ZINE 10 UNI GÖTTINGEN - APRIL 2020 - FSR SOWI
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Liebe Leser*innen, wir melden uns zurück mit großem Trara und einer der festlichsten Ausgaben bisher – denn mit dieser 10. Ausgabe der Radikarla* feiern wir Jubiläum! Also holt den Sekt raus! Lasst uns anstoßen! – Auf 10 Mal Radikarla* in immerhin 27 Jahren. Und zum feierlichen Anlass haben wir uns natür- lich auch etwas ganz Besonderes ausgedacht: Georgia und Augusta, zwei Comicfiguren aus den drei Ursprungs-Ra- Carrie Brownstein dikarla-Ausgaben von 1993 und 1994, kehren zurück und nehmen euch mit auf eine Reise durch die letzten rund 25 Jahre feministische Geschichte in Göttingen. Auf dem Rücken ihrer Hausdrachin erkun- mitgliedern als Jubiläums-Spezial mit thema- den sie die Entstehungsgeschichte unseres tischem Schwerpunkt entworfen. So findet queer_feministischen Zines (ehemals Frau- ihr in dieser Ausgabe Beiträge über feminis- enLesben-Zeitung) und entdecken, was sich tische Orte in Göttingen, die es vielleicht in bei uns und in Göttingen im Laufe der Jahr- den Neunzigern schon gegeben hat, oder zehnte verändert hat. Auf dem Cover seht ihr die im Laufe der Zeit hier entstanden sind. zusätzlich die Figur der damaligen Radikarla Lest zum Beispiel über die in den 80er Jah- und auf der Rückseite ihre Freundin Neut- ren gegründete Blaustrumpfbibliothek (S. 54) rala*. Und natürlich könnt ihr euch auch auf voller feministischer Literatur, über die seit ein Wiedersehen mit einigen der Figuren un- 1977 bestehende Buchhandlung LAURA, die serer neueren Ausgaben freuen… auch schon in den alten Radikarla-Ausgaben Getreu dem Leitfaden „Feminismus damals vorkam (S. 26), oder erfahrt etwas über die und heute“ haben wir diese Ausgabe mit seit einigen Jahren monatlich stattfindende unseren neuaufgenommenen Redaktions- QueerBar im JUZI (S. 14). 3
Audre Lorde Input zu aktuelleren Themen findet ihr in Natürlich wird in dieser Ausgabe nicht nur den Artikeln zu „Cancelculture“ (S. 21), ei- in Erinnerungen geschwelgt – auch zeitlo- nem Interview mit der Autorin Anne-Ka- se Themen interessieren uns. Dauerbrenner thrin Kohout zum Thema Netzfeminismus sind für uns die Themen (und das Recht auf) (S. 56) und einer Rezension der TV-Serie Gesundheit und Wohlbefinden. Um dieses „The Handmaid’s Tale“ basierend auf Mar- Recht geht es in den Artikeln „Mein Wohl- garet Atwoods Roman (S. 40). befinden ist politisch“ (S. 34) und „Die Mög- lichkeit zu gehen“ (S. 48). Ebenso erfahrt ihr Wie immer wartet in der Mitte des Heftes Ra- in dieser Ausgabe, was es mit Vaginismus auf dikarla*s Regal darauf, von euch entdeckt zu sich hat (S. 24). Außerdem gibt es einen Gast- werden – diesmal mit Empfehlungen unserer beitrag, der darstellt, wie im Göttinger Kin- heutigen Redaktion, sowie Special 90s-Tipps derwunschzentrum Familien diskriminiert aus den alten Radikarla-Ausgaben. Die große werden, die sich nicht in heteronormative Überraschung: Die Gründer*innen der Radi- Familienstrukturen einfügen (S. 44). karla* haben sich selbst an ihre feministische Also – Wir wünschen euch viel Vergnügen Studienzeit in Form eines kleinen Assoziati- beim Korkenknallen und auf der Reise durch onsspiels (S. 17) zurückerinnert! ♥ die zehnte Ausgabe. 4
Von den Anfängen der Radikarla 1993 bis zum Jubiläum heute Mit grimmigem Blick, Zigarette, ‘ner Flasche „Und irgendwie kam das dann zusammen“ Schnaps in der Hand und mit Venus-Sym- und die erste Ausgabe kam 1993 heraus, mit bol-Ohrring blickt die Radikarla im Mai/ folgendem Ziel: Juni 1993 vom Cover der ersten RADIKAR- „RADIKARLA soll zum einen eine Plattform LA-Ausgabe den Leser*innen entgegen. „Ich sein, um FrauenLesben die Möglichkeit zu geben, sich lese RADIKARLA, weil Emma mit Bri- schriftlich über frauenrelevante, feministische Themen gitte durchgebrannt ist…“ prangt auf dem auszulassen, über Szenelust und -frust zu berichten türkisen, 52-seitigen DINA5-Heft, das als und manches mehr (sei es auch nur das Gefühl, mit „Uni-FrauenLesbenzeitung Nr. 1 Göttingen“ vielen anderen Göttingerinnen durch diese Zeitung bezeichnet wird. Und so wurde vor fast 27 Jah- etwas gemeinsam zu haben). RADIKARLA will ren die RADIKARLA von „sechs vollmoti- aber zum anderen auch ihrem Namen gerecht werden vierten FrauenLesben“ an der Uni Göttingen und weder Moralblättchen sein, noch soll sie das wir- gegründet, wie es im ersten Editorial heißt. haben-uns-alle-lieb-Motto propagieren“ (aus dem ersten Editorial). Auf die erste Ausgabe folgten Ausgabe zwei Bereits einige Monate zuvor war die Idee für und drei Ende 1993 und im Sommer 1994. die RADIKARLA geboren worden. Zwar Aber was war eigentlich in den alten Ausga- sind sich die damaligen Gründer*innen heu- ben alles so abgedruckt? Es folgt eine kleine te auch nicht mehr ganz sicher, wie es dazu Reise in die drei Ausgaben der großartigen, gekommen ist. Aber zwei der Redaktions-Ra- ursprünglichen RADIKARLA: dikarlas waren in einem Lesekreis zu feminis- tischer Naturwissenschaftskritik gewesen und die Bio-Fachschaft bot schon damals eine Plattform für feministische Themen. Eine Radikarla war außerdem Teil des damaligen FrauenLesben-Referats im AStA. Generell war eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit feministischen Themen schon seit Schul- zeiten vorhanden, sowieso nach den eigenen Coming-outs, erzählt eine der damaligen Ra- dikarlas. Und als eine von ihnen ein Prakti- kum bei einer Zeitschrift für Wissenschafts- kritik gemacht hatte, bekam sie anschließend Lust, selbst eine Zeitung herauszugeben. 7
In der ersten Ausgabe waren gleich die unter- Außerdem finden sich im Heft noch zwei schiedlichsten feministischen und lesbischen Gastartikel, u. a. zu einer selbst kuratierten Themen zu finden. Insbesondere Kritik an Frauen-Kunstausstellung, und verschiedene vielfältigen sexistischen Strukturen fand in Comics, eine Einladung zur Solifete, zwei dieser Ausgabe viel Platz. So beginnt die erste Musiktipps jenseits von „Mackermucke“ und RADIKARLA mit einem Artikel über die Li- Gedichte. Auf der Rückseite blicken einem bertären Tage 1993, ein großes anarchistisches zwei Frauen entgegen: Georgia und Augus- Treffen an der Uni Frankfurt, und formuliert ta, Arm in Arm, „…damit zusammen schläft, eine Kritik an Sexismus und Mackertum dort was zusammen gehört!“. und in der linken Szene. Ebenfalls ein großes Thema ist Bevölkerungspolitik als Instrument imperialistischer Ausbeutung, insbesondere in sogenannten ‚Dritte-Welt-Ländern‘. Auch feministische Naturwissenschaftskritik, also eine Kritik an heteronormativer Wissenschaft mit einem angeblich „objektiven“ Anspruch an Wahrheit, wird in der ersten Ausgabe for- muliert. Weiterhin werden Homophobie und Fundamentalismus an der Theologischen Fa- kultät der Uni Göttingen anhand eines Bei- spiels aufgezeigt und für eine feministische Theologie plädiert. Darüber hinaus wird die Diskriminierung weiblicher Körper im Sport als Konsequenz einer geschlechtsspezifischen Ende 1993 erschien die zweite, pinke Weih- Körper- und Bewegungsentwicklung proble- nachtsausgabe der RADIKARLA. Auf dem matisiert. Und schließlich wird das Sicher- Cover sind drei Personen abgebildet: Links heitskonzept der Uni Göttingen bezüglich der die Jungfrau Maria, rechts eine Butch und in Sicherheit von FrauenLesben auf dem Cam- der Mitte eine in Abendkleid gehüllte Radi- pus kritisiert – verpackt in einen satirischen karla, die ihre Arme um beide geschlungen Artikel, der die Vorreiterinnenrolle Göttin- hat und verkündet: „Halloo!!! Heute haben gens in diesem Bereich „anpreist“ („Studie- wir auf dem Titel der RADIKARLA zwei ren und Arbeiten an der Göttinger Uni ist für Models!!! Weihnachten sollte es eben für alle FrauenLesben eine rundum sichere Sache!“). was geben!!“ Satire findet sich im gesamten Heft immer In der Weihnachtsausgabe haben lesbische wieder, zum Beispiel im unglaublich witzi- gen „Interview mit schüchternen Lesben aus Medien und Literatur besonders viel Platz. der Gruppe Anonyme Schüchterne Lesben So gibt es ein sehr langes Interview mit dem (ASL)“ oder in den lustigen, offensichtlich Göttinger Frauen- selbst verfassten Leser*innenbriefen an die buchladen LAURA RADIKARLA. (eine Wiederaufla- ge findet ihr in diesem Heft!), 8
außerdem eine Kritik an der Sichtbarkeit und der Art der Darstellung von Lesbischsein in den deutschen Medien. Darüber hinaus schil- dert ein Artikel einen Besuch der Lesereise von der legendären lesbischen Autorin Rita Mae Brown und eine andere Autorin fragt sich: „Was lesen Lesben im Bett?“. Außer- dem gibt es eine Kurzgeschichte („Göttin- nens Frauen“), wieder eine Musikecke, Ge- dichte und Comics, und eine Ankündigung zu einer selbst organisierten Lesbenveranstal- tungsreihe, gemeinsam organisiert mit dem autonomen FrauenLesben-Referat des AStA und dem BiblioTeeCafé blaustrumpf (mehr Die nächste und vorerst letzte Ausgabe der hierzu könnt ihr auf S. 54 lesen!). Neben les- RADIKARLA erschien im Sommer 1994 in bischen Medien wird sich aber auch mit der knalligem orange. Auf dem Cover: Radikarla Hochschulbildungsreform von 1993 befasst wandert in glühender Hitze einen Berg hin- und das Spar-Reformpaket, das zu einer Neo- auf und liest dabei ein Buch: „Urlaub auf den liberalisierung der Hochschule führt, scharf Spuren der Göttin“. Neu war außerdem die kritisiert. Außerdem geht es in einem Artikel Umbenennung der Zeitschrift in „Frauen- um den Paragrafen 218 und in einem ande- ren um sexuelle Belästigung von FrauenLes- Lesbenzeitung“, das „Uni“ war weggefallen, ben am Arbeitsplatz. Darüber hinaus finden da die Redakteurinnen sich nicht nur auf den sich nicht ganz ernst gemeinte Beiträge über universitären Raum beschränken wollten. Au- den Basteleifer von Lesben sowie ein „Jah- ßerdem kostete die Zeitung nun 1 Mark, um res-hor(r)o(r)skop“ in Ausgabe Nr. 2. Auf die Kosten der Produktion zu decken. der Rückseite schließlich prangt – als Antwort Inhaltlich ist in der letzten Ausgabe nochmal auf alle, die sich an Georgia & Augusta auf ein bunter Mix ohne besonderen Schwer- der Rückseite der letzten Ausgabe gestört ha- punkt zu entdecken. Das Thema der femi- ben – „Neutrala“ („Hallo! Ich bin Neutrala, nistischen Bevölkerungspolitik wird erneut euer Rückseiten-Model; und ich bin für alle aufgegriffen, da im September 1994 die 3. gekommen, die sich im Titel undso irgendwie Weltbevölkerungskonferenz der UN anstand. nicht wiederfinden konnten. Frohes neues Außerdem geht es um Gewalt gegen Frauen, Jahr!!!“. in einem Interview mit dem Frauen-Notruf Göttingen (eine Neuauflage hiervon fin- det sich in unserer Ausgabe Nr. 4!) sowie in einem Artikel über weibliche Genitalver- stümmelung. In der neuen Comicserie „Die Gartenstraße“ geht es um offene Langzeitbe- ziehungen, und in weiteren Comics und Bei- trägen um die Geschichte der Menstruation und lesbisches Flirten. Außerdem werden andere feministische Zeitschriften vorgestellt und es gibt ein Preisausscheiben, bei denen Schnipsel aus lesbischen Krimis zugeordnet 9
werden müssen. Die Preise: Eine CD, ein Kri- schichte, und nach der ersten Ausgabe folgten mi, und ein Überraschungspreis für zwei… und Ausgabe 5 im April 2018, Ausgabe 6 im Juli der „allerletzte Preis: Ein Lay-Out-Wochenende 2018, Ausgabe 7 im November 2018, Ausgabe mit der RADIKARLA-Redaktion“. Auch Ge- 8 im Mai 2019, Ausgabe 9 im September 2019 dichte sind wieder zu finden, sowie regelmäßige und natürlich Ausgabe 10 – die ihr nun in den Termine von und Hinweise auf feministische Händen haltet. Institutionen in Göttingen. Schließlich ist noch eine Presseerklärung des Hessischen Koordina- Die Geschichte der tionsbüros für behinderte Frauen abgedruckt, neuen RADIKARLA* die gegen ein Interview mit einem behinder- tenfeindlichen Bioethiker in der EMMA pro- Nach mittlerweile fast 3 Jahren und sechs Aus- testiert. Auf der Rückseite prostet eine Lesbe gaben wollen wir euch nicht nur von den alten mit Doppelaxt-Kette oben ohne am Strand den RADIKARLAs erzählen, sondern auch ein we- Leser*innen zu. nig von unserer eigenen Geschichte. Wie schon erwähnt, nahm alles seinen Anfang, als drei von uns die alten RADIKARLA-Aus- gaben 2017 entdeckten. Nachdem wir die Zeit- schrift sowie ein Redaktionsteam neu gegründet hatten, war erstmal ziemlich viel Ausprobieren angesagt: Wie schaffen wir es, das Design der al- ten Ausgaben zu übernehmen, dabei aber auch Die Wiederentdeckung eigene Ideen einzubringen und das Ganze zu der RADIKARLA modernisieren? Und natürlich die dringendste Nach der dritten Ausgabe der damaligen RADI- Frage: Wie spüren wir die Redakteurinnen der KARLA war leider erstmal wieder Schluss mit alten RADIKARLA auf ? Die besten Methoden der RADIKARLA und sie geriet in Vergessen- für die Gestaltung hatten wir schnell heraus- heit. Bis 2017: Bei Aufräumarbeiten im Keller gefunden, aber ein Kontakt zu einer der alten des Gleichstellungsbüros der Philosophischen Redakteurinnen blieb uns verwehrt, trotz in- Fakultät wurden die drei alten Ausgaben wie- tensiven Herumtelefonierens, Online-Aufrufen dergefunden – und dem damaligen Gender-Re- und mehr. So brachten wir Ausgabe Nr. 4 also ferat des AStA gezeigt, das drei der heutigen heraus, ohne diese Frage geklärt zu haben. Statt- Radikarla*s in diesem Jahr leiteten. Und, ihr dessen berichteten wir in einem Comic über die ahnt es vielleicht schon, wir waren sofort so Wiederentdeckung der alten RADIKARLA und begeistert von den alten Ausgaben, dass wir in einem Artikel über die feministischen Hin- beschlossen, die RADIKARLA wieder zum Le- tergründe dieser Zeit, ließen ein Interview aus ben zu erwecken! Ausgabe Nr. 3 mit dem Frauennotruf Göttin- gen wiederaufleben, interviewten die Rapperin Gesagt, getan. Nach dem Suchen von Mitstrei- Sookee und schrieben über Behaarung, Repro- ter*innen und einigen Monaten Redaktions- duktionsmedizin, Foodshaming, feministischen arbeit brachten wir im Oktober 2017 unsere Materialismus, feministische Bücher und Frau- erste Ausgabe der neuen RADIKARLA* – nun en in Führungspositionen. Aus den alten Aus- ergänzt um ein Sternchen und unter dem neu- gaben übernahmen wir dabei viele Ideen für en Titel „FemZine“ – heraus, Ausgabe Nr. 4. die Gestaltung, zum Beispiel das handgeschrie- Auf dem Titel des neuen roten Heftchens: Die bene Inhaltsverzeichnis oder das Aussehen des Büchse der RADIKARLA*, die geöffnet wur- Editorials, und druckten auch wieder Gedichte de… Feind*innen des Feminismus, nehmt euch und Empfehlungen ab, wie es sie schon in den in Acht! Damit begann unsere eigene, neue Ge- alten Ausgaben gegeben hatte. Hierfür haben 11
Gemeinsam kontaktierten sie uns und im Januar 2018 trafen wir uns mit vier der damals sechs FrauenLesben. Mehr über diese tolle Begegnung mit den Erfinderinnen der RADIKAR- LA könnt ihr in unserer Ausgabe Nr. 5 finden, in der wir versucht haben, die 2 Stunden Gespräch in einem Ar- tikel zusammenzufassen. Ansonsten findet sich in unseren Ausgaben der letzten drei Jahre ein buntes Sammelsurium an Artikeln, von vielfältigen Themen zum Bei- spiel rund um Körper, über politische Themen wie antifeministischen Back- wir Radikarla*s Regal erfunden, das immer in lash, juristische Artikel zum Beispiel zur dritten der Mitte des Heftes verschiedene Buch-, Mu- Option, feministische Räume in Göttingen, sik-, Filmtipps und mehr zum Herumstöbern queere Themen zum Beispiel zu Inter*- und präsentiert. Ursprünglich dachten wir, dass sich Trans*feindlichkeit, persönliche Erfahrungs- das ja auch als Poster herausnehmen lässt, aber berichte, Fat Feminism, Intersektionalität, Se- ob das jemals jemand getan hat, bezweifeln wir xualität, soziale Bewegungen, wütende Rants irgendwie – falls doch, schreibt uns gerne mal! gegen Sexismus, bis hin zu einer Anleitung zum Stattdessen bekamen wir die überraschende im Stehen-Pinkeln mit einer Vulva. Außerdem Rückmeldung, wie toll es sei, dass wir ja auch konnten wir unsere Auflage von Mal zu Mal etwas zum Ausmalen dabei hätten – auch gut! steigern, von 2.500 Exemplaren 2017 bis 3.500 Was sich natürlich geändert hat, ist, dass die al- Exemplaren heute! ten Ausgaben komplett von Hand kopiert wor- den sind, während wir zwar auch erst alles selbst Damals und heute – ein Vergleich zeichnen und basteln, dies dann aber am PC im Zwischen den alten und den neuen Ausgaben Layout-Programm setzen und drucken lassen. hat sich viel verändert. Von der FrauenLesben- Deshalb gibt es alle unsere Ausgaben auch on- zeitung RADIKARLA zum FemZine RADI- line – also, wenn ihr Lust habt, die älteren Aus- KARLA* hat sich nicht nur der Name gewan- gaben noch zu lesen, aber kein Druckexemplar delt, sondern auch viele Inhalte. So widmet sich ergattern konntet, ladet sie euch doch einfach die Radikarla* heute viel mehr queeren Themen runter und lest sie am PC, oder druckt sie euch als damals. Dafür ist der Schwerpunkt auf Les- selbst aus! benthemen, der für die alten Radikarla-Ausga- Nachdem also unsere erste Ausgabe im Okto- ben sehr wichtig war, weniger geworden. Dies ber 2017 herausgekommen war, kam bereits am spiegelt eine generelle Entwicklung von Femi- 1. November die Überraschung: Eine Mail im nismen der 90er Jahre bis heute wieder – war Postfach – Betreff: „Gruß einer alten RADI- doch damals nicht nur die RADIKARLA eine KARLA“!! Tatsächlich war unsere Ausgabe zu- FrauenLesbenzeitung, sondern positionierte fälligerweise einer der alten Radikarla-Redakteu- sich in einer FrauenLesben-Szene, die ihnen rinnen, die noch in Göttingen lebt, in die Hände zufolge „damals ziemlich stark und powerful gefallen, und wie es der Zufall so wollte, war war“, arbeitete mit dem FrauenLesben-Referat an ebenjenem Wochenende eine der anderen des AStA zusammen und besuchte das Frau- ehemaligen Redakteurinnen bei ihr zu Besuch! enLesben-Zentrum in der Stadt Göttingen – 12
Institutionen, die es heute entweder nicht mehr feministische Theologie, feministische Literatur gibt, oder die umbenannt worden sind. Die wit- und Musik, oder Sexualität. Auch Gedichte und zigen Comics und Beiträge der alten Ausgaben Comics finden bei uns Raum. Außerdem gibt nahmen die FrauenLesben-Szene der damaligen es viele Göttinger Institutionen der damaligen Zeit und damit sich selbst auch immer wieder Zeit noch immer, wie zum Beispiel den Frau- auf den Arm. Außerdem wurde die RADI- ennotruf oder den LAURA-Frauenbuchladen! KARLA in den 90er Jahren bewusst nicht an Übernommen haben wir auch das Konzept der (cis-) Männer verteilt. Das war wichtig, um RADIKARLA, Artikel nicht fest im Voraus zu FrauenLesben Geltungsräume zu schaffen und planen, sondern je nach Interesse der Autor*in- diese auch mal ins Zentrum zu stellen. So be- nen ein buntes Sammelsurium von Inhalten richteten die alten Redakteurinnen davon, dass aufzunehmen. Insgesamt hoffen wir so, mit un- der Titel „FrauenLesbenzeitung“ trotz der nicht seren Themen sowohl neue Impulse zu geben, unüblichen Verwendung in der linken Szene ei- als auch dem Erbe der alten RADIKARLA ge- nige noch immer vor den Kopf stieß. recht zu werden. Heute verteilen wir die Radikarla* an alle, auch Wie ihr vielleicht gemerkt habt, sind wir ganz an (cis-)Männer. Unser Ziel ist es, auch mit un- schön begeistert von den drei Heftchen, die vor seren Artikeln, immer möglichst viele unter- fast 27 Jahren entstanden sind. Und können nur schiedliche Gruppen von Menschen zu errei- feststellen, dass uns die Themen nun auch nach chen – sowohl solche, die sich noch nicht so viel 10 Ausgaben noch lange nicht ausgehen und mit dem Thema Feminismus beschäftigt haben, sich zwar viel verändert hat, aber auch vieles ak- als auch solche, die vielleicht etwas spezifische- tuell geblieben ist. Oder, wie es einer der alten re Artikel interessieren. Unsere Zielgruppe un- Radikarlas auf unserem Treffen ausgedrückt terscheidet sich also von denen der 90er-Radi- hat: „Es ist noch immer viel zu tun“. Also auf karlas, die explizit nur an Frauen in Göttingen die nächsten 10! verteilt worden ist. Dadurch können wir auch mehr Exemplare drucken, so erreichte die Auf- lage in den 90ern ca. 500-1000 Stück, heute sind es 3.500 pro Ausgabe. Außerdem gibt es unsere Zeitschrift auch online. Die allgemeinere Fo- kussierung auf feministische Themen spiegelt sich in unserer neuen Bezeichnung „FemZine“ (feministisches Zine) wider und die queerere Ausrichtung im Sternchen, das wir an die RA- DIKARLA angehängt haben. Aber wir stellen auch fest, dass sich doch er- staunlich viele Gemeinsamkeiten über die mehr als 25 Jahre hinweg ergeben. So haben wir nicht Alle neueren Ausgaben der Radikarla* (ab nur den Namen und das Design übernommen, Nr. 4) findet ihr online unter: www.fsr-so- wi.de/radikarla zum Herunterladen. Wir sondern finden auch die Inhalte der alten RA- versuchen, die drei alten Ausgaben dort DIKARLA inspirierend und oft erstaunlich ak- ebenfalls bald zu veröffentlichen! tuell. Die Texte zum Paragrafen 218 oder zur Kritik an der neoliberalen Hochschule könnten Folgt uns außerdem gerne auf Instagram erschreckenderweise von gestern stammen. (@radikarla) oder schreibt uns per Mail: Sexismus in der linken Szene, an der Uni und radikarla@fsr-sowi.de. Wir freuen uns im Sport waren bei uns schon genauso Thema über Anregungen und Feedback! wie damals, ebenso wie Gewalt gegen Frauen, 13
Ein Interview mit der queerBar Was ist die queerBar? und Gruppen. Und dann gibt es noch so Gruppen, die sich in den letzten Jahren insti- A: Zuerst mal ist das eine selbstorganisier- tutionalisiert haben und sehr viele Freizeitan- te queere Bar im Juzi, die immer am dritten Donnerstag im Monat stattfindet. Und da gebote oder Beratung anbieten. Im Queeren kann jede*r reinkommen, der*die möchte. Zentrum2 gibt es da beispielsweise die queere Jugendgruppe und die Trans*Beratung. B: Für mich ist es aus einem Bedarf heraus entstanden: Vor zehn Jahren hat die letzte ex- Was dabei fehlt, ist ein nettes, loungiges plizit queere und schwule Ausgeh-Location, Bar- und Party-Angebot. Und viele Partys die es in Göttingen gab, dicht gemacht. schmeißen wir jetzt zwar nicht, aber Auch das Schwule Zentrum der 90er dafür bieten wir einen Raum für das und das Lesben-Aktions-Zentrum Bar-Angebot: Um wegzugehen, ohne waren schon lange tot. Es gab nichts fest in einer Gruppe Mitglied sein zu mehr und das galt besonders für so müssen, auch ohne Programm. Ein- eine linkspolitische queere Perspek- fach hinkommen und einen Raum tive. Aus dieser Situation heraus ist haben, in dem man gemeinsam dann vor siebeneinhalb Jahren der sitzen und quatschen kann. Es gibt Wunsch entstanden, nicht nur ab und ja Orte in Göttingen, die implizit gelabelt an ’ne Party im Juzi zu machen, sondern sind, wie beispielsweise die Diva Lounge, auch eine entspannte Bar-Veranstaltung. die allerdings eher als ein weiß-schwuler Ort Für mich ist das ein Ort, der sich zwar markiert ist. Aber nichts, was explizit nicht eindeutig labelt, aber der min- klar ist, und das macht die queerBar, das destens mal sagt, dass er politisch und fehlt ansonsten in Göttingen. irgendwie queer ist. A: Das Party Angebot könnte man aber wirk- Wir beschäftigen uns in der Radikarla* regelmäßig lich ein bisschen ausbauen. mit feministischen und queeren Räumen in Göttin- gen, einen davon gestaltet ihr. Wie schätzt ihr Göt- B: Voll! Vor allem weil die letzten Party-Rei- tingen in dieser Hinsicht ein, sollte es da mehr geben, hen, die es in Göttingen gegeben hat… also, würdet ihr gerne mehr machen? es ist nett, dass es sie gibt, aber es sind teilwei- se sehr schwer zugängliche Orte. Und vor al- B: Ich glaube, wir füllen eine Lücke, die total lem sind es sehr kommerzielle Orte, wo man wichtig ist. Es gibt caféartige FLTI*-Räume doch ein bisschen Geld in der Tasche haben wie im Kabale1 oder das FILTA Café im Juzi muss. Auf den Partys, die wir veranstalten, ist und es ist total wichtig und gut, dass es die das nochmal anders. gibt. Es gibt ein paar sehr politische Räume 2 In Radikarla* Nr. 8 findet ihr ein Interview mit dem 1 Mehr zum Kabale in Radikarla* Nr. 6 Queeren Zentrum. 14
Also ist euch ein möglichst niedrigschwelliger Zugang A: Ja, wobei es sich schon mit den Leuten wichtig? verändert, die so dabei sind. Die Bar ist ja nur das Grundgerüst und wenn Leute mehr A: Das würde ich schon sagen. Aber eigent- drum herum machen wollen, ist auch mehr lich ist es bei uns leider gar nicht so barriere- möglich. Im Sommer organisieren wir ein arm, alleine schon weil wir Treppen haben, veganes Grillen und im Dezember findet im- das können wir auch nicht wirklich ändern. mer unser Glühwein-Special statt. Abgesehen davon versuchen wir allerdings schon, dass der Raum möglichst für alle so B: Und es gibt immer mal wieder Kooperati- okay ist. Zum Beispiel wird in der Bar nicht onen mit anderen Gruppen, zum Beispiel im geraucht, wir haben nicht-alkoholische Ge- November zum Trans Day of Rememberan- tränke und man kann einfach reinkommen ce. Und die queere Jugendgruppe hat ’ne ohne großes Vorwissen zu haben. Bar ausgerichtet und bei den LesBiSchwulen B: Und Rassismus ist ganz klar ein No-Go, Kulturtagen sind wir auch oft dabei. Aber genauso wie Transfeindlichkeit, es ist uns das Grundkonzept ist: Es gibt jeden dritten wichtig, da solidarisch zu sein. Nein, nicht Donnerstag im Monat eine Bar, dort stehen nur solidarisch: entschieden! Und der Sekt bezaubernde Menschen hinter der Theke, kostet halt auch nicht mehr als 1,50 (lacht). es läuft ein bisschen trashige Musik, es gibt Die wichtigen Dinge im Leben. günstige Getränke und oftmals noch irgend- wie Knabber-Kram und Polit-Sticker und so. Solidarität und Sekt! Was für Leute machen bei euch mit? B: Ich glaube, das ist das Konzept der queer- Bar. Die Menschen, die das gegründet haben, A: Das ist ganz bunt gemischt. Wir haben würden das bestimmt so unterschreiben. Da- Studis, Lohnarbeitende, Personen, die schon mals waren das vier Personen, eine davon war Kinder haben, querbeet alles dabei. Also sehr Frau Dr. Verena Breit von Flach und die wür- offen. de das hart unterschreiben. (lacht) B: Da sind Leute, die sind sehr aktiv in linken Wie würdet ihr sagen hat sich das in den letzten 8 Strukturen, und andere, die da auch schon ein Jahren verändert? War es mal anders gedacht, als es Interesse dran haben, aber selber nicht so tief jetzt ist? War es schon immer das gleiche? drinnen stecken. Und es ist voll schön, dass das so zusammen klappt. B: Das Schöne an der queerBar ist, dass es so ein verlässlicher Standard-Ort ist. Es gibt A: Es ist aber auch so, dass wir zwar versu- immer noch Leute, die aufschließen, es gibt chen, einen offenen Raum für alle zu bieten, immer noch Leute, die ein bisschen Knabber- aber gleichzeitig im Orga-Team alle weiß sind. kram hinstellen, es gibt immer Es ist schwer, einen Raum für alle zu machen, noch dieselben Getränke. wenn People of Color und Schwarze Pers- Und du kannst hinkommen pektiven so komplett fehlen. Wir versuchen und Menschen treffen. halt, das so weit wie möglich zu reflektieren Aber seien wir mal ganz und sensibel für alle möglichen Diskriminie- ehrlich, das ist deutlich rungsstrukturen zu sein. weniger Arbeit als andere B: Ich stimme dem voll zu, hab auch sel- Polit-Gruppen. Dement- ber keine gute Lösung dafür. Das Juzi ist ja sprechend hat sich nicht insgesamt ein sehr weißer Raum. Ich kenne so viel verändert, finde ich. mehrere Leute, die lieber erst mal auf eine 15
kommerzielle Party gehen, weil da die Regeln Bar ein Ort, an dem sich Göttingens queere und Strukturen und Ordnungen klarer sind. Linke abseits der einen Party im Jahr treffen, Das Juzi als Ort für queere Veranstaltungen vernetzen, verständigen konnte. Und das ist braucht ‘ne Zeit der Eingewöhnung und dann auch schon eine gemeinsame politi- der Einfindung. Aber das entlastet sche Praxis, finde ich. uns nicht von der Verantwor- Was habt ihr so als nächstes geplant? tung, da ziemlich genau aufzu- passen und es immer wieder zu B: Im Februar feiern wir Ge- versuchen, den Raum nicht nur burtstag – es geht ins 8-Jährige! aufzumachen, sondern mehr A: Das wird wahrscheinlich Perspektiven einzubeziehen. wie in den letzten Jahren eine Wie kann man sich bei euch engagieren? etwas größere Party mit Kuchen und Cock- tails sein. A: Hin kommen, „Hi“ sagen und dann kriegen wir das schon hin. Es ist wirk- B: Und Torte, bitte! lich sehr unkompliziert. A: Die letzten Male war es zu Beginn etwas B: Dann machst du am nächsten Donners- entspannter und abends war dann mehr Party. tag mit jemandem zusammen ’ne Schicht und Aber das ist auch noch sehr offen und wenn schaust dir an, wie das Ganze von hinter der neue Leute dazukommen, können die auch Bar aussieht. gerne neuen Input geben. So genau kann man das jetzt auch noch gar nicht sagen. Was sind eure konkreten Aufgaben? B: Cocktails und Torte sind aber Standard. A: Wir haben ein Orga-Treffen, da wird dann Und die Einnahmen gehen sicher wieder an geplant, was so in nächster Zeit ansteht. Wer irgendeinen coolen Zweck. Mal schauen, was hat Kapazitäten, wer hat keine Kapazitäten? sich findet. Mit Sekt(-verkauf) die Welt hüb- Haben wir noch Getränke übrig, was müs- scher machen, passiert in jedem Fall. sen wir einkaufen? Wer geht überhaupt ein- kaufen? Wer macht die Schichten, wer baut auf, wer baut ab? Manchmal trifft sich eine Person mit anderen Gruppen, die was organi- sieren wollen. Das klingt jetzt nach sehr viel, aber wir machen das ja nur einmal im Monat. Und es ist auch okay, wenn jemand nur die Bar-Schichten übernimmt. B: Die queerBar ist jetzt nicht die eine Po- lit-Gruppe, in die wir alle unsere gesamte Energie stecken – es ist eher ein Neben- Jeden 3. Donnerstag im Monat, bei-Engagement neben Lohnarbeiten oder ab 19 Uhr im Juzi Studieren. Also wenn jemand mitmachen Mehr Informationen auf fb.com/queerBar möchte: es ist ein Engagement, was man oder mit Mail an queerbar@lists.riseup.net zeitlich gut begrenzen kann und wo man nett mit Leuten zusammensitzt und quatscht und Veranstaltungshinweise werden zusätzlich halt ’nen Raum hat und prägt. Schon bevor über die E-Mail-Verteiler Schöner Leben es das Queere Zentrum gab, war die queer- + Queeres Zentrum weitergeleitet 16
Wie alles begann: Diskussionen, Selbstkritik und Lesbenkrimis Anlässlich der zehnten Ausgabe wurden wir als Gründerinnen der Radikarla um einen Gastbeitrag gebeten. Bitteschön. Wir, das sind Chris, Gabi, Silke und Sümie, vier der insgesamt sechs Redakteurinnen der ersten drei Ausgaben. Da wir weit verstreut woh- nen, hat jeweils eine von uns einen Gedanken gestar- tet, den sie mit dem Feminismus der 1990er Jahre in Göttingen verbindet. Und die anderen haben den Gedanken fortgeführt. Entstanden sind kurze, sehr persönliche Rückblicke auf eine Zeit, die jede von uns bis heute geprägt hat. Eine Zeit, die weiterwirkt – auch dank der „neuen“ Radikarla*. Wenn ich an Political Correctness denke, denke ich an manche heutige Debatte dazu, die ich in ihrer (meiner Meinung nach falsch verstandenen) Radikalität dann aber nicht „Wenn ich an den Feminismus mehr nachvollziehen kann, gerade weil ich in den 1990er Jahren in Göt- die in den letzten Jahrzehnten geschaffene tingen denke, denke ich an die gesellschaftliche Sensibilisierung für Min- Radikarla!“ derheiten absolut wichtig finde, ebenso wie den kritischen Umgang mit sprachlicher Diskriminierung im Alltag. Wenn ich an die Radikarla denke, den- ke ich an lange Redaktionssitzungen im AStA mit Diskussionen über Politi- Wenn ich an heutige Debatten zum Femi- cal Correctness. nismus denke, denke ich, dass noch wahn- sinnig viel zu tun ist und dafür auch die heutige Radikarla* wichtig ist! 17
Wenn ich an Erfolge unserer damaligen „Wenn ich an Feminismus in den 1990er Aufbruchsstimmung denke, hoffe ich, Jahren in Göttingen denke, denke ich an dass wir weiterhin unseren Blickwinkel Feministische Naturwissenschaftskritik, erweitern und nicht nur die Lebenswel- Judith Butler-Lesen, neue Welten ent- ten weißer, gebildeter, gesunder Frauen in decken und theoretische Aufbruchs- Mitteleuropa im Blick haben, sondern dass stimmung.“ Selbstbestimmung und Freiheit für alle gel- ten muss! Wenn ich an Feministische Naturwissen- schaftskritik, Judith Butler-Lesen, neue Welten entdecken und theoretische Auf- bruchsstimmung denke, denke ich daran, „Wenn ich an den Feminis- dass das alles nichts Konkretes war :) mus in den 90ern in Göttin- gen denke, denke ich an die Indigo Girls, Grüne Tomaten Wenn ich daran denke, dass das alles nichts und Ariadne Krimis.“ Konkretes war, dann finde ich, dass wir im- mer auch recht kritisch mit uns selbst sind und waren. Wenn ich an Ariadne Krimis denke, denke Wenn ich daran denke, dass wir recht kri- ich (begeistert) an Val McDermid und ihre tisch mit uns selbst sind und waren, muss (frühen) Lindsay Gordon Krimis. ich auch daran denken, dass sich die „intel- lektuellen“ Bestrebungen der 1990er Jahre heute sehr konkret ausgewirkt haben. Nur Wenn ich an Ariadne-Krimis denke, denke einige Beispiele: Wenn ich an Studieren in ich an meinen Lieblingsbuchladen bis heu- Göttingen zu Beginn der 1990er Jahre den- te: LAURA. ke, dann denke ich daran, dass der Anteil der Professorinnen bundesweit über die Fächer hinweg bei ca. 5% lag und ich denke daran, dass er heute (immerhin schon mal) Wenn ich an LAURA denke, dann freue ich bei knapp 25% liegt. Wenn ich an Femi- mich über diese Konstante im Göttinger nismus in den 1990er Jahren denke, dann Frauenuniversum. denke ich daran, dass die heute an den Unis etablierten Gender Studies und die im All- tag ( – und ich glaube auch bei einem gro- Wenn ich an das Göttinger Frauenuniver- ßen Anteil der Bevölkerung – ) etablierte sum denke, dann fehlt mir das jetzt manch- & akzeptierte „Homoehe“ (und spätere mal in meinem Leben: der Austausch mit Öffnung der Ehe) beides sehr konkrete Gleichgesinnten, die „Szene“ und das Ent- Erfolge der damaligen theoretischen Auf- wickeln von gemeinsamen Ideen und Pro- bruchsstimmung sind. jekten. 18
Wenn ich daran denke, dass die existieren- de Vielfalt der Identitäten noch nicht im „Wenn ich an Feminismus in den Bewusstsein der meisten Menschen an- 90ern in Göttingen denke, denke gekommen ist, dann denke ich, dass jede ich an Schubladen wie „Politles- Veränderung Zeit braucht, dass jede Ge- be“ oder „Partylesbe“. neration von Feminist*innen in einer sich ständig verändernden Gesellschaft ihre ei- genen Kämpfe ausfechten muss, aber trotz Gegenwind von außen und interner Diffe- renzen am Ende sehr viel erreicht worden Wenn ich an „Partylesbe“ denke, frage ich ist und noch werden wird. mich rückblickend, was politisch war. Wenn ich mich frage, was politisch war, denke ich daran, wer in der Frauenkneipe dienstags (im Kabale) willkommen war und „Wenn ich an den Feminismus wer nicht. in den 90ern in Göttingen den- ke, denke ich ans FLZ1.“ Wenn ich daran denke, wer in der Frau- enkneipe dienstags willkommen war und wer nicht, dann weiß ich zwar, warum es Wenn ich ans FLZ denke, denke ich an „All damals so war, hoffe aber trotzdem, dass that she wants2“. wir heute manche Kategorisierungen über- wunden haben. Wenn ich an „All that she wants“ denke, denke ich daran, dass es in manchen Krei- sen nicht ging, heterosexuell UND Femi- nistin zu sein. Wenn ich daran denke, dass es in manchen Kreisen nicht ging, heterosexuell UND Fe- ministin zu sein, dann freue ich mich über alle heterosexuellen Frauen, die sich davon nicht haben abschrecken lassen. Wenn ich an Kategorisierungen denke, Wenn ich an Abschreckung denke, dann dann denke ich, dass obwohl wir heute auf hoffe ich, dass sich heute junge wie ältere Formularen neben männlich und weiblich Menschen egal welcher Identität nicht von auch divers ankreuzen können, die existie- feministischen Themen und Bewegungen rende Vielfalt der Identitäten noch nicht im abschrecken lassen, sondern sich einbrin- Bewusstsein der meisten Menschen ange- gen und gegen jede Art von Diskriminie- kommen ist. rung und Stigmatisierung engagieren. 19
Das Frauen- und Lesben-Zentrum „All that she wants“ war ein Song (FLZ) in der Düsteren Straße war der schwedischen Popgruppe Ace ein Treffpunkt für Frauen. Die Einrich- of Base. Trotz des nicht sehr tiefgründi- tung war zunächst von der Stadt gedul- gen Textes („All that she wants is another det, sollte dann aber geschlossen werden. baby“) wurde er Anfang der 1990er gern Daraufhin wurde das Haus von einer auf Frauenpartys gespielt. Gruppe Frauen besetzt. Im Sommer 1993 wurde es von der Polizei geräumt. 20
Kritische Solidarität? von den starken Abschlussworten der Vertre- terin der Kein Schlussstrich-Initiative. Sie sprach Ja bitte! darüber, dass wenn man weitere Morde zu verhindern versuchen und aufklären will, eine Diesen Text zu schreiben, auch wenn er ano- Vernetzung mit migrantischen und anderen nym in einem kleinem Zine steht, ist doch ir- antifaschistischen Gruppen notwendig sei. gendwie unangenehm, weil das Thema, über Das sei an einigen Stellen passiert und man das ich reden will, ein Thema sein kann, über hat so zum Beispiel Erfolge in der Öffentlich- das viel gestritten wird, oder eben nicht. keitsarbeit erzielen können. Im Erstarken des Mein Text handelt von Cancel Culture, Out Cal- Rechtsruckes und der immer stärker werden- ling und Boycotting. den Gefahr durch rechte Gewalt gibt es mei- ner Meinung nach gar keinen anderen Weg als Cancel Culture wird im Urban Dictionary be- zusammen zu arbeiten, um sich gegenseitig schrieben als: „A modern internet phenome- zu unterstützen und zu schützen. Als ich auf non where a person is ejected from influence dem Heimweg darüber nachdachte, wurde or fame by questionable actions. It is caused mir jedoch klar, dass es wirklich schwer wird by a critical mass of people who are quick solche Bündnisse zu bilden – eben wegen to judge and slow to question”.1 Viele haben Cancel Culture. bestimmt diese Skandale um Youtuber*in- Es gibt in Teilen der linken Szene starke Ten- nen mitbekommen, bei denen am Ende die denzen, sich nicht zu vernetzen und mitein- „böse” Person gecancelt wurde. (Zum Bei- ander zu arbeiten. So werden zum Beispiel spiel bei dem Drama um James Charles und Fragen und Fragestellungen von nicht-poli- Tati Westbrook, bei dem James Charles am tisierten Menschen kritisiert und Out Callings Ende fast 3 Millionen Follower verlor). ungefragt übernommen, ohne die Quelle zu Bewusst geworden, wie sehr diese Cancel Cul- prüfen oder mit der betroffenen Person zu ture auch mein persönliches Leben dominiert, reden. Das geht bis zu Boykotten von Semi- ist mir, als ich am 15.11.19 in der Podiums- naren von bestimmten Lehrenden, weil diese diskussion über „Die Normalität des rech- sich „nicht richtig ausgedrückt” haben. All ten Terrors” (die Aufzeichnung gibt es auf diese Beispiele sind mir selbst oder in mei- Soundcloud) saß. Am Ende war ich gefesselt nem Freund*innenkreis passiert. Auch mir selbst ist sowas passiert, so habe ich Nach- 1 https://www.urbandictionary.com/define.php?- richten bekommen, weil ich auf Twitter eine term=Cancel%20Culture, 06.01.20 Frage gestellt habe, die als „problematisch” 21
aufgefasst wurde, obwohl ich einfach keine es Grenzen. Ich sage nicht, dass man jede Ahnung von der Materie hatte und nach Hil- Diskriminierung ertragen soll, oder absicht- fe gesucht habe. Seitdem habe ich immer ein liches Misgendern hinnehmen soll. Aber schlechtes Gefühl, meine Meinung oder Fra- du bist kein schlechter Mensch, weil du ein gen öffentlich zu thematisieren. Ein anderes Gendersternchen an „Frauen” hängst, wenn Mal habe ich mit einem Freund über eine Si- du diesen Diskurs einfach noch nicht mitbe- tuation in einem Seminar geredet. Die dozie- kommen oder verstanden hast. Es gibt einen rende Person gab sich Mühe, gendergerech- Unterschied zwischen absichtlich diskrimi- te Sprache zu verwenden und setzte daher nierend sein und Unwissenheit. Ich will und auch hinter „Frauen” ein Gendersternchen. kann mich nicht hier hinstellen und Rich- Anstatt, dass diese Situation angesprochen ter*in spielen, aber ich möchte, dass wenn wurde, wurde sich darauf geeinigt, dass die- mensch sich in einer Situation befindet, in se Person „uncool” sei und fertig. Nein, ein der mensch sich unsicher ist, das Gendersternchen nach Frauen zu setzen ist Ganze hinterfragt. Hat die nicht cool (Spoiler: trans und nicht-binä- Person das wirklich so ge- re Menschen sind kein Sternchen!), aber meint? Hat sie verstanden, das Thema einfach mit „uncool” abzu- was sie gesagt hat? Was war stempeln und einfach zu ignorieren, ihre Intention? Und im Zweifel ist mindestens genauso uncool, denn die Person vielleicht auch einfach das ändert nichts an dem Problem!2 selbst fragt und darauf anspricht! Jede*r macht Fehler! Richtig schockiert war ich auch, als ich mit einer Person gesprochen habe, die von mir Das ständige wusste, dass ich politisch aktiv bin. Jedes Streben nach dem einzigen Mal, wenn diese Person eine Nachfrage zu Wahren, dem einzig richtigen Ausdruck, einem politischen Thema hatte, hat sie ihre ist nicht zu erreichen. Es schreckt Menschen Frage begonnen mit: „Hey, cancel me, wenn davon ab, sich weiter zu politisieren, vor diese Frage jetzt problematisch ist, aber…”. allem wenn sie keine Zugänge zu universi- In dem Moment klang es wie ein Spaß, aber tären (und elitären) Diskursen haben, wie es war klar, dass da eine tiefliegende Angst zum Beispiel Arbeiter*innen. Gerade auch hinter steckte. Angst davor, dass ich sie verur- wenn sie von einer oder mehreren Diskri- teilen könnte, weil sie unsicher war und sich minierungsdimensionen betroffen sind, wie nicht auskannte! Queer sein oder nicht weiß sein. Die Annah- Ich möchte in diesem Text nicht sagen, dass me, jeder Mensch hätte die Kapazitäten und man jedes Verhalten und jede Aussage von Möglichkeiten, sich alleine in diese Themen jeder Person hinnehmen sollte, natürlich gibt einzuarbeiten ist klassenfeindlich, be_hinder- tenfeindlich und ignorant.3 2 Warum „Frauen*“ nicht cool ist? Lest den Text zu dem Gendersternchen im Artikel „Frauen*streik“ 3 Du kannst mit „Klasse“ nichts anfangen? Wenn du in der letzten Ausgabe, dort beschreibt ein Genossi die Kapazitäten hast, dann lies mal das Manifest von den Struggle! Marx und Engels, es lohnt sich wirklich! 22
Zwar kann öffentlicher Druck durch einen Shitstorm Gutes bewirken wie bei der Auf- lösung von WolfxDown oder der Schließung des Thor Steinar-Nazi-Ladens in Dortmund, jedoch müssen wir aufpassen, dass wir diese Waffe nicht gegen uns richten. In großer Öf- fentlichkeit sind Outcalls gegen diskriminie- rende Personen und Gruppen vielleicht sinn- voll, aber der Schritt dahin, dass wir Personen ausschließen wegen unabsichtlichen Fehlern canceln, scheint sehr klein. Vielmehr müssen wir, als queerfeministische Linke (an der Uni), wieder anfangen zu streiten, uns zu kritisie- ren, Kritik auszuhalten und anzunehmen und daraus zu lernen. Wir müssen unsere Kämpfe inklusiver machen, denn wir können es uns in unserer Situation mit dem Rechtsruck, dem Erstarken der AfD, den vermehrten Angrif- fen von Nazis und der drohenden Klimaka- Infobox: tastrophe nicht leisten, Personen auszuschlie- • 40. Podcast-Folge von „Feuer und ßen, weil diese sich falsch ausgedrückt haben. Brot“ mit dem Titel: „Call Out und Can- 2020 gilt es nochmal mehr, Schritte in die cel Culture – Du bist gestorben! Und dann?“ richtige Richtung zu unterstützen. Solidarität • Das Video „Canceling” von Cont- bedeutet nie, dass unsere Kritik nicht ange- raPoints hat auch noch einige Aspekte, bracht ist. Lasst uns streiten, um gefestigt und auf die ich nicht eingegangen bin, wie gestärkt den Nazis und Kapitalist*innen ge- z. B. die einfache Übernahme von Vor- genüber treten zu können! würfen, welche teils von Nazis kamen. 23
‚Take it easy?!‘ – Penis unmöglich für die Person wird. Das kann zudem die regelmäßigen Gynäkolog*in- Nicht immer. nenbesuche zu einer wirklichen Herausforde- rung werden lassen. Über Sex und Vaginismus Aus medizinischer Sicht wird von einer se- Viele von euch kennen bestimmt die Run- xuellen Funktionsstörung gesprochen und den, in denen plötzlich vorgeschlagen wird, in primären und sekundären Vaginismus un- ‚Ich hab noch nie‘ oder Ähnliches zu spielen terschieden. Primärer Vaginismus bedeutet, und es dann meistens darum geht, möglichst dass es der Person scheinbar noch nie ohne viele peinliche Fragen zum Sexleben zu stel- Schmerzen möglich war, etwas in die Vagina len. Das kann Menschen in wirklich unange- einzuführen. Vom sekundären Vaginismus nehme Situationen bringen, vor allem dann, wird gesprochen, wenn dieser stressbedingt wenn Sex mit gewissen Erinnerungen oder oder durch grenzverletzendes Verhalten bis sogar Schmerzen verbunden ist. Denn es gibt hin zu traumatischen Erlebnissen ausgelöst Menschen, die starke Schmerzen beim pene- wurde. Die Gründe können hierfür ganz un- trativen Sex oder auch beim Einführen eines terschiedlich sein. Tampons in die Vagina erleiden, sodass das Thema Sex für einige sehr schlechte Gefühle Wenn du dich hier wiedererkennst, bietet die auslösen kann. Seite www.vaginismus-selbsthilfe.de Informatio- nen über die Auslöser und Behandlungsvor- Vaginismus – Bis vor schläge, die du selbst ausprobieren kannst. einigen Monaten hatte Es kann aber auch hilfreich sein, therapeu- ich noch nie von die- tische Hilfe anzunehmen. Dann kannst du sem Wort gehört. Zu- hier schauen, welche Ärzt*innen in deiner dem ist es auch kein Umgebung spezialisiert in der Therapie von besonders schönes Vaginismus sind. Wort und gibt einem Die Website ist tatsächlich eine der wenigen keinen direkten Aufschluss, was es eigentlich deutschsprachigen Seiten, die überhaupt über bedeuten soll. So blätterte ich willkürlich im Vaginismus ausführlicher informiert. Leider Glossar des Buchs Ebbe & Blut herum, als gibt es im Allgemeinen viel zu wenig Infor- mir zum ersten Mal der Begriff Vaginismus mationen über Vaginismus. Und wenn es In- begegnete. Das, was darunter zu verstehen formationen gibt, fehlt eine queer_feministi- ist, kannte ich – aber wie konnte es sein, dass sche Perspektive auf Vaginismus. ich vorher noch nie davon gehört hatte? Der YouTube Kanal Auf Klo hat über (den Beim sogenannten Vaginismus verspannt primären) Vaginismus ein ganzes Video sich die Vaginal- und Beckenbodenmuskula- veröffentlicht und hat damit einen ersten tur unbewusst so sehr, dass mann*frau eine wichtigen Schritt getan, um darüber aufzu- Empfindlichkeit und Enge bei einer Deh- klären und gesellschaftlich zu enttabuisieren, nung oder Berührung des Vaginaeingangs ohne die betroffene Person als defizitär zu verspürt. Das führt zu Schmerzen, welche je nach Ausmaß der Verkrampfung unterschied- lich stark sein können. Allerdings kann die Verkrampfung so stark sein, dass das Einfüh- ren von beispielsweise Tampon, Finger oder 24
behandeln.1 Es ist so schon schwer genug, einzig das cis-männliche Bedürfnis der Pene- über das eigene Sexleben und die eigenen tration im Vordergrund steht. Die Klitoris Bedürfnisse beim Sex zu sprechen. Umso als ein wichtiges Lustorgan braucht keinen schwerer ist es, wenn mann*frau nicht der Penis, um stimuliert zu werden. Außerdem vermeintlichen Norm entspricht. So gilt Va- wird auch beim penetrativen Sex die Klitoris ginismus als sexuelle Funktionsstörung, was stimuliert und somit sind alle Orgasmen kli- einem suggerieren kann, dass von einem torale Orgasmen! Mehr zum Thema Klitoris ‚Normalzustand‘ ausgegangen wird, dem und Masturbation findet ihr in einem Beitrag mann*frau mit Vaginismus nicht entspricht. in unserer Radikarla* Nr. 7. Das kann dazu führen, dass mann*frau den Grundsätzlich ist Vaginismus kein unver- ‚Fehler‘ bei sich selbst sucht. Natürlich ist änderbarer Zustand, sondern behandelbar! Vaginismus ein Zustand, unter dem viele lei- Vielleicht hilft es der einen oder anderen Per- den, allerdings sollte nicht vergessen werden, son, seine*ihre Erfahrung als Vaginismus be- dass der Klassifizierung von Vaginismus als nennen zu können und dann zu sehen, dass sexuelle Funktionsstörung patriarchale Deu- es unterschiedliche Wege gibt, dies zu behan- tungsstrukturen unterliegen. Richtiger Sex deln – entweder durch professionelle Hilfe sei nur penetrativer Sex und wenn das nicht oder du findest eigene Wege. Aber wenn du funktioniert, weil in diesem Fall die Vagina dich dafür noch nicht bereit fühlst, ist das für den Penis ‚verschlossen‘ bleibt, ist was auch in Ordnung – nur du entscheidest, ob falsch. Diese patriarchale Vorstellung beför- du dich damit auseinandersetzen möchtest. dert einzig die Tabuisierung und Scham vieler Menschen, die unter Vaginismus leiden. Vor allem sollte darauf geschaut werden, welche Rolle die strukturellen Ursachen von vagina- len Verkrampfungen spielen. Viele der Aus- löser des sekundären Vaginismus, wie z. B. Erfahrungen sexualisierter Gewalt, sind die schmerzhaften Auswirkungen patriarchaler Machtverhältnisse. Wir dürfen also nicht Va- ginismus als eine Störung und Problem des Einzelnen betrachten, sondern müssen auch diesen Zustand in unsere gesellschaftlichen Machtverhältnisse einbetten. Also: Wenn ihr das nächste Mal ‚Ich hab noch Zudem ist es wichtig zu betonen, dass Vagi- nie‘ oder Ähnliches spielt, achtet darauf, das nismus für Menschen nicht bedeutet, keinen Spiel nicht nur auf Sex-Fragen zu reduzieren Sex mehr haben oder keine Lust spüren zu bzw. achtsam zu sein, sodass sich alle mit den können – denn Sex ist viel mehr als penet- Fragen wohlfühlen. Das soll nicht heißen, rativer Sex. Der Glaube, dass es einen Penis dass nicht über Sex geredet werden soll – braucht, um einen (vaginalen) Orgasmus zu ganz im Gegenteil! – aber das ‚Wie‘ ist immer erleben, ist ein patriarchaler Mythos, bei dem wichtig. 1 Hier geht’s zum Video von Auf Klo https://www. ohne Schmerzen? Für mich nicht möglich!“ heißt. youtube.com/watch?v=LF0J0eJTGG0 Dass Sex nicht nur penetrativ ist, sollte doch auch Allerdings ist schade, dass der Titel des Videos „Sex der Redaktion von Auf Klo klar sein. 25
Interview Eine generationenübergreifende (Liebes-)Geschichte Im Jahr 1993 haben die damaligen Radikarlas scheiden können. Von daher hat sich dann den LAURA-Frauenbuchladen für ihre zwei- irgendwann abgezeichnet, dass es besser ist, te Ausgabe interviewt. Heute, nach 26 Jahren, das in eine Hand zu legen. Wenn man auch statten wir dem Laden einen neuen Besuch die Historie der Frauenbuchläden betrach- ab, um von der Inhaberin Stephanie Nöttger tet; wie viele es überhaupt noch gibt. Die, zu erfahren, was sich seitdem verändert hat. die sich verändert haben, haben eine gewisse Zeit überlebt und die, die sich nicht verändert Im damaligen Interview ging es viel um die haben, halt überhaupt nicht. Ich meine, wir Organisation im Kollektiv, die Finanzierung sind ja jetzt bei zwei bis drei Frauenbuchlä- und die enge Verknüpfung des Buchladens den angelangt. Mehr gibt’s ja nicht mehr im mit der Lesbenszene – was sich zum Beispiel deutschsprachigen Raum, Österreich und durch den regen Verkauf der beliebten lesbi- Schweiz inbegriffen. schen Ariadne-Krimis gezeigt hat. Radikarla*: Wir haben gehört, dass ihr da- Radikarla*: Damals zur Gründung 1977 mals sogar noch eine Leih-Bibliothek hattet? war der LAURA-Frauenbuchladen noch als Kollektiv organisiert, bis er dann 1999 in dei- LAURA-Buchladen: Ja, mal eine kurze Zeit. ne Hände überführt wurde, oder? Da haben viele Frauen noch im Selbst-Verlag Bücher herausgegeben. Es gab ja gar keine LAURA-Buchladen: Also, das Kollektiv hat Literatur von und für Frauen. Da wurden sich so langsam in den 90ern reduziert. Bis die Sachen zum Teil zum Leihen reingestellt. wir dann zum Team wurden. Und seit wann Aber auch das hat sich relativ schnell erledigt. mache ich das in Allein-Regie? … seit 20 Jah- Man muss ja auch Geld verdienen. Wir waren ren ungefähr. Ja, genau. ja keine Bücherei, sondern eine Buchhand- lung. Irgendwann versickerte das dann. Radikarla*: Was hat sich maßgeblich verän- dert, seitdem der Buchladen nicht mehr als Radikarla*: Also auch die sogenannte Kollektiv organisiert ist? „Graue Literatur“, also alte Flyer von Veran- staltungen und Examensarbeiten von femi- LAURA-Buchladen: Die Entscheidungs- nistischen Student*innen habt ihr nicht mehr, strukturen natürlich. Vorher gab es ein so wie früher? wöchentliches Plenum. Alle haben mitent- schieden, wie es bei Kollektiven so ist. Und LAURA-Buchladen: Doch, solche Sachen inzwischen ist das ja nicht mehr so wirklich gibt es immer noch. Aber die haben wir zum zukunftsfähig. Also, man muss ja, wenn man Teil auch ins Archiv gegeben. Aber es gibt ein Geschäft führt, auch kurzfristig ent- durchaus auch noch Dokumentationen, klar. 26
Radikarla*: Heute könnt ihr euch also selbst ein zweiter Raum war ausschließlich Frau- finanzieren. Damals im Interview von 1993 enraum. Also da durften keine Männer rein. wurde gesagt, dass die meisten von euch noch Da gab es auch diese Leih-Bibliothek und da nebenbei anderen Arbeiten nachgehen muss- konnte man sich austauschen. Das war zu ten. der Zeit auch noch mal eine ganz andere Ge- schichte, ne? Die Anfänge der Frauenbewe- LAURA-Buchladen: Ja, da waren ja auch gung! Das muss man halt auch immer beden- noch mehr Frauen hier beschäftigt und da hat ken. Da gab es halt viele Strukturen, Literatur der Laden nicht so viel abgeworfen. Damals hat der Laden zwar schon ordentlich Geld und Austauschmöglichkeiten gar nicht. Das erwirtschaftet, aber wir waren sieben Frauen. war total unglaublich, sich plötzlich austau- Die Ladenmiete, die Bücher und alles weitere schen zu können über diese Sachen. Plötzlich – das muss man ja auch erstmal alles finanzie- eine Literatur zu haben. Das kann man sich ren können und wir haben alle nebenher ge- gar nicht mehr vorstellen. Das macht einen arbeitet. Und haben sozusagen die Wochen- riesigen Unterschied. schichten untereinander aufgeteilt. Es hat nicht jede 30 Stunden die Woche gearbeitet, logischerweise, sondern zwei Schich- ten die Woche oder so. Wir haben ja auch Ausbildungen nebenher ge- macht, studiert und solche Scherze. Radikarla*: Wie war so die Stim- mung damals, als der Buchladen gegründet wurde? Wie war es in den 90ern verglichen mit heute? Hat sich da die Kund*innenschaft verändert und wie ist es in der Sze- ne? LAURA-Buchladen: Also von der Gründung weiß ich gar nichts. Da war ich noch gar nicht dabei und weiß nicht, wie die Stim- mung da war. Da war der La- den auch noch in der alten Lo- kalität, der Burgstraße 3 und viel kleiner als jetzt und hatte ein anderes Konzept. Dort gab es einen extra Frauenraum bis ca. 1999. Dann ist der Laden hier in die Burgstraße 21 umgezogen. Im alten Laden gab es einen re- lativ kleinen Verkaufsraum und 27
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