Studierende gestalten Lehre - Hochschullehrerbund

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Studierende gestalten Lehre - Hochschullehrerbund
Ausgabe 05-2019

                                                  FÜR ANWENDUNGSBEZOGENE WISSENSCHAFT UND KUNST

     Studierende gestalten
     Lehre

Campusnotizen             hlb aktuell                    Aus Wissenschaft              Wissenswertes
Studierende bauen Boote   hlb klagt gegen                & Politik                     Amtsärztliche
aus Beton                 Lehrverpflichtung von 18 SWS   Deutschland bei internatio-   Zusatzuntersuchung nicht
                          an HAW                         nalen Studierenden begehrt    separat anfechtbar

                      5                        21                            32                          34
Studierende gestalten Lehre - Hochschullehrerbund
2     Inhalt

    Campusnotizen                            Titelthema:                                  hlb aktuell
4 OTH Amberg-Weiden: Hochschule
                                             Studierende                               24 Landesverband Bayern VHB:
  und Handwerk Hand in Hand                  gestalten Lehre                              Delegiertenversammlung 2019 des
                                                                                          VHB
    Jade Hochschule: Digitalisierung
    zum Wohle des Menschen?                                                               DFG-Fachkollegienwahl 2019: Nur
                                          8 Studierende lehren und                        0,6 Prozent der Kandidierenden für die
5 Zukunft Lernwelt Hochschule:
                                            lernen sozial-ökologische                     DFG-Fachkollegien von HAW
  Gewaltige Umbrüche
                                            Verantwortung | Von Dr.-Ing. André
                                                                                       25 hlb -Landesverband
6 Hochschule Darmstadt:                     Baier und Prof. Dr.-Ing. Matthias Neef
                                                                                          Niedersachsen:
  Betonkanus für studentische Regatta
                                          12 Überwiegend positiv: die Lehr-               Hochschullehrerbund hlb klagt gegen
    HWR Berlin: Spezialisten für             Erfahrungen studentischer                    Lehrverpflichtung von 18 SWS an HAW
    Immobilien- und Vollstreckungsrecht      Tutoren | Von Prof. Dr. Beatrice
                                                                                          hlb -Kolumne: Commitment
    gesucht                                  Dernbach, Franziska Hofmann und
                                                                                          für die Lehre | Von Nicolai
                                             Vanessa Neuß
7 Hochschule Niederrhein:                                                                 Müller-Bromley, Präsident der hlb -
  Mit Blockchains Lebensmittel            16 Den Augenblick ergreifen: Eine               Bundesvereinigung
  rückverfolgen                              neue Lernperspektive außerhalb
    Hochschule Mittweida:                    des Curriculums | Von Dr. Oliver
                                             Faber und Prof. Andrew G. Hood
    Forensikstudium ganz nah am echten                                                    Wissenswertes
    Fall                                  20 Projektlehre und selbst
                                             gestaltete Inhalte zum                    34 Alles, was Recht ist
    Aus Wissenschaft                         Studienstart in Würzburg | Von
                                                                                       35 Neue Bücher von Kolleginnen
                                             Prof. Dr. Steffen Hillebrecht und René
    & Politik                                Anderl
                                                                                          und Kollegen
                                                                                       36 Neuberufene
30 Open Access: Neuer Vertragsrahmen
    Niedersachsen: Europa-Programm
                                             Fachaufsätze
    fördert Zusammenarbeit                                                                Standards
31 Bildungsungleichheit: Maßnahmen        26 Gestalten Studierende Lehre
   gegen Ungleichheit                        durch ihre Erwartungen und                3 Editorial
    Wissenschaftsfreiheit:                   Kompetenzen? | Von Prof. Dr. Ullrich
                                                                                       33 Autorinnen und Autoren gesucht
    Forschungsorganisationen legen           Dittler und Honorar-Prof. Dr. Christian
                                                                                          & Impressum
    Selbstverpflichtung vor                  Kreidl
                                                                                       38 Stellenanzeigen
32 Wissenschaft weltoffen 2019:
                                                                                       40 hlb -Seminartermine 2019/20
   Deutschland? Bei internationalen
   Studierenden begehrt!
    Studiengebühren: Nein zu
    Studiengebühren gefordert
33 Berufliche Hochschule Hamburg:
   Erfolg bei Innovationswettbewerb des
   BMBF

                                                                                                                     05 | 2019 DNH
Studierende gestalten Lehre - Hochschullehrerbund
Editorial    3

                          „Wenn alles schläft
                          und einer spricht …
                          „… heißt das Ganze Unterricht.“ An lockeren Sprüchen über die
                          Rollenverteilung im Hörsaal oder Seminarraum herrscht kein Mangel.
                          Schwieriger ist es schon, daran etwas zu ändern.

                                                         Bei der Auseinandersetzung mit dem          studentisch selbst organisierten Projekts
                                                         gestellten Thema der Abschlussarbeit        zur sozialen Verantwortung des Ingeni-
                                                         eines Studiengangs erwarten wir stets ein   eurwesens vor, das mittlerweile an mehre-
                                                         gehöriges Maß an Selbstständigkeit. Für     ren Hochschulen in Deutschland prakti-
                                 Foto: Fotoladen Wedel

                                                         viele Studierende stellt dies aber einen    ziert wird (Seite 8).
                                                         Kulturbruch dar, waren sie es doch bis
                                                         dahin gewöhnt, dass die Professorin oder      Beatrice Dernbach, Franziska Hofmann
                                                         der Professor Richtung und Schrittmaß       und Vanessa Neuß beschreiben die Erfah-
                Christoph Maas                           ihres Lernens vorgibt. Natürlich kennen     rungen von Tutorinnen und Tutoren, die
                                                         wir alle aktivierende Lehrmethoden, mit     in einer Veranstaltung für Erstsemester
                                                         denen wir in unserem seminaristischen       im Studiengang Technikjournalismus ein
                                                         Unterricht das Auditorium von Zeit zu       hohes Maß an Eigenverantwortung tragen
                                                         Zeit aus der passiven Rolle hinausführen.   (Seite 12).
                                                         Auch ist der hohe Anteil an Laborveran-
                                                         staltungen in vielen unserer Studiengänge     Oliver Faber und Andrew Hood zeich-
                                                         als Qualitätsmerkmal nicht zu unterschät-   nen den Weg nach, auf dem sie die Gren-
                                                         zen. Trotzdem spüren die Studierenden,      zen hochschulinterner Projekte erfahren
                                                         dass sie sich in einem mehr oder weni-      haben und deshalb jetzt zum Thema Soci-
                                                         ger engen Rahmen bewegen, den ande-         al Entrepreneurship mit einem externen
                                                         re gesetzt haben. Selbst Studierende, die   Partner zusammenarbeiten (Seite 16).
                                                         während ihres Praxissemesters viel Frei-
                                                         raum erhalten haben, um ihre Fähigkeiten      Steffen Hillebrecht und René Anderl
                                                         zu zeigen und weiter zu erproben, kehren    bieten im Studiengang Medienmanage-
                                                         oft klaglos ans Gängelband zurück, sobald   ment eine Veranstaltung für Erstsemes-
                                                         sie wieder die Hochschule betreten.         ter an, die minimale inhaltliche Vorga-
                                                                                                     ben mit einer durchdachten Begleitung
                                                           Der einzige Weg, eine andere Einstel-     zu Methodik und Selbstwahrnehmung
                                                         lung bei den Studierenden zu fördern,       verbindet (Seite 20).
                                                         besteht darin, dass sie Situationen erle-
                                                         ben, in denen sie selbst das Ziel und den      Wenn Studierende Lehrveranstaltung
                                                         Weg dorthin maßgeblich bestimmen und        in hohem Maße eigenverantwortlich
                                                         verantworten. Am besten sollten solche      gestalten, kommen auf die Lehrenden
                                                         Erfahrungen schon im ersten Semester        zwei wichtige Aufgaben zu: Sie müssen
                                                         möglich sein und damit die Vorstellung,     zum einen die Verbindung zwischen dem
                                                         was ein Studium ausmacht, von Anfang        Geschehen im Semester und dem Quali-
                                                         an prägen.                                  fikationsziel des Studiengangs sicherstel-
                                                                                                     len und zum anderen die Studierenden
                                                           Die Aufsätze in diesem Heft stellen       zur Reflexion über den Lernprozess und
                                                         Beispiele für unterschiedliche Fächer und   über das Geschehen während der Arbeit
                                                         Studienphasen zur Diskussion.               miteinander anleiten. Auch unsere eige-
                                                                                                     ne Arbeit fühlt sich dann also mit einem
                                                           André Baier und Matthias Neef stel-       Mal deutlich anders an.
                                                         len die Grundstruktur eines komplett                             Ihr Christoph Maas

DNH 05 | 2019
Studierende gestalten Lehre - Hochschullehrerbund
4     Campusnotizen

                                   OTH Amberg-Weiden

                                 Hochschule und Handwerk Hand in Hand
                                                                                                                                              modernster Technik vor und integrierten
                                                                                                                                              somit High-End-Technik und Verfahrung
                                                                                                                                              zur Überprüfung und Instandhaltung in
                                                                                                                                              ein traditionell geprägtes Berufsbild.
Foto: Steger/OTH Amberg-Weiden

                                                                                                                                              Erfahrungen gewinnbringend für Kamin-
                                                                                                                                              kehrerhandwerk

                                                                                                                                              Das Kaminkehrerhandwerk ist einer der
                                                                                                                                              wenigen Berufe, die ihrem Titel und ihrer
                                                                                                                                              Zunft seit dem 18. Jahrhundert treu blei-
                                 Von links: Michael Hebauer (wiss. Mitarbeiter OTH Amberg-Weiden), Sabine Märtin (Leiterin OTH
                                                                                                                                              ben, aber dennoch mit der Zeit gehen.
                                 Professional), Obermeister Richard Herbst (Vorstandsmitglied Aus- und Fortbildungszentrum Mühlbach e. V.),
                                                                                                                                              „Das Schornsteinfegen und die Abnahme
                                 Prof. Dr. Andrea Klug (Präsidentin OTH Amberg-Weiden), Obermeister Peter Wilhelm (Vorstand Aus-
                                                                                                                                              von Feuerungsanlagen bleiben eine Kern-
                                 und Fortbildungszentrum Mühlbach e. V.), Obermeister Benjamin Schreck (Vorstandsmitglied Aus- und
                                 Fortbildungszentrum Mühlbach e. V.), Bürgermeisterin Carolin Braun (Stadt Dietfurt), Prof. Dr.-Ing. Markus   aufgabe, doch seit der Jahrtausendwende
                                 Brautsch (OTH Amberg-Weiden, Leitung KoKWK)                                                                  kamen viele neue Aufgaben hinzu, wie
                                                                                                                                              das Erstellen von Energieausweise für z. B.
                                 Die Ostbayerische Technische Hochschu-                 Weiterbildung startet im Herbst                       Wohngebäude, Emissionsmessungen bei
                                 le (OTH) Amberg-Weiden arbeitet künf-                                                                        Feuerungsanlagen, Wartung und Inspekti-
                                 tig mit dem Aus- und Fortbildungszen-                  Die Kooperationsvereinbarung legt den                 on von Lüftungs- und Klimaanlagen, um
                                 trum im Kaminkehrerhandwerk Mühl-                      Grundstein für eine langfristige und                  nur wenige zu nennen“, sagt Obermeister
                                 bach e. V. zusammen. Prof. Dr. Andrea                  gegenseitig gewinnbringende Partner-                  und Schulleiter Peter Wilhelm. Das Know-
                                 Klug, Präsidentin der OTH Amberg-Wei-                  schaft. „Vor dem Hintergrund der Ener-                how des KoKWK und die Infrastruktur der
                                 den, und Schulleiter Peter Wilhelm, Aus-               giewende und des damit verbundenen                    OTH Amberg-Weiden seien für die unter-
                                 und Fortbildungszentrum im Kaminkeh-                   technologischen Wandels im Berufs-                    schiedlichen Berufsfelder des Kaminkeh-
                                 rerhandwerk Mühlbach e. V., haben mit                  bild des Kaminkehrers/der Kaminkeh-                   rerhandwerks fruchtbarer Boden. „Umge-
                                 der Unterzeichnung der Kooperations-                   rerin wollen wir mit unserer Infrastruk-              kehrt benötigen die Ingenieurinnen und
                                 vereinbarung die Zusammenarbeit offizi-                tur und den neuesten wissenschaftlichen               Ingenieure für neue Forschungsvorhaben,
                                 ell besiegelt. Die wichtigsten Bestandteile            Erkenntnissen im Weiterbildungsbereich                wie zur Einschätzung und Optimierung
                                 der Kooperation sind die Durchführung                  unterstützen“, so die Präsidentin bei                 spezieller Feuerungsanlagen, die Experti-
                                 von Aktivitäten im Rahmen der Aus-,                    der Vertragsunterzeichnung. Bereits im                se des Kaminkehrerhandwerks“, so Prof.
                                 Fort- und Weiterbildung im Kaminkeh-                   September 2019 fand die erste Weiterbil-              Dr. Markus Brautsch, Leiter des Kompe-
                                 rerhandwerk, Exkursionen zum Koope-                    dungsmaßnahme mit dem Ausbildungs-                    tenzzentrums für Kraft-Wärme-Kopplung
                                 rationspartner z. B. zu Laborführungen,                zentrum Mühlbach im Bereich der Emis-                 (KoKWK).
                                 Zusammenarbeit und Nutzung der Infra-                  sionsmessung an Blockheizkraftwerken
                                 struktur im Rahmen der Berufsbildung,                  in Amberg am Kompetenzzentrum für                                        OTH Amberg-Weiden
                                 Ausarbeitung und Abstimmung von                        Kraft-Wärme-Kopplung (KoKWK), an
                                 gemeinsamen Lehr- und Lerninhalten,                    dem die Kooperation fachlich angebun-
                                 Forschungsaktivitäten sowie der informel-              den ist, statt. Die angehenden Meister
                                 le Austausch und Netzwerkaktivitäten.                  und Meisterinnen nahmen Messungen an

                                   Jade Hochschule

                                 Digitalisierung zum Wohle des Menschen?
                                 Die Digitalisierungsstrategie der Bundes-              Public Health. Durch den Einsatz moder-               Speziell dafür ausgebildete Pflegekräf-
                                 und Landesregierungen beeinflusst auch                 ner Technologien, wie Video-Sprech-                   te werden in Zukunft dank fortschrei-
                                 Forschung und Entwicklung der Gesund-                  stunden in der ländlichen Region,                     tender Digitalisierung Tätigkeiten über-
                                 heitswissenschaften. An der Jade Hoch-                 werden Patienten wie Ärzte entlastet, da              nehmen können, die heute noch allein
                                 schule beschäftigen sich die Wissen-                   Anfahrtswege und Wartezeiten entfallen.               in ärztlicher Hand liegen. Die medizi-
                                 schaftlerinnen und Wissenschaftler unter               „Wenn ich aber mit meinem Arzt über-                  nische Versorgung im Offshore-Bereich
                                 anderem mit Fragestellungen, wie Pfle-                 wiegend telefonisch Kontakt habe, bleibt              greift bereits mithilfe der Telemedizin
                                 ge und Versorgung in Zukunft erfolgen                  das klassische Arzt-Patienten-Verhält-                darauf zurück und dank AGnES, einer
                                 kann. „Dabei müssen diese Lösungen                     nis auf der Strecke“, warnt Koppelin. So              arztentlastenden, gemeindenahen, E-
                                 menschenwürdig sein“, betont Prof. Dr.                 könnte es in Zukunft zu Veränderungen                 Health-gestützten, systemischen Inter-
                                 Frauke Koppelin, Studiengangsleiterin                  der Rollen und Berufsbilder kommen.                   vention, können schon heute Hausärzte

                                                                                                                                                                            05 | 2019 DNH
Studierende gestalten Lehre - Hochschullehrerbund
5

                   Tätigkeiten und Besuche an qualifizierte            ausgerichteten Studienganges Public          gesundheitsfördernde Maßnahmen für
                   Praxismitarbeitende delegieren.                     Health in ihrem Weiterbildungsstudi-         ältere Menschen (65+) zu entwickeln,
                                                                       um mit dieser Thematik und erhalten          diese zu erproben und anschließend
                     Durch den Einsatz von künstlicher                 das Handwerkszeug, um entsprechen-           zu evaluieren. Der Forschungsverbund
                   Intelligenz im Gesundheitsbereich, wie              de zeitgemäße Lösungen zu erarbeiten,        „Flexible Dienstleistungsarbeit gesund-
                   dem Einsatz von Pflege-Robotern, wird               beispielsweise in Bezug auf die digitale     heitsförderlich gestalten“, kurz flexige-
                   sich diese Erwerbsarbeit weiter massiv              Patientenakte. An gleicher Stelle setzen     sa, untersucht hingegen, wie sich flexible
                   verändern.                                          Forschungsprojekte der Jade Hochschule       Interaktionsarbeit gesundheitsförderlich
                                                                       an. So hat sich das vom Bundesministe-       gestalten lässt.
                     Deshalb beschäftigen sich Studie-                 rium geförderte Präventionsforschungs-
                   rende des gesundheitswissenschaftlich               netzwerk AEQUIPA zum Ziel gesetzt,                                   Jade Hochschule

                     Zukunft Lernwelt Hochschule

                   Gewaltige Umbrüche
                                                                                                                    Wissenschaft. Dass in Zukunft auch sehr
                                                                                                                    unkonventionelle Strategien erforderlich
                                                                                                                    sein werden, zeigte Dr. Sybille Reichert,
                                                                                                                    die Hochschulen bei Veränderungsprozes-
                                                                                                                    sen berät, bei ihrem Vortrag anhand von
                                                                                                                    Entwicklungen im Ausland. Nicht nur die
                                                                                                                    Intensivierung der Kooperationen nach
Foto: Silke Dutz

                                                                                                                    außen (Firmen, Kommunen usw.) wird
                                                                                                                    in Zukunft notwendig sein, sondern auch
                                                                                                                    ein integriertes Konzept der Zusammen-
                   Verpassen die Hochschulen die Zukunft genauso wie die Automobilindustrie? In den Workshops der   arbeit aller Akteurinnen und Akteure in
                   Konferenz wurde lebhaft diskutiert.                                                              der Hochschule, um die Herausforderun-
                                                                                                                    gen der Zukunft zu bewältigen.

                   Am 28. und 29. März 2019 fand die Konfe-               Dass es um eine Neuausrichtung der           Die Ergebnisse des Forschungsprojek-
                   renz „Zukunft Lernwelt Hochschule“ mit              Hochschulen gehen wird, zeigten auch         tes „Lernwelt Hochschule“ zeigen, dass
                   140 Vertreterinnen und Vertretern von               die ersten Ergebnisse des Projektes „Lern-   gerade in der Handlungskoordination
                   Hochschulleitungen aus ganz Deutsch-                welt Hochschule“, das von Prof. Dr.          aller Ebenen, die die Hochschule betref-
                   land auf dem Bildungscampus der Dieter              Richard Stang von der Hochschule der         fen (Politik, Organisation usw.), noch
                   Schwarz Stiftung in Heilbronn statt. Sie            Medien Stuttgart geleitet wird. Um es auf    sehr viel Optimierungsbedarf vorhanden
                   diskutierten über die zukünftige Gestal-            den Punkt zu bringen, führte er aus: „Bei    ist. Die Ergebnisse des Projektes sollen
                   tung von Hochschulen unter der Perspek-             den Hochschulen in Deutschland ist es im     Anfang 2020 als Open-Access-Publikati-
                   tive des „shift from teaching to learning“.         Prinzip ähnlich wie bei der Autoindust-      onen bei DeGruyter in der Reihe „Lern-
                                                                       rie. Über Jahrzehnte wähnte man sich an      welten“ vorliegen.
                     Dabei wurde deutlich, dass es an eini-            der Spitze der Entwicklung und sah es als
                   gen Hochschulen interessante Ansätze                unnötig an, grundlegende Veränderungen       Informationen zum Projekt
                   gibt, die allerdings oft nur im konkre-             vorzunehmen, und plötzlich verändern           http://leho.blog/
                   ten Umfeld greifen. So werden Konzepte              sich die Strukturen und die Märkte und       und zur Konferenz
                   des projektorientierten Lernens sicher an           man muss aufwendig versuchen, verlore-         http://zukunftlernwelthochschule.de
                   Dynamik gewinnen. Eine Besonderheit                 nes Terrain wieder zurückzugewinnen.“
                   der Konferenz war es auch, dass Studie-             Die Konferenz zeigt auch, dass es bezo-
                   rende, die beim Hochschulforum Digi-                gen auf die Hochschullandschaft nicht
                   talisierung als „Digital Changemaker“               nur um „Schönheitskorrekturen“ gehen
                   eingebunden sind, den Konferenzteil-                wird, sondern der Wandel auf den Feldern
                   nehmenden den Spiegel vorhielten. So                Organisation, Lehre und Lernen, Raumge-
                   wünschen sich die Studierenden mehr                 staltung sowie digitale Strukturen grund-
                   aktive Beteiligung bei der Gestaltung von           legende Veränderungen erfordern wird.
                   Veränderungsprozessen und dies nicht                                                                              Prof. Dr. Richard Stang
                   nur in den Gremien, die durch die Hoch-               In die Diskussionen der Konferenz                         stang@hdm-stuttgart.de
                   schulgesetzgebungen vorgegeben werden.              eingebunden waren auch das Centrum
                   Ein Ergebnis der Konferenz ist, dass es in          für Hochschulentwicklung (CHE), das                               Alexandra Becker
                   Zukunft auch darum gehen wird, Studie-              HIS-Institut für Hochschulentwicklung,                    beckera@hdm-stuttgart.de
                   rende stärker in die Strategieentwicklung           das Hochschulforum Digitalisierung
                   einzubinden.                                        sowie der Stifterverband für die Deutsche

                   DNH 05 | 2019
Studierende gestalten Lehre - Hochschullehrerbund
6     Campusnotizen

                               Hochschule Darmstadt

                             Betonkanus für studentische Regatta
                                                                                                                                  dann als Träger für zwei möglichst dünne
                                                                                                                                  und zugleich wasserdichte Lagen Beton,
                                                                                                                                  die per Spachtel aufgetragen und in die
                                                                                                                                  ein flexibles Textilgewebe aus Basaltfasern
                                                                                                                                  eingelegt wurde. Diese Bewehrung verhin-
Foto: Hochschule Darmstadt

                                                                                                                                  dert, dass der an manchen Stellen nur vier
                                                                                                                                  Millimeter dünne Beton bricht.

                                                                                                                                     Bei Ernie entschieden sich die Studie-
                                                                                                                                  renden für eine unkonventionelle Vorge-
                                                                                                                                  hensweise: Um das Betonkanu möglichst
                             Das Team der Hochschule Darmstadt für die diesjährige Betonkanu-Regatta                              gedrungen wirken zu lassen, kappten sie
                                                                                                                                  das spitze Heck und versahen es mit einer
                             Sie wiegen nur je gut 35 Kilogramm und                 „Bert ist als Figur eher schlank, daher       abgeschrägten Rückseite, vergleichbar
                             sind damit so leicht wie nie zuvor: die             haben wir dem Kanu einen schmaleren              einem klassischen Segelboot. Das Kanu
                             beiden neuen Betonkanus, die Studieren-             Bug für Geschwindigkeit und Wendigkeit           ist nun nur vier Meter lang, kürzer dürfte
                             de des Bachelor-Studiengangs Bauingeni-             gegeben“, erläutert der studentische Team-       es für die Teilnahme an der Betonkanu-Re-
                             eurwesen an der Hochschule Darmstadt                leiter Eric Muth. „In Analogie zum etwas         gatta nicht sein. Auch einen passenden
                             (h_da) im Sommersemester gebaut haben.              breiteren Ernie zeichnet sich dieses Kanu        Farbanstrich haben die Boote erhalten:
                             Mit ihren Baustoff-Leichtgewichten treten           durch seine gedrungene Form und die              Ernie eher rötlich, Bert eher gelblich.
                             die Studierenden bei der 17. Deutschen              hieraus resultierende Schwimmstabilität
                             Betonkanu-Regatta in Heilbronn gegen                aus.“ Wichtig war den Studierenden, beide          „Was kann Beton? Wie verhält er sich?
                             weitere Teams aus Hochschulen und                   Boote möglichst leicht und zugleich stabil       Mit diesen Fragen beschäftigen sich
                             Institutionen an, an denen Betontech-               zu bauen. In wochenlangen Tests haben sie        unsere Studierenden intensiv“, erläu-
                             nik gelehrt wird.                                   mit Betonschichten experimentiert, um die        tert die betreuende Professorin Regi-
                                                                                 bestmögliche Baustoff-Zusammensetzung            na Stratmann-Albert zum Hintergrund
                               „Ernie“ und „Bert“ heißen die neuen               zu erreichen.                                    des Projekts. „Sie lernen aber auch, wie
                             Wettbewerbsboote für das Wasserrennen                                                                wichtig Teamarbeit ist und dass so ein
                             auf dem Neckar. Die Namen der Kanus                   Basis eines jeden Betonkanus ist die Scha-     Projekt nur erfolgreich sein kann, wenn
                             sind für die Studierenden allerdings                lung. Diese wurde von den Studierenden für       es gelingt, eine 13 Personen starke Mann-
                             mehr als nur ein spaßiges Detail. Denn              „Bert“ aus glasfaserverstärktem Kunststoff       schaft zu koordinieren.“
                             die Namensgeber bestimmen die Bauwei-               gefertigt. Vorlage war ein klassisches, ausge-
                             se der Boote.                                       dientes Kanu, von dem eine Art Abdruck                                                h_da
                                                                                 genommen wurde. Die Schalung diente

                               HWR Berlin

                             Spezialisten für Immobilien-
                             und Vollstreckungsrecht gesucht
                             Laut Statistischem Bundesamt hat die                  Der anwendungsorientierte Master-              Expertinnen und Experten und zur
                             Immobilien- und Grundstücksbranche                  studiengang „Immobilien- und Vollstre-           Übernahme von Führungsaufgaben.
                             im Jahr 2017 in Deutschland Umsätze in              ckungsrecht“ an der Hochschule für Wirt-         Bewerbungsvoraussetzung ist ein erster
                             Höhe von 155,3 Milliarden Euro erzielt.             schaft und Recht (HWR) Berlin vermittelt         akademischer Abschluss eines rechtswis-
                             Entsprechend hoch ist der Beratungsbe-              diese Kombination aus juristischem und           senschaftlichen oder wirtschaftsrechtlich
                             darf, Tendenz steigend. Die Immobilien-             betriebswissenschaftlichem Know-how.             ausgerichteten Studiengangs.
                             wirtschaft, Banken, Versicherungen und              Das dreisemestrige Aufbaustudium ist in
                             zunehmend international agierende Wirt-             seiner Form in Deutschland einmalig.             Weitere Informationen zum Studiengang
                             schaftskanzleien und Unternehmensbera-
                             tungen suchen Fachkräfte mit juristischem              Durch den Einstieg in verschiede-               http://www.hwr-berlin.de/fachbe-
                             Spezialwissen, wirtschaftlichem Denken              ne Rechtsgebiete als Grundlage für den             reich-rechtspflege/studiengaenge/
                             und ergebnisorientierter Kreativität. Immo-         Erwerb der praxisrelevanten Spezial-               immobilien-und-vollstreckungsrecht/
                             bilienrechtlerinnen und -rechtler werden            kenntnisse auf dem Gebiet der Immobi-
                             auch von privaten und öffentlichen Verwal-          lienwirtschaft qualifiziert das Programm                                       HWR Berlin
                             tungen und Verbänden nachgefragt.                   Absolventinnen und Absolventen als

                                                                                                                                                                05 | 2019 DNH
Studierende gestalten Lehre - Hochschullehrerbund
7

  Hochschule Niederrhein

Mit Blockchains Lebensmittel rückverfolgen
Mehr Transparenz in der Lebensmittel-            verantwortlich ist. Die Folge: Die Gefähr-        die alle Glieder der Lebensmittelkette Zugriff
industrie – das ist das Ziel eines Forschungs-   dung für die Verbraucher bleibt eventuell         haben. Damit ist sichergestellt, dass Unter-
projekts, das jetzt am Fachbereich Oecotro-      bestehen, da es schwierig ist, das entspre-       nehmen, die in einer Supplychain mitein-
phologie der Hochschule Niederrhein              chende Produkt vollständig vom Markt zu           ander verbunden sind, immer über die glei-
gestartet ist. Konkret geht es darum, die        isolieren.                                        chen Informationen verfügen.
Rückverfolgbarkeit von Lebensmitteln zu
verbessern. Dies soll durch den Einsatz von        „In dem Projekt wird eine komplette,               Entscheidend bei dieser Technologie ist,
Blockchains erfolgen.                            Blockchain-basierte Plattform für die Lebens-     dass spätere Transaktionen auf früheren
                                                 mittelkette entworfen. Sowohl bei der Anfor-      Transaktionen aufbauen und diese als rich-
  Ausgangspunkt des Projekts ist, dass viele     derungserhebung für die Lösung als auch           tig bestätigen, indem sie die Kenntnis der
Unternehmen in der Lebensmittelbranche           in der Erprobungsphase werden Unterneh-           früheren Transaktionen beweisen. Auf diese
die Rückverfolgbarkeit ihrer Produkte zwar       men aus der Lebensmittelindustrie einge-          Weise wird sichergestellt, dass Daten nicht
garantieren können, diese aber häufig zeitin-    bunden“, erklärt Professor Maik Schürmeyer,       manipuliert oder gelöscht werden können,
tensiv ist. Das heißt: Stößt ein Verbraucher     der an der Hochschule Niederrhein das Teil-       ohne dass dies von anderen Teilnehmern
bei einem Lebensmittel auf eine Verun-           projekt leitet. Eine Blockchain ist eine konti-   erkannt wird.
reinigung, dauert es häufig zu lange, um         nuierlich erweiterbare Liste von Datensät-
das Glied in der Kette zu finden, das dafür      zen, die miteinander verkettet sind und auf                                        HS Niederrhein

  Hochschule Mittweida

Forensikstudium ganz nah am echten Fall
Es ist der 25. April 2007. Mehrere Schüs-        mit einer Jury aus Forensikern, Informati-
se fallen. Einer davon trifft die Polizistin     kern und Mathematikern der Hochschu-
Michèle Kiesewetter tödlich; eine weite-         le konnten die Gruppen ihre Hypothesen
re Kugel verletzt deren Kollegen Martin          und Erkenntnisse der Fallanalyse erläutern.

                                                                                                                                                     Foto: Helmut Hammer
Arnold lebensgefährlich. Der Mordfall auf
der Heilbronner Theresienwiese beschäftigt          Eine moderne Fallarbeit beginnt mit der
viele Jahre verschiedene Ermittlungsbehör-       Formulierung von Hypothesen, die falsifi-
den – seit 2011 die Bundesanwaltschaft,          ziert bzw. verifiziert werden müssen, also
weil das Verbrechen im Zusammenhang              mit einer Annahme über einen kausalen             Poster visualisieren die Hypothesen.
mit der rechtsterroristischen Gruppe Nati-       Zusammenhang über den Tathergang, die
onalsozialistischer Untergrund (NSU) gese-       als falsch oder richtig bestätigt werden            Der Mittweidaer Studiengang „Allge-
hen wird.                                        muss. Einzelne Spuren und Hinweise                meine und Digitale Forensik“ kombiniert
                                                 werden durch sogenannte Assoziationen             deutschlandweit einmalig alle Felder der
  Im Sommersemester hat der Fall auch            verknüpft und bilden eine Ontologie. In           Informatik im Umfeld der Forensik – er
die Studentinnen und Studenten des vier-         der Ontologie wird die logische Struktur          befasst sich sowohl mit Cybercrime als
ten Semesters im Studiengang Allgemei-           sichtbar, der eine gute Hypothese folgen          auch mit Daten, die bei „klassischen“
ne und Digitale Forensik der Hochschule          muss. Gerade bei den Massen von Daten             Verbrechen entstehen. Die Absolventin-
Mittweida beschäftigt. Grundlage waren           („BigData“), die heutzutage bei Straftaten        nen und Absolventen beherrschen die
aber nicht Presseberichte, sondern Origi-        anfallen und ausgewertet werden, sind             Methoden und Verfahren, diese Daten
naldokumente der Ermittlungsbehörden.            solche Visualisierungsmethoden und                für eine mögliche Strafverfolgung zu erhe-
Den Studierenden standen Auszüge aus der         Analysekonzepte unerlässlich. Die Onto-           ben, zu sichern und auszuwerten und die
Fallakte unter anderem mit den Protokol-         logie als Netzwerk zum Beispiel von Perso-        notwendigen Informationen abzuleiten.
len der Zeugenaussagen zur Verfügung.            nen enthält sogenannte Semantiken, das            Dazu vermittelt der Studiengang umfang-
                                                 heißt die Beschreibung der Bedeutung              reiche Informatikkenntnisse.
  Mitte Juli präsentierten sie ihre Ergeb-       jeder einzelnen Person. Das ist im Prinzip
nisse als wissenschaftliche Poster-Session.      nichts anderes als eine Aufstellung von                                       Helmut Hammer
In Gruppen entstanden elf Poster, die die        Personen und deren Beziehungen zueinan-                                  Hochschule Mittweida
Hypothesen zum möglichen Tathergang              der, wie sie in Form von Stecknadeln und
visualisieren. Am realen Fall von Michèle        Fäden aus Fernsehkrimis bekannt ist. Diese
Kiesewetter und Martin Arnold haben die          Hypothesenentwicklung als Grundlage
Studentinnen und Studenten Beziehungen           für die Fallbearbeitung und Fallanalyse ist       Die Meldungen in dieser Rubrik, soweit
zwischen einzelnen Hinweisen und Spuren          Schwerpunkt im Studienmodul Allgemei-                sie nicht namentlich gekennzeichnet
dargestellt und einen zeitlichen Verlauf         ne Forensik IV im Studiengang „Allgemei-            sind, basieren auf Pressemitteilungen
des Tathergangs modelliert. Im Gespräch          ne und Digitale Forensik“.                            der jeweils genannten Institutionen.

DNH 05 | 2019
Studierende gestalten Lehre - Hochschullehrerbund
8    Titel: „Studierende gestalten Lehre“

Studierende lehren und lernen
sozial-ökologische Verantwortung
Das Wechselverhältnis von Technik und Natur, Individuum und Gesellschaft wird in dem
studierendengetriebenen Seminar „Blue Engineering“ offengelegt und demokratisiert.
Das modulare Lehr-/Lernkonzept ist gut dokumentiert und adaptierbar – dadurch wird es
bereits an sechs Hochschulen genutzt. | Von Dr.-Ing. André Baier und Prof. Dr.-Ing. Matthias Neef

                                                Frage 1:                                             Auf Basis der 25 Fragen von Max Frisch
                                                Sind Sie sicher, dass die Erhaltung des            hat eine Gruppe von Studierenden im
                                                menschlichen Geschlechts, wenn Sie                 Jahr 2010 einen 90-minütigen Workshop
                                                und alle Ihre Bekannten nicht mehr                 entwickelt. Die Studierenden der TU Berlin
                                                sind, Sie wirklich interessiert?                   kamen aus verschiedenen Fachrichtungen
                                                                                                   und ihr gemeinsames Ziel war es, ihren
                   Foto: privat

                                                Frage 2:                                           Kommilitoninnen und Kommilitonen die
                                                Und wenn ja, warum handeln Sie nicht               Gelegenheit zu bieten, sich innerhalb ihres
                                                anders als bisher?                                 Studiums mit ihrer sozialen und ökologi-
                     Dr.-Ing. André Baier                                                          schen Verantwortung auseinanderzuset-
      Koordinator des Studienreformprojekts     Max Frisch zur Verleihung der Ehrendoktorwürde     zen. Die Resonanz auf diese erste Lehr-/
                           Blue Engineering     der Technischen Universität Berlin 29. Juni 1987   Lerneinheit war durchweg positiv, sodass
                                                                                                   die Studierenden anschließend 14 weite-
                Technische Universität Berlin   Max Frisch wird im Jahr 1987 die Ehren-            re Lehr-/Lerneinheiten erstellt haben, um
               Straße des 17. Juni 144 - W 1    doktorwürde der Technischen Univer-                ein ganzes Semester bestreiten zu können.
                                10623 Berlin    sität Berlin verliehen. Statt eine klassi-         Im Wintersemester 2011/2012 haben Tuto-
                                                sche Dankesrede zu halten, stellt Max              rinnen und Tutoren das erste Mal das
                    Andre.Baier@tu-berlin.de    Frisch 25 Fragen, die nicht mit einer              Blue-Engineering-Seminar mit sechs Leis-
                                                einfachen, schnellen und zumal richti-             tungspunkten im Wahlpflichtbereich des
                  www.blue-engineering.org
                                                gen Antwort abgehakt werden können,                Master-Studiengangs Maschinenbau ange-
                                                wie es die unzähligen Fragen in Klausuren          boten. Mittlerweile gibt es über 150 frei
                                                und mündlichen Prüfungen einem abver-              verfügbare Lehr-/Lerneinheiten und das
                                                langen. Die Fragen von Max Frisch laden            Seminarkonzept wird an sechs Hochschu-
                                                stattdessen zu einer Reflexion des eigenen         len in Deutschland eingesetzt. Insgesamt
                                                sowie gesellschaftlichen Lebens ein und            haben bereits weit über 1.000 Studierende
                   Foto: HS Düsseldorf

                                                behandeln vorrangig die derzeitige Rolle           an den Kursen teilgenommen und nach-
                                                von Technik als Instrument zur Herrschaft          weisbar Kompetenzen einer Bildung für
                                                über Menschen und die Natur. Zugleich              eine nachhaltige Entwicklung erworben
                                                verlangen einem die Fragen eine Ausei-             (Baier 2018).
                                                nandersetzung mit den jeweils persönli-
            Prof. Dr.-Ing. Matthias Neef        chen Wertvorstellungen ab und sodann                 Das studierendengetriebene Lehr-/Lern-
    Leiter des Instituts für lebenswerte und    auch ihre Offenlegung gegenüber ande-              konzept des Blue-Engineering-Seminars
 umweltgerechte Stadtentwicklung (In-LUST)      ren. In mehreren Fragen greift Frisch das          wird in der Regel durch Tutorinnen und
                      Hochschule Düsseldorf     Überleben der Menschheit auf und fragt             Tutoren durchgeführt, sodass die Hoch-
                              Münsterstr. 156   sich, ob hieran vonseiten der Mitglieder           schullehrenden meist nur im Hinter-
                           40476 Düsseldorf     der Technischen Universität Berlin über-           grund die Organisation und Verantwor-
                                                haupt ein ernsthaftes Interesse beste-             tung übernehmen. Insgesamt überträgt
           matthias.neef@hs-duesseldorf.de      he. Max Frisch scheint dies mit Blick auf          das Seminar die Verantwortung zur Durch-
                                                die Lebensweise und Bildung seiner Zeit            führung und für den Lernerfolg weitestge-
               https://mv.hs-duesseldorf.de/    zumindest als fraglich. Dies scheint auch          hend auf die Teilnehmenden, die so ihre
                              matthias-neef     weiterhin fraglich zu sein.                        eigene Lehre gestalten. Zugleich entwi-
                                                                                                   ckeln sie das Seminar für zukünftige
                                                                                                   Semester weiter. Auf diese Weise werden

                                                                                                                                 05 | 2019 DNH
Studierende gestalten Lehre - Hochschullehrerbund
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                                                                                       „Da weder ein spezieller Kurs zu diesem
                                                                                       Thema angeboten wird, noch dieses
                                                                                       Thema in einem nennenswerten Umfang
                                                                                       in die Fachmodule eingebunden ist,
                                                                                       entwickeln die Studierenden kurzerhand
                                                                                       eigenständig einen Kurs, an dem sie

                                                        Foto: Cathy Yeulet/123rf.com
                                                                                       selbst gerne teilnehmen würden.“

neue Themenfelder kontinuierlich integriert und das                                    ihr Glück. Eine Auseinandersetzung mit der sozialen
Seminarkonzept zugleich methodisch weiterentwi-                                        und ökologischen Verantwortung von Ingenieurin-
ckelt. Aus diesem Grund ist das Lehr-/Lernkonzept                                      nen und Ingenieuren findet unter diesen Bedingun-
zur Vermittlung von sozialer und ökologischer Verant-                                  gen weder in den Vorlesungen noch im Gespräch
wortung nicht allein auf die Ingenieurwissenschaften                                   mit anderen Studierenden statt, denn die gesam-
beschränkt, sondern es kann stattdessen flexibel auf                                   te gemeinsame Zeit wird für die Bearbeitung von
andere Fachdisziplinen übertragen werden.                                              Hausaufgaben und zur Klausurvorbereitung genutzt.

  Das „Blue-Engineering“-Seminarkonzept wurde                                             Um die soziale und ökologische Verantwortung in
2019 mit dem Francesco Maffioli Award of Excellen-                                     den Ingenieurwissenschaften zu stärken, schließen
ce for Developing Learning and Teaching in Enginee-                                    sich Anfang 2009 Studierende verschiedener Fach-
ring Education der europäische Ingenieurausbildungs-                                   richtungen an der TU Berlin zusammen und gründen
gesellschaft SEFI ausgezeichnet. Im gleichen Jahr hat                                  „Blue Engineering“. Ziel dieser Initiative ist es, die
der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft im                                    soziale und ökologische Verantwortung im Studium
April die Auszeichnung Hochschulperle des Monats                                       zu stärken. Da an der TU Berlin selbst im Jahr 2009
verliehen.                                                                             weder ein spezieller Kurs zu diesem Thema ange-
                                                                                       boten wird, noch dieses Thema in einem nennens-
                                                                                       werten Umfang in die Fachmodule eingebunden ist,
Die Entwicklung des Blue-Engineering-Seminars                                          entwickeln die Studierenden kurzerhand eigenstän-
                                                                                       dig einen Kurs, an dem sie selbst gerne teilnehmen
                                                                                       würden. Sie entscheiden sich für einen studieren-
Frage 22:                                                                              den-zentrierten Ansatz, sodass sich ihre Kommili-
Können Sie sich denken, dass der menschliche                                           toninnen und Kommilitonen aktiv einbringen, um
Geist, den wir schulen, im Grund auf Selbstver-                                        die komplexen Zusammenhänge ihres sozialen, poli-
nichtung der Spezies angelegt ist?                                                     tischen, ökologischen und wirtschaftlichen Umfelds
                                                                                       offenzulegen. Für sie ist es wichtig, dass die Teilneh-
Frage 23:                                                                              menden des Kurses diese Analyse selbst durchführen,
Was, außer Wunschdenken, spricht dagegen?                                              damit sie beginnen, ihre persönliche Verantwortung
                                                                                       sowie die kollektive Verantwortung als Ingenieurin-
Das erste Semester im Ingenieursstudium besteht                                        nen und Ingenieure selbst zu erfassen. Dies erforderte
meist aus folgenden Kursen: Mathe 1, Mechanik 1,                                       auch, dass die Teilnehmenden lernen, die verschie-
Konstruktion 1 etc. Im zweiten Semester geht es dann                                   denen Werte, Interessen und Bedürfnisse sowohl
weiter mit Mathe 2, Mechanik 2, Konstruktion 2 und                                     aus einer globalen Perspektive wie auch innerhalb
im dritten Semester das Ganze mit 3 und so weiter.                                     eines Seminarraums zu berücksichtigen (Pongratz
Dies sind in der Regel frontale Vorlesungen in großen                                  und Baier 2015).
und noch größeren Hörsälen, in denen für gewöhn-
lich eine Person redet und Hunderte zuhören, im                                          Das entwickelte Seminarkonzept ist bereits bei
Internet surfen, Videos schauen oder wegdösen –                                        seiner ersten Durchführung im Wintersemes-
wenn sie überhaupt zur Vorlesung gehen. Die ersten                                     ter 2011/2012 mit 24 Teilnehmenden erfolgreich.
Semester werden dann jeweils mit einem panischen                                       Mit leichten Änderungen wird das Seminar auch
Lernen in den letzten Tagen vor den Klausuren abge-                                    im folgenden Sommersemester nur von Tutorin-
schlossen, die nur wenige bestehen, und alle ande-                                     nen und Tutoren durchgeführt. Im selben Semester
ren probieren im nächsten Semester noch einmal                                         schließt der Autor dieses Essays und Mitbegründer

DNH 05 | 2019
Studierende gestalten Lehre - Hochschullehrerbund
10 Titel: „Studierende gestalten Lehre“

von „Blue Engineering“, André Baier, sein Studium ab.      werden kann. Die Themen sind hier unter ande-
Er entwickelt daraufhin als wissenschaftlicher Mitar-      rem: „Gender, Diversity & Technik“, Stromopo-
beiter zusammen mit Tutorinnen und Tutoren das             ly, Atomkraft-Anno Domini, Peak Everything,
Konzept in den kommenden Semestern weiter. Hier-           „Arbeit, Gesellschaft und Gewerkschaft“, Automa-
durch wird eine inhaltliche Vertiefung, eine didak-        tisierung vs. gute Arbeitsplätze, Virtuelles Wasser,
tische Verfeinerung sowie ein kapazitiver Ausbau           Land Grabbing.
auf 100 Teilnehmende aus sechs Studiengängen
ermöglicht. Ziel war es trotz einer steigenden Teil-       In der dritten Phase präsentieren die Kleingrup-
nehmendenzahl, den kollegialen, kreativen Charak-          pen einen Baustein, den sie über das gesamte
ter des Blue-Engineering-Seminars beizubehalten.           Semester entwickelt haben. Das Thema und die
Dies wurde unter anderem dadurch erreicht, dass            Methoden setzen die Teilnehmenden in der Regel
die Gestaltung des Seminars immer stärker in die           selbst. Zur Qualitätssicherung erhalten sie mehr-
Hände der Teilnehmenden selbst gelegt wurde, die           mals Feedback von anderen Teilnehmenden sowie
so immer mehr für den Lehr-/Lernprozess des gesam-         von Tutorinnen und Tutoren.
ten Kurses verantwortlich wurden.
                                                        In der Regel sind vier studienbegleitende Prüfungs-
                                                        leistungen zu erbringen, die jeweils ein Viertel der
Struktur und Kernelemente des Blue-Engineering-         Gesamtpunktzahl ausmachen:
Seminars
                                                           Das wöchentlich zu führende Lernjournal dient
Bausteine sind das Kernelement des Blue-Enginee-           der eigenen Reflexion, der Verknüpfung von
ring-Seminars. Diese inhaltlich und didaktisch gut         Themenfeldern und zeigt auf, in welcher Form
dokumentierten 30- bis 90-minütigen Lern-/Lehrein-         eine Auseinandersetzung über das Seminar hinaus
heiten verlagern sowohl den Lern- als auch den             stattfand, z. B. Zeitungsartikel gelesen, Gespräch
Lehrprozess innerhalb eines Seminars weitestge-            mit Freundinnen und Freunden oder Familie
hend auf die Teilnehmenden. Bausteine schaffen             gesucht,
so die Balance zwischen Faktenvermittlung und
Orientierung/Reflexion/Positionierung der Teilneh-         die Durchführung eines bestehenden Bausteins
menden, zum Beispiel durch simulierten Gerichts-           für etwa 20 andere Teilnehmende,
verhandlungen, Talkshows, Stationenlernen, aber
auch durch multimediale/multisensuale Wissens-             die Durchführung eines neu entwickelten
speicher, die ein Thema aus unterschiedlichen              Bausteins, der von einer Kleingruppe über das
Perspektiven aufbereiten, sowie durch spielerische         ganze Semester erarbeitet wurde,
Formate, wie ein Kraftwerksquartett, Mülltrennung
– ein Kinderspiel! oder ein Bilderbuch zum Thema           die Dokumentation des neu entwickelten
Zeitwohlstand. Weitere Themen sind zum Beispiel            Bausteins, um eine spätere Wieder- und Weiter-
Peak Everything, Mobilität ohne Öl, Ethikkodizees,         verwendung zu ermöglichen.
der Rebound-Effekt und Gender/Diversity. Mittler-
weile bestehen über 150 solcher Bausteine, die
regelmäßig in den verschiedenen Blue-Engineering-       Umsetzung an der eigenen Hochschule und in
Seminaren und außerhalb zum Einsatz kommen.             der eigenen Fachdisziplin: Voraussetzungen und
Sie alle sind auf der Webseite www.blue-enginee-        Erfolgsfaktoren
ring.org frei zugänglich.
                                                        Das Blue-Engineering-Seminar wird seit Winter-
  Das Blue-Engineering-Seminar teilt ein Hochschul-     semester 2011/12 jedes Semester nach dem oben
semester im Wesentlichen in drei Phasen ein:            beschriebenen Konzept für 100 Studierende an
                                                        der TU Berlin durch drei Tutorinnen und Tutoren
   In der ersten Phase führen Tutorinnen und Tuto-      angeboten. Seit 2012 wird das Seminar an der TU
   ren sechs festgelegte Grundbausteine durch,          Hamburg als 2-Leistungspunkte-(LP)-Blocksemi-
   um den Teilnehmenden die Arbeitsweise sowie          nar im freien Wahlbereich für die Bachelorstudi-
   den allgemeinen inhaltlichen und didakti-            engänge angeboten und als Mischung aus Blockse-
   schen Anspruch des Seminars zu vermitteln. Die       minar und einer Reihe von Abendveranstaltungen
   Themen sind hier unter anderem Technikbewer-         im Masterbereich. Seit 2016 wird es an der Hoch-
   tung, Plastik, Technik als Problemlöser, Verant-     schule Düsseldorf mit 5 LP im Wahlpflichtbereich
   wortung und Kodizes und das produktivistische        aller Bachelor-Studiengänge angeboten, wobei das
   Weltbild.                                            Seminar in der ersten Hälfte eines Semesters jede
                                                        Woche stattfindet und mit einem Wochenendblock
   In der zweiten Phase führen die Teilnehmen-          gegen Ende des Semesters abschließt. Das Seminar
   den in Kleingruppen eine wechselnde Auswahl          an der HTW Berlin gleicht dem Seminar an der TU
   an bestehenden Bausteinen für die anderen            Berlin und wird im allgemeinen wissenschaftlichen
   Teilnehmenden durch und lernen so aktiv, wie         Ergänzungsbereich, vergleichbar mit einem Studi-
   eine anspruchsvolle Lehr-/Lerneinheit gestaltet      um Generale, angeboten. Mit dem Sommersemester

                                                                                                                  05 | 2019 DNH
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2019 wird das Seminar auch an der Hochschule                          Entscheidend für eine Etablierung an der Hoch-
Ruhr-West als 6-LP-Modul im Wahlpflichtbereich                      schule ist die Schirmherrschaft für das Seminar durch
mehrerer Studiengänge, inkl. der Wirtschaftswis-                    eine Professorin oder einen Professor, sodass die weit-
senschaften, angeboten. Der Aufbau ist stark an                     gehend durch Studierende getragene Veranstaltung
das Berliner Seminar angelehnt. Ebenfalls seit dem                  innerhalb des Fachbereichs durch eine feste Person
Sommersemester 2019 wird das Seminar an der TU                      verankert wird, die beispielsweise die Vergabe von
Dresden angeboten und gleicht dem Hamburger                         Prüfungsleistungen verantwortet und Personalmit-
Seminar.                                                            tel für die Tutorinnen und Tutoren organisiert. Die
                                                                    Anpassung des Seminars an das Curriculum der eige-
  Insgesamt zeigen die sechs verschiedenen Varian-                  nen Hochschule ist dabei in der Regel kein Problem,
ten der Seminargestaltung, dass das Blue-Enginee-                   da sich das Bausteinkonzept modular an die verschie-
ring-Konzept flexibel an die jeweiligen Bedingungen                 denen Leistungsumfänge oder Seminarkonzepte
an einer Hochschule angepasst werden kann. Durch                    (wöchentlich oder Blockseminar) anpassen lässt.
den modularen Charakter, der auf eine Wieder- und
Weiterverwendung aller Elemente ausgelegt ist, lässt                  Als Ressourcen für die Kursbetreuung stehen nicht
sich das Seminarkonzept auch ohne Weiteres an                       nur die gut ausgearbeiteten Bausteine zur Verfügung,
anderen Hochschulen umsetzen, wie beispielsweise                    sondern auch ein hochschulübergreifendes Netzwerk
das Interesse an einer Umsetzung durch die Hoch-                    an Freiwilligen, die sich über ihre eigene Kursteil-
schule Esslingen und die TH Köln zeigt.                             nahme hinaus für die Weiterentwicklung und den
                                                                    Erhalt des Kurses einsetzen. Dazu finden regelmäßi-
  Wichtigste Voraussetzung zur Etablierung des                      ge Netzwerktreffen statt, auf denen sich die „Blue
Blue-Engineering-Seminars sind engagierte Studie-                   Engineers“ aller beteiligten Hochschulen vernetzen.
rende, die den Kurs im besten Fall zunächst als Teil-               Zugleich bieten die Aktiven auch Blockseminare und
nehmende besuchen und im folgenden Semester als                     Schulungen an, sodass Studierende auch ohne vorhe-
Tutorinnen bzw. Tutoren selbst gestalten. Auf diese                 rigen Besuch eines Blue-Engineering-Seminars ein
Weise wird nicht nur die Kontinuität und Qualitäts-                 eigenständiges Seminar an ihrer Hochschule aufbau-
sicherung innerhalb einer Hochschule gewährleis-                    en können.
tet, sondern das Seminarkonzept kann so auch auf
weitere Hochschulen ausgedehnt werden. So haben                     Weiterführende Links:
beispielsweise die ersten Tutorinnen und Tutoren                        http://www.blue-engineering.org
der Hochschule Ruhr-West zunächst ein Semester
am Seminar in Düsseldorf teilgenommen und im
folgenden Semester ihr erstes eigenes Seminar durch-
geführt. Durch eine Begleitung von erfahrenen Tuto-
rinnen und Tutoren sowie von Hochschullehrenden
anderer Hochschulen konnte zudem das Seminarkon-
zept für die Lehre in den Wirtschaftswissenschaften
erweitert werden.

  Literatur
  Baier, André: Education for Sustainable Development within the Engineering Sciences. Design of Learning Outcomes and a
     Subsequent Course Evaluation, Dissertation, TU Berlin, 2018.

  Frisch, Max: 25 Fragen an die TU Berlin anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde. https://www.pressestelle.tu-
      berlin.de/fileadmin/a70100710/Fotos/TU_intern/2009/Juni/25FragenMaxFrisch.pdf – Abruf am 18.08.2019.

  Pongratz, Sabine; André Baier: Encouraging Engineering Students to Question Technological Solutions for Complex Ecolo-
     gical and Social Problems. In: Filho, Walter et al. (Hrsg.): Integrating Sustainability Thinking in Science and Engineering
     Curricula. Springer, 2015, S. 375–86, doi:10.1007/978-3-319-09474-8_27.

DNH 05 | 2019
12 Titel: „Studierende gestalten Lehre“

Überwiegend positiv: die Lehr-
Erfahrungen studentischer Tutoren
Tutoren leben eine Zwischenrolle: zwischen der Professorin und den
Studierenden, die sie aktivieren sollen. Im Gute-Ideen-für-die-Lehre-Projekt
„Kommunikation im Museum für Kommunikation“ an der Technischen
 Hochschule Nürnberg (THN) haben sie vor allem gute Erfahrungen gemacht.
| Von Prof. Dr. Beatrice Dernbach, Franziska Hofmann und Vanessa Neuß

Seit zehn Jahren werden in der Fakultät Angewand-       wurde modifiziert und ein weiteres Mal im Winter
te Mathematik, Physik und Allgemeinwissenschaf-         2018/19 umgesetzt. Von insgesamt 14 Seminartermi-
ten (AMP) Studierende in Technikjournalismus/           nen fanden vier im Block (also je 6 SWS) am außer-
Technik-PR ausgebildet. Das Konzept basiert darauf,     hochschulischen Lernort Museum statt.
dass Publizisten nicht nur Fach- und Vermittlungs-
kompetenz im Bereich Medien und Kommunikati-              Die beiden aus den Fördergeldern finanzierten
on benötigen, sondern auch Sachwissen in Technik        studentischen Hilfskräfte entwickelten gemeinsam
und Naturwissenschaften erwerben. Grundlegend           mit der Professorin für die vier Themensitzungen
für das Studium ist das Wissen über Kommunikati-        Kommunikationsgrundlagen, Printmedien, Rund-
on, angefangen bei der Entstehung von (verbaler und     funkmedien und die (digitale) Zukunft des Journalis-
nonverbaler) Sprache, über die technische Entwick-      mus jeweils Ablauf, Aufgaben und die didaktischen
lung von Kommunikationsmitteln bis hin zur neuen        sowie technischen Tools, mit denen die Erstsemester
digitalen Welt. Diese Entwicklung zeigt das Museum      die Ergebnisse erarbeiten und präsentieren sollten.
für Kommunikation in Nürnberg (siehe unter http://
www.mfk-nuernberg.de/). Es eignet sich hervorra-          Die Dozentin führte jeweils zu Beginn der Sitzun-
gend als außerhochschulischer Lernort zu diesem         gen in die relevanten theoretisch-wissenschaftlichen
Thema. Das Museum sollte deshalb im Projekt aktiv       Grundlagen ein. Die folgende etwa zweistündige
als Raum genutzt werden, in dem sich die Studie-        Gruppenarbeitsphase war zwar zielorientiert, aber
renden auch entlang der bestehenden Ausstellung         nicht so inputzentriert wie in der standardisierten
sowohl aus kommunikationswissenschaftlicher als         Form der seminaristischen Vorlesung im Hörsaal. Die
auch technischer Perspektive in das Thema einar-        zunächst sieben, später sechs studentischen Tutoren
beiten. Ideal ist die Verlagerung aus dem Hochschul-    (darunter auch die beiden Projektmitarbeiter) erklär-
hörsaal außerdem im Hinblick auf die hohe Zahl          ten den Kommilitonen die Aufgaben, unterstütz-
an Studienanfängern: Gleichzeitig 100 Studierende       ten sie bei der Recherche in der Ausstellung sowie
didaktisch abwechslungsreich und wirkungsvoll zu        im Internet, gaben Hinweise zur Aufbereitung und
belehren, ist in der Hochschule aufgrund der räum-      Präsentation der Ergebnisse. Diese wurden diskutiert,
lichen Beschränkung nicht (immer) möglich. Im           eingeordnet und auf der Lernplattform Moodle allen
Museum hingegen stehen neben der Ausstellungs-          zur Verfügung gestellt.
fläche ein großer Festsaal (für 100 Personen) sowie
zwei weitere Seminarräume zur Verfügung.
                                                        Erfahrungen und Evaluation aus Sicht der Tutoren

Das Lehr-Projekt                                        Vanessa Neuß, Projektmitarbeiterin und Tutorin
                                                        Die vier von der Professorin für die Museumssitzun-
Im Herbst 2016 wurde im Programm „Gute Ideen            gen ausgewählten Themenblöcke hatten wir selbst
für die Lehre“ erfolgreich beantragt, für das Einfüh-   im ersten Semester im Einführungsmodul bearbeitet.
rungsmodul Journalistik ein neues didaktisches          Nun sollten wir aus studentischer Perspektive nach
Konzept gemeinsam mit studentischen Hilfskräf-          geeigneten didaktischen Instrumenten suchen, wie
ten zu erarbeiten. Es wurde im Laufe des Sommers        wir die Themen interessant, interaktiv und spannend
2017 entworfen und im Wintersemester 2017/18            an unsere Kommilitonen vermitteln konnten. Für die
erstmalig durchgeführt. Im Sommersemester 2018 ist      erste Sitzung zu den Grundlagen der Kommunikation
der erste Durchgang evaluiert worden. Das Konzept       hat das Team einen Parcours entworfen (Abbildung 1).

                                                                                                                05 | 2019 DNH
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Inspiriert waren die Aufgaben von der       könnte. Die gesamte Lehrveranstaltung
Ausstellung im Museum beziehungswei-        wurde nach dem ersten Durchlauf im
se den Exponaten und Informationen.         WS 2017/18 vom Tutorenteam inten-
Die acht willkürlich zusammengesetz-        siv evaluiert und zwar mit 16 Leitfaden-
ten studentischen Arbeitsgruppen hiel-      gesprächen. Sowohl hinsichtlich der
ten die Ergebnisse in Moodle-Wiki-Ein-      Organisation als auch der Inhalte und

                                                                                                                 Foto: privat
trägen fest.                                der didaktischen Tools gab es konstruk-
                                            tive Hinweise, die wir studentischen
   Zum Thema Rundfunk sollten die Erst-     Projektmitarbeiter in das Programm für
semester den erarbeiteten Wissensschatz     das WS 2018/19 integriert haben. Vor          Prof. Dr. Beatrice Dernbach
in Videos oder Audios an ihre Kommi-        allem haben wir versucht, die Aufgaben        Professorin für Journalistik
litonen vermitteln. Dies fordert nicht      noch präziser zu stellen und die Grup-        Studiengang Technikjournalismus/Technik-PR
nur die Aneignung des Wissens, sondern      pen intensiver zu betreuen, sodass sie        Technische Hochschule Georg Simon Ohm
auch die Fähigkeiten, die Informationen     in der Lage waren, in ihren Präsentati-       Keßlerplatz 12
aufs Wesentliche zu beschränken und das     onen auch tatsächlich relevante Ergeb-        90489 Nürnberg
Ganze technisch umzusetzen. Für den         nisse vorstellen zu können.
Themenblock Schrift und Printmedien
                                                                                          beatrice.dernbach@th-nuernberg.de
sollten die Studierenden ein Quiz erstel-    „Der zweite Durchlauf des Projekts           https://www.th-nuernberg.de/einrichtungen-
len, das auch der Prüfungsvorbereitung         war noch strukturierter und wir            gesamt/abteilungen/service-lehren-und-
diente. Diese beiden Komponenten – also      Tutoren haben uns besser in unsere           lernen/lehren/lehrfoerderprogramme/
Wissensverwertung und Prüfungsvorbe-          Rolle als Betreuer auf Augenhöhe
reitung – wurden in allen Aufgabenstel-               einstellen können.“
lungen berücksichtigt.

  Wir Tutoren haben gemeinsam               Anspruchsvoll, aber lehrreich – für alle
entschieden, dass jeder von uns in den      Beteiligten
vier Blöcken eine Gruppe und damit eine
Aufgabe betreut. Jeder hat entsprechen-     Franziska Hofmann, Tutorin                                           Foto: privat

des Material recherchiert, in Moodle        Welcher Aufwand hinter einem solchen
eingestellt und eine Musterlösung erar-     Projekt steckt, ist uns erst bewusst gewor-
beitet. Ein Tutor übernahm die Vorbe-       den, als wir uns zusammengesetzt und
reitung und Einweisung der techni-          gegrübelt haben, wie bestimmte Lern-          Franziska Hofmann
schen Instrumente, wie beispielsweise die   inhalte am besten an die Erstsemester         Tutorin im Projekt, Studentin im Studiengang
Auswahl und Bereitstellung des HTML-        weitergegeben werden könnten.                 Technikjournalismus/Technik-PR
Quiz mithilfe der Website quizdidaktik.
de oder eines Video-Editors wie iMovie,
KineMaster. Für uns war es wichtig, dass
die Tutoren und die Erstsemester auf
Augenhöhe gemeinsam an den jeweili-
gen Aufgaben arbeiten konnten.
                                            „Ich für meinen Teil
       „Wir Tutoren waren für die
                                                                                                                 Foto: privat

        Kommilitonen eine Hilfe             habe aus der Zeit als
       und jederzeit ansprechbar.“          Tutor mitgenommen,
                                                                                          Vanessa Neuß
  Dieser Aspekt des Selbstverständnisses    dass die Lehre nicht                          Studentische Mitarbeiterin im Projekt
stand im Vordergrund der Feedbackrun-
                                                                                          und Tutorin, Studentin im Studiengang
den im Projektteam, die immer direkt im     immer so leicht ist, wie
                                                                                          Technikjournalismus/Technik-PR
Anschluss an die Sessions im Museum
stattgefunden haben. Besprochen wurde
                                            es aussieht, und die
außerdem die folgende Sitzung bezie-        Didaktik oft unterschätzt
hungsweise die Frage, was im Ablauf und
der Aufgabenstellung optimiert werden       wird.“ (Robert Urlacher)

DNH 05 | 2019
14 Titel: „Studierende gestalten Lehre“

„Seitens der Erstsemester hörte
man öfter mal ein Dankeschön
für die Arbeit. Das motivierte
mich immer wieder aufs Neue,
ihnen etwas beibringen zu
wollen.“ (Robert Urlacher)

                                                            Abbildung 1: Ablaufplan für die erste Sitzung im Museum mit Beschreibung des Parcours

Schließlich waren wir Tutoren selbst auch erst vor             Uns jungen Co-Dozenten wurde viel Verantwor-
einem Jahr in dieser Situation gewesen und wussten          tung bezüglich Themenaufbereitung und Gestaltung
deshalb ganz genau, was Studierende so gar nicht            der jeweiligen Blocktage übertragen. Die Professorin
motiviert und uns am Lernen weniger gefallen hat.           hat uns sehr in die Konzeption einbezogen, disku-
                                                            tierte mit uns ausführlich unsere Vorschläge und ließ
Eine der größten Herausforderungen war, die Moti-           uns in Sachen Gestaltung und Umsetzung weitge-
vation und Konzentration der Kommilitonen über              hend freie Hand. Der Wechsel von der Lernenden-
Stunden aufrechtzuerhalten. Zudem mussten wir               seite auf die der Lehrenden war für uns eine span-
uns an die neue Rolle des „Vermittlers“ gewöhnen,           nende, neue Erfahrung. Wir haben unter anderem
was den einen oder anderen anfangs einige Über-             die sozialen Kompetenzen im Hinblick auf Führung
windung kostete.                                            und Betreuung verbessert und ausgebaut. Und sie hat
                                                            auch unser Selbstbewusstsein gestärkt.
  Allerdings merkten wir Drittsemester schnell, dass
bei einigen der jüngeren Studierenden ein strenges
Wort notwendig war, wollten wir in den Kleingrup-           Die Bilanz
pen weiterkommen und die gesetzten Ziele erreichen.
Die meisten Studenten waren den Tutoren gegen-              Beatrice Dernbach
über jedoch respektvoll und auch für Hilfestellun-          Die studentischen Tutoren haben den Erstsemes-
gen und Tipps dankbar.                                      tern das Gefühl vermittelt, mit Peers auf Augenhö-
                                                            he zu arbeiten, was zu einer kreativen und gelösten
                                                                                                                         Foto: Robert Urlacher

Die Studierenden bearbeiten im Museum für Kommunikation das Thema Zeitungen.

                                                                                                                                                 05 | 2019 DNH
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                                                                                 „Ich habe für mich gelernt,
                                                                                 mein Licht nicht unter den
                                                                                 Scheffel zu stellen, meine

                                                     Foto: dolgachov/123rf.com
                                                                                 bereits vorhandene Expertise
                                                                                 wertzuschätzen und auch nach
                                                                                 außen zu tragen.“ (Teresa Kraus)

Arbeitsatmosphäre geführt hat. Es ging bei diesem                                Input nötig ist. Sie sollten mich ja nicht ersetzen,
Lehrprojekt nicht nur darum, die Hochschule bezie-                               aber den Kommilitonen einen anderen Zugang zu
hungsweise den Hörsaal zu verlassen, um Spaß zu                                  Wissensbeständen zeigen. Auf der Persönlichkeits-
haben. Die Kognitionsforschung zeigt, dass selbst                                ebene muss ich sie davor bewahren, sich vom nicht
erarbeitetes Wissen anders gespeichert und reaktiviert                           immer konstruktiven Verhalten der Kommilitonen
wird als rein über Hören vermittelte Informationen.                              frustrieren zu lassen. Die Erstsemester-Studenten
Unterstützt wurde der Effekt dadurch, dass das Thema                             müssen sich darauf einstellen, dass sie mehr tun
der Lehre zum Ort passte: Museum und Grundlagen-                                 müssen, als zuzuhören und (bestenfalls) mitzuden-
modul des Studiengangs haben ein sehr ähnliches                                  ken, sondern dass sie sich selbst Wissen erarbeiten,
didaktisch-pädagogisches Ziel, nämlich in die verba-                             dies aufbereiten, präsentieren und kritisch hinter-
le und non-verbale Kommunikation einzuführen.                                    fragen müssen.

„Die Rolle als Tutor war eine ganz neue Erfahrung
für mich. Als Studentin, selbst erst im dritten Semester, die
Erstsemester anzuleiten, war zu Beginn ziemlich ungewohnt.
Als ich mich daran aber gewöhnt hatte und die Erstsemester uns
auch anerkannt hatten, lief es besser.“ (Teresa Kraus)

  Didaktische Formate, in denen studentische Tuto-                                 Mit diesem Orts- und Perspektivenwechsel haben
ren in die Lehre eingebunden sind, bedeuten für                                  alle viel gelernt über die Sinnhaftigkeit didaktisch-
alle Beteiligten eine große Herausforderung: Ich als                             pädagogischer Tools und die Relation zwischen
Dozentin muss die Tutoren fordern und fördern,                                   Zeitaufwand und Erkenntnisgewinn ebenso wie
indem ich ihre Aufgaben klar formuliere. Die Tuto-                               über die Grenzen der Belastbarkeit. Die Frage,
ren müssen ein Verständnis für ihre Zwischenrolle                                welche Form geeignet ist, auf diese Art und Weise
entwickeln, sich an sie gewöhnen und sie ausfüllen.                              erworbene Kenntnisse und Kompetenzen zu prüfen,
Ich muss ihnen dabei auf der Sachebene Orientie-                                 bleibt auch nach diesen zwei Runden des Auspro-
rung geben, vor allem in der Frage, was und wie viel                             bierens offen.

DNH 05 | 2019
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