Heimtraining mit dem Smartphone - als Familiensache - ZHAW Zürcher Hochschule für ...

Die Seite wird erstellt Florian Radtke
 
WEITER LESEN
Heimtraining mit dem Smartphone - als Familiensache - ZHAW Zürcher Hochschule für ...
G

                                                                    NR. 4 MAI 2018
Für Health Professionals
mit Weitblick

UNTERWEGS                  Der Beruf
                           als Familiensache
                                               Heimtraining
                                               mit dem Smartphone
Heimtraining mit dem Smartphone - als Familiensache - ZHAW Zürcher Hochschule für ...
INHALT                                                                                          EDITORIAL

                                                                                          10 	ALLTAGSREALITÄT STATT

                   DOSSIER:
                                                                                               TROCKENÜBUNGEN
                                                                                          	Domizilbehandlungen bringen klare
                                                                                            Vorteile. Aber auch einige Heraus­
                   UNTERWEGS
                                                                                                                                            RAUS AUS DER

8
                                                                                            forderungen.

                   Sie behandeln Patienten zu Hause und betreuen
                                                                                          15 	DA HINGEHEN,

                                                                                                                                            KOMFORTZONE
                   Wöchnerinnen in deren eigenen vier Wänden. Sie begleiten                    WO DIE MENSCHEN SIND
                   Sportler an Wettkämpfe und leisten humanitäre Hilfe                    	Schwimmbad, Arbeitsplatz oder
                   im Ausland: Health Professionals auf Achse.                              Apotheke: Für Präventionsmassnahmen
                                                                                            ist das richtige Setting entscheidend.

                                                                                          18 	KNOW-HOW  IN DIE WELT
                                                                                               HINAUSTRAGEN
                                                                                          	Humanitäre Engagements in Burkina                                                          Dass wir zu unseren Klientinnen und Pa­
                                                                                            Faso, Kambodscha und Serbien.                                                              tienten hin- und mit ihnen mitgehen, statt
                                                                                                                                                                                       zu warten, bis sie zu uns kommen, schien
                                                                                                                                                                                       mir schon im Medizinstudium das richtige
                                                                                          22 «DAS
                                                                                                 MENTALE IST ENTSCHEIDEND»
                                                                                          	Physiotherapeutin Daniela Eugster
                                                                                                                                                                                       Vorgehen: Was nützt eine erstklassige Dia­
                                                                                                  betreut Spitzensportler in Trainings­­-                                              betesschulung in einem gut ausgestatteten
                                                                                                  lagern und an Wettkämpfen.                                                           Zentrum, wenn sich die Betroffenen in ih­
                                                                                                                                                                                       rem Alltag nicht an die Vorgaben halten?
                                                                                                                                                                                       Was bringt Physiotherapie in einer moder­
                                                                                          24      F ERN DER HEIMAT INS STUDIUM
                                                                                                  EINTAUCHEN                                                                           nen Reha-Einrichtung, wenn die lang ein­
                                                                                          	Ein internationaler Bildungsweg                                                            geübten Bewegungs­abläufe letztlich an der
                                                                                            weitet den Blick und stärkt die Berufs­                                                    Grösse des Badezimmers zu Hause schei­
                                                                                            identität.                                                                                 tern? Wenn wir unsere Bezugsgruppen in
                                                                                                                                                                                               ihrer jeweiligen Lebenswelt be­
                                                                                                                                              «Nicht ohne Grund gibt                           treuen, sehen wir mit eigenen Au­
                                                                                                                                                                                               gen, wo sie tagtäglich anstehen.
                                                                                                                                              es die Tradition der Walz.»                      Doch von unserem Unterwegssein
                                                                                                  33 	Kompakter und fokussierter                                                              profitieren nicht nur die Patienten,
                           SPEKTRUM                               FORSCHUNG

                                                                                                                                              U
                                                                                                  	Das Weiterbildungsangebot                                                                  sondern auch wir selbst. Nicht
                     4 	News aus dem Departement            28 	Strapazierter Pferderücken        in Pflege erhält eine Profil­
                           Gesundheit
                                                                                                                                                                                               ohne Grund gibt es die Tradition
                                                             	Physiotherapieforschende             schärfung.
                                                                                                                                                           nterwegssein steht für Unab­der Walz: In den Wanderjahren nach der
                                                               untersuchen, wie die körperliche
                                                               Fitness von Reitern die Pferde­                                                             hängigkeit, für ein Leben vol­
                                                                                                                                                                                       Lehrzeit lernen die zukünftigen Gesellen
                           MEINUNG                             gesundheit beeinflusst.                                                                     ler Abwechslung jenseits vonneue Arbeitspraktiken kennen, erkunden
                                                                                                        GEWUSST WIE!
                                                                                                                                                           Routine, Standards und ge­  fremde Länder und sammeln Lebenser­
                     5 	Eigen- und Mitverantwortung                                                                                          sellschaftlichen Normen. Damit bringt    fahrung. Indem wir unsere Komfortzone
                     	Julie Page zur Bedeutung                                                                                               man die Gesundheitsberufe wohl nicht     verlassen und uns von neuen Umgebungen
                                                                  STUDIUM
                       geteilter Verantwortung.
                                                                                                                                              gleich als Erstes in Verbindung. Ich denke
                                                                                                                                                                                       und Menschen inspirieren lassen, erfahren
                                                                                                                                              aber, dass die Beiträge in diesem Heft et­
                                                                                                                                                                                       wir mehr über uns selbst, entwickeln uns
                                                                                                                                              was von den Abenteuern vermitteln, die   weiter und bleiben mobil – auch im Geist.
                           I M P O R T R ÄT
                                                                                                                                              Health Professionals erleben, wenn sie
                     6 	Die Alphafrau                                                                                                        ihre gewohnte Umgebung verlassen und Eine spannende Lektüre wünscht
                     	Klinik, Bildung, Forschung,                                                                                            sich aufmachen, um zum Beispiel als
                       Führung: Omega Huber vertrat                                               34 	Brüllattacken mit                     Hebamme humanitäre Hilfe im Ausland
                       an den Stationen ihres Berufs­                                                   Überforderungspotenzial
                                                                                                                                              zu leisten, als Pflegefachmann psychisch
                       wegs stets eine klare Haltung.                                             	Ist es richtig, das Baby einfach
                                                             30 Beruf als Familiensache                                                       kranke Menschen zu besuchen oder als
                                                                                                    mal schreien zu lassen?
                                                                                                                                              Physiotherapeutin Sportler an Wettkämp­ Andreas Gerber-Grote
                                                             	Zwei Männer in einem Frauen­
                                                               beruf: Die Zwillingsbrüder                                                     fen zu betreuen.                            Direktor Departement Gesundheit
                                                               von Arx studieren Pflege. Wie      35 	
                                                                                                      AGENDA
     Titelseite:                                               zuvor schon ihre Schwester.
     «Meine Arbeit ist spannend: Oft weiss ich erst
     am Vorabend, wo es am nächsten Tag hingeht
     und für wie lange. Unter den Destinationen sind                                              36 	
                                                                                                      CAMPUS
                                                                  WEITERBILDUNG
     auch ungewöhnliche Orte, an die ich privat                                                                                               Sie haben die Möglichkeit,
     wohl nicht hinreisen würde.»                            32 	Training mit Smart­phone                                                    ausgewählte Beiträge online
                                                             	Eine App soll die Trainingsmoti­                                               zu lesen und zu diskutieren:
     Unterwegs mit Carmen Spühler,
     Intensivpflegefachfrau und Flight Nurse bei der Rega.     vation von Patienten steigern.                                                      blog.zhaw.ch/vitamin-g

2   VITAMIN G NR . 4 M A I 2 0 1 8                                                                                                                                                                      VITAMIN G N R. 4 MAI 2018 3
Heimtraining mit dem Smartphone - als Familiensache - ZHAW Zürcher Hochschule für ...
SPEKTRUM                                                                                                                                                                                           MEINUNG

    INSTITUT FÜR PFLEGE                                                                            FORSCHUNGSSTELLE ERGOTHERAPIE                                                   NEUES ANGEBOT FÜR PRIMARKLASSEN

    CO-LEITUNG FÜR MASTER UND FORSCHUNG                                                            NEUE LEITUNG                                                                    EXKURSION
                                                                                                                                                                                   ZUR HEBAMME
                                                      der Insel Gruppe Bern bezie­hungsweise                             Im März 2018
                                                      vom Institut für Pflege­wissenschaft                               übernahm Prof.
                                                      der Universität Basel an die ZHAW.                                 Dr. Brigitte
                                                      André Fringer tritt seine Stelle ebenfalls                         Gantschnig die
                                                      am 1. Mai 2018 an, nimmt bis im August                             Leitung der For­
                                                      aber noch Auf­gaben in seiner bis­heri­                            schungsstelle
                                                      gen Funktion als stellvertretender Leiter                          Ergotherapie. Sie
                                                      des Instituts für angewandte Pflege­                               lehrt und forscht
                                                      wissenschaft und als Studienleiter des                             seit 2007 an der
        André Fringer           Maria Schubert        MAS in Palliative Care an der FHS             Brigitte Gantschnig  ZHAW, promovier­
                                                      St. Gallen wahr. Die neue Co-Leitung                               te 2014 in Ergothe­
    Mit Dr. Maria Schubert und Prof. Dr.              für die Bereiche Master of Science           rapie und wurde vor zwei Jahren zur
    André Fringer übernehmen am Institut              und Forschung ermöglicht es, das wissen­     Professorin ZFH für Evaluation und                                              Schwangerschaft, Geburt und Wochen­
    für Pflege zwei erfahrene Pflege­wissen­          schaftliche Fundament des Master­-           Assessment ernannt. Neben ihrer Tätig­                                          bettzeit als gesunde und natürliche                                         PROF. DR. JULIE PAGE
    schaftler die gemeinsame Leitung des              stu­dien­gangs in Pflege zu stärken, die     keit an der ZHAW forscht Gantschnig an                                          Prozesse kennenlernen und mehr über                      Leiterin Bachelorstudiengang Gesundheitsförderung und Prävention
    Masterstudiengangs sowie der Forschung            praktische Relevanz der Pflegeforschung      der Universitätsklinik für Rheumatolo­                                          den Beruf der Hebamme erfahren:
    und Entwicklung in Pflege.                        auszu­bauen und so die bestehenden           gie, Immunologie und Allergologie am                                            Darauf zielt das Angebot des Instituts

                                                                                                                                                                                                                                                EIGEN- UND
        Maria Schubert wechselt per 1. Mai            Synergien zwischen Forschung und             Insel­spital und an der Universität Bern.                                       für Hebammen ab, das nach einer Pilot­
    2018 von der Direktion Pflege/MTT                 Lehre zu vertiefen.                          Ihre Vorgängerin, Prof. Dr. Heidrun                                             phase nun fest eingeführt wird. Es

                                                                                                                                                                                                                                            MITVERANTWORTUNG
                                                                                                   Becker, entschied sich krankheitsbe­                                            richtet sich an Schulkassen der fünften
                                                                                                   dingt, ihre Leitungsposition abzugeben,                                         und sechsten Primarstufe. Sie haben
                                                                                                   bleibt dem Institut aber als Dozentin                                           die Möglichkeit, bei erfahrenen Hebam­
    MUSKULOSKELETTALES SYSTEM                                                                      und Forscherin erhalten.                                                        mendozentinnen und -studentinnen
                                                                                                                                                                                   stufengerechte Unterrichtseinheiten zu
    FALLBUCH FÜR

                                                                                                                                                                                                                                  A
                                                      GESUNDHEIT AM ARBEITSPLATZ                                                                                                   besuchen, in denen realitäts­nahe Simu­
    DIE PHYSIOPRAXIS                                  PROJEKT FÜR DIE VBZ
                                                                                                                                                                                   lationsmodelle zur An­wendung                         ls mündige Personen haben wir        Hospitationen aufgrund von Alkohol­
                                                                                                   NEUES MAGAZIN «ZUR SACHE»                                                       kommen.                                               das Recht, ein selbstbestimmtes      vergiftungen Erwachsene betreffen.
    Von der Hals-, Brust- und Lenden­                                                                                                                                                                                                    Leben zu führen. Damit ver­          Um Gesundheit zu erhalten, braucht
    wirbelsäule über Becken und Hüfte bis                                                          STANDARDISIERUNG                                                                     zhaw.ch/gesundheit/exkursion-             bunden ist die Pflicht, unseren Alltag      es nebst Eigenverantwortung gesund­
                                                                                                                                                                                        zur-hebamme
    zur unteren und oberen Extremität:                                                             ALS HILFE?                                                                                                                     eigenverantwortlich zu gestalten, etwa      heitsfördernde gesellschaftliche Voraus­
    Ein neuer Sammelband zeigt das umfas­                                                                                                                                                                                         in Hinblick auf unsere Gesundheit. Um       setzungen. Im Beispiel des Komatrin­
    sende und evidenzbasierte Diagnose-                                                            Standards sind auf den ersten Blick                                                                                            diese langfristig zu erhalten und bei       kens könnte dies bedeuten, die Alkohol­
    und Therapiespektrum der muskuloske­                                                           hilfreich und geben Orientierung. Den­                                          REHABILITATION, FORSCHUNG                      Krankheit schnell zu genesen, sollen        werbung stärker zu regulieren.
    lettalen Physiotherapie auf. Patienten­                                                        noch muss die Pflege Patientensituatio­                                         UND TECHNOLOGIE VEREINT                        wir uns möglichst gesundheitsfördernd            Solche Rahmenbedingungen schaf­
    fälle unterschiedlichen Schwierig­-                                                            nen stets differenziert angehen und                                                                                            verhalten. So der aktuelle Zeitgeist.       fen weder Einzelpersonen noch der
    keitsgrads begleiten den Leser durch                                                           Ressourcen dabei bestmöglich aus­                                               TRAININGSZENTRUM                                   Dieses Gesundheitsverständnis birgt     Gesundheitssektor alleine. Sie liegen in
    die Therapieprozesse und helfen ihm,                                                           schöpfen. Das erfordert solides pflegeri­                                       REVIGO                                         die Gefahr, dass soziale Ursachen von       der Verantwortung von Politik und Ge­
    das eigene therapeutische Vorgehen zu                                                          sches Fachwissen und eine kontinuierli­                                                                                        Gesundheit und Krankheit aus dem            sellschaft als Ganzes. Deshalb legen
    optimieren. Die Autoren, darunter                 Bei den Verkehrsbetrieben Zürich             che Reflexion der beruflichen Praxis.                                           Das ambulante Trainingszentrum                 Blick rücken. Dabei sind die Faktoren,      wir Wert darauf, dass unsere Studieren­
    Dozenten der ZHAW, erklären, in wel­              (VBZ) arbeiten rund 2500 Personen.           Die neuste Ausgabe der Magazinreihe                                             Revigo in Volketswil öffnete im Mai 2018       die Gesundheit schützen oder bedro­         den ein Bewusstsein für die sozialen,
    chem Fall sie welche Intervention ge­             Wie sich deren Gesundheit am Arbeits­        «Zur Sache» geht der Frage nach, inwie­                                         seine Pforten. Es bietet Klientinnen und       hen, in der Bevölkerung erwiesener­         kulturellen, ökonomischen und um­
    wählt haben, und helfen so, Gedanken­             platz fördern lässt, untersucht die          fern Standardisierung unter den gegen­                                          Klienten mit neurologischen Defi­ziten –       massen ungleich verteilt. Nicht alle Mit­   weltbedingten Faktoren entwickeln, die
    schritte und Zusammenhänge zu ver­                Fachstelle Betriebliches Gesundheits­        wärtigen Ökonomisierungstendenzen                                               etwa nach einem Schlaganfall oder              glieder unserer Gesellschaft haben die      unsere Gesundheit beeinflussen. In ih­
    stehen und daraus eigene Massnahmen               management des Departements Ge­              die Qualität der Pflege fördert.                                                einem Unfall mit Lähmungserschei­nun­-         gleichen Chancen, ihr Gesundheitspo­        rer späteren Tätigkeit sollen sie nicht
    abzuleiten. Dabei übersetzen sie aktuel­          sundheit derzeit in einem Projekt. Dazu                                                                                      gen – moderste Technologien für die            tenzial zu verwirklichen.                   nur auf die individuelle Gesundheits­
    le wissenschaftliche Literatur in die             wurden in einer Pilotstudie sowohl                                                  zhaw.ch/gesundheit/zursache              Rehabilitation. So unterstützen bei­spiels­­       Die einseitige Betonung der Eigen­      kompetenz einwirken, sondern auch ge­
    tägliche Arbeit mit Patienten.                    Fahrerinnen und Fahrer von Bussen und                                                                                        weise visuell ansprechende Games oder          verantwortung fördert die Entsolida­        sellschaftliche Bedingungen mitgestal­
                                                      Trams wie auch Büromitarbeitende zu                                                                                          der Gangroboter Lokomat das Training.          risierung zwischen «Gesunden» und           ten. Gefragt ist eine Grundhaltung, die
                                                      den Themen Arbeit und Gesundheit be­-                                                                 Zur Sache 4:
                                                                                                                                                                                   Nebst dem Industriepartner Hocoma              «Kranken». Beispiel dafür ist die Initia­   Eigen­verant­wortung an soziale Mit­ver­
                         Fallbuch Physio­t herapie:   fragt. Aufgrund der Erstanalyse finden                                                                Ökonomisierung und     und der Rehaklinik Zihlschlacht beteiligt      tive «Komatrinker sollen Aufenthalte in     antwortung koppelt und die das Wohl
                         Muskuloskelettales           bedarfsgerechte, auf beide Mitarbeiter­                                                               Standardisierung zum   sich auch das ZHAW-Institut für Physio­        Spital und Ausnüchterungszellen selber      aller Menschen – auch solcher in nach­
                         System.                      kategorien abgestimmte Workshops                                                                      Vorteil der Pflege?    therapie am Projekt. Es nutzt Revigo           bezahlen», die der Nationalrat 2015         teiligen Lebenslagen – ins Zentrum stellt.
                         Hannu Luomajoki und                                                                                                                Sabine
                                                      und Aktionstage statt. Die Er­gebnisse                                                                                       als Forschungs-, Entwicklungs- und Aus­­       erfreulicherweise abschrieb. Sie brach
                         Fabian Pfeiffer (Hrsg.)                                                                                                            Bartho­l omeyczik,
                                                      liefern zielgruppenspezifische Hinweise      Ökonomisierung und
                                                                                                   Standardisierung zum
                                                                                                   Vorteil der Pflege?
                                                                                                                                                Zur Sache

                                                                                                                                                            Evelyn Rieder          bildungszentrum.                               mit dem Solidaritätsprinzip und wies
                                                                                                                                                4
                         Urban & Fischer:             für das künftige Angebot der Gesund­                                                                                                                                        Jugendlichen die Rolle der Problem­-
                                                                                                                                                                                        revigo.ch                                                                                  blog.zhaw.ch/vitamin-g
                         München 2018.                heitsförderung bei den VBZ.                  Zürcher Fachhochschule   www.zhaw.ch
                                                                                                                                                            Winterthur 2018.                                                      ver­ursacher zu, obschon 90 Prozent der

4   VITAMIN G NR . 4 M A I 2 0 1 8                                                                                                                                                                                                                                                     VITAMIN G N R. 4 MAI 2018 5
Heimtraining mit dem Smartphone - als Familiensache - ZHAW Zürcher Hochschule für ...
I M P O R T R ÄT                                                                                                                                    I M P O R T R ÄT

                                                                                                    Verbessert sich die Funktion, wenn            Ergebnisse zu erzielen.» Den Grund für            rufskolleginnen und -kollegen nehmen sie       barkeit, dass ich dies alles erlebt habe; dass
                                                                                                    Arthrosepatienten das beeinträchtigte Knie    die magere Teilnehmerzahl ortet Huber in          als starke, prägende Persönlichkeit wahr.      ich, nachdem sich bildungs­politisch wäh-
                                                                                                    vor der Kniegelenksoperation trainieren?
                                                                                                                                                  der Kurzfristigkeit von Knieoperationen:               Huber nippt an ihrem Kaffee, ihre azur-   rend Jahrhunderten nichts bewegt hatte,
                                                                                                    Omega Huber bei ihrer Antrittsvorlesung.
                                                                                                                                                  Die sechs Wochen Wartezeit, die es für ein        blauen Augen wandern für einen Moment          beruflich in diese spannende Zeit hinein-
                                                                                                                                                  effektives Training bräuchte, will hierzu-        auf die Gruppe Studierender, die sich in       geraten bin, in der so einschneidende Ent-
                                                                                                                                                  lande kaum jemand in Kauf nehmen.                 der Halle unterhalten. «Worauf ich wirk-       wicklungen passiert sind – und ich sie mit-
                                                                                                                                                  Muss er oder sie auch nicht: «Wir haben in        lich stolz bin», sagt sie, den Blick wieder    gestalten durfte.» Und natürlich hat sie
                                                                                                                                                  der Schweiz eine Überkapazität für Ortho-         aufs Gegenüber geheftet, «ist, dass ich        noch ein paar Ziele: Wie viele am Departe-
                                                                                                                                                  pädie-Eingriffe», stellt Huber fest. Des-         als Physiotherapeutin praktisch alles ge-      ment Gesundheit der ZHAW engagiert sich
                                                                                                                                                  halb liessen sich Fragen zur präoperativen        macht habe, was dieser Beruf zu bieten         auch Omega Huber für die Vision einer
                                                                                                                                                  Phase gar nicht erforschen.                       hat. Ich ha­  be sämtliche Möglichkeiten       Health University, in der Mediziner und
                                                                                                                                                       Trotzdem will sie am Thema dran­             aus­geschöpft – Klinik, Bildung, Forschung,    Gesundheitsfachpersonen unter einem
                                                                                                                                                  bleiben, mehr noch: Sie hat sich darin fest­      Füh­rungsfunktionen, Berufspolitik. Man-       Dach vereint sind. Sie setzt sich für den Di-
                                                                                                                                                  gebissen, nachdem sie                                                  che wenden sich vom       rektzugang zur Physiotherapie ein – dass
                                                                                                                                                  ur­sprünglich über et-
                                                                                                                                                  was anderes dok­to­rie­
                                                                                                                                                                               «Ich bin eine Person,                     Beruf ab, weil sie an­
                                                                                                                                                                                                                         stossen. Ich jedoch ha­
                                                                                                                                                                                                                                                   also Patienten ohne Umweg über den
                                                                                                                                                                                                                                                   Hausarzt die Physiotherapeutin konsultie-
                                                                                                                                                  ren wollte, dann aber –      die sich ohne Scheu                       be neue Felder ent-       ren können. Und sie will sich für das be-
                                                                                                                                                  je mehr sie sich mit der
                                                                                                                                                  Kniearthrose ausein-
                                                                                                                                                                               positioniert.»                            deckt und konnte mich
                                                                                                                                                                                                                         weiterentwickeln. Das
                                                                                                                                                                                                                                                   schriebene Mana­gement bei Kniepro­ble­
                                                                                                                                                                                                                                                   men engagieren. «Die Leute sich selbst zu
                                                                                                                                                  andersetzte – feststell-                                               Spektrum der Physio-      überlassen, bis es keine Alternative zum
                                                                                                                                                  te, wie viele ungelöste Probleme es beim          therapie ist in den letzten Jahren sogar       Gelenkersatz mehr gibt: Das reicht ein-
                                                                                                                                                  Gelenkersatz noch gibt. «Es bräuchte eine         noch breiter geworden. Die Jungen haben        fach nicht», sagt Omega Huber bestimmt.
                                                                                                                                                  verbindliche Richtlinie, die festlegt, dass       hier einen gedeckten Tisch, sie müssen nur     Ganz die Alpha­frau. //
                                                                                                                                                  ein Patient zuerst sämtliche konservativen        noch essen. Wir hatten das damals nicht.»

                                                           DIE ALPHAFRAU
                                                                                                                                                  Wege gehen muss, bevor ein künstliches
                                                                                                                                                  Gelenk in Betracht gezogen wird.» Huber           Weg fürs Masterprogramm bereitet
                                                                                                                                                  ist überzeugt, dass Knieprobleme ein bes-         Mit dem «gedeckten Tisch» bezieht sich
                                                                                                                                                  seres Management benötigen, und zwar              Omega Huber auf die Akademisierung

    M
                                                                                                                                                  nicht erst, wenn es Richtung Operation            der Physiotherapie. Diesen Prozess hat sie
                                                           Klinik, Bildung, Politik, Forschung, Führung:                                          geht, sondern Jahre, Jahrzehnte vorher.           nicht nur «mit Vehemenz unterstützt»,
                       it forschendem Blick steht          Die Laufbahn von Omega Huber steht für die um­                                         «Und wer könnte dieses Management                 wie sie sagt, sondern sie hat ihn auch aktiv
                       Omega Huber am Trep-                                                                                                       besser übernehmen als wir Physiothera-            mitgestaltet. «Ende der 1990er-Jahre, als
                       penende im vierten Stock            fassenden Möglichkeiten, die der Beruf der Physio­                                     peuten?», fragt sie rhetorisch. Für dieses        die Gesundheitsberufe politisch zum The-
                       des Departementsgebäu­              therapeutin bietet. Dank der Akade­misierung                                           Ziel will sie sich einsetzen. Das kann sie. Sie   ma wurden, wünschten wir uns eine An-
    des, die verschränkten Arme auf die Brüs-              gebe es in diesem Fach einen «reich gedeckten Tisch»,                                  sagt: «Ich bin eine Person, die sich ohne         bindung der Physiotherapie an die Univer-
    tung gestützt. Kommt der Besuch mit dem                                                                                                       Scheu positioniert.» Und dann heisse es:          sität», erzählt sie.
    Lift oder zu Fuss? Kommt er recht­zeitig?
                                                           sagt die Leiterin Weiterbildung und Dienstleistung                                     «Let’s go for it.»                                     Zusammen mit Karin Niedermann
    Auf die Minute genau hechtet die Journa­               Physiotherapie an der ZHAW.                                                                                                              stellt Omega Huber ein Masterprogramm
    listin schliesslich die Stufen hoch. Omega                                                                                                    Rasch in Führungspositionen                       auf die Beine, das von 2002 bis 2008 in Ko-
                                                           VON IRÈNE DIETSCHI
    Huber wirft einen Blick auf ihre goldene                                                                                                      Das hat die Alphafrau schon immer                 operation mit der Uni Maastricht am Uni-
    Armbanduhr, ein Lächeln huscht ihr übers                                                                                                      ge­tan – auch am Universitätsspital Zürich,       versitätsspital Zürich angeboten wird und
    Gesicht. Sie mag es pünktlich. «Kaffee?»,                                                                                                     wo sie 30 Jahre ihres Berufslebens ver-           von der Uni Zürich eine Anschubfinanzie-             OMEGA HUBER
    fragt sie knapp.                                                                                                                              brachte. Schon drei Jahre nach ihrer              rung erhält. Persönlich hat sie anfänglich
                                                      vor allem deshalb, weil sie überhaupt keine   Ungelöste Probleme beim Kniegelenk            kli­­ni­schen Ausbildung schlüpft Omega           keine akademischen Ambitionen mehr,
                                                                                                                                                                                                                                                         Schule für Physiotherapie am
    Die «Brand»-Wirkung des Rufnamens                 Omega-Eigenschaften verkör­pere. Sie sagt:    2015 hat Omega Huber im Alter von             Huber in Führungspositionen. Sie wird             aber dann: «Es hat mich halt doch hinein-
                                                                                                                                                                                                                                                         Kantonsspital Zürich
    In der Halle setzen wir uns in eine Sitz-         «Ich bin ein ausgesprochener Alphatyp.»       58 Jahren an der Maastricht University        Chef­­phy­­siotherapeutin, fünf Jahre später      gezogen.» Sie gibt die Leitung am Unispi-
    bank, die an eine Mischung aus SBB-Ab­                   Seit Anfang 2011 leitet Omega E. Hu-   ihren PhD erlangt. Im gleichen Jahr ver-      dann Leitende Chefphysiotherapeutin               tal ab, reduziert ihr Pensum als wissen-             Medizinisch-therapeutische
    teil und amerikanischem Diner erinnert.           ber – das E. steht für Erika, ihren rich­-    lieh ihr der Fachhochschulrat des Kantons     und schlies­s­lich medizinisch-therapeuti-        schaftliche Mitarbeiterin auf 60 Prozent             Leiterin Universitätsspital Zürich
    Hubers Armbanduhr erweist sich als top­           ­ti­­gen Vornamen – die Weiterbildung und     Zürich den Professorinnentitel. In ihrer      sche Leiterin. Sie kümmert sich um die            und immatrikuliert sich 2009 in Maast-
    aktuelles Modell der Marke Omega. Die              Dienstleistung Physiotherapie am Depar-      Antrittsvorlesung referierte sie über «prä-   Raumprobleme der Therapien am Unispi-             richt. Sechs Jahre später hat sie Master-
                                                                                                                                                                                                                                                         Co-Leiterin universitäres
    Trägerin, so stellt man fest, hat ein sensi­       tement Gesundheit der ZHAW. Sie ist          operative Interventionen vor einem Knie-      tal, das damals ständig im Umbau war. Sie         und Doktortitel in der Tasche. Und als an            Weiter­bildungsprogramm Physio-
    bles Gespür dafür, die Wirkung des eige-           Physiotherapeutin mit jeder Faser ihrer      gelenkersatz» – das Thema ihrer Dok­­tor­     engagiert sich in der Ausbildung, beteiligt       der ZHAW ihre jetzige Position ausge-                therapie-Wissenschaften in
    nen «Brands» selbstironisch zu unterstrei-         Persönlichkeit, und neues Wissen aus der     arbeit. Huber wollte herausfinden, ob sich    sich an vielen forschungsbasierten Pro­           schrieben wird, packt sie ihre Chance. «Es           Kooperation mit der Universität
    chen: «Omega ist mein Rufname, ein Re-             Forschung in die Praxis zu bringen, ist      das funktionelle Outcome verbessert, wenn     jekten – etwa zum Thema ICF, dem Klassi­          ist das Sahnehäubchen einer erfüllten Be-            Maastricht
    likt aus der Gymizeit», erklärt sie. «Andere       eines ihrer Kernanliegen. «Physiotherapeu-   Patienten vor der Operation das beein-        fikationssystem zur Funktionsfähigkeit –          rufslaufbahn», sagt sie. Megaschön sei das.          PhD Universität Maastricht,
    streifen so etwas ab, an mir ist es hängen-        tinnen und -therapeuten müssen sich den      trächtigte Knie trainieren.                   und publiziert rege. Von 2005 bis 2011 über-                                                           Professorin ZFH
    geblieben – vielleicht, weil ich Volley­ball       Erkenntnissen stellen und diese integrie-        «Wir haben diese Frage in einer ran­      nimmt sie im Nebenamt das Präsi­di­um des         Der Traum der Health University
    gespielt habe, wo solche speziellen Namen          ren», sagt sie. Das könne auch bedeuten,     domisierten Studie untersucht», erzählt       Schweizer Physiotherapie-Verbandes Phy-           Wie lautet ihr vorläufiges Fazit dieser              Dozentin ZHAW, Leiterin
    gepflegt werden.» Huber nimmt einen                sich ab und an von einem alten Zopf zu       die Professorin, «aber wir hatten nur         sioswiss. Die nationale Bühne mit interna-        ungewöhnlichen Karriere? Die Antwort                 Weiterbildung & Dienstleistung
    Schluck Kaffee. Lustig, fährt sie fort, sei das    trennen.                                     47 Probanden – zu wenige, um schlüssige       tionaler Ausstrahlung behagt ihr, ihre Be-        kommt schnell: «Stolz und vor allem Dank-            Physiotherapie

6   VITAMIN G NR . 4 M A I 2 0 1 8                                                                                                                                                                                                                                   VITAMIN G N R. 4 MAI 2018 7
Heimtraining mit dem Smartphone - als Familiensache - ZHAW Zürcher Hochschule für ...
DOSSIER|UNTERWEGS

                                                                                HEALTH
                                                                             PROFESSIONALS
                                                                               AUF ACHSE
                                                                              Sich gut vorbereiten und in der gegebenen
                                                                            Situation trotzdem flexibel reagieren. Sich aus
                                                                             der Komfortzone hinauswagen, Neues ent­
                                                                            decken und sich mit dem, was man vorfindet,
                                                                                zu helfen wissen. Zu anderen hin- und
                                                                             mit ihnen mitgehen, statt einfach zu warten,
                                                                             bis sie von sich aus kommen. Das alles kann
                                                                                  es bedeuten, als Health Professional
                                                                                           unterwegs zu sein.

«Viele meiner Patienten haben sehr schwere Beeinträchtigungen:
körperlich, kognitiv, aber auch auf Wahrnehmungsebene. Sie zu Hause
bei ihren Aktivitäten im Alltag zu beobachten, zu unterstützen und dann
mitzuerleben, dass etwas plötzlich wieder selbständig klappt, ist gross­-
artig. Denn auch wenn es nur um etwas Kleines wie Brotschneiden geht,
gewinnen sie damit ein Stück Kontrolle über ihr Leben zurück.»
Unterwegs mit Martina Tüscher, Ergotherapeutin beim SRK Kanton Solothurn.

                                                                                                                     VITAMIN G N R. 4 MAI 2018 9
Heimtraining mit dem Smartphone - als Familiensache - ZHAW Zürcher Hochschule für ...
DOSSIER|UNTERWEGS                                                                                                                            DOSSIER|UNTERWEGS

              A L LTAG S­R E A L I TÄT STAT T
                                                                                                                                                    sich Hebammen heute vermehrt zu Netzwerken zusammen,              wird viel schneller ersichtlich, wo ihre Schwierigkeiten im
                                                                                                                                                    weiss Jessica Pehlke-Milde, Leiterin der ZHAW-Forschungs-         Alltag liegen. Schliesslich muss sie in diesem Umfeld tagtäg-
                                                                                                                                                    stelle Hebammenwissenschaft. Sie und ihr Team haben die           lich zurechtkommen.» Die wechselnden Therapiekontexte

                 T R O C K E N­Ü B U N G E N
                                                                                                                                                    Netzwerkarbeit von Hebammen in mehreren Studien unter-            sieht er als kreative Herausforderung: «Ich muss stets neu
                                                                                                                                                    sucht. In der Stadt Zürich riefen Hebammen in Zeiten sehr         herausfinden, wie ich Übungen in Alltagssituationen einbaue
                                                                                                                                                    hoher Auslastung auch schon Ambulatorien ins Leben, wel-          und das, was vorhanden ist, nutzen kann.» Mit seiner Patien-
                                                                                                                                                    che die Mütter nach der Entlassung aus dem Spital für die         tin trainiert er heute zum Beispiel Bewegungsabläufe: auf
                                                                                                                                                    Wochenbettbetreuung aufsuchen konnten.                            dem Wohnzimmerboden und auf dem Sofa, auf der Quar-
                                                                                                                                                                                                                      tierstrasse vor dem Haus und auf der Treppe, die zur Woh-
           Von den Pflegefachpersonen der Spitex kennt man es längst. Bei den Hebammen                                                                                                                                nung führt. Nach 45 Minuten Therapie schwingt er sich wie-
     war es bis Mitte 20. Jahrhundert nicht nur für die Wochenbett-, sondern auch für die Geburts­                                                         P SYC H O S OZ I A L E P R O B L E M E E R K E N N E N     der auf sein Fahrrad. Für die Abrechnung bedeutet dies, dass
        betreuung normal. Und auch Physio- und Ergotherapeuten sehen klare therapeu­tische                                                          Solche Notlösungen, wie Pehlke-Milde sie nennt, seien auf         zum gewöhnlichen Physiotherapie-Tarif eine Wegpauschale
                                                                                                                                                    jeden Fall besser als keine Versorgung. Dennoch dürfe der         hinzukommt. Material hat er nur wenig dabei: Desinfek­
                 Vorteile darin: Patienten in ihren eigenen vier Wänden zu behandeln.                                                               Wert der aufsuchenden Betreuung, die einen direkten Ein-          tionsmittel, Bandagen, Tapes, Goniometer, Messband und
                                                                                                                                                    blick in die Lebenswelt der Familie erlaube, nicht unter-         Schmerzskala. Das sei nicht nur transporttechnisch prak-
                                                                    VON RITA ZIEGLER                                                                schätzt werden. Sie ermöglicht der Hebamme, nebst gesund-         tisch, sondern reiche auch vollkommen aus.
                                                                                                                                                    heitlichen auch psychosoziale oder finanzielle Probleme
                                                                                                                                                    frühzeitig zu erkennen und benachteiligte Familien an Un-
                                                                                                                                                    terstützungsdienste wie Mütter- und Väterberatungen, Kin-                           WIE IM BIENENHAUS
                                                                                                                                                    derärztinnen, Psychologen oder Sozialdienste zu vermitteln.       Das gleiche Fortbewegungsmittel, aber in Elektro-Ausfüh-
                                                                                                                                                    Pehlke-Milde erzählt in diesem Kontext von einer jungen           rung, nutzt Ergotherapeutin Martina Tüscher, die beim SRK
                                                                                                                                                    Mutter, die sie selbst als Hebamme betreute: «Beim ersten         Kanton Solothurn arbeitet. Bei schlechtem Wetter oder lan-
                                                                                                                                                    Hausbesuch wurde ich durch ein Bordell in ein Hinterzim-          gen Anfahrtswegen greift sie auch mal auf den hauseigenen
                                                                                                                                                    mer geschleust. Erst da, vor Ort, habe ich begriffen, dass        Fahrdienst zurück. Die 28-Jährige hat nach ihrem Studien-
                                                                                                                                                    meine Klientin als Prostituierte arbeitete.                                          abschluss vor vier Jahren ganz gezielt
                                                                                                                                                    In dieser Situation war ich froh, dass ich        «Ich muss stets neu                nach einer Stelle gesucht, die auch Do-
                                                                                                                                                    gut vernetzt war und der Familie weiter-                                             mizilbehandlungen ermöglicht. «In der
                                                                                                                                                    führende professionelle Unterstützung             herausfinden, wie ich              Ergotherapie liegt der Hauptfokus auf
                                                                                                                                                    vermitteln konnte.»                               Übungen in Alltagssitu­            den Aktivitäten des täglichen Lebens»,
                                                                                                                                                        Die Professorin ist überzeugt, dass in                                           sagt sie. «Da ist es für mich logisch und
                                                                                                                                                    der niederschwelligen häuslichen Versor-          ationen einbaue und                sinnvoll, die Patienten in ihrem Alltags-
                                                                                                                                                    gung während des Wochenbetts grosses
                                                                                                                                                    Potenzial für die frühe Förderung liegt:
                                                                                                                                                                                                      das, was vorhanden ist,            umfeld zu behandeln. Wir machen keine
                                                                                                                                                                                                                                         Trockenübungen, sondern können ganz
                                                                                                                                                    «Je früher wir ansetzen, desto eher kön-          nutzen kann.»                      konkret auf ihre Bedürfnisse eingehen.
                                                                                                                                                    nen wir etwas gegen soziale Benachtei­                                               Zugleich erhalten wir einen Einblick in
                                                                                                                                                    ligung tun.» Hebammen haben oft ein grosses Ver­trau­ens­         das soziale System, das den Gesundheitszustand ja ebenfalls
                                                                                                                                                    verhältnis zu den Müttern, und ihr Besuch stigmatisiert           beeinflusst.»
                                                                                                                                                    keine Familie als bedürftig. Dies im Gegensatz zu anderen             Nebst der therapeutischen Qualität, die ihr die Heimbe-
                                      Einen Fuss vor den anderen: Physiotherapeut Florian Erzer übt mit seiner Patientin                            Berufen im Gesundheits- und Sozialbereich, die «von aussen»       handlungen ermöglichen, schätzt Tüscher an ihrer Arbeit die
                                               Bewegungsabläufe auf der Quartierstrasse vor deren Wohnung.                                          kommen und eher mit staatlicher Kontrolle oder Krankheit          grosse Selbständigkeit und die Möglichkeit, rauszugehen
                                                                                                                                                    in Verbindung gebracht werden.                                    und unterwegs zu sein. Allerdings fordere die dezentrale Ar-
                                                                                                                                                                                                                      beit auch viel Flexibilität und eine sehr gute Organisation,
     2016 bezogen in der Schweiz knapp 340 000 Menschen Spi-                     deckende Versorgung mit Krankenhäusern in den Industrie-                                                                             was manchmal anstrengend sei. Auch das Einzelkämpferda-
     tex-Leistungen, erbracht von rund 48 000 Personen, die sich                 staaten zum Geburtsort der Wahl. Auch die Wochenbettbe-                        N U T Z E N , WA S V O R H A N D E N I S T            sein fällt der Bernerin nicht immer leicht. «Unsere Räum-
     stets von Neuem auf den Weg machen, um kranke oder be-                      treuung erfolgte zunehmend dort, bis die ambulante Versor-         Zu den Fachleuten, die «von aussen» kommen, wenn eine             lichkeiten gleichen oft einem Bienenhaus: Die Leute gehen
     einträchtige Menschen zu Hause zu pflegen oder im Haus-                     gung durch Hebammen mit Einführung der Fallpauschalen              Krankheit oder Behinderung zu körperlichen Einschränkun-          ein und aus und immer ist irgendwo jemand am Packen. Als
     halt zu unterstützen. Die Spitex ist einer der Grundpfeiler der             wieder zur Norm wurde.                                             gen führt, gehört Physiotherapeut Florian Erzer. Er hat über      Team sehen wir uns nur zu festgelegten Sitzungen.» Umso
     sozialmedizinischen Versorgung in der Schweiz, vor allem                        In der sensiblen Phase nach der Geburt haben Familien          lange Jahre in einer Klinik für Neurorehabilitation gearbei-      wichtiger sind gute Absprachen – auch mit anderen Gesund-
     bei älteren Menschen: Fast die Hälfte aller Spitex-Bezüger ist              in der Schweiz Anrecht auf mindestens zehn Hausbesuche.            tet. Inzwischen ist er selbständig und konzentriert sich nebst    heitsfachleuten, die Tüschers Patienten ebenfalls zu Hause
     über 80. Und die Bedeutung der entsprechenden Leistungen                    Doch eine frei praktizierende Hebamme dafür zu finden, ist         seiner Tätigkeit als Dozent auf Domizilbehandlungen. Zu           besuchen und jeweils eigene Behandlungsziele verfolgen.
     nimmt zu. Denn einerseits steigt die Lebenserwartung und                    oft nicht so einfach. Viele von ihnen sind voll ausgelastet, und   seinen Patienten zählen Menschen, die aufgrund ihrer Be-              Die Tage beim SRK sind voll, fixe Pausen rar. Deshalb ist
     andererseits wünschen sich die meisten Senioren, so lange                   gerade in Ferienzeiten gibt es immer wieder Engpässe. Die          einträchtigungen nicht mehr mobil genug sind, um selbst in        Martina Tüscher manchmal froh um die Leerzeiten auf
     wie möglich in der gewohnten Umgebung zu bleiben. Doch                      Hebammen stehen vor der Herausforderung, dass sich ihre            die Praxis zu kommen, oder zu abgelegen wohnen.                   dem Fahrrad oder im Auto. Hier kann sie den Kopf durch-
     wie sieht es am anderen Ende des Lebensspektrums aus?                       Einsätze kaum vorausplanen lassen und sie sieben Tage die               Da ist zum Beispiel die 82-jährige Winterthurerin, die       lüften und «Psychohygiene betreiben», wie sie sagt. Denn
                                                                                 Woche Bereitschaft gewährleisten müssen. Mal kommt ein             nach einem Schlaganfall an einer Hemiparese leidet. Erzer         unter ihren Patienten sind auch solche mit schwerer MS,
                                                                                 Baby früher als gedacht, mal verlässt eine Frau das Spital         unterstützt sie dabei, ihre Beweglichkeit zu verbessern, und      Krebs oder ALS, die palliativ behandelt werden – belastende
                 E I N S ÄT Z E S I N D S C H W E R P L A N B A R                später und plötzlich laufen viele Wochenbettbetreuungen            nimmt bisweilen auch eine Drehscheibenfunktion zwischen           Situationen, die ihr auch mal nahegehen. «Nach solchen
     Bis vor etwa 70 Jahren war die Hausgeburt in allen Teilen der               parallel, an weit voneinander entfernten Einsatzorten.             Arzt, Spitex und Orthopädietechniker ein – etwa wenn es um        Begegnungen tut es gut, diese geschenkte Zeit zu haben,
     Welt die vorherrschende Art der Entbindung. Erst Mitte des                      Um ihre Ressourcen besser zu koordinieren und die Ver-         ein Hilfsmittel oder eine Schuhanpassung geht. Dass er seine      und nicht wie in der Praxis gleich den nächsten Patienten
     20. Jahrhunderts entwickelte sich das Spital durch die flächen-             sorgung junger Familien garantieren zu können, schliessen          Patientin zu Hause behandelt, empfindet er als Vorteil: «Hier     empfangen zu müssen.» //

10   VITAMIN G NR . 4 M A I 2 0 1 8                                                                                                                                                                                                                      VITAMIN G N R. 4 MAI 2018 11
Heimtraining mit dem Smartphone - als Familiensache - ZHAW Zürcher Hochschule für ...
DOSSIER|UNTERWEGS                                                                                                                    DOSSIER|UNTERWEGS

     WENN DER PFLEGEFACHMANN
                                                                                                                                           positiver Nebeneffekt kommt hinzu, dass die Behandlung zu
                                                                                                                                           Hause rund 20 Prozent günstiger ausfällt als ein stationärer
                                                                                                                                           Klinikaufenthalt. Bezahlt wird sie bisher allerdings bloss von

     ZWEIMAL KLINGELT                                                                                                                      gewissen Krankenkassen und zwar über eine Tagespauscha-
                                                                                                                                           le. Die entsprechenden Beträge hat die PUK mit den Versiche-
                                                                                                                                           rungen individuell ausgehandelt.
                                                                                                                                                An seiner Arbeit schätzt Meier, dass er Verantwortung
     Früher betreute Fabian Meier seine                                                  A L LTA G I N S C H E R B E N
                                                                                                                                           übernehmen muss – «ich kann mich bei einer Unsicherheit
     Patienten auf der Station. Heute besucht er                       Eine halbe Stunde später klingelt Fabian Meier an ihrer Woh-        nicht einfach mal kurz mit dem Kollegen im Nebenzimmer
                                                                       nungstür. Einmal, zweimal – nichts. Er zückt sein Handy,            austauschen» – und er für die einzelnen Patienten mehr Zeit
     sie zu Hause und kann so eine nähere Be­                          wählt ihre Nummer, wieder und wieder. Vergeblich. Doch              hat als früher auf der Station: «Es entstehen viel intensivere
     ziehung zu ihnen aufbauen. Möglich macht                          den Pflegefachmann bringt so schnell nichts aus der Ruhe.           Beziehungen.» In der Regel sind es 45 Minuten, die er je
     dies das Home-Treatment-Angebot der                               Dass Haustüren von Patienten auch mal verschlossen blei-            nach Zielsetzung individuell gestalten kann: «Mal gehe ich
     Psychia­trischen Universitätsklinik Zürich.                       ben, gehört zu seinem Berufsalltag. Er wartet fünf Minuten,         mit einem Patienten einkaufen; mal helfe ich jemandem, die
                                                                       drückt dann nochmals die Klingel – und: Plötzlich signalisiert      Wohnung aufzuräumen, und mal planen wir am Küchentisch
                                                                       ein Knacken in der Tür, dass diese entriegelt wurde.                den weiteren Tag.»
     VON RITA ZIEGLER
                                                                           Frau Frank steht etwas verloren in ihrer Wohnung. Sie                Dass man beim Home Treatment näher an den Patienten
                                                                       wirkt verwirrt. Leere Kartonschachteln stapeln sich im Ein-         sei, betont auch Sozialarbeiterin Myrtha Guggenbühl. Sie
                                                                                                                                           unterstützt Frau Frank momentan bei der IV-Anmeldung.

     K
                                                                       gangsbereich, die Küchenzeile ist mit Geschirr überstellt.
               urz vor acht Uhr, draussen bricht eben erst der neue    Auf dem Wohnzimmerboden liegen die Scherben eines Was-              Bei anderen Patienten stehen die Kontakte zum Sozialamt,
               Tag an. Doch Pflegefachmann Fabian Meier wirkt          serglases. «Die Katze», sagt sie und lächelt hilfesuchend.          zur KESB oder zum Arbeitgeber im Zentrum und manchmal
               hellwach. Er überfliegt seinen Einsatzplan, liest Ak-   Fabian Meier wischt mit ihr die Glassplitter auf. Dann setzen       hilft sie auch, die Wohnsituation neu zu regeln. Dank der in-
               ten, kontrolliert vorbereitete Medikamente, besorgt     sich die beiden an den Tisch. «Ich gehe heute nicht raus»,          terprofessionellen Zusammenarbeit funktioniere das Home
     ein Alkoholmessgerät und macht sich in ein winziges Büch-         stellt Frau Frank gleich als Erstes klar. «Auch nicht zur Ober-     Treatment wie eine mobile Klinik, sagt sie. Doch dafür brau-
     lein Notizen zu den heute anstehenden Patientenbesuchen.          arztvisite. Ich fühle mich so elend und die Männer da ma-           che es gute Absprachen und eine fundierte Vorbereitung auf
     Der 28-Jährige absolviert zurzeit den Bachelorstudiengang         chen mir Angst.» Sie weist auf das Baugerüst am Nachbar-            jeden Termin. «Wir müssen versuchen, abzuschätzen, was
     für diplomierte Pflegende an der ZHAW und ist im Berufs-          haus, auf dem Bauarbeiter auf- und abklettern. Meier bleibt         uns beim Patienten erwartet, und gleichzeitig flexibel reagie-
     alltag Teil des Home-Treatment-Teams                                                    gefasst. Dank dem Morgenrapport ist er        ren. Denn die Realität sieht oft ganz anders aus.»
     der PUK, der Psychiatrischen Universi-        «Wir müssen ver­                          auf die Situation vorbereitet. Er beruhigt         Eben dieser klare Realitätsbezug gefällt Maria Schütz,
     tätsklinik Zürich.                                                                      die Patientin und schlägt ihr vor, dass für   der Ergotherapeutin im Team, an der Arbeit bei den Patien-
         Das Angebot wurde im April 2016 ins       suchen, abzuschätzen,                     heute ein Assistenzarzt vorbeischaut, der     ten zu Hause so gut: «Die Patienten sind extrem ehrlich. Eine
     Leben gerufen. Aktuell betreuen zehn          was uns beim Patien­                      gerade in der Nähe unterwegs ist.             verwahrloste Wohnung etwa lässt sich im Home Treatment
     Pflegefachpersonen, drei Ärzte, eine So-                                                    Dieser ist bereits vorgewarnt und sitzt   nicht schönreden. So haben wir aber auch schnell konkrete
     zialarbeiterin, eine Ergotherapeutin und      ten er­wartet, und                        zehn Minuten später im Wohnzimmer.            Anknüpfungspunkte für die Therapie.» Bei Ruth Frank ging
     ein Psychologe 18 Patientinnen und Pa­
     tienten. Täglich findet mindestens ein
                                                   gleichzeitig flexibel                     Im Gespräch mit Ruth Frank versucht er,
                                                                                             herauszufinden, ob ihr momentaner Al-
                                                                                                                                           es zum Beispiel darum, Freizeit- und Vernetzungsmöglich-
                                                                                                                                           keiten im Quartier zu finden. Sie besucht nun eine Gymnas-
     Hausbesuch statt, das Team ist 24 Stun-       reagieren.»                               koholkonsum einen stationären Aufent-         tikgruppe im Gemeinschaftszentrum und geht zu Jasstref-
     den erreichbar. Zugeschnitten ist das                                                   halt erfordert. Denn der Atemtest spricht     fen, wenn es ihr Zustand erlaubt.
     Home Treatment für Personen, die an einer akuten psychia­         eine deutliche Sprache: 2,8 Promille. Doch ein Klinikaufent-
     trischen Erkrankung leiden und auf eine intensive Betreuung       halt kommt für die Mittfünfzigerin nicht in Frage: «Da bin                                                                                 Nach dem Spaziergang durchs Quartier bespricht Fabian Meier (rechts)
     angewiesen sind; Menschen, die beispielsweise mit einer           ich so oft gewesen, das ist mein absoluter Horror.» Schliess-             DER ANGST VOR DER ANGST BEGEGNEN                                 mit seinem Patienten die nächsten Therapieschritte.
     schweren Depression, einer Angststörung oder Schizophre-          lich willigt sie ein, sich um 14 Uhr nochmals telefonisch bei       Der letzte Patient auf Fabian Meiers heutiger Tour, nennen
     nie kämpfen. Als Begleitsymptom kommt bisweilen eine              Fabian Meier zu melden und in der kommenden Woche den               wir ihn Dominik Gerber, erwartet den Pflegefachmann be-
     Suchtproblematik hinzu. Für Abhängige auf Entzug sei die          Termin beim Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen wahr­             reits. Er wirkt sehr zuvorkommend und willigt sofort ein,        spannungsübungen, Riechstifte oder Tabletten auf pflanz­
     Betreuung zu Hause jedoch nicht die richtige Massnahme,           zunehmen. Bisher konnte sie sich für die Idee, die dortige          einen Spaziergang durchs Quartier zu machen. Der junge           licher Basis. Sein Patient zeigt sich interessiert. Allerdings
     stellt Fabian Meier klar. Ebenso wenig bei akuter Suizidge-       Tagesklinik zu besuchen, nicht erwärmen. Doch heute gibt            Mann leidet an einer paranoiden Schizophrenie. Vor ein paar      wird nicht ganz klar, ob er dies aus Höflichkeit tut oder weil
     fahr oder wenn Angehörige Teil des Problems sind.                 sie sich einsichtig: «Ich will das jetzt auch.»                     Wochen war er eines Morgens nicht mehr in der Lage, den          er ernsthaft motiviert ist, Alternativen auszuprobieren. Doch
         Bevor Meier sich im weissen VW auf den Weg zu seinen                                                                              Weg zu seinem geschützten Arbeitsplatz zu bewältigen.            Fabian Meier ist sehr zufrieden mit seinem Zustand. Denn
     Patienten macht, steht der Morgenrapport in der Zentrale                                                                              Plötzlich war da diese Angst. Und mit ihr kam die Angst vor      was Gerber trotz grosser Symptomlast und hochdosierter
     an. Das Team setzt sich über die Ereignisse der letzten Nacht      BEHANDLUNG ZU HAUSE DIENT ALS EISBRECHER                           der Angst. Nach einem stationären Klinikaufenthalt wird          Medikamente mit starken Nebenwirkungen im Alltag leiste,
     in Kenntnis: Zur Sprache kommen etwa die zahlreichen An-          «Das Home Treatment kann einen stationären Klinikaufent-            Dominik Gerber nun seit knapp zwei Wochen vom Home-              sei absolut erstaunlich.
     rufe von Ruth Frank, die im richtigen Leben anders heisst.        halt verkürzen, es kann aber auch ein Türöffner sein für Pa­        Treatment-Team betreut. Zudem geht er viermal die Woche              Das Home Treatment wird bei ihm wohl noch für eine
     Bei ihr wird Fabian Meier heute als Erstes vorbeischauen. Sie     tienten, die sich sonst nicht psychiatrisch behandeln lassen        zur Arbeitstherapie an die PUK. Ziel ist es, dass er seine       bis zwei Wochen weitergeführt. «Wir können die Behand-
     war am Vorabend offenbar stark alkoholisiert. Das Angebot         würden», sagt Fabian Meier, als er wieder im Auto sitzt.            Stelle demnächst wieder antreten kann. Am Vortag hat er          lung abschliessen, wenn die Akutphase vorüber ist und wir
     eines kurzfristigen Besuchs bei ihr zu Hause nahm sie zuerst      «Viele sind nicht bereit, freiwillig in eine Klinik einzutreten.»   erstmals den Weg dorthin gewagt. «Ich habe es zwar ge­           eine tragfähige Weiterbetreuung organisiert haben», erklärt
     an. Später – als die diensthabende Pflegefachfrau bereits im      Gleichzeitig widerspiegle das Angebot die generelle Öffnung         schafft. Doch als ich da ankam, haben mich die Ängste einge-     Meier, «in der Regel etwa nach drei Wochen.» Bei Dominik
     Auto sass – sagte sie den Termin plötzlich wieder ab. Zudem       der Psychiatrie und die heutige Tendenz, Menschen mit ge-           holt», erzählt er zerknirscht. Er habe dann ein Beruhigungs-     Gerber wird nebst der ambulanten Therapie voraussichtlich
     kündigte sie am Telefon bereits an, dass sie sich nicht im        sundheitlichen Problemen nach Möglichkeit dort zu behan-            mittel nehmen müssen. Fabian Meier geht mit ihm seine            die psychosoziale Spitex helfen, den Therapieerfolg langfris-
     Stande fühle, zur Oberarztvisite zu kommen, die für heute an      deln, wo sie leben; sie also in den Alltag und die Gesellschaft     verschiedenen Medikamente durch und weist ihn auch auf           tig zu sichern. Heute blickt er zuversichtlich in die Zukunft.
     der PUK vorgesehen wäre.                                          einzubinden, anstatt sie wegzusperren und auszugrenzen. Als         andere Strategien gegen die Angst und Anspannung hin: Ent-       Doch schon morgen kann die Welt ganz anders aussehen. //

12   VITAMIN G NR . 4 M A I 2 0 1 8                                                                                                                                                                                                             VITAMIN G N R. 4 MAI 2018 13
Heimtraining mit dem Smartphone - als Familiensache - ZHAW Zürcher Hochschule für ...
DOSSIER|UNTERWEGS

                                                                                       DA H I N G E H E N ,
                                                                                   WO D I E M E N S C H E N S I N D
                                                                                          In der Apotheke, am Arbeitsplatz oder im Schwimmbad: Massnahmen der
                                                                                      Gesundheitsförderung und Prävention müssen sich nach der Zielgruppe richten und
                                                                                        an den Orten umgesetzt werden, wo sich diese aufhält. Auch die Fachleute der
                                                                                                            ZHAW mischen sich dafür unters Volk.
                                                                                                                                   VON ANDREA SÖLDI

                                                                                            Aktionstag mit der Bahnhofsapotheke Winterthur: Physiotherapeutin Barbara Gubler untersucht eine Klientin.

                                                                                D
                                                                                          ie Verspannung im Nacken hat sich schon seit Län-        bei der Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz oder bei For-
                                                                                          gerem bemerkbar gemacht. Manchmal schluckt               schungsprojekten.
                                                                                          die junge Frau deshalb ein Schmerzmedikament.
                                                                                          «Ich bin wohl etwas überlastet», sagt sie. Gerne
                                                                                lässt sie sich auf das heutige Angebot in der Winterthurer             ANGST VOR DEM RÜCKENSCHMERZ NEHMEN
                                                                                Bahnhofsapotheke ein: Dozenten des ZHAW-Instituts für              In der unterirdisch gelegenen Bahnhofsapotheke mit ihren
«Was ich an den Behandlungen bei den Patienten zu Hause                         Physiotherapie sind vor Ort und offerieren Interessierten ei-      engen Platzverhältnissen müssen wenige kleine Geräte je-
besonders interessant finde? Beim ersten Termin eine vollkommen                 nen kostenlosen Rückencheck. «Wir wollen unsere Kompe-             doch ausreichen. Angesprochen auf die Rückenaktion wer-
                                                                                tenzen an die Menschen auf der Strasse bringen und unsere          den die Kunden vom Apothekenpersonal. Dieses macht vor
unbekannte Um­gebung vorzufinden, die mehr oder weniger Spielraum               therapeutischen Erfahrungen aufzeigen», sagt Barbara Gub-          allem Käufer von Schmerzmedikamenten auf das Angebot
für die Behandlung bietet. Da muss ich immer wieder impro­vi­sieren,            ler, Physiotherapiedozentin und Leiterin des mobilen Bewe-         aufmerksam. Die meisten Leute sind zwar eher wegen Hus-
um unter den gegebenen Umständen eine wirkungs­­volle Therapie                  gungslabors der ZHAW. Bei diesem Labor handelt es sich um          ten und Schnupfen hier. Doch einige nehmen gerne eine Be-
zu ermög­lichen.»                                                               einen Kleinbus mit technologischen Mess- und Therapiege-           ratung in Anspruch. Dafür muss zuerst ein Fragebogen aus-
                                                                                räten, die bei verschiedenen Gelegenheiten zum Einsatz             gefüllt werden. Es gehe vor allem darum, ernsthafte Rücken-
Unterwegs mit Stefan Kneubühler, Physiotherapeut und Stv. Geschäftsleiter bei   kommen: etwa bei der Sturzprävention in Alterssiedlungen,          leiden auszuschliessen, die einer spezifischen Behandlung
Physiotherapie Kipfer in Langnau.
                                                                                                                                                                                        VITAMIN G N R. 4 MAI 2018 15
Heimtraining mit dem Smartphone - als Familiensache - ZHAW Zürcher Hochschule für ...
DOSSIER|UNTERWEGS                                                                                                                           DOSSIER|UNTERWEGS

     bedürfen, erklärt Barbara Gubler. Doch die sind selten:        entsprechenden Bachelorstudiengangs. In der Schweiz sind                                                                                                                   Ein Foto für Instagram:
     «90 Prozent der Rückenschmerzen sind unspezifisch, hängen      bereits heute über zwei Millionen Menschen von Leiden                                                                                                                      Die Kampagne «Ja nicht rot werden»
                                                                                                                                                                                                                                               der Krebsliga setzt auf Massnahmen,
     also nicht mit einer strukturellen Schädigung zusammen.» In    wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkankungen und psychi­schen
                                                                                                                                                                                                                                               die auf den Alltag der jugend­lichen
     diesen Fällen sei eine ärztliche Untersuchung mit bildgeben-   Beeinträchtigungen betroffen. Zu den Ursachen zählen ne-                                                                                                                   Zielgruppe abgestimmt sind.
     den Verfahren oft kontraproduktiv. Eine Linderung erreiche     ben der zunehmenden Alterung der Gesellschaft Bewe-
     man viel eher mit Aufklärung und gezielter Beratung.           gungsmangel, eine unausgewogene Ernährung, übermässiger
         Bei der jungen Frau mit der verspannten Schulter führt     Alkohol- und Tabakkonsum sowie Stress. «Mehr Prävention
     Gubler einen Bewegungskontrolltest durch: Sie misst, wie gut   würde sich lohnen», sagt die Professorin. Denn der kosten-
     sich die Wirbelsäule unabhängig von anderen Gelenken be-       senkende Effekt sei wissenschaftlich erwiesen.
     wegen lässt. Am Schluss gibt sie ihr Tipps                                              Wie aber bringt man die Leute dazu,
     mit auf den Weg: Sie solle beim Stehen                                             sich mehr zu bewegen, gesünder zu es-
     und Sitzen den Kopf etwas stärker zurück-        «Wir wollen einen                 sen, das Leben ruhiger anzugehen und
     nehmen. Zudem könne sie die Beweglich-
     keit der Brustwirbelsäule fördern, indem
                                                      Top-down-Charakter                Gesundheitsrisiken zu vermeiden? Als
                                                                                        gelungenes Präventionsbeispiel gilt ge-
     sie die schmerzende Stelle im Schulterbe-        vermeiden, bei dem                meinhin die 1987 gestartete Stop-Aids-
     reich hin und wieder sanft über eine Fas-
     zienrolle oder zwei in eine Socke gestopf-
                                                      Erwachsene Jugend­                Kampagne des Bundes. Mit ihrem direk-
                                                                                        ten Kommunikationsstil stiess sie auch
     te Tennisbälle bewege. «Das kommt si-            liche belehren.»                  international auf Beachtung. «Die Kam-
     cher bald wieder gut», ermutigt Gubler.                                            pagne sprach die zentralen Punkte klar
     Sie weiss, dass Menschen mit Rücken-                                               an, obwohl diese damals noch tabuisiert
     schmerzen meist nicht nur körperliche Unterstützung brau-      waren: Sexualität, Homosexualität und Drogenmissbrauch»,
     chen, sondern auch Zuspruch auf psychologischer Ebene.         zählt Julie Page auf. In der Folge ging die Zahl neuer HIV-In-
     Denn tut etwas weh, neigen viele dazu, die betroffene Stelle   fektionen in der Schweiz über Jahre zurück. Das Programm
     zu schonen. «Doch Passivität und katastrophisierendes          dauert bis heute an. Es wird immer wieder den neuen Ent-
     Denken verschlimmern den Schmerz.» Deshalb empfiehlt           wicklungen und Zielgruppen angepasst und um neue Kom-
     sie den Patienten, sich regelmässig zu bewegen, und ver-       munikationskanäle ergänzt. «Erfolgreiche Prävention for-
     sucht, ihnen die Angst zu nehmen. Sie erklärt, dass die Wir-   dert Kontinuität», so Page.
     belsäule eine der belastbarsten Strukturen des Körpers und                                                                              schaft», erklärt Kampagnenleiterin Burkhalter. Manche              Sympathisch am Krebsligakonzept findet Page den positiven,
     erstaunlich schwer zu verletzen ist. «Meist lassen Rücken-                                                                              Posts würden hunderte Male gelikt und geteilt. Zudem arbei-        motivierenden Kommunikationsstil. Ganz anders kommt
     schmerzen von selber wieder nach.»                               J U N G E E R R E I C H E N G L E I C H A LT R I G E A M B E S T E N   ten die Fachleute der Krebsliga mit Influencern, die Tausen-       etwa die Anti-Rauch-Kampagne mit ihren abschreckenden
                                                                    Ein anderes Beispiel für eine gelungene Präventionsaktion                de von Likes generieren, und mit bekannten Sportlern, die          Bildern auf Zigarettenpackungen daher: Fotos von Raucher-
                                                                    ist die Kampagne «Ja nicht rot werden» der Krebsliga Zürich,             Statements abgeben und als Botschafter auftreten.                  lungen, Herzoperationen und angedeuteter Impotenz, kom-
            CHRONISCHE KRANKHEITEN BEGRENZEN                        welche Projektleiterin Monika Burkhalter den Studierenden                    Die Aktivitäten werden seit 2014 jedes Jahr im Früh­ling       biniert mit dem unübersehbaren Schriftzug «Rauchen ist
     Gesundheitsförderung und Prävention ist seit einigen Jahren    im Bachelorstudiengang Gesundheitsförderung und Präven-                  und Sommer durchgeführt. Der Stil orientiert sich am Fach-         tödlich». Grundsätzlich habe man sich von solchen Metho-
     ein wichtiges Standbein des ZHAW-Departements Gesund-          tion vorstellt. Die Krebsliga will Jugendliche zwischen 10 und           gebiet des Social Marketing, das erforscht, wie man Men-           den wieder distanziert, sagt Page. Doch im Falle der Tabak-
     heit. Mit den zunehmenden chronischen Krankheiten ge-          18 Jahren dazu bringen, sich vor der Sonne zu schützen. Denn             schen zu Verhaltensänderungen bewegen                                                 prävention sehe man sich einer Industrie
     winne der Ansatz an Bedeutung, sagt Julie Page, Leiterin des   jedes Jahr erkranken in der Schweiz rund 25 000 Personen an
                                                                    Hautkrebs. Wiederholte Sonnenbrände in den ersten 18 Le-
                                                                                                                                             kann. «Bei Jugendlichen ist das Schönheits­
                                                                                                                                             ideal sommerlich gebräunter Haut weit
                                                                                                                                                                                                «Erfolgreiche                      gegenüber, die mit riesigen Budgets über
                                                                                                                                                                                                                                   Jahrzehnte alles getan hat, das positive
                                                                    bensjahren erhöhen das Risiko dafür erheblich.                           verbreitet», weiss Burkhalter, die bei der         Prä­v ention erfordert             Image des Rauchens zu fördern. Studien
                                                                         Um die jungen Menschen zu sensibilisieren, bedient sich
                                                                    die Kampagne diverser auf die Zielgruppe abgestimmter
                                                                                                                                             Krebsliga Zürich den Bereich Prävention
                                                                                                                                             leitet. Das Thema Sonnenschutz dagegen
                                                                                                                                                                                                Kontinuität.»                      beispielsweise der WHO haben zudem ge-
                                                                                                                                                                                                                                   zeigt, dass bildliche Warnhinweise ein wirk-
                                                                    Mittel. Unter anderem erhielten stellenlose Jugendliche der              interessiere kaum. Mit einer fantasievollen                                           sames Mittel sind, um junge Menschen vom
                                                                    Zürcher Anlauf- und Arbeitsvermittlung Job Shop das nötige               Kam­pagne, die bewusst auf moralisierende Inhalte verzich-         Rauchen abzuhalten, Raucher zum Aufhören zu motivieren
                                                                    Rüstzeug, um an Sportanlässen, in Freibädern und an Schu-                tet, könne diese Zielgruppe am besten erreicht werden. Ob          und Rückfällen vorzubeugen. Mit emotionalen, selbsterklä-
                                                                    len zum Thema Sonnenschutz zu informieren. «Wir wollen                   die Hautkrebsfälle deswegen in den nächsten Jahren zurück-         renden Bildern erreiche man auch Menschen mit geringen
                                                                    einen Top-down-Charakter vermeiden, bei dem Erwachse-                    gehen werden, sei schwierig vorauszusagen. «Wir sind uns           Lesekompetenzen – insbesondere Kinder – und Fremdspra-
                                                                    ne Jugendliche belehren», sagt Monika Burkhalter. Mehr Re-               aber sicher, dass die Kampagne Wirkung zeigt.»                     chige, fügt Julie Page an.
                                                                    sonanz verspreche man sich vom Ansatz der sogenannten                                                                                            Wichtig sei stets, dass eine Intervention in ein Paket von
                                                                    Peer-Education. In roten T-Shirts verkünden die geschulten                                                                                  gut aufeinander abgestimmten Massnahmen eingebunden
                                                                    Teenager ihren Altersgenossen eine einfache Botschaft. Ers-                         M OT I V I E R E N O D E R S C H O C K E N ?            ist und dass neben dem Fokus auf Verhaltensänderungen bei
                                                                    tens: Schatten. Zweitens: Kleider. Drittens: Sonnencrème.                Der Peer-to-Peer-Ansatz, bei dem Personen gleichen Alters,         der Zielgruppe auch die gesellschaftlichen Voraussetzungen
                                                                    Dazu verteilen sie Give-aways wie Sonnencrèmen, Sticker                  gleicher Herkunft oder mit ähnlich gelagerten Interessen           berücksichtigt werden, zum Beispiel die Gesetze. Im Fall des
                                                                    und trendige Strohhüte. Damit sich die Information besser                aufeinander einwirken, stamme aus den USA, erläutert               Tabaks zählt man neben den Schockbildern auch auf das
                                                                    im Gedächtnis verankert, laden sie Jugendliche, die ihren In-            ZHAW-Professorin Julie Page. Dort setzte man etwa in der           Rauchverbot in Restaurants, Bars und öffentlichen Gebäu-
                                                                    fostand besuchen, ein, selbst aktiv zu werden. Mit Acces-                HIV-Prävention schon früh auf homosexuelle Männer, die             den sowie auf steigende Zigarettenpreise. Raucher erhalten
                                                                    soires wie Sonnenbrillen, Hüten, Sonnenschirmen und                      ihresgleichen aufklären und sensibilisieren. Mit solchen auf-      Unterstützung, wenn sie ihre Sucht in den Griff bekommen
                                                                    Strandutensilien können sie für ein Foto posieren und dieses             suchenden Aktionen erreiche man aber stets nur einen be-           möchten. Zusätzlich müsse die Werbung besser reguliert
                                                                    auf Instagram laden. Für die originellsten Aufnahmen win-                grenzten Teil der Bevölkerung, gibt sie zu bedenken. Sie soll-     werden, fordert Julie Page. Diesbezüglich habe die Schweiz
     Peer-Education: Jugendliche sensibilisieren Gleichaltrige      ken Preise wie Reisegutsscheine und Eintritte in den Europa-             ten mit flächendeckenden Massnahmen, etwa Warnhinwei-              noch sehr grossen Nachholbedarf: «Sie bildet quasi das
     zum Thema Sonnenschutz.                                        park. «So erreichen wir eine Multiplikation unserer Bot-                 sen und Plakaten, kombiniert werden.                               Schlusslicht Europas.» //

16   VITAMIN G NR . 4 M A I 2 0 1 8                                                                                                                                                                                                                 VITAMIN G N R. 4 MAI 2018 17
Heimtraining mit dem Smartphone - als Familiensache - ZHAW Zürcher Hochschule für ...
DOSSIER|UNTERWEGS                                                                                                                 DOSSIER|UNTERWEGS

         K N O W- H O W I N D I E W E LT
                                                                                                                                         sen durften. Das Spitalgelände, auf dem sie und die anderen     Cheira, die Non-Profit-Organisationen, die den Einsatz leite-
                                                                                                                                         Schweizer während des Einsatzes lebten, kam ihr so wie eine     ten, auch nächstes Jahr Handspezialistinnen ins Spital schi-
                                                                                                                                         Insel vor. Dabei genoss sie es, den Alltag der Kinder und der   cken möchten – sofern es die politische Lage erlaubt. //

               H I N AU ST R AG E N
                                                                                                                                         Angehörigen, die bis zum Abschluss der Wundheilung eben-
                                                                                                                                         falls im Spital wohnten, so nah mitzuerleben.
                                                                                                                                             Ob sie wieder nach Burkina Faso reisen kann, ist derzeit         cheira.org
                                                                                                                                         unklar. Sicher ist hingegen, dass Interplast Schweiz und             interplast-switzerland.ch

       Flüchtlingsmüttern einen geschützten Raum bieten, Kindern mit Brandverletzungen eine
          gute Behandlung ermöglichen und Inkontinenzbetroffenen zu mehr Lebensqualität
             verhelfen: Humanitäre Engagements von Gesundheitsfachleuten gestalten sich
      unter­schiedlich. Was sie verbindet, ist der Wunsch, Fachwissen über Landesgrenzen hinweg
            für Menschen in weniger privilegierten Lebensverhältnissen nutzbar zu machen.
                                                                                                                                         HEBAMMENDIENSTE
                                                                                                                                         FÜR FLÜCHTLINGSFRAUEN

     EINSATZ FÜR KLEINE HÄNDE                                                                                                            Zwei Hebammen brechen ihre Zelte in
                                                                                                                                         der Schweiz ab und machen sich auf nach
                                                                                                                                         Serbien. Dort möchten sie Schwangeren und
     Eine Delegation aus Chirurgen, Pflege­                                                                                              jungen Müttern in Flüchtlingscamps Unter­
     fachleuten und Ergotherapeutinnen reiste                                                                                            stützung und einen geschützten Ort bieten.
     Anfang Jahr nach Burkina Faso, um Kinder                                                                                            VON INGE CORTI
     mit Verbrennungen zu behandeln. Mit dabei:

                                                                                                                                         E
     Cornelia Struchen, Leiterin der ZHAW-                                                                                                      liane Reust und Laura Alemanno sind ein eingespiel-
     Weiterbildungen in Ergotherapie.                                                                                                           tes Team. 2014 haben sie an der ZHAW bereits die
                                                                                                                                                Bachelorarbeit zusammen verfasst. Ihr Thema: Die
     VON ANNINA DINKEL
                                                                                                                                                Wichtigkeit der Mutter-Kind-Beziehung. Diese zu
                                                                                                                                         fördern, liegt ihnen als Hebammen am Herzen. Beherzt wa-                  Eliane Reust in einem serbischen Flüchtlingscamp.
                                                                                                                                         ren sie neben ihrer Arbeit in Schweizer Spitälern auch im

     I
        n Burkina Faso kochen die Menschen am Feuer. Die offe-                                                                           Ausland engagiert. In Serbien etwa versorgte Eliane Reust
        nen Kochstellen bergen speziell für Kinder das Risiko, sich                                                                      als Volontärin der Hilfsorganisation Borderfree Association     ihre Einsätze, evaluieren die Abläufe und passen sie laufend
        zu verbrennen. Die Folgen davon bekam Cornelia Stru-                                                                             unter anderem Frauen und ihre Familien mit dem Nötigsten.       den Umständen an. Um das Engagement langfristig abzusi-
        chen wieder und wieder zu Gesicht, im Kinderspital Persis                                                                        Dabei erfuhr sie, was es heisst, in einem Flüchtlingscamp ein   chern, planen sie zudem, lokale Hebammen einzubeziehen,
     im Norden des Landes. Dort behandelte sie gemeinsam mit                      Provisorisches Therapiezimmer im Materialraum:         Kind zur Welt zu bringen. Sie erlebte, wie Schwangere und       damit diese die Betreuung in den Camps auch ohne die Initi-
     anderen Schweizer Handspezialistinnen und -spezialisten                         Cornelia Struchen mit einem ihrer Patienten.        junge Mütter mit ihren Sorgen und Bedürfnissen oft allein       antinnen weiterführen können.
     zwei Wochen lang Kinder mit Handverletzungen.                                                                                       waren und nicht wussten, an wen sie sich wenden konnten.            Im Mai 2018 soll das Projekt vor Ort starten. Bis dahin
         Zu Beginn entschied das Chirurgenteam in einer Sprech-        In ihrer Praxis in der Schweiz behandelt die Handtherapeu-            Frauen wie diesen bieten die 32-Jährige Hebamme und         gibt es noch einiges zu organisieren. Der administrative Auf-
     stunde, welche Kinder eine Operation brauchten und welche         tin selten Menschen mit vergleichbaren Brandverletzungen.         ihre Kollegin Laura Alemanno mit dem Projekt Mambrella          wand rund um ein solches Vorhaben sei gross und bringe lau-
     nicht. Zu Letzteren zählte etwa Rasmané, ein spitzbübischer       Wenn doch, dann therapiert sie diese – mit Abständen – bis        bald eine Anlaufstelle. In einer mobilen Hebammenpraxis         fend neue Herausforderungen, sagt Laura Alemanno. Seit
     Zehnjähriger, der stattdessen täglich Handtherapie bei Stru-      zu ein Jahr lang. In Burkina Faso blieb ihr hingegen kaum         werden sie Schwangerschaftskontrollen durchführen, Müt-         den Anfängen hätten sie enorm dazugelernt. Eliane Reust
     chen und ihren zwei Kolleginnen erhielt. Sie passten eine         Zeit dafür. Umso wichtiger war es, dass sie die Angehörigen       ter im Wochenbett begleiten, sie bei Fragen zu Gesundheit       ergänzt: «Jetzt sehnen wir uns danach, weniger am Laptop zu
     Schiene an und übten mit ihm, das versteifte Handgelenk zu        für die Nachbehandlung instruierte. Dazu bot sie diese in         und Verhütung beraten und nach ihren Babys schauen. «Wir        sitzen und endlich mit der Hebammenarbeit zu beginnen.»
     dehnen. So konnte er seine Hand bald viel besser bewegen und      Gruppen auf und wies sie im Verbandswechsel, im Umgang            möchten die Frauen in ihrem Muttersein bestärken und den            Nach einer erfolgreichen Crowdfunding-Aktion besuchen
     sogar Stifte halten. «Von da an zeichnete er nach jeder Behand-   mit der Schiene und in der Narbenpflege an. «Wir orientier-       Kindern trotz erschwerter Bedingungen einen möglichst           die beiden auf der Suche nach potenziellen Sponsoren nun
     lung begeistert mit unseren Farbstiften», erzählt Struchen.       ten uns an den Lebensumständen unserer Klienten», erzählt         sanften Start ins Leben ermöglichen», sagt Eliane Reust.        noch diverse Unternehmen. Je mehr Förderer sie erreichen,
         Weniger einfach gestaltete sich die Therapie bei Kindern,     sie, «zeigten den Eltern etwa, wie sie einen Verband ohne         Die Mütter sollen ihre Sorgen und Nöte für einen Moment         desto grösser werden ihre Möglichkeiten vor Ort. Unter-
     die eine Operation hinter sich hatten. Drei Tage nach dem         Kleber anbringen und Übungen am Boden statt auf dem               ausblenden können, getreu dem Motto des Projekts «Where         stützt wird das Projekt aber auch von Privatpersonen über
     Eingriff kamen sie zum Verbandswechsel und zum Anpassen           Tisch durchführen.»                                               mothers can be mothers».                                        die Website. Dort gibt es Spendenpakete für unterschiedlich
     der Schiene. Dabei weinten die Kleinen oft – trotz Schmerz-           Vieles, was Struchen in Burkina Faso erlebte, konnte sie          Für ihr Vorhaben arbeiten die Initiantinnen mit der Bor-    hohe Beträge: etwa für den Kauf von Windeln und Hygiene-
     mitteln. Struchen vermutet, dass dies nicht allein mit den        erst in der Schweiz richtig reflektieren. Etwa, wie es sich an-   derfree Association in Zürich zusammen. Die Non-Profit-         artikeln, Schwangerschafts- und Wochenbettkontrollen oder
     Schmerzen zu tun hatte oder mit dem Schrecken, den die            fühlt, aus einem der reichsten in eines der ärmsten Länder        Organisation leistet seit 2015 humanitäre Hilfe auf der Bal-    Starterkits für die ersten Wochen nach der Geburt. //
     operierte Hand auslöste. Vielmehr schien es ihr, die Kinder       der Welt zu reisen. Oder dass sie aufgrund der angespannten       kanroute und ist mit einem Team von Freiwilligen ständig
                                                                                                                                                                                                              mambrella.ch
     hätten auch Angst vor den ungewohnt Weissen.                      Sicherheitslage das Spital nur geführt und in Gruppen verlas-     vor Ort. Mit ihnen koordinieren die Mambrella-Hebammen

18   VITAMIN G NR . 4 M A I 2 0 1 8                                                                                                                                                                                                          VITAMIN G N R. 4 MAI 2018 19
Sie können auch lesen