2021 Wilhelm-Foerster-Sternwarte e.V.

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2021 Wilhelm-Foerster-Sternwarte e.V.
AUSGABE 11                                                                      JUNI | JULI | AUGUST | SEPTEMBER
                                                                                                                                                                            2021
für Mitglieder
 Mitteilungen | Informationen | Programm
                                           Erste Farbfotografie einer Sonnenfinsterrnis (1954), Foto: H. B. Brenske

                                                                                                                                             Ringförmige Sonnenfinsternis
                                                                                                                                               – Donnerstag, 10. Juni 2021

                                                                                                                      Wilhelm-Foerster-Sternwarte e.V.
                                                                                                                      Zeiss-Planetarium am Insulaner
2021 Wilhelm-Foerster-Sternwarte e.V.
INFORMATION – KOMMUNIKATION – TRANSPARENZ – TEILHABE
             Liebe Mitglieder,

             Am 11. August 1951 wurde mit der Enthüllung des Ge-          Normalerweise ist die gefühlte Gegenwart immer
             denksteines durch die damalige Bezirksbürgermeiste-          schnell zu Ende. Gefühlt versetzt jeder neue Tag den
             rin Dr. Ella Barowsky der Insulaner feierlich eingeweiht.    gestrigen in die Vergangenheit. In dieser Zeit der Pan-
                                                                          demie, in einem gefühlt ewigen „Lockdown“ scheint die
             Der Gedenkstein trägt die Inschrift: „Geschaffen in den
                                                                          Zeit dagegen still zu stehen. Statt die Pläne für morgen
             Jahren 1945 bis 1951 aus Trümmern des 2. Weltkieges
                                                                          auch an diesem morgigen Tag verwirklichen zu kön-
             trotz Not und Blockade“.
                                                                          nen, müssen wir erkennen, dass alle Pläne auch nur
                                                                          Wünsche waren, deren hoffentliche Umsetzung wir in
             Was hat dieser Rückblick mit unserem Verein,
                                                                          eine Zukunft X verschieben.
             dem Wilhelm-Foerster-Sternwarte e.V. zu tun?
             Der neue Berg in der südlichsten Ecke Schönebergs            Zum ersten Mal seit der Eröffnung des Planetariums
             war ein neuer, zuvor nicht existierender Boden, auf der      am Insulaner im Jahr 1965 konnten wir über einen ge-
             dann 1963 die Sternwarte und 1965 das Planetarium            fühlt ewig währenden Zeitraum keine Wissenschaftli-
             am „Insulaner“ von unserem Verein Wilhelm-Foerster-          chen Mittwochsvorträge im Planetarium anbieten. Das
             Sternwarte e.V. gebaut wurden. Die Gebäude sind bis in       hatte nicht nur Einnahmeverluste zur Folge.
             eine hoffentlich ferne Zukunft mit diesem „Insulaner“        Die eigentlich für April vorgesehene Mitgliederver-
             verbunden. Seit Anbeginn 1963 übt unser Verein in den        sammlung musste auf den Herbst verschoben werden,
             Räumen von Sternwarte und Planetarium am Insulaner           in der Hoffnung auf einen dann wieder „normalen Be-
             seine Aufgaben in der Astronomischen Volksbildung            trieb“.
             aus. So wie man wissen sollte, wo man wohnt und wann
             das Haus in dem man lebt gebaut wurde, so sollte man         Unser Verein lebt zur Zeit von seinen Recourcen. Das
             für seine eigene Zukunft auch abschätzen können, wie         sind seine, nach wie vor vielen Mitglieder! und seine
             lange man in diesem Haus noch wohnen kann und darf.          Partner*innen, Freunde und Förder*innen.
             Vergangenheit und Zukunft erscheinen in dieser Hin-          Überraschend viele Mitglieder in den Arbeitsgruppen
             sicht untrennbar miteinander verbunden.                      (siehe Seite 22) sind in dieser Zeit des Stillstandes regel-
                                                                          mäßig im Verein aktiv. Die Arbeitsgruppen treffen sich
  Albert Einstein am 21. März 1955                                        online. Besonders erfolgreich in diesem Format sind
                            Für uns gläubige Physiker hat die Scheidung   dabei die Berliner Mondbeobachter. Durch die sehr an-
                        zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft     sprechenden virtuellen Zusammenkünfte konnte unser
              nur die Bedeutung einer, wenn auch hartnäckigen Illusion.   Verein neue Mitglieder in Ostfriesland, aus einer dor-
                                                                          tigen „Mondgruppe“ hinzugewinnen. Mehrere Mitglie-
             Albert Einsteins Weisheit, am Ende seines Lebens for-        der des „Aufräum- und Archivierungsteams“ betreuten
             muliert, hilft mehr dem*der Philosoph*in, enthält aber       und betreuen weiterhin besonders unsere Bibliothek
             keine praktische Handlungsanweisung für die Bewälti-         vor Ort. Hier gründet sich zur Zeit eine neue Arbeits-
             gung von Krisen. Trotzdem scheinen in Krisen Gegen-          gruppe Bibliothek (AB) (siehe Seite 23).
             wart und Zukunft ineinander zu verschwimmen. Diese
             Betrachtungsweise ist auch für unseren Verein, den
             Wilhelm-Foerster-Sternwarte e.V. interessant.

                                         Wissenschaft am Mittwoch         Dr. Karl-Friedrich Hoffmann                               4
INHALT

             SERIE TEIL 6 | Götter und Planeten im Alten Orient           Dr. Friedhelm Pedde                                       6
                                                    Der Einsteinturm      Dr. Brigitte Pedde                                        8
                      AKTUELL Aus der Schatzkammer der WFS                Gerold Faß                                              11
                                           Materie und Antimaterie        Otto Wöhrbach                                           12
                                      Grundlagen der Astrobiologie        Dr. Rainer E. Zimmermann                                14
                                         Fabricius – Sonnenflecken        Gerold Faß                                              17
                Das 70 cm-Zeiss-Spiegelteleskop der WFS Berlin            Jürgen Heyne                                            20
                             Informationen für unsere Mitglieder          IMPRESSUM | BIBLIOTHEK                                  22
                                                       BÜCHERECKE         Dr. Friedhelm Pedde | Siglinde Hacke                    24
                                    Edgar Mädlow – Erinnerungen           Gerold Faß | Helene von Tauchnitz                       26
                           Sonne, Mond, Planeten | Sternhimmel            Uwe Marth                                               29
         2
2021 Wilhelm-Foerster-Sternwarte e.V.
Einladung zur Mitgliederversammlung

                                                                                                                               AKTUELL
                                                                                        – 6. Oktober 2021
Ein Kreis erfahrener Beobachter und Techniker, geleitet    Leichte Einschränkungen müssen wir aber vornehmen
von Dieter Maiwald, pflegt regelmäßig die Instrumen-       – unsere Vereinsschrift wird von 4 Ausgaben auf 3 Aus-
te auf der Sternwarte und setzt sich besonders für die     gaben pro Jahr reduziert. Wir hoffen aber, dass Sie mit
neue Steuerung des 12-Zoll-Refraktors ein. Darüberhin-     der Ausrichtung und dem Stil des Heftes weiterhin zu-
aus pflegen sie die Zusammenarbeit mit der Firma 4H-       frieden sind.
Jena für die Restaurierung und Erneuerung des 70 cm
                                                           Pläne für die Zukunft entspringen der Hoffnung auf
Zeiss-Spiegelteleskopes (siehe Bericht Seite 20).
                                                           eine gute Zukunf unseres Vereins. Der Vorstand möchte
Diese Restaurierung kommt infolge des langen Lock-         an dieser Stelle einige davon, die auf Eis liegen, noch-
downs nur zögerlich voran, so dass wir die Stiftung        mal in Erinnerung rufen.
Deutsche Klassenlotterie Berlin, die dieses Projekt fi-
nanziert, um eine Verlängerung des Bewilligungszeit-       Pläne
raumes bitten.
                                                             Wissenschaftliche Mittwochsvorträge
Unser Kooperationspartner, die Stiftung Planetarium          ab September 2021 im Planetarium.
Berlin, sorgt erfreulicherweise sehr fürsorglich für ein
                                                             Eine Mitgliederversammlung
positives Verhältnis zu unserem Verein. So konnten
                                                             am 6. Oktober 2021 im Planetarium.
und können wir auch im Lockdown die Räume für Ver-
einszwecke nutzen und die BIM sorgt im Auftrag der           Kurse und Praktika –
Stiftung stets für einen guten Gebäudezustand. Das           ab Herbst 2021 wieder anbieten.
kommt nicht von ungefähr. Unser Koordinator Oliver
                                                             Die Bibliothek neu strukturieren und
Hanke sorgt für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit
                                                             verstärkt für Mitglieder öffnen.
mit der Stiftung und Dr. Monika Staesche, Mareike
Marth, Belgin Uzan, Heiko Horn und Jürgen Neye un-           Das Projekt „Restaurierung und Erneuerung
terstützen täglich in freundschaftlicher Verbundenheit       des 70 cm Zeiss-Spiegelteleskopes“ nach dieser
die Aufgaben und Arbeiten unseres Vereins am Insu-           Zwangspause wieder erfolgreich weiterbearbeiten.
laner.
                                                             Einen Tag der „Offenen Tür“ für Mitglieder im Herbst.
Ohne die vielen Mitgliedsbeiträge unserer Mitglieder
und ohne zusätzliche finanzielle Spenden von weite-
ren Freund*innen und Förder*innen unseres Vereins          Ihr Vorstand
könnten wir unsere Aufgaben in dieser Krise nicht so                                                       e Gesellschaft,
                                                                                 Unser Verein ist, wie jed
erfüllen, wie wir es tun. Dafür sind wir Ihnen und allen                                                  hr die Leistungen
                                                                                umso erfolgreicher, je me
weiteren Förder*innen sehr dankbar.                                                                    nt werden. Jedes In-
                                                                                des Einzelnen anerkan
                                                                                                        sellschaft hat einen
                                                                                dividium in unserer Ge
                                                                                                           ng und Respekt.
                                                                                 Anspruch auf Anerkennu

            An alle Mitglieder – Berlin, 17. Mai 2021

                       Einladung zur ordentlichen Mitgliederversammlung
                       am Mittwoch, 6. Oktober 2021, 19 Uhr im Planetarium am Insulaner
                       Tagesordnung:
                                                                                                 ungen des Vereins
                       TOP 1 Bericht des Vorstandes                      Die Mitgliederversamml
                                                                                                warte e.V. sind ge-
                       TOP 2 Aussprache                                  Wilhelm-Foerster-Stern
                                                                                                ngen – keine Gäste!
                       TOP 3 Bericht der Kassenprüfer                    schlossene Veranstaltu
                       TOP 4 Entlastung des Vorstandes
                       TOP 5 Wahl des Vorstandes nach der Satzung vom April 2017
                       TOP 5 Bestätigung des Beirats
                       TOP 5 Wahl der Kassenprüfer für 2021
                       TOP 6 Verschiedenes
            Der Vorstand – Gez.: Dr. K.-F. Hoffmann (1.Vorsitzender), Sibylle Fröhlich (2.Vorsitzende),
            Olaf Fiebig (Schatzmeister), Gerold Faß (Schriftführer), Dieter Maiwald (Stv. Schriftführer)

                                                                                                                      3
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RÜCKBLICK
                                 Liebe Mitglieder,                                       Dr. Karl-Friedrich Hoffmann – WFS Berlin

                               auf diesen Seiten erwarten Sie regelmäßig die Ankün-      So wurden die Mittwochsvorträge beim Publikum
                               digungen für die kommenden Mittwochsvorträge – un-        schnell beliebt und rege besucht. Auch die eingelade-
                               sere traditionelle Verbindung zu Wissenschaft und Kul-    nen Wissenschaftler*innen freuten sich über das sehr
                               tur aus Vergangenheit und Gegenwart. Nachdem nun          interessierte Publikum und standen häufig noch lange
                               die Corona-Pandemie über ein Jahr (mit einer kleinen      nach Vortragsende den wissbegierigen Besucher*innen
                               Unterbrechung) die Mittwochsveranstaltungen unmög-        Rede und Antwort.
                               lich gemacht hat ist uns der Wert dieser persönlichen
                                                                                         Viele von ihnen kamen deshalb zur der jungen Stern-
                               Informationsplattform so richtig bewusst geworden.
                                                                                         warte gern ein weiteres Mal zu einem Vortragsbesuch!
                               Was hat es nicht alles an spannenden Entwicklungen        Wenn Ihnen, liebe Mitglieder, diese Zustandsbeschrei-
                               in Astronomie, Raumfahrt und Geowissenschaften im         bung aus den 50er Jahren sehr vertraut vorkommt – so
                               letzten Jahr gegeben …                                    ist es auch bis heute geblieben. Seit 65 Jahren regelmä-
                               Nur über digitale Medien konnten wir uns „auf dem         ßig bis zum aktuellen „Lockdown“ in 2020 stand der
                               Laufenden“ halten, es fehlt so sehr das erklärende Wort   Mittwoch an der Wilhelm-Foerster-Sternwarte ohne Un-
                               der am Geschehen beteiligten Wissenschaftler, der Ken-    terbrechung im Zeichen aktueller Wissenschaft, Einbli-
                               ner und Macher!                                           cken in historische Astronomie und Kulturgeschichte
                                                                                         und … der Raumfahrt. Zunächst die neue Sternwarte
                               Die „Mittwochsvorträge“ sind ein wesentliches Stand-      auf dem Insulaner und schließlich das Planetarium
                               bein unseres Vereins. Ihre Einrichtung reicht zurück      bieten seit den 60er Jahren einen ansehnlichen Veran-
                               bis in die Anfangsjahre. In den ersten Aufbaujahren       staltungsort, der auch die erweiterten technischen Be-
                               von 1947 bis 1954 konnte zunächst die Halbruine in der    dürfnisse der Vortragenden mit zeitgemäßer moderner
                               Papestrasse Schritt für Schritt für Beobachtungen und     Ausrüstung zufrieden stellen kann.
                               den Aufbau des Bamberg-Refraktors hergerichtet wer-
                                                                                         Und die Besucher (Mitglieder und Gäste!) haben all
                               den, ein bescheidener beheizbarer Vortragsraum mit
                                                                                         die Jahre bis heute der Veranstaltungsreihe ihre Treue
                               Projektionseinrichtung für eine größere Zuhörerschaft
                                                                                         bewahrt. Bei über 2000 Terminen (!) kann hier nur an
                               (ca. 100 Plätze) konnte aber erst im Januar 1955 in Be-
                                                                                         wenige Highlights erinnert werden:
                               trieb genommen werden, auch wenn die räumlichen
                               Gegebenheiten nicht optimal waren (bei starkem Re-        So hat Harro Zimmer seit 1963 an über 190 dokumen-
                               gen lief das Wasser an den Wänden herunter). Seit die-    tierten Terminen die Berliner vor allem über aktuelle
WISSENSCHAFT AM MITTWOCH

                               sem Zeitpunkt wurden einmal wöchentlich öffentliche       Raumfahrt-Themen informiert – meist bei vollem oder
                               Lichtbild-Vorträge angeboten, zunächst am Donnerstag,     überfülltem Haus, zuletzt am 5. Dezember 2018 über
                               ab September 1956 dann aber am Mittwoch. Dies war         „50 Jahre Apollo 8“. Genau diesen Astronauten hatten
                               eine bewusste Entscheidung des Vorstandes unter dem       wir zu Besuch, den Amerikaner Neil Armstrong nach
                               Vorsitz von Richard Sommer: es sollte eine ideelle Ver-   seiner spektakulären Mondumrundung zu Weihnach-
                               bindung zu der legendären „Mittwochsgesellschaft“ in      ten 1968 mit Apollo 8 schon am 12. Februar 1969.
                               den Räumen der Berliner Sing-Akademie hergestellt         Auch deutsche ESA-Astronauten standen auf dem
                               werden, die Alexander von Humboldt über 100 Jahre         Podium des Planetariums und hinterließen lebendige
                               zuvor ins Leben gerufen hatte, um Wissenschaftler zur     Eindrücke von dem ehrgeizigsten aller Menschheitspro-
                               öffentlichen und populären Verbreitung ihres Wissens      jekte. Nach dem Mauerfall fand auch der erste deutsche
                               zu verpflichten. Wilhelm Foerster hat davon regen Ge-     Weltraumfahrer sein Publikum im (West-)Planetarium:
                               brauch gemacht und wurde deshalb von vielen aka-          Siegmund Jähn referierte am 24. Oktober 2012 über die
                               demischen Kollegen als „Singakademiker“ verspottet        deutschen Beiträge zur bemannten Raumfahrt; wir er-
                               – der kurzsichtige Blickwinkel des „Elfenbeinturms“!      lebten einen bescheidenen, liebenswürdigen Menschen
                               Erst Albert Einstein hat in einer eindeutigen Stellung-   mit überzeugender Kompetenz!
                               nahme die verständliche Vermittlung von wissenschaft-     Auch die Experimentalvorträge von Bernhard Wedel in
                               licher Erkenntnis für alle Menschen als „Bringschuld“     den 70er Jahren zu grundlegenden physikalisch-astro-
                               der Wissenschaft angemahnt.                               nomischen Gesetzmäßigkeiten sollen hier noch in Erin-
                                                                                         nerung gerufen werden.
                               Schon in den ersten Jahren der Mittwochsvorträge in
                               der Papestrasse, die zunächst vorwiegend von Mitglie-     Vieles andere wird Ihnen, liebes Mitglied, jetzt viel-
                               dern gehalten wurden, konnten auch auswärtige Red-        leicht aus der Erinnerung wachgerufen. Wenn Sie Lust
                               ner gewonnen werden, vor allem von der Technischen        haben schreiben Sie uns Ihr persönliches Highlight!
                               und Freien Universität und von den Sternwarten in         Wir sammeln Ihre Erlebnisse im Planetarium und/oder
                               Sonneberg, Potsdam und Babelsberg – das war vor der       auf der Sternwarte und denken an eine gelegentliche
                               Errichtung der Mauer möglich!                             Veröffentlichung.

                           4
2021 Wilhelm-Foerster-Sternwarte e.V.
VORAUSBLICK
                                                                                   Jeweils um 20.00 Uhr
                                                                                                    sulaner
                                                                               im Planetarium am In

Nach der Zwangspause und den Sommerferien wollen           PS: Und denken Sie noch daran, dass wir Teil der Stif-
wir im August wieder „loslegen“ am Mittwoch mit aktu-      tung Planetarium sind und Sie viele Veranstaltungen
ellen Informationen aus Wissenschaft und Raumfahrt.        kostenlos oder mit ermäßigtem Eintritt auch in den an-
Viele der (z.T mehrfach) abgesagten Termine sollen         deren Häusern nutzen können; dort wird voraussicht-
nun Wirklichkeit werden, die Referent*innen stehen         lich ab Juli der Betrieb wieder aufgenommen. Schauen
„in den Startlöchern“ und hoffen mit uns allen, dass die   Sie nach unter www.planetarium.berlin. Betrachten Sie
neuen Terminvereinbarungen nun auch Bestand haben!         diese Möglichkeit doch wirklich als Teil Ihrer Mitglied-
Unsere Aufgabe bleibt, Sie zeitnah mit Hilfe von Fach-     schaft in der Wilhelm-Foerster-Sternwarte Berlin e.V.!
leuten über aktuelle Entwicklungen zu informieren und      Die dort veröffentlichten online-Angebote sind eine
der Wissenschaft zu ermöglichen, ihre „Bringschuld“        gute Möglichkeit jetzt auf dem Laufenden zu bleiben.
auch im 21. Jahrhundert zu begleichen, getreu unserem      Besonders zu empfehlen ist der Stream eines Exper-
Motto „dem Himmel nahe – der Erde verbunden“!              tengespräches mit Professorin Dr. Heike Rauer von der
                                                           DLR in Adlershof über Ihre Forschung an Exoplaneten!
                                                           (Schauen Sie dazu auch in unsere Ausgabe 9, Seiten 6 und 7!)

             August 2021                                            September 2021
   11. August Dr. Monika Staesche                             1. | 8. | 15. | 22. September
   – Siftung Planetarium Berlin und WFS Berlin
                                                           Diese Termine sind bei Redaktionsschluss noch
                                                           offen. Bitte schauen Sie regelmäßig auf unsere
Neues aus Astronomie und Raumfahrt                         Internetseite www.wfs.berlin
Der Start zur Wiederaufnahme der Mittwochsvorträge:
Im letzten Jahr sind z.T. bahnbrechende Erkenntnisse          29. September Dr. Franziska Knoll
erzielt worden und spektakuläre Raumfahrtunterneh-
                                                              – Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie,
men gelungen. Lassen Sie uns schauen und hören was
alles davon in 90 Minuten berichtet werden kann.              Halle

                                                                                                                               WISSENSCHAFT AM MITTWOCH
                                                           Pömmelte – Stonhenge – Nebra –
   18. August Dieter Heinlein
                                                           Monumente des 3./2. Jahrtausends
   – Augsburg und Feuerkugelnetz der DLR
                                                           v. Chr. im Spiegel der Sonne
Das DLR auf Meteoritenjagd                                 Zu Recht wird das Ringheiligtum bei Pömmelte, unweit
Als Fortführung seines Vortrags vom September 2020         von Magdeburg in der Elbaue gelegen, als deutsches
berichtet Herr Heinlein über aktuelle Meteoritenfälle      Stonehenge bezeichnet. Zwar wurde die Kreisgraben-
und Entdeckungen in Deutschland und ihre wissen-           anlage in Sachsen-Anhalt aus Holz errichtet, der Inner-
schaftliche Bedeutung, u.a. die vier echten deutschen      Circle in Stonhenge, wie der Name schon sagt, aus Stein
Steinmeteoriten und der 30 kg schwere Meteorit von         – trotzdem einen beide Monumente zahlreiche Paralle-
Blaubeuren, ein Bote aus der Entstehungszeit des Son-      len: Alle diese Anlagen sind auf bestimmte markante
nensystems!		                                              Termine im Jahreslauf ausgerichtet. Genau diese Bezü-
                                                           ge finden sich auch auf der Himmelsscheibe von Nebra
   25. August Carsten Busch                                wieder. Folgen Sie dem Lauf der Sonne, von der späten
   – Studienkolleg-Hamburg                                 Stein- in die frühe Bronzezeit!

Dunkle Sonne
Im Juni 1918 hat uns Herr Busch einen umfassenden
Überblick über die Entdeckung der Kernspaltung bis
zum Einsatz der ersten Atombomben gegeben. Die wei-
tere Entwicklung der Kernwaffen in Ost und West nach
1945 wird beleuchtet und ihre Wirkungen bei einem
                                                            Albert Einstein am 10. Februar 1954
möglichen militärischen Einsatz. Die Gefahren sind                                   Falls Gott die Welt erschaffen hat,
trotz Reduzierung der Kernwaffenlager immer noch                                 war seine Hauptsorge sicherlich nicht,
global!                                                               sie so zu machen, dass wir sie verstehen können.

                                                                                                                           5
2021 Wilhelm-Foerster-Sternwarte e.V.
SERIE TEIL 6
                                                                                         Götter und Planeten im Alten Orient
                                                                                         Schamasch und die Sonne
                                                                                         Dr. Friedhelm Pedde – Archäologe| WFS Berlin

                                                                                         Zwar sind Sonne und Mond nach heutigen Erkenntnis-
                                                                                         sen keine Planeten, sie wurden im Alten Orient aber
                                                                                         zusammen mit den fünf sichtbaren, tatsächlichen Pla-
                                                                                         neten als solche angesehen, da sie sich, anders als die
                                                                                         Fixsterne, ebenfalls in der Ekliptik über den Himmel
                                                                                         bewegen.

                                                                                         Der Gott
                                                                                         Der Name des mesopotamischen Sonnengottes war su-
                                                                                         merisch Utu, akkadisch Schamasch. Er war der Sohn
                                                                                         des Mondgottes Sin und der Ningal und der Bruder der
                                                                                         Venusgöttin Ischtar. Seine Gemahlin war Šerda/Aja
                                                                                         (sumerisch bzw. akkadisch), die Göttin der Morgenrö-
                                                                                         te. Obgleich die Sonne weit mehr als jeder andere Him-           Der Sonnengott überreicht König Hammurabi die Herr-
                                                                                         melskörper das Leben der Menschen bestimmt, gehörte        schaftssymbole. Relief auf der Gesetzesstele des Hammurabi,
                                                                                         Schamasch erstaunlicherweise nicht zu der allerobers-       um 1700 v. Chr.; Kopie im Vorderasiatischen Museum Berlin
                                                                                         ten Riege der Götter. Da die Sonne sich jeden Morgen                                         (Foto: Brigitte Pedde 2020)
                                                                                         zuverlässig über den Horizont erhebt und abends stets
                                                                                         dahinter verschwindet, galt sie bzw. der Sonnengott als   durch die Unterwelt fungierte Schamasch auch dort als
                                                                                         besonders beständig. Das Sonnenlicht und die Sonnen-      Unterweltsrichter. Er wurde auch um Beistand gebeten,
                                                                                         wärme waren positiv konnotiert, da man in ihnen auch      wenn es um die Abwehr von Unheil ging. Die Gebete
                                                                                         die Ursache für Wachstum und Fruchtbarkeit erkannte.      und Lösungsrituale fanden oft bei Sonnenaufgang statt,
                                                                                         Das Licht dringt überall hin und erhellt alles, auch im   ein als besonders wirkungsvoll angesehener Zeitpunkt.
                                                                                         übertragenen Sinne. Vielleicht deshalb war Schamasch      Der 20. Tag des Monats war der Tag des Schamasch.
                                                                                         als allgegenwärtiger Richter für die Gerechtigkeit und    An diesem Tage häuften sich Rechtsgeschäfte, denn
                                                                                         Rechtsgeschäfte zuständig und trug die soziale Ver-       er galt als besonders günstig. Als Lenker der Ordnung
                                                                                         antwortung für die Minderbemittelten. Bei seiner ver-     stand Schamasch dem Königtum nahe. So zeigt die be-
                                                                                         meintlichen nächtlichen „Rückfahrt“ von West nach Ost     rühmte Gesetzesstele des altbabylonischen Herrschers
                                                                                                                                                   Hammurabi (um 1700 v. Chr.) auf einem Relief den ste-
           Der Sonnengott Schamasch steigt aus dem östlichen Gebirge, während die
          Göttin Ischtar als personifizierter Morgenstern bereits hoch über ihm steht.
          Ausschnitt einer Rollsiegelabrollung, Ende 3. Jahrtausend v. Chr.; London,
         Britisches Museum (W. Orthmann, Der Alte Orient, Berlin 1975, Abb. 135 e)

                                                                                                                                                   henden König vor dem sitzenden Gott, von dem er die
                                                                                                                                                   Herrschaftsinsignien entgegennimmt (Abb. oben).
                                                                                                                                                   Schamasch war der Stadtgott von Sippar. In dieser
                                                                                                                                                   südlich von Bagdad gelegenen Stadt befand sich wahr-
                                                                                                                                                   scheinlich schon im 3. Jahrtausend v. Chr. sein Tempel
                                                                                                                                                   É-babbar („weißes Haus“) und eine Zikkurat für ihn,
                                                                                                                                                   und hier wird auch der ursprüngliche Aufstellungsort
                                                                                                                                                   der Hammurabi-Stele vermutet. Im südirakischen Larsa
                                                                                                                                                   befand sich ebenfalls ein Tempel für Schamasch und im
                                                                                                                                                   nordirakischen Assur wurde er in einem Doppeltempel
                                                                                                                                                   zusammen mit dem Mondgott Sin verehrt.
                                                                                                                                                   Der Sonnengott wurde bereits seit dem 3. Jahrtausend
                                                                                                                                                   abgebildet und in Keilschrifttexten erwähnt. Schamasch
                                                                                                                                                   konnte in menschlicher Gestalt mit von den Schultern
                                                                                                                                                   ausgehenden Strahlen dargestellt werden. Er steigt auf
                                                                                                                                                   diesen Abbildungen morgens aus dem östlich der me-
                                                                                                                                                   sopotamischen Tiefebene gelegenen Zagrosgebirge und
                                                                                                                                                   hält dabei eine Säge in der Hand. Diese Säge ist sein
                                                                                                                                                   Emblem, mit welcher er sinnbildlich die Dunkelheit bei
                                                                                                                                                   seinem Aufstieg aus der Unterwelt zerteilt und darum
                                                                                                                                                   „Öffner der Dunkelheit“ genannt wurde (Abb. links).

                                                                     6
2021 Wilhelm-Foerster-Sternwarte e.V.
SERIE TEIL 6
                              Götter und Planeten im Alten Orient
                                                                               Schamasch und die Sonne

Die Sonne                                                    im Westen, in der Regel den Tod des Königs, eine Nie-
                                                             derlage im Krieg oder ähnliche Katastrophen. Bei die-
Gleichwohl wird die Sonne aber auch häufig als Schei-        sen Voraussagen spielte allerdings die Stellung der Pla-
be mit Strahlen abgebildet (Abb. rechts), nicht selten als   neten eine zusätzliche wichtige Rolle.
astrale Trias zusammen mit einer Mondsichel und der
achtstrahligen Venus. Sie entfaltete vermeintlich ihre       Um die Positionen von Sonne, Mond und den fünf Plane-
größte magische Kraft im Sternbild des Widders.              ten genau berechnen zu können, benutzten die Babylo-
                                                             nier vermutlich einfache Winkelmessinstrumente, die
Naturgemäß spielte die Sonne in der mesopotamischen          allerdings nicht erhalten sind, außerdem die Wasseruhr
Astronomie und Astrologie eine herausragende Rolle.          und für die Sonne den Gnomon. Sie entwickelten im
In der 70 Tontafeln umfassenden Omen-Serie Enuma             5. Jh. v. Chr. das System des Tierkreises aus zwölf gleich
Anu Enlil („als Anu und Enlil …“) aus dem 1. vorchristli-    großen Himmelsabschnitten von jeweils 30 Grad, durch
chen Jahrtausend behandeln allein 17 Tafeln die Sonne,       welchen die Ekliptik verläuft, mit insgesamt also 360
von denen sich wiederum sieben mit Sonnenfinster-            Grad. Diese Maßeinheit, die auf dem mesopotamischen
nissen beschäftigen, die als „Weinen des Schamasch“          Sexagesimalsystem beruht, lebt in der Astronomie bis
angesehen wurden. Sonnenfinsternisse gehörten für            heute fort.
die Menschen im Alten Orient zu den bedrohlichsten
Himmelserscheinungen und verhießen in der Regel
nichts Gutes für das eigene Land oder die Nachbarlän-
der. Insbesondere wurde auch das Schicksal der Könige
tangiert. Daher waren diese stets darauf bedacht, mit
großem Aufwand nach Sonnen- und Mondfinsternissen
sowie anderen Ereignissen am Himmel zu forschen.
Vorgänge am Himmel waren vorhersehbarer und ihre
Gesetzmäßigkeiten leichter erkennbar als irdische Na-
turereignisse und wurden daher auch „Himmelsschrift“
genannt. Ganz unvorhergesehen scheint aber die erste
im Alten Orient dokumentierte Sonnenfinsternis gewe-
sen zu sein. Sie ereignete sich 1192 v. Chr. und wurde
in der westsyrischen Hafenstadt Ugarit aufgezeichnet.
Von den assyrischen Königen wissen wir durch ein
großes Tontafelarchiv in der Hauptstadt Ninive aus
dem 7. vorchristlichen Jahrhundert, dass Sternkundi-
ge außer in der Hauptstadt über viele andere Städte
im assyrischen Herrschaftsgebiet verteilt nach solchen          Der Sonnengott in einem Schrein, vor ihm eine von Göttern
Geschehnissen Ausschau hielten und den König um-                                 gehaltene Sonnenscheibe auf einem Tisch.
gehend informieren mussten. In einem Brief werden            Steintafel aus Sippar, 853 v. Chr.; London, Britisches Museum
diesbezüglich die Städte Assur, Babylon, Borsippa,                   (W. Orthmann, Der Alte Orient, Berlin 1975, Abb. 248)
Uruk und Nippur genannt. Weil eine Sonnenfinsternis
bekanntermaßen immer nur in einem begrenzten Strei-          LITERATUR
fen der Erdoberfläche zu sehen ist, über die der Mond-       Joachim Bretschneider – Klaus-Dieter Linsmeier: Das Omen
schatten wandert, war sie mit den damaligen Mög-             von Ugarit, in: Spektrum der Wissenschaft, Juli 2006, 64-70
lichkeiten für einen bestimmten Ort nur sehr schwer
                                                             Manfred Krebernik: Götter und Mythen des Alten Orients
voraussagbar. Daher konnten die Gelehrten zwar häufig
                                                             (München 2012)
ein solches Ereignis vorhersagen, aber nicht immer traf
die Eklipse auch am Ort tatsächlich ein. Bei partiellen      Stefan M. Maul: Sonnenfinsternisse in Assyrien:
Finsternissen wurde genau beschrieben, welche Seite          Eine Bedrohung der Weltordnung, in:
der Sonne sich verdunkelt hatte, denn die Sonnenschei-       Sterne und Weltraum Nr. 9, 2000, 28-36 [digital 742-750]
be war symbolisch unterteilt in die vier Regionen Ba-        Mathieu Ossendrijver: Die Sonne im Alten Orient.
bylonien (Süden), Assyrien (Norden), Syrien (Westen)         Konzeptionen zwischen Mythos und Wissenschaft, in:
und Iran (Osten). War also z. B. das für Syrien stehende     A. Bärnreuther (Hrsg.), Die Sonne. Brennpunkt der Kulturen
Viertel dunkel, bedeutete das Schlechtes für die Länder      der Welt (München 2009), 54-65

                                                                                                                             7
2021 Wilhelm-Foerster-Sternwarte e.V.
Der Einsteinturm
                                                                  – eine assyrische Zikkurat?
SPECIAL

                                                                  Dr. Brigitte Pedde – Kunsthistorikerin, Berlin

                                                                                                                              Bauprojekts ließ für Mendelsohns künstlerische Krea-
                                                                                                                              tivität genügend Spielraum. Gleich nach Mendelsohns
                                                                                                                              Rückkehr aus dem 1. Weltkrieg nach Berlin im Novem-
                                                                                                                              ber 1918 wurde der Plan zum Bau des Turmes konkret.

                                                                                                                              Orientalistischer Stil
                                                                                                                              Der Einsteinturm sollte kein für sich allein stehendes
                                                                                                                              Gebäude sein, sondern Bestandteil eines bereits vor-
                                                                                                                              handenen Gebäudeensembles werden. Bei der Pots-
                                                                                                                              damer Anlage von Observatorien und angegliederten
                                                                                                                              Instituten auf dem Telegrafenberg handelt es sich um
                                                                                                                              eine astrophysikalische Forschungsanstalt, deren Ge-
                                                                                                                              bäude über ein parkähnliches Gelände verstreut sind.
                                                                                                                              1875 war Paul Emmanuel Spieker mit der Ausarbeitung
                                                                                                                              architektonischer Entwürfe beauftragt worden. Die
                                                                                                                              Bauarbeiten dauerten bis Ende des 19. Jahrhunderts.
                                                                                                                              Spieker, der sämtliche Bauten des 19. Jahrhunderts auf
                                                                                                                              dem Telegrafenberg entwarf, war ein Schüler Fried-
                                                                                                                              rich August Stülers gewesen. Stüler wiederum war mit
                                                                                                                              Eduard Knoblauch einer der Architekten der Berliner
          Einsteinturm, Potsdam (Foto: Brigitte Pedde 2009)

                                                                  Erich Mendelsohn (1887 Allenstein/Ostpreußen – 1953
                                                                                                                              Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße, die von
                                                                  San Francisco/USA) war 31 Jahre alt, als er den Auf-
                                                                                                                              1859 bis 1866 errichtet worden war. Spieker griff bei
                                                                  trag für den Bau eines Sonnenobservatoriums erhielt.
                                                                                                                              den Gebäuden des Telegrafenberges teilweise auf das
                                                                  Der Bau, der später den Namen Einsteinturm bekam,
                                                                                                                              von Knoblauch und Stüler entwickelte orientalistische
                                                                  wurde zwischen 1920 und 1922 auf dem Telegrafenberg         Formenrepertoire der Berliner Synagoge zurück. Am
                                                                  in Potsdam gebaut, die Inbetriebnahme erfolgte Ende         deutlichsten wird dies bei den horizontalen, breiteren
                                                                  1924 (Abb. oben). Mit diesem neuartigen und außerge-        gelben und schmaleren roten Klinkerstreifen, aber
                                                                  wöhnlichen Gebäude, dessen Gestaltung vermeintlich          auch den hohen, mit Rundbogen abgeschlossenen Fens-
                                                                  keinem bekannten Vorbild folgte, begann Mendelsohns         tern, den umlaufenden Sternenfriesen aus buntglasier-
                                                                  Karriere als beachteter Architekt. Das Gebäude selbst       ten Ziegeln und der Betonung der Kranzgesimse mit
                                                                  wurde zu einer Ikone des Expressionismus.                   plastischen Ornamentfriesen. Die Südseite des frühe-
                                                                                                                              ren astrophysikalischen Observatoriums, das 1879 fer-
                                                                  Die Vorgaben                                                tig gestellt wurde, zeigt analog zur Berliner Synagoge
                                                                  Der Auftraggeber für das Observatorium war der As-
                                                                  trophysiker Erwin Freundlich (seit 1939 Finlay Freund-
                                                                                                                             Erich Mendelsohn, Einsteinturm, Skizze mit der Ansicht

                                                                  lich, siehe Mitgliederzeitschrift, Nr. 9, S. 9-10), den
                                                                  Mendelsohn in Berlin kennengelernt hatte. Freundlich
                                                                                                                             der Frontseite, um 1919, Berlin, Kunstbibliothek

                                                                  war Assistent an der Babelsberger Sternwarte und setz-
                                                                  te sich für den Bau eines Gebäudes ein, das der expe-
                                                                  rimentellen Prüfung von Albert Einsteins allgemeiner
                                                                  Relativitätstheorie dienen sollte. Bereits 1917 richtete
                                                                  Freundlich an Erich Mendelsohn den Wunsch, Skizzen
                                                                                                                             (Achenbach 1995, 67, Abb. 59)

                                                                  für ein Sonnenobservatorium anzufertigen. In einem
                                                                  Brief vom 2. Juli 1918 wurde Freundlich konkret und
                                                                  teilte Mendelsohn seine Vorgaben mit. Er beauftragte
                                                                  ihn „ein Turmteleskop in Form eines schornsteinförmi-
                                                                  gen Betonturms, ebenerdig als Verbindung ein kleines,
                                                                  ein bis zwei Räume einschließendes Gebäude“ zu er-
                                                                  richten. Ferner fügte er dem Brief eine einfache Skizze
                                                                  eines schlanken, sich nach oben verjüngenden Turmes
                                                                  bei. Diese knappe Beschreibung und Vorzeichnung des

                                                              8
2021 Wilhelm-Foerster-Sternwarte e.V.
Assyrische Zikkurat, Rekonstruktionszeichnung
          von Charles Chipiez (Perrot – Chipiez 1884, Pl. IV)                 Der Einsteinturm

                                                                                                                              SPECIAL
vieleckige Türme mit Kuppel. Darüber hinaus unter-
streichen ohnedies die Kuppeln der Observatorien den
Eindruck vom Orient. In Zeitschriftenartikeln war zu
lesen, dass die Observatorien „fast wie Moscheen einer
orientalischen Stadt“ wirken. War diese nahe liegende
Assoziation der Observatorienkuppeln der Grund, wes-
halb Spieker auf den orientalistischen Baustil zurück-
griff, der dazu noch gerade in Mode war? Es ist durch-
aus denkbar, dass Spieker mit dieser Wahl außerdem
bewusst einen Bezug zum mittelalterlichen Transfer
von astronomischem Wissen aus arabischen Schriften
über das islamische Spanien nach Europa herstellen
wollte.                                                         Architekturhistoriker Charles Chipiez, insbesondere
                                                                bezüglich der assyrischen Zikkurat von Khorsabad im
Erich Mendelsohns Frau, Luise Mendelsohn, schrieb,
                                                                nördlichen Irak in ihrem 1884 erschienenen und weit
er habe die benachbarten Gebäude intensiv studiert,
                                                                verbreiteten Band über mesopotamische Kunst und Ar-
bevor er mit dem Bau begann. So ist es naheliegend,
                                                                chitektur.
dass Mendelsohn eine Bauform anstrebte, welche der
durch die bereits bestehenden Gebäude vorgegebenen              Das mehrbändige Werk von Perrot und Chipiez war eine
Tradition des Orientalismus nahe stehen sollte, dabei           Sammlung und Zusammenfassung archäologischer
aber gleichzeitig innovativ war. Moderne Baumateriali-          Forschungen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts,
en wie Beton und Eisen erlaubten außerdem neuartige             das großzügig mit Zeichnungen und Rekonstruktionen
Bauformen.                                                      der Ausgräber und weiterer Zeichner illustriert wur-
                                                                de. Insbesondere der Mesopotamien gewidmete Band
Altorientalistische Inspiration                                 sollte für avantgardistische Architekten der 1910er und
Insgesamt gibt es im Mendelsohn-Nachlass für den Ein-           1920er Jahre eine Inspirationsquelle werden. Der Ar-
steinturm etwa 20 kleinformatige Skizzen, die nicht von         chitekt Bruno Taut hatte 1919 in seiner einflussreichen
Mendelsohn datiert sind. Die genaue chronologische              Schrift „Die Stadtkrone“ daraus die Rekonstruktions-
Aufeinanderfolge der Skizzen kann nur annähernd re-             zeichnung der „assyrischen Zikkurat“ von Chipiez (Abb.
konstruiert werden. Diese Skizzen, die kurz vor Baube-          oben), die wenig später das Urbild für Mendelsohns Ein-
ginn in den Jahren 1919 und 1920 entstanden, sind in            steinturm werden sollte, als eines der „Beispiele alter
zwei unterschiedlichen Stilen geschaffen. Eine aus sti-         Stadtbekrönungen“ veröffentlicht. Taut und Mendel-
listischen Gründen früher einzuordnende Skizze zeigt            sohn waren beide in der avantgardistischen Berliner
einen abgestuften Turm in Orangerot (Abb. links). Dieser        Künstlervereinigung „Novembergruppe“ organisiert,
Entwurf präsentiert einen eher konventionellen und              die 1918 gegründet worden war. Im Folgenden soll erör-
statischen Charakter im Gegensatz zu der dynamisch-             tert werden, welche Anregungen Mendelsohn von Chi-
schwungvollen Ausführung weiterer Entwürfe und ist              piez´ Rekonstruktionszeichnungen aufgenommen hat.
dadurch zeitlich früher einzuordnen. Auf der zuerst
genannten Skizze ist ein Gebäude dargestellt, das aus           Mesopotamisches Vorbild
sich verjüngenden, aufeinander gestaffelten Blöcken
besteht. Es zeigt deutlich den Prototyp eines mesopota-         und moderne Umsetzung
mischen Tempelturms, einer Zikkurat.                            Bei der Rekonstruktionszeichnung von Charles Chi-
In expressionistischer Manier drückte Mendelsohn in             piez handelt es sich wohlgemerkt um seine eigene
der äußeren Form seiner Architektur(-entwürfe) bis-             und heute überholte Interpretation einer assyrischen
weilen den Zweck eines Gebäudes sinnbildlich aus.               Zikkurat. Ausgehend von dieser Rekonstruktionszeich-
Seine Gedankenverknüpfung des geplanten Observato-              nung (Abb. oben) schuf Chipiez noch einen imaginären
riums mit einer mesopotamischen Zikkurat mag dar-               Längsschnitt (Abb. S. 10 links). Vergleicht man diesen
an liegen, dass diese in der archäologischen Literatur          Längsschnitt mit der Seitenansicht des Einsteinturms,
des 19. Jahrhunderts für Tempel gehalten wurden, die            springt die frappierende Ähnlichkeit ins Auge und es
außerdem als Observatorien dienten. Diese Meinung               liegt nahe, dass dieser Längsschnitt Mendelsohn als In-
vertraten auch der Archäologe Georges Perrot und der            spiration gedient hat.

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2021 Wilhelm-Foerster-Sternwarte e.V.
Der Einsteinturm
SPECIAL

                                                                                                       Erich Mendelsohn, Einsteinturm, Aufrissbauzeichnung, 1920 (Eggers 1995, 93, Abb. 75)
          Assyrische Zikkurat, Längsschnitt von Charles Chipiez
                          (Perrot – Chipiez 1884, 396, Fig. 180)

                                                                   Die frühe Skizze Mendelsohns (Abb. S. 8 unten) zeigt, wie   die Stockwerksebenen im Inneren ignorieren. Hier wird
                                                                   oben beschrieben, die Frontalseite eines abgestuften,       nochmals deutlich, dass für Mendelsohn die Außenwir-
                                                                   nach oben aufstrebenden Turmes, dessen Schlankheit          kung des Gebäudes und somit der Bezug zu seinem Vor-
                                                                   den zweckmäßigen Vorgaben Erwin Freundlichs eines           bild wichtiger war als die Zweckmäßigkeit im Innern.
                                                                   astronomischen Lichtschachtes mit langer Brennweite         Letztendlich wird der Hochtempel auf der Zikkurat zur
                                                                   Rechnung trägt. Im Vergleich der Zeichnung der assy-        Kuppel mit Unterbau des Sonnenobservatoriums.
                                                                   rischen Zikkurat von Charles Chipiez (Abb. S. 9 oben)
                                                                                                                               Erich Mendelsohn ist mit der Umsetzung der Idee von
                                                                   erkennt man folgende Analogien: Beide Gebäude ste-
                                                                                                                               einer mesopotamischen Zikkurat als vermeintliches
                                                                   hen auf einem gerundeten Unterbau und sind in Stufen
                                                                                                                               Observatorium in ein Bauwerk der expressionistischen
                                                                   gegliedert. Auf der Zikkurat und auf der frühen Skizze
                                                                                                                               Avantgarde ein singuläres Meisterwerk gelungen.
                                                                   des Einsteinturmes stehen jeweils markante Aufbau-
                                                                                                                               Er, dem Deutschland eines der bemerkenswertesten
                                                                   ten, hier der Hochtempel, dort der oberste Baublock,
                                                                                                                               Gebäude der Moderne verdankt, wanderte 1933 – ge-
                                                                   der zusammen mit der Kuppel des Sonnenobservatori-
                                                                                                                               zwungen durch den nationalsozialistischen Terror an-
                                                                   ums eine architektonische Einheit bildet.
                                                                                                                               gesichts seiner jüdischen Abstammung – nach England
                                                                   Jedoch war Mendelsohn offensichtlich mit diesem Ent-        aus. Er lebte und arbeitete zunächst in London und Je-
                                                                   wurf nicht zufrieden und suchte eine innovativere,          rusalem. Im Jahr 1941 ging er in die USA, wo er bis zu
                                                                   extravagantere Lösung. Er schuf weitere Skizzen, die        seinem Tode blieb.
                                                                   expressiver, dynamischer gestaltet waren und Chi-
                                                                   piez Längsschnitt übernahmen. Die Umsetzung dieser
                                                                   Skizzen in eine technische Aufrisszeichnung (Abb. oben      LITERATUR
                                                                   rechts) zeigt diese Analogien noch deutlicher. Chipiez      Achenbach, Sigrid: „Das Gesicht dem Anderen eindeutig zu
                                                                   Längsschnitt (Abb. oben links) ist wie fast alle von Men-   machen, das ist Alles.“ Erich Mendelsohns Skizzen zum Ein-
                                                                   delsohns Skizzen und auch die technische Aufrisszeich-      steinturm. In: Astrophysikalisches Institut Potsdam (Hrsg.):
                                                                   nung mit einem akzentuierten Eingang ausgestattet,          Der Einsteinturm in Potsdam. Architektur und Astrophysik.
                                                                   der nach links ausgerichtet ist. Die Zikkurat und das       Begleitband zur Ausstellung „Vom Großen Refraktor zum
                                                                   Sonnenobservatorium erheben sich auf einem markan-          Einsteinturm“ (Berlin 1995), 53-75.
                                                                   ten Unterbau. Bei Chipiez Längsschnittzeichnung kni-        Eggers, Barbara: Der Einsteinturm – die Geschichte eines
                                                                   cken die Gänge im Inneren der Zikkurat rechtwinklig         „Monuments der Wissenschaft“.
                                                                   ab und zeigen im Querschnitt ein rundbogiges Profil,        In: Astrophysikalisches Institut Potsdam (Hrsg.):
                                                                   das durch seine schwarze Einfärbung deutlich her-           Der Einsteinturm in Potsdam. Architektur und Astrophysik.
                                                                   vorgehoben ist. Beide Elemente hat Mendelsohn über-         Begleitband zur Ausstellung „Vom Großen Refraktor zum
                                                                   nommen: Die in Seitenansicht dargestellten Gänge der        Einsteinturm“ (Berlin 1995), 76-97.
                                                                   Zikkurat sind bei Mendelsohn zu den auffallenden, ho-
                                                                                                                               Perrot, Georges – Chipiez, Charles: Histoire de l’art dans
                                                                   rizontalen Einbuchtungen geworden, und die schwarz          l’antiquité, Band 2, Chaldée et Assyrie (Paris 1884).
                                                                   dargestellten Querschnitte der abgeknickten Zikkurat-
                                                                   gänge werden bei Mendelsohn zu den charakteristi-           Taut, Bruno: Die Stadtkrone. Mit Beiträgen von Scheerbart,
                                                                   schen Fenstern an der inneren Kante der Einbuchtun-         Paul – Baron, Erich – Behne, Adolf (Jena 1919).
                                                                   gen (Abb. oben rechts). Eine technische Bauzeichnung des    Wilderotter, Hans (Hrsg.): Ein Turm für Albert Einstein.
                                                                   Einsteinturmes im Längsschnitt zeigt, dass die Fenster      Potsdam, das Licht und die Erforschung des Himmels
                                                                   auf die Wirkung der Fassade hin angeordnet sind und         (Potsdam 2005).

                        10
Aus der Schatzkammer der WFS
                                                                                      Das Bernhard Wedel-Sonnenteleskop
                            Gerold Faß – WFS Berlin

                            Nach mehreren erfolgreichen Expeditionen zu Sonnen-
                            finsternissen in der ganzen Welt konstruierte der da-
                            malige Technische Leiter der WFS, Bernhard Wedel
                            (1936 - 1986), ein besonderes Sonnenteleskop (siehe
                            Skizze rechts).

                            Vorbild für seine Konstruktion war sicherlich auch der
                            „Celeostat“ im Einsteinturm von Potsdam. Die Optik die-
                            ses Celeostaten besteht, wie bei unserem Celeostaten,
                            aus zwei gleich großen Planspiegeln und einem zwei-
                            linsigen Objektiv. Das Besondere an einem Celeostaten
                            ist, dass das vom beweglichen Hauptspiegel eingefan-
                            gene Sonnenlicht über einen zweiten einstellbaren
                            Planspiegel in ein Objektiv gelenkt wird, welches dann
                            diese Strahlen vertikal oder horizontal in einem Brenn-
                            punkt vereint. Im Einsteinturm wird das Sonnenlicht
                            vertikal durch den Turm bis zum Erdgeschoß gelenkt,       Der Bau des kompletten Sonnenfernrohres und des Ce-

                                                                                                                                                                                    Das 50 cm-Objektiv des Sonnenteleskopes
                            wo sich der Fokus des Objektivs befindet.                 leostaten sowie der Schliff des zweilinsigen Objektivs
                                                                                      von 50 cm Durchmesser erfolgten in der Werkstatt der
                            Unser Bernhard-Wedel-Sonnenteleskop hat nach dem
                                                                                      Wilhelm-Foerster-Sternwarte mit finanzieller Unterstüt-
                            gut sichtbaren, sehr markanten Celeostatenturm auf
                                                                                      zung durch die Deutsche Klassenlotterie Berlin.
                            dem Flachdach, direkt neben dem Planetariumsdom,
                            eine horizontale Anordung. Das Sonnenlicht wird durch
                            das zweilinsige 50 cm große Objektiv in ein horizontal
                                                                                        Entwicklungsdaten zum Sonnenteleskop
                            liegendes großes Stahlrohr gelenkt, um dann entweder        1979 - 1980 Entwurf und Konstruktion
                            direkt in den Seminarraum geleitet zu werden oder           1980 - 1988 Herstellung / Inbetriebnahme
                            über einen weiteren Umlenkspiegel in das Planeta-           2010        Stillegung wegen Umbauten
                            rium. Hier kann über eine Zusatzoptik ein bis zu 10 m                   im Planetarium.
                            großes Sonnenbild in der verdunkelten Kuppel proji-
                            ziert werden (siehe Seite 29). Zur Vermeidung von stö-
                            renden Luftturbulenzen durch Erwärmung im Inneren
                            des horizontalen, lange Rohres auf dem Flachdach wird
                            dieses luftleer gepumpt.
                            Bernhard Wedel war es durch seinen frühen Tod 1986
                            nicht mehr vergönnt, sein Sonnenteleskop in Betrieb
                            zu nehmen. Die letzten Feinheiten und besonders die
                            Steuerung des Teleskopes wurden von 1986 -1989 von
                            seinem Sohn Björn Wedel ausgeführt.
                                                                                                                                                Celeostatenturm auf dem Flachdach
                                                                                                                                                Unser Sonnenteleskop 1987,
Celeostat im Einsteinturm

                                                                                                                                                      11
Materie und Antimaterie
SPECIAL

               Otto Wöhrbach – freier Journalist, insbesondere Tagesspiegel Berlin, Zeit online, Spektrum

               Für den Philosophen Martin Heidegger war es die ra-         als Erster eine mögliche Antwort: Die Quantenwelt der
               dikalste aller Fragen: „Warum ist überhaupt Seiendes        Elementarteilchen ist vielleicht doch nicht völlig sym-
               und nicht vielmehr Nichts?“ Die Antwort der Naturwis-       metrisch aufgebaut. So könnten zum Beispiel manche
               senschaftler lautet: „Weil es den Urknall gegeben hat.“     Teilchen und ihre Anti-Teilchen ganz gegen alle Erwar-
               Doch genau genommen erklärt die „Urknall-Theorie“           tungen unterschiedlichen Gesetzen gehorchen, wenn
               nicht die Entstehung des Kosmos selber. Sondern sie         man sich ihr Verhalten in einem Spiegel anschaut. Sol-
               beschreibt seine Entwicklung nach dem Urknall. War-         che Symmetrieverletzungen hätten die ursprüngliche
               um diese Geschichte aber überhaupt beginnen konnte,         Gleichberechtigung von Materie und Anti-Materie im
               warum also aus einem „Nichts“ in einem Urknall-Pau-         jungen Weltall rasch beendet. Im Teilchen-Tohuwabohu
               kenschlag ein „Universum“ entstanden ist – an diesem        aus zerfallenden, sich ineinander umwandelnden und
               Geburtsgeheimnis des Kosmos knobeln die Astrono-            neu bildenden Teilchen und Anti-Teilchen wären unter
               men nach wie vor.                                           dem Strich etwas mehr Teilchen der Sorte „Baryon“
                                                                           entstanden als Teilchen der Sorte „Anti-Baryon“. Damit
               Was ist das „Nichts“?                                       aber wäre das Schicksal der zahlenmäßig unterlegenen
               Und das nächste Rätsel folgt sogleich: Warum konnte die     Anti-Baryonen besiegelt gewesen: Alle entstandenen
               Geschichte des Kosmos nach ihrem mysteriösen Beginn         Anti-Baryonen und die entsprechende Teilmenge an Ba-
               überhaupt weitergehen? Denn was immer sich ereignet         ryonen hätten sich gegenseitig vernichtet und in Strah-
               haben mochte, eine Entstehung aus dem „Nichts“ konn-        lung verwandelt. Diese Strahlung müsste den Kosmos
               te gemäß den Erhaltungssätzen der Natur nur ein ma-         noch heute durchfluten.
               terielles Nullsummenspiel in Gang gesetzt haben: Mit        Und tatsächlich: 1964 wurde eine solche Strahlung zu-
               jedem Elementarteilchen musste sich gleichzeitig auch       fällig von den beiden US-amerikanischen Physikern
               sein Anti-Teilchen gebildet haben – zu jedem Proton ein     Arno Penzias und Robert Wilson entdeckt. Nach wie vor
               Anti-Proton, zu jedem Elektron ein Anti–Elektron, usw.      füllt sie als „kosmische Hintergrundstrahlung“ jeden
               Die Teilchen der Materie und der Anti–Materie unter-        Kubikzentimeter des riesigen Weltalls mit rund 400
               scheiden sich im Wesentlichen nur dadurch voneinan-         Photonen. Diese Photonenfülle lässt das ganze Ausmaß
               der, dass ihre elektrischen Ladungen entgegengesetzt        erahnen, in dem sich die gesamte Anti-Materie und fast
               gepolt sind. Begegnen sich jedoch ein Teilchen und sein     alle Materie bis auf ihren kleinen Überschuss bereits
               Anti–Teilchen, vernichten sie sich gegenseitig und zer-     kurz nach ihrer Entstehung wieder gegenseitig ausge-
               strahlen. Da staunt nicht nur der Laie, sondern auch        löscht haben mussten. Die Symmetrieverletzungen der
               der Astronom wundert sich: Wenn durch den Kosmos            Teilchenprozesse während der ersten Sekundenbruch-
               nach seiner Urknall-Geburt tatsächlich gleich viele Teil-   teile des Kosmos hatten offenbar nur zu einer winzi-
               chen wie Anti-Teilchen geschwirrt wären, wäre seine         gen Überzahl von Baryonen geführt; unter jeweils
               Geschichte schnell zu Ende gewesen. Materie und Anti-       Milliarden von Baryonen und Anti-Baryonen, die sich
               Materie hätten sich gegenseitig wieder ausgelöscht.         gegenseitig auslöschten, konnten jeweils nur ganz we-
               Übriggeblieben wäre ein langweiliges Weltall voller         nige überzählige Baryonen der Vernichtung entgehen.
               Strahlung, aber ohne jegliche Materie. Zweifellos je-       Doch dieser kleine Überrest wurde zum Baustoff für die
               doch gibt es heute Sterne und Planeten und Lebewesen        weitere Entwicklung des Kosmos, für Sterne, Planeten,
               aus Fleisch und Blut. Aber könnte nicht ein Teil dieser     Lebewesen.
               Materie in Wahrheit Anti-Materie sein? Leuchten im
                                                                           Verdanken wir unsere materielle Existenz also Symme-
               Kosmos auch Anti-Sterne, um die sich Anti-Planeten
                                                                           trieverletzungen in der merkwürdigen Quantenwelt der
               drehen, auf denen vielleicht sogar Anti-Außerirdische
                                                                           Elementarteilchen während der allerersten Momente
               leben? Guter Stoff für Science-Fiction-Geschichten –
                                                                           des Kosmos? Schon möglich: Die Quantenphysiker konn-
               doch bis jetzt gibt es keinen Hinweis darauf, dass es
                                                                           ten tatsächlich bereits einige Teilchen aufspüren, deren
               irgendwo im Weltall noch nennenswerte Mengen von
                                                                           Antiteilchen sich nicht wie exakte Spiegelbilder verhal-
               Anti-Materie gibt. Warum also ist im Weltall offenbar
                                                                           ten. Die berühmtesten solcher Symmetriebrecher sind
               nur Materie übriggeblieben, während die zunächst in
                                                                           die Meseonen. Meseonen sind subatomare Teilchen,
               gleichen Mengen vorhandene Anti-Materie ausgelöscht
                                                                           die in Teilchenbeschleunigern erzeugt werden können
               wurde?
                                                                           und rasch wieder zerfallen. Schon 1964 entdeckten die
               Der sowjetische Atomphysiker, Menschenrechtler und          US-amerikanischen Physiker James Cronin und Val
               Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharow lieferte 1967      Fitch beim Zerfall von K-Meseonen eine unerwartete

          12
Materie und Antimaterie

                                                                                                                             SPECIAL
Unregelmäßigkeit. Der Theorie zufolge sollten bestimm-       können sie zu den einzelnen Experimenten geleitet
te K-Meseonen in drei leichtere Teilchen, Pionen, zerfal-    werden. Zum Beispiel in die „Penning-Fallen“ des Pro-
len. Doch bei Experimenten am National Laboratory in         jektes „Base“, benannt nach dem holländischen Phy-
Brookhaven zerfielen manche dieser K-Meseonen nur            siker Frans Penning, der das Prinzip der Fallen schon
in zwei Pisionen. Dieses überraschende Zerfallsergeb-        1936 beschrieb: Durch eine geschickte Kombination von
nis aber zeigte genau eine jener Symmetrieverletzun-         elektrischen und magnetischen Feldern hindern sie ge-
gen an, bei denen laut Andrej Sacharow mehr Materie          ladene Teilchen am Entkommen. Stefan Ulmer und sei-
entstehen konnte als Anti-Materie. Mittlerweile haben        ne Forschungskollegen sperren also Anti-Protonen in
die Elementarteilchenphysiker ähnliche Symmetrie-            „Penning-Fallen“ ein und vermessen ihre Eigenschaf-
verletzungen auch bei Zerfällen von B-Meseonen und           ten. Jahrelang, wenn es sein muss. Ein Weltrekord. Zeit
D-Meseonen festgestellt. Trotzdem reichen die bis jetzt      genug, um „mit unschuldiger Neugier auch einmal dort
gefundenen Symmetriebrüche bei Weitem nicht aus,             nachzuschauen, wo bisher niemand gesucht hat“, wie
um den Überschuss an Materie zu erklären, der seiner         Ulmer dem Tagesspiegel erklärte: Sind Anti-Protonen
Auslöschung durch Anti-Materie entgehen konnte. Die          vielleicht gleichsam Antennen, die Signale der Dunk-
Materiemengen, die man heute im Weltall vorfindet,           len Materie auffangen können? Die meisten Physiker
verdichtet in Sternen und Planeten und locker verteilt       vermuten, dass Dunkle Materie aus noch unbekannten
in Gas- und Staubwolken, sind dafür viel zu groß.            Elementarteilchen besteht.

                                                             Einer der aussichtsreichsten Partikelkandidaten ist ein
Dunkle Materie                                               hypothetisches Teilchen namens „Axion“. Sollte es die-
Neben diesem ungelösten Rätsel des Sieges der Mate-          se Teilchen tatsächlich geben, dann könnten sie viel-
rie über die Anti-Materie stehen die Physiker vor einem      leicht – vielleicht ! - mit Anti-Protonen wechselwirken.
weiteren Materierätsel. Es heißt „Dunkle Materie“. Der       Axionen könnten die rotierenden Anti-Protonen ein
Name entspricht dem aktuellen Kenntnisstand: Nie-            bisschen zum Taumeln bringen. Ähnlich wie ein Spiel-
mand hat bis jetzt Dunkle Materie direkt gesehen. Sie        zeugkreisel ins Taumeln gerät, wenn man ihn anstößt.
verrät sich nur durch ihre Anziehungskraft, ihre Gravi-
                                                             Und wie haben sich die Anti-Protonen in den Penning-
tation. Um alle im Kosmos beobachteten Bewegungen
                                                             Fallen tatsächlich verhalten? Zeigten sich irgendwelche
erklären zu können - zum Beispiel die Bewegungen der
                                                             Unregelmäßigkeiten bei ihrer Rotation, ihrem soge-
Sterne in Galaxien – muss zusätzlich zur „normalen“
                                                             nannten „Spin“?
Materie fünf Mal mehr Dunkle Materie durch den Kos-
mos treiben und ihre Gravitation entfalten. Und hier         Im Fachblatt „Nature“ haben Ulmer und seine Kollegen
kommt der Experimentalphysiker Stefan Ulmer ins              das Ergebnis ihrer Experimente veröffentlicht. Ulmer
Spiel. Vielleicht – so seine überraschende Idee – hat        fasst es so zusammen: „Wir haben nach solchen Signa-
das Rätsel der verschwundenen Anti-Materie etwas zu          turen gesucht, aber keine Überraschungen gefunden“.
tun mit der Dunklen Materie. Ulmer leitet das Projekt        Zwar wäre es „eine super Sache“ gewesen. Denn ein
„Base“, das Baryon-Antibaryon-Symmetrie-Experiment           positives Versuchsergebnis hätte vielleicht gleich zwei
am CERN bei Genf, der weltweit größten Forschungs-           der größten aktuellen Rätsel der modernen Physik lö-
einrichtung für Teilchenphysik. Mit dabei in seiner          sen können: Es gibt tatsächlich Axionen als Teilchen
Forschungsgruppe sind Wissenschaftler vom Helm-              der Dunklen Materie. Und zudem hätte eine unerwartet
holtz-Institut der Universität Mainz. Die Objekte ihrer      große Wechselwirkung der Axionen mit Anti-Materie
Neugier sind dabei die Atomkerne des Wasserstoffs            vielleicht erklären können, warum unsere Welt heute
und ihre Anti-Teilchen; in der Fachgruppe heißen sie         aus Materie besteht. Aber Stefan Ulmer und seine Kol-
„Protonen“ und „Anti-Protonen“. Da es in unserer Welt        legen geben nicht auf: „Wir entwickeln derzeit ein Ex-
– zum Glück! - offenbar keine Anti-Protonen mehr gibt,       periment, das um den Faktor 10 genauer und mit grö-
müssen sie künstlich erzeugt werden. In der „Anti-           ßerer Detektionsbandbreite messen wird“. Immerhin
Materie-Fabrik“ des CERN ist dies heutzutage geradezu        könnten die Forscher dabei dem Materierätsel unserer
Alltagsgeschäft geworden. Nachdem die Anti-Protonen          Existenz auf die Spur kommen. Denn noch immer wis-
dort mithilfe eines Teilchenbeschleunigers erst einmal       sen wir nicht, warum die Geschichte des Kosmos zum
erzeugt wurden, müssen sie anschließend wieder auf           Glück anders verlaufen ist, als Mephistopheles in Goe-
etwa ein Zehntel der Lichtgeschwindigkeit abgebremst         thes Faust es sich wünschte: „Denn alles, was entsteht,
werden. Dies geschieht in den magnetischen und elekt-        ist wert dass es zugrunde geht; drum besser wär´s,
rischen Feldern eines Teilchenentschleunigers. Danach        dass nichts entstünde“.

                                                                                                                        13
Grundlagen der Astrobiologie
AKTUELL

                      Vorläufiges aus der Theorie-AG
                      Dr. Rainer E. Zimmermann – WFS Berlin

                                                                                  Evolution in Sprüngen
                                                                                  Die Theorie-AG in der WFS hatte sich mit Blick auf die-
                                                                                  se Entwicklung bei ihrer Gründung 2019 im Nachgang
                                                                                  zu einem einjährigen Kurs über theoretische Physik als
                                                                                  Schwerpunkt eher die physikalischen Grundlagen der
                                                                                  Astrobiologie vorgenommen. Vor allem auch deshalb,
                                                                                  weil sich schnell herausgestellt hat, dass das Nachden-
                                                                                  ken über Lebensformen auch viel mit Struktur und Evo-
                                                                                  lution der ganzen Biosphäre zu tun hat, so dass insbe-
                                                                                  sondere auch die Wechselwirkung von Lebensformen,
                                                                                  Vegetation, Klimaverhältnissen und Energiesituation
                                                                                  in Rechnung gestellt werden muss. Und diese Fragen
                                                                                  haben kürzlich auch in ökonomischer und politischer
                                                                                  Hinsicht neuerlich an Bedeutung gewonnen.
                                                                                  In der AG ist das Thema zunächst auf die Physik hin
                                                                                  zugespitzt worden: So zeigt sich alsbald, wie schon
                                                                                  angedeutet, daß Leben im Universum eher die Regel
                                                                                  ist und kein Sonderfall. Somit stellt sich die Evoluti-
                                                                                  on im Grunde als etwas dar, was weniger durch eine
                                                                                  kontinuierliche Entwicklung, als vielmehr durch qua-
                                                                                  litative Sprünge gekennzeichnet ist: Es gibt offensicht-
                                                                                  lich wesentliche Übergänge von physikalischen zu
                      Obwohl die Kosmologie Einsteins von Beginn an so
                                                                                  chemischen, biologischen, soziologischen Strukturen.
                      eingerichtet ist, dass die Existenz außerirdischen Le-
                                                                                  Insofern verwundert es nicht, dass die tradierte Ar-
                      bens fast schon trivial erscheint – weil doch bereits das
                                                                                  beitsteilung in den Wissenschaften der letzten beiden
                      Kosmologische Prinzip, axiomatischer Ausgangspunkt
                                                                                  Jahrhunderte eine fachliche Abgrenzung bewirkt hat,
                      aller nachfolgenden Überlegungen, sicherstellt, dass
                                                                                  die aber nicht wirklich ganz präzise vorgenommen wer-
                      die Physik überall im Universum als gleich angesehen
                                                                                  den kann, weil es immer auch Überschneidungen und
                      werden kann – stand die Suche nach außerirdischem
                                                                                  Ausnahmen gibt. Die Einführung von Übergangsdiszip-
                      Leben im vorigen Jahrhundert nicht gerade im Vorder-
                                                                                  linen (physikalische Chemie, Biochemie usw.) ist dabei
                      grund der Forschung. Bestenfalls noch die Mitglieder
                                                                                  nur eine vorübergehende, aber keine wirklich befriedi-
                      des SETI-Projektes haben sich mit der Fragestellung
                                                                                  gende Lösung.
                      beschäftigt, freilich mit dem Schwerpunkt auf außer-
                      irdischen intelligenten (man kann durchaus sagen:           Mithin leuchtet die fundamentale Rolle der Physik
                      menschlichen) Lebewesen. Allerdings versteht es sich        zwar unmittelbar ein, aber die weitergehenden, auf
                      dabei von selbst, dass intelligentem Leben rein evolu-      andere Fächer verweisenden Definitionen sind noch
                      tionstechnisch zahlreiche andere Lebensformen vor-          nicht wirklich etabliert. Die Frage: Was ist Leben? etwa
                      angehen müssen, so dass deren Beobachtung und die           verlangt nach einer definitorischen Präzision, die noch
                      Beobachtung ihrer planetaren Bedingungen eine Vor-          nicht gegeben werden kann. Dieses Schicksal teilt sie
                      aussetzung dafür sind, um im Sinne des SETI-Projek-         mit der ähnlichen Frage: Was ist Bewusstsein? Ganz zu
                      tes weiter vorgehen zu können. Erst in den neunziger        schweigen von der umfassenden Frage: Warum gibt es
      BERICHTE

                      Jahren des vorigen Jahrhunderts hat die Forschung in        überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts? (Spätes-
                      diesem Zusammenhang Fahrt aufgenommen, nachdem              tens seit Schelling eine maßgebliche Fragestellung in
                      zahlreiche Planeten außerhalb unseres Sonnensystems         der Philosophie.) Mittelbar verweisen also Fragen der
                      entdeckt worden sind, darunter etliche, die imstande        physikalischen Grundlegung sofort auch auf Fragen der
                      wären, Leben zu tragen. Allmählich hat sich dann das        philosophischen – zumindest der erkenntnistheoreti-
                      Interesse an diesem Thema verstärkt, und dieses wurde       schen – Grundlegung. Und eine stringente Bearbeitung
                      im übrigen auch wieder auf das eigene Sonnensystem          des Themas ist genuin interdisziplinärer Natur.
                      zurückgelenkt. Dieser Tage befindet sich sogar ein Ro-
                      ver auf dem Mars, dessen wesentliche Aufgabe an die
                      Suche nach Lebensspuren geknüpft ist.

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