesem und den kommenden (Dr. re ie d enen rs ch Jahren dieser zentralen Aufgabe war er in ve n- n im Wisse Positione der ferent, als nachkommen können, bedarf es a ft sm in is te ri u m ts - u n d Kabinettsre 09 sch en arlamen 06 bis 20 weiterer Unterstützungen durch rheinland -pfälzisch n te r a n d erem als P la b te il u n g. Von 20 e h r, g, u der Zentr a ft, Verk ierung täti als Leiter r Wirtscha Bund und Länder. Landesreg te rb üros und M in isterium fü u m inister de s in is e f im B a Leiter des M kr e tä r u nd Amtsch 1 4 a ls Fi nanz- und Fa ch Fi n anz- war Kühl Staatsse wie bis 20 ftragter im en Speyer, einbau so Lehrbeau senschaft ch aft und W 2 015 ist er is „Spielraum der Lan d Landes Rh w ir ts einland-P falz täti ts ch g . e S n e U it niversität für Verwa ive lt rs u n itä g t sw für Verwa ltungswis W is sen- se n- aft an der Deu tschen Un hrer und Kommunen schon wissensch fe ss o r a n der Deu h l zu m G eschäftsfü eru fe n. Honorarp ro or Kü Berlin b seit 2016 rde Profess anistik in r. 2018 wu it uts für Urb eingeschränkt“ schafte n in S p e ye en Direkto r des Deu tsch e n Inst schaftlich Sind die finanziellen Belastungen für die Kommunen Ihrer Beobachtung nach flächendeckend Während sie auf Jahre damit beschäftigt sein werden, gleich verteilt oder gibt es Unterschiede? die Kommunalfinanzen zu stabilisieren, werden manche bereits vor der Pandemie finanziell abgesi- Diese Frage lässt sich nach über einem Jahr Pandemie cherte Kommunen wieder Überschüsse machen – die eindeutig beantworten: Die Kommunalfinanzen sind Schere wird sich weiter öffnen. Um diese Entwicklung überall in etwa gleich belastet. Es sind viel mehr die abzuwenden, ist ein Altschuldentilgungsfonds, wie ihn bereits bestehenden Altschulden, die für ein Ungleich- die Bundesregierung 2020 bereits vorgeschlagen hat, gewicht sorgen. Der Handlungsspielraum von Kommu- dringend notwendig. Das ist auch eine Frage der nen mit einer Altschuldenlast ist bereits eingeschränkt. interkommunalen Solidarität. Wie könnte eine Revitalisierung der Innenstädte nach Corona erfolgreich umgesetzt werden? Es gilt, bestehende Nutzungen der Innenstädte zu bewahren. Bessere Bedingungen – beispielsweise schützende Regelungen im Mietrecht für Gewerbe oder die Eindämmung der ungerechtfertigten Wettbewerbs- vorteile des Online-Handels – können dabei helfen. Um den Geschäften vor Ort die Chance auf einen Wandel zu ermöglichen, sind Übergangshilfen oder Subventionen – beispielsweise für Multi-Channel-Strategien – eine zentrale Stellschraube. Zusätzlich müssen alternative Nutzungen entwickelt werden. Ein Schlüssel hierzu ist die Verbesserung Die Innenstadt als Einkaufs-Erlebniszone wieder attraktiver zu machen, wird eine der wichtigsten Herausforderungen für viele Kommunen nach der Pandemie sein. Foto: Sparkassen-Bilderwelt 20
Wissenschaft vor Ort Die Stadtsparkasse Bocholt hat mit dem Neubau ihrer neuen Hauptstelle am Neutorplatz als Multifunktionsgebäude einen attraktiven Anziehungspunkt in der Innenstadt geschaffen. Der neu gestaltete Uferbereich der Bocholter Aa wurde gemeinsam mit der Stadt Bocholt entwickelt und soll auch zum Verweilen einladen. Foto: Stadtsparkasse Bocholt kommunaler Flächenverfügbarkeiten. Darüber lassen Neben Rabatt- und Treueaktionen in Kooperation mit sich von Kommunen gezielte Transformationsprozesse lokalen Geschäften sind es vor allem Neuinvestitionen anstoßen, die drei Bereiche stärken können: das in zentrale Sparkassengebäude, die dazu beitragen, Gemeinwohl, die Aufenthaltsqualität sowie die vor Ort Innenstadtbereiche wiederzubeleben. Im westfälischen generierte Wertschöpfung. Sie sind der Schlüssel zu Bocholt wurde beispielsweise das ehemalige Hertie- einer erfolgreichen Innenstadtentwicklung. Gebäude von der Stadtsparkasse umgebaut und für Handel, Gewerbe und Freizeit reaktiviert. Ein weiterer „Sparkassen sind Schwerpunkt ist die Abstimmung der Kommunen mit örtlichen Sparkassen bei Projekten, die dem Erhalt bei Stadtgestaltung lebendiger Innenstädte dienen – von infrastruktureller wichtige Partner.“ Erschließung bis zum Ausbau des Nahverkehrs. Ein erfolgreiches Beispiel hierfür liefert die Kreissparkasse Welche Rolle können die Sparkassen als „geborene“ Köln, die umweltfreundliche Busse im ländlichen Raum Partner der regionalen Wirtschaft bei diesem Prozess fördert. spielen? Wir bedanken uns herzlich für dieses Gespräch. Die Sicherung lebenswerter Wohnumfelder, von Handels- und Freizeitstrukturen sowie günstiger Verkehrsanbindungen kann die Innenstädte nachhaltig Weiterführende Difu-Literatur zu diesem Thema vor der Verödung bewahren. Günstige Überbrückungs- kredite und temporäre Darlehnsaussetzungen waren KfW-Kommunalpanel 2021: difu.de/16614 und sind wichtige Schritte, um diese Stabilisierung der Innenstädte: Mit Steuern steuern oder mit Steuern Innenstädte zu unterstützen. In diesem Zusammen- gestalten? difu.de/16343 hang wird den Sparkassen und privaten Investoren durch die massive Belastung der kommunalen Haus- OB-Barometer 2021: difu.de/16644 halte infolge der Pandemie zukünftig beim Erhalt und der Gestaltung attraktiver Innenstädte tendenziell eine Kommunale Antworten auf die globale Corona-Kri- noch aktivere Rolle zukommen. se: Finanzen, Innovationskraft und Lebensqualität verbessern: difu.de/15723 Gibt es aus Ihrer Sicht schon positive Beispiele für eine Stadtentwicklung in Coronazeiten – eine Standort- gelungene Zusammenarbeit von Kommunen und bestimmung: difu.de/15641 Sparkassen zur Erhaltung vitaler Innenstädte? 21
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