Studierende gestalten Lehre - Hochschullehrerbund
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Ausgabe 05-2019 FÜR ANWENDUNGSBEZOGENE WISSENSCHAFT UND KUNST Studierende gestalten Lehre Campusnotizen hlb aktuell Aus Wissenschaft Wissenswertes Studierende bauen Boote hlb klagt gegen & Politik Amtsärztliche aus Beton Lehrverpflichtung von 18 SWS Deutschland bei internatio- Zusatzuntersuchung nicht an HAW nalen Studierenden begehrt separat anfechtbar 5 21 32 34
2 Inhalt Campusnotizen Titelthema: hlb aktuell 4 OTH Amberg-Weiden: Hochschule Studierende 24 Landesverband Bayern VHB: und Handwerk Hand in Hand gestalten Lehre Delegiertenversammlung 2019 des VHB Jade Hochschule: Digitalisierung zum Wohle des Menschen? DFG-Fachkollegienwahl 2019: Nur 8 Studierende lehren und 0,6 Prozent der Kandidierenden für die 5 Zukunft Lernwelt Hochschule: lernen sozial-ökologische DFG-Fachkollegien von HAW Gewaltige Umbrüche Verantwortung | Von Dr.-Ing. André 25 hlb -Landesverband 6 Hochschule Darmstadt: Baier und Prof. Dr.-Ing. Matthias Neef Niedersachsen: Betonkanus für studentische Regatta 12 Überwiegend positiv: die Lehr- Hochschullehrerbund hlb klagt gegen HWR Berlin: Spezialisten für Erfahrungen studentischer Lehrverpflichtung von 18 SWS an HAW Immobilien- und Vollstreckungsrecht Tutoren | Von Prof. Dr. Beatrice hlb -Kolumne: Commitment gesucht Dernbach, Franziska Hofmann und für die Lehre | Von Nicolai Vanessa Neuß 7 Hochschule Niederrhein: Müller-Bromley, Präsident der hlb - Mit Blockchains Lebensmittel 16 Den Augenblick ergreifen: Eine Bundesvereinigung rückverfolgen neue Lernperspektive außerhalb Hochschule Mittweida: des Curriculums | Von Dr. Oliver Faber und Prof. Andrew G. Hood Forensikstudium ganz nah am echten Wissenswertes Fall 20 Projektlehre und selbst gestaltete Inhalte zum 34 Alles, was Recht ist Aus Wissenschaft Studienstart in Würzburg | Von 35 Neue Bücher von Kolleginnen Prof. Dr. Steffen Hillebrecht und René & Politik Anderl und Kollegen 36 Neuberufene 30 Open Access: Neuer Vertragsrahmen Niedersachsen: Europa-Programm Fachaufsätze fördert Zusammenarbeit Standards 31 Bildungsungleichheit: Maßnahmen 26 Gestalten Studierende Lehre gegen Ungleichheit durch ihre Erwartungen und 3 Editorial Wissenschaftsfreiheit: Kompetenzen? | Von Prof. Dr. Ullrich 33 Autorinnen und Autoren gesucht Forschungsorganisationen legen Dittler und Honorar-Prof. Dr. Christian & Impressum Selbstverpflichtung vor Kreidl 38 Stellenanzeigen 32 Wissenschaft weltoffen 2019: 40 hlb -Seminartermine 2019/20 Deutschland? Bei internationalen Studierenden begehrt! Studiengebühren: Nein zu Studiengebühren gefordert 33 Berufliche Hochschule Hamburg: Erfolg bei Innovationswettbewerb des BMBF 05 | 2019 DNH
Editorial 3 „Wenn alles schläft und einer spricht … „… heißt das Ganze Unterricht.“ An lockeren Sprüchen über die Rollenverteilung im Hörsaal oder Seminarraum herrscht kein Mangel. Schwieriger ist es schon, daran etwas zu ändern. Bei der Auseinandersetzung mit dem studentisch selbst organisierten Projekts gestellten Thema der Abschlussarbeit zur sozialen Verantwortung des Ingeni- eines Studiengangs erwarten wir stets ein eurwesens vor, das mittlerweile an mehre- gehöriges Maß an Selbstständigkeit. Für ren Hochschulen in Deutschland prakti- Foto: Fotoladen Wedel viele Studierende stellt dies aber einen ziert wird (Seite 8). Kulturbruch dar, waren sie es doch bis dahin gewöhnt, dass die Professorin oder Beatrice Dernbach, Franziska Hofmann der Professor Richtung und Schrittmaß und Vanessa Neuß beschreiben die Erfah- Christoph Maas ihres Lernens vorgibt. Natürlich kennen rungen von Tutorinnen und Tutoren, die wir alle aktivierende Lehrmethoden, mit in einer Veranstaltung für Erstsemester denen wir in unserem seminaristischen im Studiengang Technikjournalismus ein Unterricht das Auditorium von Zeit zu hohes Maß an Eigenverantwortung tragen Zeit aus der passiven Rolle hinausführen. (Seite 12). Auch ist der hohe Anteil an Laborveran- staltungen in vielen unserer Studiengänge Oliver Faber und Andrew Hood zeich- als Qualitätsmerkmal nicht zu unterschät- nen den Weg nach, auf dem sie die Gren- zen. Trotzdem spüren die Studierenden, zen hochschulinterner Projekte erfahren dass sie sich in einem mehr oder weni- haben und deshalb jetzt zum Thema Soci- ger engen Rahmen bewegen, den ande- al Entrepreneurship mit einem externen re gesetzt haben. Selbst Studierende, die Partner zusammenarbeiten (Seite 16). während ihres Praxissemesters viel Frei- raum erhalten haben, um ihre Fähigkeiten Steffen Hillebrecht und René Anderl zu zeigen und weiter zu erproben, kehren bieten im Studiengang Medienmanage- oft klaglos ans Gängelband zurück, sobald ment eine Veranstaltung für Erstsemes- sie wieder die Hochschule betreten. ter an, die minimale inhaltliche Vorga- ben mit einer durchdachten Begleitung Der einzige Weg, eine andere Einstel- zu Methodik und Selbstwahrnehmung lung bei den Studierenden zu fördern, verbindet (Seite 20). besteht darin, dass sie Situationen erle- ben, in denen sie selbst das Ziel und den Wenn Studierende Lehrveranstaltung Weg dorthin maßgeblich bestimmen und in hohem Maße eigenverantwortlich verantworten. Am besten sollten solche gestalten, kommen auf die Lehrenden Erfahrungen schon im ersten Semester zwei wichtige Aufgaben zu: Sie müssen möglich sein und damit die Vorstellung, zum einen die Verbindung zwischen dem was ein Studium ausmacht, von Anfang Geschehen im Semester und dem Quali- an prägen. fikationsziel des Studiengangs sicherstel- len und zum anderen die Studierenden Die Aufsätze in diesem Heft stellen zur Reflexion über den Lernprozess und Beispiele für unterschiedliche Fächer und über das Geschehen während der Arbeit Studienphasen zur Diskussion. miteinander anleiten. Auch unsere eige- ne Arbeit fühlt sich dann also mit einem André Baier und Matthias Neef stel- Mal deutlich anders an. len die Grundstruktur eines komplett Ihr Christoph Maas DNH 05 | 2019
4 Campusnotizen OTH Amberg-Weiden Hochschule und Handwerk Hand in Hand modernster Technik vor und integrierten somit High-End-Technik und Verfahrung zur Überprüfung und Instandhaltung in ein traditionell geprägtes Berufsbild. Foto: Steger/OTH Amberg-Weiden Erfahrungen gewinnbringend für Kamin- kehrerhandwerk Das Kaminkehrerhandwerk ist einer der wenigen Berufe, die ihrem Titel und ihrer Zunft seit dem 18. Jahrhundert treu blei- Von links: Michael Hebauer (wiss. Mitarbeiter OTH Amberg-Weiden), Sabine Märtin (Leiterin OTH ben, aber dennoch mit der Zeit gehen. Professional), Obermeister Richard Herbst (Vorstandsmitglied Aus- und Fortbildungszentrum Mühlbach e. V.), „Das Schornsteinfegen und die Abnahme Prof. Dr. Andrea Klug (Präsidentin OTH Amberg-Weiden), Obermeister Peter Wilhelm (Vorstand Aus- von Feuerungsanlagen bleiben eine Kern- und Fortbildungszentrum Mühlbach e. V.), Obermeister Benjamin Schreck (Vorstandsmitglied Aus- und Fortbildungszentrum Mühlbach e. V.), Bürgermeisterin Carolin Braun (Stadt Dietfurt), Prof. Dr.-Ing. Markus aufgabe, doch seit der Jahrtausendwende Brautsch (OTH Amberg-Weiden, Leitung KoKWK) kamen viele neue Aufgaben hinzu, wie das Erstellen von Energieausweise für z. B. Die Ostbayerische Technische Hochschu- Weiterbildung startet im Herbst Wohngebäude, Emissionsmessungen bei le (OTH) Amberg-Weiden arbeitet künf- Feuerungsanlagen, Wartung und Inspekti- tig mit dem Aus- und Fortbildungszen- Die Kooperationsvereinbarung legt den on von Lüftungs- und Klimaanlagen, um trum im Kaminkehrerhandwerk Mühl- Grundstein für eine langfristige und nur wenige zu nennen“, sagt Obermeister bach e. V. zusammen. Prof. Dr. Andrea gegenseitig gewinnbringende Partner- und Schulleiter Peter Wilhelm. Das Know- Klug, Präsidentin der OTH Amberg-Wei- schaft. „Vor dem Hintergrund der Ener- how des KoKWK und die Infrastruktur der den, und Schulleiter Peter Wilhelm, Aus- giewende und des damit verbundenen OTH Amberg-Weiden seien für die unter- und Fortbildungszentrum im Kaminkeh- technologischen Wandels im Berufs- schiedlichen Berufsfelder des Kaminkeh- rerhandwerk Mühlbach e. V., haben mit bild des Kaminkehrers/der Kaminkeh- rerhandwerks fruchtbarer Boden. „Umge- der Unterzeichnung der Kooperations- rerin wollen wir mit unserer Infrastruk- kehrt benötigen die Ingenieurinnen und vereinbarung die Zusammenarbeit offizi- tur und den neuesten wissenschaftlichen Ingenieure für neue Forschungsvorhaben, ell besiegelt. Die wichtigsten Bestandteile Erkenntnissen im Weiterbildungsbereich wie zur Einschätzung und Optimierung der Kooperation sind die Durchführung unterstützen“, so die Präsidentin bei spezieller Feuerungsanlagen, die Experti- von Aktivitäten im Rahmen der Aus-, der Vertragsunterzeichnung. Bereits im se des Kaminkehrerhandwerks“, so Prof. Fort- und Weiterbildung im Kaminkeh- September 2019 fand die erste Weiterbil- Dr. Markus Brautsch, Leiter des Kompe- rerhandwerk, Exkursionen zum Koope- dungsmaßnahme mit dem Ausbildungs- tenzzentrums für Kraft-Wärme-Kopplung rationspartner z. B. zu Laborführungen, zentrum Mühlbach im Bereich der Emis- (KoKWK). Zusammenarbeit und Nutzung der Infra- sionsmessung an Blockheizkraftwerken struktur im Rahmen der Berufsbildung, in Amberg am Kompetenzzentrum für OTH Amberg-Weiden Ausarbeitung und Abstimmung von Kraft-Wärme-Kopplung (KoKWK), an gemeinsamen Lehr- und Lerninhalten, dem die Kooperation fachlich angebun- Forschungsaktivitäten sowie der informel- den ist, statt. Die angehenden Meister le Austausch und Netzwerkaktivitäten. und Meisterinnen nahmen Messungen an Jade Hochschule Digitalisierung zum Wohle des Menschen? Die Digitalisierungsstrategie der Bundes- Public Health. Durch den Einsatz moder- Speziell dafür ausgebildete Pflegekräf- und Landesregierungen beeinflusst auch ner Technologien, wie Video-Sprech- te werden in Zukunft dank fortschrei- Forschung und Entwicklung der Gesund- stunden in der ländlichen Region, tender Digitalisierung Tätigkeiten über- heitswissenschaften. An der Jade Hoch- werden Patienten wie Ärzte entlastet, da nehmen können, die heute noch allein schule beschäftigen sich die Wissen- Anfahrtswege und Wartezeiten entfallen. in ärztlicher Hand liegen. Die medizi- schaftlerinnen und Wissenschaftler unter „Wenn ich aber mit meinem Arzt über- nische Versorgung im Offshore-Bereich anderem mit Fragestellungen, wie Pfle- wiegend telefonisch Kontakt habe, bleibt greift bereits mithilfe der Telemedizin ge und Versorgung in Zukunft erfolgen das klassische Arzt-Patienten-Verhält- darauf zurück und dank AGnES, einer kann. „Dabei müssen diese Lösungen nis auf der Strecke“, warnt Koppelin. So arztentlastenden, gemeindenahen, E- menschenwürdig sein“, betont Prof. Dr. könnte es in Zukunft zu Veränderungen Health-gestützten, systemischen Inter- Frauke Koppelin, Studiengangsleiterin der Rollen und Berufsbilder kommen. vention, können schon heute Hausärzte 05 | 2019 DNH
5 Tätigkeiten und Besuche an qualifizierte ausgerichteten Studienganges Public gesundheitsfördernde Maßnahmen für Praxismitarbeitende delegieren. Health in ihrem Weiterbildungsstudi- ältere Menschen (65+) zu entwickeln, um mit dieser Thematik und erhalten diese zu erproben und anschließend Durch den Einsatz von künstlicher das Handwerkszeug, um entsprechen- zu evaluieren. Der Forschungsverbund Intelligenz im Gesundheitsbereich, wie de zeitgemäße Lösungen zu erarbeiten, „Flexible Dienstleistungsarbeit gesund- dem Einsatz von Pflege-Robotern, wird beispielsweise in Bezug auf die digitale heitsförderlich gestalten“, kurz flexige- sich diese Erwerbsarbeit weiter massiv Patientenakte. An gleicher Stelle setzen sa, untersucht hingegen, wie sich flexible verändern. Forschungsprojekte der Jade Hochschule Interaktionsarbeit gesundheitsförderlich an. So hat sich das vom Bundesministe- gestalten lässt. Deshalb beschäftigen sich Studie- rium geförderte Präventionsforschungs- rende des gesundheitswissenschaftlich netzwerk AEQUIPA zum Ziel gesetzt, Jade Hochschule Zukunft Lernwelt Hochschule Gewaltige Umbrüche Wissenschaft. Dass in Zukunft auch sehr unkonventionelle Strategien erforderlich sein werden, zeigte Dr. Sybille Reichert, die Hochschulen bei Veränderungsprozes- sen berät, bei ihrem Vortrag anhand von Entwicklungen im Ausland. Nicht nur die Intensivierung der Kooperationen nach Foto: Silke Dutz außen (Firmen, Kommunen usw.) wird in Zukunft notwendig sein, sondern auch ein integriertes Konzept der Zusammen- Verpassen die Hochschulen die Zukunft genauso wie die Automobilindustrie? In den Workshops der arbeit aller Akteurinnen und Akteure in Konferenz wurde lebhaft diskutiert. der Hochschule, um die Herausforderun- gen der Zukunft zu bewältigen. Am 28. und 29. März 2019 fand die Konfe- Dass es um eine Neuausrichtung der Die Ergebnisse des Forschungsprojek- renz „Zukunft Lernwelt Hochschule“ mit Hochschulen gehen wird, zeigten auch tes „Lernwelt Hochschule“ zeigen, dass 140 Vertreterinnen und Vertretern von die ersten Ergebnisse des Projektes „Lern- gerade in der Handlungskoordination Hochschulleitungen aus ganz Deutsch- welt Hochschule“, das von Prof. Dr. aller Ebenen, die die Hochschule betref- land auf dem Bildungscampus der Dieter Richard Stang von der Hochschule der fen (Politik, Organisation usw.), noch Schwarz Stiftung in Heilbronn statt. Sie Medien Stuttgart geleitet wird. Um es auf sehr viel Optimierungsbedarf vorhanden diskutierten über die zukünftige Gestal- den Punkt zu bringen, führte er aus: „Bei ist. Die Ergebnisse des Projektes sollen tung von Hochschulen unter der Perspek- den Hochschulen in Deutschland ist es im Anfang 2020 als Open-Access-Publikati- tive des „shift from teaching to learning“. Prinzip ähnlich wie bei der Autoindust- onen bei DeGruyter in der Reihe „Lern- rie. Über Jahrzehnte wähnte man sich an welten“ vorliegen. Dabei wurde deutlich, dass es an eini- der Spitze der Entwicklung und sah es als gen Hochschulen interessante Ansätze unnötig an, grundlegende Veränderungen Informationen zum Projekt gibt, die allerdings oft nur im konkre- vorzunehmen, und plötzlich verändern http://leho.blog/ ten Umfeld greifen. So werden Konzepte sich die Strukturen und die Märkte und und zur Konferenz des projektorientierten Lernens sicher an man muss aufwendig versuchen, verlore- http://zukunftlernwelthochschule.de Dynamik gewinnen. Eine Besonderheit nes Terrain wieder zurückzugewinnen.“ der Konferenz war es auch, dass Studie- Die Konferenz zeigt auch, dass es bezo- rende, die beim Hochschulforum Digi- gen auf die Hochschullandschaft nicht talisierung als „Digital Changemaker“ nur um „Schönheitskorrekturen“ gehen eingebunden sind, den Konferenzteil- wird, sondern der Wandel auf den Feldern nehmenden den Spiegel vorhielten. So Organisation, Lehre und Lernen, Raumge- wünschen sich die Studierenden mehr staltung sowie digitale Strukturen grund- aktive Beteiligung bei der Gestaltung von legende Veränderungen erfordern wird. Veränderungsprozessen und dies nicht Prof. Dr. Richard Stang nur in den Gremien, die durch die Hoch- In die Diskussionen der Konferenz stang@hdm-stuttgart.de schulgesetzgebungen vorgegeben werden. eingebunden waren auch das Centrum Ein Ergebnis der Konferenz ist, dass es in für Hochschulentwicklung (CHE), das Alexandra Becker Zukunft auch darum gehen wird, Studie- HIS-Institut für Hochschulentwicklung, beckera@hdm-stuttgart.de rende stärker in die Strategieentwicklung das Hochschulforum Digitalisierung einzubinden. sowie der Stifterverband für die Deutsche DNH 05 | 2019
6 Campusnotizen Hochschule Darmstadt Betonkanus für studentische Regatta dann als Träger für zwei möglichst dünne und zugleich wasserdichte Lagen Beton, die per Spachtel aufgetragen und in die ein flexibles Textilgewebe aus Basaltfasern eingelegt wurde. Diese Bewehrung verhin- Foto: Hochschule Darmstadt dert, dass der an manchen Stellen nur vier Millimeter dünne Beton bricht. Bei Ernie entschieden sich die Studie- renden für eine unkonventionelle Vorge- hensweise: Um das Betonkanu möglichst Das Team der Hochschule Darmstadt für die diesjährige Betonkanu-Regatta gedrungen wirken zu lassen, kappten sie das spitze Heck und versahen es mit einer Sie wiegen nur je gut 35 Kilogramm und „Bert ist als Figur eher schlank, daher abgeschrägten Rückseite, vergleichbar sind damit so leicht wie nie zuvor: die haben wir dem Kanu einen schmaleren einem klassischen Segelboot. Das Kanu beiden neuen Betonkanus, die Studieren- Bug für Geschwindigkeit und Wendigkeit ist nun nur vier Meter lang, kürzer dürfte de des Bachelor-Studiengangs Bauingeni- gegeben“, erläutert der studentische Team- es für die Teilnahme an der Betonkanu-Re- eurwesen an der Hochschule Darmstadt leiter Eric Muth. „In Analogie zum etwas gatta nicht sein. Auch einen passenden (h_da) im Sommersemester gebaut haben. breiteren Ernie zeichnet sich dieses Kanu Farbanstrich haben die Boote erhalten: Mit ihren Baustoff-Leichtgewichten treten durch seine gedrungene Form und die Ernie eher rötlich, Bert eher gelblich. die Studierenden bei der 17. Deutschen hieraus resultierende Schwimmstabilität Betonkanu-Regatta in Heilbronn gegen aus.“ Wichtig war den Studierenden, beide „Was kann Beton? Wie verhält er sich? weitere Teams aus Hochschulen und Boote möglichst leicht und zugleich stabil Mit diesen Fragen beschäftigen sich Institutionen an, an denen Betontech- zu bauen. In wochenlangen Tests haben sie unsere Studierenden intensiv“, erläu- nik gelehrt wird. mit Betonschichten experimentiert, um die tert die betreuende Professorin Regi- bestmögliche Baustoff-Zusammensetzung na Stratmann-Albert zum Hintergrund „Ernie“ und „Bert“ heißen die neuen zu erreichen. des Projekts. „Sie lernen aber auch, wie Wettbewerbsboote für das Wasserrennen wichtig Teamarbeit ist und dass so ein auf dem Neckar. Die Namen der Kanus Basis eines jeden Betonkanus ist die Scha- Projekt nur erfolgreich sein kann, wenn sind für die Studierenden allerdings lung. Diese wurde von den Studierenden für es gelingt, eine 13 Personen starke Mann- mehr als nur ein spaßiges Detail. Denn „Bert“ aus glasfaserverstärktem Kunststoff schaft zu koordinieren.“ die Namensgeber bestimmen die Bauwei- gefertigt. Vorlage war ein klassisches, ausge- se der Boote. dientes Kanu, von dem eine Art Abdruck h_da genommen wurde. Die Schalung diente HWR Berlin Spezialisten für Immobilien- und Vollstreckungsrecht gesucht Laut Statistischem Bundesamt hat die Der anwendungsorientierte Master- Expertinnen und Experten und zur Immobilien- und Grundstücksbranche studiengang „Immobilien- und Vollstre- Übernahme von Führungsaufgaben. im Jahr 2017 in Deutschland Umsätze in ckungsrecht“ an der Hochschule für Wirt- Bewerbungsvoraussetzung ist ein erster Höhe von 155,3 Milliarden Euro erzielt. schaft und Recht (HWR) Berlin vermittelt akademischer Abschluss eines rechtswis- Entsprechend hoch ist der Beratungsbe- diese Kombination aus juristischem und senschaftlichen oder wirtschaftsrechtlich darf, Tendenz steigend. Die Immobilien- betriebswissenschaftlichem Know-how. ausgerichteten Studiengangs. wirtschaft, Banken, Versicherungen und Das dreisemestrige Aufbaustudium ist in zunehmend international agierende Wirt- seiner Form in Deutschland einmalig. Weitere Informationen zum Studiengang schaftskanzleien und Unternehmensbera- tungen suchen Fachkräfte mit juristischem Durch den Einstieg in verschiede- http://www.hwr-berlin.de/fachbe- Spezialwissen, wirtschaftlichem Denken ne Rechtsgebiete als Grundlage für den reich-rechtspflege/studiengaenge/ und ergebnisorientierter Kreativität. Immo- Erwerb der praxisrelevanten Spezial- immobilien-und-vollstreckungsrecht/ bilienrechtlerinnen und -rechtler werden kenntnisse auf dem Gebiet der Immobi- auch von privaten und öffentlichen Verwal- lienwirtschaft qualifiziert das Programm HWR Berlin tungen und Verbänden nachgefragt. Absolventinnen und Absolventen als 05 | 2019 DNH
7 Hochschule Niederrhein Mit Blockchains Lebensmittel rückverfolgen Mehr Transparenz in der Lebensmittel- verantwortlich ist. Die Folge: Die Gefähr- die alle Glieder der Lebensmittelkette Zugriff industrie – das ist das Ziel eines Forschungs- dung für die Verbraucher bleibt eventuell haben. Damit ist sichergestellt, dass Unter- projekts, das jetzt am Fachbereich Oecotro- bestehen, da es schwierig ist, das entspre- nehmen, die in einer Supplychain mitein- phologie der Hochschule Niederrhein chende Produkt vollständig vom Markt zu ander verbunden sind, immer über die glei- gestartet ist. Konkret geht es darum, die isolieren. chen Informationen verfügen. Rückverfolgbarkeit von Lebensmitteln zu verbessern. Dies soll durch den Einsatz von „In dem Projekt wird eine komplette, Entscheidend bei dieser Technologie ist, Blockchains erfolgen. Blockchain-basierte Plattform für die Lebens- dass spätere Transaktionen auf früheren mittelkette entworfen. Sowohl bei der Anfor- Transaktionen aufbauen und diese als rich- Ausgangspunkt des Projekts ist, dass viele derungserhebung für die Lösung als auch tig bestätigen, indem sie die Kenntnis der Unternehmen in der Lebensmittelbranche in der Erprobungsphase werden Unterneh- früheren Transaktionen beweisen. Auf diese die Rückverfolgbarkeit ihrer Produkte zwar men aus der Lebensmittelindustrie einge- Weise wird sichergestellt, dass Daten nicht garantieren können, diese aber häufig zeitin- bunden“, erklärt Professor Maik Schürmeyer, manipuliert oder gelöscht werden können, tensiv ist. Das heißt: Stößt ein Verbraucher der an der Hochschule Niederrhein das Teil- ohne dass dies von anderen Teilnehmern bei einem Lebensmittel auf eine Verun- projekt leitet. Eine Blockchain ist eine konti- erkannt wird. reinigung, dauert es häufig zu lange, um nuierlich erweiterbare Liste von Datensät- das Glied in der Kette zu finden, das dafür zen, die miteinander verkettet sind und auf HS Niederrhein Hochschule Mittweida Forensikstudium ganz nah am echten Fall Es ist der 25. April 2007. Mehrere Schüs- mit einer Jury aus Forensikern, Informati- se fallen. Einer davon trifft die Polizistin kern und Mathematikern der Hochschu- Michèle Kiesewetter tödlich; eine weite- le konnten die Gruppen ihre Hypothesen re Kugel verletzt deren Kollegen Martin und Erkenntnisse der Fallanalyse erläutern. Foto: Helmut Hammer Arnold lebensgefährlich. Der Mordfall auf der Heilbronner Theresienwiese beschäftigt Eine moderne Fallarbeit beginnt mit der viele Jahre verschiedene Ermittlungsbehör- Formulierung von Hypothesen, die falsifi- den – seit 2011 die Bundesanwaltschaft, ziert bzw. verifiziert werden müssen, also weil das Verbrechen im Zusammenhang mit einer Annahme über einen kausalen Poster visualisieren die Hypothesen. mit der rechtsterroristischen Gruppe Nati- Zusammenhang über den Tathergang, die onalsozialistischer Untergrund (NSU) gese- als falsch oder richtig bestätigt werden Der Mittweidaer Studiengang „Allge- hen wird. muss. Einzelne Spuren und Hinweise meine und Digitale Forensik“ kombiniert werden durch sogenannte Assoziationen deutschlandweit einmalig alle Felder der Im Sommersemester hat der Fall auch verknüpft und bilden eine Ontologie. In Informatik im Umfeld der Forensik – er die Studentinnen und Studenten des vier- der Ontologie wird die logische Struktur befasst sich sowohl mit Cybercrime als ten Semesters im Studiengang Allgemei- sichtbar, der eine gute Hypothese folgen auch mit Daten, die bei „klassischen“ ne und Digitale Forensik der Hochschule muss. Gerade bei den Massen von Daten Verbrechen entstehen. Die Absolventin- Mittweida beschäftigt. Grundlage waren („BigData“), die heutzutage bei Straftaten nen und Absolventen beherrschen die aber nicht Presseberichte, sondern Origi- anfallen und ausgewertet werden, sind Methoden und Verfahren, diese Daten naldokumente der Ermittlungsbehörden. solche Visualisierungsmethoden und für eine mögliche Strafverfolgung zu erhe- Den Studierenden standen Auszüge aus der Analysekonzepte unerlässlich. Die Onto- ben, zu sichern und auszuwerten und die Fallakte unter anderem mit den Protokol- logie als Netzwerk zum Beispiel von Perso- notwendigen Informationen abzuleiten. len der Zeugenaussagen zur Verfügung. nen enthält sogenannte Semantiken, das Dazu vermittelt der Studiengang umfang- heißt die Beschreibung der Bedeutung reiche Informatikkenntnisse. Mitte Juli präsentierten sie ihre Ergeb- jeder einzelnen Person. Das ist im Prinzip nisse als wissenschaftliche Poster-Session. nichts anderes als eine Aufstellung von Helmut Hammer In Gruppen entstanden elf Poster, die die Personen und deren Beziehungen zueinan- Hochschule Mittweida Hypothesen zum möglichen Tathergang der, wie sie in Form von Stecknadeln und visualisieren. Am realen Fall von Michèle Fäden aus Fernsehkrimis bekannt ist. Diese Kiesewetter und Martin Arnold haben die Hypothesenentwicklung als Grundlage Studentinnen und Studenten Beziehungen für die Fallbearbeitung und Fallanalyse ist Die Meldungen in dieser Rubrik, soweit zwischen einzelnen Hinweisen und Spuren Schwerpunkt im Studienmodul Allgemei- sie nicht namentlich gekennzeichnet dargestellt und einen zeitlichen Verlauf ne Forensik IV im Studiengang „Allgemei- sind, basieren auf Pressemitteilungen des Tathergangs modelliert. Im Gespräch ne und Digitale Forensik“. der jeweils genannten Institutionen. DNH 05 | 2019
8 Titel: „Studierende gestalten Lehre“ Studierende lehren und lernen sozial-ökologische Verantwortung Das Wechselverhältnis von Technik und Natur, Individuum und Gesellschaft wird in dem studierendengetriebenen Seminar „Blue Engineering“ offengelegt und demokratisiert. Das modulare Lehr-/Lernkonzept ist gut dokumentiert und adaptierbar – dadurch wird es bereits an sechs Hochschulen genutzt. | Von Dr.-Ing. André Baier und Prof. Dr.-Ing. Matthias Neef Frage 1: Auf Basis der 25 Fragen von Max Frisch Sind Sie sicher, dass die Erhaltung des hat eine Gruppe von Studierenden im menschlichen Geschlechts, wenn Sie Jahr 2010 einen 90-minütigen Workshop und alle Ihre Bekannten nicht mehr entwickelt. Die Studierenden der TU Berlin sind, Sie wirklich interessiert? kamen aus verschiedenen Fachrichtungen und ihr gemeinsames Ziel war es, ihren Foto: privat Frage 2: Kommilitoninnen und Kommilitonen die Und wenn ja, warum handeln Sie nicht Gelegenheit zu bieten, sich innerhalb ihres anders als bisher? Studiums mit ihrer sozialen und ökologi- Dr.-Ing. André Baier schen Verantwortung auseinanderzuset- Koordinator des Studienreformprojekts Max Frisch zur Verleihung der Ehrendoktorwürde zen. Die Resonanz auf diese erste Lehr-/ Blue Engineering der Technischen Universität Berlin 29. Juni 1987 Lerneinheit war durchweg positiv, sodass die Studierenden anschließend 14 weite- Technische Universität Berlin Max Frisch wird im Jahr 1987 die Ehren- re Lehr-/Lerneinheiten erstellt haben, um Straße des 17. Juni 144 - W 1 doktorwürde der Technischen Univer- ein ganzes Semester bestreiten zu können. 10623 Berlin sität Berlin verliehen. Statt eine klassi- Im Wintersemester 2011/2012 haben Tuto- sche Dankesrede zu halten, stellt Max rinnen und Tutoren das erste Mal das Andre.Baier@tu-berlin.de Frisch 25 Fragen, die nicht mit einer Blue-Engineering-Seminar mit sechs Leis- einfachen, schnellen und zumal richti- tungspunkten im Wahlpflichtbereich des www.blue-engineering.org gen Antwort abgehakt werden können, Master-Studiengangs Maschinenbau ange- wie es die unzähligen Fragen in Klausuren boten. Mittlerweile gibt es über 150 frei und mündlichen Prüfungen einem abver- verfügbare Lehr-/Lerneinheiten und das langen. Die Fragen von Max Frisch laden Seminarkonzept wird an sechs Hochschu- stattdessen zu einer Reflexion des eigenen len in Deutschland eingesetzt. Insgesamt sowie gesellschaftlichen Lebens ein und haben bereits weit über 1.000 Studierende Foto: HS Düsseldorf behandeln vorrangig die derzeitige Rolle an den Kursen teilgenommen und nach- von Technik als Instrument zur Herrschaft weisbar Kompetenzen einer Bildung für über Menschen und die Natur. Zugleich eine nachhaltige Entwicklung erworben verlangen einem die Fragen eine Ausei- (Baier 2018). nandersetzung mit den jeweils persönli- Prof. Dr.-Ing. Matthias Neef chen Wertvorstellungen ab und sodann Das studierendengetriebene Lehr-/Lern- Leiter des Instituts für lebenswerte und auch ihre Offenlegung gegenüber ande- konzept des Blue-Engineering-Seminars umweltgerechte Stadtentwicklung (In-LUST) ren. In mehreren Fragen greift Frisch das wird in der Regel durch Tutorinnen und Hochschule Düsseldorf Überleben der Menschheit auf und fragt Tutoren durchgeführt, sodass die Hoch- Münsterstr. 156 sich, ob hieran vonseiten der Mitglieder schullehrenden meist nur im Hinter- 40476 Düsseldorf der Technischen Universität Berlin über- grund die Organisation und Verantwor- haupt ein ernsthaftes Interesse beste- tung übernehmen. Insgesamt überträgt matthias.neef@hs-duesseldorf.de he. Max Frisch scheint dies mit Blick auf das Seminar die Verantwortung zur Durch- die Lebensweise und Bildung seiner Zeit führung und für den Lernerfolg weitestge- https://mv.hs-duesseldorf.de/ zumindest als fraglich. Dies scheint auch hend auf die Teilnehmenden, die so ihre matthias-neef weiterhin fraglich zu sein. eigene Lehre gestalten. Zugleich entwi- ckeln sie das Seminar für zukünftige Semester weiter. Auf diese Weise werden 05 | 2019 DNH
9 „Da weder ein spezieller Kurs zu diesem Thema angeboten wird, noch dieses Thema in einem nennenswerten Umfang in die Fachmodule eingebunden ist, entwickeln die Studierenden kurzerhand eigenständig einen Kurs, an dem sie Foto: Cathy Yeulet/123rf.com selbst gerne teilnehmen würden.“ neue Themenfelder kontinuierlich integriert und das ihr Glück. Eine Auseinandersetzung mit der sozialen Seminarkonzept zugleich methodisch weiterentwi- und ökologischen Verantwortung von Ingenieurin- ckelt. Aus diesem Grund ist das Lehr-/Lernkonzept nen und Ingenieuren findet unter diesen Bedingun- zur Vermittlung von sozialer und ökologischer Verant- gen weder in den Vorlesungen noch im Gespräch wortung nicht allein auf die Ingenieurwissenschaften mit anderen Studierenden statt, denn die gesam- beschränkt, sondern es kann stattdessen flexibel auf te gemeinsame Zeit wird für die Bearbeitung von andere Fachdisziplinen übertragen werden. Hausaufgaben und zur Klausurvorbereitung genutzt. Das „Blue-Engineering“-Seminarkonzept wurde Um die soziale und ökologische Verantwortung in 2019 mit dem Francesco Maffioli Award of Excellen- den Ingenieurwissenschaften zu stärken, schließen ce for Developing Learning and Teaching in Enginee- sich Anfang 2009 Studierende verschiedener Fach- ring Education der europäische Ingenieurausbildungs- richtungen an der TU Berlin zusammen und gründen gesellschaft SEFI ausgezeichnet. Im gleichen Jahr hat „Blue Engineering“. Ziel dieser Initiative ist es, die der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft im soziale und ökologische Verantwortung im Studium April die Auszeichnung Hochschulperle des Monats zu stärken. Da an der TU Berlin selbst im Jahr 2009 verliehen. weder ein spezieller Kurs zu diesem Thema ange- boten wird, noch dieses Thema in einem nennens- werten Umfang in die Fachmodule eingebunden ist, Die Entwicklung des Blue-Engineering-Seminars entwickeln die Studierenden kurzerhand eigenstän- dig einen Kurs, an dem sie selbst gerne teilnehmen würden. Sie entscheiden sich für einen studieren- Frage 22: den-zentrierten Ansatz, sodass sich ihre Kommili- Können Sie sich denken, dass der menschliche toninnen und Kommilitonen aktiv einbringen, um Geist, den wir schulen, im Grund auf Selbstver- die komplexen Zusammenhänge ihres sozialen, poli- nichtung der Spezies angelegt ist? tischen, ökologischen und wirtschaftlichen Umfelds offenzulegen. Für sie ist es wichtig, dass die Teilneh- Frage 23: menden des Kurses diese Analyse selbst durchführen, Was, außer Wunschdenken, spricht dagegen? damit sie beginnen, ihre persönliche Verantwortung sowie die kollektive Verantwortung als Ingenieurin- Das erste Semester im Ingenieursstudium besteht nen und Ingenieure selbst zu erfassen. Dies erforderte meist aus folgenden Kursen: Mathe 1, Mechanik 1, auch, dass die Teilnehmenden lernen, die verschie- Konstruktion 1 etc. Im zweiten Semester geht es dann denen Werte, Interessen und Bedürfnisse sowohl weiter mit Mathe 2, Mechanik 2, Konstruktion 2 und aus einer globalen Perspektive wie auch innerhalb im dritten Semester das Ganze mit 3 und so weiter. eines Seminarraums zu berücksichtigen (Pongratz Dies sind in der Regel frontale Vorlesungen in großen und Baier 2015). und noch größeren Hörsälen, in denen für gewöhn- lich eine Person redet und Hunderte zuhören, im Das entwickelte Seminarkonzept ist bereits bei Internet surfen, Videos schauen oder wegdösen – seiner ersten Durchführung im Wintersemes- wenn sie überhaupt zur Vorlesung gehen. Die ersten ter 2011/2012 mit 24 Teilnehmenden erfolgreich. Semester werden dann jeweils mit einem panischen Mit leichten Änderungen wird das Seminar auch Lernen in den letzten Tagen vor den Klausuren abge- im folgenden Sommersemester nur von Tutorin- schlossen, die nur wenige bestehen, und alle ande- nen und Tutoren durchgeführt. Im selben Semester ren probieren im nächsten Semester noch einmal schließt der Autor dieses Essays und Mitbegründer DNH 05 | 2019
10 Titel: „Studierende gestalten Lehre“ von „Blue Engineering“, André Baier, sein Studium ab. werden kann. Die Themen sind hier unter ande- Er entwickelt daraufhin als wissenschaftlicher Mitar- rem: „Gender, Diversity & Technik“, Stromopo- beiter zusammen mit Tutorinnen und Tutoren das ly, Atomkraft-Anno Domini, Peak Everything, Konzept in den kommenden Semestern weiter. Hier- „Arbeit, Gesellschaft und Gewerkschaft“, Automa- durch wird eine inhaltliche Vertiefung, eine didak- tisierung vs. gute Arbeitsplätze, Virtuelles Wasser, tische Verfeinerung sowie ein kapazitiver Ausbau Land Grabbing. auf 100 Teilnehmende aus sechs Studiengängen ermöglicht. Ziel war es trotz einer steigenden Teil- In der dritten Phase präsentieren die Kleingrup- nehmendenzahl, den kollegialen, kreativen Charak- pen einen Baustein, den sie über das gesamte ter des Blue-Engineering-Seminars beizubehalten. Semester entwickelt haben. Das Thema und die Dies wurde unter anderem dadurch erreicht, dass Methoden setzen die Teilnehmenden in der Regel die Gestaltung des Seminars immer stärker in die selbst. Zur Qualitätssicherung erhalten sie mehr- Hände der Teilnehmenden selbst gelegt wurde, die mals Feedback von anderen Teilnehmenden sowie so immer mehr für den Lehr-/Lernprozess des gesam- von Tutorinnen und Tutoren. ten Kurses verantwortlich wurden. In der Regel sind vier studienbegleitende Prüfungs- leistungen zu erbringen, die jeweils ein Viertel der Struktur und Kernelemente des Blue-Engineering- Gesamtpunktzahl ausmachen: Seminars Das wöchentlich zu führende Lernjournal dient Bausteine sind das Kernelement des Blue-Enginee- der eigenen Reflexion, der Verknüpfung von ring-Seminars. Diese inhaltlich und didaktisch gut Themenfeldern und zeigt auf, in welcher Form dokumentierten 30- bis 90-minütigen Lern-/Lehrein- eine Auseinandersetzung über das Seminar hinaus heiten verlagern sowohl den Lern- als auch den stattfand, z. B. Zeitungsartikel gelesen, Gespräch Lehrprozess innerhalb eines Seminars weitestge- mit Freundinnen und Freunden oder Familie hend auf die Teilnehmenden. Bausteine schaffen gesucht, so die Balance zwischen Faktenvermittlung und Orientierung/Reflexion/Positionierung der Teilneh- die Durchführung eines bestehenden Bausteins menden, zum Beispiel durch simulierten Gerichts- für etwa 20 andere Teilnehmende, verhandlungen, Talkshows, Stationenlernen, aber auch durch multimediale/multisensuale Wissens- die Durchführung eines neu entwickelten speicher, die ein Thema aus unterschiedlichen Bausteins, der von einer Kleingruppe über das Perspektiven aufbereiten, sowie durch spielerische ganze Semester erarbeitet wurde, Formate, wie ein Kraftwerksquartett, Mülltrennung – ein Kinderspiel! oder ein Bilderbuch zum Thema die Dokumentation des neu entwickelten Zeitwohlstand. Weitere Themen sind zum Beispiel Bausteins, um eine spätere Wieder- und Weiter- Peak Everything, Mobilität ohne Öl, Ethikkodizees, verwendung zu ermöglichen. der Rebound-Effekt und Gender/Diversity. Mittler- weile bestehen über 150 solcher Bausteine, die regelmäßig in den verschiedenen Blue-Engineering- Umsetzung an der eigenen Hochschule und in Seminaren und außerhalb zum Einsatz kommen. der eigenen Fachdisziplin: Voraussetzungen und Sie alle sind auf der Webseite www.blue-enginee- Erfolgsfaktoren ring.org frei zugänglich. Das Blue-Engineering-Seminar wird seit Winter- Das Blue-Engineering-Seminar teilt ein Hochschul- semester 2011/12 jedes Semester nach dem oben semester im Wesentlichen in drei Phasen ein: beschriebenen Konzept für 100 Studierende an der TU Berlin durch drei Tutorinnen und Tutoren In der ersten Phase führen Tutorinnen und Tuto- angeboten. Seit 2012 wird das Seminar an der TU ren sechs festgelegte Grundbausteine durch, Hamburg als 2-Leistungspunkte-(LP)-Blocksemi- um den Teilnehmenden die Arbeitsweise sowie nar im freien Wahlbereich für die Bachelorstudi- den allgemeinen inhaltlichen und didakti- engänge angeboten und als Mischung aus Blockse- schen Anspruch des Seminars zu vermitteln. Die minar und einer Reihe von Abendveranstaltungen Themen sind hier unter anderem Technikbewer- im Masterbereich. Seit 2016 wird es an der Hoch- tung, Plastik, Technik als Problemlöser, Verant- schule Düsseldorf mit 5 LP im Wahlpflichtbereich wortung und Kodizes und das produktivistische aller Bachelor-Studiengänge angeboten, wobei das Weltbild. Seminar in der ersten Hälfte eines Semesters jede Woche stattfindet und mit einem Wochenendblock In der zweiten Phase führen die Teilnehmen- gegen Ende des Semesters abschließt. Das Seminar den in Kleingruppen eine wechselnde Auswahl an der HTW Berlin gleicht dem Seminar an der TU an bestehenden Bausteinen für die anderen Berlin und wird im allgemeinen wissenschaftlichen Teilnehmenden durch und lernen so aktiv, wie Ergänzungsbereich, vergleichbar mit einem Studi- eine anspruchsvolle Lehr-/Lerneinheit gestaltet um Generale, angeboten. Mit dem Sommersemester 05 | 2019 DNH
11 2019 wird das Seminar auch an der Hochschule Entscheidend für eine Etablierung an der Hoch- Ruhr-West als 6-LP-Modul im Wahlpflichtbereich schule ist die Schirmherrschaft für das Seminar durch mehrerer Studiengänge, inkl. der Wirtschaftswis- eine Professorin oder einen Professor, sodass die weit- senschaften, angeboten. Der Aufbau ist stark an gehend durch Studierende getragene Veranstaltung das Berliner Seminar angelehnt. Ebenfalls seit dem innerhalb des Fachbereichs durch eine feste Person Sommersemester 2019 wird das Seminar an der TU verankert wird, die beispielsweise die Vergabe von Dresden angeboten und gleicht dem Hamburger Prüfungsleistungen verantwortet und Personalmit- Seminar. tel für die Tutorinnen und Tutoren organisiert. Die Anpassung des Seminars an das Curriculum der eige- Insgesamt zeigen die sechs verschiedenen Varian- nen Hochschule ist dabei in der Regel kein Problem, ten der Seminargestaltung, dass das Blue-Enginee- da sich das Bausteinkonzept modular an die verschie- ring-Konzept flexibel an die jeweiligen Bedingungen denen Leistungsumfänge oder Seminarkonzepte an einer Hochschule angepasst werden kann. Durch (wöchentlich oder Blockseminar) anpassen lässt. den modularen Charakter, der auf eine Wieder- und Weiterverwendung aller Elemente ausgelegt ist, lässt Als Ressourcen für die Kursbetreuung stehen nicht sich das Seminarkonzept auch ohne Weiteres an nur die gut ausgearbeiteten Bausteine zur Verfügung, anderen Hochschulen umsetzen, wie beispielsweise sondern auch ein hochschulübergreifendes Netzwerk das Interesse an einer Umsetzung durch die Hoch- an Freiwilligen, die sich über ihre eigene Kursteil- schule Esslingen und die TH Köln zeigt. nahme hinaus für die Weiterentwicklung und den Erhalt des Kurses einsetzen. Dazu finden regelmäßi- Wichtigste Voraussetzung zur Etablierung des ge Netzwerktreffen statt, auf denen sich die „Blue Blue-Engineering-Seminars sind engagierte Studie- Engineers“ aller beteiligten Hochschulen vernetzen. rende, die den Kurs im besten Fall zunächst als Teil- Zugleich bieten die Aktiven auch Blockseminare und nehmende besuchen und im folgenden Semester als Schulungen an, sodass Studierende auch ohne vorhe- Tutorinnen bzw. Tutoren selbst gestalten. Auf diese rigen Besuch eines Blue-Engineering-Seminars ein Weise wird nicht nur die Kontinuität und Qualitäts- eigenständiges Seminar an ihrer Hochschule aufbau- sicherung innerhalb einer Hochschule gewährleis- en können. tet, sondern das Seminarkonzept kann so auch auf weitere Hochschulen ausgedehnt werden. So haben Weiterführende Links: beispielsweise die ersten Tutorinnen und Tutoren http://www.blue-engineering.org der Hochschule Ruhr-West zunächst ein Semester am Seminar in Düsseldorf teilgenommen und im folgenden Semester ihr erstes eigenes Seminar durch- geführt. Durch eine Begleitung von erfahrenen Tuto- rinnen und Tutoren sowie von Hochschullehrenden anderer Hochschulen konnte zudem das Seminarkon- zept für die Lehre in den Wirtschaftswissenschaften erweitert werden. Literatur Baier, André: Education for Sustainable Development within the Engineering Sciences. Design of Learning Outcomes and a Subsequent Course Evaluation, Dissertation, TU Berlin, 2018. Frisch, Max: 25 Fragen an die TU Berlin anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde. https://www.pressestelle.tu- berlin.de/fileadmin/a70100710/Fotos/TU_intern/2009/Juni/25FragenMaxFrisch.pdf – Abruf am 18.08.2019. Pongratz, Sabine; André Baier: Encouraging Engineering Students to Question Technological Solutions for Complex Ecolo- gical and Social Problems. In: Filho, Walter et al. (Hrsg.): Integrating Sustainability Thinking in Science and Engineering Curricula. Springer, 2015, S. 375–86, doi:10.1007/978-3-319-09474-8_27. DNH 05 | 2019
12 Titel: „Studierende gestalten Lehre“ Überwiegend positiv: die Lehr- Erfahrungen studentischer Tutoren Tutoren leben eine Zwischenrolle: zwischen der Professorin und den Studierenden, die sie aktivieren sollen. Im Gute-Ideen-für-die-Lehre-Projekt „Kommunikation im Museum für Kommunikation“ an der Technischen Hochschule Nürnberg (THN) haben sie vor allem gute Erfahrungen gemacht. | Von Prof. Dr. Beatrice Dernbach, Franziska Hofmann und Vanessa Neuß Seit zehn Jahren werden in der Fakultät Angewand- wurde modifiziert und ein weiteres Mal im Winter te Mathematik, Physik und Allgemeinwissenschaf- 2018/19 umgesetzt. Von insgesamt 14 Seminartermi- ten (AMP) Studierende in Technikjournalismus/ nen fanden vier im Block (also je 6 SWS) am außer- Technik-PR ausgebildet. Das Konzept basiert darauf, hochschulischen Lernort Museum statt. dass Publizisten nicht nur Fach- und Vermittlungs- kompetenz im Bereich Medien und Kommunikati- Die beiden aus den Fördergeldern finanzierten on benötigen, sondern auch Sachwissen in Technik studentischen Hilfskräfte entwickelten gemeinsam und Naturwissenschaften erwerben. Grundlegend mit der Professorin für die vier Themensitzungen für das Studium ist das Wissen über Kommunikati- Kommunikationsgrundlagen, Printmedien, Rund- on, angefangen bei der Entstehung von (verbaler und funkmedien und die (digitale) Zukunft des Journalis- nonverbaler) Sprache, über die technische Entwick- mus jeweils Ablauf, Aufgaben und die didaktischen lung von Kommunikationsmitteln bis hin zur neuen sowie technischen Tools, mit denen die Erstsemester digitalen Welt. Diese Entwicklung zeigt das Museum die Ergebnisse erarbeiten und präsentieren sollten. für Kommunikation in Nürnberg (siehe unter http:// www.mfk-nuernberg.de/). Es eignet sich hervorra- Die Dozentin führte jeweils zu Beginn der Sitzun- gend als außerhochschulischer Lernort zu diesem gen in die relevanten theoretisch-wissenschaftlichen Thema. Das Museum sollte deshalb im Projekt aktiv Grundlagen ein. Die folgende etwa zweistündige als Raum genutzt werden, in dem sich die Studie- Gruppenarbeitsphase war zwar zielorientiert, aber renden auch entlang der bestehenden Ausstellung nicht so inputzentriert wie in der standardisierten sowohl aus kommunikationswissenschaftlicher als Form der seminaristischen Vorlesung im Hörsaal. Die auch technischer Perspektive in das Thema einar- zunächst sieben, später sechs studentischen Tutoren beiten. Ideal ist die Verlagerung aus dem Hochschul- (darunter auch die beiden Projektmitarbeiter) erklär- hörsaal außerdem im Hinblick auf die hohe Zahl ten den Kommilitonen die Aufgaben, unterstütz- an Studienanfängern: Gleichzeitig 100 Studierende ten sie bei der Recherche in der Ausstellung sowie didaktisch abwechslungsreich und wirkungsvoll zu im Internet, gaben Hinweise zur Aufbereitung und belehren, ist in der Hochschule aufgrund der räum- Präsentation der Ergebnisse. Diese wurden diskutiert, lichen Beschränkung nicht (immer) möglich. Im eingeordnet und auf der Lernplattform Moodle allen Museum hingegen stehen neben der Ausstellungs- zur Verfügung gestellt. fläche ein großer Festsaal (für 100 Personen) sowie zwei weitere Seminarräume zur Verfügung. Erfahrungen und Evaluation aus Sicht der Tutoren Das Lehr-Projekt Vanessa Neuß, Projektmitarbeiterin und Tutorin Die vier von der Professorin für die Museumssitzun- Im Herbst 2016 wurde im Programm „Gute Ideen gen ausgewählten Themenblöcke hatten wir selbst für die Lehre“ erfolgreich beantragt, für das Einfüh- im ersten Semester im Einführungsmodul bearbeitet. rungsmodul Journalistik ein neues didaktisches Nun sollten wir aus studentischer Perspektive nach Konzept gemeinsam mit studentischen Hilfskräf- geeigneten didaktischen Instrumenten suchen, wie ten zu erarbeiten. Es wurde im Laufe des Sommers wir die Themen interessant, interaktiv und spannend 2017 entworfen und im Wintersemester 2017/18 an unsere Kommilitonen vermitteln konnten. Für die erstmalig durchgeführt. Im Sommersemester 2018 ist erste Sitzung zu den Grundlagen der Kommunikation der erste Durchgang evaluiert worden. Das Konzept hat das Team einen Parcours entworfen (Abbildung 1). 05 | 2019 DNH
13 Inspiriert waren die Aufgaben von der könnte. Die gesamte Lehrveranstaltung Ausstellung im Museum beziehungswei- wurde nach dem ersten Durchlauf im se den Exponaten und Informationen. WS 2017/18 vom Tutorenteam inten- Die acht willkürlich zusammengesetz- siv evaluiert und zwar mit 16 Leitfaden- ten studentischen Arbeitsgruppen hiel- gesprächen. Sowohl hinsichtlich der ten die Ergebnisse in Moodle-Wiki-Ein- Organisation als auch der Inhalte und Foto: privat trägen fest. der didaktischen Tools gab es konstruk- tive Hinweise, die wir studentischen Zum Thema Rundfunk sollten die Erst- Projektmitarbeiter in das Programm für semester den erarbeiteten Wissensschatz das WS 2018/19 integriert haben. Vor Prof. Dr. Beatrice Dernbach in Videos oder Audios an ihre Kommi- allem haben wir versucht, die Aufgaben Professorin für Journalistik litonen vermitteln. Dies fordert nicht noch präziser zu stellen und die Grup- Studiengang Technikjournalismus/Technik-PR nur die Aneignung des Wissens, sondern pen intensiver zu betreuen, sodass sie Technische Hochschule Georg Simon Ohm auch die Fähigkeiten, die Informationen in der Lage waren, in ihren Präsentati- Keßlerplatz 12 aufs Wesentliche zu beschränken und das onen auch tatsächlich relevante Ergeb- 90489 Nürnberg Ganze technisch umzusetzen. Für den nisse vorstellen zu können. Themenblock Schrift und Printmedien beatrice.dernbach@th-nuernberg.de sollten die Studierenden ein Quiz erstel- „Der zweite Durchlauf des Projekts https://www.th-nuernberg.de/einrichtungen- len, das auch der Prüfungsvorbereitung war noch strukturierter und wir gesamt/abteilungen/service-lehren-und- diente. Diese beiden Komponenten – also Tutoren haben uns besser in unsere lernen/lehren/lehrfoerderprogramme/ Wissensverwertung und Prüfungsvorbe- Rolle als Betreuer auf Augenhöhe reitung – wurden in allen Aufgabenstel- einstellen können.“ lungen berücksichtigt. Wir Tutoren haben gemeinsam Anspruchsvoll, aber lehrreich – für alle entschieden, dass jeder von uns in den Beteiligten vier Blöcken eine Gruppe und damit eine Aufgabe betreut. Jeder hat entsprechen- Franziska Hofmann, Tutorin Foto: privat des Material recherchiert, in Moodle Welcher Aufwand hinter einem solchen eingestellt und eine Musterlösung erar- Projekt steckt, ist uns erst bewusst gewor- beitet. Ein Tutor übernahm die Vorbe- den, als wir uns zusammengesetzt und reitung und Einweisung der techni- gegrübelt haben, wie bestimmte Lern- Franziska Hofmann schen Instrumente, wie beispielsweise die inhalte am besten an die Erstsemester Tutorin im Projekt, Studentin im Studiengang Auswahl und Bereitstellung des HTML- weitergegeben werden könnten. Technikjournalismus/Technik-PR Quiz mithilfe der Website quizdidaktik. de oder eines Video-Editors wie iMovie, KineMaster. Für uns war es wichtig, dass die Tutoren und die Erstsemester auf Augenhöhe gemeinsam an den jeweili- gen Aufgaben arbeiten konnten. „Ich für meinen Teil „Wir Tutoren waren für die Foto: privat Kommilitonen eine Hilfe habe aus der Zeit als und jederzeit ansprechbar.“ Tutor mitgenommen, Vanessa Neuß Dieser Aspekt des Selbstverständnisses dass die Lehre nicht Studentische Mitarbeiterin im Projekt stand im Vordergrund der Feedbackrun- und Tutorin, Studentin im Studiengang den im Projektteam, die immer direkt im immer so leicht ist, wie Technikjournalismus/Technik-PR Anschluss an die Sessions im Museum stattgefunden haben. Besprochen wurde es aussieht, und die außerdem die folgende Sitzung bezie- Didaktik oft unterschätzt hungsweise die Frage, was im Ablauf und der Aufgabenstellung optimiert werden wird.“ (Robert Urlacher) DNH 05 | 2019
14 Titel: „Studierende gestalten Lehre“ „Seitens der Erstsemester hörte man öfter mal ein Dankeschön für die Arbeit. Das motivierte mich immer wieder aufs Neue, ihnen etwas beibringen zu wollen.“ (Robert Urlacher) Abbildung 1: Ablaufplan für die erste Sitzung im Museum mit Beschreibung des Parcours Schließlich waren wir Tutoren selbst auch erst vor Uns jungen Co-Dozenten wurde viel Verantwor- einem Jahr in dieser Situation gewesen und wussten tung bezüglich Themenaufbereitung und Gestaltung deshalb ganz genau, was Studierende so gar nicht der jeweiligen Blocktage übertragen. Die Professorin motiviert und uns am Lernen weniger gefallen hat. hat uns sehr in die Konzeption einbezogen, disku- tierte mit uns ausführlich unsere Vorschläge und ließ Eine der größten Herausforderungen war, die Moti- uns in Sachen Gestaltung und Umsetzung weitge- vation und Konzentration der Kommilitonen über hend freie Hand. Der Wechsel von der Lernenden- Stunden aufrechtzuerhalten. Zudem mussten wir seite auf die der Lehrenden war für uns eine span- uns an die neue Rolle des „Vermittlers“ gewöhnen, nende, neue Erfahrung. Wir haben unter anderem was den einen oder anderen anfangs einige Über- die sozialen Kompetenzen im Hinblick auf Führung windung kostete. und Betreuung verbessert und ausgebaut. Und sie hat auch unser Selbstbewusstsein gestärkt. Allerdings merkten wir Drittsemester schnell, dass bei einigen der jüngeren Studierenden ein strenges Wort notwendig war, wollten wir in den Kleingrup- Die Bilanz pen weiterkommen und die gesetzten Ziele erreichen. Die meisten Studenten waren den Tutoren gegen- Beatrice Dernbach über jedoch respektvoll und auch für Hilfestellun- Die studentischen Tutoren haben den Erstsemes- gen und Tipps dankbar. tern das Gefühl vermittelt, mit Peers auf Augenhö- he zu arbeiten, was zu einer kreativen und gelösten Foto: Robert Urlacher Die Studierenden bearbeiten im Museum für Kommunikation das Thema Zeitungen. 05 | 2019 DNH
15 „Ich habe für mich gelernt, mein Licht nicht unter den Scheffel zu stellen, meine Foto: dolgachov/123rf.com bereits vorhandene Expertise wertzuschätzen und auch nach außen zu tragen.“ (Teresa Kraus) Arbeitsatmosphäre geführt hat. Es ging bei diesem Input nötig ist. Sie sollten mich ja nicht ersetzen, Lehrprojekt nicht nur darum, die Hochschule bezie- aber den Kommilitonen einen anderen Zugang zu hungsweise den Hörsaal zu verlassen, um Spaß zu Wissensbeständen zeigen. Auf der Persönlichkeits- haben. Die Kognitionsforschung zeigt, dass selbst ebene muss ich sie davor bewahren, sich vom nicht erarbeitetes Wissen anders gespeichert und reaktiviert immer konstruktiven Verhalten der Kommilitonen wird als rein über Hören vermittelte Informationen. frustrieren zu lassen. Die Erstsemester-Studenten Unterstützt wurde der Effekt dadurch, dass das Thema müssen sich darauf einstellen, dass sie mehr tun der Lehre zum Ort passte: Museum und Grundlagen- müssen, als zuzuhören und (bestenfalls) mitzuden- modul des Studiengangs haben ein sehr ähnliches ken, sondern dass sie sich selbst Wissen erarbeiten, didaktisch-pädagogisches Ziel, nämlich in die verba- dies aufbereiten, präsentieren und kritisch hinter- le und non-verbale Kommunikation einzuführen. fragen müssen. „Die Rolle als Tutor war eine ganz neue Erfahrung für mich. Als Studentin, selbst erst im dritten Semester, die Erstsemester anzuleiten, war zu Beginn ziemlich ungewohnt. Als ich mich daran aber gewöhnt hatte und die Erstsemester uns auch anerkannt hatten, lief es besser.“ (Teresa Kraus) Didaktische Formate, in denen studentische Tuto- Mit diesem Orts- und Perspektivenwechsel haben ren in die Lehre eingebunden sind, bedeuten für alle viel gelernt über die Sinnhaftigkeit didaktisch- alle Beteiligten eine große Herausforderung: Ich als pädagogischer Tools und die Relation zwischen Dozentin muss die Tutoren fordern und fördern, Zeitaufwand und Erkenntnisgewinn ebenso wie indem ich ihre Aufgaben klar formuliere. Die Tuto- über die Grenzen der Belastbarkeit. Die Frage, ren müssen ein Verständnis für ihre Zwischenrolle welche Form geeignet ist, auf diese Art und Weise entwickeln, sich an sie gewöhnen und sie ausfüllen. erworbene Kenntnisse und Kompetenzen zu prüfen, Ich muss ihnen dabei auf der Sachebene Orientie- bleibt auch nach diesen zwei Runden des Auspro- rung geben, vor allem in der Frage, was und wie viel bierens offen. DNH 05 | 2019
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