Zu Gast auf Erden 2021/22 - Friesenkapelle.de
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WINTER 2021/22 Zu Gast auf Erden Was es heißt, ein Gast zu sein // Editorial Kritische Töne // von Henning Sieverts Fotostory JOURNAL DER KIRCHENGEMEINDE NORDDÖRFER // Drehort Friesenkapelle
Weisheit Unsere Themen des MOMENTS Im tiefsten W inter fand ic 3 EDITORIAL dass ich tief h heraus, in mir einen unsterbliche 5 NACHRICHTEN n Sommer tr ug. Albe rt Camus 6 DIE STILLEN HELFER: Tania Langmaack 9 6 FRAGEN AN: Die FSJler 12 FOTOSTORY: Dreharbeiten in der Kirche Impressum 16 IM GESPRÄCH: Fritz Hermann Herausgeber: Kirchengemeinderat Norddörfer // Bi Kiar 3 25996 Wenningstedt-Braderup 20 WAS MACHT EIGENTLICH... www.friesenkapelle.de 24 IM INTERVIEW: Henning Sieverts norddoerfer-kirchenbuero@t-online.de Redaktion: Imke Wein // imke@fofftein.net 29 IMMER WIEDER Tel. 0162 1000925 30 DER CLUB: Die jungen Seiten Autoren: Rainer Chinnow // Imke Wein Layout & Produktion: Anja Buchholz 32 EIN KESSEL BUNTES Ansprechpartner: Rainer Chinnow 33 TERMINE Tel. 04651 889 25 00 // 0170 207 52 27 Kathrin Wenzel Tel. 04651 836 29 64 // Fax 04651 889 25 22 Fotos: Niklas Freudewald // Maike Hüls-Graening // Frank-Uwe Hermann // Ralf Meyer // Sabine Priebe // Tini Schluck // Wolfgang Schmidt // Lars Schmidt // Oliver Strempler // Imke Wein // Kathrin Wenzel // Katrin Wenzel-Lück // shutterstock.com Druck & Verarbeitung: Eurodruck, Hamburg, www.eurodruck.org Norddörfer Kirchengemeinde: Stiftung „Üüs Serk“ Spendenkonten IBAN DE79 2179 1805 0000 2209 30 IBAN DE90 2179 1805 0000 0009 30 BIC GENODEF1SYL BIC GENODEF1SYL Bi Serk – das Journal der Norddörfer Kirchengemeinde erscheint im Frühjahr und im Winter mit einer Auflage von 3.000 Stück, im Sommer umfasst die Auflage 4.000 Exemplare. Bi Serk wird zudem als E-Jour- nal elektronisch versandt und steht zum Download auf der Webseite www.friesenkapelle.de bereit.
Liebe Freunde der Norddörfer Kirchengemeinde! ZU GAST AUF ERDEN Es war weihnachtlich geschmückt in den Aperitif des Hauses. „Wo hast du den unserem Lieblingsrestaurant. Es roch nach Spruch denn her?“ fragte Isabelle. „Von frischen Tannen. Wichtel standen auf den Martin Luther. Dachte, das passt, wenn wir Tischen. Kerzen brannten. Am Eingang in einer Runde mit einem evangelischen wurden wir herzlich begrüßt, strahlende Pastor zusammensitzen!“ Stefan lächelte. Augen, ein breites Lächeln. Endlich wieder zuhause! Als die Getränke an den Tisch kamen, Wir, das waren mein Kindergartenfreund ergriff Isabelle das Wort: „Auf einen fröhli- Stefan und meine Kindergartenfreundin chen Abend mit uns drei Erdengästen!“ Isabelle. Wir hatten uns dank des Internets Die Gläser klangen, wir tranken. Und nach Jahrzehnten vor ein paar Jahren an Stefan sah Isabelle an: „Erdengäste, das einem Dezemberabend wiedergetroffen. klingt jetzt aber nicht besonders fröhlich. Unbewohnt. Und ist es nicht das, was das Seither war das Adventstreffen zu einem Höre ich da Wehmut raus?“ Wort Gast sagt?“ festen Termin im Jahreskalender geworden. Isabelle schaute uns beide an und begann zu erzählen. „In den letzten anderthalb „Ja“, sagte Stefan, „das ist das Wesen des Stefan hatte es als Arzt in die Schweiz Gastes: Dort, wo er verweilt, ist er nur verschlagen. Nahe Zürich lebte er mit sei- Gastfreundschaft vorübergehend. Ein Urlauber, ein Zugereis- ner Frau in einem Haus mit Seeblick. Das besteht aus ter, ein Fremdling, der nicht dazugehört. So jüngste Kind studierte noch in den USA, ein wenig Wärme, geht es mir und meiner Frau manches Mal die drei anderen lebten glücklich in Van- couver, Hongkong und München. Isabelle ein wenig Nahrung noch immer in der Schweiz. Obwohl wir schon seit fast dreißig Jahren dort wohnen, war nach dem Psychologiestudium erfolg- und großer Ruhe. Freundschaften geschlossen haben, ist da reiche Unternehmensberaterin geworden. – Ralph Waldo Emerson eine Distanz. Wir bleiben die Deutschen. Sie war gerade zurückgekehrt von einer Meine Frau denkt jetzt, da der Ruhestand Auszeit, die sie sich nach der Trennung von Jahren habe ich mich häufig als Gast immer näher rückt, ernsthaft darüber nach, ihrem Partner genommen hatte. gefühlt. Als Norbert mich verlassen hat, zurück in den Norden zu gehen. Aber blieb ich im Haus wohnen. Er hat mir alles das ist ja noch etwas anderes, als sich im „Man sollte den Gästen einen guten dagelassen. Nur einen Koffer gepackt eigenen Haus fremd zu fühlen. Bist du das Trunk geben, damit sie fröhlich werden!“ und ist zu seiner Neuen gezogen. Als ich Gefühl inzwischen losgeworden?“ sagte Stefan und bestellte für uns drei allein im Haus war, fühlte es sich fremd an.
4 EDITORIAL Isabelle antwortete: „Das Gefühl Gast, Ralph Waldo Emerson sagen: ,Gastfreund- uns im Herzen berührt, ist für mich eine eigentlich heißt es richtig: Gästin zu sein, schaft besteht aus ein wenig Wärme, ein Erinnerung an dieses ,Wir sind zu Gast auf ist nicht einfach verschwunden.“ wenig Nahrung und großer Ruhe.‘ Das Erden!‘“ „Jetzt hör aber auf. Das Wort Gästin haben mir meine Freunde gegeben. Und gibt es doch gar nicht! Da willst du uns sie haben sich Zeit genommen.“ Isabelle nickte leicht. Das Essen wurde beiden Männer doch nur gendermäßig serviert. Getränke nachgefüllt. Stefan provozieren“, unterbrach Stefan. Isabelle „Hat es dich wieder zu dir selbst finden stand auf und nahm das Glas. „,Gast- lächelte. „Wenn es so wäre, hätte ich bei lassen? Oder hast du dich weiterhin wie freundschaft ist die Kunst, seine Besucher Dir schon mal Erfolg gehabt. Tatsächlich eine Fremde gefühlt?“ zum Bleiben zu veranlassen, ohne sie am aber ist „Gästin“ über Jahrhunderte die Isabelle stockte. „Ich glaube, das sind für Aufbruch zu hindern.‘ So lasst uns denn weit verbreitete weibliche Bezeichnung mich Alternativen, keine Fragen mehr. nach so viel Tiefsinn die Stunden als Gäste des Wortes Gast gewesen. Selbst im In den letzten Monaten konnte ich endlich und Gästin miteinander genießen.“ Grimmschen Wörterbuch von 1878 findet reisen. Ich war in Kroatien und Italien. Vor es sich wieder. Erst danach verschwindet es drei Monaten dann bin ich eine Strecke Und so war es. Wir haben viel gelacht, im Sprachgebrauch.“ des Jakobsweges gelaufen. Es hat mich tief geredet, hin und wieder sogar eine Träne berührt. Und mehr als je zuvor habe ich vergossen. „Okay, okay“, murmelte Stefan. „Ich habe das Gefühl, eine Erdengästin zu sein! Und gegen das Gefühl, Gästin zu sein, ange- ich bin damit einverstanden.“ Viele Momente, in denen Ihr Euch lebt“, begann Isabelle ihre Geschichte Stefan schwieg. Isabelle schaute mich an. willkommen fühlt und andere will- fortzusetzen, „Ich habe fast das ganze „Kannst du mich verstehen, Rainer?“ kommen heißt, wünscht Euch Haus renoviert, fast alle alten Möbel „Vielleicht. Ja. Es trifft mein Gefühl, dass verkauft, verschenkt oder entsorgt. Neu wir hier auf Erden nur zu Gast sind. Unsere eingerichtet. Es sieht jetzt sehr gut aus. eigentliche Heimat ist bei Gott. Wir sind Wie eine Bewerbung für schönes und seine Kinder. Er hat uns mit unserer Geburt modernes Wohnen. Dann habe ich mich hier auf Erden eine Zeitspanne Leben Pastor Rainer Chinnow eingeladen bei Freunden und Bekannten. geschenkt. Wir Menschen sind Gäste. Viele haben mir abgesagt wegen Corona. Keine Urlauber. Aber irgendwie bleiben wir Doch einige Freunde haben mir sehr gut gefühlt Fremdlinge, weil wir – mal mehr, getan.“ mal weniger – wissen, dass wir diese Erde einst verlassen müssen. Dann kehren Ich fragte: „Fühltest du dich dort aufgeho- wir wieder zu Gott in die ewige Heimat ben oder hattest du auch dort das Gefühl, zurück. So hat er es selbst in Jesus Christus nur Gästin zu sein?“ auch getan: Er ist vom Himmel auf die Isabelle antwortete: „Ich will es mit Erde herabgekommen und zurück in den Worten des Philosophen und Schriftstellers Himmel aufgestiegen. Jeder Abschied, der
NACHRICHTEN 5 Trauungen Andreas Paul Treusch von Buttlar und Anna Katharina Viessmann, München Taufen Keyawasch und Jana Ghodrati, geb. Bitenc, Dortmund Jesse und Jana-Charlotte Schmuck, Lucian Vincent Matteo Krebber, Baden Baden geb. Michel-Weidenthal, Flensburg Chiara Schubert, Sylt / Tinnum Stefan Dörge und Julia Dörge-Ortlepp, Maximilian Carl Victor Silverkant, Oslo (Norwegen) geb. Brandes, Hildesheim Jakob Roth, Rösrath Johanna und Oliver Zlobinski, geb. Kröger, Stuhr Robin McGowan, Schauenburg Jan und Nathalie Carlsen, geb. Neumann, Kiel Matti Henrik Prestel, Uhingen Dr. Götz und Dörthe Friederike Kawalla, geb. Dyck, Gifhorn Simona Maria Schwarz, Nickenich Justus Frederik Schäfer, Bad Soden Lara Bartzen, Hamburg Segnungen Alexander Laurin Kunstmann, Rellingen Hans-Joachim Reier und Martina Melville, Berlin Lotta Mathilda Heinsen, Kampen Dr. Andreas und Claudia Horn, Göppingen Leni Maria Behrens, Hörnum Oscar Emil Kawalla, Braunschweig Goldene Hochzeit: Fiona Luisa Henkel, Horgen (Schweiz) Frank und Karin Heutger, Wächtersbach Claus und Ingrid Albrecht, Aalen Hartmut und Marianne Böhme, Bamberg Todesfälle Annegret Schier, 82 Jahre, Wenningstedt Barbara Koch, 77 Jahre, Sylt OT Westerland Birgit Lanz, 76 Jahre, Sylt OT Westerland Kurt Schulz, 93 Jahre, Sylt OT Westerland Karin Leißner, 87 Jahre, Wenningstedt Karin Jürgensen, 80 Jahre, Wenningstedt Mike Nissen, 47 Jahre, Sylt OT Westerland Brigitte Smiatek, 68 Jahre, Landesbergen Anna Echterhoff, 100 Jahre, Sylt OT Westerland Herbert Roßmann, 89 Jahre, Sylt OT Westerland Holger Sieverts, 80 Jahre, Sylt OT Westerland
6 DIE STILLEN HELFER TANIA LANGMAACK VOM „CAFÉ WIEN“ „Diese Gemeinde ist ein Stück Heimat“ Tania Langmaack, ihre Mutter Ingrid und ihre U drei Kinder Tom, Bent und Janna passen ganz nd da sind wir schon bei der Schnittmenge dieses wunderbar in diese Ausgabe, denn sie widmen Sylter Unternehmens und der Institution der einen Großteil ihres Lebens der Aufgabe, gute Norddörfer Kirchengemeinde. Die Mitarbeiter Gastgeber zu sein. In ihrem Unternehmen, dem schaffen es beiderorts mit viel Herzblut, anderen „Café Wien“ in Westerland und der Schokola- einen Ort zu schenken, an dem sie sich aufgehoben und denmanufaktur in Tinnum, praktizieren sie Will- wahrgenommen fühlen. kommenskultur vom Feinsten. Nämlich so, dass man sich hier, in einem öffentlichen Gastraum, Auch in vielen anderen Belangen ist die Beziehung zwischen zuhause fühlt, auch wenn man gleich wieder Kirche und „Café Wien“, aber auch zwischen Wirtin und Pastor, bedeutsam: „Als Jugendliche bin ich, ehrlich gesagt, lieber bei weg muss. den Freizeiten des Westerländer Sportvereins mitgefahren als bei Der Drei-Generationen-Betrieb beschert dieses denen der evangelischen Kirchengemeinde“, gibt die gebürtige seltene Gefühl von Beheimatung all denen, die Westerländerin gerne zu. dafür empfänglich sind. Unabhängig davon, wo sie herkommen oder hingehen. Ob sie Sylter Eine innige Beziehung zur Pastorenfamilie und auch zur Kirche sind oder Urlauber. Das gelingt dem Betrieb seit entstand bei ihr erst Ende der 90er Jahre, als die Chinnows neu 55 Jahren mit konstanter Freude an der großen waren im Dorf und Tania mit ihrer Familie an die Wenningstedter Aufgabe und immer neuen Ideen. Das Seelen- Hauptstraße zog. „Cora, die jüngste Tochter von Rainer, und mein Bent waren gut befreundet. Es entstand eine Freundschaft unter wärmer-Repertoire auf der Karte, die Tees, die Eltern und Nachbarn. Heute ist Rainer einer meiner loyalsten 40 verschiedenen Torten, die 330 Schokosorten, und zuverlässigsten Freunde, die ich habe. Er ist immer da, wenn die Pralinen, die deftigen Gerichte und all die ich ihn brauche. Manchmal noch bevor ich es selber weiß. Er ist anderen guten Dinge tun ihr Übriges. Kein Wun- auch meine letzte Instanz, wenn ich Rat benötige oder mir mal der, dass so viele Menschen von überall her die- der Kopf gewaschen werden muss“, formuliert Tania Langmaack ses Gesamtpaket suchen. ihre ganz besondere Beziehung zu Pastor Chinnow.
7 Da sie selbst zwar die Rituale, die Kirche ist für sie ein Stück dörfliche Zu einem der Rituale zwischen den Werte und die Gemeinschaft stiftende Kultur, lebendiges Miteinander Langmaacks und dem Pastor gehört, Wirkung der christlichen Kirche schätzt, und Einkehr. „Heiligabend ohne dass Rainer sich partout erst an die sich aber als „kritische Agnostikerin“ Gottesdienst in der Friesenkapelle, Anzahl der Akteure erinnert, wenn der bezeichnet, steht und fällt für sie die das ist für keinen von uns denkbar. Ich Gottesdienst schon angefangen hat. Qualität von Gemeindearbeit mit glaube, dass die großen christlichen „Tom fährt dann immer los und besorgt dem Faktor Mensch. Und in diesem Kirchen nur dann eine Zukunft haben, noch schnell die Tüten. Das ist mal aus speziellen Fall ganz klar mit dem Spirit, wenn sie sich wie hier bei uns in einem Vergessen entstanden und hat den Rainer Chinnow und sein Team Wenningstedt als Gemeinschaft der sich inzwischen zu einem Running-Gag am Dorfteich kultiviert haben. „Hier christlichen Werte verstehen – ohne entwickelt“, meint Tania, die immer für begegnet man sich auf Augenhöhe jedes Dogma.“ alles zu haben ist, was nicht der Norm und stets mit Gutem im Sinn. Eine entspricht. Wenn es an irgendetwas Gemeinschaft, in der alle gleichwertig Und jetzt mal zu Tania Langmaacks mangelt, wenn eine Trauergesellschaft sind – trotz aller Verschiedenheit. Engagement in der Gemeinde. „Das ist nicht so gut bei Kasse ist oder sonst Das mag ich sehr“, versichert die doch gar nicht der Rede wert“, meint schnell ein Geschenk fehlt, sind die Unternehmerin, die die Philosophie der sie dazu bescheiden. Doch, ist es wohl, Langmaacks mit ihrem Riesensortiment Toleranz und der Herzenswärme auch finden wir. Jedes Jahr spendiert das sofort am Start. „Die ganze Familie in ihrem Unternehmen lebt. „Café Wien“ zum Beispiel den Akteuren besitzt diese Großzügigkeit, die von des Krippenspiels eine Präsent-Tüte. Herzen kommt und eine große Freude an Spontanität. Das passt so gut zu dem, wie es hier bei uns so läuft. Nicht immer perfekt, aber schön lebendig“, sagt der Pastor dankbar. Er hat alle drei Langmaack-Kinder getauft, als die Uroma Anfang der 90er Jahre noch lebte und als Oliver Strempler als Kirchenmusiker ganz neu war in der Kapelle am Dorfteich. Einschulungen, Konfirmationen – Bilder aus der Friesenkapelle sind eine feste Größe in der Langmaackschen Familienchronik. Als Jugendliche waren die drei Jüngsten natürlich auch liebend gern mit von der
8 DIE STILLEN HELFER Partie auf den Fahrten nach Polen und nach Lech. Als Familienoberhaupt Willi, Tanias Vater, 2018 verstarb, war Rainer sofort zur Stelle, um die Angehörigen zu trösten. Den Trauergottesdienst konnte er dann zu seinem großen Bedauern nicht halten, weil er zur Synode musste. „Mein Vater vertrat ja immer voller Überzeugung, dass man dort zur Kirche gehört, wo man lebt. Für ihn war es daher bestimmt nur konsequent, dass er in Morsum von der damals neuen Pastorin Christiane Eilrich beerdigt wurde. Das war alles ganz wunderbar, so, wie es war.“ Fast alle Inselpastoren waren und sind übrigens Stammgäste in ihrem Caféhaus in der Strandstraße – einschließlich der katholischen und der dänischen Geistlichen. „Das ist ein großes Kompliment. Aber wenn es darum geht, wo ich ein seelisches Zuhause gefunden haben, dann ist es die Norddörfer Kirchengemeinde – denn das Gefühl ist selten. Ich spüre es nur an wenigen Orten auf der Welt.“
6 FRAGEN 9 …AN DIE „ZIVIS“ Ein Fall für Zwei Svea Mauer und Lena Westermann sind seit dem Sommer „unterwegs im Namen des Herren“. Das starke Frauen-Duo hilft älteren Gemein- demitgliedern beim Einkauf, bei Behördengängen und zuhause, richtet den Gemeindesaal für alle Veranstaltungen her, begleitet die außerordentlichen Gemeinde-Pro- jekte und hilft auch am Sonntag bei den Gottesdiensten, wann im- mer Hilfe gebraucht wird. Die bei- den Abiturientinnen sind die aktu- ellen „Zivis“ (eigentlich heißt es natürlich schon lange FSJlerinnen) der Kirchengemeinde und machen einen verdammt guten Job… Wir haben ihnen getrennt voneinander ein paar Fragen gestellt.
10 6 FRAGEN Was ist an Sylt so ganz an- SVEA: Natürlich muss man sich erstmal sonst nicht weiterkommt. Oft muss ich ders, als Ihr erwartet habt? an vieles gewöhnen und manche Sa- mich daran erinnern, eins nach dem chen neu lernen, aber genau das ist es, anderen zu erledigen und zu akzeptie- Lena: Die Insel ist noch familiärer, als was auch Spaß macht und mich erfüllt. ren, dass man nicht überall gleichzeitig ich dachte. Schnell kennt man viele Ein- Das Zusammenleben in der WG klappt helfen und auf alle Wünsche eingehen heimische und wird miteingebunden super und wir meistern auch die vol- kann. Aber auch das ist in den letzten und integriert. Da ist es gleich noch leren Arbeitstage zusammen sehr gut zwei Monaten schon sehr viel besser viel schöner, einkaufen zu gehen und und haben dabei wirklich viel Spaß. Ich geworden. immer mal wieder auf einen Schnack persönlich weiß es sehr zu schätzen, stehen zu bleiben. dass wir den Alltag zu zweit angehen Und was ist die größte dürfen. Außerdem hat das Team, was Freude? SVEA: Quasi alles und nichts. Also einer- wir hier haben, sehr dabei geholfen, seits ist natürlich vieles neu und auch sich direkt wohl zu fühlen und sich so- Lena: Die familiäre Gemeinschaft im unerwartet, andererseits fühle ich mich mit auch schneller einzugewöhnen. Der Team und der liebevolle Umgang mit- hier so wohl, dass es mir vorkommt, als liebevolle Umgang zwischen allen trägt einander. Jede*r ist für jede*n da. Es wäre das genau das, was ich mir vorge- einen durch den Tag! macht mich selbst total glücklich, wenn stellt oder erwartet habe, als ich mich ich andere Menschen, zum Beispiel die hier beworben habe. Allerdings hat Was ist an Eurer neuen Senioren, mit einem gemeinsamen Ein- tatsächlich vieles meine Erwartungen Lebenssituation die größte kauf, glücklich mache. Ich habe mich übertroffen! Herausforderung? hier von Anfang an zuhause gefühlt und schätze das Miteinander sehr! Ihr meistert nicht nur Lena: Am Anfang musste man erst ein- SVEA: Der direkte Kontakt zu den Euren ersten Ganztages- mal einen Rhythmus für die Arbeit und Menschen. Es macht mich total glück- Job, Ihr lebt auch erstmals den Haushalt finden und überlegen, lich, wenn ich sehe, dass man durch selbstständig und mitei- wann man was organisatorisch am Ausflüge oder Gespräche mit den Se- nander in einer WG. Wie besten macht, aber der Rhythmus kam nioren deren ganzen Tag verändern funktioniert das für Euch? dann mit der Zeit und jetzt ist auch die- kann! Außerdem ist der Umgang hier se Herausforderung keine mehr. mit allen total liebevoll und man lernt Lena: Es funktioniert super! Wir sind viele interessante und wunderbare innerhalb kürzester Zeit zu einem Team SVEA: Manchmal ist es für mich noch Menschen kennen! Nicht zu vergessen geworden, ergänzen uns, halten zu- schwierig, nicht immer das große Gan- ist natürlich die Strandnähe, die einem sammen, helfen uns gegenseitig und ze, also alle zu erledigenden Aufgaben ermöglicht, nach einem vollen Arbeits- lachen ganz viel! der Woche im Kopf zu haben, sondern tag noch einen Strandspaziergang zu Schritt für Schritt vorzugehen, weil man machen, egal bei welchem Wetter.
11 Habt Ihr schon eine ganz Vergesst die Gastfreundschaft nicht. klare Vorstellung von dem, Durch die haben manche, ohne es zu wissen, was Ihr nach Eurem Sylt- Jahr machen wollt? Engel beherbergt. – Aus der Bibel // Hebräer, 13: 1-2 Lena: Ich habe noch keine ganz klare und darf nun auch mal „hinter die hier verbringen zu können. Es ist natür- Vorstellung, möchte aber auf jeden Kulissen“ dieser Insel schauen. Man lich ein anderes Gefühl, als hier Urlaub Fall in den sozialen Bereich gehen und nimmt sich selbst nun nicht mehr als zu machen, weil viele Orte eben nicht mit Menschen zusammen arbeiten. Ich Urlauberin, sondern als Einheimische für Freizeitaktivitäten, sondern für die kann mir gut vorstellen, Richtung Reli- wahr. Es ist super spannend zu sehen, Arbeit angefahren werden. Aber trotz- gionspädagogik oder katholische Theo- wie vernetzt die Insel ist. dem nehme ich Sylt immer noch als logie zu gehen und später als Lehrerin Besonders spannend ist es, wenn mir einen Ort der Entspannung wahr. Dazu und / oder in der Gemeindearbeit tätig die Senioren erzählen, wer mit wem kommt, dass es spannend ist, beispiels- zu werden. verwandt ist und ich oft das Gefühl weise von den Senioren so viel über bekomme, dass die Insel eine große die Geschichte der Insel und der Ein- SVEA: So gerne ich auch jetzt schon hier Familie ist. heimischen zu erfahren, dass man sich bleiben möchte, habe ich vor, Germa- wirklich einheimisch fühlt und man die nistik und Philosophie zu studieren. Da- SVEA: Ich genieße es sehr, dieses Jahr Gemeinschaft untereinander spürt! nach würde ich beruflich gerne in den journalistischen Bereich gehen, aber ich habe noch keine genauere Vorstel- lung. Außerdem möchte ich im Moment auch einfach gucken, was so auf mich zukommt und wie sich meine Interes- sen vielleicht auch noch verändern oder erweitern, egal, ob während des Jahres hier oder während des Studiums. Wie empfindet Ihr die Insel Sylt, wenn man hier arbeitet und lebt? Lena: Ich habe eine ganz andere Vor- stellung vom Inselleben bekommen
12 DIE FOTOSTORY DIE DREHARBEITEN ZUM KRIPPENSPIEL-FILM „Und Action!“ Wenn es nicht so laufen kann wie gewohnt, dann machen wir es eben anders… Das Prinzip Improvisation – das haben viele Menschen in den letzten 20 Monaten zur Perfektion gebracht. Kirchenmusiker Oliver Strempler übte sich unter Pandemiebedingungen ganz besonders in dieser Kunst. Mit ein paar technischen Neuanschaffungen hat er seit dem ersten Lockdown Videoandachten aufge- nommen, geschnitten und in die Welt geschickt, die sich hinter keinem Anspruch verstecken müssen. Die Idee, auch das Krippenspiel in Form eines Films zu inszenieren und dann online zu zeigen, erwies sich vergangenen Winter als vorausschauend: Denn am Ende gab es am Heiligabend 2020 keine Gottesdienste. Für die Weihnachtsbotschaft und schöne Stimmung sorgte in vielen Familien unter anderem das zauberhafte Spiel der Vorkonfirmanden – aufgezeichnet bereits im September. Auch in diesem Jahr machten sich die „neuen Konfis“ mit der Unterstützung von Jugendarbeiterin Tini Schluck und Oliver Strempler als Regisseur rechtzeitig daran, einen Krippenspielfilm zu drehen. Wenn auch dieses Jahr am Heiligabend hoffentlich wieder gemeinsam in der Kirche gefeiert werden wird. Aber: Sicher ist sicher. Am zweiten von zwei Drehtagen war Bi-Serk-Autorin Imke Wein für die finale Szene im Stall mit von der Partie beim Dreh in der Friesenkapelle. Um dieses kleine Bündel dreht es sich alles in der Weihnachtsgeschichte: In der Friesen- kapelle hat sich eine konventionelle Baby- puppe in moderner Sternen-Windel in der Rolle des Mini-Jesus seit Jahren bewährt.
13 Bei der Anprobe: Yul, Ben und Levi stimmen sich mit einer angenehmen Portion Spaß an der Freude auf ihre Rollen als Hirte bzw. Engel ein. Vor jeder Szene bespricht Regis- seur Oliver Strempler mit seinen Ak- teuren, worum es in der nächsten Szene auch atmosphärisch gehen wird. „Ersatz-Wirtin“ Jule geht den Text durch und die beiden einigen sich auf die passende Intonation, wenn Jule dann gleich das Jesus- Kind, Maria und Josef im Stall besu- chen wird. Eigene Regie-Ideen der Konfis? Jederzeit willkommen! Puh – Dreharbeiten sind mühsam und erfor- dern vor allem auch Geduld. Einen realen Ein- blick in den Alltag von Filmschauspielern beka- men die Vor-Konfirmanden bei diesem Projekt. Wirtin und Hirte üben ihren Weg zur Krippe bei einer Stellprobe. Stimmt der Ton? Liegt das Mikro richtig? Ist alles gut ausgeleuchtet? Bevor die finale Sze- ne im Krippenspiel abgedreht werden kann, sind reichlich Vorarbeiten nötig. Hinten links: Niklas Freudewald, FSJler a.D., ist extra gekommen, um bei den Dreharbeiten zu assistieren. Er ist der Aufnahmeleiter, springt aber bei der Stellprobe flugs auch mal für einen Akteur ein.
14 DIE FOTOSTORY Nach dem fünften Anlauf ist die Szene im Kasten. Mega ge- macht: Luke-Paul alias Josef und Pauli als Maria waren textsicher und haben ihre Rollen glaubhaft verkörpert. Völlig verständlich, dass es für Jung-Schauspieler manchmal gar nicht so einfach ist, die Contenance zu wahren, wenn man stundenlang auf Strohballen an einer Krippe mit- ten in der Kirche sitzt. Der Rest des Ensembles hat sich inzwischen so gut es geht die Zeit des Wartens auf ihren „So, Leute! Einsatz vertrieben. Beispielsweise mit Grimas- Fast geschafft. sen schneiden. Vieles ist am Drehort möglich – Jetzt brauchen wir nur Hauptsache es erzeugt keine Geräusche, damit noch den musikali- die Dreharbeiten nicht gestört werden. Heraus- schen Abschluss, dann forderung souverän bewältigt. ist der Film fertig.“ Niklas erweist sich als Motivations-Genie erster Güte. Für den Schlusspart des Films machen Oliver und Niklas die Technik startklar. Performed wird „Kommet Ihr Hirten!“… aber so ganz anders als man es klassisch erwarten würde. Das hochverehr- te Publikum am heimischen Bild- schirm darf gespannt sein. Der Chor probt seinen Part auf der Empore.
15 Oliver Strempler weist das Ensemble Gar nicht so einfach: Schnippen, klatschen in den Verlauf des musikalischen Finales ein. und den richtigen Einsatz im Refrain finden. Wo kann man den Krippenspielfilm anschauen? Zu sehen ist der Krippenspiel- film Vol. 2 kurz vor Heiligabend auf dem Youtube-Channel der Friesenkapelle. Live wird es das Krippenspiel am 4. Advent bei der Kinderkirche geben und bei einem der Gemeindenachmitta- ge im Advent. Wie immer hängt aber alles von den dann gültigen Covid-Bestimmungen ab. Auch in diesem Jahr sind noch kurzfristige Entscheidungen gefragt! Halleluja… der Song ist im Kasten! Jetzt wird Oliver sich daran machen, die Resul- tate aus neun Drehstunden an zwei Herbstnachmittagen zu schneiden und zu einem exzellenten Krippenspiel zusammenzuführen.
16 IM GESPRÄCH KIRCHENGEMEINDERAT FRITZ HERMANN Zu-Gast-sein hat viele Gesichter Mit Wenningstedts Küster a.D. Fritz Hermann ist es stets eine Freude, über das Leben zu philosophieren. G anz erheblich beschäf- tigt ihn das Thema des Vergängli- chen, des Zu-Gast-Seins auf dieser war. Sie war voller Dankbarkeit für ihre erfüllte Zeit als Gast auf dieser Welt, für unsere Familie und auch für Zum Thema dieser Ausgabe – Welt, weil Fritz Hermann im Mai unsere 59 gemeinsamen Ehejahre. „Zu Gast auf dieser Welt“ – ist der Witwer geworden ist. Mit seiner Natürlich schmerzte es, diese Erde geliebten Frau Elise tauschte er sich zu verlassen, wenn man so gerne Austausch in seinem lichtdurch- immer wieder und auch noch ganz lebte wie Elise. Aber sie wusste, dass fluteten Wohnzimmer besonders am Ende ihres Lebens intensiv über sie sterben musste – und sie ist den anregend und berührend, weil es die Kostbarkeit des Daseins auf die- Weg bewusst gegangen. Ohne zu aus gleich drei Gründen sehr viel ser Erde aus. „Elises Abschied von verdrängen. Dadurch, dass sie in mit ihm und mit seiner jüngsten dieser Welt war so vorbildlich, wie ihrem Glauben so unerschütterlich Lebenssituation zu tun hat. sie es in allen Belangen des Lebens war, hatte sie kaum Angst. Denn sie
17 war sicher, in den Himmel zu gehen“, immer die kalte Schulter. Wahrschein- heirateten, als sie Mitte 20 waren und berichtet Fritz voller Liebe und Respekt. lich auch, weil mein Ruf nicht der Aller- führten dann ein pralles Leben als beste war“, gesteht Fritz lachend. Gastgeber, als Hausverwalter, Eltern, Ohne seine starke, liebe- und verständ- Großeltern, als Freunde, Ehrenamtler nisvolle Frau weiterzuleben, ist für Fritz Er half schon damals viel in der Kirche, und Fritz natürlich auch als Küster und eine Herausforderung. „Aber ich weiß baute als angehender Tischler einen Kirchengemeinderat der Norddörfer. genau, dass Elise es nicht gut gefun- Tresen für das Pastorat, läutete schon „Wir führten hier ein offenes Haus und den hätte, wenn ich jetzt in Traurigkeit mit 13 die Kirchenglocken. In seiner auch eine tolerante Ehe. Als Elise die versinken würde. Wir haben uns so freien Zeit ging er furchtbar gerne tan- letzte Woche ihres Lebens in der Nord- innig voneinander verabschiedet – es zen. „Zum Beispiel in das Lokal ,Schau- seeklinik lag und wir alle wussten, dass ist nichts offen geblieben zwischen insland’ in Wenningstedt. Dahin kamen sie bald sterben würde, habe ich sie uns. Das ist bei aller Trauer ein gutes, auch immer die jungen Mädchen, die auch nochmal gefragt, ob sie mir ver- ein reines Gefühl.“ Gern erzählt Fritz eine Kur auf Sylt machten. Das war zeihen könnte, wenn ich nicht immer davon, wie er schon als Jugendlicher Elise bestimmt ein Dorn im Auge, dass alles richtig gemacht hätte. Sie antwor- ein Auge auf das stolze Mädchen aus ich dort verkehrte“, meint Fritz augen- tete darauf, wir hätten doch immer alle Kampen geworfen hatte. „Sie war an- zwinkernd. Konflikte bis zum Zubettgehen gelöst. ders als die anderen, nicht zuletzt auch Es gäbe nichts, was sie mir verzeihen äußerlich – durch ihre dunklen Haare. Aber der junge Tischler ließ sich von müsste“, erinnert Fritz jenes wichtige Wir trafen uns tatsächlich zunächst in ihrer Haltung nicht wirklich abschre- Gespräch. der Jugendgemeinschaft der Norddör- cken und umgarnte Elise nach allen fer Gemeinde im Pastorat. Dort war sie Regeln der Kunst, bis sie seinem Wer- Obwohl Elise mit ihrer fortschreitenden mir aufgefallen. Aber Elise zeigte mir ben irgendwann nachgab. Die beiden Krebserkrankung eigentlich gerne zu-
18 IM GESPRÄCH geschenkt hätte. Sie hatte immer eine Hunger, getrennte Familien, sterbende sehr eigene Haltung, war darin aber Menschen und Familienangehörige, die durchaus kompromissbereit. Auch dass sie zurücklassen mussten. „Ich glaube, ihre letzte Zeit durch die Pandemie be- dass wir nicht daran zerbrochen sind, schränkt war, hat sie nicht gestört. Sie hat gerade auch damit zu tun, dass vie- hat sich gefreut, dass wir in der Zeit so le Kinder, die bis dahin eine glückliche viel miteinander draußen waren wie Zeit hatten, unter einem besonderen eigentlich noch nie“, beschreibt Fritz seelischen Schutz stehen“, vermutet hause sterben wollte, hatte das Leben den Charakter seiner lieben Frau. Er Fritz, der sich heute in der Rückschau andere Pläne: Sie wurde in ihren letzten war deutlich der extrovertierte Part des trotz aller Tragik vor allem an die Ges- Tagen im Krankenhaus versorgt, weil es Ehepaars, sieht genau das als wichtigs- ten der Menschlichkeit auf der Flucht medizinisch die beste Wahl war. „Ich te Komponente für das Funktionieren und auch beim Ankommen auf Sylt möchte mich nochmal bei der Klinik be- ihrer Ehe. „Wir waren einfach ein Su- erinnert. „Meine beiden Brüder haben danken. Das war wirklich eine sehr lie- perteam“, meint er lächelnd und sagt die Flucht nicht überlebt. Mein Vater be- und würdevolle Sterbebegleitung. damit alles. Sich als Gast auf dieser war als Soldat gefallen. Wir waren auf Wir alle, meine drei Jungs, deren Fami- Welt zu fühlen, schließt für Fritz auch engstem Raum in den Baracken an der lien und ich konnten uns ganz auf Elise ein, nichts für selbstverständlich zu Segelfliegerschule in Wenningstedt konzentrieren und nicht auf die Pflege nehmen, den Moment zu genießen und untergebracht. Es gab nichts zu essen. – das war wunderbar“, beschreibt Fritz. mit Freude und Demut das Geschenk Elise ging es ähnlich – bloß eben in den des Lebens zu nutzen. Baracken von Kampen. Trotzdem domi- V Um die beeindruckende Stärke und nierte die Hoffnung und die Freude. Ich Geradlinigkeit seiner Frau zu beschrei- erbunden hat das Ehe- habe Sylt, den Sandknust in der Nord- ben, erzählt er auch davon, wie sie mit paar Hermann auch ein see, sogar ziemlich schnell als mein Pa- ihrer Erkrankung umgegangen ist, als wenig ihr Schicksal. Sie radies erlebt“, beschreibt Fritz. Für ihn sie davon erfuhr. „Sie wollte zunächst beide verließen ihre bekam der vorübergehende Status als alle klassischen Krebstherapien ab- Heimat in Pommern bzw. Ostpreußen Geduldeter, als Geflüchteter – schnell lehnen, hat sich dann aber doch auf im dramatischen Kriegsgeschehen eine neue Qualität. Er fühlte sich zu- einiges eingelassen und gerade in den 1945. Auf der jeweiligen Flucht sa- hause. Sylt wurde sein Anker. Und auch letzten Tagen oft gesagt, dass ihr die hen sie als Kinder vieles, was Kinder die Insulaner, vor allem auch die Sylter Medizin noch drei wunderschöne Jahre niemals erleben dürften. Brutalität, Kinder, respektierten die Geflüchteten
19 Ein Gast im Haus, Gott im Haus. – aus polen was es heißt, gute Gastgeber zu sein schnell und man teilte das Wenige, das Strand gegangen sind, mit denen wir und einen fließenden Übergang herzu- es gab. So existierte zwar eine große uns geschrieben haben, die wir auch stellen zwischen Gast sein und sich zu- Rivalität und echte Bandenkriege zwi- zuhause besuchten“, erzählt Fritz. Aus hause zu fühlen. Der wichtigste Aspekt schen Wenningstedt und Kampen, aber Nächstenliebe und als Akt der Versöh- dieser Gemeindepartnerschaft ist der, nicht zwischen Flüchtlingskindern und nung haben die Hermanns zusammen Völkerverständigung und -versöhnung Insulanern. „Ich genieße die Schönheit mit anderen Syltern schon in den 80er zu leben, kulturelle und menschliche dieses Ortes immer noch ganz bewusst Jahren humanitäre Hilfe in Polen geleis- Bereicherung zu erfahren, sich wirklich – es ist nicht selbstverständlich, so viel tet. Aus diesen Einsätzen hat sich auch zu helfen auf den unterschiedlichsten Glück zu haben wie wir. Ich war auf Sylt die intensive Partnerschaft zur evange- Ebenen, Verständnis füreinander zu ,zu Gast‘, dann ist die Insel meine zwei- lischen Gemeinde im masurischen Sor- schaffen und dadurch kriegerische Kon- te Heimat geworden.“ quitten entwickelt. Auf beiden Seiten flikte aller Art in Zukunft unmöglich zu G zeigt man seit Jahrzehnten vorbildlich, machen. erade, weil sie am ei- genen Leibe gespürt FRITZ HERMANn, DER „EWIGE“ KÜSTER, WIRD VOn den beiden pastoren gesegnet. haben, wie wichtig es ist, sich willkommen zu fühlen, haben die Hermanns immer ein offenes Haus geführt, in dem Freun- de und Gäste sich wohl fühlen durften. „Natürlich waren die Urlaubsgäste auch wirtschaftlich wichtig für uns, aber sie sind oft auch unsere Freunde geworden, mit denen die Jungs an den
20 WAS MACHT EIGENTLICH? Frische News von ... Eine Rubrik mit dem Titel „Was für die Menschen existentiell bedeut- ßen C‘s ist alles wunderbar auf dem macht eigentlich?“ ist nicht un- same und berührende Momente. Diese Weg. Clara, die Älteste, studiert Wirt- sere Erfindung. Sie war schon vor besonderen Begegnungen vermisse schaftspsychologie in Hamburg. Mein ich schon. Unsere Ex-Küster Hartmut Nesthaken Claas hat letztes Jahr Abi Jahrzehnten im „Stern“ ein Dau- und Fritz sind mir besonders ans Herz gemacht und absolviert jetzt ebenfalls erbrenner. Aber dieses Format ist gewachsen. Ihnen nicht mehr täglich in Hamburg ein duales Studium bei der einfach ideal, um in unbestimm- zu begegnen, das fehlt mir. Aber Leben Commerzbank. Und Clemens – er hat ten Abständen Menschen nach- ist ja Veränderung. Ich fühle mich jetzt damals eine Ausbildung zum Luftver- zuspüren, die vielen Mitgliedern auch sehr wohl mit meinem Job und kehrskaufmann auf dem Sylter Flugha- und Freunden der Kirchenge- überhaupt läuft es gerade rund in mei- fen abgeschlossen und arbeitet inzwi- meinde ein Begriff sind, weil sie nem Leben“, erzählt Alexandra Fricke. schen in Zürich bei einer kleinen und durch ihr Engagement, ihre Mitar- sehr feinen Schweizer Fluggesellschaft. beit und ihre Persönlichkeit einen Die „Lebenssäule“ Arbeit war nach Sie machen genau das, was sie immer ihrem Ausscheiden aus dem Pastorat wollten“, resümiert die Mama die ak- festen Platz in den Herzen haben. zunächst etwas schief. Sie versuchte tuellen Lebensbezüge ihrer prachtvol- zwei Jobs, die am Ende beide nicht zu len Kinder. (1) ihr passten. Alexandra verbucht diese Alexandra Fricke Erfahrung heute in der Abteilung: „Um- Wäre dann da noch die Frage nach der wege erhöhen die Ortskenntnis.“ Inzwi- Liebe? Wie sieht es denn da aus, liebe Die Wenningstedterin hat acht Jahre schen hat sie aber die Arbeit gefunden, Alexandra? „Mit dem Herrn Doktor, lang den Herrn Pastor gemanagt und die sie erfüllt. Beim Inneneinrichtungs- also Alex Cegla, bin ich jetzt sechs das Vorzimmer, die Schaltzentrale des Spezialisten „Homestories“ in Wester- Pastorats, organisiert. Sie löste Kathrin land hat sie einen maßgeschneiderten Wenzel auf diesem Posten ab, um ihn Platz im Kreativ-Team gefunden. „Das dann im März 2019 wiederum an Kath- ist genau mein Ding. Ich fühle mich pu- rin Wenzel zu übergeben. Mit nordisch- delwohl“, resümiert sie. trockenem Humor und viel Herzens- wärme hat sie dieser Schlüsselaufgabe Seit 25 Jahren gilt ihr größtes Augen- im bunten Gemeindeleben immer eine merk ihren drei Kindern, die sie über gewisse Leichtigkeit verliehen. „In un- viele Jahre alleinerziehend ins Leben serer Kirchengemeinde gibt es so viele begleitet hat. „Bei meinen drei gro-
21 Patchwork-Gedöns um jeden Preis – zu uns hat das nicht gepasst und zu unse- ren Kindern auch nicht. Darum hat je- der von uns sein Zuhause behalten. Da- durch ist jede unserer Begegnungen bis heute etwas Besonderes geblieben.“ Was wohl wird, wenn der Herr Doktor im Januar 2022 offiziell seine Wen- ningstedter Praxis übergibt? „Es ist so viel möglich, was wir jetzt vielleicht noch gar nicht ahnen. Ich bin sehr ge- Jahre zusammen. Krass irgendwie. So spannt auf die Zukunft. Das Leben hat für sie eine weitere Essenz des Alltags. lange schon. Und es wird immer bes- uns ja gerade in der Covid-Krise ge- „Wie schön, dass das jetzt wieder un- ser mit uns“, meint sie strahlend. Das zeigt, wie wenig berechenbar es ist.“ beschwerter möglich ist. Für die schö- Alex & Alex-Couple hat sich für eine Die liberale und menschlich großzügige nen Begegnungen schätze ich auch die sehr bewusste Form von Beziehung Alexandra hält nicht viel von starren Friesenkapelle und das Gemeindele- entschieden, die sich stetig verändert Lebenskonzepten. Wege entstehen, ben – auch ohne gläubig zu sein. Die und ganz darauf verzichtet, klassischen indem man sie geht. „Werte und Ide- Gemeinschaft ist für mich die größte Vorstellungen nachzueifern. Die beiden ale sind mir natürlich wichtig. Aber das Qualität meiner Kirchengemeinde, für haben eine individuelle Form von Mit- Festhalten an Dogmen – das bin ich gar die ich wirklich gerne gearbeitet habe.“ einander gefunden. „Wir beide hatten nicht“, meint sie. schon ein komplexes Leben, als wir uns Als Rainer Chinnow ihr zu ihrem letzten kennenlernten. Unsere Kinder genießen Glücksmomente erlebt sie in den klei- Geburtstag einen Blumenstrauß vor- darin absolute Priorität. Wir wollten kein nen Dingen des Alltags: Dazu gehört beibrachte, hat sie sich riesig gefreut. für sie, draußen zu sein, das Meer zu „Das empfinde ich als große Wert- erleben. „Oft ist es einfach das größte schätzung.“ Die „nachhaltigste“ und Glück, mit meinen Hunden über den intensivste Verbindung aus ihrer Ära Wenningstedter Holzsteg Richtung im Pastorat hat sie mit Flo Albinger, Norden zu laufen. Für mich war der dem „Zivi“ von 2014 und 2015, der erste Lockdown mit seiner Stille vor al- vielen noch wegen seiner umwerfend lem ein großes Naturerlebnis. Was nicht positiven Energie in Erinnerung geblie- heißt, dass ich die Sorgen und Nöte um ben sein wird und dem wir jetzt hier in mich herum ausgeblendet hätte“, sagt der „Was macht eigentlich?“-Rubrik sie. Begegnungen mit Menschen sind ebenfalls ein Kapitel widmen…
22 WAS MACHT EIGENTLICH? mich von klassischen Idealen gelöst keitsarbeit. Er zog mit seinem Freund, (2) und in jeder Hinsicht entdeckt, wer einem TV-Koch, zusammen. Die beiden Florian Albinger ich wirklich bin, was ich gut kann und entwickelten ein Konzept für private Der fröhliche Hesse war einer der FSJ- wofür mein Herz schlägt.“ Flo Albinger Dinnerabende bei sich zuhause: Sein ler in der Kirchengemeinde, die ihre entdeckte seine Freude an Tourismus, Liebster als Meister der Kulinarik und Dienstzeit mal eben um ein halbes Jahr Marketing und Gastronomie, hatte sein er als Gastgeber. verlängerten, weil er sich so pudelwohl „Comingout“ und hat privat wie beruf- fühlte – mit seiner Arbeit, in der Ge- lich seinen Weg gefunden. Heute sind die zwei nicht mehr zusam- meinschaft und auf der kleinen, munte- men, realisieren ihr Dinner-Format aber ren Insel in der Nordsee. Für Florian Al- Nach seiner Sylt-Zeit absolvierte er ein weiterhin gemeinsam. Eine krasse Le- binger erwies sich Sylt als der perfekte duales Studium. Die Ausbildung mach- bensveränderung bedeutet für ihn die Nährboden. „Gerade die Betreuung der te er theoretisch in Freiburg und prak- Corona-Zeit aus vielen Gründen. „Ich alten Damen, die Verantwortung, die tisch in einem Design-Erlebnis-Hotel in war im Homeoffice und konnte das erst wir da übernehmen für deren Wohl, die Fulda. Dort eroberte er sich mit seiner wirklich genießen. Aber irgendwann Gespräche auf Augenhöhe, die man mit kommunikativen Art schnell Aufgaben fällt einem dann auch die Decke auf gestandenen Frauen führt, die haben im Marketing. Nach dem Studium be- den Kopf“, resümiert der gesellige Flo- mich unglaublich wachsen lassen und gann seine leicht „spießige Phase“, rian. Doch die Krise entpuppte sich für ganz stark geprägt fürs Leben“, for- wie er es selber nennt, mit „Klischee- ihn als Chance. Die Wirtschaftsförde- muliert Florian es anerkennend aus der Krawatte“ und allem, was dazugehört. rung der Region Fulda wurde auf seine Retrospektive. Vielen seiner „Omis“, Er machte für ein Kongress-Hotel in exzellente Marketing-Arbeit aufmerk- wie er immer liebevoll sagt, richtete Fulda die Werbung, betreute den So- sam und beauftragte ihn mit einem er WhatsApp auf dem Handy ein und cial Media Auftritt und die Öffentlich- Projekt im Online-Marketing. blieb stets im engen Kontakt. Mit seiner Herzenswärme, der zupa- ckenden Art, seiner Empathie und Tat- kraft passte Florian ganz wunderbar zur Kirchengemeinde und umgekehrt passte das freilassende und dennoch familiäre Szenario eben auch zu ihm. Ihn machte seine Aufgabe als „Zivi“ definitiv stark für alles, was dann folg- te. „Als ich nach Sylt kam, wollte ich noch Zahnarzt werden und hatte eine Freundin zuhause in Fulda. Während meiner 1,5 Jahre auf der Insel habe ich
23 wurde es nichts mit dem Treffen mit Musk, weil der plötzlich absagte. Für die Gründer hat sich der Besuch trotz- dem gelohnt, denn ihr Bohrer war in aller Munde. Nach diesem spektakulären Arbeits- ausflug in die Wüste bei Las Vegas ist Florian jetzt wieder zurück in Fulda und füllt neue Projekte mit Leben. „Das ist einfach ein Traumjob“, meint er begeis- terungsfähig wie eh und je. Das setzte der in Fulda so perfekt ver- netzte junge Mann so gut um, dass Jetzt im späten Herbst ist es für ihn der Oberbürgermeister ihn fragte, ob zeitlich drin, seine Lieblings-Insel zu er nicht komplett einsteigen wollte als besuchen, den Wind zu genießen und Florian hat seine Sylter Erinnerungen Leiter der Kommunikationsabteilung seine Freunde zu treffen. Wohnen tut ganz brav in Fotoalben festgehalten. der Wirtschaftsförderungsgesellschaft. er stets bei Alexandra Fricke im Mittel- Beim Durchblättern entsteht Sehnsucht — nach sylt und seinen freunden vor ort. „Wir unterstützen Startups dabei, mit weg. „Das ist wie nach Hause kommen. ihrem Geschäftsmodell am Markt er- Zwischen Alexandra und mir ist es trotz folgreich zu werden“, beschreibt Flo- des Altersunterschiedes ein Verhältnis rian die Aufgabe seiner Institution. Ein wie zwischen Freunden. Das ist ein be- glamouröses Beispiel seines Jobs aus sonderes Geschenk, sich so zu gut zu der nahen Vergangenheit: Ein Grün- verstehen.“ Auch den Pastor trifft er derteam aus Fulda und Umland ent- bei jedem Besuch und bewundert ihn wickelte eine Tunnelbohrmaschine, an im Stillen dafür, dass er immer für alle der alsbald Supermilliardär Elon Musk Sorgen ein offenes Ohr hat und sich die Interesse zeigte. Mit den jungen Ingeni- Zeit nimmt, um zuzuhören. Ein Leben euren reiste Florian sogar in die Wüste auf Sylt – kann Florian sich das vorstel- von Nevada, um die Supererfindung len? „Ich habe mir gesagt, als ich weg- vorzustellen. Das Medieninteresse war ging, irgendwann komme ich zurück riesig und Florian bediente alle Kanäle und werde Kurdirektor. Die Vorstellung – er schrieb Pressemitteilungen, führte finde ich nach wie vor sehr attraktiv“, Interviews und bediente die Social- meint er in seiner umwerfend fröhli- Media-Kanäle mit Inhalten. Am Ende chen Florian-Art.
24 IM INTERVIEW
25 TOURISMUSDIREKTOR HENNING SIEVERTS „Es gibt dicke Bretter zu bohren!“ Mit der Redewendung von den dicken Brettern, die es zu bohren gilt, umschreibt Tourismusdirektor Henning Sieverts die großen Herausforderungen, vor denen die Insel steht. Im Interview für das Gemeindejournal BI SERK sprachen wir zudem über die von der Amtskirche angekündigten Stellen- streichungen auf Sylt.
26 IM INTERVIEW s gibt eine außerordent- Sylt von sechs auf drei kürzen. Die lich harmonische Zusam- Norddörfer Kirchengemeinde wäre menarbeit zwischen der davon natürlich auch betroffen. Kirchengemeinde und Pastor Chinnow wehrt sich gegen dem Tourismus-Service Wenning- die Kürzungen mit guten Argumen- stedt-Braderup. Auf welchen Ebe- ten. Für seine resoluten Aussagen nen sind die Institutionen mitein- ist er in einem Zeitungsinterview ander verbunden? in der Sylter Rundschau von seinen HENnING SIEVERTS: Bevor das „Haus am Vorgesetzten harsch gerügt wor- Kliff“ und unser „kursaal³“ vor sieben Jah- den. Wie denkst Du darüber? ren eingeweiht wurde, waren wir mit all HENnING SIEVERTS: Ich halte den von Seiten unseren Veranstaltungen im Pastorat und in des Kirchenkreis-Rates mit viel Nachdruck der Kirche zu Gast – und stets willkommen. vertretenen Ansatz der Pfarrstellenstrei- Auch heute kooperieren wir sehr eng im chung hier auf der Insel für eine strate- Kultur-, Event- und Veranstaltungsbereich. gische Fehlentscheidung. Man schwächt Aus der Zusammenarbeit auch in vielen Kirche ausgerechnet dort, wo kirchliche anderen dörflichen Belangen hat sich für Gemeinschaft noch funktioniert und auch mich eine echte Freundschaft mit Pastor Menschen über die Gemeindemitglieder im Rainer Chinnow entwickelt. Außerdem fühle engeren Sinn hinaus, sprich Urlaubsgäste ich mich als evangelischer Christ sehr auf- und Zweitwohnungsbesitzer, erreicht. Der gehoben in einer Kirchengemeinde, in der nunmehr beschlossene Weg ist in meinen Gemeinschaft so gelebt wird wie hier. Jeder Augen nicht Aufbruch und Umkehr aus der ist willkommen, unabhängig von seiner Her- Krise, sondern Fortschreibung und Verstär- kunft, seinem sozialem Status, von seinem kung von Fehlern der Vergangenheit und Ursprungsglauben. Der gemeinsame Nenner Beschleunigung des eigenen Niedergangs. sind die christlichen Werte. Jeder, der möch- te, erfährt hier ein liebevolles und herzliches Es ging in der Sache jedoch noch Miteinander – und auch Rat und Tat, wenn einen Schritt weiter… er das braucht. Wenn Gemeinschaft überall HENnING SIEVERTS: Genau. Als sich der Pas- so funktionieren würde, wären wir auf der tor öffentlich, in einem Interview, gegen die Welt ein ganzes Stück weiter. Sparmaßnahmen und die Diskussionskultur in dem Zusammenhang aussprach, wurden Der Kirchenkreis will 2030 die An- ihm in der Folge disziplinarische Konse- zahl der Pastor*innen-Stellen auf quenzen angedroht. Vielleicht waren Rainer
27 Chinnows Aussagen in der Sylter Rund- schau nicht besonders diplomatisch – dem Thema „Zu Gast sein auf dieser Welt“. Wenn sich allein Mi casa es tu casa. gerade die Überschrift hatte es in sich. auf dieser Insel jeder wie ein Mein Haus ist Dein Haus. Aber ich finde die Reaktion seitens des Gast fühlen und entsprechend – Standard-Satz in Spanien und Propstes auf die Äußerungen unseres verhalten würde, gäbe es wahr- Südamerika, um bedingungslose Pastors ein Armutszeugnis. Er mag die scheinlich nicht so viel Unmut Gastfreundschaft zum Ausdruck das Gesagte nicht gutheißen, aber von zwischen Besuchern und Be- zu bringen einer Führungskraft erwarte ich mehr wohnern wie aktuell. Souveränität und von einem Vertreter In der Kirchengemeinde wird me Interessen zwischen Einheimischen des christlichen Glaubens mehr Barm- gezeigt, wie das geht. Ist das und Gästen waren, ist inzwischen eine herzigkeit. Er hätte in den Dialog treten Verhältnis zwischen Bewoh- Konkurrenzsituation entstanden. Die sollen anstatt mit der Androhung dis- nern und Besuchern aufgrund Zweitwohnung des einen nimmt den ziplinarischer Maßnahmen zu agieren. des überall empfundenen Wohnraum des anderen. Wo gestern Das ist ein Zeichen von Schwäche und „Zuviels“ insular endgültig in noch der Gast die eigene Immobilie zeugt nicht davon, dass innerhalb der den Brunnen gefallen? finanziert hat, ist der Zweitwohnungs- Kirche auch das gelebt wird, was man HENnING SIEVERTS: Ich denke, um die ak- besitzer heute derjenige, der die Preise den Gläubigen von den Kanzeln pre- tuellen Spannungen zu verstehen, muss für den einheimischen Arbeitnehmer in digt. Ich habe so etwas schon einmal man sich die historische Entwicklung unerreichbare Höhen treibt. Da tröstet in meiner Heimatgemeinde in Bielefeld des Tourismus auf Sylt ansehen: Früher auf Dauer auch kein Schwimmbad oder erlebt: Da hat die Amtskirche nach ei- haben viele Einwohner vom Tourismus andere touristische Infrastruktur drüber ner Kirchenschließung Gläubige mit mehrfach profitiert: Über die eigene Ar- hinweg. Zumal die Kapazitätsgrenzen Sicherheitsdienst aus der Kirche tragen beitsstelle, eine verbesserte Infrastruk- der Verkehrsinfrastruktur für alle wahr- lassen... tur, vor allem aber auch die Möglich- nehmbar längst überschritten sind, also keit der Refinanzierung einer eigenen auch hier aus Sicht vieler nicht mehr die Wie wird der Kirchengemein- Immobilie über Ferienvermietung. Vor Vorteile des Tourismus überwiegen. derat sich zu dem Thema posi- allem Letzteres ist heute nicht mehr tionieren? möglich. Die immer schon hohen Im- Und es sieht nicht so aus, als HENnING SIEVERTS: Das kann ich nicht mobilienpreise auf der Insel sind nicht würden die nächsten Sommer sagen, das besprechen wir noch. Klar zuletzt auch verstärkt durch die Nie- ruhiger verlaufen. Überall wird ist aber, dass alle hinter unserem Pastor drigzinspolitik der EZB und den enor- gebaut. Es entstehen insular stehen. men Nachfragedruck auf dem Immobi- viele weitere Ferienobjekte. lienmarkt in unerreichbare Höhen ge- Auf der anderen Seite herrscht Diese Ausgabe des Gemeinde- stiegen. Mit allen Konsequenzen auch ein eklatanter Fachkräfte- und journals beschäftigt sich mit für die Mietpreise. Wo früher gemeinsa- Wohnraummangel. Rousseau
28 IM INTERVIEW hat mal gesagt: „Der Zustrom nicht nur auf Sylt, sondern bundesweit von Gästen zerstört die Gast- ein Thema sein sollte. Für eine wirkliche freundschaft.“ Drastisch ge- Lösung des Problems gilt es also, dicke fragt: Gibt es noch eine Rettung Bretter zu bohren… für Sylt? HENnING SIEVERTS: Das Schwierige ist Hier in Wenningstedt wurde ja, dass man beide Seiten verstehen vor wenigen Jahren gemein- kann: Die Sicht von Einheimischen, die schaftlich ein Slogan entwi- einfach nicht mehr in dem Maß wie ckelt, der zusammenfasst, um früher vom Tourismus profitieren, son- was es hier im Tourismus gehen dern persönlich inzwischen auch unter soll. Wie heißt Euer Leitsatz den Folgen leiden, ist verständlich, der und was bedeutet er? Urlaubs- und Immobilienkaufwunsch HENnING SIEVERTS: Im Rahmen meh- der Gäste auch. Um von kommunalpo- litischer Seite wirksam gegenzusteuern, rerer Workshops mit Beteiligung von Gemeindevertretern und Bürgern Mini-Vita gibt es meines Erachtens zu wenige entstand als Quintessenz dieser Satz: Die Ururgroßeltern von Henning Instrumente. Die Schaffung von Dauer- „Wenningstedt-Braderup – Das Zuhau- Sieverts stammen aus Morsum. Sein jüngst verstorbener Vater wohnraum ist sicherlich eins, das auch se für Familienmenschen in Sylts golde- wuchs auf der Halbinsel Eider- erfolgreich angewendet wird, aber, wie ner Mitte“. Darin synthetisieren sich die stedt auf. Henning Sieverts, Vater ich denke, nicht reicht. Das Angebot Qualitäten des Ortes als vitales Dorf in zweier kleiner Kinder, studierte von eigentumsähnlichen Rechten an privilegierter Lage. Daraus leitet sich für internationale Betriebswirtschaft, Grundstücken, z. B. auf Erbpachtbasis, uns der Anspruch ab, diesen Gedanken auch in Dublin und in Málaga. kann ein weiterer Baustein sein. Im touristisch auf allen Ebenen mit Leben Bevor er in Wenningstedt als Bereich der Bauleitplanung lässt sich zu füllen, so wie man es beispielsweise Tourismusdirektor seine erklärte das Rad vielfach nicht ohne Schadener- beim Dorfteichfest erleben kann, wenn Lieblingsaufgabe fand, arbeitete satzrisiken für die Gemeinden zurück- Einheimische, Gäste und Zweitwohner er unter anderem als Geschäfts- drehen, wenn es um die Sicherung von gemeinsam bei der Norddörfer Kir- führer bei einer Tochtergesell- Dauerwohnraum geht. Hier sehe ich chengemeinde arbeiten und feiern. Ge- schaft des renommierten Arma- Lösungen nur auf Bundesebene, auch rade in der aktuellen, teils polarisierten turen-Herstellers „Dornbracht“. wenn es grundsätzlich darum geht, Stimmung, ist der persönliche Kontakt Henning Sieverts ist Mitglied im den Erwerb der Erstwohnimmobilie im und das wechselseitige Verständnis Kirchengemeinderat. Die christ- Vergleich zur Zweitimmobilie stärker zu noch wichtiger. Hierfür gilt es, weitere liche Gemeinschaft am Dorfteich fördern, was, meiner Auffassung nach, Gelegenheiten zu schaffen. liegt ihm sehr am Herzen.
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