WOVON LEBE ICH? WOFÜR STEHE ICH? WIE ARBEITE ICH? - Magazin für Journalistinnen und Journalisten
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#02/2020 EURO 14,– Magazin für Journalistinnen und Journalisten EURO 14,– · Postfach 1152, 83381 Freilassing · ISSN 0178-8558 · Y9072 E | Foto: Unsplash/Claudio Schwarz @purzlbaum Journalismus in Zeiten von Corona WOVON LEBE ICH? WOFÜR STEHE ICH? WIE ARBEITE ICH?
Editorial Gemeinsam über die Grenzen gewinnbringend. Und hat Spaß gemacht – keine Selbst- Mobile Teamarbeit ist das Gebot der verständlichkeit in diesen Zeiten. „Gemeinsam schaffen Stunde. Überall. Auch bei uns: eine #02/2020 CHF 15.– wir es“ – der Schlachtruf dieser Zeit – könnte auch als deutschsprachige Koproduktion in Motto über dieser Ausgabe stehen. außergewöhnlichen Zeiten. CHF 15.00 | Postfach 1152, D-83381 Freilassing | ISSN 0178-8558 | Y9072 E | Foto: unsplash/Claudio Schwarz Purzlbaum Das Ergebnis sehen Sie nun vor sich: eine außerge- wöhnliche Ausgabe für außergewöhnliche Zeiten. Journalismus in Zeiten von Corona Gegliedert in existenzielle Fragen, die den Journalismus WOVON LEBE ICH? WOFÜR STEHE ICH? Covid-19 ist mit Brachialgewalt in unser aller Leben weit über diese Krise prägen werden. Wir haben den WIE ARBEITE ICH? getreten. Bringt Superlative, die nicht enden wollen: Blick bewusst nach vorne gerichtet, wollten die Mög- das bedrohlichste Virus seit der Spanischen Grippe lichkeiten und Chancen ausloten, die diese Zeit uns 1918, der längste Lockdown in der Geschichte des eben auch bietet, haben dazu viele Gespräche in #02/2020 EURO 14,– Landes, die größte Wirtschaftskrise seit Kriegsende … Deutschland, Österreich und der Schweiz geführt, P.b.b. Verlagspostamt 5301 Salzburg-Eugendorf, Aufgabepostamt 5411 Oberalm · GZ 06 Z036771 P · Envoi à taxe réduite | FOTO: unsplash/Claudio Schwarz Purzlbaum Tsunamigleich rollt eine Krise von epischem Ausmaß Übersichten, handfeste Tipps und Einsichten gesam- über uns hinweg, grenzenlos in ihren Auswirkungen – melt. „Die positive Botschaft aus dieser Krise ist doch: gesellschaftlich, wirtschaftlich, kulturell. Gleichzeitig Unser Job ist systemrelevant, Journalisten werden Journalismus in Zeiten von Corona WOVON LEBE ICH? werden überall die realen Grenzen geschlossen. Als gebraucht“, sagt beispielsweise Tanit Koch, deren WOFÜR STEHE ICH? WIE ARBEITE ICH? ob das Virus ausgesperrt werden kann. Es bleibt un- Wachstumsstrategie bei RTL/NTV zurzeit geradezu sichtbar. Nicht fassbar. Selbst nicht von den Experten. beflügelt wird (Seite 64). Noch nicht. Bis ein Gegenmittel gefunden ist, steht „Jetzt ist die Stunde des guten Journalismus“, sagt unser aller bisheriges Leben und Arbeit auf dem Kopf. auch Ranga Yogeshwar zu Recht: Er sieht – neben Magazin für Journalistinnen und Journalisten #02/2020 EURO 14,– Oder still. Aufträge und Anzeigen sind in Lichtge- berechtigter Kritik an journalistischen Versäumnissen EURO 14,– · Postfach 1152, 83381 Freilassing · ISSN 0178-8558 · Y9072 E | Foto: unsplash/Claudio Schwarz Purzlbaum schwindigkeit weggebrochen, Sparmaßnahmen sind – auch eine auffallend positive Entwicklung gerade im in vielen Medienhäusern angesetzt – die gleichzeitig Fernsehen, bei den Talkshows: „Gerade entwickelt Rekordzuwächse an digitalen Zugriffen und Abos ver- sich eine Kultur des Zuhörens und ich hoffe, dass das Journalismus in Zeiten von Corona WOVON LEBE ICH? melden. Das alte werbefinanzierte Geschäftsmodell auch nach der Pandemie weitergeht“(Seite 40). WOFÜR STEHE ICH? WIE ARBEITE ICH? entpuppt sich als noch fragiler als von Vordenkern Mit bemerkenswerter Deutlichkeit kritisiert wieder- prognostiziert, während Qualitätsjournalismus auf um Verleger Robert Dunkmann, Chef der Zeitungs- EIN HEFT – allen Kanälen schon lange nicht mehr so gefragt war gruppe Ostfriesland und des Verbandes der Lokalpres- DREI COVER. wie in diesen Wochen. Eine schizophrene Situation. se, Versäumnisse und mangelnden Mut von Kollegen Mit einer gemein- Und nun? in der Branche: „Ein möglichst großes Ziel erreichen samen Ausgabe Das haben wir uns auch gefragt. Natürlich ist auch zu wollen, ist doch das Gebot der Stunde. Und wenn möchten die drei Redaktionen in ein Medienfachverlag, der Medienmagazine für wir unseren Lesern etwas bieten wollen, geht das nicht Deutschland, Deutschland, Österreich und die Schweiz verlegt, auf Sparflamme“ (Seite 56). Österreich und der betroffen. Unsere Heftpläne wurden plötzlich Maku- Und wir haben gleichlautend und grenzüberschrei- Schweiz ein Zeichen latur, ungewiss die Finanzierung der nächsten Aus- tend Kolleginnen und Kollegen aus allen Mediengat- setzen, dass wir auch in der Krise über gaben. Wir beschlossen, aus der Not eine Tugend zu tungen, Hierarchien und Altersgruppen gefragt, wa- Grenzen hinweg machen – wie so viele von Ihnen es auch tun. rum Journalismus ihr Traumberuf war und wie sie nun denken und handeln Während europäische Grenzen wieder geschlossen dessen Zukunft sehen: 66 bemerkenswerte Antworten können. sind, haben wir Chefredakteure von „Österreichischer (Seite 18 und auch auf mediummagazin.de). Journalist“, „Schweizer Journalist“ und „medium ma- Diese Ausgabe war europäische Teamarbeit mit allen gazin“ grenzüberschreitend zusammengearbeitet. Kol- Beteiligten in den Redaktionen und dem Verlag. „Ein lege Georg Taitl hat – wie bei einer Segeltour auf Signal“, nennt es Johann Oberauer, dem deshalb hier stürmischer See – das Produktionssteuer in der Ver- das Schlusswort gehören soll: „Als Verleger und Her- lagszentrale Salzburg übernommen. Die jeweils landes- ausgeber bin ich stolz und dankbar für dieses Team, typischen Eigenheiten, blattmacherischen Vorlieben das Ihnen nun ein gemeinsames journalistisches Werk und sprachlichen Unterschiede zusammenzubringen, vorlegt, das für uns alle wichtige Fragen beantwortet – war spannend. „Zwischen ,passt scho‘, forschen For- auch ein Zeitdokument, wie ich meine.“ derungen und leicht genervter versuchter Zurückhal- tung muss man sich erst finden“, sagt mein Schweizer Annette Milz, Chefredakteurin des „medium magazins“ Kollege David Sieber treffend. Es war auf jeden Fall 3
Inhalt. #02/2020 IMPRESSUM medium magazin TITEL WAS BLEIBT Schweizer Journalist Der Österreichische Journalist Nr. 02/2020 VOM Chefredaktion D: Annette Milz (V.i.S.d.P., Frankfurt/Main) TRAUMBERUF? redaktion@mediummagazin.de Wie sieht die Bernerin Anna Miller ihre Zukunft CH: David Sieber als Journalistin? Und was hoffen Journalistinnen david.sieber@schweizer-journalist.ch und Journalisten in Deutschland, Österreich und A: Johann Oberauer, Georg Taitl georg.taitl@oberauer.com der Schweiz? Seite 18 Verlag und Medieninhaber Johann Oberauer GmbH Fliederweg 4, A-5301 Eugendorf Tel. +43 6225 2700-0 Fax +43 6225 2700-11 E-Mail: vertrieb@oberauer.com Handelsregister Salzburg HRB 8171 Geschäftsführer: Johann Oberauer Anzeigen- und Medienberatung Ruperta Oberauer Tel. +43 6225 2700-35 Margareta Uliarte Tel. +43 6225 2700-34 Korrektorat Christine Lieber WOFÜR STEHE ICH? WOVON LEBE ICH? Layout Martina Hutya, Sabrina Weindl, Katrin Hintereder, Gerald Neubacher 18 Der Traum von Journalismus. Wie geht 50 Die Krise nutzen. Noch ist kein Ende es nach der Corona-Krise weiter? der Krise in Sicht. Sieben Tipps, wie Sie Design 32 Regierungsfunk oder kritischer Ihrem Berufsleben trotzdem neue Errea Comunicación, Spanien Impulse verleihen. Journalismus? Wo steht ORF-Anchor Abo- und Vertriebshotline Armin Wolf? Alexander Graf, Florian Sturm Tel. +43 6225 2700 Georg Taitl 56 „Bin entsetzt über die Branche“. E-Mail: vertrieb@oberauer.com 36 „Journalismus bleibt gesellschafts- Lokalpresse-Präsident Robert Druck relevant“. Medienprofessor Otfried Dunkmann kann nicht verstehen, Druckerei Roser, Salzburg Jarren hält das Ende der klassischen dass Teile der Presse „sofort nach dem Zeitung für gekommen, nicht aber Staat schreien, sobald Probleme des Journalismus. auftauchen“. David Sieber Annette Milz FOTOS: KEYSTONE/CHRISTIAN BEUTLER, RTL, THOMAS RAMSTORFER 40 „Wir haben die Signale verschlafen“. 60 Erste Hilfe für Freie. Was bringen die Ranga Yogeshwar erklärt, was Journa- staatlichen Corona-Soforthilfen freien listen unbedingt wissen müssen. Journalisten wirklich? Ein Stimmungs- bild aus Deutschland, Österreich und Annette Milz der Schweiz. 46 Zwölf Lehren aus dem Drosten-Podcast. Alexander Graf Über die Grautöne im Wissenschafts- journalismus. Anne Haeming 8 #02/2020
Die Meldung Die „Journalisten-Werkstatt“ von Stephan Köhnlein ist für Abonnenten gratis in dieser Ausgabe enthalten. Nachbestellungen: shop.oberauer.com/werkstatt/journalisten-werkstatt TANIT KOCH, ARMIN WOLF, OTFRIED JARREN, RTL und NTV, erklärt, warum sie mehr Transparenz ORF-Anchor, fordert von Journalismus: Kommunikationswissenschaftler, sieht die und Verifikations-Fachleute in einem Medienhaus „Nicht beruhigen, sondern aufklären und Chance der Medien in einer Stärkung des für unverzichtbar hält. Seite 64 informieren.“ Seite 32 Gemeinschaftsgeistes. Seite 36 WIE ARBEITE ICH? W E R H AT D I E B E S T E N I D E E N ? RUBRIKEN 64 „Wir wollen wachsen“. Tanit Koch 80 Zehn kreative Ideen. Wie arbeiten 10 Kurz und bündig. Wenn eine über die Krisenarbeit und Wachs- Reporter im Lokalen, wenn alle zu Gesellschaftsjournalistin Sex hat, tumsstrategie bei RTL und NTV. Hause bleiben sollen und Distanz gehört das dann zur Arbeitszeit? Annette Milz geboten ist? Ein wichtiger Lesetipp in Corona- Senta Krasser, Inge Seibel Zeiten und warum die Pressefrei- 70 Auf Distanz zu mehr Lesernähe. heit in Gefahr ist. Der „Bote der Urschweiz“: Wie 84 Das Corona-Tagebuch. 98 Terminal. Wie tickt Judith arbeitet eine Regionalzeitung, Ein Rückblick in zehn Titeln. Wittwer, die neue Chefredakteurin wenn die Gesellschaft fast still- Köksal Baltaci der „Süddeutschen Zeitung“? steht? Antje Plaikner 88 „Das Leben ist kein Krankenhaus“. Psychoanalytiker und Kolumnist 72 Rückflug? Keine Option! Der Start Peter Schneider fürchtet, dass die als Auslandskorrespondentin in Branche nicht einmal aus der Kolumbien beginnt mit dem Corona-Krise die Lehren zieht, die Corona-Albtraum. Warum die sie längst hätte ziehen können. deutsche Journalistin trotzdem David Sieber nicht aufgibt. Antonia Schaefer 92 Und wie arbeiten Sie gerade? Zwei Krisen-Fragen an sechs 76 Zwischen Schnuller und Schreib- Medien-Start-ups. tisch. Alles easy im Homeoffice. Anne Haeming Oder doch nicht? Susanne Lang 94 Die Brutstätte. Eine Analyse der Medienarbeit zu Ischgl. Peter Plaikner 9
Kurz und bündig FREISCHREIBER „Durchbrechen Sie die vierte Wand!“ Mit Ihrer Kollegin Anja Reiter haben Sie Gilt das auch fürs Lokale? häuser zu mehr Solidarität mit Freien „7 + 1 Ideen für Social-Distancing-Journa- Der Clou ist, dass viele innovative Ideen auffordern. Was ist seither passiert? lismus – Recherchen in Zeiten von nicht viel kosten. Ein kollektives Tage- Wir haben Solidarität eingefordert. Und Corona“ aufgeschrieben. Wie haben Sie buch kann auch eine Lokalredaktion bekamen einen Auftragsstopp. Keine selbst dafür recherchiert? aufsetzen. Oder auch einen Personen- Pointe. Natürlich hat das Manifest zum Jakob Vicari: Wir haben uns umgeschaut, zähler für die Innenstadt bauen. Oder ein Schutz der Freien in Social Media mit der auf welche Ideen Reporterinnen jetzt lokales Umfrage-Skill für Sprachassisten- Corona-Krise nicht viel zu tun. Aber wir kommen. Anja hat vor allem gefragt, wie ten. Wenn Sie nicht wissen, wie es geht, sehen in der Krise, wie weit es mit der klassische journalistische Formate ist das kein Problem. Wir bringen es Solidarität mit Freien her ist. Viele anders entstehen. Ich beschäftige mich Ihnen in ein paar Tagen bei. öffentlich-rechtliche Sender verhalten seit einigen Jahren mit Sensorjournalis- sich vorbildlich. In den Verlagshäusern mus. Es ist per se schon remote, aus Sie geben auf freienbibel.de auch Tipps aber ist der Auftragsstopp massiv. Da einem Bienenstock am anderen Ende des für neue Geschäftsmodelle. Was würde spüren wir, wie es ist, allein zu sein. Landes zu berichten. sich jetzt lohnen? Angesichts der aktuellen Budget-Kür- Wie ergeht es Ihnen selbst in der Krise? Ihr wichtigster Tipp? zungen ein dringender Tipp für Freie: Aufträge brechen weg. An journalisti- Durchbrechen Sie die vierte Wand! Bitten Sucht euch eine Nische! Aber als Team, schen Experimenten und Innovationen, Sie die Menschen, Sie per Video in Ihre Gemeinschaft, Genossenschaft. Gold- unserem Geschäftsfeld, sparen die Häuser eigene Welt mitzunehmen. Und sehen Sie standard zurzeit dafür ist Riffreporter – zuerst. Mit meinem Start-up tactile.news die Technologie nicht als Hürde. Überle- übrigens auch als exzellente Quelle zur bieten wir jetzt Innovationsseminare per gen Sie, wie Technologie die Bericht- Corona-Krise. Und: Wenn Häuser wie Post an: Die Technik kommt als Päck- erstattung besser macht. Spiegel, Zeit und Gruner + Jahr Kurzarbeit chen, die Erklärung dann per Webinar. anmelden, wenn Zeitungen und Magazi- Wir bauen da gemeinsam neue journalis- ne dünner sind als mein Sommerhoodie, tische Empfangsgeräte, schräge Ideen auf dann entstehen Lücken – für Journalis- zehn Schreibtischen gleichzeitig. Mit mus, der tiefer geht. Der für seine tactile.news arbeiten wir an einem Leserinnen und Leser da ist, egal wie Werkzeug zum Dialog mit Leserinnen und viele Anzeigen da sind, weil er auf Lesern. Das wird großartig. Wie kann ich Mitgliedschaften basiert. Es ist egal, ob die Augen einer handverlesenen Commu- als Podcast, Youtube-Video oder nity für meine journalistische Arbeit Longform-Text. Aber geht raus mit eurer nutzen? Und wie kann ein echter, Idee, sobald sie mehr als eine Skizze ist. konstruktiver Dialog entstehen? Zum Glück werden wir dabei vom Prototype Alle Welt zoomt, skypt, teamt jetzt. Wie Fund gefördert, sonst müssten wir die wird es weitergehen nach der Krise? Arbeit am Tool auf Eis legen. Es gibt nur eine Sache, die schlimmer ist als dröge Powerpoint-Präsentationen: Ihr persönlicher Lesetipp in Corona- dröge Powerpoint-Präsentationen per Zeiten? Zoom. Als wir vor einem halben Jahr Wer kreative Workshops mag, sollte den versucht haben, eine Förderung für Remote-Sprint-Guide von Kreativitäts- innovative Remote-Bildung zu bekom- guru Jake Knapp lesen. Da gibt’s Ideen, men, sind wir noch abgeblitzt. Plötzlich wie man mit Teams, die um den Globus versteht jeder, warum das sinnvoll sein verteilt sind, kreativ wird. Außerdem könnte. Meine Hoffnung ist, wenn jetzt empfehle ich den brandneuen Dialog- Hinter dem Mundschutz steckt Jakob Vicari, alle die Technik zu Hause haben, lassen Journalismus-Newsletter von meinen Start-up-Unternehmer mit tactile.news rund um das Internet der Dinge und Vorstandsmit- sich auch Webinare leichter machen. Kollegen Bertram Weiß und Astrid FOTO: ASTRID CSURAJI glied der Freischreiber e. V., der Vereinigung Csuraji. Und natürlich den exzellenten freier Journalistinnen und Journalisten. Anfang März haben die Freischreiber im Wissenschaftsjournalismus der Die „7 + 1 Ideen“ und weitere Tipps für Freie finden Sie unter: https://tinyurl.com/ „medium magazin“ ein Manifest Riffreporter. Freienbibel-Ideen veröffentlicht, in dem sie die Medien- Annette Milz 12 #02/2020
Titel. Zukunft WAS BLEIBT VOM TRAUMBERUF? Warum machen Michael zige Form des Journalismus ist) durch die aktuelle Krise unter noch ärgeren wirt- Nikbakhsh Sie Journalismus? (49) schaftlichen Druck geraten ist als vordem, ist eine Ironie der Zeitgeschichte. Wie ist Ihre Lage? Wirtschaft Investiga- tion, „Profil“, Wien Wie die Zukunft Pascal Scheiber nach Corona? (21) 66 Journalistinnen Wir registrieren gerade ein gesteigertes Interesse an kritischem Journalismus. Das Live-Reporter bei Blick TV und und Journalisten ist die gute Nachricht. Die schlechte: Die Co-Präsident der Corona-Krise wird den Medienhäusern Jungen Journalisten geben Antwort. wirtschaftlich große Probleme bereiten. Schweiz, Zürich So oder so: Die Krise lehrt uns, dass guter Journalismus sich nicht darin erschöpft, Das ist der ultimativ spannendste Beruf! Ich Politikern das Mikrofon zu halten. möchte den Menschen zeigen, was in un- serem Land gerade passiert. Wer mit wel- chen Herausforderungen wie umgeht. Ich FOTOS: FRANZ NEUMAYR, VOLKER WEIHBOLD, IMRE ANTAL, ROLAND SCHMID, PULS 4, WOLF LUX, ECO MEDIA Andreas Koller bin oft unterwegs, so auch in Bergamo (Bild). (59) Die Recherchearbeit habe ich ins Homeof- fice verlegt. Wenn die großen Medienhäuser „Salzburger keinen Mut zur Innovation im Lokaljour- Nachrichten“, nalismus zeigen, dann wird es mehr Pro- Präsident des jekte wie „Tsüri“ oder „Bajour“ geben. Presseclubs Concordia Sabine Die Corona-Krise hat hoffentlich jeder- Dahinden mann vor Augen geführt, wie wichtig es ist, zwischen in jedem Sinn des Wortes (52) billigem 08/15-Content einerseits und re- Redakteurin/ cherchierendem Qualitätsjournalismus Moderatorin, andererseits zu unterscheiden. Fake News Schweizer Radio und in Zeiten einer Pandemie sind nicht bloß Fernsehen, Zürich ärgerlich, sie wirken als Pandemiebe- schleuniger und können Leben gefährden. Ich möchte dem Publikum in gepflegter Der gute alte klassische Journalismus hin- Sprache und spannender Manier Horizont- gegen analysiert und erklärt und ordnet erweiterung bieten. Die eine Woche bin ein und leistet so einen wesentlichen Bei- ich derzeit auf Reportage oder im Studio, trag zur Bewältigung der Krise – egal, über die andere zu Hause zu „zwangsfrei“ ver- welchen Vertriebsweg. Dass diese Form knurrt. Die Krise holt das Publikum zu uns des Journalismus (die in Wahrheit die ein- zurück. Nun sollten wir damit aufhören, 18 #02/2020
uns gegenseitig für veraltet zu erklären, Barbara Hans (39) wir sollten uns zitieren und respektieren. Chefredakteurin, „Der Spiegel“, seit Mitte Das Publikum zieht es auf die Plattformen, März in Quarantäne mit Kleinkind, leitet die über die wir schreiben und sprechen. Konferenzen vom Küchentisch aus Der Traum vom Journalismus: Fragen Nikolaus stellen, Menschen treffen, Informationen Frings sammeln, veröffentlichen. Journalismus im April 2020: Recherchen vom Schreibtisch (26) aus im Kinderzimmer, Podcast-Aufnahmen Lokalredakteur, im Kleiderschrank; die Produktion ist ins „Kronen Zeitung“, Homeoffice verlagert. Doch ist auch das St. Pölten gerade Luxus: einen Job zu haben, gesund zu sein. Wenn es gut läuft, wird etwas bleiben von der Demut dieser Tage: das Ich bin Journalist geworden, weil ich als große Glück eines fantastischen Teams; die interessierter Mensch kaum etwas span- Bereitschaft zu improvisieren; die Notwen- nender finde, als zu schreiben, was ist. Die digkeit, Routinen über Bord zu werfen; aktuelle Zwangsentschleunigung bietet der mehr Leser zu erreichen als je zuvor. Was Branche die Chance, den Fluch der Ge- ein Traum war, ist jetzt „systemrelevant“. schwindigkeit abzulegen und wieder mehr Es bedeutet: wenig Glitzer, viel Handwerk. Mut zum Hintergrund zu haben. Das ge- meinsame Erleben der Krise schweißt schließlich auch die Medien und ihre Nutzer Es gab keinen Masterplan in meinem Leben. Silvio Liechti zusammen. Letztere würden es uns danken. In den Journalismus bin ich reingerutscht. (40) Über Musik. Und Politik. Journalismus ist toll, um fremde Menschen kennenzuler- Leiter „Regionaljour- Benjamin nen. Journalisten müssen rausgehen, sich nal Graubünden“ von Rosch den Wind um die Nase wehen lassen. Ich Schweizer Radio und befürchte, dass viele im Homeoffice glau- Fernsehen, Chur (31) ben, sie könnten künftig nur am Schreib- Ressortleiter, „Schweiz tisch arbeiten. Meine Hoffnung: Wissen- am Wochenende“, schaftsjournalismus wird wichtiger. Weil mich interessiert, was die Welt bewegt Ausgabe Basel, und warum die Dinge so sind, wie sie sind. CH Media Ich arbeite zurzeit mehrheitlich im Home- Karin Zauner office. Und ich muss sagen, es klappt er- Ich wollte nicht Lehrer werden. Derzeit gilt (53) staunlich gut. Gegenwärtig zeigt sich, dass Kurzarbeit, aber bei vollem Lohn– was ich guter Journalismus gerade in diesen Zeiten ziemlich großzügig finde und bei der Kin- Redakteurin, sehr gefragt und ein echtes Bedürfnis ist. derbetreuung hilft. Der Journalismus wird „Salzburger Ich hoffe, dass der Journalismus gestärkt gestärkt aus der aktuellen Krise hervorge- Nachrichten“ aus der Krise gehen kann. hen, da bin ich überzeugt. Er wird noch hintergründiger, noch vielfältiger vermit- teln. Denn ändern werden sich vor allem Thomas die (verlegerischen) Rahmenbedingungen. Ich war sieben oder acht Jahre alt und habe Arnoldner eine Reportage über eine der ersten Jour- nalistinnen in New York, die über Football (51) Stephan berichtet hat, gesehen. Das hat mich in- stellvertretender Lamby spiriert. Zur Chance nach der Krise: Ein Chefredakteur der gewisser Innovationsschub in puncto Di- „OÖNachrichten“, (61) gitalisierung ist durch die Redaktionen Linz Dokufilmer, Gründer gegangen. Lehren: In der Krise kommt das Eco Media, dbate.de, besonders Gute oder das besonders Nega- Diese Krise führt den Menschen vor Augen, Journalist des Jahres tive in Menschen hervor. Man weiß mehr was ihnen wichtig ist. Ihre Familien, Freun- 2018 über die Mitarbeiter und wer die Zukunft de, Gesundheit, das Nahe, Vertraute – und tragen wird. damit auch die regionale Tageszeitung als 19
Beruf. Armin Wolf INTERVIEW: GEORG TAITL | FOTO: DIETER BORNEMANN Armin Wolf begab sich gemeinsam mit 70 ORF-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern in Isolation im Sendestudio. 14 Nächte schlief er in seinem Büro. Besonders vermisste der ORF-Anchor sein weiches Kissen von zu Hause. Sein Kollege Dieter Bornemann aus dem Wirtschaftsressort schoss das Foto. 32 #02/2020
„Nicht beruhigen, sondern aufklären und informieren“ anders aufgestellt. Ich glaube zum Beispiel Armin Wolf sieht in der Corona-Krise keine Änderung nicht, dass viele Privatsender eine eigene der Aufgabe von Journalisten. Kritisches Hinterfragen sei Wissenschaftsredaktion haben. Und in weiterhin essenziell. Im Tiroler Krisenmanagement ortet Krisenzeiten wenden sich Menschen ten- der ORF-Anchor ein „offensichtliches Chaos“. Und er denziell eher an Institutionen und Gesich- erklärt im Interview, was wichtiger ist als ein „People“- ter, die sie kennen und denen sie seit Lan- gem vertrauen. Unsere Quoten waren Ressort. jedenfalls unglaublich, die Hauptnach- richten um 19.30 Uhr hatten zeitweise 2,5 14 Tage waren Sie in Selbstisolation im Was macht die Isolation psychisch mit ei- Millionen Zuseher, die „ZIB 2“ fast jeden ORF-Sendezentrum am Wiener Künigl- nem? Tag mehr als eine Million, das wären auf berg. Wie haben Sie gearbeitet? Gab’s auch Das war okay, das Mühsamste war, dass die Größe Deutschlands umgerechnet 25 Freizeit? es praktisch keine Ruhepausen gab. beziehungsweise über 10 Millionen. Armin Wolf: Wir waren hier knapp 70 Men- schen aus allen senderelevanten Teilbe- Was haben Sie am meisten bereut, nicht Sie sind besonders für Ihre harten, kriti- reichen des ORF, vom Hauptkontrollraum in die Isolation mitgenommen zu haben? schen Interviews bekannt. Ist jetzt Zeit für bis zu CvDs und Moderatorinnen und Mo- Einen ordentlichen Kopfpolster (Anm.: Kritik? deratoren. Der Isolationsbereich wurde österr., Kissen). Der auf meinem Notbett In den ersten Tagen war das tatsächlich rund um Sendeleitung und Newsroom war gefühlt zu 150 Prozent aus Polyester schwierig. Da gab es so ein Gefühl des kol- abgesperrt, wir haben mehr oder weniger und dünn wie eine Tageszeitung. Meine lektiven Zusammenhaltens und Nicht- normal gearbeitet, aber mit dem Rest der Frau hat mir dann aber Polster von zu Hau- infragestellendürfens. Das habe ich sehr Redaktion im Homeoffice, in Außenstudios se geschickt, das war meine Rettung. stark nach meinem ersten Interview mit und im nicht abgesperrten Teil der Redak- Bildungsminister Heinz Faßmann zu den tionsräume im Stockwerk unter uns nur Das Ganze ist ja fast wie „Big Brother“ ge- Schulschließungen gemerkt. Ich habe da via Skype Kontakt gehabt. Das war schon wesen. War die Isolation nötig oder doch ein paar sehr naheliegende Nachfragen sehr strange. Ich bin ein sehr großer Fan eine riesige Marketingshow für den ORF? gestellt und es hat nicht nur der Minister von redaktionellem Journalismus, wo eine Die Isolation wäre sehr nötig gewesen, ungewöhnlich „angepatzt“ reagiert, son- Redaktion als Team gemeinsam Sendungen hätte es in diesen Wochen in der Redakti- dern ich habe auch eine Unzahl empörter diskutiert, plant und produziert. Das geht on mehrere Corona-Fälle gegeben und die E-Mails von Zuseherinnen und Zusehern derzeit durch die ganzen Sicherheitsmaß- Behörden möglicherweise den Newsroom nahmen nur sehr eingeschränkt. unter Quarantäne gestellt hätten. Das ist nicht passiert, aber das konnte vor drei Wo haben Sie geschlafen – in einem großen Wochen niemand wissen. „Ich werde dafür Schlafsaal? bezahlt, über Politik Wir haben in leer stehenden Büros ge- Von rechts war der ORF – wie auch ARD, schlafen, es gab Gemeinschaftsduschen ZDF und SRG – in der Vergangenheit stark zu berichten und für die etwa 50 Männer und Duschen in unter Beschuss. Gebührenfinanzierung sie kritisch zu Garderoben für die Frauen, einen Spei- wurde hinterfragt. ORF 1 sollte gar priva- hinterfragen, damit sesaal, einen Aufenthaltsraum und prak- tisiert werden. Das ist jetzt vom Tisch. tischerweise lag in der Sperrzone auch der Warum trauen in der Krise alle den Öffent- sich das Publikum kleine Fitnessraum und der Gymnastik- lich-Rechtlichen – ihre private Konkurrenz ein qualifiziertes raum des ORF-Zentrums sowie ein kleiner macht doch auch gute Information? eigenes Urteil bilden Innenhof, so dass man zumindest frische Ich finde sehr beachtlich, was die Kolle- Luft schnappen konnte. Freizeit gab’s aber ginnen und Kollegen von den Privatsen- kann.“ wenig, wir hatten jeden Tag zig Sendungen, dern machen, aber wir sind in der Infor- Armin Wolf die auch alle deutlich länger waren als mation – trotz aller Sparmaßnahmen der sonst. letzten Jahre – doch noch immer ganz 33
Beruf. Armin Wolf bekommen, wie ich in dieser Situation nur hinterfragen“ im Interview mit Ihnen Hatte Tilg Glück, nicht im Studio gewesen solche Fragen stellen könnte. Das ist in um? zu sein? Interviews mit Außenstellen sind den letzten Tagen wieder normaler gewor- Ich stelle Fragen, die Gäste antworten ja journalistisch schwieriger zu führen. den – und natürlich müssen Journalisten und wenn es notwendig ist, frage ich noch Ich glaube nicht, dass Herr Tilg mit dem und die Öffentlichkeit es kritisch hinter- mal nach. Aber für die Antworten sind die Interview Glück hatte. fragen, wenn die Politik – auch in einer Gäste zuständig und für das Urteil darüber Krise – derart massiv in unseren Alltag das Publikum. Halb Europa soll sich von Ischgl ausgehend und in unsere Grundrechte eingreift. infiziert haben. Wie schätzen Sie als ge- Welche Aufgabe hat Journalismus jetzt bürtiger Tiroler das Vorgehen der Behörden Ist der Eingriff in Grundrechte wegen der generell? ein? Corona-Krise anders zu bewerten als ein Keine andere als sonst: recherchieren, Dass da einiges schiefgelaufen ist, ist ja Eingriff wegen politischer Unruhen bei- nachfragen, berichten, einordnen, erklä- offensichtlich. Am 8. März, nach dem po- spielsweise? ren. sitiven Test des Kitzloch-Barkeepers, hat Ich bin kein Jurist, aber journalistisch die Landessanitätsdirektion erklärt: „Eine würde ich das wohl so sehen. Jedenfalls Sollen Journalisten in dieser Ausnahme- Übertragung des Coronavirus auf Gäste gab es in Österreich seit vielen Jahrzehn- situation nicht Menschen beruhigen, Zu- der Bar ist aus medizinischer Sicht eher ten keine politischen Unruhen, die derar- versicht verbreiten und den Zusammenhalt unwahrscheinlich.“ In einer Bar, in der tige Grundrechtseingriffe gerechtfertigt stärken? das Personal sich mit Trillerpfeifen den hätten. Und ich gehe davon aus, dass Op- Medien sollten Menschen auch in nor- Weg durch die Besuchermassen bahnen position, Medien, Gerichte und die Zivil- malen Zeiten nicht beunruhigen, sondern muss, weil die dort dermaßen aneinander gesellschaft sehr sensibel darauf achten bestmöglich aufklären und informieren. kleben. Das war wirklich atemberaubend. werden, dass diese Eingriffe nicht über die Oder in den Worten von Watergate-Le- Auch die völlig überstürzte „Evakuierung“ Epidemie hinaus andauern. gende Carl Bernstein: „The best obtainable aus St. Anton und den anderen Orten mit version of the truth“ – dafür sind wir zu- Hunderten Touristen, die dann in Inns- Wie definieren Sie Ihre persönliche Rolle ständig. Ich finde, das ist schon eine ziem- bruck in Hotels übernachtet haben, war als ORF-Anchor und Journalist in der Co- lich große Aufgabe. ein offensichtliches Chaos. Was da sonst rona-Krise? noch schiefgelaufen ist, wird wohl die Nicht anders als sonst. Ich werde dafür Kritik kommt in der Krise bei Zuseherin- Staatsanwaltschaft klären. bezahlt, über Politik zu berichten und sie nen und Lesern nicht gut an. Den Großteil kritisch zu hinterfragen, damit sich das stören Zusammenhalt-Parolen und reine Der „Spiegel“ und das ZDF beispielsweise Publikum ein qualifiziertes eigenes Urteil Regierungsinfos nicht. Wie kann Journa- machten vorbildliche Aufklärungsarbeit bilden kann. lismus trotzdem kritisch sein? zu Ischgl. In Österreich war es erstaunlich Man muss vielleicht bei manchen Fragen ruhig zur „Brutstätte“ Ischgl. War das Wie gehen Sie mit Aussagen von Bundes- mehr als sonst miterklären, warum man Schockstarre oder braucht es Medien aus kanzler Sebastian Kurz wie „Das begrün- das fragt. Aber Politik ist nie alternativlos dem Ausland, um die Missstände in Tirol de ich nicht“ und „Das sollte man nicht und in Demokratien muss immer öffent- aufzudecken? licher Diskurs möglich sein. Ich würde dazu die Berichterstattung im „Profil“, im „Standard“ oder im ORF emp- Im mittlerweile legendären Interview mit fehlen. Gerade die „ZIB 2“-Reporter Patrick dem Tiroler Gesundheitslandesrat Bern- Gruska und Martin Thür haben da hervor- „Die völlig hard Tilg zu Ischgl hatte ich den Eindruck, ragende Recherchen produziert. Nicht zu überstürzte Sie haben sich sehr zurückgenommen. vergessen der grandiose Film „Ausnah- Täusche ich mich? mezustand in Ischgl“, den Ed Moschitz für ,Evakuierung‘ aus Finden Sie? die ORF-Reportagereihe „Am Schauplatz“ St. Anton und den gedreht hat. anderen Orten mit Den Landesrat mit seiner stereotypen Ant- wort „Alles richtig gemacht“ hätten Sie Der ORF erlebt gerade seine Glanzstunde. Hunderten doch sonst in der Luft zerrissen … Noch nie war das Öffentlich-Rechtliche so Touristen war ein … Ich zerreiße nie Gäste in der Luft. Und wichtig. Warum werden gleichzeitig Mit- offensichtliches warum sollte man jemanden zerreißen arbeiter in Kurzarbeit geschickt? wollen, der sich gerade coram publico von Das müssen Sie die ORF-Geschäftsfüh- Chaos.“ selbst auflöst? rung fragen, ich bin hier Journalist, nicht Armin Wolf Personalchef. Sie waren knapp am Kopfschütteln. Rich- tig? Der Verband Österreichischer Privatsender Richtig. (VÖP) kritisiert die Kurzarbeit scharf. Der 34 #02/2020
ORF werde mit Gebühren finanziert und Ein erwarteter Gesamtumsatzverlust von kommen manche auf die Idee, dass Wis- brauche daher keine zusätzliche staatliche lediglich 5 Prozent sei zu verkraften, meint senschaft ein spannenderes und wichti- Förderung durch das Kurzarbeitsmodell. der VÖP … geres Ressort wäre als „People“ oder Wie sehen Sie das? … Ja, wenn der VÖP das sagt … Soweit „Klatsch & Tratsch“. Der Verband Österreichischer Privatsen- ich weiß, wird die Kurzarbeit nicht aus der kritisiert grundsätzlich alles, was der dem Vereinsbudget des VÖP finanziert, ORF macht. Das ist sein Daseinszweck. insofern verstehe ich ja die Debatte nicht Möglicherweise ist dem Verband noch nicht ganz. Aber wenn man sonst keine Sorgen aufgefallen, dass der ORF ein Viertel seines hat … Budgets aus Werbung lukrieren muss, die bei uns genauso zurückgeht wie überall Lassen Sie uns in die Zukunft blicken. Wie sonst. Aber ich habe auch Mails bekommen, wird sich der Journalismus – wie die Me- in denen Menschen unsere 14-tägige, nicht dien – nach der Corona-Krise ändern? sehr angenehme Newsroom-Isolation als Ich fürchte, die Krise wird verheerende „Ferienlager auf Gebührenkosten“ kriti- Spuren in den Bilanzen und Budgets der siert haben. In diesem Land neiden einem meisten Medienbetriebe hinterlassen, auf manche Leute sogar, wenn man im Büro die wohl mit harten Sparprogrammen re- eingesperrt wird. Warum dann nicht auch agiert wird. Das wird auch die Redaktionen GEORG TAITL die Kurzarbeit? Wobei: 98 Prozent der Re- treffen und das kann nicht gut für den ist Herausgeber des aktionen auf unsere Arbeit aus der Isola- Journalismus sein. Es war ja leider schon „Österreichischen Journalisten“. tion waren extrem positiv! In Summe si- vorher nicht so, dass die Redaktionen in georg.taitl@oberauer.com cher Tausende supernette Mails. Geld geschwommen wären. Aber vielleicht Voller Energie für AlpinSolar axpo.com/alpinsolar
Beruf. Freie Journalisten TEXT: ALEXANDER GRAF Erste Hilfe für Freie Was bringen die staatlichen Corona-Soforthilfen freien 9.000 Euro auf seinem Konto – die Unter- stützung für drei Monate. „Das beruhigt Journalisten wirklich? Ein vorläufiges Stimmungsbild aus mich wirklich, weil ich genau in diesem Deutschland, Österreich und der Schweiz. Zeitraum mit geringerem Einkommen rechne“, sagt der 34-Jährige aus Bonn. Anders als viele Freie leidet Przybilla nicht Es dauerte nicht lange, bis die Server auf- oder der Schweiz – überall sahen sich Freie darunter, dass plötzlich keine Veranstal- gaben. Zehntausende Menschen hatten die mit sinkenden Einkünften konfrontiert. tungen mehr stattfinden. Sein Geschäft Webpräsenz der Investitionsbank Berlin Und nicht immer wurde ihre spezifische liegt aus einem anderen Grund brach: „Re- an einem Freitag im März aufgerufen, an- Situation bei den staatlichen Corona-Hil- portagen aus dem Ausland und Stücke für getrieben von der Aussicht auf unkompli- fen ausreichend mitbedacht. das Reiseressort liegen in vielen Redakti- zierte und schnelle Hilfe. Das Land hatte onen derzeit komplett auf Eis“, sagt er. bis zu 5.000 Euro für Selbstständige ver- Deutschland Mehrmals im Jahr fliegt der USA-Exper- sprochen, die wegen der Corona-Krise Die Serverprobleme in Berlin sollten Start- te in die Vereinigten Staaten, um von dort unter heftigen Umsatzeinbußen litten. schwierigkeiten bleiben. Denn die Auszah- Geschichten für überregionale Zeitungen Doch die technische Infrastruktur war lung der Corona-Zuschüsse, die viele Bun- und Magazine mitzubringen. Von seinem dem Ansturm nicht gewachsen – den gan- desländer aus eigenen Mitteln aufgestellt jüngsten Trip kam er gerade Mitte März zen Tag über blieb die Seite unerreichbar. hatten, lief meist erstaunlich reibungslos zurück – nur um dann zu erfahren, dass Spätestens dieser Zusammenbruch ver- ab. Steve Przybilla kann das auch aus Nord- ein Großteil der zuvor verkauften Texte deutlichte, wie dringend die Lage gewor- rhein-Westfalen berichten. Drei Tage nach entweder geschoben oder komplett stor- den war. Ob in Deutschland, Österreich Antragstellung hatte der freie Journalist niert worden war. Seine derzeitigen Um- satzeinbrüche beziffert er auf „deutlich mehr als 50 Prozent“. Doch wie so vieles in der Corona-Krise bleibt auch das eine Momentaufnahme. Kurz vor Redaktionsschluss dieser Ausgabe haben fast alle Bundesländer ihre Soforthilfen komplett in das Bundespro- gramm überführt – das gewährt Selbst- ständigen allerdings nur noch Unterstüt- zung für laufende Betriebskosten. Für die meisten Freien also ein absolutes Aus- schlusskriterium. Die Konsequenz: Bei ei- ner andauernden Krise stünden sie nach derzeitigem Stand ohne passendes Hilfs- programm da. Zudem bleibt es eine Herausforderung, im föderalen Kriterien-Dschungel durch- zublicken. Ungenaue Formulierungen, Änderungen im Minutentakt und falsche Informationen sorgten vor allem vonseiten der Berufsverbände für deutliche Kritik. Unklar bleibt auch, in welchem Ausmaß später tatsächlich überprüft wird, ob die Auszahlung gerechtfertigt war. Österreich „Es ist zumindest eine erste Hilfe, die etwas Sicherheit verschafft“, sagt Sonja Bettel. DA WAR DIE WELT NOCH IN ORDNUNG: Im schnittigen E-Auto durch die USA – Steve Przybillas Road-Trip-Story ist geschrieben, der Auftraggeber Einmalig bis zu 1.000 Euro gab es in Ös- aber hat sie storniert. terreich zu Beginn der Corona-Krise für 60 #02/2020
Beruf. Freie Journalisten Selbstständige mit Umsatzeinbußen über zweite Phase des österreichischen Härte- fenden zum Teil leider noch überhaupt 50 Prozent. Bettel hat die Summe bean- fallfonds – und erneut sind freie Journa- nicht verstanden“, sagt Michael Moser von tragt, die Auszahlung ging schnell und listinnen und Journalisten antragsberech- der Mediengewerkschaft Syndicom. So reibungslos über die Bühne. „Prinzipiell tigt. Über einen Zeitraum von drei erhielten anfangs nur Personen ein Ent- bin ich sehr froh, dass auch wir Freiberuf- Monaten gibt es maximal 2.000 Euro mo- schädigungs-Taggeld, die direkt von den ler mitbedacht wurden“, sagt die 55-jäh- natlich als Zuschuss. Bettel wird wohl Corona-Regelungen betroffen waren – rige Wienerin, die auch im Vorstand des einen Antrag schreiben, je nachdem wie etwa, weil Veranstaltungen abgesagt oder Berufsverbands Freischreiber aktiv ist, sich ihre Situation entwickelt. „Das Schö- Geschäfte geschlossen wurden. Auch El- über die staatlichen Hilfsangebote. ne am Beruf ist leider gerade etwas ge- tern bekamen Geld, wenn wegen geschlos- Bettel arbeitet seit fast 20 Jahren als freie dämpft“, sagt sie. „Ich hoffe einfach, dass senen Kindertagesstätten eine „Unterbre- Journalistin für Print und Hörfunk. Man das alles nicht so lange dauert.“ chung der Erwerbstätigkeit“ nötig war. merkt ihr an, dass sie eigentlich nicht mehr Kleiner Haken dabei: Das galt nicht, „wenn viel aus der Ruhe bringen kann. Aber auch Schweiz die Arbeit auch von zu Hause möglich ist“. sie muss auf bereits eingeplantes Einkom- Martina Huber will sich nicht beklagen. So fielen die meisten freien Journalistinnen men verzichten: Sendungen werden ver- „Im Vergleich zu Kollegen, die über Sport- und Journalisten schlicht durchs Raster. schoben, Artikel verschwinden erst einmal oder Kulturtermine schreiben, bin ich Doch die Arbeit der Gewerkschaften und auf unabsehbare Zeit im Stehsatz – gezahlt privilegiert“, sagt die freie Wissenschafts- Berufsverbände zeigte Wirkung: Am wird dann natürlich erst bei Veröffentli- journalistin aus Olten im Kanton Solo- 16. April weitete der Bundesrat den Kreis chung. Die Spezialistin für Umwelt- und thurn. „Außerdem habe ich ein Büro und der Anspruchsberechtigten dann endlich Nachhaltigkeitsthemen hatte erfolglos bei kann dort gut arbeiten, was zu Hause we- auch auf Selbstständige aus, die von den einer Redaktion angefragt, ob bereits ge- gen meiner Töchter eher schwierig wäre.“ Maßnahmen „nur indirekt“ betroffen lieferte Texte sofort honoriert werden Aber auch Huber spürt die Auswirkungen waren. könnten. „Das war schon enttäuschend“, der Krise: Einige Aufträge kann sie auf- sagt sie über die mangelnde Solidarität. grund der geltenden Kontakteinschrän- Dabei weiß sie natürlich auch, dass die kungen nicht abarbeiten, andere wurden Verlage von der Krise ebenso betroffen geschoben, weil sie thematisch gerade sind. „Aber wir Freien sind eben immer nicht mehr in die Pandemie-Bericht- das letzte Glied in der Kette.“ erstattung passten. Doch die Bundesregierung hat weiter Das größte Problem Hubers hat allerdings nachgebessert. Ende April startete die gar nichts mit ihrer Auftragslage zu tun. Weil sie ihre beiden Töchter vorerst nicht in die Tagesstätte bringen darf, teilt sie sich mit ihrem Mann die Betreuungszeit TIPP und kann deshalb nur noch drei Tage die Woche arbeiten. Zudem war Mitte April Die wichtigsten noch nicht klar, ob die Eltern die sehr ho- Links zu Soforthilfen hen Kindertagesstätten-Kosten trotz ent- fallener Betreuung auch im Mai zahlen Deutschland: müssen. https://tinyurl.com/Soforthilfe- Wegen des einen Tages, den sie wöchent- Deutschland lich nun weniger arbeiten kann, hat Huber Eine pointierte Übersicht liefert zudem einen Antrag auf Erwerbsausfallentschä- der Berufsverband Freischreiber unter: digung gestellt. Als ziemlich hoch empfand https://freienbibel.de/die-freien-faq- sie dabei den bürokratischen Aufwand: zur-corona-krise/ „Ich habe mich schon gefragt, ob ich die Zeit, die ich gebraucht habe, um alle Un- Österreich: terlagen zusammenzutragen, nicht besser https://tinyurl.com/Soforthilfe- in neue Geschichten gesteckt hätte“, sagt Oesterreich sie deshalb. Zumal das Taggeld wohl eher gering ausfallen wird: Zur Berechnung wird Schweiz: das monatliche Durchschnittseinkommen ALEXANDER GRAF https://tinyurl.com/Soforthilfe-Schweiz durch 30 Tage geteilt – was natürlich nicht ist Redaktionsmitglied des Ausführlicher Überblick des Berufsver- den tatsächlichen Arbeitstagen und damit „medium magazins“ und arbeitet bands Impressum: https://www. dem realen Erwerbsausfall entspricht. als freier Journalist in Mannheim. impressum.ch/mein-rechtgav/covid19- „In der Politik werden die speziellen Be- @AlexanderGraf_ hilfe-fuer-journalist-innen/ lange von Selbstständigen und Freischaf- 62 #02/2020
Medien. Lokales TEXT: ANTJE PLAIKNER Auf Distanz zu mehr Lesernähe Der „Bote der Urschweiz“: Wie arbeitet eine allein für den Lokalteil Artikel recherchie- ren und schreiben können. Dazu kommen Regionalzeitung, wenn die Gesellschaft fast stillsteht? weitere Redakteurinnen und Redakteure, die jeweils für ihre Ressorts (Küssnacht, Gersau, Sport, Agenda) respektive Seiten Mitte April: Draußen vor der Tür prahlt Zeitung bei den Abonnenten im Hauptort zuständig sind und dazu auch Artikel re- der Frühling und lenkt ab. Er lenkt ab vom Schwyz, wo die Redaktion und der Verlag cherchieren und schreiben.“ In der Re- Lockdown der Gesellschaft, die auf zu Hause sind. Die Zeitung ist als Bote der daktion selbst arbeiten nur mehr wenige. Systemerhalt geschaltet hat, weil die Co- Urschweiz AG unabhängig. Den überregi- Der Redaktionsleiter Christoph Clavadet- rona-Krise den Erdball und auch die onalen Teil bezieht die Zeitung allerdings scher produziert zusammen mit der Re- Schweiz beherrscht. Schwyz ist mitten- seit 2014 vom Verbundpartner „Luzerner daktionspraktikantin Lea Langenegger die drin. Hier wurzelt die Schweiz, hier in der Zeitung“, die zur CH Media zählt und, wie Zeitung, bei der „Print first“ gilt. Die bei- Gemeinde Schwyz, die Teil des gleichna- Auf der Maur präzisiert: „Wir arbeiten im den und die Redaktionssekretärin Tanja migen Bezirkes und Kantons ist, erscheint nationalen Werbemarkt mit CH Media zu- Hofer halten die Stellung. Platz für Distanz seit 1858 der „Bote der Urschweiz“. sammen.“ Da die Schweiz noch auf eine ist genügend, denn fast alle nützen Ein- Der Name kündet von großer Geschich- vergleichsweise lebendige Lokalmedien- zelbüros. Die Kolleginnen und Kollegen im te. Kein Wunder also, dass der „Bo- landschaft blickt, bieten sich auch auf Homeoffice kommunizieren intern und te“-Chefredakteur Jürg Auf der Maur pro- lokaler Ebene Werbepartner an. Im Fall extern auf Distanz. Von Facetime, Whats- movierter Historiker ist und bei dieser des „Boten“ sind dies die kleine „Rigipost“ App, Zoom bis hin zu E-Mail, SMS und Zeitung das journalistische Handwerk von aus dem eigenen Verlagshaus oder das Telefon werden alle möglichen Kanäle der Pike auf gelernt hat. „Bote“-Chefre- „Urner Wochenblatt“ und der „Einsiedler genützt. Bis 9 Uhr plant Auf der Maur die dakteur war er schon einmal, bevor er bei Anzeiger“. Mit dem Anzeiger bestehe au- Themen und vergibt die Arbeitsaufträge. anderen Medien wie der „Neuen Luzerner ßerdem ein „lockerer redaktioneller Aus- Am späten Nachmittag entsteht die Front- Zeitung“ oder dem „Blick“ arbeitete. 2014 tausch“. seite, um etwa 18 Uhr übernimmt – meist kehrte er zurück und übernahm ein zwei- schriftlich – der Abschlussredakteur, und tes Mal die Chefredaktion der Tageszeitung. Fast leere Redaktion zwischen 19 und 20 Uhr beendet Chefre- Was für ein Selbstverständnis hat diese Aktuell jedoch ist wenig „locker“. Der dakteur Auf der Maur sein Tageswerk. Zeitung? „Wir sind die größte Zeitung im Inseratenmarkt ist eingebrochen, die Um- Jürg Auf der Maurs Zwischenbilanz des Kanton Schwyz, sind eine Regionalzeitung fänge werden reduziert, am Publikations- Krisenmodus fällt überraschend aus. „Mein und sind die Nummer eins im Kanton und rhythmus wird bis jetzt nicht gerüttelt. Eindruck ist, dass wir zu Hause produk- wollen das klar bleiben.“ Diese klare und Wie bei vielen anderen gilt auch beim tiver, aber am Abend auch müder sind. selbstbewusste Ansage fußt auf guten und „Boten“: Kurzarbeit und Homeoffice. Jürg Tagsüber telefoniert man die ganze Zeit bisher recht stabilen Zahlen, die auf dem Auf der Maur ist noch zweimal in der Wo- und switcht auf den verschiedenen On- crossmedialen Auftritt und der starken che in der Redaktion, sonst im Homeoffice. linekanälen, WhatsApp oder Mails hin und Verankerung beim Publikum basieren. „Wir haben aktuell (16. April) über den her, kann sich aber zwischendurch nicht Der „Bote“ ist einer von mehr als 300 gesamten Betrieb gerechnet 30 Prozent im Austausch und Witzeln mit Kollegen Zeitungstiteln in der Schweiz. Er kommt Kurzarbeit.“ Der Chefredakteur und Mit- auflockern.“ in seiner Normalauflage auf eine verkauf- glied der Geschäftsleitung versammelt auf Die komplexe Arbeitsweise erfordert te Auflage von 15.362 Stück, die verbrei- der Redaktion insgesamt 1.300 Stellenpro- Kraft, auch die Situation des Einzelbüros tete Auflage beziffert die WEMF (2019) mit zent. Das entspricht 13 Vollzeitstellen. daheim. Zwischendurch vertritt man sich rund 17.000 Stück. 93,4 Prozent der ver- Hinzu kommen „Korrespondenten, die vielleicht die Füße, geht schnell einkaufen. kauften Auflage sind Abonnements und am Wochenende im Einsatz sind und dann Außentermine sind Mangelware. Presse- der Freemium-Onlineauftritt bote.ch wird wohl weitere 500 Stellenprozent ausma- konferenzen finden kaum statt, wenn, als Unterangebot der „Luzerner Zeitung“ chen dürften“. So weit die Situation. dann meist nur, um Neuigkeiten zur Co- mit 2,5 Millionen Page Impressions aus- Der „Bote“ ist eine Vollzeitung und deckt rona-Krise zu verlautbaren. Dazu werden gewiesen (Netmetrix 2/2020). die Bandbreite von lokalem bis zu inter- großräumige Locations gesucht, die einem Das Verbreitungsgebiet der traditionellen nationalem Geschehen ab. Die Redaktion halben Dutzend Medienvertretern die ver- Kaufzeitung bilden die drei Bezirke in Schwyz konzentriert sich auf lokale und ordnete Distanz ermöglichen: Die sonst Schwyz, Gerau und Küssnacht am Rigi. In regionale Berichterstattung. Zur täglichen übliche Ereignisfülle weicht einer Ereig- dieser Region leben rund 70.000 Men- Zeitungsproduktion sagt Auf der Maur: nisarmut. Die Zeitungsplanung erfolgt schen. Am stärksten aufgestellt ist die „Es sind täglich jeweils drei Leute, welche langfristiger und Auf der Maur setzt die 70 #02/2020
Jürg Auf der Maur, Chefredakteur „Bote“: „Die Redaktionsleiter Christoph Clavadetscher produziert zusammen mit der Redaktionspraktikantin Lea Dankesschreiben waren mir am Anfang fast Langenegger täglich die Zeitung. Sie halten die Festung in der Redaktion. unheimlich.“ Geschichten noch bewusster, die tägliche unerwartet auf die krisenbedingte The- lenkt werden können. Gottesdienste über- Terminhetzerei entfällt und damit das Ge- menmischung sowie Themendarstellung trägt der „Bote“ beispielweise online. Das fühl, möglichst alles sofort ins Blatt zu und überrascht sogar einen langjährigen kommt an, denn das gibt Halt. bringen oder online zu stellen. Zeitungsmann wie Auf der Maur: „Die Le- Noch näher an die Leser ran, ist das nicht Der Ereignismangel gibt den Journalisten ser sind zurzeit extrem dankbar. Überspitzt ohnedies ein Problem des Lokaljournalis- Luft zum genaueren Recherchieren. Bau- formuliert: Die Dankesschreiben waren mus? Das nimmt der „Bote“-Chefredak- projekte beispielsweise und deren Bedeu- mir am Anfang fast unheimlich. Im Nor- teur durchaus wahr: „Das Grundproblem tung für den öffentlichen Verkehr werden malfall werden die Journalisten ja nicht aller Lokaljournalisten ist, dass man die ausgeleuchtet. Der Chefredakteur bilan- mit solch einer Wertschätzung bedacht.“ Player persönlich kennt und praktisch ziert positiv: „Der Zeitungsinhalt hat durch Die Zeitung gibt sich in der Krise wesent- täglich trifft, über die man schreibt. Ich die Krise gewonnen, weil wir fokussierter lich serviceorientierter, denkt mehr ans denke aber nicht, dass wir eine Geschich- und präziser arbeiten können.“ Publikum und dessen Alltag. Ganze Fami- te nicht machen, weil wir jemanden zu Die Krise wirft auch auf die Leser-Blatt-Be- lien arbeiten und lernen zu Hause. Das gut kennen.“ Dass Journalismus und lo- ziehung ein positives Licht. Der „Bote“ ist heißt, mehr Rätsel, Kinderseiten, Ratgeber, kale Medien gefragt sind, das zeigt sich für das Publikum Anlaufstation, Kummer- Aufruf zur Teilhabe. Auf welche Ideen kom- beim „Boten“ nicht nur in Dankesbriefen, kasten, er wird um Hilfe gebeten. „Wir men die Leserinnen und Leser zu Hause, das zeigt sich auch am erhöhten Bedarf an erhalten viele Tipps“, sieht der Chefredak- wie machen sie aus der Not eine Tugend? Probeabos. teur eine funktionierende Leser-Beziehung. Austausch via Zeitung ist angesagt: Ein Werden diese Abonnements Vollabos? Der „Bote“ will die Krise nutzen und noch „Aufsteller des Tages“ auf Seite 2, der eine Wird sich nach der Krise die Beziehung näher an die Leser ran, dabei erweitert er nette Begebenheit abbildet. Oder: Die Jour- zum Publikum wieder ändern? Wird der das eigene Rollenverständnis. Das persön- nalistinnen und Journalisten schreiben auf „Bote“ Redakteure kündigen müssen? liche Gespräch ist dabei eben nicht nur Seite 4 von ihrem ganz persönlichen Kri- Fragen, die in der Zukunft liegen. Zur Kün- journalistisch das A und O, sondern grund- senalltag. Das kann eine Geburtstagsfeier digungsfrage sagt der Chefredakteur je- sätzlich. Allerdings erweist sich die räum- sein oder das Leben als Teil einer Risiko- denfalls: „Das war bisher kein Thema.“ liche Distanz in diesem Nahraum erschwe- gruppe. rend, wie Auf der Maur erlebt: „Du triffst Personalisierung lautet das magische ANTJE PLAIKNER die meisten Leute nur telefonisch, das Wort der Krisenzeitung: Dazu gehört, dass ist freie Journalistin und macht es nicht immer einfach.“ Sportler erzählen, wie sie die Krise erleben, Medienwissenschaftlerin in Innsbruck. Trotzdem scheint die Annäherung zu oder wie Veranstaltungen und Kultur viel- plaiknera@gmail.com funktionieren, die Leserschaft reagiert leicht auf Online und Social Media umge- 71
Medien. Umfrage UMFRAGE: ANNE HAEMING Und wie arbeiten Sie gerade? Zwei Überlebensfragen an sechs Medien-Start-ups. RICO GRIMM STEFAN LASSNIG, JULIA ORTNER, Chefredakteur Krautreporter (D) SEBASTIAN KRAUSE Gründungsteam Missing Link (A) 1. Wie hat sich Ihr Geschäftsmodell Wir hatten die ungewöhnliche Erfahrung, dass die Corona-Be- Unser Geschäftsmodell, in einem sehr diversifizierten Corona-bedingt geändert? richterstattung unserer Gesund- Netzwerk von hochqualitativen heitsreporterin Silke Jäger uns Podcasterinnen und Podcastern virale Reichweiten bescherte – Werbekunden ein gutes Umfeld etwas, für das Krautreporter für Werbung zu bieten, hat sich nicht gemacht ist und mit dem Corona-bedingt nicht verändert. wir erst lernen mussten Unsere Kunden gehen aber auf umzugehen. Viele der neuen die vorherrschende Situation Besucher verstanden zum ein: Unser aktueller Partner Beispiel gar nicht, dass man we- Audible hat die Chance genutzt, der auf eine Paywall trifft noch die Hörerinnen und Hörer mit Werbung sieht und dennoch einer besonderen Aktion zu zahlen soll. Sie kamen schlicht erreichen. Inhaltlich haben die nicht auf die Idee, Mitglied zu meisten unserer Partner im werden, weil wir nicht gut Netzwerk den Weg gewählt, darauf vorbereitet waren, unser ihrem Format treu zu bleiben Geschäftsmodell „Mitglied- und trotzdem die Corona-Pro- schaften“ ausreichend zu blematik jeweils angepasst an erklären. Inzwischen haben wir ihr Format zu berücksichtigen, gelernt, auch solche Besucher etwa „Ganz offen gesagt“ oder besser zu konvertieren. „Erklär mir die Welt“. Bleiben wird die Erkenntnis, dass Wir sind optimistisch gestimmt, 2. Was davon wird bleiben – FOTOS: MISSING LINK, KRAUTREPORTER, BJÖRN BEHRENS, LAUREN BURST, ANDREAS wir für unsere Mitglieder in so was die Zukunft unseres und warum? einer Krisensituation die erste Mediums Podcast betrifft. Erste Anlaufstelle sind, und nicht ein Auswertungen deuten darauf Zweitmedium, als das wir uns hin, dass die Corona-Krise die bisher immer selbst wahrgenom- Podcast-Nutzung befeuern wird. men hatten. Durch die enge Dazu tragen auch in Corona- CHUDOWSKI, HELLA WITTENBERG, CHRISTOPHER GLANZL persönliche Bindung an unsere Zeiten extrem populäre Formate einzelnen Reporterinnen und wie etwa jenes vom NDR/ Reporter wenden sich die Christian Drosten bei. Auch dass Mitglieder auf einer fast schon Kanzlerin Merkel in ihrer Rede persönlichen Ebene an uns. Dazu Podcasts erwähnte, sollte zu kommt die Erkenntnis, dass unser einer weiteren Bekanntheitsstei- Geschäftsmodell – keine gerung des Mediums beigetra- Werbung, enge vertrauensvolle gen haben. Grund zum Pessimis- Beziehung zu unseren Mitgliedern, mus liefert eigentlich nur die getragen von einer Genossen- Aussicht auf eine wirtschaftlich schaft – ein krisensicheres, sehr herausfordernde Zeit, die zukunftsfestes Modell ist, das uns wohl zu Kürzungen in vielen gerade sehr gute Dienste leistet. Marketing-Budgets führen wird. 92 #02/2020
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