WORKING PAPER-REIHE DER AK WIEN - E-Medien der ...

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WORKING PAPER-REIHE
                                                 DER AK WIEN

                                                 BUDGET 2022: UNAUSGEWOGENE STEUERREFORM,
                                                 ERKENNBARER KLIMASCHWERPUNKT, MITTEL FÜR
                                                 ARMUTSBEKÄMPFUNG, PFLEGE UND BILDUNG FEHLEN

                                                 Georg Feigl
                                                 Markus Marterbauer
                                                 Jana Schultheiß
                                                 Tobias Schweitzer
                                                 et al.

                                           229
                      978-3-7063-0897-7    MATERIALIEN ZU WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT

WPR_229_UnausgewogeneSteuerreform.indd 1                                                   02.11.21 09:41
Materialien zu Wirtschaft
                                        und Gesellschaft Nr. 229
                                     Working Paper-Reihe der AK Wien

             Herausgegeben von der Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik
                          der Kammer für Arbeiter und Angestellte
                                          für Wien

  Budget 2022: Unausgewogene Steuerreform, erkennbarer
  Klimaschwerpunkt, Mittel für Armutsbekämpfung, Pflege
                   und Bildung fehlen

          Georg Feigl, Markus Marterbauer, Jana Schultheiß, Tobias Schweitzer,
    Dominik Bernhofer, Caro Krammer, Katharina Mader, Wolfgang Panhölzl, Anna Raith,
                Kurt Schalek, Philipp Schnell, Michael Soder, Simon Theurl

                                               3. November 2021

                                                    Wir danken

  Christina Brichta-Hartmann, Maria Burgstaller, Frank Ey, Helmut Gahleitner, Heinz Högelsberger,
 Roland Lang, Elke Larcher, Sylvia Leodolter, Sandra Matzinger, Patrick Mokre, Ingrid Moritz, Sybille
Pirklbauer, Silvia Rosoli, Christa Schlager, Christoph Streissler, Iris Strutzmann, Josef Thoman, Lukas
   Tockner, Michael Tölle, Erik Türk, Norman Wagner, Florian Wukovitsch und Sepp Zuckerstätter

                                  für ihre wertvollen Kommentare und Inputs.

Die Working Paper Reihe "Materialien aus Wirtschaft und Gesellschaft" behandelt aktuelle Fragen der Wirtschafts- und
Sozialwissenschaften und dient als offenes Medium für den Austausch von wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen. Die
Reihe wird von der Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik betreut.
Wie bei Working Paper Serien üblich erfolgt keine formelle Begutachtung.
Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme

          Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei
               der Deutschen Bibliothek erhältlich.

                     ISBN 978-3-7063-0897-7

         Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien
A-1041 Wien, Prinz-Eugen-Straße 20-22, Tel: (01) 501 65, DW 12283
INHALTSVERZEICHNIS
1.     Kurzfassung ..................................................................................................................................... 1
2.     Rahmenbedingungen Wohlstandsorientierter Budgetpolitik ................................................................... 5
2.1      Kräftiger Konjunkturaufschwung und Chance auf merklichen Rückgang der Arbeitslosigkeit .. 5
2.2      Wohlstandsorientierung der Budget- und Wirtschaftspolitik ...................................................... 8

3.     Gesamtstaatliche Aspekte ................................................................................................................ 11
3.1.     Ist der Budgetpfad angemessen? ............................................................................................ 11
3.2.     Ausreichender Vermögenszuwachs, beherrschbarer Schuldenstand? ................................... 12
3.3.     Abgaben- und andere Staatsquoten ........................................................................................ 13
3.3.1.   Einnahmenentwicklung ............................................................................................................ 15
3.4.     Finanzielle Verknüpfungen mit der Europäischen Union ......................................................... 17
3.5.     Das Bundesbudget im Zusammenspiel der öffentlichen Haushalte ........................................ 18
3.5.1.   Exkurs: Maastricht-, Finanzierungs- oder Ergebnisrechnung? ................................................ 18
3.5.2.   Die Teilsektoren-Budgetpfade: Städte und Gemeinden in der Klemme .................................. 20

4.     Sonderthemen ................................................................................................................................ 22
4.1      „Neue“ Maßnahmen der Bundesregierung & RRF .................................................................. 22
4.2      Steuerreform ............................................................................................................................ 25
4.3      Covid-19-Krise.......................................................................................................................... 30
4.4      Öffentliche Investitionen ........................................................................................................... 32
4.5      Klimaschutz .............................................................................................................................. 34
4.6      Gleichstellung von Frauen und Männern ................................................................................. 40
4.7      Arbeitsmarkt ............................................................................................................................. 43
4.8      Bildung und Forschung ............................................................................................................ 48
4.9      Armut ........................................................................................................................................ 55
4.10     Gesundheit ............................................................................................................................... 58
4.11     Pflege ....................................................................................................................................... 61
4.12     Personalplanung des Bundes .................................................................................................. 65

5.     Die Ausgabenbereiche im Bundesbudget ........................................................................................... 68
5.1      Rubrik 1 – Verwaltung, Recht, Sicherheit ................................................................................ 68
5.2      Rubrik 2 – Pensionen und sonstige Sozialausgaben............................................................... 70
5.3      Rubrik 3 – Bildung, Forschung, Kunst und Kultur .................................................................... 73
5.4      Rubrik 4 – Umwelt, Verkehr, Wirtschaft etc. ............................................................................ 75
5.5      Rubrik 5 – Zinsen und Finanzierung ........................................................................................ 76

6.     Anhang.......................................................................................................................................... 77
6.1      Auszahlungen des Bundes ...................................................................................................... 77
6.2      Rücklagen ................................................................................................................................ 78

7.     Literatur......................................................................................................................................... 80

                                                                                                                                                               I
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
Abbildung 1: Überblick über die makroökonomischen Annahmen der Budgetplanung ....................... 5
Abbildung 2: Unselbständig Beschäftigte und Arbeitslose, 2000-2025 ............................................... 6
Abbildung 3: Nachhaltige Entwicklung von Wohlstand & Wohlergehen in Österreich ......................... 8
Abbildung 4: Maastricht-Saldo und struktureller Budgetsaldo ........................................................... 11
Abbildung 5: Öffentliche Vermögen und Schulden ............................................................................ 13
Abbildung 6: Gesamtstaatliche Einnahmen und Ausgaben im Überblick 2019-2025 ........................ 14
Abbildung 7: Entwicklung der Einzahlungen des Bundes .................................................................. 15
Abbildung 8: Steigerung Gewinn, Konsum u. Gehälter vs. entsprechende Steuern (2025 zu 2019) 16
Abbildung 9: EU-Beitrag und Rückflüsse aus dem EU-Budget nach Österreich ............................... 18
Abbildung 10: Vergleich Finanzierungs- und Ergebnisrechnung des Bundes 2021 .......................... 19
Abbildung 11: Maastricht-Salden der öffentlichen Teilsektoren 2019-2025....................................... 20
Abbildung 12: Anteil noch nicht in dieser Höhe budgetierter Maßnahmen an „neuen“ MN ............... 23
Abbildung 13: Übersicht über „neue“ Maßnahmen 2022-2025 .......................................................... 23
Abbildung 14: Steuerreform Übersicht ............................................................................................... 26
Abbildung 15: Übersicht über die Corona-Hilfen des Bundes ............................................................ 30
Abbildung 16: Volkswirtschaftliche Einkommensverteilung Q2/20–Q1/21 im Vgl. zu Q2/19–Q1/20 . 31
Abbildung 17: Öffentliche Investitionen & Bundesbudget .................................................................. 32
Abbildung 18: Anteil öffentlicher Investitionen an den Gesamtausgaben je Teilsektor ..................... 33
Abbildung 19: Besonders klimarelevante Bundesausgaben .............................................................. 34
Abbildung 20: Entwicklung der Zahl der registrierten Arbeitslosen .................................................... 43
Abbildung 21: UG 20 Arbeit ................................................................................................................ 44
Abbildung 22: Auszahlungen des Bundes UG 30 .............................................................................. 49
Abbildung 23: Universitäten, Fachhochschulen und Studierendenunterstützung.............................. 52
Abbildung 24: Ausgaben für Pflege .................................................................................................... 62
Abbildung 25: AK-Pflegepaket............................................................................................................ 64
Abbildung 26: Grundzüge des Personalplans .................................................................................... 66
Abbildung 27: Auszahlungen nach Rubriken, 2019-2024 .................................................................. 68
Abbildung 28: Auszahlungen der Untergliederungen der Rubrik 0,1, 2019-2025.............................. 69
Abbildung 29: Auszahlungen der Untergliederungen der Rubrik 2, 2019-2025................................. 70
Abbildung 30: Beiträge des Bundes im Zusammenhang mit Pensionen ........................................... 71
Abbildung 31: Auszahlungen Rubrik 4, 2019-2025 ............................................................................ 75
Abbildung 32: Auszahlungen Rubrik 5, 2019-2025 ............................................................................ 76
Abbildung 33: Auszahlungen des Bundes je UG, 2019-2025 ............................................................ 77
Abbildung 34: Rücklagenentwicklung 2014 bis 2020 ......................................................................... 79

                                                                                                                                                 II
1. KURZFASSUNG
Das Bundesfinanzgesetz 2022 steht im Zeichen der wirtschaftlichen Erholung nach der Covid-19-Krise
und einer Steueranpassung in mehreren Etappen. Die wenigen neuen Maßnahmen der Bundes-
regierung bewertet die AK positiv. Klimaschutz und Forschung bilden erkennbare Schwerpunkte, in
denen es deutlichen Fortschritt gegenüber den Vorjahren gibt. Positiv hervorzuheben sind darüber
hinaus einzelne Maßnahmen wie die Umwelt- und die Verkehrsstiftung im Rahmen der Arbeitsmarkt-
politik, die zusätzlichen Mittel für die Pflegeausbildung, Schüler:innenförderungen oder einzelne
Maßnahmen der Armutsbekämpfung wie die Sonderförderung gegen Energiearmut und die
Delogierungsprävention.

Über positiv zu bewertende Einzelmaßnahmen hinaus ist allerdings viel mehr notwendig, um den
sozial-ökologischen Umbau der Wirtschaft beschäftigungspolitisch zu begleiten, Armut ernsthaft zu
bekämpfen, dem sich aufbauenden Pflegenotstand entgegenzuwirken, in Bildung zu investieren oder
Städten und Gemeinden mehr finanziellen Spielraum für dringend notwendige Klimainvestitionen zu
ermöglichen. Einnahmenseitig sind die CO2-Steuer samt Ökobonus sowie der Ausgleich der kalten
Progression grundsätzlich zu begrüßen, die darüber hinausgehenden Steuergeschenke für relativ
kleine gesellschaftliche Gruppen, vor allem an große Unternehmen, jedoch zu kritisieren. Das
vorgelegte Budget verdeutlicht einmal mehr, dass eine nachhaltige, koordinierte Strategie zur
Bewältigung der enormen Herausforderungen von Dekarbonisierung, Digitalisierung und Demografie
ein Zusammendenken und Zusammenspielen von Wirtschafts-, Budget-, Arbeitsmarkt-, Bildungs- und
Sozialpolitik erfordert.

Die Bundesregierung präsentiert zahlreiche neue Einzelinitiativen unter der Überschrift “budgetäre
Schwerpunkte und Maßnahmen“. Dabei geht aber das politische Marketing auf Kosten des
Informationsgehalts. Tatsächlich neu ist im wesentlichen nur die Steuerreform (2022 in Summe 2,4
Mrd, bis 2025 insgesamt 18,2 Mrd Euro). Sonst enthält die Auflistung überwiegend bereits in den
Entwürfen zum BFG 2021 bzw. den BFRG 2021-2024 enthaltene Maßnahmen (4,2 Mrd Euro) bzw.
einen Großteil der in der Vereinbarung zum EU Recovery and Resilience Fund enthaltenen und mit der
BFRG-Novelle schon budgetierten Neuerungen aus dem Frühjahr (2,3 Mrd Euro) sowie die adaptierte
Investitionsprämie (+3,1 Mrd Euro). Auch vom noch nicht budgetierten Rest (5,4 Mrd) sind viele
Maßnahmen bereits beschlossen oder politisch fixiert. Tatsächlichen Neuigkeitswert weisen nur wenige
Maßnahmen auf. Dazu zählen insbesondere Maßnahmen der Klimapolitik.

Die vorgelegte Steuerreform ist in Summe nicht sozial ausgewogen, für das Klima kein großer
Wurf und für die Verwaltung unnötig bürokratisch. Leider wurde neuerlich die Chance vertan, mit
einer grundlegenden Reform das Steuersystem durch die Einführung von Vermögens- und Erbschafts-
steuer gerechter und moderner zu machen. Während die steuerlichen Anpassungen für die Arbeit-
nehmer:innen in wenigen Jahren verpuffen, erhalten die Unternehmen eine dauerhafte Steuersenkung
etwa in Form der Senkung der Körperschaftssteuer. Trotz Erhöhung und Neuregelung des Familien-
bonus wird dieser weiterhin beinahe 180.000 Kindern verwehrt. Von der Senkung des Krankenver-
sicherungsbeitrages profitieren gerade viele Geringverdienende nicht und sie schafft eine neue unnötige
Bürokratie; eine Erhöhung des SV-Bonus würde diese Nachteile nicht aufweisen. Eine CO2-Bepreisung
wird schrittweise eingeführt, die Kompensationen für Unternehmen und Haushalte sind sehr großzügig
bemessen, dennoch sind Nachbesserungen notwendig, denn Pendler:innen ohne Anschluss an das
öffentliche Verkehrsnetz und Mieter:innen in den Städten sind teilweise über Gebühr belastet.

Die Covid19-Krise hat die gesellschaftliche Spaltung verschärft. Zu den Verlierer:innen zählen (Lang-
zeit-)Arbeitslose, prekär Beschäftigte, Einpersonenunternehmer:innen, Kinder aus bildungsfernen
Haushalten. Statt gezielt die soziale und ökonomische Position dieser benachteiligten Gruppen zu

                                                                                                     1
verbessern, werden Steuermittel erheblichen Umfangs zugunsten einer Gruppe von Gewinner:innen
umgeleitet, den großen Unternehmen und ihren Eigentümer:innen.

Budgetpolitik, Fiskalregeln, Defizitpfad und Schuldenabbau

Die österreichische Budgetpolitik verfügt zusammen mit der europäischen Geld- und Fiskalpolitik über
wirkungsmächtige Instrumente zur Bewältigung der sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-
Krise. Der Spielraum zur Finanzierung der notwendigen diskretionären Maßnahmen und der für
Einkommen und Beschäftigung wichtigen Wirkung der automatischen Stabilisatoren war groß, vor allem
auch angesichts des äußerst günstigen Umstands negativer Zinssätze für Staatsanleihen. Während vor
zehn Jahren die staatlichen Zinsausgaben noch mehr als 9 Mrd Euro betrugen, werden sie 2022 nur
noch 4 Mrd Euro betragen und danach weiter deutlich sinken. Heute zur Bewältigung der Pandemie und
ihrer sozialen Folgen eingegangene Staatsschulden ziehen keine Belastungen in den Budgets der
kommenden Jahre nach sich, bringen aber hohe gesellschaftliche Erträge. Dies gilt besonders wenn es
gelingt, Armut und Arbeitslosigkeit zu verhindern und die Weichen in Richtung höheren gesamt-
wirtschaftlichen Wohlstands, sowie Bewältigung der großen gesellschaftlichen Herausforderungen von
Klimakrise und Ungleichheit zu stellen.

Der finanzielle Spielraum für die Bewältigung dieser Herausforderungen ist angesichts der niedrigen
Zinszahlungen und der starken Erholung von Wirtschaft und Abgabeneinnahmen gegeben. Dies
ermöglicht auch die Einhaltung der EU-Fiskalregeln. Dennoch muss der notwendige budgetpolitische
Spielraum auch über die aktuell günstige Lage hinaus abgesichert werden. Das gilt insbesondere für
öffentliche Investitionen, die für eine nachhaltige Entwicklung von Wohlstand und Wohlergehen
besonders relevant sind. Besonders die Finanzierung der unverzichtbaren Investitionstätigkeit von
Städten und Gemeinden ist gefährdet, denn diese stehen mehrfach unter Druck: Covid-19-Krise,
Einnahmenentfall durch die Steuerreform, Wegfall der Investitionshilfen und Rückzahlungsverpflichtung
der Bundesvorschüsse. Die Bundesregierung ist nun gefordert, Städten und Gemeinden zusätzliche
Mittel für Klimainvestitionen zur Verfügung zu stellen. Auf europäischer Ebene sollte der Prozess
zur Reform der Fiskalregeln dazu genutzt werden, eine „goldene Investitionsregel“ einzuführen, die
prozyklische Verzerrung zu beseitigen und bisherige Flexibilisierungselemente großzügiger
anzuwenden, damit der Schuldenabbau nicht zu Lasten anderer wichtiger wirtschaftspolitischer Ziele
wie Vollbeschäftigung, gerechter Verteilung oder Klimaschutz geht.

Mit Arbeitsmarkt- und Klimapolitik Weichen für die Zukunft stellen

Das vorliegende Budget stellt zusätzliche Mittel für die Arbeitsmarktpolitik zur Verfügung: Nach der
Corona-Joboffensive im letzten Jahr, setzt die Bundesregierung heuer mit der „Aktion Sprungbrett“ und
der Einrichtung neuer Arbeitsstiftungen neue Akzente. Damit werden brennende Probleme des
österreichischen Arbeitsmarkts angegangen: Qualifikation für Branchen mit Arbeitskräftebedarf und
Abbau der hohen Anzahl an Langzeitarbeitslosen. Die Maßnahmen kommen spät und wie bereits in
der Vergangenheit sind sie nicht nachhaltig geplant. Wir benötigen jetzt dauerhafte Strukturen, die den
sozialen Herausforderungen etwa in der Hilfe für armutsgefährdete Langzeitarbeitslose gerecht zu
werden. Notwendig wäre es, die bestehenden Instrumente um eine öffentlich finanzierte Jobgarantie
und ein Qualifizierungsgeld zu erweitern. Langzeitbeschäftigungslose sollten die Möglichkeit einer
Beschäftigung auf einem dauerhaft geförderten Arbeitsplatz erhalten. Diese Arbeitsplätze sollen die
Versorgung der Bevölkerung mit sozialen, ökologischen und auch kulturellen Dienstleistungen
verbessern. Die Finanzierung eines Rechtsanspruchs auf Qualifizierungsgeld, welches eine berufliche
Umorientierung oder Weiterbildung erleichtert, würde helfen, zusätzliche Arbeitskräfte für Zukunftsjobs
zu qualifizieren.

                                                                                                     2
Klimaschutz ist eine der wichtigsten Herausforderungen des 21. Jahrhundert. Der Ausstieg aus fossilen
Energieträgern erfordert den Einsatz aller politischer Instrumente – Ordnungsrecht (Ge- und Verbote),
steuerliche Maßnahmen, Investitionen, Planungsmaßnahmen und auch Bewusstseinsbildung. Die
Bundesregierung setzt in allen Bereichen Akzente und setzt auch stärker als bislang auf soziale
Abfederung. Wir sehen die weitere Anhebung der Fördervolumina positiv, es muss aber mehr auf
Wirksamkeit und Effizienz bei deren Vergabe geachtet werden. Umgekehrt fehlen Mittel für öffentliche
Investitionen besonders für Städte und Gemeinden, die um Ausbau des öffentlichen Verkehrs, von
Rad- und Fußwegen, Parks und öffentlichen Räumen sowie der Sanierung von Gebäuden enormes
Potenzial für Klimamaßnahmen haben.

Armut, Bildung, Frauen: Pandemie zu früh beendet erklärt

Laut Regierungsprogramm soll der Anteil armutsgefährdeter Menschen in dieser Legislaturperiode
halbiert werden. Die Covid-19-Krise hat die Probleme von Ungleichheit und Armut nochmals verschärft.
Doch wir sehen im Budget keine deutlichen Maßnahmen zur Armutsbekämpfung geschweige denn
den dringend notwendigen Politikschwerpunkt gegen Armut. Das besonders drängende Problem
der Kinderarmut findet keine ausreichende Berücksichtigung. Grundsätzlich positiv können lediglich
genannt werden: Mittel zur Bekämpfung von Energiearmut, für die Delogierungsprävention und
Wohnungssicherung sowie die Aufstockung der Mittel für Familienberatungsstellen. Die Mittel für den
Bildungsbereich, der bei der Bekämpfung von Kinderarmut eine wichtige Rolle spielt, sind zu gering
dotiert. Es werden weder Vorkehrungen zur Verbesserung der Sozialhilfe noch der Arbeitslosen-
versicherung getroffen, wie etwa die notwendige Erhöhung der Nettoersatzrate auf 70 %, die
Anpassung der Regeln zum Familienzuschlag und Ergänzungsbetrag oder die Weiterführung der
Erhöhung der Notstandshilfe auf das Niveau des Arbeitslosengeldes.

Im Bildungsbereich fehlen Mittel, um bereits länger bestehende strukturelle Probleme wie auch um die
sozialen Folgen der Pandemie und den stärker werdenden Fachkräftemangel im pädagogischen
Bereich zu bewältigen. Der Elementarpädagogik fehlen zusätzliche Mittel: Um endlich das Barcelona-
Ziel einer Betreuungsquote von 33 % für unter 3-Jährige zu erfüllen und die Qualität zu verbessern wäre
eine Anhebung der Mittel um jährlich rund 1 Mrd Euro erforderlich. Auch die angekündigte und
dringend notwendige Ausbildungsoffensive findet keinen Niederschlag. Im Schulbereich lassen sich
einige grundsätzlich gute Maßnahmen erkennen, deren Dotierung jedoch zu gering bleibt. So
werden die Mittel für Schulsozialarbeit sowie den Ausbau der psychosozialen Unterstützung und
Schulpsycholog:innen das Betreuungsverhältnis nicht ausreichend verbessern. Die budgetierten Mittel
für das 100 Schulen Projekt reichen nicht aus. Kurzfristig müssten die Mittel aber ohnehin massiv
ausgeweitet werden, um das Projekt auf Basis der durch die Corona-Pandemie entstandenen Probleme
sofort auf 500 Schulen mit besonderen Herausforderungen auszuweiten. Mittelfristig bleibt eine faire
Schulfinanzierung nach dem AK-Chancen-Index von höchster Bedeutung. Das Förderstundenpaket,
um möglichen Lernrückständen durch die Covid-19 bedingten Schul-schließungen entgegenzuwirken,
läuft aus, die Sommerschulen sind unterbudgetiert.

Auch dem Bereich Lebenslanges Lernen fehlen Mittel, insbesondere für die Erwachsenenbildung
(Nachholen von Bildungsabschlüssen), die auch wichtig sind, um Zugewanderte gut in Gesellschaft und
Arbeitsmarkt zu integrieren. Die FH-Ausbaupläne sind – trotz des oft beklagten Fachkräftemangels –
wenig ambitioniert. Eine deutliche Aufstockung der Studienplätze um zumindest 1.000 weitere
Anfänger:innenplätze pro Studienjahr wäre notwendig.

Das Frauenbudget wird neuerlich erhöht. Im Rahmen des Maßnahmenpakets gegen Gewalt an
Frauen werden auch in anderen Untergliederungen Mittel budgetiert – insgesamt 20,6 Mio Euro für
2022. Dies ist sehr erfreulich, insgesamt aber immer noch viel zu wenig. Frauenpolitik wird zudem
einmal mehr auf Gewaltschutz reduziert, alle anderen frauenspezifischen und gleichstellungspolitischen
Ziele weder mutig formuliert noch ernstgenommen. So spielt die Gleichstellung von Frauen und

                                                                                                     3
Männern in der budgetären Gesamtausrichtung erneut keine nennenswerte Rolle, obwohl aufgrund der
unterschiedlichen Betroffenheit von Frauen und Männern durch die Covid-19-Krise die Anwendung
eines umfassenden Gender Budgetings zurzeit besonders relevant wäre. Besonders gefragt sind
nun Maßnahmen gegen eine nachhaltige Retraditionalisierung der Rollenverteilung sowie der Ausbau
sozialer Dienstleistungen in hoher Qualität, der auch Branchen mit hohem Frauenbeschäftigungsanteil
gesellschaftlich und ökonomisch aufwerten würde.

Gesundheit, Pflege: strukturelle Reformen dringend notwendig

Die Auszahlungen im Gesundheitsbereich sind weiter stark von der Covid-19-Krise sowie dem Ersatz
des Krankenversicherungsbeitragsausfalls durch die Steuerreform geprägt. Darüber hinaus gibt es
jedoch weitere Herausforderungen: die hohe Qualität des österreichischen Gesundheitssystems muss
angesichts der demografischen Herausforderung erhalten und verbessert werden. Die bestehende 2-
Klassenmedizin zwischen privat und öffentlich Versicherten muss beendet werden. Eine 3-Klassen-
medizin (Privatversicherte – Beamt:innen, Selbständige, Bäuer:innen – ÖGK-Versicherte) muss
unbedingt vermieden werden. Versorgungsmängel im niedergelassenen Bereich, Wartezeiten bei
Operationen und große Unterschiede bei Zahnersatz, Psycho- und Physiotherapie müssen abgebaut
werden. Dazu ist eine neue, einheitliche Finanzierungsstruktur, mit gestärkter regionaler Versorgung
etwa in der wohnortnahen Primärversorgung notwendig. Strukturellen Verbesserungsbedarf gibt es in
der Chroniker:innen-Versorgung sowie bei der psychischen Gesundheitsversorgung von
Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen – hier ist die Mittelausstattung unzureichend.
Zudem ist eine Ausbildungsoffensive im Gesundheitsbereich für 100.000 Fachkräfte dringend
gefordert.

Im Bereich der Langzeitpflege sind neuerlich keine Mittel für die dringend notwendige
Pflegereform vorgesehen. Die AK begrüßt die Schaffung von Stellen für 150 Community Nurses und
die Budgetierung von 50 Mio Euro pro Jahr für die finanzielle Unterstützung der Auszubildenden im
Bereich der Pflege- und Sozialbetreuungsberufe. Doch die Mittel bleiben zu knapp, um die finanziellen
Anreize für Auszubildende flächendeckend attraktiv zu gestalten. Zudem handelt es sich nur um einen
Teil der Maßnahmen, die im Rahmen einer umfangreichen Ausbildungsoffensive erforderlich wären.
Als notwendige Sofortmaßnahmen in der Langzeitpflege sind die Aufstockung des Personals in Pflege-
heimen, ein Ausbau der Betreuung und Pflege zu Hause, die flächendeckende Ausrollung von psycho-
sozialer Angehörigenberatung, die Abschaffung der Selbstbehalte und Qualitätsverbesserungen in den
mobilen Diensten sowie einen Beitrag zur Verringerung des Lohnunterschieds zum akutstationären
Bereich notwendig. Die Nettokosten dieser Sofortmaßnahmen wurden mit 635 Mio Euro berechnet.

                                                                                                   4
2. RAHMENBEDINGUNGEN
            WOHLSTANDSORIENTIERTER BUDGETPOLITIK

2.1 Kräftiger Konjunkturaufschwung und Chance auf merklichen Rückgang
der Arbeitslosigkeit
Das Bundesfinanzgesetz 2022 steht ganz im Zeichen der Überwindung der Covid-19-
Wirtschaftskrise. Die Covid-19-Wirtschaftshilfen werden schrittweise zurückgenommen und im
zügigen Konjunkturaufschwung steigen die Steuer- und Beitragseinnahmen im Staatshaushalt kräftig.
Das BFG basiert auf der Konjunkturprognose des WIFO vom Oktober 2021. Diese sieht nach dem tiefen
Wirtschaftseinbruch 2020 eine rasche und kräftige Erholung in den Jahren 2021 und 2022 vor.

Abbildung 1: Überblick über die makroökonomischen Annahmen der Budgetplanung

Wirtschaftliche Rahmenbedingungen                                                                          2020-22   2019-25
                                                 2019   2020   2021   2022    2023      2024      2025
Prognosewerte in %                                                                                         gesamt Ø Ver./J.
unselbständig Beschäftigte                        1,6   -2,0    2,3    1,9      1,5       1,3       1,1     4,2%      1,0%
Arbeitslose gemäß AMS-Zählung (in Tausend)       301    410    338    308      288       280       277     -24,9%     -1,4%
AL inkl. TeilnehmerInnen in Kursmaßnahmen        363    467    408    376    n.verf.   n.verf.   n.verf.      -91
Arbeitslosenquote (Insgesamt, AMS Defintion)      7,4    9,9    8,2    7,4      6,8       6,6       6,4      -2,5      -0,2
Arbeitslosenquote (Insgesamt, EUROSTAT-Def.)      4,5    5,4    5,0    4,5      4,3       4,1       4,0      -0,9      -0,1
Lohn- und Gehaltssumme, brutto                    4,4   -0,4    4,1    5,3      4,1       3,9       3,4     9,6%      3,4%
real verfügbares Einkommen der priv. Haushalte    1,6   -2,0   -0,2    1,0      1,7       1,7       1,8     0,8%      0,6%
Inflation                                         1,5    1,4    2,8    3,0      2,0       2,0       1,9     5,9%      2,2%
Wirtschaftswachstum real                          1,5   -6,7    4,4    4,8      2,3       1,9       1,7     9,4%      1,3%
Outputlücke (in % des BIP)                        2,1   -5,7   -2,8    0,5      0,3       0,2       0,0       6,1      -0,4
nominelles BIP, in Mrd Euro                      398    379    405    435      453       471       488     14,6%      3,5%

   Quelle: BMF, WIFO, eigene Darstellung.

Im Zuge des Konjunkturaufschwungs hat die Wirtschaftsleistung in Österreich bereits im Herbst 2021
das Vorkrisenniveau wieder erreicht. Doch der Aufschwung verläuft zwischen den Wirtschaftsbereichen
recht unterschiedlich. Besonders die wettbewerbsstarke Industrie hat die Krise weit hinter sich gelassen
und auch die Produktion in der Bauwirtschaft liegt wieder deutlich über dem Niveau vor der Krise;
Ausrüstungs- wie Bauinvestitionen erweisen sich nach Überwindung des konjunkturellen Tiefs als recht
dynamisch. Hingegen bleiben die Konsumnachfrage der privaten Haushalte und die Wertschöpfung in
vielen Teilen des Dienstleistungssektors, besonders im Tourismus, noch zurück. Der Arbeitsmarkt erholt
sich viel rascher als von allen Expert:innen noch vor einem Jahr erwartet.

Gegenwärtig deutet vieles auf eine Fortsetzung des Aufschwungs hin, allerdings verläuft dieser
ruppig. Lieferschwierigkeiten bei Mikrochips, technologischer Rückstand beim Elektroantrieb und die
Schwäche der internationalen Konsumnachfrage bremsen die deutsche Kfz-Industrie und zunehmend
auch die österreichischen Zulieferbetriebe. Hingegen profitieren der heimische Maschinenbau und
andere exportstarke Industriebereiche vom starken internationalen Investitionsaufschwung. Im Inland
beklagen viele Unternehmen bereits einen Mangel an Arbeitskräften. In manchen Bereichen wie der
Industrie ist dieser das Ergebnis der unerwarteten Stärke des Aufschwungs und abnehmender
Ausbildungsbemühungen der Betriebe in der Vergangenheit. In anderen wie dem Tourismus ist er auch
auf wenig attraktive Arbeitsbedingungen und Löhne sowie das Ausbleiben von osteuropäischen
Arbeitskräften zurückzuführen, die während der Pandemie zum Teil sehr schlecht behandelt wurden.
Insgesamt ist das Potential an Arbeitskräften weiterhin hoch, es müssen aber neue Anstrengungen
unternommen werden, um es zu heben. Dazu zählen vor allem die höhere Attraktivität von Jobange-

                                                                                                                              5
boten, aber auch stärkere arbeitsmarktpolitische Anstrengungen in der Qualifizierung und Vermittlung.
Der Ausbau von Kindergärten, Ganztagsschulen und sozialer Pflege würde Angehörige entlasten und
die Aufstockung von Teilzeitjobs ermöglichen, bessere Gesundheitsvorsorge und alternsgerechte
Arbeitsplätze würden Älteren gesunde Erwerbstätigkeit erlauben.

Die Konsumnachfrage der privaten Haushalte brach im Jahr 2020 real um 8,5 % ein. Während 2021
nur ein Teil des Rückgangs aufgeholt werden konnte, wird der Konsum 2022 kräftig expandieren. Dazu
trägt zum einen der kräftige Anstieg der Lohn- und Gehaltssumme und damit auch der real verfügbaren
Einkommen der privaten Haushalte bei. Letztere sollten ab 2023 sogar um 1¾ % pro Jahr zunehmen.
Zum anderen hilft der deutliche Rückgang der Sparquote der privaten Haushalte von mehr als 14 % des
verfügbaren Einkommens (2020) auf nur noch 6 % (2022). Der etwas höhere Anstieg der Ver-
braucher:innenpreise bremst die Konsumnachfrage nur vorübergehend. Solange Löhne und
Sozialtransfers entsprechend angehoben werden, stellt sie kein gesamtwirtschaftliches Problem dar.
Das wichtigste Konjunkturrisiko liegt vielmehr in der Weltwirtschaft und zwar in einer möglichen
Rohstoff-, Immobilien- und Finanzkrise in China.

Die Arbeitsmarktprognose für 2021 und 2022 wurde über die letzten vier Quartale deutlich nach oben
revidiert. Die Beschäftigung überschreitet bereits im Jahresdurchschnitt 2021 wieder das Niveau von
2019 und legt 2022 um nahezu 2 % zu. Für die darauffolgenden Jahre wird eine leichte Abnahme der
Wachstumsrate erwartet, die aber immer über 1 % pro Jahr bleibt. Die Zahl der registrierten Arbeitslosen
soll im Jahr 2022 mit 308.000 noch geringfügig über dem konjunkturellen Tiefstand von 2019 liegen und
diesen ab 2023 unterschreiten. Die im Vergleich zu vergangenen Konjunkturaufschwüngen starke
Reaktion der Arbeitslosigkeit ist unmittelbar auch darauf zurückzuführen, dass das Angebot an
Arbeitskräften merklich schwächer wächst als in der Vergangenheit. Das hat zum einen demografische
Ursachen, ist zum anderen aber auch auf das Ausbleiben der Rückkehr osteuropäischer Arbeitskräfte
zurückzuführen. Die Arbeitslosenquote erreicht 2022 mit 7,4 % der unselbständigen Erwerbspersonen
nach AMS Definition das Niveau von 2019 und soll bis 2025 auf 6,4 % sinken. Auch die Eurostat-Quote
weist einen ähnlichen Verlauf auf.

Abbildung 2: Unselbständig Beschäftigte und Arbeitslose, 2000-2025

4.100.000                                                                             500.000
4.000.000                                                                             450.000
3.900.000                                                                             400.000
3.800.000                                                                             350.000
3.700.000                                                                             300.000
3.600.000                                                                             250.000
3.500.000                                                                             200.000
3.400.000                                                                             150.000
3.300.000                               Unselbständig Beschäftigte (linke Skala)      100.000
                                        Arbeitslose, AMS‐Definition (rechte Skala)
3.200.000                                                                             50.000
                                        Arbeitslose inkl. Schulungsteiln. (re. S.)
3.100.000                                                                             0
            2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 2020 2022 2024

   Quelle: bis 2020: Arbeitsmarktdatenbank, danach aktuelle WIFO-Prognose bzw. BMF.

Daraus ergeben sich zwei Schlussfolgerungen. Erstens, sinkt das Verhältnis von Arbeitslosen zu
offenen Stellen auf 3:1 und damit bereits unter das Niveau von 2019. Damit sind Vollbeschäftigung
(bei der die Relation gegen 1:1 sinken würde) oder allgemeine Arbeitskräfteknappheit allerdings noch

                                                                                                      6
nicht absehbar. Dennoch herrscht in einigen Branchen und Regionen ein Mangel an Arbeitskräften.
Gesamtwirtschaftlich ist das positiv, denn es ermöglicht Menschen ein Jobangebot, die es am
Arbeitsmarkt nicht leicht haben, etwa Langzeitarbeitslosen, prekär Beschäftigten, Jungen oder
unfreiwillig Teilzeitbeschäftigten. Gleichzeitig übt es Druck auf die Qualität der angebotenen Jobs aus,
weil Unternehmen höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen und arbeitnehmer:innenfreundliche
Arbeitszeiten bieten müssen, um im Wettbewerb um Arbeitskräfte mithalten zu können.

Zweitens erfordert der markante Rückgang der Arbeitslosigkeit eine stärkere Konzentration der
Arbeitsmarktpolitik auf Gruppen mit besonderem Bedarf. Das sind vor allem Langzeit-
beschäftigungslose, Arbeitslose mit Pflichtschulabschluss, aber auch jene Arbeitslosen, die bereit sind
eine Neuorientierung in Richtung von Jobs in Zukunftsbranchen zu machen. In den letzten Jahrzehnten
ist das Angebot an Arbeitskräften durch starke Zuwanderung und steigende Erwerbsquoten kräftig
gewachsen. Angesichts des bevorstehenden (leichten) Rückgangs der Bevölkerung im Erwerbsalter ist
nun eine Adjustierung der arbeitsmarktpolitischen Weichen erforderlich. Das bringt besondere
Herausforderungen auch für das Bildungssystem mit sich.

Die Covid-19-Wirtschaftskrise brachte den stärksten wirtschaftlichen Einbruch seit Jahrzehnten, dieser
übertraf sogar den Rückgang des BIP in der Finanzkrise 2009. Doch die österreichische Wirtschaft und
auch die Wirtschaftspolitik haben gezeigt, dass auch ein derart heftiger Rückgang der Wertschöpfung
angesichts des hohen Niveaus der Wirtschaftsleistung grundsätzlich bewältigbar ist. Die
wirtschaftliche und soziale Problematik liegt demnach weniger im Rückgang von Produktion und
Einkommen im Allgemeinen, sondern in der verschärften Spaltung der Gesellschaft in Gewinner:innen
und Verlierer:innen. Zur ersten Gruppe gehören viele, vor allem größere Unternehmen, die von den
außerordentlich großzügigen und wenig transparenten staatlichen Subventionen und Aufträgen
profitieren (ausführlicher siehe Abschnitt 4.3.) ebenso wie Vermögende, die vom kräftigen Anstieg der
Aktienkurse und Immobilienpreise begünstigt sind. Zur zweiten Gruppe zählen hingegen (Langzeit-)
Arbeitslose, prekär Beschäftigte, kleine Selbständige und Kinder aus bildungsfernen Haushalten, deren
wirtschaftliche und soziale Lage sich massiv verschlechtert hat. Die Covid-19-Krise droht auch
langfristig zu einem Anstieg der Armutsgefährdung in einer reichen Gesellschaft zu führen. Die Politik
verfügt über die Mittel, um dies zu verhindern.

Besonders aufschlussreich ist die Entwicklung der Finanzierungssalden der Sektoren in der Covid-
19-Krise. Der Finanzierungssaldo der Kapitalgesellschaften hat sich trotz Wirtschaftseinbruch gedreht,
von -0,4 % des BIP auf +4 % 2020 und 2021. Dies ist vor allem Ergebnis der viele Milliarden schweren
staatlichen Subventionen und Steuernachlässen sowie der Verschiebung kreditfinanzierter
Investitionen. Auch der Saldo der privaten Haushalte hat sich merklich erhöht, von gut 2 % des BIP auf
6 % bzw 4 %. Dieser merkliche Anstieg der Sparquote der privaten Haushalte ist primär das Resultat
zurückgehaltener Konsumnachfrage durch die Verringerung des vorhandenen Güter- und
Dienstleistungsangebots infolge des Lockdowns, die nach Öffnung der Geschäfte nur schrittweise
kompensiert wurde. Auch Vorsichtssparen dürfte angesichts des zunächst dramatischen Anstiegs der
Arbeitslosigkeit relevant gewesen sein. Der Finanzierungssaldo des Auslandes hat sich leicht
verbessert. Der starke Anstieg des Finanzierungsüberschusses der Unternehmen und der privaten
Haushalte spiegelt sich in einem eklatanten Anstieg des Finanzierungsdefizits des Staates, das von
einem Überschuss in Richtung eines Defizits von mehr als 6 % des BIP drehte. Das hat einen noch viel
tieferen Einbruch der Wirtschaftsleistung verhindert. Gleichzeitig macht es den Weg zu einer
automatischen Verringerung des Budgetdefizits deutlich. Ein Aufschwung, der von kreditfinanzierten
Investitionen der Unternehmen und vom Abbau der Sparquoten alimentierter Konsumnachfrage der
privaten Haushalte angetrieben wird, resultiert in einer zügigen Verbesserung des staatlichen
Finanzierungssaldos. Würden hingegen aktiv Staatsausgaben gekürzt, so könnte das in weiterer Folge
Konsumnachfrage und Investitionstätigkeit bremsen und auch fiskalpolitisch kontraproduktiv wirken.
Dies gilt ebenso, wenn den hochverschuldeten EU-Ländern Austeritätspolitik aufgezwungen würde.

                                                                                                      7
2.2 Wohlstandsorientierung der Budget- und Wirtschaftspolitik
Zwar erleben wir derzeit einen kräftigen Wirtschaftsaufschwung, doch gerade mit Blick auf die sozialen
und wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Krise ist es wichtig, nicht nur auf die Entwicklung des BIP zu
schauen. Denn diese – in der wirtschaftspolitischen Debatte immer noch dominante – Kennzahl hat nur
eine beschränkte Aussagekraft. Wichtige Aspekte für ein gutes Leben, wie Gesundheit, Bildung,
Gleichstellung, Verteilungsgerechtigkeit oder ökologische Nachhaltigkeit, werden nicht abgebildet. Und
Wirtschaftswachstum allein bedeutet nicht, dass der Aufschwung auch bei allen ankommt. Wir
beurteilen die Wirtschafts- und Budgetpolitik daher vor allem vor dem Hintergrund ihrer
Wohlstandsorientierung (vgl. hierzu und im Folgenden Schultheiß et al. 2021).

Abbildung 3: Nachhaltige Entwicklung von Wohlstand & Wohlergehen1 in Österreich

         Quelle: AK Wohlstandsbericht 2021 (Schultheiß et al. 2021)

Auch wenn die budgetären Maßnahmen in der Covid-19-Pandemie wohlstandssichernd waren, führte
die Sozial- und Wirtschaftskrise im vergangenen Jahr zu deutlichen Rückschritten von Wohlstand
und Wohlergehen in Österreich. Die diesjährige Bewertung im Rahmen des AK-Wohlstandsberichts fällt
etwas positiver aus, jedoch wird das Niveau von vor der Pandemie noch nicht wieder erreicht.
Bei den Zielen „Fair verteilter materieller Wohlstand“ und „Ökonomische Stabilität“ ergibt sich weder ein
Fort- noch ein Rückschritt. Im Gegensatz zum Vorjahr erzielen zumindest zwei Ziele einen leichten
Fortschritt: „Lebensqualität“ und „Intakte Umwelt“. Das Ziel „Vollbeschäftigung und gute Arbeit“
schneidet zwar besser ab als im Vorjahr, befindet sich aber immer noch im negativen Bereich. Im
Beobachtungszeitraum 2017 bis 2022 werden zehn der 30 Teilziele des Wohlstandsberichts 2021
positiv bewertet; der kurzfristige Ausblick 2021/22 ist nur bei fünf Teilzielen positiv.

Eine strategisch am nachhaltigen Wohlstand ausgerichtete Budget- und Wirtschaftspolitik könnte
in allen Bereichen wesentlich zu einer besseren Zielerreichung beitragen. Sie muss sich insbesondere
an folgenden Schwerpunkten orientieren: aktive Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik,
1
    Die Grafik zeigt die fünf Ziele des magischen Vielecks einer wohlstandsorientierten Wirtschaftspolitik und ihre Bewertung im
    AK-Wohlstandsbericht 2021. Dazu werden die Bewertungen der jeweils sechs Teilziele der einzelnen Ziele addiert und die
    Summe durch sechs geteilt. Das Bewertungssystem reicht von -2 (starke Abweichung vom Zielwert und negativer Trend) bis
    +2 (Ziel klar erreicht). Negative Werte zeigen Rückschritte, positive Werte Fortschritte an.

                                                                                                                              8
ambitionierte öffentliche Investitionen in Klimaschutz und Daseinsvorsorge, Verteilungs-
gerechtigkeit und wohlstandsorientierte Institutionen. All das erfordert auch die entsprechenden
Budgetmittel, um gesellschaftlichen Fortschritt zu beschleunigen; Und mit einer stärkeren Beteiligung
von Vermögenden auch einen Ansatzpunkt für ihre teilweise Finanzierung.

Zwar hat sich die Situation am Arbeitsmarkt deutlich entschärft, aber strukturelle Probleme, die es
bereits vor der Pandemie gab, haben sich verfestigt. Die Zahl der Langzeitbeschäftigungslosen ist
angestiegen und prekäre Beschäftigungs- und Lebensverhältnisse stehen dem Wohlstand und
Wohlergehen der Menschen entgegen. Eine aktive Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik mit
Fokus auf Gleichstellungsaspekte ist weiterhin dringend erforderlich. Diese muss mit einer gezielten
Armutsbekämpfungspolitik Hand in Hand gehen, denn Langzeitbeschäftigungslosigkeit erhöht das
Armutsrisiko deutlich. Eine aktive Beschäftigungspolitik kann den Wohlstand doppelt steigern: für jene
Menschen, die wieder eine Beschäftigung finden und durch die Schaffung von Arbeitsplätzen – etwa im
Rahmen einer Jobgarantie –, deren Fokus auf der Erhöhung des gesellschaftlichen Wohlstands liegt,
etwa in der Kinderbetreuung oder der Langzeitpflege und Betreuung.

Damit der Konjunkturaufschwung möglichst vielen zugutekommt, müssen innovative Formen von
Arbeitszeitverkürzung nun ernsthaft diskutiert und umgesetzt werden. In Frage kommen etwa eine
leichtere Erreichbarkeit der sechsten Urlaubswoche, Anspruch auf eine Vier-Tage-Woche (bei
Beibehaltung des Acht-Stunden-Tags), eine Anpassung des bestehenden Solidaritätsprämienmodells
(Allinger 2021), Umwandlung von Jubiläumsgeldern in Zeitguthaben oder die Freizeitoption in
Kollektivverträgen. So könnte materieller Wohlstand vermehrt in Zeitwohlstand umgesetzt und bezahlte
Arbeit gerechter verteilt werden. Zudem sind neue Arbeitsorganisationsmodelle unabdingbar, um die
Herausforderungen des Strukturwandels zu bewältigen und Beschäftigung zu sichern. Die
Bundesregierung ist hier gefordert, im eigenen Wirkungsbereich Initiativen zu setzen.

Ein Ausbau der sozialen Infrastruktur – z. B. Pflege, Gesundheit, Bildung Soziale Dienste – kann
wichtige gesellschaftliche Bedarfe decken und damit Wohlstand und Wohlergehen direkt erhöhen.
Zudem sind soziale Dienstleistungen sehr beschäftigungsintensiv bei gleichzeitig sehr niedrigem
Ressourcen- und Energieverbrauch, zusätzliche Ausgaben in diesem Bereich können die
Arbeitslosigkeit markant senken und sind mit den Zielen des sozial-ökologischen Umbaus der Wirtschaft
vereinbar. Außerdem ermöglichen soziale Dienstleistungen eine Reduktion der unbezahlten Arbeit und
wirken somit positiv auf die Geschlechtergerechtigkeit. Positive Effekte auf die Umwelt ergeben sich
etwa durch kurze Wege bei einer flächendeckend verfügbaren und leistbaren sozialen Infrastruktur.

Ein weiterer Schwerpunkt einer wohlstandsorientierten Budget- und Wirtschaftspolitik muss auf
öffentlichen Investitionen in Klimaschutz und zentrale Bereiche der Daseinsvorsorge – also
Wohnen, Gesundheit und Pflege, Aus- und Weiterbildung und Kinderbetreuung, öffentlicher Verkehr
und aktive Mobilität – liegen. Die Systemrelevanz dieser Bereiche wurde in der Covid-19-Krise
offensichtlich, aber auch abseits von Krisen tragen sie wesentlich zur Lebensqualität sowie zur
Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen und regionaler Wertschöpfung bei.

Progressive Abgaben auf Vermögen und Erbschaften, Spitzeneinkommen und Dividenden
können das demokratiepolitische, soziale und wirtschaftliche Risiko der enormen Vermögens-
konzentration entschärfen. Und geringe Steuern auf Millionenvermögen würden zu Einnahmen in
Milliardenhöhe führen, die notwendig sind, um soziale Leistungen nachhaltig zu finanzieren und
qualitativ auszubauen.

Insgesamt werden der Budgetvoranschlag 2022 und der Bundesfinanzrahmen 2022 bis 2025 den
Anforderungen einer wohlstandsorientierten Budget- und Wirtschaftspolitik nicht gerecht. Zwar
wird das Rekorddefizit des letzten Jahres nicht vorgeschoben, um einen Abbau sozialstaatlicher
Leistungen zu legitimieren; Gleichzeitig wird aber auch nur unzureichend die Chance ergriffen, wohl-
standsfördernde Leistungen des Sozialstaates (Kinderbetreuung, Pflegereform, Chancenindex Schulen
etc.) stärker auszubauen und die durch die Pandemie verstärkten sozialen und psychologischen

                                                                                                    9
Probleme energisch zu bekämpfen. Die für das Wohlergehen vor Ort so wichtigen Städte und
Gemeinden werden nicht nur nicht zusätzlich unterstützt, sondern mit der Steuerreform geschwächt,
auch weil der Wiedereinstieg in eine direkte Besteuerung von großen Vermögen unterlassen wurde.

Im Budgetvoranschlag für das Jahr 2021 wurden bei den Wirkungszielen erstmals Angaben gemacht,
welche Sustainable Development Goals (SDGs) mit dem jeweiligen Wirkungsziel unterstützt werden
sollen (Budgetdienst 2020: 16). Dieser Bezug, der sich auch im Budgetvoranschlag 2022 wieder findet,
wird aus der wohlstandsorientierten Perspektive grundsätzlich begrüßt. Es handelt sich um einen guten
Schritt in Richtung einer nachhaltigen Verankerung der Wohlstandsorientierung, jedoch ist dieser zum
jetzigen Stand nicht ausreichend. So weist etwa der Budgetdienst mit Blick auf die Verankerung der
SDGs darauf hin, dass eine „Ex-ante-Perspektive“ die Wirkungsorientierung „komplementieren“ könnte
(Budgetdienst 2020: 148). Ähnlich wie beim Gender Budgeting fehlt es an einer Zuordnung von
konkreten Budgetmitteln zu den einzelnen Zielen und Maßnahmen, um diese zu erreichen. Zudem
sollten die SDGs selbst stärker Ziele der Budgetpolitik sein – und nicht nur bei bereits vorhandenen
Wirkungszielen der Bezug zu den jeweiligen SDGs genannt werden. Außerdem wäre eine tiefergehende
Analyse darüber, welche SDGs nicht mit dem Budget adressiert werden und welche Wirkungsziele und
Maßnahmen im Budget ggf den SDGs entgegenstehen, erforderlich. Nur so könnte die Verknüpfung
der SDGs mit dem Budget tatsächlich steuerungsrelevant und Grundlage für budgetpolitische
Entscheidungen werden.

                                                                                                   10
3. GESAMTSTAATLICHE ASPEKTE

3.1. Ist der Budgetpfad angemessen?
Die Angemessenheit des Budgetpfades beurteilen wir unter Berücksichtigung der – vor allem
konjunkturellen – Ausgangslage anhand von zwei Kriterien (Brait et al. 2018: 11f.): Gewährleistet er
eine stabile Staatstätigkeit, also die langfristigen Finanzierungs- wie auch die Handlungs-
möglichkeiten? Ermöglicht er eine ausgewogene Wirtschaftspolitik (Abschnitt 2), die auf die
nachhaltige Entwicklung von Wohlstand und Wohlergehen abzielt?

Abbildung 4: Maastricht-Saldo und struktureller Budgetsaldo

gesamtstaatliche Eckwerte, in % d. BIP         2019    2020    2021     2022    2023    2024    2025
Maastricht-Saldo                                 0,6    -8,3    -6,0     -2,3    -1,4    -0,7     -0,4
Struktureller Budgetsaldo BMF                   -0,6    -5,1     -4,4    -2,5    -1,5    -0,8     -0,4
Struktureller Budgetsaldo IWF (Okt.)            -1,2    -6,2    -4,8     -2,7    -1,6    -0,7     -1,0
  Quelle: BMF.

Nach einem gesamtstaatlichen Budgetüberschuss am Ende des Konjunkturzyklus 2019 folgte ein Jahr
der Rekorde: höchste Neuverschuldung, stärkste Verschlechterung des Budgetsaldos und größter
diskretionärer Impuls in der 2. Republik. Mit der drastischen Verschlechterung des Budgetsaldos und
dem entsprechenden Anstieg der Staatsschulden stabilisierte der öffentliche Sektor die wirtschaft-
liche und soziale Lage und diente der Sicherung des Wohlstands der Menschen. Das war
angemessen, ein fokussierter budgetärer Impuls für die durch die Pandemie-Folgen besonders
belasteten Gruppen, vor allem die Arbeitslosen, hätte sogar noch stärker ausfallen sollen. Gleichzeitig
kam es jedoch zu Überförderung mancher Unternehmen. Ein wesentlicher Teil der Reaktion des
Budgetsaldos resultiert aus der Wirksamkeit der sogenannten automatischen Stabilisatoren, also
Budgeteffekten, die ohne gesetzliche Anpassungen entstehen, sondern nur infolge des massiven
Einbruchs von Produktion, Beschäftigung und Einkommen. Durch diesen Einbruch gingen die
öffentlichen Einnahmen markant zurück und stiegen die öffentlichen Ausgaben besonders für das
Arbeitslosengeld.

Durch den nun unerwartet kräftigen Aufschwung kehren sich diese Budgeteffekte um, sodass sich der
Budgetpfad gegenüber dem Vorjahr insgesamt verbessert, obwohl die aktiv gesetzten Maßnahmen
der Bundesregierung defizittreibend wirken. Besonders bedeutsam ist die rasche Erholung am
Arbeitsmarkt, da die Löhne und Gehälter die Hauptquelle für die öffentlichen Steuern und Sozialbeiträge
sind. Zudem wirkt sich die etwas stärkere Inflation bei gleichzeitig anhaltend niedrigen Zinssätzen
günstig aus. Diese Entwicklung bestätigt unsere Einschätzung aus dem Vorjahr, dass für die
Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen kurz- und mittelfristig keine Gefahr bestand, auch aufgrund der seit
2011 sukzessive erarbeiteten Spielräume (vgl. Marterbauer/Feigl 2020).

Um die allgemeine Budgetlage besser bewerten zu können, wurde im letzten Jahrzehnt verstärkt auf
den strukturellen Budgetsaldo gesetzt. Dabei wird das Maastricht-Defizit um den geschätzten Einfluss
der Konjunktur sowie um Einmalmaßnahmen korrigiert. Der aktuelle Pfad des strukturellen Defizits
offenbart allerdings viele praktische Probleme, die das allenfalls theoretisch überzeugende Konzept
dieser Defizitberechnung mit sich bringt. Erstens werden Einmalmaßnahmen nicht ausreichend
berücksichtigt, obwohl Teile des Konjunkturpaketes und des Covid-19-Fonds offensichtlich solche
darstellen. Zweitens und schwerwiegender ist seine Anfälligkeit für konjunkturbedingte Revisionen, die
die Bereinigung ad absurdum führt: Obwohl der Maastricht-Saldo 2019 gegenüber den
Budgetunterlagen vom März nicht revidiert wurde, drehte das strukturelle Defizit ex post von +0,2 % auf

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-0,6 % des BIP, einzig und allein durch den damals noch nicht berücksichtigten massiven
Konjunktureinbruch durch die Pandemie. Damals hätte das massive Auswirkungen auf die Budgetpolitik
haben können – aktuell ist die Gefahr zumindest punkto europäischen Fiskalregeln gering, weil die
prozyklische Verzerrung nun im Aufschwung zusätzlichen Spielraum bringt. Für andere Mitgliedstaaten
gilt das jedoch nur eingeschränkt, sodass für sie erneuter Kürzungszwang droht – mit entsprechenden
negativen Folgen nicht nur für das jeweilige Land, sondern die europäische Wirtschaft insgesamt.

Eine rasche Änderung der europäischen wie nationalen Budgetregeln ist jedenfalls wichtig, da
Budgetpolitik Spielraum braucht, um nicht nur der Herausforderung finanzieller Nachhaltigkeit gerecht
zu werden. Das gilt insbesondere für Investitionen, die bei Budgetdruck als erstes verschoben oder
gestrichen werden, obwohl sie für eine nachhaltige Entwicklung von Wohlstand und Wohlergehen
besonders relevant sind. Auf europäischer Ebene wurde nun am 19. Oktober 2021 der bereits vor der
Pandemie gestartete Reformprozess wiederaufgenommen. Er sollte dazu genutzt werden, die
Budgetregeln bestenfalls „durch einen – nur indikativen, dafür umso klareren – Richtwert für die
strukturelle Einnahmen- und Ausgabenentwicklung“ (AK Europa 2020) zu ersetzen. Zumindest sollte
eine „goldene Investitionsregel“ (Truger 2015) eingeführt, die prozyklische Verzerrung beseitigt
(Heimberger 2021) und bisherige Flexibilisierungselemente großzügiger angewandt werden (Truger
2020, Álvarez et al. 2019), damit der Schuldenabbau nicht zu Lasten anderer wichtiger Ziele wie
Vollbeschäftigung oder Klimaschutz geht.

3.2. Ausreichender Vermögenszuwachs, beherrschbarer Schuldenstand?
Die fachspezifische wie die öffentliche Debatte um Staatsverschuldung blendet das öffentliche
Vermögen weitgehend aus. Obwohl die Vermögensrechnung für den Bund 2013 eingeführt wurde,
werden deren Ergebnisse nur für die Vergangenheit im Rechnungsabschluss dargestellt, finden jedoch
keinen Eingang in die Budgetplanung. Dabei ist die Relevanz des öffentlichen Vermögens für den
Wohlstand der aktuellen und künftigen Generationen – zumindest in Zeiten niedriger Zinsen und
fehlender Liquiditätsprobleme – sehr viel größer als jene des Bruttoschuldenstandes. Nicht einmal die
Finanzvermögen des Bundes finden Berücksichtigung. Immerhin ist heuer erstmals im
Beteiligungsbericht auch die Bilanzsumme der darin enthaltenen Gesellschaften veröffentlicht, die
indirekt für das Anlagevermögen des Bundes relevant – und mit 315,5 Mrd Euro (exklusive OeNB
immerhin noch 87,1 Mrd Euro) beträchtlich – ist.

Um ein umfassenderes Bild zu erlangen, ist man auf weitere Quellen angewiesen. Der Internationale
Währungsfonds (IWF) berechnet und prognostiziert zumindest eine Nettofinanzschuldenquote
(Schulden abzüglich Finanzvermögen). Statistik Austria liefert zusätzliche Informationen, die eine
Berechnung der Staatsvermögensquote – also Anlage- und Finanzvermögen – erlauben (Details siehe
Feigl 2017). Auch wenn diese noch nicht mit derselben Präzision angegeben werden kann wie die
Staatsschuldenquote, ermöglicht sie doch einen Eindruck von der Relevanz des öffentlichen
Vermögens auch in quantitativer Hinsicht.

Fortschritte bei der Vermögenserfassung brachte die Umsetzung der Haushaltsrechtsreform in
Ländern und Gemeinden, wenngleich der Gestaltungsspielraum bei der Anwendung einen direkten
Vergleich der Länder- und Gemeindebilanzen nur bedingt zulässt. Erste Ergebnisse deuten darauf hin,
dass das ausgewiesene öffentliche Nettovermögen der Länder und Gemeinden beträchtlich ist (und
zwischen Einheiten der jeweiligen Ebene bedeutende Unterschiede bestehen), aber nicht groß genug,
um das Minus des Bundes auszugleichen. Dieses Ergebnis steht im Widerspruch zu den gesamtstaat-
lichen Daten der Statistik Austria, die ein eindeutig positives und wesentliches Nettovermögen ergeben.
Der Unterschied dürfte nicht nur auf konservativere Bewertungsmethoden im Haushaltsrecht
zurückzuführen sein, sondern auch auf eine massive Untererfassung des Vermögens in den Bilanzen
der Gebietskörperschaften. So hält etwa die Gemeinde Wien in den Ausführungen zur Eröffnungsbilanz

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