3 2018 CESifo Group Munich
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
3 2018 8. Februar 2018 71. Jahrgang KOMMENTAR ZUR DISKUSSION GESTELLT Post-Singapur-Architektur der Europäischen Handelspolitik Reform der Elisabeth Beer und Susanne Wixforth Entsenderichtlinie: FORSCHUNGSERGEBNISSE Schutz gegen Sozial- Effekte von Investitionsschutz- und -förderverträgen und Lohndumping Gabriel Felbermayr Arbeitsanreize für einkom- oder Einschränkung mensschwache Familien Kerstin Bruckmeier, Jannek des Binnenmarkts? Matthias Dauner, Ingo Kramer, Anke Hassel und Mühlhan und Andreas Peichl Bettina Wagner DATEN UND PROGNOSEN Das Antwortverhalten in der ifo Industrieumfrage Bernhard Kassner und Klaus Wohlrabe Wirtschaftskonjunktur 2017: Prognose und Wirklichkeit Wolfgang Nierhaus Ökologische Landwirtschaft Matthias Balz IM BLICKPUNKT Investitions- und Beschäfti- gungspläne der Unternehmen Przemyslaw Brandt und Katrin Demmelhuber ifo Konjunkturumfragen Januar 2018 Klaus Wohlrabe
ifo Schnelldienst ISSN 0018-974 X (Druckversion) ISSN 2199-4455 (elektronische Version) Herausgeber: ifo Institut, Poschingerstraße 5, 81679 München, Postfach 86 04 60, 81631 München, Telefon (089) 92 24-0, Telefax (089) 98 53 69, E-Mail: ifo@ifo.de. Redaktion: Dr. Marga Jennewein. Redaktionskomitee: Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest, Annette Marquardt, Prof. Dr. Chang Woon Nam. Vertrieb: ifo Institut. Erscheinungsweise: zweimal monatlich. Bezugspreis jährlich: Institutionen EUR 225,– Einzelpersonen EUR 96,– Studenten EUR 48,– Preis des Einzelheftes: EUR 10,– jeweils zuzüglich Versandkosten. Layout: Kochan & Partner GmbH. Satz: ifo Institut. Druck: Majer & Finckh, Stockdorf. Nachdruck und sonstige Verbreitung (auch auszugsweise): nur mit Quellenangabe und gegen Einsendung eines Belegexemplars. im Internet: http://www.cesifo-group.de
SCHNELLDIENST 3/2018 ZUR DISKUSSION GESTELLT Reform der Entsenderichtlinie: Schutz gegen Sozial- und Lohndumping oder Einschränkung des Binnenmarkts? 3 Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort: Künftig sollen Arbeitnehmer aus dem EU-Ausland nicht nur den gültigen Mindestlohn, sondern auch die gültigen Tariflöhne erhalten, wenn sie in einem anderen EU-Land arbeiten. Zudem werden die Einsätze erstmals befristet und dürfen in der Regeln nicht länger als ein Jahr dau- ern, mit Sonderantrag ist eine Verlängerung auf 18 Monate möglich. Werden mit dieser Regelung Beschäftigte besser vor Lohn- und Sozialdumping geschützt? Oder wird durch eine Abschottung der Arbeitsmärkte das freie Angebot von Dienstleistungen in der EU behindert? Nach Ansicht von Matthias Dauner, cep – Centrum für Euro- päische Politik, Freiburg, bedeutet der Reformvorschlag eine »Kriegserklärung an die liberalen Verfechter des Binnenmarktes und ein Angriff auf das Geschäftsmodell vieler Unternehmen aus den Mitgliedstaaten Mittel- und Osteuropas, deren Wettbewerbsvorteil insbesondere in vergleichsweise niedrigen Lohn- und Lohnnebenkosten besteht«. Zwar würden auf den ersten Blick die Rechte von entsandten Arbeitnehmern gestärkt. Faktisch sei aber davon auszugehen, dass die Zahl der Entsendungen abnehmen dürfte. Leidtragende dürften die entsendenden Unternehmen und deren Mitarbeiter aus den neuen Mitgliedstaaten sein. Auch Ingo Kramer, Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, sieht einen »unnötigen Angriff auf den Binnenmarkt«. Eine verschärfte Ent- senderichtlinie wäre nicht die Verwirklichung eines funktionierenden Binnenmarkts, sondern Protektionismus und für die deutschen Unternehmen ein massiver Kostentreiber. Für Anke Hassel, WSI, und Bettina Wagner, Hertie School of Governance, ist die Reform der Entsenderichtlinie dagegen eine notwendige Voraussetzung für einen besseren Binnenmarkt. Denn nur wenn Rechtssicherheit bestehe und Regulierungsarbitrage eingedämmt werde, könne ein produktiver Wettbewerb entstehen. KOMMENTAR Post-Singapur-Architektur der Europäischen Handelspolitik 13 Elisabeth Beer und Susanne Wixforth Das EU-Handelsabkommen mit Singapur hat die EU-Kommission praktisch unbemerkt von der Öffentlichkeit 2015 weitgehend abgeschlossen. Zwei Jahre später rückt dieses Abkommen in die öffentliche Wahrnehmung, weil der Europäische Gerichtshof ein Gutachten darüber erstellt hat, welche Sachbereiche ausschließlich in die han- delspolitische Kompetenz der Europäischen Union (EU-only) fällt. Bei diesen haben die nationalen Parlamente künftig keine Mitwirkungsrechte. Elisabeth Beer, AK Wien, und Susanne Wixforth, DGB, setzen sich in ihrem Kom- mentar mit den Konsequenzen dieses Urteils auseinander. So bedeutet dieser Kompetenzgewinn auf EU-Ebene etwa eine regulatorische Einschränkung der Mitgliedstaaten bei Nachhaltigkeitskriterien. FORSCHUNGSERGEBNISSE Was wissen wir über den Effekt von Investitionsschutz- und -förderverträgen auf ausländische Direktinvestitionen? 17 Gabriel Felbermayr Investitionsschutz- und -förderverträge sind völkerrechtliche Abkommen zwischen zwei Staaten. Sie haben das Ziel, ausländische Direktinvestitionen zu fördern, indem sie die Rechtssicherheit für ausländische Investoren ver- bessern. Sie schützen Unternehmen der Signatarstaaten jeweils vor Enteignung, staatlicher Willkür und Diskrimi- nierung und erlauben die Rechtsdurchsetzung außerhalb des Gerichtssystems des Ziellandes. Damit schränken sie den Handlungsspielraum der Länder ein. Führen diese Abkommen überhaupt zu zusätzlichen Direktinvestiti- onen? Dieser Artikel stellt die Ergebnisse einer Metastudie, die die existierende empirische Evidenz zusammen-
fasst, vor. Entgegen manchen Behauptungen findet die Literatur weitgehend positive Effekte. Im Durchschnitt führt ein Investitionsschutzvertrag zu einem Zuwachs der ausländischen Direktinvestitionen von ca. 25%. Mehr Arbeitsanreize für einkommensschwache Familien schaffen 25 Kerstin Bruckmeier, Jannek Mühlhan und Andreas Peichl Unser Steuer-, Abgaben- und Transfersystem ist gerade für Familien am unteren Ende der Einkommensskala nur bedingt leistungsgerecht. Es gilt daher, Steuern, Sozialabgaben und Transferleistungen so aufeinander abzustim- men, dass sich zusätzliche Erwerbsarbeit in jedem Fall lohnt und mehr Transparenz für die Betroffenen geschaffen wird. DATEN UND PROGNOSEN Eine Analyse des Antwortverhaltens in der ifo Industrieumfrage 29 Bernhard Kassner und Klaus Wohlrabe Der ifo Geschäftsklimaindex ist der wichtigste Indikator der deutschen Wirtschaft. Tausende Antworten von Unternehmen werden jeden Monat darin zusammengefasst. In dem Artikel wird ein Blick auf das Antwortverhal- ten der Firmen geworfen. Der Fokus liegt hierbei auf der Industrieumfrage. Wirtschaftskonjunktur 2017: Prognose und Wirklichkeit 35 Wolfgang Nierhaus Das ifo Institut beleuchtet seit Jahren kritisch die Güte der eigenen Konjunkturprognosen. In dem Beitrag wird die ifo Prognose vom Dezember 2016 für das Jahr 2017 vor dem Hintergrund der jüngst veröffentlichten Ergebnisse der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen diskutiert. Zudem wird auf die Prognosequalität des Instituts im langjährigen Durchschnitt eingegangen. Branchen im Blickpunkt: Ökologische Landwirtschaft in Deutschland – eine Bestandsaufnahme 43 Matthias Balz Der Umsatz mit Bio-Lebensmitteln in Deutschland hat sich seit der Jahrtausendwende mehr als verfünffacht. 2017 wurde die Umsatzgrenze von 10 Mrd. Euro deutlich überschritten. Das politisch vorgegebene Ziel eines 20%-Anteils von Ökoflächen an den landwirtschaftlichen Nutzflächen insgesamt bleibt noch in weiter Ferne. IM BLICKPUNKT ifo Managerbefragung: Investitions- und Beschäftigungspläne der Unternehmen für 2018 46 Przemyslaw Brandt und Katrin Demmelhuber In der ifo Managerbefragung von Dezember 2017 wurden über 600 Manager aus den Wirtschaftsbereichen Indust rie, Bau, Handel und Dienstleistungen nach ihren Investitions- und Beschäftigungsplänen für 2018 befragt. Ein weiterer thematischer Schwerpunkt der Befragung waren die potenziellen Risiken für die zurzeit sehr gute kon- junkturelle Situation in Deutschland. Der vorliegende Artikel stellt einige ausgewählte Ergebnisse vor. ifo Konjunkturumfragen im Januar 2018 auf einen Blick: Die deutsche Wirtschaft startet mit Schwung ins neue Jahr 50 Klaus Wohlrabe Der ifo Geschäftsklimaindex ist im Januar gestiegen. Dies war auf eine deutlich bessere Einschätzung der aktuel- len Situation zurückzuführen. Der Lageindex stieg auf ein neues Rekordhoch. Die Erwartungen für die nächsten sechs Monate wurden hingegen etwas zurückgenommen, bleiben aber auf hohem Niveau.
ZUR DISKUSSION GESTELLT Reform der Entsenderichtlinie: Schutz gegen Sozial- und Lohndumping oder Einschränkung des Binnenmarkts? Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort: Künftig sollen Arbeitnehmer aus dem EU-Ausland nicht nur den gültigen Mindestlohn, sondern auch die gültigen Tariflöhne erhal- ten, wenn sie in einem anderen EU-Land arbeiten. Darauf haben sich die Arbeits- und Sozial- minister der EU bei der Reform der Entsenderichtlinie geeinigt. Zudem werden die Einsätze erstmals befristet und dürfen in der Regel nicht länger als ein Jahr dauern, mit Sonderantrag ist eine Verlängerung auf 18 Monate möglich. Werden mit dieser Regelung Beschäftigte bes- ser vor Lohn- und Sozialdumping geschützt? Oder wird durch eine Abschottung der Arbeits- märkte das freie Angebot von Dienstleistungen in der EU behindert? Matthias Dauner* raum, auch im Baugewerbe. Geregelt wurde dies 1996 in der Entsenderichtlinie.1 Geht die Reform der Entsenderichtlinie auf Kosten INHALT DER ENTSENDERICHTLINIE VON 1996 osteuropäischer Unterneh In dieser Richtlinie wurde festgelegt, unter welchen men und deren Mitarbeiter? Bedingungen Arbeitnehmer entsandt werden dürfen. Ziel war es, den fairen Wettbewerb zwischen auslän- Matthias Dauner REFORM DER ENTSENDERICHTLINIE dischen und ortsansässigen Unternehmen sicherzu- stellen sowie die Wahrung der Rechte der entsandten Die Zinsen in der EU sind auf historisch niedrigem Arbeitnehmer zu gewährleisten. Entsendende Unter- Niveau. Der ein oder andere Zeitgenosse trägt sich nehmen müssen daher einige der im Zielstaat gültigen daher mit dem Gedanken, ein Häuschen zu bauen. Beschäftigungsbedingungen – etwa Mindestlohn, Min- Ein Bauherr in Bulgarien muss seinen Arbeitern dafür destjahresurlaub und Arbeitszeitregelungen – auf die durchschnittlich 3,60 Euro pro Stunde zahlen, in entsandten Arbeitnehmer anwenden. Zudem werden Deutschland fallen durchschnittliche Kosten in Höhe allgemeinverbindliche Tarifverträge in der Baubran- von 27,10 Euro pro Stunde an. Spitzenreiter in der che auch auf entsandte Arbeitnehmer angewandt. Um EU ist Schweden, mit durchschnittlichen Arbeitskos- die Entsenderichtlinie durchzusetzen, sind die Behör- ten von 39,90 Euro pro Stunde in der Baubran- den der Mitgliedstaaten zur Zusammenarbeit ver- che (Eurostat 2017). Der sparsame Häuslebauer aus pflichtet. Sie müssen etwa Informationen über ent- Schweden oder Deutschland mag da auf die Idee sandte Arbeitnehmer zur Verfügung stellen, um den kommen, sich sein Haus von bulgarischen Bauun- Missbrauch bei Entsendungen vorzubeugen und zu ternehmen errichten zu lassen. Prinzipiell geht das, verfolgen. dank des europäischen Binnenmarktes und seinen vier Grundfreiheiten, 1. freier Warenverkehr, 2. Per- Folgen der EU-Erweiterungen sonenfreizügigkeit, 3. freier Kapital- und Zahlungs- verkehr sowie 4. Dienstleistungsfreiheit. Im Rahmen Seit Inkrafttreten der Entsenderichtlinie 1996 hat sich der Dienstleistungsfreiheit können Unternehmen, die EU gewandelt. So wurden durch die EU-Erweite- die in einem Mitgliedstaat niedergelassen sind, ihre rungen 2004 und 2007 insbesondere Staaten aus Mit- Dienste in einem anderen Mitgliedstaat erbringen. tel- und Osteuropa in die Gemeinschaft aufgenom- Dazu zählt auch die grenzüberschreitende Entsen- men, deren durchschnittliche Arbeitskosten deut- dung von Arbeitnehmern für einen begrenzten Zeit- lich unter denen in den alten Mitgliedstaaten liegen. Das liegt auch daran, dass die Systeme der sozialen * 1 Matthias Dauner ist wissenschaftlicher Referent am cep – Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Centrum für Europäische Politik, Freiburg. Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen. ifo Schnelldienst 3 / 2018 71. Jahrgang 8. Februar 2018 3
ZUR DISKUSSION GESTELLT Sicherung im Vergleich zu Westeuropa oft weniger das Arbeitsvertragsrecht des Aufnahmestaates gelten, stark ausgebaut sind, weshalb auch die Lohnneben- außer Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben die Gel- kosten geringer sind. Dies ist insofern bedeutsam, da tung eines anderen Rechts vereinbart. All diese Reglun- die Sozialabgaben von entsandten Arbeitnehmern gen finden auch bei Untervergabeketten4 Anwendung. weiterhin im Heimatland entrichtet werden. Diese Außerdem sind die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, Unterschiede schlagen sich auch bei der Entsendung entsandte Leiharbeitnehmer den inländischen Leihar- von Arbeitnehmern nieder. Während nur etwa 54% beitern gleichzustellen. aller entsandten Arbeitnehmer aus den 15 ursprüng lichen Mitgliedstaaten vor den EU-Erweiterungen WAS IST VOM REFORMVORSCHLAG DER stammen, nehmen diese 86% aller entsandten Ar- ENTSENDERICHTLINIE ZU HALTEN? beitnehmer auf. Zudem kommt hinzu, dass die Zahl der Entsendungen seit Jahren zunimmt. 2014 gab es Der Reformvorschlag zur Entsenderichtlinie hat EU-weit 1,92 Mio. Entsendungen, was einem Anstieg europaweit hohe Wellen geschlagen. Die nationalen um 44,4% gegenüber 2010 entspricht (vgl. SWD 2016, Parlamente aus zehn mittel- und osteuropäischen 52, S. 6 f.). Staaten waren der Ansicht, dass der Vorschlag gegen das Subsidiaritätsprinzip verstößt, und erhoben eine KONKRETISIERUNG DURCH DIE DURCHSETZUNGS- Subsidiaritätsrüge (»gelbe Karte«). Nach Prüfung RICHTLINIE 2014 des Sachverhalts hielt die EU-Kommission jedoch an dem Vorschlag fest, der besonders von den westeu- Neben dem – aufgrund der EU-Erweiterungen – gestie- ropäischen Staaten begrüßt wurde. Teilweise wur- genen Lohngefälle innerhalb der EU und der Zunahme den sogar weitergehende Maßnahmen auf nationaler an Entsendungen erwies sich die Anwendung der Vor- Ebene erwogen. Im französischen Präsidentschafts- schriften der Entsenderichtlinie als schwierig, insbe- wahlkampf wurde diskutiert, ob auf Baustellen in sondere aufgrund von Missbrauch bei Entsendungen bestimmten Regionen des Landes nur noch Franzö- mittels Briefkastenfirmen. Deshalb wurde die Ent- sisch gesprochen werden sollte (»Molière-Klausel«). senderichtlinie 2014 um eine Durchsetzungsrichtli- Da Frankreich zu den Mitgliedstaaten mit den höchs- nie ergänzt.2 In dieser Richtlinie wurden die Vorauset- ten Lohnnebenkosten zählt, nahm sich der neuge- zungen konkretisiert, unter denen eine Entsendung wählte französische Präsident Emmanuel Macron des vorliegt – etwa indem Unternehmen und die Arbeit- Reformvorschlags an. Im Rahmen einer vielbeachte- nehmer, die sie entsenden – genauer erfasst wurden. ten Reise durch Mittel- und Osteuropa versuchte er, Außerdem wurde die Zusammenarbeit der nationalen die Staats- und Regierungschefs von der französi- Behörden, etwa durch Einführung von Fristen für die schen Position, die den Reformvorschlag unterstützt, Amtshilfe sowie der Zugang zu Informationen verbes- zu überzeugen oder zumindest einen Kompromiss zu sert. So muss jeder Mitgliedstaat eine nationale Web- erzielen. site einrichten, auf der Informationen über Arbeits- Diese Aufgabe ist alles andere als einfach, denn und Beschäftigungsbedingungen und bestehende der Reformvorschlag setzt bei Entsendungen engere Tarifverträge bereitgestellt werden, die bei Entsen- Grenzen als bisher. Faktisch enden Entsendungen dungen anzuwenden sind. Diese Richtlinie mussten nach spätestens zwei Jahren. Zudem sollen zukünf- die Mitgliedstaaten bis Juni 2016 in nationales Recht tig auch Leiharbeiter und entsandte Beschäftigte umsetzen. von Subunternehmen unter die Entsenderichtlinie fallen. Gleichzeitig werden die Bestandteile der Ent- INHALT DES REFORMVORSCHLAGS VON 2016 lohnung, die bei der Entsendung anzuwenden sind, ausgeweitet. Im März 2016 legte die EU-Kommission einen Vor- Zusammengenommen bedeutet der Reform- schlag vor, um die Entsenderichtlinie zu reformieren.3 vorschlag eine Kriegserklärung an die liberalen Ver- Der Reformvorschlag sieht vor, dass künftig der Grund- fechter des Binnenmarktes und ein Angriff auf das satz »gleiche Entlohnung für gleiche Arbeit am gleichen Geschäftsmodell vieler Unternehmen aus den Mit- Ort« für entsandte Arbeitnehmer gelten soll. Deshalb gliedstaaten Mittel- und Osteuropas, deren Wettbe- soll künftig bei Entsendungen nicht nur (wie schon bis- werbsvorteil insbesondere in vergleichsweise nied- her) mindestens der gesetzliche Mindestlohn bezahlt rigen Lohn- und Lohnnebenkosten besteht. Zwar werden. Es sollen zusätzlich alle Entlohnungsvorschrif- werden auf den ersten Blick die Rechte von entsand- ten und allgemeinverbindlichen Tarifverträge gel- ten Arbeitnehmern gestärkt, weil eine annähernde ten, auch jenseits der Baubranche. Außerdem soll für Gleichstellung mit Arbeitnehmern im Aufnahmestaat Arbeitnehmer, die länger als 24 Monate entsandt sind, vorgesehen ist. Faktisch ist aber davon auszugehen, dass die Zahl der Entsendungen abnehmen dürfte 2 Richtlinie 2014/67/EU vom 15. Mai 2014 zur Durchsetzung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rah- (vgl. cepAnalyse 2016). men der Erbringung von Dienstleistungen. 3 COM(2016) 128 vom 8. März 2016 Vorschlag für eine Richtlinie zur 4 Änderung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeit- Ein Unternehmen beauftragt ein anderes Unternehmen mit der nehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen. Erbringung einer Dienstleistung. 4 ifo Schnelldienst 3 / 2018 71. Jahrgang 8. Februar 2018
ZUR DISKUSSION GESTELLT Wenig problematisch ist dabei die Begrenzung WIE GEHT ES WEITER? von Entsendungen auf 24 Monate, zumal die durch- schnittliche Entsendedauer vier Monate nicht über- Die EU-Kommission hat den Reformvorschlag zur Ent- steigt (vgl. SWD 2016, 52, S. 62). Da es sich bei Entsen- senderichtlinie bereits 2016 vorgelegt. Mittlerweile dungen definitionsgemäß um eine zeitlich begrenzte haben auch das Europäische Parlament5 und der Überlassung von Arbeitskräften handelt, ist die Ein- Rat6 über den Vorschlag beraten. Die Positionen von führung einer Obergrenze vertretbar, da somit die Parlament und Rat gehen teils über den Entwurf der dauerhafte Umgehung nationaler arbeitsrechtlicher EU-Kommission hinaus. So hat der Rat vorgeschlagen, Vorschriften mittels Entsendungen unterbunden die Dauer von Entsendungen auf zwölf Monate – in Aus- wird. nahmefällen maximal 18 Monate – zu beschränken. Die zwingende Anwendung der Rechtsvorschrif- Hier konnten sich die westeuropäischen Mitgliedstaa- ten und allgemeinverbindlichen Tarifverträgen des ten, allen voran Frankreich, durchsetzen. Rat und Par- Aufnahmestaates – bezüglich der Entlohnung – hin- lament fordern zudem, dass bei der Entlohnung von gegen ist problematisch. Bisher erhielt beispiels- entsandten Arbeitnehmern auch Kosten für Reisen, weise ein nach Deutschland entsandter polnischer Unterbringung und Verpflegung berücksichtigt wer- Arbeitnehmer mindestens den deutschen gesetzli- den. Da die Positionen von Parlament und Rat nicht chen Mindestlohn, der sicherstellt, dass er seinen weit voneinander entfernt sind, ist von einer Einigung Lebensunterhalt auch im Aufnahmestaat bestrei- in den Trilogverhandlungen auszugehen. ten kann. Dies ist insofern relevant, da entsandte Arbeitnehmer aus einem Mitgliedstaat mit geringen FAZIT Lebenshaltungskosten höher entlohnt werden müs- sen, um Anreize zu setzen, sich entsenden zu lassen. Nach den EU-Osterweiterungen haben sich innerhalb Schließlich sind die zusätzlichen Kosten der Entsen- der EU die Unterschiede bezüglich der Lohn- und Lohn- dung – etwa in Form von Fahrtkosten und Mehraus- nebenkosten weiter vergrößert. Eine Reform der Ent- gaben für die Lebenshaltung – für den Arbeitnehmer senderichtlinie ist daher ein Anliegen insbesondere der nur dann anreizkompatibel, wenn dem eine höhere westeuropäischen Mitgliedstaaten, die sich gegen die Entlohnung entgegensteht. Die geplante Ausweitung Konkurrenz durch entsandte Arbeitnehmer auf dem von Entlohnungsvorschriften auch auf allgemein- heimischen Arbeitsmarkt wehren. In Anbetracht des verbindliche Tarifverträge jenseits der Baubranche Kommissionsvorschlags und der Positionierung von schließt wahrscheinlich viele Arbeitnehmer – bes on- Parlament und Rat sieht es so aus, als würden sich die ders diejenigen mit geringer Produktivität – zukünf- alten Mitgliedstaaten durchsetzen. Arbeitnehmer die- tig von Entsendungen aus. Denn in der Regel ori- ser Staaten dürften aufatmen, da sie weniger Konkur- entieren sich nationale Tarifverträge an den jeweili- renz aus mittel- und osteuropäischen Mitgliedstaa- gen Entwicklungen von Lebenshaltungskosten und ten fürchten müssen. Leidtragende dürften die ent- Produktivität, insbesondere das Produktivitätsni- sendenden Unternehmen und deren Mitarbeiter aus veau wird von entsandten Arbeitnehmern – etwa auf- den neuen Mitgliedstaaten sein, denn sie werden wohl grund eines niedrigeren Ausbildungsniveaus – nicht weniger Arbeitnehmer entsenden. Auch Konsumenten zwingend erreicht. Dies hat zur Folge, dass für ent- aus den westeuropäischen Mitgliedstaaten dürften zu sandte Arbeitnehmer die Ausweitung der Entloh- den Verlierern zählen, da das Angebot an Dienstleistun- nungsvorschriften über den Mindestlohn hinaus fak- gen sinken dürfte und die Preise wohl ansteigen wer- tisch wie eine Marktzutrittsbarriere wirkt. Eine (Wei- den, keine gute Nachricht für schwedische oder deut- ter-)Beschäftigung solcher Arbeitnehmer dürfte sich sche Häuslebauer. in vielen Fällen zukünftig nicht mehr lohnen. Viele In einem anderen Fall geht die Auseinandersetzung Unternehmen – besonders aus mittel- und osteuro- zur Entsendung übrigens weiter, denn die EU-Kommis- päischen Mitgliedstaaten – werden zukünftig weniger sion hat 2017 einen Reformvorschlag zur Entsendung Mitarbeiter auf die Arbeitsmärkte anderer Mitglied- von Kraftfahrern7 vorgelegt. In diesem speziellen Fall staaten entsenden. ist der Frontverlauf zwischen den Mitgliedstaaten ähn- Dies wiederum hat zur Folge, dass der Wett- lich wie bei der Entsenderichtlinie. Der Ausgang dieser bewerb – insbesondere in westeuropäischen Mit- Schlacht ist offen. gliedstaaten – abnimmt, denn der Preiswettbewerb durch ausländische Konkurrenz wird eingeschränkt. Für die Konsumenten sinkt die Auswahl angebote- ner Dienstleistungen, und die Preise für das verblei- 5 Europäisches Parlament RR\1137464 vom 19. Oktober 2017 Be- bende Angebot dürften steigen. In der Folge drohen richt über den Vorschlag für eine Richtlinie über die Entsendung von Effizienzverluste. Die zwingende Anwendung allge- Arbeitnehmern. 6 Rat 13153/17 vom 18. Oktober 2017 Allgemeine Ausrichtung über meinverbindlicher Tarifverträge kommt somit einer den Vorschlag für eine Richtlinie über die Entsendung von Arbeitneh- protektionistischen Abschottung westeuropäischer mern. 7 COM(2017) 278 vom 31. Mai 2017. Vorschlag für eine Richtlinie zur Arbeitsmärkte gleich. Dies steht im Widerspruch zum Änderung der Richtlinie 2006/22/EG für die Entsendung von Kraftfah- europäischen Binnenmarkt. rern im Straßenverkehrssektor. ifo Schnelldienst 3 / 2018 71. Jahrgang 8. Februar 2018 5
ZUR DISKUSSION GESTELLT LITERATUR Ingo Kramer* cepAnalyse (2016), Entsendung von Arbeitnehmern, Nr. 35, verfügbar unter: Wettbewerb statt neuer Binnengrenzen für Europa http://www.cep.eu/eu-themen/details/cep/entsendung-von-arbeitneh- mern-richtlinie.html. Eurostat (2017), »Labour costs in the EU«, Newsrelease 58, 6. April 2017, verfügbar unter: http://ec.europa.eu/eurostat/docu- ments/2995521/7968159/3-06042017-AP-EN. Weltweit blicken wir auf eine neue Welle des Protektio- pdf/6e303587-baf8-44ca-b4ef-7c891c3a7517. nismus. Dabei heißt Protektionismus im Klartext nichts SWD(2016) 52, Commission Staff Working Document, Impact Assessment, anderes als: Wir machen die Schotten dicht, wir ziehen S. 6f Impact Assessment, Accompanying the document, Proposal for a die Mauern hoch, wir zuerst – erst dann die anderen. Directive of the European Parliament and the Council amending Directive 96/71/EC concerning the posting of workers in the framework of the pro- Ein solcher Ansatz kann und darf in Zeiten der vision of services, 8. März, verfügbar unter: SWD_2016_52_F1_IMPACT_ Globalisierung mit Sicherheit nicht die richtige Ant- ASSESMENT_EN_V7_P1_842425.pdf. wort sein, dennoch greift er um sich: Das beste Bei- spiel hierfür sind die USA. Der amerikanische Präsi- dentschaftswahlkampf wurde mit dem Slogan Ame- rica First gewonnen. Seitdem haben die Vereinigten Staaten dem globalen Pariser Klimaabkommen den Rücken gekehrt, sich vom Transpazifischen Handels- abkommen TPP zurückgezogen und die internationale Wirtschaft nicht etwa zum Partner, sondern zum Geg- ner erkoren. Strafzölle statt fairer Wettbewerb – genau das ist Protektionismus. Doch blicken wir nach Europa. Auch hier gibt es offenbar eine neue Angst vor Veränderung, vor Offen- heit, Wettbewerb und Globalisierung: Nicht anders ist es zu erklären, dass mehr als die Hälfte der Briten mit dem Brexit die Entscheidung getroffen hat, aus unse- rem gemeinsamen europäischen Haus auszuziehen und damit unseren Binnenmarkt freiwillig zu verlassen. Ich halte die demokratische Entscheidung der Bri- ten für grundfalsch: Der EU-Binnenmarkt gehört zum Stärksten, was die Europäische Union zu bieten hat. Er ist der Garant für Wachstum und das Fundament gewal- tiger Wohlstandssprünge. Die soziale Marktwirtschaft in Europa setzt auf einen funktionstüchtigen Binnenmarkt. Dies bedeutet Dienstleistungsfreiheit für Unternehmen und Freizü- gigkeit für Beschäftigte. In diesem Jahr feiert der EU-Binnenmarkt seinen 25. Geburtstag – und genau in den Zeiten dieses histo- rischen Jubiläums plant Brüssel eine drastische Ver- schärfung der Entsenderichtlinie. Was ist die Entsenderichtlinie? Sie regelt in der vorliegenden Form die vorübergehende Entsendung von Arbeitskräften im europäischen Binnenmarkt zur Erbringung von Dienstleistungen. Und das funktio- niert in vielen Bereichen bislang sehr gut. Ein »ent- sandter« Arbeitnehmer wird von seinem Arbeitgeber in ein anderes EU-Land geschickt, um dort während eines begrenzten Zeitraums eine Dienstleistung zu erbrin- gen. Entsandte Arbeitnehmer halten sich zwar vor übergehend in einem anderen Mitgliedstaat auf, jedoch werden sie nicht in dessen Arbeitsmarkt integriert. Nun aber plant Brüssel einen unnötigen Angriff auf den Binnenmarkt: Mit der pauschalen Behauptung, es gäbe Sozialdumping, sollen neue europäische Richtli- nien über alle Wirtschaftsbereiche gestülpt und umfas- send bürokratisiert werden. * Ingo Kramer ist Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). 6 ifo Schnelldienst 3 / 2018 71. Jahrgang 8. Februar 2018
ZUR DISKUSSION GESTELLT Was hat das mit Protektionismus zu tun? Die Befür- treiber sowie ein neu geschaffenes Bürokratiemons- worter einer Verschärfung streben weitgehende Re- ter: Unsere Unternehmen müssten sich plötzlich durch striktionen an: Die langfristige Entsendung von Arbeit- einen Dschungel aus unbekannten nationalen Regelun- nehmern soll generell deutlich erschwert werden. So gen und Vorschriften schlagen. Gerade für kleine und soll nach den Vorschlägen des Rats der Europäischen mittlere Unternehmen, also das Rückgrat unserer Wirt- Union schon bei Entsendungen ab 18 Monaten das schaft, wäre das ein großes Problem. komplette Arbeitsrecht des Einsatzlandes zur Anwen- Entsendende Unternehmen müssten zudem ent- dung kommen, soweit der Arbeitsvertrag des ent- sprechend der Vorschläge des Rats der Europäischen Ingo Kramer sandten Arbeitnehmers keine günstigeren Regelungen Union bei Entsendungen über 18 Monate in jedem Fall enthält. Zudem sollen in allen Branchen, in denen all- und bei jeder Klausel des Arbeitsvertrags prüfen, was gemeinverbindliche Tarifverträge bestehen, die Arbeit- das jeweilige nationale Arbeitsrecht vorschreibt und nehmer schon ab dem ersten Tag Anspruch auf den ob diese Regelungen für den entsandten Arbeitneh- Tariflohn haben – mitsamt allen Sonderzahlungen. mer günstiger und damit anwendbar sind. Es müsste Das sind schlechte Aussichten für Europa. Denn dann zukünftig selbst bei zum Beispiel hochqualifizier- was die Verschärfungsbefürworter als Schutz der euro- ten Führungskräften in der Automobilbranche, die eine päischen Bürger vor Ausbeutung und Sozialdumping Produktionsstätte in Spanien leiten, entsprechend deklarieren, ist in Wirklichkeit ein Schutz- und Abschot- geprüft werden, welche Regelung zur Anwendung kom- tungswall der wohlhabenden Mitgliedstaaten gegen men soll, ohne dass es sich hier um eine Tätigkeit noch Wettbewerb aus den aufstrebenden mittel- und osteu- um eine Branche handelt, die in irgendeiner Art des ropäischen Staaten. Das ist eben nicht sozial, sondern Sozialmissbrauchs verdächtig ist. soll Unternehmen vor innereuropäischer Konkurrenz Ähnliches gilt nach den Ratsvorschlägen auch für schützen. die Entlohnung: So müsste ein deutsches Windener- Kurzum: Eine verschärfte Entsenderichtlinie wäre gieunternehmen bei der Entsendung eines Wartungs- das Gegenteil der Verwirklichung eines funktionie- technikers innerhalb Europas zusätzlich zu den bishe- renden Binnenmarkts, sondern Protektionismus, der rigen Vorgaben auch noch die anwendbaren weiteren auch in den reichen Ländern Europas leider ziemlich Entgeltkomponenten wie Schlechtwetterzulagen oder populär ist. Dies hat zum Beispiel auch der französi- die korrekte Eingruppierung des entsandten Windtech- sche Präsidentschaftswahlkampf gezeigt. Der polni- nikers in den anwendbaren allgemeinverbindlichen sche Maurer und der tschechische Fliesenleger, die in Tarifvertrag in Erfahrung bringen. Paris auf der Baustelle arbeiten, wurden von Linken An all den vorgetragenen Argumenten sieht man: und Rechten als Schreckgespenster an den Pranger Diese Verschärfung der Entsenderichtlinie muss vom gestellt. Tisch – für die deutsche Wirtschaft ist dies das erklärte Zu Recht also werden die Pläne zur Reform der Ent- Ziel. senderichtlinie gerade in Osteuropa, aber auch in den Eine neue Bundesregierung muss sich diesem Pro- skandinavischen Ländern, mit großer Irritation gese- tektionismus energisch entgegenstellen. Es ist richtig, hen. Die Schwächung der Wettbewerbschancen der Missbrauch und Dumping einen Riegel vorzuschieben. dortigen Unternehmen verhindert das weitere wirt- Aber dafür braucht es wirksame Kontrollen und keine schaftliche Zusammenwachsen Europas. reformierte EU-Richtlinie, die hochbürokratische Re- Doch nicht nur für die Konkurrenz aus Osteuropa, gelungen enthält. Ein Koalitionsvertrag muss allen Ver- auch und gerade für die deutsche Wirtschaft wäre die suchen, neue Binnengrenzen in Europa hochzuziehen, Verschärfung ein fataler Rückschlag: Deutschland ent- ein klares Stoppschild entgegensetzen. sendet die zweitmeisten Arbeitnehmer in andere euro- Sonst zahlen am Ende nicht nur die Unternehmer päische Länder. Diese hochqualifizierten Mitarbeiter in der EU, sondern alle Europäer – und nicht zuletzt die bauen Kraftwerke in Bulgarien, Windkraftanlagen vor Arbeitnehmer – einen sehr hohen Preis. Litauen oder sind als Führungskräfte in spanischen Niederlassungen deutscher Unternehmen tätig. Die Entsendungen tragen somit ihren Teil zum Erfolg von »Made in Germany« bei. Zu Recht erhalten diese ent- sandten Arbeitnehmer schon heute für ihre Tätigkeit im Ausland attraktive Gehaltspakete und sind daher gänzlich unverdächtig, Opfer von Lohndumping zu sein. Dennoch müssten auch diese Arbeitgeber, z.B. der Metall- und Elektrobranche, der Banken-, Versiche- rungs- oder der Chemiebranche umfangreiche büro- kratische Prüfungen anstellen, welches Entgelt oder weiteren Regelungen des ausländischen Arbeitsrechts zur Anwendung kommen müssen und welche nicht. Eine solche überarbeitete Entsenderichtlinie wäre für die deutschen Unternehmen ein massiver Kosten- ifo Schnelldienst 3 / 2018 71. Jahrgang 8. Februar 2018 7
ZUR DISKUSSION GESTELLT Anke Hassel* und Bettina Wagner** gen auf maximal zwölf Monate (die jedoch auf maximal 18 Monate verlängert werden kann), die Anwendung Die Reform der Entsende des lokalen Tarifrechts sowie die Gleichbehandlung richtlinie: Notwendige von Leiharbeitnehmern und Festangestellten. Dar- über hinaus wurden eine dreijährige Übergangsfrist Voraussetzung für einen und Ausnahmen für den Transportsektor beschlossen besseren Binnenmarkt (vgl. Die Bundesregierung 2017). Bei der Bewertung der Revision der Entsendericht- Die Entsendung ist ein rechtliches Mittel in der Euro- linie werden hier zwei Aspekte zugrunde gelegt: ers- päischen Union, um vorübergehende grenzüber tens die Bedeutung der Entsendung und ihrer Regu- greifende Dienstleistungen zu ermöglichen. Praktisch lierung für den Binnenmarkt und zweitens die Folgen bringt sie zweierlei Vorteile mit sich: Erstens, Auftrag- der Revision für die betroffenen Beschäftigten und geber profitieren vom innereuropäischen Wettbe- Unternehmen. werb bei der Vergabe von Aufträgen wie zum Bei- spiel im Bausektor. Wenn Bauherren in Deutschland DIE ENTSENDUNG IM EUROPÄISCHEN einen Auftrag zu vergeben haben, können sich deut- BINNENMARKT Anke Hassel sche, französische, polnische und auch italienische Firmen um den Auftrag bewerben und für die Durch- Innerhalb der Europäischen Union ist die Anzahl der Fir- führung des Projektes ihre Angestellten aus dem men, die Dienstleistungen in einem anderen Mitglied- Heimatland entsenden. Das sichert eine Diversifi- staat anbieten und zur Durchführung ihre Beschäftig- zierung im Wettbewerb und ebenso eine Konkurrenz ten entsenden, in den letzten zehn Jahren stark gestie- im Preis-Leistungspaket. Zweitens profitieren Bau- gen. Während 2005 etwa 850 000 neue Entsendungen herren wie in diesem Beispiel dadurch, dass der tem- pro Jahr gemeldet wurden, waren es zehn Jahre später poräre Mangel an Arbeitskräften in einer Branche bereits etwa 1,5 Millionen.1 durch ausländische Subunternehmen und entsandte Die Impact Assessment Studie der EU-Kommission Bettina Wagner Arbeitnehmer gedeckt werden kann. So zumindest hat für das Jahr 2014 ermittelt, dass etwa ein Drittel der die Theorie. entsandten Arbeitnehmer zwischen Hochlohnländern Gleichwohl ist die Entsendung politisch hochum- entsandt werden.2 Die Entsendung zwischen Hoch- stritten. So wurde der französische Präsidentschafts- lohnländern ist in der Praxis kein Problem. Über die kandidat Macron im Wahlkampf stark unter Druck Hälfte der entsandten Arbeitnehmer kommen jedoch gesetzt, die Entsendung neu zu regulieren. Auf seine aus Ländern mit niedrigem Lohnniveau (EU-Durch- Initiative hin wurde der Revisionsprozess der Entsen- schnitt und darunter) und werden in Hochlohnländer derichtlinie, den die EU-Kommission bereits 2016 ein- entsandt. Die Problematik des Sozialdumpings ergibt geleitet hatte, im Sommer 2017 vorangetrieben (vgl. sich aus dem Lohngefälle zwischen Herkunfts- und Joeres 2017). Die Regierungen Osteuropas hingegen Zielland. stehen dem Richtlinienvorschlag weiterhin skeptisch 1 Die tatsächliche Anzahl der entsandten Beschäftigten ist nicht gegenüber und wehren sich gegen protektionistische bekannt, da eine Entsendung aktuell bis zu zwei Jahre dauern kann und in der existierenden Statistik die Dauer der Entsendung nur in Maßnahmen im Binnenmarkt. manchen Mitgliedstaaten berücksichtigt wird. Daher gibt es nur Infor- Nach der Vorstellung des ersten Entwurfes im März mationen zu den ausgestellten A1-Formularen, das sind die Formu- 2016 gab es zunächst ein Veto einiger Mitgliedstaaten, lare, die bestätigen, dass für die Dauer der Entsendung der jeweilige Beschäftigte in seinem Heimatland sozialversicherungspflichtig ist. die den Prozess auf europäischer Ebene maßgeblich 2 http://ec.europa.eu/social/BlobServlet?docId=15295&langId=en. verzögert haben. Im Oktober 2017 wurde jedoch nach monatelan- Abb. 1 gen Diskussionen zwischen den Gesamtzahl der ausgestellten A1-Formulare in der EU Arbeitsministern der Mitgliedstaa- 2005–2016 ten ein Kompromiss beschlossen, Insgesamt Davon nach Deutschland Anzahl in 1 000 der nun im Trilog zwischen Rat, 1 600 Kommission und EU-Parlament 1 400 diskutiert wird (Stand: Januar 1 200 2017) (vgl. Müller 2017). Der Kompromiss enthält im 1 000 Wesentlichen eine Verkürzung 800 der Gesamtdauer von Entsendun- 600 * 400 Prof. Dr. Anke Hassel ist wissenschaft- liche Direktorin des Wirtschafts- und So- 200 zialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. 0 ** Bettina Wagner ist wissenschaftliche 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Mitarbeiterin an der Hertie School of Governance. Quelle: Europäische Kommission. © ifo Institut 8 ifo Schnelldienst 3 / 2018 71. Jahrgang 8. Februar 2018
ZUR DISKUSSION GESTELLT Die Zahl der Entsendungen Abb. 2 nach Deutschland ist proportio- Hauptherkunftsländer der entsandten Beschäftigten nach Deutschland 2006–2015 nal stärker gewachsen als die Zahl in der EU insgesamt. Inzwischen Anzahl in 1 000 EU 15 Ungarn EU 2 EU 8 500 haben 28% aller Entsendungen innerhalb der EU Deutschland zum Zielland. Gleichzeitig ist Deutsch- 400 land mit einem Anteil von 11,8% auch eines der Hauptherkunfts- 300 länder von entsandten Beschäf- tigten (2015).3 Damit haben etwa 200 40% aller Entsendungen in der EU einen direkten Bezug zu Deutsch- 100 land. Jede rechtliche Änderung auf europäischer Ebene hat eine 0 wichtige Bedeutung für die Bun- 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 desrepublik wie auch die Umset- Quelle: Europäische Kommission. © ifo Institut zungsstrategie der Entsendericht- linie durch die Bundesregierung eine große Rolle für tiken etabliert haben, um den Tariflohn zu umgehen. den Rest der EU spielt. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Daten der Sozi- Ordnungspolitisch betrachtet, kommt es weni- alkasse Bau zeigen, dass die vier Hauptherkunftslän- ger auf die absolute Zahl der Entsendungen an, son- der von entsandten Beschäftigten in der Baubranche dern vielmehr darauf, dass mit der Entsendung ein In- Polen, Rumänien, Slowenien und Ungarn sind (vgl. Bau- strument von Regulierungsarbitrage geschaffen wurde, gewerbe 2016). Alle vier Länder haben Durchschnitts- das zudem kaum kontrolliert wird. Bei einer Entsen- löhne, die weit unter dem deutschen Mindestlohn im dung von einem Niedriglohn- in ein Hochlohnland in Baugewerbe liegen. Auch Lohnnebenkosten wie zum lohnkostenintensive Branchen stehen nicht die Quali- Beispiel Sozialversicherungsbeiträge sind niedriger als tät des Angebots, sondern die Differenz der Löhne (und in Deutschland. Zudem wird regelmäßig ein Teil des Lohnbestandteile) wie auch Sozialabgaben im Vor- Lohns als Unterkunftszahlung oder Tagespauschale dergrund der Wettbewerbsvorteile der entsendenden gezahlt. Damit bekommt der entsandte Beschäftigte Unternehmen. aus deutscher Perspektive zwar den Mindestlohn, aber Dies wird bei einer Betrachtung der Entsendung in seinem Heimatland wird je nach Rechtslage und Defi- nach Deutschland deutlich. 77% der Entsandten nach nition des Lohnes nur der Arbeitslohn versteuert und Deutschland kommen aus osteuropäischen Nachbar- nicht die Zahlungen, die als Unterkunft, Verpflegung staaten, in denen das Lohnniveau unter 50% des euro- oder Tagespauschale gezahlt werden. päischen Durchschnitts liegt. Das Hauptherkunftsland Dieser Betrag wird oftmals genutzt, um die für den ist Polen mit 130 000 entsandten Beschäftigten 2015. Arbeitgeber anfallenden Kosten der Unterkunft für den Die Hauptbranchen, in denen in Deutschland ent Arbeitnehmer zu bezahlen. Für die deutsche Kontroll- sandte Beschäftigte im Jahr 2015 eingesetzt wurden, behörde, die Finanzkontrolle Schwarzarbeit besteht sind die Baubranche, verschiedene Industriezweige kein Handlungsbedarf, da die Mindestarbeitsbedin- und Pflege.4 Dabei belegt die Fleischindustrie den zwei- gungen aus §2 AEntG erfüllt werden. Der Arbeitnehmer ten Platz.5 verdient also den polnischen Lohn in Deutschland trotz Dies sind auch die Branchen, die in den letzten Mindestlohngesetz. Der Kostenvorteil des Unterneh- Jahren durch Lohnbetrug an entsandten Beschäftig- mens liegt zudem in den niedrigeren Sozialabgaben im ten in den Fokus der Medien gerückt sind. Zwar galt Heimatland. für entsandte Beschäftigte in der Baubranche bereits Um dieses Problem zu lösen, fordern Gewerkschaf- seit der Einführung des Arbeitnehmerentsendegeset- ten bereits seit Jahren eine neue Formulierung im Ent- zes der Tariflohn in der Baubranche, jedoch zeigen For- sendegesetz, die den Begriff der Mindestarbeitsbe- schungsergebnisse sowie auch Medienberichte, dass dingungen (minimum rates of pay) durch Entlohnung sich in der deutschen Baubranche verschiedene Prak- (remuneration) genauer definiert (vgl. DGB 2016). Ein weiteres Beispiel ist die Kettenentsendung. 3 Hauptherkunftsland war 2015 Polen mit insgesamt 16,7% al- ler Entsendungen (insgesamt 251 107, davon 130 893 allein nach Der Grundgedanke der Entsendung war die vorüber- Deutschland). gehende Ausführung einer Tätigkeit in einem ande- 4 Die hier aufgeführten Daten und Kategorien basieren auf den NA- CE-Kodierungen. Unter der Baubranche sind zum Beispiel auch alle ren Mitgliedstaat. Die Praxis in manchen Branchen, bauverwandten Branchen zusammengefasst, die nicht zwingender- wie zum Beispiel der Fleischindustrie oder im Bereich weise alle zum Tarifvertrag der Baubranche in Deutschland gezählt werden. der Pflege, zeigt jedoch, dass die Entsendung als In- 5 Bundestag, Drucksache 18/9597, Antwort der Bundesregierung strument genutzt wird, um reguläre Beschäftigung in auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Brigitte Pothmer, Corinna Rüffer, weiterer Abgeordneter und der Deutschland und die damit verbundenen Löhne, Steu- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. S 2. ern und Sozialabgaben zu umgehen. ifo Schnelldienst 3 / 2018 71. Jahrgang 8. Februar 2018 9
ZUR DISKUSSION GESTELLT Abb. 3 Ein Kostenwettbewerb über Zahl der Entsendungen nach Deutschland, 2015 die sozialrechtliche Absicherung Nach Branchen der Arbeitnehmer entspricht nicht dem Geist des europäischen Bin- Landwirtschaft/Fischerei/ Forsterei 4 943 nenmarkts. Wettbewerb soll über Innovation und Produktivität Baubranche 163 278 erfolgen, nicht aber über das Aus- nutzen von Regulierungslücken. Industrie (allg.) 93 492 In diesem Sinne betreiben einige Unternehmen in einigen Bran- Dienstleistung 25 476 chen mit der Entsendung eine nicht zu akzeptierende Form des Leiharbeit 22 999 Sozialdumpings. Pflege/Gesundheit 57 019 WAS BEWIRKT DIE REVISION DER ENTSENDERICHTLINIE? Diese Daten führen die Branchen basierend auf den NACE-Kodierungen auf. Sie enthalten jedoch unter Industrie nur eine allgemeine Kategorie und keine ausführliche Aufgliederung. Darüber hinaus sind laut diesen Daten nur 367 207Die Revision der Entsenderichtli- der A1-Dokumente erfasst, die für eine Entsendung nach Deutschland ausgestellt wurden. nie setzt, wie schon die Durchset- Quelle: Berechnungen der Autoren, basierend auf Europäischer Kommission (2016). © ifo Institut zungsrichtlinie aus dem Jahr 2014, Dabei werden Arbeitnehmer über Jahre hin- bei diesen problematischen Praktiken an. Im Bereich weg entsandt und arbeiten faktisch ausschließlich in der Lohnfindung soll durch die Richtlinie der Begriff der Deutschland, aber mit ausländischen Arbeitsverträgen Entlohnung genauer gefasst werden, um die Kostenab- und zahlen Sozialversicherungsabgaben und Steuern wälzung auf die Arbeitnehmer zu verhindern. in ihren Heimatländern. Alle zwei Jahre, nach Ablauf Auch die Frage der wiederholten Entsendung (Ket- der maximalen Entsendedauer, gehen sie für drei tenentsendung) wird in der Revision angesprochen. Monate ins Heimatland zurück oder bleiben ohne Ver- Der Richtlinienvorschlag sieht in Artikel 2 vor, dass neu trag in Deutschland, bis sie einen neuen Entsendeauf- Entsandte die Gesamtdauer des Einsatzes nicht verlän- trag erhalten. gern dürfen sondern für die Dauer angerechnet müs- In der Baubranche zeigt die Praxis in Deutsch- sen. Sobald die Grenze der 24 Monate erreicht wird, land, dass Kettenentsendungen durch wechselnde müssen Sozialabgaben und Steuern in Deutschland Firmennamen der entsendenden Unternehmen ver- abgeführt werden, unabhängig davon, wie viele ent schleiert werden. Die gängige Praxis ist hier, Brief- sandte Beschäftigte die Arbeit für das jeweilige entsen- kastenfirmen für den alleinigen Zweck der Entsen- dende Unternehmen ausgeführt haben. Die Voraus- dung zu gründen und anschließend Arbeitskräfte setzung ist jedoch laut Richtlinienvorschlag, dass die nach Deutschland zu entsenden. Da die Firmen in den jeweilige Entsendung der Beschäftigten mindestens Heimatländern keinerlei wirtschaftliche Tätigkeiten sechs Monate beträgt. ausüben, fallen sie dort den Kontrollbehörden nicht Die aktuellen Statistiken der EU-Kommission zei- auf. Die deutschen Kontrollbehörden haben keine In- gen, dass die durchschnittliche Dauer von Entsendun- formation zur wirtschaftlichen Tätigkeit der Firmen gen innerhalb der Europäischen Union unter vier Mona- im Heimatland und damit keine Möglichkeit, Briefkas ten liegt (vgl. Europäische Kommission 2017). Dabei tenfirmen aufzudecken. Nur durch eine Verbesserung werden jedoch sehr kurzfristige Entsendungen mit lan- der grenzübergreifenden Zusammenarbeit und einer gen Zeiträumen verrechnet. Zudem können Firmen Ausweitung der Kontrollmöglichkeiten in Deutsch- weiterhin wechselndes Personal auf dieselbe Stelle, land wäre eine Aufdeckung der Briefkastenfirmen wie zum Beispiel in der Pflege, entsenden, so lange sie möglich. Wenn entsandte Beschäftigte in Deutschland nicht die Sechsmonatsregelung überschreiten. arbeiten, haftet der Generalunternehmer mindestens Eine alternative Möglichkeit, um Kettenentsen- für die Zahlung des gesetzlichen Mindestlohnes und dungen zu vermeiden, wäre die zeitliche Einschrän- je nach Branche für den allgemeingültigen Tariflohn. kung und Kontrolle von Aufträgen, die an ausländi- Wenn bei einer Kontrolle durch den Zoll festgestellt sche Auftragnehmer vergeben werden. Da es sich bei wird, dass die entsandten Beschäftigten nicht die gel- der Entsendung um die temporäre Ausführung einer tenden Lohnhöhen bekommen, erhalten die deut- Dienstleistung handelt, sollten Aufträge an ausländi- schen Generalunternehmen Bußgelder seitens der sche Auftragnehmer, die zum Zweck der Ausführung Kontrollbehörden. Die Frage nach der Prüfung einer Arbeitnehmer entsenden, nur für zeitlich beschränkte tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit der Unter- Tätigkeiten vergeben werden dürfen. nehmen im Heimatland und damit auch die Sicherung Eine Tätigkeit, wie zum Beispiel das Zerlegen von der Lohnzahlungen an die entsandten Arbeitnehmer Tieren, hat keinen temporären Charakter, da es kein bedürfen jedoch einer intensiveren, grenzübergrei- von vorneherein absehbarem Ende der Tätigkeit, bezie- fenden Zusammenarbeit. hungsweise des Auftrags gibt. Der Bau eines Gebäudes 10 ifo Schnelldienst 3 / 2018 71. Jahrgang 8. Februar 2018
ZUR DISKUSSION GESTELLT Abb. 4 genutzt. Deutschland hat im ersten Halbjahr 2017 eine Zahl der IMI-Anfragen einzige Anfrage über IMI zum Thema Entsendung an Erhaltene Anfragen andere Mitgliedstaaten gestellt und 128 Anfragen zur Versandte Anfragen Zusammenarbeit erhalten (vgl. Europäische Kommis- Österreich sion 2018b). Angesichts der Anzahl von Entsendun- Belgien Bulgarien gen, die Deutschland als Ziel haben, deutet diese Zahl Zypern darauf hin, dass die deutschen Kontrollbehörden in Tschech. Rep. Deutschland die Entsendung nur sehr bedingt kont Deutschland Dänemark rollieren können oder wollen. Eine weitere Ursache Estland könnte sein, dass nicht alle Kontrollinstanzen Zugriff Spanien auf die IMI Datenbank haben (vgl. Winter 2016). Finnland Frankreich Griechenland DIE ENTSENDUNG ZWISCHEN BINNENMARKT UND Ungarn Irland SOZIALDUMPING Island Italien Die Revision der Entsenderichtlinie ist kein Beispiel für Litauen Luxemburg Protektionismus, sondern im Gegenteil eine notwen- Lettland dige Grundlage für einen funktionierenden Binnen- Niederlande markt. Nur wenn Rechtssicherheit besteht und Regu- Norwegen Polen lierungsarbitrage eingedämmt wird, kann ein produk- Portugal tiver Wettbewerb entstehen. Rumänien Aus deutscher Perspektive bietet der aktuelle Schweden Slowenien Richtlinienvorschlag Potenzial zur Eindämmung eini- Slowakei ger existierender Regelungslücken. Die Umsetzung der Vereinig. König. Durchsetzungsrichtlinie 2014/67/EU in Deutschland 0 50 100 150 200 250 300 zeigt jedoch, dass ein wesentliches Handlungsfeld in Anzahl der Anfragen Stand: Juni 2017. den Mitgliedstaaten selbst liegt. Quelle: Europäische Kommission (2018a). © ifo Institut Deutschland könnte auch ohne Revision der Ent- senderichtlinie selbständig tätig werden und festle- hingegen wohl. Zumindest sieht der neue Richtlinien- gen, welche Lohnbestandteile zum Mindestlohn hin- vorschlag eine klare Definition dessen vor, was »tem- zugezählt werden dürfen und welche nicht. Auch im porär« bedeutet, nämlich maximal 24 Monate, so wie Bereich der Kontrolle und Rechtsdurchsetzung sind auch in der ROM-I-Verordnung vorgesehen. die Mitgliedstaaten gefragt. Mehr noch als der euro- Das wichtigste Thema, die Kontrolle und Einhal- päische Gesetzgeber ist die neue deutsche Bundesre- tung von Recht, spart die Revision jedoch aus. Die gierung gefordert, die rechtlichen Bedingungen dafür Notwendigkeit dieser Verbesserungen wurde bereits zu schaffen, dass sowohl Beschäftigte wie auch Unter- im Rahmen der Durchsetzungsrichtlinie zur Entsen nehmen zu gleichen und fairen Bedingungen auf dem derichtlinie 67/2016/EG thematisiert. In Deutschland Markt konkurrieren. ist die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) für die Prü- fung der Rechtmäßigkeit einer Entsendung zuständig. LITERATUR Sie kann für entsandte Beschäftigte die Mindestar- Baugewerbe (2016), »Soka-Bau: Zahl der Entsendungen weiter gestiegen«, beitsbedingungen bezüglich Arbeitszeit, Lohn, Urlaub, 24. Mai, verfügbar unter: http://www.baugewerbe-magazin.de/case/. Mutterschutz, Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie DGB (2016), Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes zu die Gleichstellung von Männern und Frauen nach deut- Vorschlag für eine Richtlinie zur Änderung der Richtlinie 96/71/EG vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der schem Recht prüfen. Für alle Fragen bezüglich der Erbringung von Dienstleistungen vom 7. Juni 2016, verfügbar unter: Lohnzusammensetzung, der Sozialversicherungs- http://www.dgb.de/ themen/++co++d89de2d4-3159-11e6-9b1f-525400e5a74a. abgaben oder auch der wirtschaftlichen Tätigkeiten Die Bundesregierung (2017), »Reform der Entsenderichtlinie: Gleicher der entsendenden Unternehmen sind Amtshilfen der Lohn für gleiche Arbeit«, 24. Oktober, verfügbar unter: Herkunftsländer notwendig. Hier hat die Bundesre- https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Arti- kel/2017/10/2017-10-24-entsenderichtlinie.html. gierung bislang keine Möglichkeiten geschaffen, dass Unternehmen vor der Entsendung die Arbeitnehmer in Europäische Kommission (2016), »Posting of Workers in the EU«, verfüg- bar unter: https://ec.europa.eu/commission/sites/beta-political/files/ Deutschland anmelden müssen, so dass jeder Mitarbei- posting-workers_en.pdf ter der FKS die Rechtmäßigkeit der Entsendung zumin- Europäische Kommission (2017), Entsendung von Arbeitnehmern in der EU, dest einsehen kann. verfügbar unter: https://ec.europa.eu/commission/sites/beta-political/ files/posting-workers_de.pdf. Die Europäische Union hat darüber hinaus das Europäische Kommission (2018a), Der EU-Binnenmarkt, Binnen- sogenannte IMI-System eingeführt, eine computerge- markt- Informationssystem, verfügbar unter: http://ec.europa.eu/ stützte Datenbank, um die grenzübergreifende Koope- internal_market/imi-net/statistics/index_de.htm#t_1_2. ration zu verbessern. Obwohl Deutschland das Haupt- zielland für Entsendung ist, wird dieses System kaum ifo Schnelldienst 3 / 2018 71. Jahrgang 8. Februar 2018 11
ZUR DISKUSSION GESTELLT Europäische Kommission (2018b), The EU Single Market, verfüg- bar unter: http://ec.europa.eu/internal_market/imi-net/statistics/ index_en.htm#t_1_2. Joeres, A. (2017), »Kampf gegen die Dumpinglöhne«, Zeit online, 27. August, verfügbar unter: http://www.zeit.de/wirtschaft/2017-08/ emmanuel-macron-frankreich-entsendegesetz-europa. Müller, A. (2017), »Macron auf schwieriger Mission«, mdr.de, verfüg- bar unter: https://www.mdr.de/heute-im-osten/eu-entsenderichtli- nie-macron-auf-tour-in-osteuropa-100.html. Winter, R. (2016), »Conclusions and Stimulations from Eurodetache- ment-Workshop in Hamburg, 03. –04.11.2016«. Eurodetachement– Enhancing administrative cooperation through coordinated transnational actions, 25. November, Lissabon. 12 ifo Schnelldienst 3 / 2018 71. Jahrgang 8. Februar 2018
Sie können auch lesen