2021 Wilhelm-Foerster-Sternwarte e.V.
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AUSGABE 11 JUNI | JULI | AUGUST | SEPTEMBER 2021 für Mitglieder Mitteilungen | Informationen | Programm Erste Farbfotografie einer Sonnenfinsterrnis (1954), Foto: H. B. Brenske Ringförmige Sonnenfinsternis – Donnerstag, 10. Juni 2021 Wilhelm-Foerster-Sternwarte e.V. Zeiss-Planetarium am Insulaner
INFORMATION – KOMMUNIKATION – TRANSPARENZ – TEILHABE Liebe Mitglieder, Am 11. August 1951 wurde mit der Enthüllung des Ge- Normalerweise ist die gefühlte Gegenwart immer denksteines durch die damalige Bezirksbürgermeiste- schnell zu Ende. Gefühlt versetzt jeder neue Tag den rin Dr. Ella Barowsky der Insulaner feierlich eingeweiht. gestrigen in die Vergangenheit. In dieser Zeit der Pan- demie, in einem gefühlt ewigen „Lockdown“ scheint die Der Gedenkstein trägt die Inschrift: „Geschaffen in den Zeit dagegen still zu stehen. Statt die Pläne für morgen Jahren 1945 bis 1951 aus Trümmern des 2. Weltkieges auch an diesem morgigen Tag verwirklichen zu kön- trotz Not und Blockade“. nen, müssen wir erkennen, dass alle Pläne auch nur Wünsche waren, deren hoffentliche Umsetzung wir in Was hat dieser Rückblick mit unserem Verein, eine Zukunft X verschieben. dem Wilhelm-Foerster-Sternwarte e.V. zu tun? Der neue Berg in der südlichsten Ecke Schönebergs Zum ersten Mal seit der Eröffnung des Planetariums war ein neuer, zuvor nicht existierender Boden, auf der am Insulaner im Jahr 1965 konnten wir über einen ge- dann 1963 die Sternwarte und 1965 das Planetarium fühlt ewig währenden Zeitraum keine Wissenschaftli- am „Insulaner“ von unserem Verein Wilhelm-Foerster- chen Mittwochsvorträge im Planetarium anbieten. Das Sternwarte e.V. gebaut wurden. Die Gebäude sind bis in hatte nicht nur Einnahmeverluste zur Folge. eine hoffentlich ferne Zukunft mit diesem „Insulaner“ Die eigentlich für April vorgesehene Mitgliederver- verbunden. Seit Anbeginn 1963 übt unser Verein in den sammlung musste auf den Herbst verschoben werden, Räumen von Sternwarte und Planetarium am Insulaner in der Hoffnung auf einen dann wieder „normalen Be- seine Aufgaben in der Astronomischen Volksbildung trieb“. aus. So wie man wissen sollte, wo man wohnt und wann das Haus in dem man lebt gebaut wurde, so sollte man Unser Verein lebt zur Zeit von seinen Recourcen. Das für seine eigene Zukunft auch abschätzen können, wie sind seine, nach wie vor vielen Mitglieder! und seine lange man in diesem Haus noch wohnen kann und darf. Partner*innen, Freunde und Förder*innen. Vergangenheit und Zukunft erscheinen in dieser Hin- Überraschend viele Mitglieder in den Arbeitsgruppen sicht untrennbar miteinander verbunden. (siehe Seite 22) sind in dieser Zeit des Stillstandes regel- mäßig im Verein aktiv. Die Arbeitsgruppen treffen sich Albert Einstein am 21. März 1955 online. Besonders erfolgreich in diesem Format sind Für uns gläubige Physiker hat die Scheidung dabei die Berliner Mondbeobachter. Durch die sehr an- zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sprechenden virtuellen Zusammenkünfte konnte unser nur die Bedeutung einer, wenn auch hartnäckigen Illusion. Verein neue Mitglieder in Ostfriesland, aus einer dor- tigen „Mondgruppe“ hinzugewinnen. Mehrere Mitglie- Albert Einsteins Weisheit, am Ende seines Lebens for- der des „Aufräum- und Archivierungsteams“ betreuten muliert, hilft mehr dem*der Philosoph*in, enthält aber und betreuen weiterhin besonders unsere Bibliothek keine praktische Handlungsanweisung für die Bewälti- vor Ort. Hier gründet sich zur Zeit eine neue Arbeits- gung von Krisen. Trotzdem scheinen in Krisen Gegen- gruppe Bibliothek (AB) (siehe Seite 23). wart und Zukunft ineinander zu verschwimmen. Diese Betrachtungsweise ist auch für unseren Verein, den Wilhelm-Foerster-Sternwarte e.V. interessant. Wissenschaft am Mittwoch Dr. Karl-Friedrich Hoffmann 4 INHALT SERIE TEIL 6 | Götter und Planeten im Alten Orient Dr. Friedhelm Pedde 6 Der Einsteinturm Dr. Brigitte Pedde 8 AKTUELL Aus der Schatzkammer der WFS Gerold Faß 11 Materie und Antimaterie Otto Wöhrbach 12 Grundlagen der Astrobiologie Dr. Rainer E. Zimmermann 14 Fabricius – Sonnenflecken Gerold Faß 17 Das 70 cm-Zeiss-Spiegelteleskop der WFS Berlin Jürgen Heyne 20 Informationen für unsere Mitglieder IMPRESSUM | BIBLIOTHEK 22 BÜCHERECKE Dr. Friedhelm Pedde | Siglinde Hacke 24 Edgar Mädlow – Erinnerungen Gerold Faß | Helene von Tauchnitz 26 Sonne, Mond, Planeten | Sternhimmel Uwe Marth 29 2
Einladung zur Mitgliederversammlung AKTUELL – 6. Oktober 2021 Ein Kreis erfahrener Beobachter und Techniker, geleitet Leichte Einschränkungen müssen wir aber vornehmen von Dieter Maiwald, pflegt regelmäßig die Instrumen- – unsere Vereinsschrift wird von 4 Ausgaben auf 3 Aus- te auf der Sternwarte und setzt sich besonders für die gaben pro Jahr reduziert. Wir hoffen aber, dass Sie mit neue Steuerung des 12-Zoll-Refraktors ein. Darüberhin- der Ausrichtung und dem Stil des Heftes weiterhin zu- aus pflegen sie die Zusammenarbeit mit der Firma 4H- frieden sind. Jena für die Restaurierung und Erneuerung des 70 cm Pläne für die Zukunft entspringen der Hoffnung auf Zeiss-Spiegelteleskopes (siehe Bericht Seite 20). eine gute Zukunf unseres Vereins. Der Vorstand möchte Diese Restaurierung kommt infolge des langen Lock- an dieser Stelle einige davon, die auf Eis liegen, noch- downs nur zögerlich voran, so dass wir die Stiftung mal in Erinnerung rufen. Deutsche Klassenlotterie Berlin, die dieses Projekt fi- nanziert, um eine Verlängerung des Bewilligungszeit- Pläne raumes bitten. Wissenschaftliche Mittwochsvorträge Unser Kooperationspartner, die Stiftung Planetarium ab September 2021 im Planetarium. Berlin, sorgt erfreulicherweise sehr fürsorglich für ein Eine Mitgliederversammlung positives Verhältnis zu unserem Verein. So konnten am 6. Oktober 2021 im Planetarium. und können wir auch im Lockdown die Räume für Ver- einszwecke nutzen und die BIM sorgt im Auftrag der Kurse und Praktika – Stiftung stets für einen guten Gebäudezustand. Das ab Herbst 2021 wieder anbieten. kommt nicht von ungefähr. Unser Koordinator Oliver Die Bibliothek neu strukturieren und Hanke sorgt für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit verstärkt für Mitglieder öffnen. mit der Stiftung und Dr. Monika Staesche, Mareike Marth, Belgin Uzan, Heiko Horn und Jürgen Neye un- Das Projekt „Restaurierung und Erneuerung terstützen täglich in freundschaftlicher Verbundenheit des 70 cm Zeiss-Spiegelteleskopes“ nach dieser die Aufgaben und Arbeiten unseres Vereins am Insu- Zwangspause wieder erfolgreich weiterbearbeiten. laner. Einen Tag der „Offenen Tür“ für Mitglieder im Herbst. Ohne die vielen Mitgliedsbeiträge unserer Mitglieder und ohne zusätzliche finanzielle Spenden von weite- ren Freund*innen und Förder*innen unseres Vereins Ihr Vorstand könnten wir unsere Aufgaben in dieser Krise nicht so e Gesellschaft, Unser Verein ist, wie jed erfüllen, wie wir es tun. Dafür sind wir Ihnen und allen hr die Leistungen umso erfolgreicher, je me weiteren Förder*innen sehr dankbar. nt werden. Jedes In- des Einzelnen anerkan sellschaft hat einen dividium in unserer Ge ng und Respekt. Anspruch auf Anerkennu An alle Mitglieder – Berlin, 17. Mai 2021 Einladung zur ordentlichen Mitgliederversammlung am Mittwoch, 6. Oktober 2021, 19 Uhr im Planetarium am Insulaner Tagesordnung: ungen des Vereins TOP 1 Bericht des Vorstandes Die Mitgliederversamml warte e.V. sind ge- TOP 2 Aussprache Wilhelm-Foerster-Stern ngen – keine Gäste! TOP 3 Bericht der Kassenprüfer schlossene Veranstaltu TOP 4 Entlastung des Vorstandes TOP 5 Wahl des Vorstandes nach der Satzung vom April 2017 TOP 5 Bestätigung des Beirats TOP 5 Wahl der Kassenprüfer für 2021 TOP 6 Verschiedenes Der Vorstand – Gez.: Dr. K.-F. Hoffmann (1.Vorsitzender), Sibylle Fröhlich (2.Vorsitzende), Olaf Fiebig (Schatzmeister), Gerold Faß (Schriftführer), Dieter Maiwald (Stv. Schriftführer) 3
RÜCKBLICK Liebe Mitglieder, Dr. Karl-Friedrich Hoffmann – WFS Berlin auf diesen Seiten erwarten Sie regelmäßig die Ankün- So wurden die Mittwochsvorträge beim Publikum digungen für die kommenden Mittwochsvorträge – un- schnell beliebt und rege besucht. Auch die eingelade- sere traditionelle Verbindung zu Wissenschaft und Kul- nen Wissenschaftler*innen freuten sich über das sehr tur aus Vergangenheit und Gegenwart. Nachdem nun interessierte Publikum und standen häufig noch lange die Corona-Pandemie über ein Jahr (mit einer kleinen nach Vortragsende den wissbegierigen Besucher*innen Unterbrechung) die Mittwochsveranstaltungen unmög- Rede und Antwort. lich gemacht hat ist uns der Wert dieser persönlichen Viele von ihnen kamen deshalb zur der jungen Stern- Informationsplattform so richtig bewusst geworden. warte gern ein weiteres Mal zu einem Vortragsbesuch! Was hat es nicht alles an spannenden Entwicklungen Wenn Ihnen, liebe Mitglieder, diese Zustandsbeschrei- in Astronomie, Raumfahrt und Geowissenschaften im bung aus den 50er Jahren sehr vertraut vorkommt – so letzten Jahr gegeben … ist es auch bis heute geblieben. Seit 65 Jahren regelmä- Nur über digitale Medien konnten wir uns „auf dem ßig bis zum aktuellen „Lockdown“ in 2020 stand der Laufenden“ halten, es fehlt so sehr das erklärende Wort Mittwoch an der Wilhelm-Foerster-Sternwarte ohne Un- der am Geschehen beteiligten Wissenschaftler, der Ken- terbrechung im Zeichen aktueller Wissenschaft, Einbli- ner und Macher! cken in historische Astronomie und Kulturgeschichte und … der Raumfahrt. Zunächst die neue Sternwarte Die „Mittwochsvorträge“ sind ein wesentliches Stand- auf dem Insulaner und schließlich das Planetarium bein unseres Vereins. Ihre Einrichtung reicht zurück bieten seit den 60er Jahren einen ansehnlichen Veran- bis in die Anfangsjahre. In den ersten Aufbaujahren staltungsort, der auch die erweiterten technischen Be- von 1947 bis 1954 konnte zunächst die Halbruine in der dürfnisse der Vortragenden mit zeitgemäßer moderner Papestrasse Schritt für Schritt für Beobachtungen und Ausrüstung zufrieden stellen kann. den Aufbau des Bamberg-Refraktors hergerichtet wer- Und die Besucher (Mitglieder und Gäste!) haben all den, ein bescheidener beheizbarer Vortragsraum mit die Jahre bis heute der Veranstaltungsreihe ihre Treue Projektionseinrichtung für eine größere Zuhörerschaft bewahrt. Bei über 2000 Terminen (!) kann hier nur an (ca. 100 Plätze) konnte aber erst im Januar 1955 in Be- wenige Highlights erinnert werden: trieb genommen werden, auch wenn die räumlichen Gegebenheiten nicht optimal waren (bei starkem Re- So hat Harro Zimmer seit 1963 an über 190 dokumen- gen lief das Wasser an den Wänden herunter). Seit die- tierten Terminen die Berliner vor allem über aktuelle WISSENSCHAFT AM MITTWOCH sem Zeitpunkt wurden einmal wöchentlich öffentliche Raumfahrt-Themen informiert – meist bei vollem oder Lichtbild-Vorträge angeboten, zunächst am Donnerstag, überfülltem Haus, zuletzt am 5. Dezember 2018 über ab September 1956 dann aber am Mittwoch. Dies war „50 Jahre Apollo 8“. Genau diesen Astronauten hatten eine bewusste Entscheidung des Vorstandes unter dem wir zu Besuch, den Amerikaner Neil Armstrong nach Vorsitz von Richard Sommer: es sollte eine ideelle Ver- seiner spektakulären Mondumrundung zu Weihnach- bindung zu der legendären „Mittwochsgesellschaft“ in ten 1968 mit Apollo 8 schon am 12. Februar 1969. den Räumen der Berliner Sing-Akademie hergestellt Auch deutsche ESA-Astronauten standen auf dem werden, die Alexander von Humboldt über 100 Jahre Podium des Planetariums und hinterließen lebendige zuvor ins Leben gerufen hatte, um Wissenschaftler zur Eindrücke von dem ehrgeizigsten aller Menschheitspro- öffentlichen und populären Verbreitung ihres Wissens jekte. Nach dem Mauerfall fand auch der erste deutsche zu verpflichten. Wilhelm Foerster hat davon regen Ge- Weltraumfahrer sein Publikum im (West-)Planetarium: brauch gemacht und wurde deshalb von vielen aka- Siegmund Jähn referierte am 24. Oktober 2012 über die demischen Kollegen als „Singakademiker“ verspottet deutschen Beiträge zur bemannten Raumfahrt; wir er- – der kurzsichtige Blickwinkel des „Elfenbeinturms“! lebten einen bescheidenen, liebenswürdigen Menschen Erst Albert Einstein hat in einer eindeutigen Stellung- mit überzeugender Kompetenz! nahme die verständliche Vermittlung von wissenschaft- Auch die Experimentalvorträge von Bernhard Wedel in licher Erkenntnis für alle Menschen als „Bringschuld“ den 70er Jahren zu grundlegenden physikalisch-astro- der Wissenschaft angemahnt. nomischen Gesetzmäßigkeiten sollen hier noch in Erin- nerung gerufen werden. Schon in den ersten Jahren der Mittwochsvorträge in der Papestrasse, die zunächst vorwiegend von Mitglie- Vieles andere wird Ihnen, liebes Mitglied, jetzt viel- dern gehalten wurden, konnten auch auswärtige Red- leicht aus der Erinnerung wachgerufen. Wenn Sie Lust ner gewonnen werden, vor allem von der Technischen haben schreiben Sie uns Ihr persönliches Highlight! und Freien Universität und von den Sternwarten in Wir sammeln Ihre Erlebnisse im Planetarium und/oder Sonneberg, Potsdam und Babelsberg – das war vor der auf der Sternwarte und denken an eine gelegentliche Errichtung der Mauer möglich! Veröffentlichung. 4
VORAUSBLICK Jeweils um 20.00 Uhr sulaner im Planetarium am In Nach der Zwangspause und den Sommerferien wollen PS: Und denken Sie noch daran, dass wir Teil der Stif- wir im August wieder „loslegen“ am Mittwoch mit aktu- tung Planetarium sind und Sie viele Veranstaltungen ellen Informationen aus Wissenschaft und Raumfahrt. kostenlos oder mit ermäßigtem Eintritt auch in den an- Viele der (z.T mehrfach) abgesagten Termine sollen deren Häusern nutzen können; dort wird voraussicht- nun Wirklichkeit werden, die Referent*innen stehen lich ab Juli der Betrieb wieder aufgenommen. Schauen „in den Startlöchern“ und hoffen mit uns allen, dass die Sie nach unter www.planetarium.berlin. Betrachten Sie neuen Terminvereinbarungen nun auch Bestand haben! diese Möglichkeit doch wirklich als Teil Ihrer Mitglied- Unsere Aufgabe bleibt, Sie zeitnah mit Hilfe von Fach- schaft in der Wilhelm-Foerster-Sternwarte Berlin e.V.! leuten über aktuelle Entwicklungen zu informieren und Die dort veröffentlichten online-Angebote sind eine der Wissenschaft zu ermöglichen, ihre „Bringschuld“ gute Möglichkeit jetzt auf dem Laufenden zu bleiben. auch im 21. Jahrhundert zu begleichen, getreu unserem Besonders zu empfehlen ist der Stream eines Exper- Motto „dem Himmel nahe – der Erde verbunden“! tengespräches mit Professorin Dr. Heike Rauer von der DLR in Adlershof über Ihre Forschung an Exoplaneten! (Schauen Sie dazu auch in unsere Ausgabe 9, Seiten 6 und 7!) August 2021 September 2021 11. August Dr. Monika Staesche 1. | 8. | 15. | 22. September – Siftung Planetarium Berlin und WFS Berlin Diese Termine sind bei Redaktionsschluss noch offen. Bitte schauen Sie regelmäßig auf unsere Neues aus Astronomie und Raumfahrt Internetseite www.wfs.berlin Der Start zur Wiederaufnahme der Mittwochsvorträge: Im letzten Jahr sind z.T. bahnbrechende Erkenntnisse 29. September Dr. Franziska Knoll erzielt worden und spektakuläre Raumfahrtunterneh- – Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie, men gelungen. Lassen Sie uns schauen und hören was alles davon in 90 Minuten berichtet werden kann. Halle WISSENSCHAFT AM MITTWOCH Pömmelte – Stonhenge – Nebra – 18. August Dieter Heinlein Monumente des 3./2. Jahrtausends – Augsburg und Feuerkugelnetz der DLR v. Chr. im Spiegel der Sonne Das DLR auf Meteoritenjagd Zu Recht wird das Ringheiligtum bei Pömmelte, unweit Als Fortführung seines Vortrags vom September 2020 von Magdeburg in der Elbaue gelegen, als deutsches berichtet Herr Heinlein über aktuelle Meteoritenfälle Stonehenge bezeichnet. Zwar wurde die Kreisgraben- und Entdeckungen in Deutschland und ihre wissen- anlage in Sachsen-Anhalt aus Holz errichtet, der Inner- schaftliche Bedeutung, u.a. die vier echten deutschen Circle in Stonhenge, wie der Name schon sagt, aus Stein Steinmeteoriten und der 30 kg schwere Meteorit von – trotzdem einen beide Monumente zahlreiche Paralle- Blaubeuren, ein Bote aus der Entstehungszeit des Son- len: Alle diese Anlagen sind auf bestimmte markante nensystems! Termine im Jahreslauf ausgerichtet. Genau diese Bezü- ge finden sich auch auf der Himmelsscheibe von Nebra 25. August Carsten Busch wieder. Folgen Sie dem Lauf der Sonne, von der späten – Studienkolleg-Hamburg Stein- in die frühe Bronzezeit! Dunkle Sonne Im Juni 1918 hat uns Herr Busch einen umfassenden Überblick über die Entdeckung der Kernspaltung bis zum Einsatz der ersten Atombomben gegeben. Die wei- tere Entwicklung der Kernwaffen in Ost und West nach 1945 wird beleuchtet und ihre Wirkungen bei einem Albert Einstein am 10. Februar 1954 möglichen militärischen Einsatz. Die Gefahren sind Falls Gott die Welt erschaffen hat, trotz Reduzierung der Kernwaffenlager immer noch war seine Hauptsorge sicherlich nicht, global! sie so zu machen, dass wir sie verstehen können. 5
SERIE TEIL 6 Götter und Planeten im Alten Orient Schamasch und die Sonne Dr. Friedhelm Pedde – Archäologe| WFS Berlin Zwar sind Sonne und Mond nach heutigen Erkenntnis- sen keine Planeten, sie wurden im Alten Orient aber zusammen mit den fünf sichtbaren, tatsächlichen Pla- neten als solche angesehen, da sie sich, anders als die Fixsterne, ebenfalls in der Ekliptik über den Himmel bewegen. Der Gott Der Name des mesopotamischen Sonnengottes war su- merisch Utu, akkadisch Schamasch. Er war der Sohn des Mondgottes Sin und der Ningal und der Bruder der Venusgöttin Ischtar. Seine Gemahlin war Šerda/Aja (sumerisch bzw. akkadisch), die Göttin der Morgenrö- te. Obgleich die Sonne weit mehr als jeder andere Him- Der Sonnengott überreicht König Hammurabi die Herr- melskörper das Leben der Menschen bestimmt, gehörte schaftssymbole. Relief auf der Gesetzesstele des Hammurabi, Schamasch erstaunlicherweise nicht zu der allerobers- um 1700 v. Chr.; Kopie im Vorderasiatischen Museum Berlin ten Riege der Götter. Da die Sonne sich jeden Morgen (Foto: Brigitte Pedde 2020) zuverlässig über den Horizont erhebt und abends stets dahinter verschwindet, galt sie bzw. der Sonnengott als durch die Unterwelt fungierte Schamasch auch dort als besonders beständig. Das Sonnenlicht und die Sonnen- Unterweltsrichter. Er wurde auch um Beistand gebeten, wärme waren positiv konnotiert, da man in ihnen auch wenn es um die Abwehr von Unheil ging. Die Gebete die Ursache für Wachstum und Fruchtbarkeit erkannte. und Lösungsrituale fanden oft bei Sonnenaufgang statt, Das Licht dringt überall hin und erhellt alles, auch im ein als besonders wirkungsvoll angesehener Zeitpunkt. übertragenen Sinne. Vielleicht deshalb war Schamasch Der 20. Tag des Monats war der Tag des Schamasch. als allgegenwärtiger Richter für die Gerechtigkeit und An diesem Tage häuften sich Rechtsgeschäfte, denn Rechtsgeschäfte zuständig und trug die soziale Ver- er galt als besonders günstig. Als Lenker der Ordnung antwortung für die Minderbemittelten. Bei seiner ver- stand Schamasch dem Königtum nahe. So zeigt die be- meintlichen nächtlichen „Rückfahrt“ von West nach Ost rühmte Gesetzesstele des altbabylonischen Herrschers Hammurabi (um 1700 v. Chr.) auf einem Relief den ste- Der Sonnengott Schamasch steigt aus dem östlichen Gebirge, während die Göttin Ischtar als personifizierter Morgenstern bereits hoch über ihm steht. Ausschnitt einer Rollsiegelabrollung, Ende 3. Jahrtausend v. Chr.; London, Britisches Museum (W. Orthmann, Der Alte Orient, Berlin 1975, Abb. 135 e) henden König vor dem sitzenden Gott, von dem er die Herrschaftsinsignien entgegennimmt (Abb. oben). Schamasch war der Stadtgott von Sippar. In dieser südlich von Bagdad gelegenen Stadt befand sich wahr- scheinlich schon im 3. Jahrtausend v. Chr. sein Tempel É-babbar („weißes Haus“) und eine Zikkurat für ihn, und hier wird auch der ursprüngliche Aufstellungsort der Hammurabi-Stele vermutet. Im südirakischen Larsa befand sich ebenfalls ein Tempel für Schamasch und im nordirakischen Assur wurde er in einem Doppeltempel zusammen mit dem Mondgott Sin verehrt. Der Sonnengott wurde bereits seit dem 3. Jahrtausend abgebildet und in Keilschrifttexten erwähnt. Schamasch konnte in menschlicher Gestalt mit von den Schultern ausgehenden Strahlen dargestellt werden. Er steigt auf diesen Abbildungen morgens aus dem östlich der me- sopotamischen Tiefebene gelegenen Zagrosgebirge und hält dabei eine Säge in der Hand. Diese Säge ist sein Emblem, mit welcher er sinnbildlich die Dunkelheit bei seinem Aufstieg aus der Unterwelt zerteilt und darum „Öffner der Dunkelheit“ genannt wurde (Abb. links). 6
SERIE TEIL 6 Götter und Planeten im Alten Orient Schamasch und die Sonne Die Sonne im Westen, in der Regel den Tod des Königs, eine Nie- derlage im Krieg oder ähnliche Katastrophen. Bei die- Gleichwohl wird die Sonne aber auch häufig als Schei- sen Voraussagen spielte allerdings die Stellung der Pla- be mit Strahlen abgebildet (Abb. rechts), nicht selten als neten eine zusätzliche wichtige Rolle. astrale Trias zusammen mit einer Mondsichel und der achtstrahligen Venus. Sie entfaltete vermeintlich ihre Um die Positionen von Sonne, Mond und den fünf Plane- größte magische Kraft im Sternbild des Widders. ten genau berechnen zu können, benutzten die Babylo- nier vermutlich einfache Winkelmessinstrumente, die Naturgemäß spielte die Sonne in der mesopotamischen allerdings nicht erhalten sind, außerdem die Wasseruhr Astronomie und Astrologie eine herausragende Rolle. und für die Sonne den Gnomon. Sie entwickelten im In der 70 Tontafeln umfassenden Omen-Serie Enuma 5. Jh. v. Chr. das System des Tierkreises aus zwölf gleich Anu Enlil („als Anu und Enlil …“) aus dem 1. vorchristli- großen Himmelsabschnitten von jeweils 30 Grad, durch chen Jahrtausend behandeln allein 17 Tafeln die Sonne, welchen die Ekliptik verläuft, mit insgesamt also 360 von denen sich wiederum sieben mit Sonnenfinster- Grad. Diese Maßeinheit, die auf dem mesopotamischen nissen beschäftigen, die als „Weinen des Schamasch“ Sexagesimalsystem beruht, lebt in der Astronomie bis angesehen wurden. Sonnenfinsternisse gehörten für heute fort. die Menschen im Alten Orient zu den bedrohlichsten Himmelserscheinungen und verhießen in der Regel nichts Gutes für das eigene Land oder die Nachbarlän- der. Insbesondere wurde auch das Schicksal der Könige tangiert. Daher waren diese stets darauf bedacht, mit großem Aufwand nach Sonnen- und Mondfinsternissen sowie anderen Ereignissen am Himmel zu forschen. Vorgänge am Himmel waren vorhersehbarer und ihre Gesetzmäßigkeiten leichter erkennbar als irdische Na- turereignisse und wurden daher auch „Himmelsschrift“ genannt. Ganz unvorhergesehen scheint aber die erste im Alten Orient dokumentierte Sonnenfinsternis gewe- sen zu sein. Sie ereignete sich 1192 v. Chr. und wurde in der westsyrischen Hafenstadt Ugarit aufgezeichnet. Von den assyrischen Königen wissen wir durch ein großes Tontafelarchiv in der Hauptstadt Ninive aus dem 7. vorchristlichen Jahrhundert, dass Sternkundi- ge außer in der Hauptstadt über viele andere Städte im assyrischen Herrschaftsgebiet verteilt nach solchen Der Sonnengott in einem Schrein, vor ihm eine von Göttern Geschehnissen Ausschau hielten und den König um- gehaltene Sonnenscheibe auf einem Tisch. gehend informieren mussten. In einem Brief werden Steintafel aus Sippar, 853 v. Chr.; London, Britisches Museum diesbezüglich die Städte Assur, Babylon, Borsippa, (W. Orthmann, Der Alte Orient, Berlin 1975, Abb. 248) Uruk und Nippur genannt. Weil eine Sonnenfinsternis bekanntermaßen immer nur in einem begrenzten Strei- LITERATUR fen der Erdoberfläche zu sehen ist, über die der Mond- Joachim Bretschneider – Klaus-Dieter Linsmeier: Das Omen schatten wandert, war sie mit den damaligen Mög- von Ugarit, in: Spektrum der Wissenschaft, Juli 2006, 64-70 lichkeiten für einen bestimmten Ort nur sehr schwer Manfred Krebernik: Götter und Mythen des Alten Orients voraussagbar. Daher konnten die Gelehrten zwar häufig (München 2012) ein solches Ereignis vorhersagen, aber nicht immer traf die Eklipse auch am Ort tatsächlich ein. Bei partiellen Stefan M. Maul: Sonnenfinsternisse in Assyrien: Finsternissen wurde genau beschrieben, welche Seite Eine Bedrohung der Weltordnung, in: der Sonne sich verdunkelt hatte, denn die Sonnenschei- Sterne und Weltraum Nr. 9, 2000, 28-36 [digital 742-750] be war symbolisch unterteilt in die vier Regionen Ba- Mathieu Ossendrijver: Die Sonne im Alten Orient. bylonien (Süden), Assyrien (Norden), Syrien (Westen) Konzeptionen zwischen Mythos und Wissenschaft, in: und Iran (Osten). War also z. B. das für Syrien stehende A. Bärnreuther (Hrsg.), Die Sonne. Brennpunkt der Kulturen Viertel dunkel, bedeutete das Schlechtes für die Länder der Welt (München 2009), 54-65 7
Der Einsteinturm – eine assyrische Zikkurat? SPECIAL Dr. Brigitte Pedde – Kunsthistorikerin, Berlin Bauprojekts ließ für Mendelsohns künstlerische Krea- tivität genügend Spielraum. Gleich nach Mendelsohns Rückkehr aus dem 1. Weltkrieg nach Berlin im Novem- ber 1918 wurde der Plan zum Bau des Turmes konkret. Orientalistischer Stil Der Einsteinturm sollte kein für sich allein stehendes Gebäude sein, sondern Bestandteil eines bereits vor- handenen Gebäudeensembles werden. Bei der Pots- damer Anlage von Observatorien und angegliederten Instituten auf dem Telegrafenberg handelt es sich um eine astrophysikalische Forschungsanstalt, deren Ge- bäude über ein parkähnliches Gelände verstreut sind. 1875 war Paul Emmanuel Spieker mit der Ausarbeitung architektonischer Entwürfe beauftragt worden. Die Bauarbeiten dauerten bis Ende des 19. Jahrhunderts. Spieker, der sämtliche Bauten des 19. Jahrhunderts auf dem Telegrafenberg entwarf, war ein Schüler Fried- rich August Stülers gewesen. Stüler wiederum war mit Eduard Knoblauch einer der Architekten der Berliner Einsteinturm, Potsdam (Foto: Brigitte Pedde 2009) Erich Mendelsohn (1887 Allenstein/Ostpreußen – 1953 Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße, die von San Francisco/USA) war 31 Jahre alt, als er den Auf- 1859 bis 1866 errichtet worden war. Spieker griff bei trag für den Bau eines Sonnenobservatoriums erhielt. den Gebäuden des Telegrafenberges teilweise auf das Der Bau, der später den Namen Einsteinturm bekam, von Knoblauch und Stüler entwickelte orientalistische wurde zwischen 1920 und 1922 auf dem Telegrafenberg Formenrepertoire der Berliner Synagoge zurück. Am in Potsdam gebaut, die Inbetriebnahme erfolgte Ende deutlichsten wird dies bei den horizontalen, breiteren 1924 (Abb. oben). Mit diesem neuartigen und außerge- gelben und schmaleren roten Klinkerstreifen, aber wöhnlichen Gebäude, dessen Gestaltung vermeintlich auch den hohen, mit Rundbogen abgeschlossenen Fens- keinem bekannten Vorbild folgte, begann Mendelsohns tern, den umlaufenden Sternenfriesen aus buntglasier- Karriere als beachteter Architekt. Das Gebäude selbst ten Ziegeln und der Betonung der Kranzgesimse mit wurde zu einer Ikone des Expressionismus. plastischen Ornamentfriesen. Die Südseite des frühe- ren astrophysikalischen Observatoriums, das 1879 fer- Die Vorgaben tig gestellt wurde, zeigt analog zur Berliner Synagoge Der Auftraggeber für das Observatorium war der As- trophysiker Erwin Freundlich (seit 1939 Finlay Freund- Erich Mendelsohn, Einsteinturm, Skizze mit der Ansicht lich, siehe Mitgliederzeitschrift, Nr. 9, S. 9-10), den Mendelsohn in Berlin kennengelernt hatte. Freundlich der Frontseite, um 1919, Berlin, Kunstbibliothek war Assistent an der Babelsberger Sternwarte und setz- te sich für den Bau eines Gebäudes ein, das der expe- rimentellen Prüfung von Albert Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie dienen sollte. Bereits 1917 richtete Freundlich an Erich Mendelsohn den Wunsch, Skizzen (Achenbach 1995, 67, Abb. 59) für ein Sonnenobservatorium anzufertigen. In einem Brief vom 2. Juli 1918 wurde Freundlich konkret und teilte Mendelsohn seine Vorgaben mit. Er beauftragte ihn „ein Turmteleskop in Form eines schornsteinförmi- gen Betonturms, ebenerdig als Verbindung ein kleines, ein bis zwei Räume einschließendes Gebäude“ zu er- richten. Ferner fügte er dem Brief eine einfache Skizze eines schlanken, sich nach oben verjüngenden Turmes bei. Diese knappe Beschreibung und Vorzeichnung des 8
Assyrische Zikkurat, Rekonstruktionszeichnung von Charles Chipiez (Perrot – Chipiez 1884, Pl. IV) Der Einsteinturm SPECIAL vieleckige Türme mit Kuppel. Darüber hinaus unter- streichen ohnedies die Kuppeln der Observatorien den Eindruck vom Orient. In Zeitschriftenartikeln war zu lesen, dass die Observatorien „fast wie Moscheen einer orientalischen Stadt“ wirken. War diese nahe liegende Assoziation der Observatorienkuppeln der Grund, wes- halb Spieker auf den orientalistischen Baustil zurück- griff, der dazu noch gerade in Mode war? Es ist durch- aus denkbar, dass Spieker mit dieser Wahl außerdem bewusst einen Bezug zum mittelalterlichen Transfer von astronomischem Wissen aus arabischen Schriften über das islamische Spanien nach Europa herstellen wollte. Architekturhistoriker Charles Chipiez, insbesondere bezüglich der assyrischen Zikkurat von Khorsabad im Erich Mendelsohns Frau, Luise Mendelsohn, schrieb, nördlichen Irak in ihrem 1884 erschienenen und weit er habe die benachbarten Gebäude intensiv studiert, verbreiteten Band über mesopotamische Kunst und Ar- bevor er mit dem Bau begann. So ist es naheliegend, chitektur. dass Mendelsohn eine Bauform anstrebte, welche der durch die bereits bestehenden Gebäude vorgegebenen Das mehrbändige Werk von Perrot und Chipiez war eine Tradition des Orientalismus nahe stehen sollte, dabei Sammlung und Zusammenfassung archäologischer aber gleichzeitig innovativ war. Moderne Baumateriali- Forschungen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, en wie Beton und Eisen erlaubten außerdem neuartige das großzügig mit Zeichnungen und Rekonstruktionen Bauformen. der Ausgräber und weiterer Zeichner illustriert wur- de. Insbesondere der Mesopotamien gewidmete Band Altorientalistische Inspiration sollte für avantgardistische Architekten der 1910er und Insgesamt gibt es im Mendelsohn-Nachlass für den Ein- 1920er Jahre eine Inspirationsquelle werden. Der Ar- steinturm etwa 20 kleinformatige Skizzen, die nicht von chitekt Bruno Taut hatte 1919 in seiner einflussreichen Mendelsohn datiert sind. Die genaue chronologische Schrift „Die Stadtkrone“ daraus die Rekonstruktions- Aufeinanderfolge der Skizzen kann nur annähernd re- zeichnung der „assyrischen Zikkurat“ von Chipiez (Abb. konstruiert werden. Diese Skizzen, die kurz vor Baube- oben), die wenig später das Urbild für Mendelsohns Ein- ginn in den Jahren 1919 und 1920 entstanden, sind in steinturm werden sollte, als eines der „Beispiele alter zwei unterschiedlichen Stilen geschaffen. Eine aus sti- Stadtbekrönungen“ veröffentlicht. Taut und Mendel- listischen Gründen früher einzuordnende Skizze zeigt sohn waren beide in der avantgardistischen Berliner einen abgestuften Turm in Orangerot (Abb. links). Dieser Künstlervereinigung „Novembergruppe“ organisiert, Entwurf präsentiert einen eher konventionellen und die 1918 gegründet worden war. Im Folgenden soll erör- statischen Charakter im Gegensatz zu der dynamisch- tert werden, welche Anregungen Mendelsohn von Chi- schwungvollen Ausführung weiterer Entwürfe und ist piez´ Rekonstruktionszeichnungen aufgenommen hat. dadurch zeitlich früher einzuordnen. Auf der zuerst genannten Skizze ist ein Gebäude dargestellt, das aus Mesopotamisches Vorbild sich verjüngenden, aufeinander gestaffelten Blöcken besteht. Es zeigt deutlich den Prototyp eines mesopota- und moderne Umsetzung mischen Tempelturms, einer Zikkurat. Bei der Rekonstruktionszeichnung von Charles Chi- In expressionistischer Manier drückte Mendelsohn in piez handelt es sich wohlgemerkt um seine eigene der äußeren Form seiner Architektur(-entwürfe) bis- und heute überholte Interpretation einer assyrischen weilen den Zweck eines Gebäudes sinnbildlich aus. Zikkurat. Ausgehend von dieser Rekonstruktionszeich- Seine Gedankenverknüpfung des geplanten Observato- nung (Abb. oben) schuf Chipiez noch einen imaginären riums mit einer mesopotamischen Zikkurat mag dar- Längsschnitt (Abb. S. 10 links). Vergleicht man diesen an liegen, dass diese in der archäologischen Literatur Längsschnitt mit der Seitenansicht des Einsteinturms, des 19. Jahrhunderts für Tempel gehalten wurden, die springt die frappierende Ähnlichkeit ins Auge und es außerdem als Observatorien dienten. Diese Meinung liegt nahe, dass dieser Längsschnitt Mendelsohn als In- vertraten auch der Archäologe Georges Perrot und der spiration gedient hat. 9
Der Einsteinturm SPECIAL Erich Mendelsohn, Einsteinturm, Aufrissbauzeichnung, 1920 (Eggers 1995, 93, Abb. 75) Assyrische Zikkurat, Längsschnitt von Charles Chipiez (Perrot – Chipiez 1884, 396, Fig. 180) Die frühe Skizze Mendelsohns (Abb. S. 8 unten) zeigt, wie die Stockwerksebenen im Inneren ignorieren. Hier wird oben beschrieben, die Frontalseite eines abgestuften, nochmals deutlich, dass für Mendelsohn die Außenwir- nach oben aufstrebenden Turmes, dessen Schlankheit kung des Gebäudes und somit der Bezug zu seinem Vor- den zweckmäßigen Vorgaben Erwin Freundlichs eines bild wichtiger war als die Zweckmäßigkeit im Innern. astronomischen Lichtschachtes mit langer Brennweite Letztendlich wird der Hochtempel auf der Zikkurat zur Rechnung trägt. Im Vergleich der Zeichnung der assy- Kuppel mit Unterbau des Sonnenobservatoriums. rischen Zikkurat von Charles Chipiez (Abb. S. 9 oben) Erich Mendelsohn ist mit der Umsetzung der Idee von erkennt man folgende Analogien: Beide Gebäude ste- einer mesopotamischen Zikkurat als vermeintliches hen auf einem gerundeten Unterbau und sind in Stufen Observatorium in ein Bauwerk der expressionistischen gegliedert. Auf der Zikkurat und auf der frühen Skizze Avantgarde ein singuläres Meisterwerk gelungen. des Einsteinturmes stehen jeweils markante Aufbau- Er, dem Deutschland eines der bemerkenswertesten ten, hier der Hochtempel, dort der oberste Baublock, Gebäude der Moderne verdankt, wanderte 1933 – ge- der zusammen mit der Kuppel des Sonnenobservatori- zwungen durch den nationalsozialistischen Terror an- ums eine architektonische Einheit bildet. gesichts seiner jüdischen Abstammung – nach England Jedoch war Mendelsohn offensichtlich mit diesem Ent- aus. Er lebte und arbeitete zunächst in London und Je- wurf nicht zufrieden und suchte eine innovativere, rusalem. Im Jahr 1941 ging er in die USA, wo er bis zu extravagantere Lösung. Er schuf weitere Skizzen, die seinem Tode blieb. expressiver, dynamischer gestaltet waren und Chi- piez Längsschnitt übernahmen. Die Umsetzung dieser Skizzen in eine technische Aufrisszeichnung (Abb. oben LITERATUR rechts) zeigt diese Analogien noch deutlicher. Chipiez Achenbach, Sigrid: „Das Gesicht dem Anderen eindeutig zu Längsschnitt (Abb. oben links) ist wie fast alle von Men- machen, das ist Alles.“ Erich Mendelsohns Skizzen zum Ein- delsohns Skizzen und auch die technische Aufrisszeich- steinturm. In: Astrophysikalisches Institut Potsdam (Hrsg.): nung mit einem akzentuierten Eingang ausgestattet, Der Einsteinturm in Potsdam. Architektur und Astrophysik. der nach links ausgerichtet ist. Die Zikkurat und das Begleitband zur Ausstellung „Vom Großen Refraktor zum Sonnenobservatorium erheben sich auf einem markan- Einsteinturm“ (Berlin 1995), 53-75. ten Unterbau. Bei Chipiez Längsschnittzeichnung kni- Eggers, Barbara: Der Einsteinturm – die Geschichte eines cken die Gänge im Inneren der Zikkurat rechtwinklig „Monuments der Wissenschaft“. ab und zeigen im Querschnitt ein rundbogiges Profil, In: Astrophysikalisches Institut Potsdam (Hrsg.): das durch seine schwarze Einfärbung deutlich her- Der Einsteinturm in Potsdam. Architektur und Astrophysik. vorgehoben ist. Beide Elemente hat Mendelsohn über- Begleitband zur Ausstellung „Vom Großen Refraktor zum nommen: Die in Seitenansicht dargestellten Gänge der Einsteinturm“ (Berlin 1995), 76-97. Zikkurat sind bei Mendelsohn zu den auffallenden, ho- Perrot, Georges – Chipiez, Charles: Histoire de l’art dans rizontalen Einbuchtungen geworden, und die schwarz l’antiquité, Band 2, Chaldée et Assyrie (Paris 1884). dargestellten Querschnitte der abgeknickten Zikkurat- gänge werden bei Mendelsohn zu den charakteristi- Taut, Bruno: Die Stadtkrone. Mit Beiträgen von Scheerbart, schen Fenstern an der inneren Kante der Einbuchtun- Paul – Baron, Erich – Behne, Adolf (Jena 1919). gen (Abb. oben rechts). Eine technische Bauzeichnung des Wilderotter, Hans (Hrsg.): Ein Turm für Albert Einstein. Einsteinturmes im Längsschnitt zeigt, dass die Fenster Potsdam, das Licht und die Erforschung des Himmels auf die Wirkung der Fassade hin angeordnet sind und (Potsdam 2005). 10
Aus der Schatzkammer der WFS Das Bernhard Wedel-Sonnenteleskop Gerold Faß – WFS Berlin Nach mehreren erfolgreichen Expeditionen zu Sonnen- finsternissen in der ganzen Welt konstruierte der da- malige Technische Leiter der WFS, Bernhard Wedel (1936 - 1986), ein besonderes Sonnenteleskop (siehe Skizze rechts). Vorbild für seine Konstruktion war sicherlich auch der „Celeostat“ im Einsteinturm von Potsdam. Die Optik die- ses Celeostaten besteht, wie bei unserem Celeostaten, aus zwei gleich großen Planspiegeln und einem zwei- linsigen Objektiv. Das Besondere an einem Celeostaten ist, dass das vom beweglichen Hauptspiegel eingefan- gene Sonnenlicht über einen zweiten einstellbaren Planspiegel in ein Objektiv gelenkt wird, welches dann diese Strahlen vertikal oder horizontal in einem Brenn- punkt vereint. Im Einsteinturm wird das Sonnenlicht vertikal durch den Turm bis zum Erdgeschoß gelenkt, Der Bau des kompletten Sonnenfernrohres und des Ce- Das 50 cm-Objektiv des Sonnenteleskopes wo sich der Fokus des Objektivs befindet. leostaten sowie der Schliff des zweilinsigen Objektivs von 50 cm Durchmesser erfolgten in der Werkstatt der Unser Bernhard-Wedel-Sonnenteleskop hat nach dem Wilhelm-Foerster-Sternwarte mit finanzieller Unterstüt- gut sichtbaren, sehr markanten Celeostatenturm auf zung durch die Deutsche Klassenlotterie Berlin. dem Flachdach, direkt neben dem Planetariumsdom, eine horizontale Anordung. Das Sonnenlicht wird durch das zweilinsige 50 cm große Objektiv in ein horizontal Entwicklungsdaten zum Sonnenteleskop liegendes großes Stahlrohr gelenkt, um dann entweder 1979 - 1980 Entwurf und Konstruktion direkt in den Seminarraum geleitet zu werden oder 1980 - 1988 Herstellung / Inbetriebnahme über einen weiteren Umlenkspiegel in das Planeta- 2010 Stillegung wegen Umbauten rium. Hier kann über eine Zusatzoptik ein bis zu 10 m im Planetarium. großes Sonnenbild in der verdunkelten Kuppel proji- ziert werden (siehe Seite 29). Zur Vermeidung von stö- renden Luftturbulenzen durch Erwärmung im Inneren des horizontalen, lange Rohres auf dem Flachdach wird dieses luftleer gepumpt. Bernhard Wedel war es durch seinen frühen Tod 1986 nicht mehr vergönnt, sein Sonnenteleskop in Betrieb zu nehmen. Die letzten Feinheiten und besonders die Steuerung des Teleskopes wurden von 1986 -1989 von seinem Sohn Björn Wedel ausgeführt. Celeostatenturm auf dem Flachdach Unser Sonnenteleskop 1987, Celeostat im Einsteinturm 11
Materie und Antimaterie SPECIAL Otto Wöhrbach – freier Journalist, insbesondere Tagesspiegel Berlin, Zeit online, Spektrum Für den Philosophen Martin Heidegger war es die ra- als Erster eine mögliche Antwort: Die Quantenwelt der dikalste aller Fragen: „Warum ist überhaupt Seiendes Elementarteilchen ist vielleicht doch nicht völlig sym- und nicht vielmehr Nichts?“ Die Antwort der Naturwis- metrisch aufgebaut. So könnten zum Beispiel manche senschaftler lautet: „Weil es den Urknall gegeben hat.“ Teilchen und ihre Anti-Teilchen ganz gegen alle Erwar- Doch genau genommen erklärt die „Urknall-Theorie“ tungen unterschiedlichen Gesetzen gehorchen, wenn nicht die Entstehung des Kosmos selber. Sondern sie man sich ihr Verhalten in einem Spiegel anschaut. Sol- beschreibt seine Entwicklung nach dem Urknall. War- che Symmetrieverletzungen hätten die ursprüngliche um diese Geschichte aber überhaupt beginnen konnte, Gleichberechtigung von Materie und Anti-Materie im warum also aus einem „Nichts“ in einem Urknall-Pau- jungen Weltall rasch beendet. Im Teilchen-Tohuwabohu kenschlag ein „Universum“ entstanden ist – an diesem aus zerfallenden, sich ineinander umwandelnden und Geburtsgeheimnis des Kosmos knobeln die Astrono- neu bildenden Teilchen und Anti-Teilchen wären unter men nach wie vor. dem Strich etwas mehr Teilchen der Sorte „Baryon“ entstanden als Teilchen der Sorte „Anti-Baryon“. Damit Was ist das „Nichts“? aber wäre das Schicksal der zahlenmäßig unterlegenen Und das nächste Rätsel folgt sogleich: Warum konnte die Anti-Baryonen besiegelt gewesen: Alle entstandenen Geschichte des Kosmos nach ihrem mysteriösen Beginn Anti-Baryonen und die entsprechende Teilmenge an Ba- überhaupt weitergehen? Denn was immer sich ereignet ryonen hätten sich gegenseitig vernichtet und in Strah- haben mochte, eine Entstehung aus dem „Nichts“ konn- lung verwandelt. Diese Strahlung müsste den Kosmos te gemäß den Erhaltungssätzen der Natur nur ein ma- noch heute durchfluten. terielles Nullsummenspiel in Gang gesetzt haben: Mit Und tatsächlich: 1964 wurde eine solche Strahlung zu- jedem Elementarteilchen musste sich gleichzeitig auch fällig von den beiden US-amerikanischen Physikern sein Anti-Teilchen gebildet haben – zu jedem Proton ein Arno Penzias und Robert Wilson entdeckt. Nach wie vor Anti-Proton, zu jedem Elektron ein Anti–Elektron, usw. füllt sie als „kosmische Hintergrundstrahlung“ jeden Die Teilchen der Materie und der Anti–Materie unter- Kubikzentimeter des riesigen Weltalls mit rund 400 scheiden sich im Wesentlichen nur dadurch voneinan- Photonen. Diese Photonenfülle lässt das ganze Ausmaß der, dass ihre elektrischen Ladungen entgegengesetzt erahnen, in dem sich die gesamte Anti-Materie und fast gepolt sind. Begegnen sich jedoch ein Teilchen und sein alle Materie bis auf ihren kleinen Überschuss bereits Anti–Teilchen, vernichten sie sich gegenseitig und zer- kurz nach ihrer Entstehung wieder gegenseitig ausge- strahlen. Da staunt nicht nur der Laie, sondern auch löscht haben mussten. Die Symmetrieverletzungen der der Astronom wundert sich: Wenn durch den Kosmos Teilchenprozesse während der ersten Sekundenbruch- nach seiner Urknall-Geburt tatsächlich gleich viele Teil- teile des Kosmos hatten offenbar nur zu einer winzi- chen wie Anti-Teilchen geschwirrt wären, wäre seine gen Überzahl von Baryonen geführt; unter jeweils Geschichte schnell zu Ende gewesen. Materie und Anti- Milliarden von Baryonen und Anti-Baryonen, die sich Materie hätten sich gegenseitig wieder ausgelöscht. gegenseitig auslöschten, konnten jeweils nur ganz we- Übriggeblieben wäre ein langweiliges Weltall voller nige überzählige Baryonen der Vernichtung entgehen. Strahlung, aber ohne jegliche Materie. Zweifellos je- Doch dieser kleine Überrest wurde zum Baustoff für die doch gibt es heute Sterne und Planeten und Lebewesen weitere Entwicklung des Kosmos, für Sterne, Planeten, aus Fleisch und Blut. Aber könnte nicht ein Teil dieser Lebewesen. Materie in Wahrheit Anti-Materie sein? Leuchten im Verdanken wir unsere materielle Existenz also Symme- Kosmos auch Anti-Sterne, um die sich Anti-Planeten trieverletzungen in der merkwürdigen Quantenwelt der drehen, auf denen vielleicht sogar Anti-Außerirdische Elementarteilchen während der allerersten Momente leben? Guter Stoff für Science-Fiction-Geschichten – des Kosmos? Schon möglich: Die Quantenphysiker konn- doch bis jetzt gibt es keinen Hinweis darauf, dass es ten tatsächlich bereits einige Teilchen aufspüren, deren irgendwo im Weltall noch nennenswerte Mengen von Antiteilchen sich nicht wie exakte Spiegelbilder verhal- Anti-Materie gibt. Warum also ist im Weltall offenbar ten. Die berühmtesten solcher Symmetriebrecher sind nur Materie übriggeblieben, während die zunächst in die Meseonen. Meseonen sind subatomare Teilchen, gleichen Mengen vorhandene Anti-Materie ausgelöscht die in Teilchenbeschleunigern erzeugt werden können wurde? und rasch wieder zerfallen. Schon 1964 entdeckten die Der sowjetische Atomphysiker, Menschenrechtler und US-amerikanischen Physiker James Cronin und Val Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharow lieferte 1967 Fitch beim Zerfall von K-Meseonen eine unerwartete 12
Materie und Antimaterie SPECIAL Unregelmäßigkeit. Der Theorie zufolge sollten bestimm- können sie zu den einzelnen Experimenten geleitet te K-Meseonen in drei leichtere Teilchen, Pionen, zerfal- werden. Zum Beispiel in die „Penning-Fallen“ des Pro- len. Doch bei Experimenten am National Laboratory in jektes „Base“, benannt nach dem holländischen Phy- Brookhaven zerfielen manche dieser K-Meseonen nur siker Frans Penning, der das Prinzip der Fallen schon in zwei Pisionen. Dieses überraschende Zerfallsergeb- 1936 beschrieb: Durch eine geschickte Kombination von nis aber zeigte genau eine jener Symmetrieverletzun- elektrischen und magnetischen Feldern hindern sie ge- gen an, bei denen laut Andrej Sacharow mehr Materie ladene Teilchen am Entkommen. Stefan Ulmer und sei- entstehen konnte als Anti-Materie. Mittlerweile haben ne Forschungskollegen sperren also Anti-Protonen in die Elementarteilchenphysiker ähnliche Symmetrie- „Penning-Fallen“ ein und vermessen ihre Eigenschaf- verletzungen auch bei Zerfällen von B-Meseonen und ten. Jahrelang, wenn es sein muss. Ein Weltrekord. Zeit D-Meseonen festgestellt. Trotzdem reichen die bis jetzt genug, um „mit unschuldiger Neugier auch einmal dort gefundenen Symmetriebrüche bei Weitem nicht aus, nachzuschauen, wo bisher niemand gesucht hat“, wie um den Überschuss an Materie zu erklären, der seiner Ulmer dem Tagesspiegel erklärte: Sind Anti-Protonen Auslöschung durch Anti-Materie entgehen konnte. Die vielleicht gleichsam Antennen, die Signale der Dunk- Materiemengen, die man heute im Weltall vorfindet, len Materie auffangen können? Die meisten Physiker verdichtet in Sternen und Planeten und locker verteilt vermuten, dass Dunkle Materie aus noch unbekannten in Gas- und Staubwolken, sind dafür viel zu groß. Elementarteilchen besteht. Einer der aussichtsreichsten Partikelkandidaten ist ein Dunkle Materie hypothetisches Teilchen namens „Axion“. Sollte es die- Neben diesem ungelösten Rätsel des Sieges der Mate- se Teilchen tatsächlich geben, dann könnten sie viel- rie über die Anti-Materie stehen die Physiker vor einem leicht – vielleicht ! - mit Anti-Protonen wechselwirken. weiteren Materierätsel. Es heißt „Dunkle Materie“. Der Axionen könnten die rotierenden Anti-Protonen ein Name entspricht dem aktuellen Kenntnisstand: Nie- bisschen zum Taumeln bringen. Ähnlich wie ein Spiel- mand hat bis jetzt Dunkle Materie direkt gesehen. Sie zeugkreisel ins Taumeln gerät, wenn man ihn anstößt. verrät sich nur durch ihre Anziehungskraft, ihre Gravi- Und wie haben sich die Anti-Protonen in den Penning- tation. Um alle im Kosmos beobachteten Bewegungen Fallen tatsächlich verhalten? Zeigten sich irgendwelche erklären zu können - zum Beispiel die Bewegungen der Unregelmäßigkeiten bei ihrer Rotation, ihrem soge- Sterne in Galaxien – muss zusätzlich zur „normalen“ nannten „Spin“? Materie fünf Mal mehr Dunkle Materie durch den Kos- mos treiben und ihre Gravitation entfalten. Und hier Im Fachblatt „Nature“ haben Ulmer und seine Kollegen kommt der Experimentalphysiker Stefan Ulmer ins das Ergebnis ihrer Experimente veröffentlicht. Ulmer Spiel. Vielleicht – so seine überraschende Idee – hat fasst es so zusammen: „Wir haben nach solchen Signa- das Rätsel der verschwundenen Anti-Materie etwas zu turen gesucht, aber keine Überraschungen gefunden“. tun mit der Dunklen Materie. Ulmer leitet das Projekt Zwar wäre es „eine super Sache“ gewesen. Denn ein „Base“, das Baryon-Antibaryon-Symmetrie-Experiment positives Versuchsergebnis hätte vielleicht gleich zwei am CERN bei Genf, der weltweit größten Forschungs- der größten aktuellen Rätsel der modernen Physik lö- einrichtung für Teilchenphysik. Mit dabei in seiner sen können: Es gibt tatsächlich Axionen als Teilchen Forschungsgruppe sind Wissenschaftler vom Helm- der Dunklen Materie. Und zudem hätte eine unerwartet holtz-Institut der Universität Mainz. Die Objekte ihrer große Wechselwirkung der Axionen mit Anti-Materie Neugier sind dabei die Atomkerne des Wasserstoffs vielleicht erklären können, warum unsere Welt heute und ihre Anti-Teilchen; in der Fachgruppe heißen sie aus Materie besteht. Aber Stefan Ulmer und seine Kol- „Protonen“ und „Anti-Protonen“. Da es in unserer Welt legen geben nicht auf: „Wir entwickeln derzeit ein Ex- – zum Glück! - offenbar keine Anti-Protonen mehr gibt, periment, das um den Faktor 10 genauer und mit grö- müssen sie künstlich erzeugt werden. In der „Anti- ßerer Detektionsbandbreite messen wird“. Immerhin Materie-Fabrik“ des CERN ist dies heutzutage geradezu könnten die Forscher dabei dem Materierätsel unserer Alltagsgeschäft geworden. Nachdem die Anti-Protonen Existenz auf die Spur kommen. Denn noch immer wis- dort mithilfe eines Teilchenbeschleunigers erst einmal sen wir nicht, warum die Geschichte des Kosmos zum erzeugt wurden, müssen sie anschließend wieder auf Glück anders verlaufen ist, als Mephistopheles in Goe- etwa ein Zehntel der Lichtgeschwindigkeit abgebremst thes Faust es sich wünschte: „Denn alles, was entsteht, werden. Dies geschieht in den magnetischen und elekt- ist wert dass es zugrunde geht; drum besser wär´s, rischen Feldern eines Teilchenentschleunigers. Danach dass nichts entstünde“. 13
Grundlagen der Astrobiologie AKTUELL Vorläufiges aus der Theorie-AG Dr. Rainer E. Zimmermann – WFS Berlin Evolution in Sprüngen Die Theorie-AG in der WFS hatte sich mit Blick auf die- se Entwicklung bei ihrer Gründung 2019 im Nachgang zu einem einjährigen Kurs über theoretische Physik als Schwerpunkt eher die physikalischen Grundlagen der Astrobiologie vorgenommen. Vor allem auch deshalb, weil sich schnell herausgestellt hat, dass das Nachden- ken über Lebensformen auch viel mit Struktur und Evo- lution der ganzen Biosphäre zu tun hat, so dass insbe- sondere auch die Wechselwirkung von Lebensformen, Vegetation, Klimaverhältnissen und Energiesituation in Rechnung gestellt werden muss. Und diese Fragen haben kürzlich auch in ökonomischer und politischer Hinsicht neuerlich an Bedeutung gewonnen. In der AG ist das Thema zunächst auf die Physik hin zugespitzt worden: So zeigt sich alsbald, wie schon angedeutet, daß Leben im Universum eher die Regel ist und kein Sonderfall. Somit stellt sich die Evoluti- on im Grunde als etwas dar, was weniger durch eine kontinuierliche Entwicklung, als vielmehr durch qua- litative Sprünge gekennzeichnet ist: Es gibt offensicht- lich wesentliche Übergänge von physikalischen zu Obwohl die Kosmologie Einsteins von Beginn an so chemischen, biologischen, soziologischen Strukturen. eingerichtet ist, dass die Existenz außerirdischen Le- Insofern verwundert es nicht, dass die tradierte Ar- bens fast schon trivial erscheint – weil doch bereits das beitsteilung in den Wissenschaften der letzten beiden Kosmologische Prinzip, axiomatischer Ausgangspunkt Jahrhunderte eine fachliche Abgrenzung bewirkt hat, aller nachfolgenden Überlegungen, sicherstellt, dass die aber nicht wirklich ganz präzise vorgenommen wer- die Physik überall im Universum als gleich angesehen den kann, weil es immer auch Überschneidungen und werden kann – stand die Suche nach außerirdischem Ausnahmen gibt. Die Einführung von Übergangsdiszip- Leben im vorigen Jahrhundert nicht gerade im Vorder- linen (physikalische Chemie, Biochemie usw.) ist dabei grund der Forschung. Bestenfalls noch die Mitglieder nur eine vorübergehende, aber keine wirklich befriedi- des SETI-Projektes haben sich mit der Fragestellung gende Lösung. beschäftigt, freilich mit dem Schwerpunkt auf außer- irdischen intelligenten (man kann durchaus sagen: Mithin leuchtet die fundamentale Rolle der Physik menschlichen) Lebewesen. Allerdings versteht es sich zwar unmittelbar ein, aber die weitergehenden, auf dabei von selbst, dass intelligentem Leben rein evolu- andere Fächer verweisenden Definitionen sind noch tionstechnisch zahlreiche andere Lebensformen vor- nicht wirklich etabliert. Die Frage: Was ist Leben? etwa angehen müssen, so dass deren Beobachtung und die verlangt nach einer definitorischen Präzision, die noch Beobachtung ihrer planetaren Bedingungen eine Vor- nicht gegeben werden kann. Dieses Schicksal teilt sie aussetzung dafür sind, um im Sinne des SETI-Projek- mit der ähnlichen Frage: Was ist Bewusstsein? Ganz zu tes weiter vorgehen zu können. Erst in den neunziger schweigen von der umfassenden Frage: Warum gibt es BERICHTE Jahren des vorigen Jahrhunderts hat die Forschung in überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts? (Spätes- diesem Zusammenhang Fahrt aufgenommen, nachdem tens seit Schelling eine maßgebliche Fragestellung in zahlreiche Planeten außerhalb unseres Sonnensystems der Philosophie.) Mittelbar verweisen also Fragen der entdeckt worden sind, darunter etliche, die imstande physikalischen Grundlegung sofort auch auf Fragen der wären, Leben zu tragen. Allmählich hat sich dann das philosophischen – zumindest der erkenntnistheoreti- Interesse an diesem Thema verstärkt, und dieses wurde schen – Grundlegung. Und eine stringente Bearbeitung im übrigen auch wieder auf das eigene Sonnensystem des Themas ist genuin interdisziplinärer Natur. zurückgelenkt. Dieser Tage befindet sich sogar ein Ro- ver auf dem Mars, dessen wesentliche Aufgabe an die Suche nach Lebensspuren geknüpft ist. 14
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