25.-29. AUGUST Ein Festival feiert das pure Leben - GAIA Festival

Die Seite wird erstellt Sven-Aarge Nagel
 
WEITER LESEN
25.-29. AUGUST Ein Festival feiert das pure Leben - GAIA Festival
GÖTTERFUNKEN
    2021
   2 5 . – 29.      AUG UST

  Ein Festival feiert das pure Leben.

P R O G R A M M
25.-29. AUGUST Ein Festival feiert das pure Leben - GAIA Festival
WILLKOMMEN                                                                                          I N H A LT
zum GAIA Musikfestival Oberhofen
                                                                                                    KONZERTPROGRAMM                   5
GÖTTERFUNKEN
                                                                                                    Mittwoch, 25. August 2021         6
                                                                                                    19.30 Uhr, Stadtkirche Thun
                                                                                                    IN BEETHOVENS UNIVERSUM
                                                                                                    Donnerstag, 26. August 2021       8
Sehr geehrte Zuhörerinnen                                                                           19.30 Uhr, Kirche Scherzligen
und Zuhörer, liebe                                                                                  L’EROICA
Freundinnen und Freunde
                                                                                                    Freitag, 27. August 2021         12

Beethoven war nicht gerade dafür bekannt, ein     mitsingen und kennt einen der bewegendsten        19.30 Uhr, Kirche Hilterfingen
geduldiger Mensch zu sein. Wie hätte er wohl      Refrains der Geschichte: die Ode an die Freude.   FRATRES
darauf reagiert, dass seine Geburtstagsfeier-          Seit dem letzten GAIA Musikfestival sind
                                                                                                    Samstag, 28. August 2021         16
lichkeiten nicht wie geplant stattfinden konn-    27 Monate vergangen. In dieser Zeit haben
ten? Womöglich hätte er es kaum bemerkt,          wir unser Festival dreimal geplant und wieder     20 Uhr, Kirche Hilterfingen
denn um seine eigene Person machte er wenig       abgesagt. Wir haben alles in unserer Macht        DER STURM
Aufhebens. Schon Rossini war erschrocken,         Stehende getan, um die ursprüngliche Künst-       Sonntag, 29. August 2021         20
wie ärmlich der berühmte Beethoven lebte.         lerliste aufrechtzuerhalten. Wir haben mit Ih-
                                                                                                    11 Uhr, Schloss Oberhofen
Ganz gleich ob Empathie oder Frustration,         nen, unserem Publikum, über personalisierte
eines ist klar: Beethovens Einfluss ist stärker   Newsletter, Briefe oder E-Mails Kontakt gehal-    DAS IDOL
als je zuvor. Sein Vermächtnis, Musiker und       ten. Wir haben eng mit den Gemeinden Ober-        Matinée
Publikum auf der ganzen Welt zu inspirieren,      hofen und Hilterfingen und dem Kanton Bern        Sonntag, 29. August 2021         24
scheint immer weiter zuzunehmen.                  zusammengearbeitet, mit unseren Sponsoren,
                                                                                                    18 Uhr, Kirche Hilterfingen
    Nie zuvor haben wir in der 13-jährigen Ge-    den Stiftungen und Einzelspendern, die unser
schichte von GAIA für jemanden den Teppich        Überleben gesichert haben. Wir haben uns als      GÖTTERFUNKEN
so feierlich ausgerollt wie für den Grossmeis-    Team von Komiteemitgliedern und Freiwilligen      Abschlusskonzert
ter der Wiener Klassik. In der Vergangenheit      so sicher und häufig wie möglich getroffen. Vor
setzten wir uns unter anderem dafür ein, zeit-    allem aber haben wir Sie vermisst. Wir haben
genössische Komponisten zu fördern, indem         es vermisst, persönlich bei Ihnen zu sein, für
                                                                                                    K Ü N S T L E R P O R T R ÄT S   29
wir sie mit neuen Werken für unser Festival       Sie zu spielen, mit Ihnen Ideen auszutauschen
beauftragten. In diesem Jahr ist Beethoven un-    und mit Ihnen Teil dieser Gemeinschaft zu
ser Composer in Residence.                        sein.
    Unsere Reise durch Beethovens Universum            Vielen Dank für Ihre und eure anhaltende     Wir sind das GAIA                39
führt uns nicht nur entlang seiner eigenen Mu-    Unterstützung. Es ist fast unmöglich, auszu-      Musikfestival Oberhofen
sik, sondern auch zu jenen, die er inspirierte.   drücken, wie glücklich wir sind, wieder hier      Impressum
Schüler wie Ries, Zeitgenossen wie Mosche-        zu sein. Beethovens Götterfunken schafft es
les und Vorgänger wie Mozart kreisen um ihn.      am besten, die Freude zu vermitteln, die unsere
Einige Figuren des diesjährigen Festivals sind    Herzen in diesem August 2021 erfüllt.
                                                                                                    Wir danken                      40
entweder weitgehend vergessen, wie Dussek,
oder unterschätzt, wie Spohr. Beinahe alle
stehen sie im Schatten von Beethoven. Selbst      Freudigst, Ihre
in einer Welt, in der klassische Musik eine Ni-
schenkunstform ist, kann praktisch jeder die      Gwendolyn Masin
ersten vier Töne von Beethovens 5. Sinfonie       Gründerin und künstlerische Leiterin
    2                                                                                                                                     3
25.-29. AUGUST Ein Festival feiert das pure Leben - GAIA Festival
KONZERTPROGRAMM

    Wie liest man heute Zeitung?
               Digital.

4                                                    5
25.-29. AUGUST Ein Festival feiert das pure Leben - GAIA Festival
Mittwoch, 25. August 2021, 19.30 Uhr
    Stadtkirche Thun

    IN BEETHOVENS
    UNIVERSUM
    Ludwig van Beethoven (1770–1827)
    Sieben Variationen über «Bei Männern,
    welche Liebe fühlen»
    aus Die Zauberflöte, WoO 46

    Carl Czerny (1791–1857)
    Marcia funebre sulta morte
    di Luigi van Beethoven op. 146

    Ferdinand Ries (1784–1838)
    Klavierquintett b-Moll op. 74                           Ausführende                Ludwig van Beethoven – Sieben Variationen
                                                                                       über «Bei Männern, welche Liebe fühlen»
    Ludwig van Beethoven (1770–1827)                        Violine
                                                                                       aus W.A.Mozarts Die Zauberflöte, WoO 46
                                                            Wouter Vossen
    Septett Es-Dur op. 20
                                                            Gwendolyn Masin            Weder von Haydn, noch von Mozart ist ein einziges Solowerk für Violon-
                                                            Viola                      cello erhalten, sieht man einmal vom Fragment einer Sinfonia Concertante
                                                            Razvan Popovici            für Streichtrio und Orchester KV 320e ab, die Mozart sehr wahrscheinlich
                                                            Tomoko Akasaka             wegen der Unmöglichkeit einen ausreichend versierten Cellisten für die
                                                            Cello                      Umsetzung in Salzburg zu finden, abbrach. Während Solisten wie Luigi
                                                            Chiara Enderle Samatanga   Boccherini und Giuseppe Maria Jacchini in der Barockzeit Sonaten schrie-
                                                            Benedict Klöckner          ben, fiel es Beethoven zu, das sich stärker von der Rolle des Basso conti-
                                                            Kontrabass                 nuo weg zu einem prominent solistisch eingesetzten Streichinstrument zu
                                                            Lars Schaper               entwickeln. Neben den fünf bedeutenden Cellosonaten, bei denen in op.
                                                            Klarinette                 5 noch das Klavier dominiert, schrieb er um die Jahrhundertwende 1800
                                                            Moritz Roelcke             insgesamt drei Variationswerke für Klavier und Violoncello, eines über ein
                                                            Horn                       Thema aus Händels «Judas Maccabaeus» und zwei zu Themen aus Mozarts
                                                            Hervé Joulain              «Zauberflöte». Diesen passgenau auf die Bedürfnisse der zunehmend prak-
                Das Konzert wird von Radio SRF              Fagott                     tizierten bürgerlichen Kammermusik zugeschnittenen, gut verkäuflichen
                aufgenommen. Über die Ausstrahlung          Igor Ahss                  Werke verlieh der Komponist keine Opuszahlen. Das opus 1 behielt er den
                auf Radio SRF 2 Kultur informieren          Klavier                    gewichtigeren Klaviertrios aus gleicher Zeit vor.
                wir Sie gerne in unserem GAIA-Newsletter.   José Gallardo
                                                            Diana Ketler

6                                                                                                                                                                   7
25.-29. AUGUST Ein Festival feiert das pure Leben - GAIA Festival
Donnerstag, 26. August 2021, 19.30 Uhr                             Johann Nepomuk Hummel – Klavierquintett Es-Dur op. 87
    Kirche Scherzligen                                                 Der in Bratislava (damals Pressburg) geborene Hummel war ein Wunder-
                                                                       kind, das innerhalb weniger Jahre mit den Grössen seiner Zeit verkehrte.
                                                                       Bei Mozart, der von ihm beeindruckt war, zog er als kleiner Knabe sogar
                                                                       ein und erhielt zwei Jahre lang kostenlosen Unterricht, war auf diese Weise
                                                                       Mozarts engster Schüler. Auch bei Haydn und Johann Georg Albrechtsber-
                                                                       ger nahm er später Stunden, eben jenen beiden Männern, die auch Beetho-

    L’ E R O I C A                                                     ven instruierten, als dieser 1792 nach Wien kam. Dessen beeindruckendes
                                                                       Klavierspiel, nebst seinem extrovertierten Charakter, schüchterte Hum-
                                                                       mel stark ein, was er aber mittels einer allmählichen Annäherung an den
                                                                       Rheinländer überwand. Ihre Freundschaft war meist von gegenseitigem
                                                                       Respekt geprägt. Zuweilen gab es aber höchst unglückliche Ereignisse, wie
                                                                       Beethovens zuweilen abfällige Bemerkungen über Hummels Qualitäten in
                                                                       Musikerkreisen, die dem Jüngeren zu Ohren kamen, wie auch Beethovens
                                                                       offensichtlich amouröses Interesse an Hummels Ehefrau.
    Johann Nepomuk Hummel (1778 – 1837)
                                                                          Abseits Wiens übernahm Hummel ab 1804 viele Pflichten des krän-
    Klavierquintett es-Moll op. 87                                     kelnden Haydn am Hof Nikolaus II. von Esterházy in Eisenstadt. Erst nach
       I. Allegro e risoluto assai                                     dessen Tod 1809 erhielt er den Titel und Rang eines Kapellmeisters, wurde
       II. Menuetto. Allegro con fuoco                                 aber schon 1811 entlassen, weil er angeblich seine vertraglichen Obliegen-
       III. Largo                                                      heiten vernachlässigte. Weitere Stationen führten ihn nach Stuttgart und
       IV. Finale: Allegro agitato                                     Weimar, wo er gegen Ende seines Lebens feststellen musste, wie seine auf
                                                                       spätklassischen Fundamenten ruhende Musik langsam aus der Mode kam.
    Ignaz Moscheles (1794 – 1870)                                      Auf dem Gipfel seines Ruhms weit respektiert und geschätzt, hinterliess
    Variations concertantes d-Moll op. 21                              er neben umfangreicher Klaviermusik solo, mit Orchester und in der Kam-
       Var. I                                                          mermusik auch kuriose Werke, wie ein Mandolinenkonzert. Das in der «Fo-
       Var. II Piu mosso                                               rellen-Quintett»- Besetzung geschriebene Klavier-Quintett – die auch von
       Var. III Tempo 1mo                                              Ferdinand Ries verwendet wurde – entstand 1802 und gibt besonders dem
       Var. IV Majore                                                  Klavier ausreichend Gelegenheit zu glanzvoller Präsentation. Das Quintett
       Var. V (pianoforte solo)             Ausführende                op. 87 ist dennoch ein meisterlich verfertigtes Werk. Der erste Satz fesselt
       Var. VI Allegretto                                              und beeindruckt den Hörer mit seiner Kraft und Leidenschaft zugleich. Das
                                            Violine
       Majore                                                          eigenwillige Hauptthema hat einen robust drängenden, fast martialischen
                                            Suyeon Kang
                                            Wouter Vossen              Charakter, flankiert von romantischen Kontrasten, während das Minuetto
    Ludwig van Beethoven (1770 – 1827)                                 mit einer Mischung aus Lebendigkeit und Überschwang mit melancholi-
                                            Viola
    Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 55            Tomoko Akasaka             scher Note überzeugt. Das Finale ist voller unbeschwerter Fröhlichkeit und
    instrumentiert für Klavierquartett      Razvan Popovici            endet mit einem brillanten und wirkungsvollen Abschluss. Der Kontrabass,
    von Ferdinand Ries                      Violoncello                wie auch bei Ries, dient mehr der Erweiterung des tiefen Registers, als dass
        Allegro con brio                    Chiara Enderle Samatanga   ihm je ein eigenes Podium eröffnet würde. Beide Quintette sind dadurch
        Marcia funebre. Adagio assai        Benedict Klöckner          eher Klavierquartette mit der Erweiterung durch einen Kontrabass. Erst in
        Scherzo: Allegro vivace             Kontrabass                 Schuberts «Forelle», fast zwei Jahrzehnte später, darf der Kontrabass sich
        Finale: Allegro molto               Lars Schaper               gleichwertige Geltung verschaffen.
                                            Flöte
                                            Maximilian Randlinger
                                            Klavier
                                            José Gallardo
                                            Diana Ketler

8                                                                                                                                                     9
25.-29. AUGUST Ein Festival feiert das pure Leben - GAIA Festival
Ignaz Moscheles– Variations concertantes d-Moll op. 21                         zunächst Hoffnungen auf die Erfüllung hehrer gesellschaftlicher Ziele.
     Thema Andantino                                                                Erst nach dessen eigener Erhebung in den Stand eines Kaisers rückte er
                                                                                    ab von seiner Widmung und nannte die Sinfonie «Eroica». Sie sollte nicht
     Der Jüngste der Komponisten im Umfeld Beethovens am diesjährigen Fes-
                                                                                    mehr an einen bestimmten Menschen erinnern, sondern an das Heroische
     tival – wie alle anderen auch ein glänzender Pianist – war früh glühender
                                                                                    in jedem Menschen, der sich aufmacht, Ausserordentliches zu leisten.
     Anhänger des Revolutionärs, was ihm sein Lehrer Bedřich Diviš Weber
                                                                                    Geschrieben ist das Werk in Heiligenstadt, jenem Ort und zu jener Zeit,
     (1766 – 1842) austreiben wollte, da er Bach, Mozart und Clementi bevor-
                                                                                    als Beethoven eigentlich nicht mehr weiter wusste und den Wunsch hat-
     zugte. Nach Wien ging er 1808 als Vierzehnjähriger und studierte, wie
                                                                                    te, sein Leben würde hier enden. Wie andere grosse Künstler hat er seine
     die vorherige Generation Musiker bei Albrechtsberger und Antonio Sali-
                                                                                    übergrosse Begabung genutzt, um sich aus eigener Kraft aus dem Schla-
     eri Komposition. Beethoven begegnete er endlich und beeindruckte ihn
                                                                                    massel zu ziehen, was immer wieder erstaunt, wenn man bedenkt, welche
     derart, dass der Ältere ihm den handgeschriebenen Klavierauszug seines
                                                                                    Kraft nötig ist, schöpferisch tätig zu sein, wenn die Seele darniederliegt.
     Fidelio anvertraute. Sie blieben einander verbunden bis zuletzt, als Mo-
                                                                                    Exemplarisch für den eigentlichen Kraftakt ist auch die Länge der Sinfonie,
     scheles für Beethoven einen Vorschuss auf eine 1o.Symphonie bei der Lon-
                                                                                    die viele Zeitgenossen an die Grenze ihrer Konzentrationsfähigkeit brach-
     don Society of Music erwirkte. Beethoven aber starb wenige Tage später.
                                                                                    te. Gerade der erste Satz sprengt alle bisherigen Massstäbe. Beethoven
     Als Pianist und Pädagoge weit herum respektiert und begehrt, gilt als eine
                                                                                    verhandelt darin eine überbordende Fülle von Themen und Impulsen, die
     von Moscheles bemerkenswertesten Lebensabschnitte die Nähe zu Felix
                                                                                    sich schlicht nicht abkürzen lässt. Das Adagio ist der erste Trauermarsch in
     und Fanny Mendelssohn: «Das ist eine Familie, wie ich sie noch nie erlebt
                                                                                    einer Symphonie. Wahrscheinlich verbindet ihn am meisten mit des Kom-
     habe. Felix, ein Junge von fünfzehn Jahren, ist ein Phänomen. Was sind
                                                                                    ponisten Leidensweg. Das Scherzo mit all seinen rhythmisch absichtlichen
     alle Wunderkinder im Vergleich zu ihm? … Er ist bereits ein reifer Künst-
                                                                                    Verwirrungen stiftet wieder zum Lebensmut an. Der letzte Satz mischt die
     ler. Seine ältere Schwester Fanny ist ebenfalls ausserordentlich begabt.»
                                                                                    verschiedensten Elemente zusammen: Die Variationsform, eine betont ba-
     Wenig später schrieb er: «Heute Nachmittag … gab ich Felix Mendelssohn
                                                                                    rocke Fuge, ein Rondo, ein zur pathetisch aufgeladenen Coda-Apotheose
     seine erste Unterrichtsstunde, ohne ihn auch nur einen Augenblick aus
                                                                                    strebendes, innehaltendes Poco Andante.
     den Augen zu verlieren, da ich neben einem Meister, nicht neben einem
                                                                                        Wie kann man eine so gewaltige Musik auf nur vier Instrumente ver-
     Schüler sass.» Moscheles Begeisterung für Beethoven brachte er gegen-
                                                                                    kleinern? Ferdinand Ries (1784 – 1838), Beethovens einziger Kompositions-
     über den beiden Ausnahmetalenten vielfach zum Ausdruck, studierte mit
                                                                                    schüler neben Carl Czerny war nahe am Meister dran, der Beethoven das
     ihnen seine Werke, was deren Hingabe an den Wiener Meister vertiefte.
                                                                                    Werk einmal alleine am Klavier vorspielte: «…ich glaube Himmel und Erde
     Die Variations concertantes gehören zu einer Handvoll Kompositionen für        muss einem zittern bei ihrer Aufführung.» schrieb er anschliessend an den
     Flöte und Klavier, eher eine selten verwendete Kombination Anfang des          Verleger Simrock, dem die Sinfonie zum Kauf angeboten wurde.
     19. Jahrhunderts. Allerdings lässt Moscheles offen, ob eine Violine das (da-       Zunächst waren Bearbeitungen von grossen Werken immer praktisch
     malige) Holzinstrument ersetzt. Es ist ein effektvolles kurzes Stück, das      gedacht. Sie sollten wichtige Musik in viele bürgerliche Häuser tragen. Was
     seine Kontraste geschickt ausspielt. Eine der Variationen ist dem Klavier      diese Reduktionen – wenn sie, wie in diesem Fall, sehr gut gemacht sind
     alleine vorbehalten.                                                           – leisten können, ist Transparenz. Man hört Vertrautes in ungewohntem
                                                                                    Gewand. Man gewöhnt sich schnell daran, weil das innere Ohr vervollstän-
                                                                                    digt, ganz unwillkürlich. Dabei ertappt man sich aber zugleich, wie man
     Ludwig van Beethoven – Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 55
                                                                                    plötzlich Einzelheiten wahrnimmt, die bisher im grossen Ganzen verloren
     instrumentiert für Klavier, Violine, Viola und Violoncello
                                                                                    gingen.
     von Ferdinand Ries unter Hinzunahme eines Kontrabasses
                                                                                        Die Hinzunahme eines Kontrabasses gründet auf dem Impuls von Lars
     Wieder Es-Dur, jene Tonart, die Erhabenheit ausstrahlt und oft besonders       Schaper zurück, dem heute ausführenden Bassisten. Andernorts bereits
     majestätisches Gepräge hat. Viele zentrale Werke Mozarts nutzen sie, wie       erfolgreich erprobt, spielt dieser einfach die originale Beethoven’sche
     die «Sinfonia Concertante», das Divertimento für Streichtrio, die 39.Sym-      Stimme, welche dem Klavierquartett eine im wahrsten Sinne fundamentale
     phonie. Die Parallel-Tonart ist c-Moll, die düsterste aller Moll-Tonarten.     klangliche Erweiterung schenkt.
     Kein Komponist von Format wählt Tonarten zufällig und natürlich sollte             Die Hauptsache bleibt immer: Der Kern der musikalischen Sprache liegt
     die «Eroica» etwas Besonderes sein. Wie wir wissen, dachte er bei der Kon-     frei und entfaltet seine vereinnahmende Kraft.
     zeption der Partitur an Buonaparte, aber diesen, als er noch erster Konsul
     war. Er schätzte ihn damals ausserordentlich hoch und verband mit ihm

10                                                                                                                                                                 11
25.-29. AUGUST Ein Festival feiert das pure Leben - GAIA Festival
Freitag, 27. August 2021, 19.30 Uhr                                 Arvo Pärt – Cantus in Memoriam of Benjamin Britten (1977)
     Kirche Hilterfingen                                                 Cantus & Fratres sind die beiden bekanntesten Stücke Arvo Pärts, dem est-
                                                                         nischen Komponisten und Vertreter der «Neuen Einfachheit». Das Stück
                                                                         kann als Meditation über den Tod angesehen werden, denn Arvo Pärt sagt
                                                                         über den Anlass zu seiner Komposition: «In den zurückliegenden Jahren
                                                                         haben wir sehr viele Verluste für die Musik zu beklagen gehabt. Warum
                                                                         hat das Datum von Benjamin Brittens Tod – 4. Dezember 1976 – gerade eine

     F R AT R E S                                                        Saite in mir berührt? Offenbar bin ich in dieser Zeit reif dafür geworden,
                                                                         die Grösse eines solchen Verlustes zu erkennen. Unerklärbare Gefühle der
                                                                         Schuld, ja mehr als das, entstanden in mir. Ich hatte Britten gerade für mich
                                                                         entdeckt. Kurz vor seinem Tod bekam ich einen Eindruck von der seltenen
                                                                         Reinheit seiner Musik – einer Reinheit, die dem Eindruck vergleichbar ist,
                                                                         den ich von Balladen Guillaume de Machauts erhalten hatte. Ausserdem
                                                                         hatte ich lange schon den Wunsch gehabt, Britten persönlich kennen zu
                                                                         lernen. Es kam nicht mehr dazu und jetzt werde ich nie die Möglichkeit
     Arvo Pärt (*1935)
                                                                         dazu haben.»
     Cantus in Memoriam
     of Benjamin Britten
                                               Ausführende               Joseph Haydn – Streichquartett C-Dur, op. 20 Nr. 2
     Joseph Haydn (1732 – 1809)
     Streichquartett C-Dur, op. 20 Nr. 2
                                               Violine                   «In Nomine Domini» im Namen des Herrn, begann Joseph Haydn 1772 die
        I. Moderato
                                               Sebastian Bohren          Niederschrift seiner Streichquartette Opus 20 auf Schloss Esterháza, dem
        II. Adagio
                                               Gwendolyn Masin           seit 1766 bewohnbaren neuen Schloss des musikliebenden Prinzen Niko-
        III. Menuetto (Allegretto)                                       laus Esterházy. Es war von Schloss Versailles inspiriert, aber lag im Sumpf-
                                               CHAARTS Chamber Artists
        IV. Allegro                                                      gebiet, dem Nordwind ausgesetzt und galt als ungesunde Wohnstätte. Fürst
                                                                         Nikolaus «der Prachtliebende», liess sich aber nicht davon abhalten, aus
     Alfred Schnittke (1934 – 1998)                                      diesem Provinznest ein auf ganz Europa anziehend wirkendes Schlossen-
                                                                         semble – 13 Millionen Gulden schwer – zu errichten, wovon dessen heu-
     Moz-Art à la Haydn
                                                                         tiger Zustand nur einen unvollständigen Eindruck vermittelt. Es gab u.a.
     Spiel mit 2 Violinen und Ensemble
                                                                         ein eigenes Wohnhaus für die Hofmusik, ein freistehendes, vollausgestat-
                                                                         tetes Opernhaus (1781 vollendet, heute verschwunden, das erste Gebäude
     Johann Sebastian Bach (1685 – 1750)
                                                                         war 1779 abgebrannt) und ein Marionettentheater, das die Zeitgenossen als
     Konzert für 2 Violinen d-Moll, BWV 1043                             eine Art Weltwunder bestaunten. Letzteres wurde im 19. Jahrhundert zu
        I. Vivace                                                        einem mehrgeschossigen Kornspeicher umfunktioniert, dabei sind seine
        II. Largo, ma non tanto                                          Innenverzierungen völlig vernichtet worden. Haydns Wirkungsort lag ab
        III. Allegro                                                     vom Schuss, aber war ein idealer Arbeitsort mit luxuriösen Bedingungen.
                                                                         Die sechs Quartette des Opus 20 sind die dritte dort geschriebene Gat-
     Wolfgang Amadeus Mozart (1756 – 1791)                               tungs-Gruppe nach op. 9 und op. 17.
     Adagio und Fuge c-Moll KV 546                                          Nach dem Abschluss seiner neuen Quartette im Sommer 1772, muss sich
        I. Adagio                                                        der 40jährige Komponist bewusst gewesen sein, alle bisherigen Quartet-
        II. Allegro                                                      te an Kunstfertigkeit, Vielfalt und Dichte übertroffen zu haben. Besonders
                                                                         bemerkenswert am C-Dur Quartett ist das langsame c-Moll Adagio, als
     Arvo Pärt (*1935)                                                   »Capriccio» bezeichnet, in dem Haydn eine Art freie, pathetische Phanta-
     Fratres                                                             sie entwirft, in der sich Unisonopassagen und Rezitativgesten der 1.Violine
                                                                         zu einem instrumentalen »Recitativo accompagnato» voller Opera-seria-

12                                                                                                                                                       13
25.-29. AUGUST Ein Festival feiert das pure Leben - GAIA Festival
Pathos vereinen, und dessen Gesamtablauf stark an Haydns «Die sieben          Wolfgang Amadeus Mozart – Adagio und Fuge c-Moll KV 546
     letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze» erinnert. Der Schlusssatz ist
                                                                                   Wenige Stücke Mozarts wirken derart aus der Zeit gefallen, wie diese kom-
     eine Fuge mit vier Themen, ein Finale von grösster Kunstfertigkeit. Das
                                                                                   plexe, raue, kühn-chromatische Fuge. 1782 zunächst für zwei Klaviere ent-
     moderne Streichquartett erhebt Haydn hier erstmals zum Inbegriff kom-
                                                                                   standen, bearbeitete Mozart das Stück 1788 für Streicher. Die Fuge als kon-
     positorischer Konzentration und Raffinesse. In einer Adaption für Strei-
                                                                                   trapunktisches Übungsfeld angehender Komponisten war obligatorisch,
     cherensemble von Andreas Fleck werden Licht und Schatten, Feinheit und
                                                                                   auch lange nach dem Ausklingen der Barockzeit. Beethoven soll sich über
     Wucht experimentell neu beleuchtet.
                                                                                   endlose solcher Übungen im Haydnschen Unterricht beschwert haben. Für
                                                                                   Mozart, der sich gerade zu dieser Zeit besonders für die traditionelle Tech-
     Alfred Schnittke – Moz-Art à la Haydn
                                                                                   nik interessierte, geriet die Fuge mit ihrem düster-dissonant einleitenden
                                                                                   Adagio zu einer Ebene maximalen Ausdrucks. Mag sein, dass Mozart den
     «Manchmal denke ich an Alte Musik als eine wunderbare Art zu schrei-          Blick in die Zukunft als Experiment betrachtete. Die bis heute anhaltende
     ben, die verschwunden ist und niemals wiederkehren wird. In diesem            Popularität des KV 546 würde ihn bestimmt selbst in Erstaunen versetzen.
     Sinne empfinde ich sie als tragisch.» sagte Schnittke einmal. Es wurde zu
     einem Markenzeichen des russischen Komponisten, Bezüge zu realer und
     imaginierter klassischer Musik zu ironischen, zeitgenössisch formulierten     Arvo Pärt – Fratres
     Kollagen zu montieren. So schrieb er in einem Satz diese witzig-vitale Par-
                                                                                   Die Beliebtheit von Fratres, das 1977 als Quintett für Streicher oder Bläser ent-
     odie eines Doppelkonzertes mit seinen überraschenden Effekten für Gidon
                                                                                   stand, verstellt etwas den Blick auf die grosse Vielseitigkeit des Komponisten
     Kremer und Tatjana Grindenko und zeigt auf hervorragende Weise Schnitt-
                                                                                   Arvo Pärt. Daran ist er aber nicht ganz unschuldig, immerhin veröffentlichte
     kes Ansinnen den heute nur noch wenig benutzen Begriff von der «ernsten
                                                                                   er zwischen 1977 und 2009 insgesamt 20 verschiedene Besetzungsvarianten
     (klassischen) Musik» zu entlarven.
                                                                                   davon. Eine geniale, unmittelbar packende musikalische Idee zu Lebzeiten
                                                                                   derart finanziell einträglich zu verbreiten, ist man ansonsten nur aus dem
     Johann Sebastian Bach – Konzert für 2 Violinen d-Moll, BWV 1043
                                                                                   Popbusiness gewohnt. Der lettische Geiger Gidon Kremer, der viele baltische
                                                                                   und russische Komponisten des 20.Jahrhunderts aus der Isolation heraus auf
     Im grossen Bachschen Œuvre gehört dieser Geniestreich eines einerseits im     die grossen Bühnen der Welt holte, hat wesentlichen Anteil am Erfolg Pärts,
     Wettstreit stehenden, andererseits in vollendeter Harmonie aufgehenden        der 1980 endlich nach längerem Kampf mit den Sowjetischen Behörden nach
     Geigenpaares, zu den beliebtesten Kompositionen. In der Ausgewogenheit        Wien emigrieren konnte. Die 1984 erschienene CD «Tabula Rasa» mit Werken
     und Gleichberechtigung beider Solostimmen rangiert Bachs Doppelkon-           Pärts bei ECM gehört zu den meistverkauften Alben der zeitgenössischen
     zert auf einem Spitzenrang. Hier ist es vollkommen ohne Belang, ob man        Musik und begründete seinen Weltruhm.
     nun 2. oder 1.Geige spielt. Entstanden ist das Werk aus eben jenem Geist          Pärt fand Inspiration für seine Musik vor allem im christlichen Glauben,
     des freudvollen gemeinsamen Musizierens, vermutlich um 1730 in Leipzig.       seinem Helden Jesus Christus, weswegen eine Vielzahl seiner Kompositio-
     Denn hier gab es etwas, das Bach nach langer Zeit endlich wieder so richtig   nen religiöse Inhalte transportieren. Selbst wenn Hinweise im Titel hierzu
     Freude machte: das Collegium Musicum. Ein Orchester aus Studierenden,         fehlen, suggeriert sein Stil immer eine eigene Charakteristik, die im etwas
     das er gerade erst übernommen hatte. In diesem Studentenorchester sas-        ratlos anmutenden Versuch, sie zu umschreiben, Holy, Sacred oder Spiritu-
     sen viele hochtalentierte Jungmusiker, auch seine eigenen Söhne Wilhelm       al Minimalism genannt wird. Henryk Górecki, Terry Riley, Philip Glass und
     Friedemann und Carl Philipp Emmanuel. Sie trafen sich jede Woche zum          andere werden dieser Gruppe mehr oder weniger ebenfalls zugerechnet,
     Konzertieren, Freitagabends um acht in «Zimmermanns Kaffeehaus».              wobei das Hauptelement des Stils die radikale Vereinfachung des kompo-
                                                                                   sitorischen Materials ist. Allen gemeinsam ist die Abwendung von der im
                                                                                   Zuge der Zweiten Wiener Schule und vor allem der Seriellen Musik nach
                                                                                   dem 2.Weltkrieg entstandenen Komplexität und der oft mangelnden Fass-
                                                                                   lichkeit dieser Werke. So wendet sich Pärt dem Zuhörer wieder zu, appel-
                                                                                   liert an das im Menschen vorhandene Streben nach Harmonie, möchte ihn
                                                                                   mithilfe seiner Musik auf eine höhere Stufe der Spiritualität heben.

14                                                                                                                                                                     15
25.-29. AUGUST Ein Festival feiert das pure Leben - GAIA Festival
Samstag, 28. August 2021, 20 Uhr                                          Osvaldo Golijov – Lullaby und Doina
     Kirche Hilterfingen                                                       Lullaby and Doina ist ein Auftragswerk der Boston Symphony Chamber
                                                                               Players. Golijov schreibt dazu: »Das Stück beginnt mit einer Reihe von
                                                                               Variationen über ein jiddisches Wiegenlied, das ich für Sally Potters Film
                                                                               The Man Who Cried (Film von 2000 mit Christina Ricci, Jonny Depp &
                                                                               Cate Blanchett) komponiert habe und das als Kontrapunkt zu einem an-
                                                                               deren wichtigen Musikthema des Soundtracks funktioniert: Bizets Arie

     DE R S TURM
                                                                               Je crois entendre encore aus der Oper Die Perlenfischer (1863). In ihrem
                                                                               stimmungsvollen Film erforscht Sally das Schicksal von Juden und Roma in
                                                                               der tragischen Mitte des 20. Jahrhunderts anhand einer Liebesgeschichte
                                                                               zwischen einer jungen Jüdin und einem gleichaltrigen Roma. Dementspre-
                                                                               chend verwandelt sich das Thema des jüdischen Wiegenliedes hier in eine
                                                                               dichte und dunkle Doina (ein langsames Romastück, rubato), bei dem be-
                                                                               sonders die tiefste Saite der Bratsche zum Einsatz kommt. Das Stück endet
                                                                               in einem schnellen Galopp mit einem Thema, das ich von meinen Freunden
     Osvaldo Golijov (*1960)
                                                                               der wilden Band Taraf de Haidouks gestohlen habe. Das Thema wird hier in
     Lullaby und Doina                                                         einer fast kanonischen Verfolgungsjagd präsentiert, bei der die Klarinette
     Konzertstück für Flöte, Klarinette, Violine,                              der davoneilenden Flöten-Violinen-Kombination nachsetzt.»
     Viola, Violoncello und Kontrabass

     Jan Ladislav Dussek (1760 – 1812)              Ausführende                Jan Ladislav Dussek – Notturno Concertant op. 68
     Notturno Concerto op. 68
        Andante – Minuetto
                                                    Violine                    Die seltene Besetzung Klavier, Violine, Horn (Brahms op. 40!) des Notturno
                                                    Sebastian Bohren           von Dussek aus dem Jahr 1809 ist nicht wirklich ein Klaviertrio im traditi-
     Ludwig van Beethoven (1770 – 1827)             Gwendolyn Masin            onellen Sinn. Auf der Partitur steht avec un Cor ad libitum. So handelt es
                                                    Suyeon Kang                sich eigentlich um ein konzertantes Nachtstück für Violine und Klavier. Die
     Streichquintett C-Dur op. 29
                                                    Viola                      romantische Klangfarbe des Horns macht es aber ungemein viel reizvol-
        I. Allegro moderato
                                                    Razvan Popovici            ler. Überhaupt fällt der sehnsuchtsvolle, frühromantische Tonfall wie für
        II. Adagio molto espressivo
                                                    Tomoko Akasaka             eine sommerlaue Serenade mit seiner einnehmenden Thematik besonders
        III. Scherzo: Allegro
                                                    Violoncello                auf und scheint auf den frühen Schubert zu verweisen. Im tänzerischen
        IV. Presto
                                                    Chiara Enderle Samatanga   Menuettteil dann hört man förmlich eine Art volkstümlich unterstrichene
                                                    Benedict Klöckner          Sorglosigkeit innerhalb einer unbeschwerten Jahreszeit. In Dussek lernen
     Louis Spohr (1784 – 1859)
                                                    Kontrabass                 wir einen weiteren Vertreter der bedeutendsten Pianisten an der Schwelle
     Septett a-Moll op. 147                         Lars Schaper               zwischen dem 18. und 19.Jahrhundert kennen. Wie bei den meisten seiner
        I. Allegro vivace                           Klarinette                 späteren Werke, ist auch hier der Klavierpart nicht mehr — trotz seines
        II. Pastorale: Larghetto                    Moritz Roelcke             Titels — stark von Virtuosität geprägt, sondern folgt bei pianistisch mittle-
        III. Scherzo: Vivace                        Horn                       ren Ansprüchen ganz der herrlich melodisch geprägten Atmosphäre. Tragi-
        IV. Finale: Allegro molto                   Hervé Joulain              scherweise zog sich Dussek in den letzten Jahren infolge einer zunehmend
                                                    Flöte                      belastenden Fettleibigkeit aus dem Konzertleben zurück. Es gelang ihm
                                                    Maximilian Randlinger      kaum mehr die Tasten zu erreichen.
                                                    Fagott
                                                    Igor Ahss
                                                    Klavier
                                                    Diana Ketler

16                                                                                                                                                             17
25.-29. AUGUST Ein Festival feiert das pure Leben - GAIA Festival
Louis Spohr – Septett a-Moll op. 147
                                                                                   Obwohl Spohr eindeutig zu den Romantikern zählt, war er gleichzeitig ein
                                                                                   Zeitgenosse Beethovens, den er in Wien persönlich kennenlernte und gros-
                                                                                   sen Anteil an seinem Schicksal nahm. Folgende Anekdote beschriebt er in
                                                                                   seinen Erinnerungen: «Da Beethoven zu der Zeit, wo ich seine Bekannt-
                                                                                   schaft machte (1814), bereits aufgehört hatte, öffentlich zu spielen, so habe
                                                                                   ich nur ein einziges Mal Gelegenheit gefunden, ihn zu hören. Ein Genuss
                                                                                   wars nicht, denn erstlich stimmte das Pianoforte sehr schlecht, was Beet-
                                                                                   hoven wenig kümmerte, da er ohnehin nichts davon hörte, und zweitens
                                                                                   war von der früher so bewunderten Virtuosität des Künstlers infolge seiner
                                                                                   Taubheit fast gar nichts übrig geblieben! Im Forte schlug der arme Taube
                                                                                   so darauf, dass die Saiten klirrten, und im Piano spielte er wieder so zart,
                                                                                   dass ganze Tongruppen ausblieben, so man das Verständnis verlor, wenn
                                                                                   man nicht zugleich in die Klavierstimme blicken konnte. Über ein so har-
                                                                                   tes Geschick fühlte ich mich von tiefer Wehmut ergriffen! Ist es schon für
                                                                                   jedermann ein grosses Unglück, taub zu sein, wie soll es ein Musiker ertra-
                                                                                   gen, ohne zu verzweifeln! Beethovens fast fortwährender Trübsinn war mir
                                                                                   nun kein Rätsel mehr.» Spohr, ein hochgewachsener, fast zwei Meter grosse
                                                                                   Mann, war in vielen Bereichen ein herausragender Musiker. Einerseits als
     Ludwig van Beethoven – Streichquintett C-Dur op. 29
                                                                                   wichtigster deutscher Geiger, andererseits als überaus geschätzter Kompo-
     Das Interesse an Musik und die Förderung derselben durch den Adel war         nist (allein 18 Violinkonzerte), Dirigent und Pädagoge. Das überaus popu-
     um 1800 entscheidend für den Aufstieg und Karrieren vieler Musiker. Eine      läre Beethovensche Septett op. 20 kannte Spohr natürlich. Sein Septett ist
     öffentliche Musikförderung existierte nicht, fast alle Unterstützung kam      nicht - wie Schuberts Oktett - davon inspiriert, denn es weist eine entschie-
     aus privater Hand und durch Aufträge des Hochadels und der Kirche. Das        den andere Besetzung aus. Die Holzbläser werden um die Flöte erweitert,
     Verhältnis der Musiker zu ihren Gönnern war nicht immer unbelastet. Mit       sowie ein Klavier hinzugefügt, aber dafür fehlen Viola und Kontrabass. So-
     Graf Moritz von Fries, dem Widmungsträger von op. 29, war Beethoven           mit zählt das Septett zur Klavierkammermusik. Spohr hatte ein Faible für
     aber regelrecht befreundet. Aus einer Schweizer Bankiersfamilie stam-         bisher ungenutzte Besetzungen in der Kammermusik. So «erfand» er soge-
     mend, war der junge Mann mit knapp über 20 einer der vermögendsten            nannte Doppel(streich)quartette, das erste Streichsextett und Nonett. Dass
     Männer des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, schaffte es           Septett unterstreicht, warum Spohr zu Lebzeiten so geschätzt war.
     aber innerhalb gut zwei weiterer Jahrzehnte bankrott zu gehen und seinen
     Kindern keinen Heller zu hinterlassen. Ein Gutteil seiner Ausgaben betraf
     die Kunst und Kultur, die sich durch die Weitergabe von Urheberrechten
     nur teilweise nach seinem Tod zur Tilgung von Schulden nutzen liessen.
        Beethovens einziges originäres Quintett mit zwei Bratschen (op. 4 und
     op. 104 sind Bearbeitung anderer Werke) orientiert sich stark ein seinem
     damaligen Säulenheiligen Mozart, dessen sechs Quintette der bis heute
     bedeutendste Gattungsbeitrag sind. 1801 waren gerade Beethovens sechs
     Streichquartette op. 18 erschienen, die wihtigste Gruppe an Quartetten seit
     Haydns op. 76 von 1798. Die Zukunft der Kammermusik sah Beethoven eher
     im streicherischen Viererbund. Er soll einmal geäussert haben, er könne
     musikalisch mit eben vier Stimmen Gleiches ausdrücken, wie mit fünf.
     Dennoch ist sein allerletzter Kompositionsversuch 1827 einem Streich-
     quintett, ebenfalls in C-Dur, gewidmet. Der letzte Satz von Opus 29 ist von
     einer rauschhaften, wild angespannten Atmosphäre geprägt, weswegen das
     Quintett zuweilen «Der Sturm» genannt wird.

18                                                                                                                                                                 19
Sonntag, 29. August 2021, 11 Uhr                        Für die Entstehung des in seinen Dimensionen jeden bisherigen kammer-
     Schloss Oberhofen                                       musikalischen Rahmen sprengenden Oktetts D 803 von Franz Schubert
                                                             muss die Nachwelt einem (Amateur-) Klarinettisten dankbar sein: Der
                                                             Auftrag zur Komposition stammt angeblich von Ferdinand Graf Troyer,
                                                             dem Obersthofmeister des Erzherzogs Rudolf in Wien. Mit seinen musi-

     DA S IDOL –                                             zierenden Freunden spielte er gerne Beethovens Septett und bestellte sich
                                                             einfach ein Schwesterwerk bei Schubert dazu. Da Schubert es zu diesem
                                                             Zeitpunkt in der Gattung Streichquartett schon zu höchster Meisterschaft

     MATI NÉE                                                gebracht hatte und sich aktuell mit Quartetten beschäftigte, erschien es
                                                             ihm natürlicher, dem Entwurf Beethovens noch eine 2. Violine hinzuzu-
                                                             fügen. Denn schon beim Komponieren wusste Schubert, dass das Werk die
                                                             Grenzen der Kammermusik überschreiten würde, ja musste: «An Liedern
                                                             habe ich wenig Neues gemacht», liess er in einem herzzerreissenden, am
                                                             Leben verzweifelten Brief Ende März 1824 seinen in Rom weilenden Freund
                                                             Leopold Kuppelwieser wissen und fügt als einzigen Hoffnungsschimmer
     Franz Schubert (1797 – 1828)                            hinzu: «dagegen versuchte ich mich in mehreren Instrumental-Sachen,
     Oktett F-Dur D 803                                      denn ich componirte 2 Quartetten für Violinen, Viola und Violoncelle u.
        I. Adagio. Allegro                                   ein Octett, u. will noch ein Quartetto schreiben, überhaupt will ich mir auf
        II. Adagio                                           diese Art den Weg zur großen Sinfonie bahnen.» Das Oktett war demnach
        III. Allegro vivace                                  eine Art sinfonischer Studie, was man an vielen Stellen hören kann.
        IV. Andante, Var. I-VII                                 An dem Auftrag von prominenter Stelle hat der junge Komponist beson-
        V. Menuetto. Allegretto – Trio                       ders intensiv gearbeitet. Sein Malerfreund Moritz von Schwind war ganz
        VI. Andante molto – Allegro –                        konsterniert, angesichts des so unhöflichen Betragens seines arbeitswü-
     		 Andante molto – Allegro molto                        tigen Freundes: »Schubert ist unmenschlich fleissig. Ein neues Quartett
                                                             wird Sonntags bei Schuppanzigh aufgeführt, der ganz begeistert ist und be-
                                                             sonders fleissig einstudiert haben soll. (Es ist die Rede vom «Rosamunde»-
                                                             Quartett a-Moll) Jetzt schreibt er schon lang an einem Oktett mit dem
                                                             grössten Eifer. Wenn man unter Tags zu ihm kommt, sagt er grüss dich Gott,
                                                             wie geht’s? gut?’, und schreibt weiter, worauf man sich entfernt.»
                                                                Trotz seines Fleisses musste Schubert nach einer ersten Privatauffüh-
                                         Ausführende
                                                             rung im Hause des Grafen Troyer auf dem Graben in Wien 1824 noch drei
                                         Violine             Jahre auf die öffentliche Premiere des Werkes warten. Franz Lachner, bay-
                                         Wouter Vossen       erischer Komponistenfreund Schuberts, erhob in seinen Erinnerungen
                                         Gwendolyn Masin     ebenfalls Anspruch auf die Ehre der ersten Aufführung: «In meiner Woh-
                                         Viola               nung wurde auch zum ersten Male das grosse Octett Op. 166 für Streich-
                                         Tomoko Akasaka      und Blasinstrumente produziert.» Tatsächlich entstand dessen eigenes
                                         Violoncello         Septett in Es-Dur zur gleichen Zeit in Wien. Im Gegensatz zu Beethoven
                                         Benedict Klöckner   nutzte Lachner eine Flöte, statt eines Fagotts. Man kann sich leicht vorstel-
                                         Kontrabass          len, dass an jenem denkwürdigen Abend Lachner (übrigens in dessen Gar-
                                         Lars Schaper        tenhaus) selbst sein Septett vorstellte, ja, dass die beiden gross angelegten
                                         Klarinette          Werke sogar Hand in Hand entstanden. Denn die Freunde tauschten «Ar-
                                         Moritz Roelcke      beiten im Entwurfe aus», um sie gegenseitig zu begutachten. Sie berieten
                                         Horn                sich insbesondere über Fragen der Instrumentation und Form, alles Dinge,
                                         Hervé Joulain       die man an einem Oktett bzw. Septett ideal studieren konnte. Allerdings
                                         Fagott              hört man bei Lachner vielmehr Schuberts Einfluss, als umgekehrt. Gemein-
                                         Igor Ahss           sam war den beiden dem übermächtigen Ideal Beethovens nachzueifern.

20                                                                                                                                           21
Öffentlich wurde es dann erst am Ostermontag 1827 aus der Taufe ge-
     hoben: Der berühmte Wiener Geiger Ignaz Schuppanzigh, der sich nach
     Schwinds Erinnerungen schon so sehr für Schuberts a-Moll-Quartett be-
     geistert hatte, spielte auch das Oktett in einer seiner Quartettmatineen im
                                                                                                                            Schloss Oberhofen
     damaligen Gebäude des Wiener Musikvereins, den Tuchlauben «Zum roten                                                                Museum und Park
     Igel».
        Das Oktett ist Schuberts längstes Kammermusik-Werk. Formale Grund-
     lage ist das Wiener Divertimento, das er hier unter sinfonischen Vorzei-
     chen noch einmal aufleben lässt. Dabei folgte er nicht nur dem Vorbild von
     Beethovens Septett, sondern auch dem Mozarts, der in einigen besonders
     anspruchsvollen Werken diese Form der unterhaltenden Suite gleichsam
     klassisch nobilitiert hatte, besonders aber im Divertimento KV 563 für
     Streichtrio. Wie Mozart und Beethoven liess auch Schubert auf das erste
     Allegro in Sonatenform fünf weitere Sätze folgen: ein Adagio, ein erstes
     Menuett bzw. in seinem Fall ein Scherzo, dann als zweiten langsamen Satz
     Variationen, ein zweites Menuett und ein Finale. Schubert unterstrich den
     sinfonischen Zug noch durch die bedeutenden langsamen Einleitungen,
     die er dem ersten und letzten Satz vorausschickt.
        Bemerkenswert an seiner Deutung der Form ist nicht nur dieses beson-
     dere Gewicht der Ecksätze und ihrer Einleitungen, von denen die des Fi-
     nales düster-darmatische Töne anschlägt. Neuartig ist auch die klanglich-
     harmonische Bandbreite der Variationen über ein Thema aus Schuberts
     früher Oper «Die Freunde von Salamanca». Dessen Divertimento-Ton wird
                                                                                   Die romantische Schlossanlage mit mittelalterlichen Bergfried liegt inmit-
     im Laufe der insgesamt sieben ausgedehnten Variationen völlig ins Roman-
                                                                                   ten eines englischen Landschaftsgartens direkt am Thunersee. Hoch oben im
     tisch-Sehnsüchtige überhöht.
                                                                                   Turm befindet sich der orientalische Rauchsalon mit spektakulärer Aussicht.
        Im Scherzo und der kanonisch geführten Melodie des Adagio erinnert
     Schubert unmittelbar an Beethoven (4. Sinfonie). Ganz eigenständig und        NEU: SCHLÖSSERCARD! Entdecke die fünf ThunerseeSchlösser mit einer Karte, die
     typisch für ihn behandelt ist aber der Klang, in dem hier Bläser und Strei-   Tore öffnet zu Geschichte, Kunst und Kultur.
     cher zu wunderbar verwobenen Klangteppichen verschmelzen.
        Die Klarinette als solistisches Konzertinstrument übrigens hatte ihre      – Allgemeine und thematische Führungen auf Anfrage
     Blüte ebenfalls in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Doch dann verlor   – Stilvoller Rahmen für private Anlässe
     das Instrument sehr bald an modischem Reiz, und der scharfzüngige Wie-
     ner Musikkritiker Eduard Hanslick schrieb 1866 aufatmend:                     Mäusepfad und Rittertrail für Kinder ab 4 Jahren
        «Über die Zeit, wo diese Künstler scharenweise angereist kamen und
     Konzerte auf ihrem langweiligen Einzelrohr bliesen, sind wir nun gottlob      Weitere Angebote und Veranstaltungen unter
     hinüber.»                                                                     schlossoberhofen.ch
        Dass die Faszination an der Klarinette und ihrem Klang auch knapp 170
     Jahre später nicht zu Ende ist, beweisen nicht nur die zahllosen Wiederauf-                                                            9. Mai bis 31. Oktober 2021
     lagen der für sie komponierten Meisterwerke der Vergangenheit, sondern                                                                         Di – So | 11 – 17 Uhr
     auch die immer noch scharenweise reisenden Interpreten des Holzblas-
     instrumentes, seien Sie nun in der Klassischen Musik oder ganz anderen                                                                 Stiftung Schloss Oberhofen
     Stilen zuhause.                                                                                                                    3653 Oberhofen am Thunersee
                                                                                                                                                  Tel. +41 (0)33 243 12 35

22                                                                                                                                                                           23
Sonntag, 29. August 2021, 18 Uhr                                   Gioacchino Rossini – Ouvertüre zu «Der Barbier von Sevilla»
     Kirche Hilterfingen                                                Rossini, der eine Art leichtfüssige künstlerische Gegenwelt zu Beethovens
                                                                        titanischem Fussabdruck errichtete, erzählt einmal, wie er Beethoven zu-
                                                                        hause besuchte und zutiefst erschrocken war über dessen Lebensumstän-

     GÖTTERFUNKE N –
                                                                        de: «Als die Tür sich öffnete, befand ich mich in einer Art Verschlag, der
                                                                        sehr schmutzig war und von einer entsetzlichen Unordnung zeugte. Ich
                                                                        erinnere mich besonders daran, dass die Zimmerdecke unmittelbar unter

     A B SCHL USSK O N Z E RT
                                                                        dem Dach grosse Risse aufwies, durch die der Regen in Strömen eindringen
                                                                        musste. Als wir eintraten, stand er ohne uns vorher zu beachten, für einige
                                                                        Momente über einem Notenheft gebeugt. Dann sah er auf und sagte plötz-
                                                                        lich in ziemlich verständlichem Italienisch zu mir: ‚Ah! Sie sind Rossini, der
                                                                        Komponist des Barbiere di Siviglia? Gratuliere, das ist eine ausgezeichnete
                                                                        komische Opera. Ich habe sie mit Vergnügen gelesen und mich daran er-
                                                                        freut. Solange es italienische Opernhäuser gibt, wird man sie spielen. Ver-
                                                                        suchen Sie niemals, etwas anderes als komische Opern zu schreiben. In an-
     Gioacchino Rossini (1792 – 1868)        Ausführende
                                                                        deren Gattungen erfolgreich sein zu wollen, hiesse Ihrem Schicksal Gewalt
     Ouvertüre «Der Barbier von Sevilla»     Violine                    antun.» Was man als herablassendes Urteil lesen kann, war im Kern auch
                                             Gwendolyn Masin            von Neid geprägt. Beethoven spürte, dass ein neues Zeitalter aufzog, wo
     Ludwig van Beethoven (1770 – 1827)
                                             Wouter Vossen              das Publikum verdaulich erbaut werden wollte, auch weil die politischen
     Klaviertrio D-Dur «Geister» op. 70      Suyeon Kang                Verhältnisse gerade in Wien den überwachten und bespitzelten Menschen
        I. Allegro vivace e con brio         Viola                      kaum Luft zum Atmen liessen. Rossinis Opern waren unvorstellbare Kas-
        II. Largo assai ed espressivo        Razvan Popovici            senschlager, der Italiener ein Star ersten Ranges. Des Älteren Urteil musste
        III. Presto                          Tomoko Akasaka             ihn wegen des Erfolgs nicht belasten, traf aber einen Nerv: «...sehen Sie, die
                                             Violoncello                ernste Oper liegt nun einmal den Italienern nicht. Um das wahre Drama zu
     Ignaz Moscheles (1794 – 1870)                                      behandeln, haben sie zu geringe musikalische Kenntnisse...»
                                             Chiara Enderle Samatanga
     Grand     Septett, op. 88               Benedict Klöckner
        I.     Allegro con spirito           Kontrabass
        II.    Scherzo                       Lars Schaper               Ludwig van Beethoven – Klaviertrio D-Dur «Geister» op. 70/1
        III.   Adagio con moto               Klarinette
        IV.    Finale. Allegro con spirito                              Als sich Beethoven 1794 in Wien entschloss, sein Opus 1 mit drei Werken
                                             Moritz Roelcke             zu veröffentlichen, wählte er die Gattung des Klaviertrios. Dies geschah mit
                                             Flöte                      Bedacht, handelte es sich doch um eine noch junge, aber sehr populäre Gat-
     Ludwig van Beethoven (1770 – 1827)      Maximilian Randlinger
     Finale aus der 9. Sinfonie                                         tung, deren kompositorisches Potential noch lange nicht ausgeschöpft war.
                                             Horn                       Mit den Werken Haydns und Mozarts hatten sich zwar die beiden Streich-
     Presto                                  Hervé Joulain              instrumente gegenüber dem Klavier bereits etabliert. Mit seinen 6 Trios
                                             Fagott                     aber hat Beethoven den vielleicht wichtigsten Gattungsbeitrag überhaupt
                                             Igor Ahss                  erbracht. Die Grenzen der damaligen Konventionen überschritt er weit
                                             Klavier                    seltener als bei den Streichquartetten, gab aber besonders in den späteren
                                             José Gallardo              Trios den beteiligten Protagonisten auf einmal so viel individuellen Raum,
                                             Diana Ketler               dass alle romantischen Weiterentwicklungen bei jüngeren Komponisten
                                             GAIA Festival Chor         auf diese Errungenschaften bauten. Das Trio op. 70/1 entstammt Beetho-
                                             Leitung                    vens mittlerer Periode in der Zeit der 5. und 6. Sinfonie, der Entstehung
                                             Michael Schär              des Fidelio. Seine Faszination entfaltet es besonders im langsamen Satz mit
                                                                        seiner abgründig - fast gespenstischen – Atmosphäre, die dem Werk seinen
                                                                        Beinamen gab. Hier hat Beethoven das Klaviertrio auf eine Höhe geführt,
                                                                        an die Schubert direkt anknüpft.

24                                                                                                                                                       25
Ignaz Moscheles – Grand Septuor D-Dur op. 88
     Wie bei Spohr, wenn auch zwei Jahrzehnte zuvor, nutzt Moscheles das Kla-
     vier als dritte Klangebene neben den Holzblasinstrumenten und den Strei-
     chern. Die in GAIA 2021 im Umfeld Beethovens vorgestellten Komponisten
     Ferdinand Ries und Johann Nepomuk Hummel taten es ihm gleich, aber
     mit anderen Besetzungen. Ries: Klavier, Klarinette, zwei Hörner, Violine,
     Cello & Kontrabass; Hummel: Klavier, Flöte, Klarinette, Trompete, Violi-
     ne, Cello, Kontrabass. Gegenüber Spohr gewichtet Moscheles die Streicher
     stärker, nutzt alle vier denkbaren Instrumente, von den Holzbläsern aber
     nur Klarinette und Horn. Das «Grand» im Titel war eine damals, besonders
     im französisch geprägten Sprachraum, übliche Beifügung. Sie sollte das
     Gewicht einer Komposition anhand ihres musikalischen Gehaltes ausdrü-
     cken, also nicht deren Länge. Die im fortschreitenden Jahrhundert übliche
     Musikpraxis unterschied immer mehr in unterhaltende, brillante (virtuose)
     und ernsthafte Musik, die keine reine Hintergrundsfunktion hatte. Darauf
     legte übrigens auch Spohr besonderen Wert, der sich gegen die Praxis, Mu-
     sik als Staffage zu nutzen, entschieden verwehrte.
        Moscheles Septett erfüllt den gesetzten Anspruch vollauf in einem dich-
     ten, oft dramatisch aufgeladenen Satz, der besonders dem Klavier starkes
     Gewicht verleiht. Man spürt allenthalben, dass Moscheles für seine eige-
     nen, grossen Fertigkeiten auf dem Tasteninstrument schrieb. Dabei ist das
     Septett keinesfalls ein Klavierkonzert, sondern setzt auf gleichwertige Part-
     ner. Dem gravitätisch ernsten Satz folgt ein turbulent, raffiniertes Scherzo
     ganz eigenständiger Machart mit viel Dialogqualität und chopinähnlichen
     Zwischennoten. Ganz und gar geisterhaft nachtschatten eröffnet das Ada-
     gio, entführt aber in eine weitläufige, friedliche Landschaft. Der Finalsatz
     verbreitet festliche Heiterkeit, deutlich vom Klavier aus angeführt. Mo-
     scheles hatte, wie Beethoven, 2020 ebenfalls Jubiläum: Den 150. Todestag.                                                     Spielen lassen. Zuhören. Geniessen.
                                                                                                                                   WIE IHR WOHNZIMMER ZUM KONZERTSAAL WIRD.

     Ludwig van Beethoven – Finale aus der 9. Sinfonie
     GAIAS Instrumentalisten vereinen sich zum denkbar gewichtigsten musi-
     kalischen Abschiedsgruss an das Publikum, der Freudenbotschaft Beetho-
                                                                                       Ob Klassik, Pop oder Jazz – erleben Sie die weltbesten Künstler live in Ihrem
     vens an die Menschheit im letzten Satz der berühmten Neunten Sinfonie.
     Der darin enthaltene Aufruf an die alle Gräben überwindende Gemein-               Zuhause. Wie das möglich ist? Mit Spirio, dem ersten hochauflösenden Selbst-
     schaft der Menschen könnte aktueller nicht sein. Dass Beethoven, der              spielsystem von Steinway & Sons. Geniessen Sie ein Meisterwerk aus Handwerk
     exemplarisch für die Integration und Kulmination menschlicher Werte in
                                                                                       und Perfektion, das Sie und Ihre Lieben erfreuen wird. Sie lassen es spielen, Sie
     der klingenden Kunst steht, mit diesem - bei aller technischen Souveräni-
     tät - eher einfacher gestrickten Schlusssatz einen bis heute so anhalten-         hören zu und Ihre Herzen beginnen zu tanzen – und wenn Sie mögen, spielen
     den Erfolg erreichen würde, war nach der gefeierten Uraufführung nicht            Sie selbst.
     garantiert. Es hagelte auch geharnischte Kritik mit Adjektiven wie «naiv»
     und «aufgeblasen». Dabei erkannte ausgerechnet Richard Wagner, was die
     Klarheit und Einfachheit darin bedeutet: «Sie ist das menschliche Evange-
     lium der Kunst der Zukunft.»                                                      Könizstrasse 1 | 3008 Bern
                                                                                       steinway.bern@musikhug.ch | musikhug.ch

26                                                                                   Ins_GAIA_Festival_122x188mm_11.03.19.indd 1                                   11.03.19 10:28   27
P O R T R ÄT S
                        Künstlerinnen
                        und Künstler

     Freude am Leben
     Bauen für morgen

     frutiger.com

28                                       29
Die Frutiger AG ist Royal Solisten Partner
     von Gwendolyn Masin

     GWENDOLYN MASIN                                    IGOR AHSS                                       TOMOKO AKASAKA                                  SEBASTIAN BOHREN
     Violine                                            Fagott                                          Viola                                           Violine

     Gwendolyn Masin ist Konzertviolinistin, Do-        Der israelische Fagottist Igor Ahss begann im   Tomoko Akasaka ist eine vielseitige Brat-       Der Schweizer Geiger ist als Solist und Kam-
     zentin, künstlerische Leiterin, Autorin und        Alter von 5 Jahren an der Gnessin School of     schistin aus Japan, die für ihre ausserge-      mermusiker gleichermassen versiert. Seine
     Inhaberin eines Doktortitels. Ihre internationa-   Music in seiner Heimatstadt Moskau Violi-       wöhnliche Ausstrahlung und Bühnenpräsenz        klug ausgewählten Programme, besonders
     len Auftritte mit Musikern, Künstlern und Or-      ne zu spielen. Schon bald wechselte er aber     sowohl als Solistin, als auch als Kammermu-     in Kombination mit Musik des 20. Jahrhun-
     chestern aus aller Welt werden von Publikum        aufs Fagott, welches ihn faszinierte. Er zog    sikerin geschätzt wird. Zunächst begann sie     derts, zeichnen ihn aus. Sebastian Bohren
     und Presse gleichermassen gelobt. Gwendolyn        mit seiner Familie nach Israel studierte und    im Alter von fünf Jahren mit dem Geigen-        verfügt über einen magischen Geigenton und
     Masin entstammt einer traditionsreichen Musi-      übersiedelte an die Basler Musik-Akademie.      spiel, wechselte aber nach einem Studium        konzertiert im In- und Ausland. 2018 debü-
     kerfamilie aus Mittel- und Osteuropa. Kammer-      Er arbeitet mit vielen Orchestern rund um       in Ungarn in ihrer Heimat final zur Bratsche.   tierte er beim Lucerne Festival. Eine enge
     musik gehört zu ihren frühesten musikalischen      den Globus, darunter stechen das Mahler         Bald war sie selbst Pädagogin, beispielsweise   Zusammenarbeit verbindet ihn mit dem En-
     Erfahrungen, und wann immer es ihr möglich         Chamber Orchestra und MusicAeterna unter        als Gastprofessorin in Neuchâtel.               semble Chaarts, mit dem er 2016 Beethovens
     ist, kehrt sie zu ihr zurück. Seit längerem kon-   Teodor Currentzis besonders hervor, welche          Ihre musikalische Beziehung zu György       Violinkonzert einspielte und deren gemein-
     zentriert Masin sich in ihrer Arbeit verstärkt     durch ihre Musikpraxis das Kammermusika-        Kurtág beeinflusste sie tiefgreifend, aber      sames Mozart-Album 2021 beim Label Avie
     darauf, alternative Wege zu finden, über die sie   lische besonders pflegen. Man hört Ahss Vir-    auch andere zeitgnössische Komponisten wie      erscheint.
     mehr Musik zu immer mehr Menschen bringen          tuosität auf der neuen CD Publikation eben      Helmut Lachenmann und Toshio Hosokawa.
     kann. 2006 rief sie in Stuttgart das GAIA Mu-      letzteren Orchesters, das berühmte Solo in      Sie hat zahlreiche zeitgenössische Werke für
     sic Festival ins Leben, das 2009 mit ihr nach      «Stravinsky, Le Sacre du Printemps».            Bratsche (ur)aufgeführt. Tomoko Akasaka
     Thun umzog. Angetrieben vom gemeinsamen                                                            war Mitglied des Amaryllis Quartetts und ist
     Wunsch nach dem Spiel in tiefer Verbunden-                                                         Partnerin vieler namhafter Klassikgrössen
     heit miteinander finden Masin und die mehr                                                         auf allen Kontinenten.
     als 180 Musiker, die seit dem Beginn der GAIA-
     Festivals miteinander aufgetreten sind, in ihm
     einen Rückzugsort vom hektischen Alltag der
     Musiktourneen in ihrer Einheit mit anderen
     und dem hochgeschätzten Publikum von GAIA.

30                                                                                                                                                                                                     31
CHIARA ENDERLE                                    JOSÉ GALLARDO                                 HERVÉ JOULAIN                                   SUYEON KANG
     SAMATANGA                                         Klavier                                       Horn                                            Violine
     Violoncello

     Auch Chiara Enderle Samatanga wurde in            Der Argentinier ist einer der gefragtesten    Von dem französischen Virtuosen wurde           Die in Südkorea geborene und in Kanada und
     eine Musikerfamilie geboren und verbrach-         Kammermusikpianisten weltweit. Schon als      schon in Le Monde de la Musique behauptet,      Australien aufgewachsene Geigerin lebt seit
     te ihre frühe Kindheit auf Konzertreise mit       5-Jährigen zog es ihn ans Pianoforte. Wäh-    er «wandelt auf den Spuren der legendären       2007 in Europa, wo sie ein vielfältiges und
     dem Streichquartett ihrer Eltern. Schon           rend seiner Zeit an der Uni Mainz entdeckte   Hornisten Dennis Brain und Barry Tuckwell.»     -farbiges Musikleben pflegt. Zunächst welt-
     bald stand sie selbst auf den Brettern, die       er auch seine Leidenschaft für die Kammer-        Das Solo-Repertoire mit Orchester ist       weit als Solistin unterwegs, entdeckte sie
     die Welt bedeuten. Seitdem ist sie solistisch     musik, inspiriert beispielsweise durch Me-    überschaubar, aber Joulain hat alle wichtigen   bald die vitale Kammermusikerin in sich und
     und kammermusikalisch intensiv und lei-           nahem Pressler, die er seitdem mit vielen     Konzerte überall in der Welt aufgeführt, am     gründete 2014 das Boccherini Trio, das sich
     denschaftlich unterwegs. Ihre erste CD, eine      herausragenden Künstlern und auf wichti-      Dirigentenpult erlesenste Namen inklusive.      der Wiederentdeckung und Aufführung von
     Einspielung des Cellokonzerts op. 17 von Paul     gen internationalen Bühnen teilen konnte.         Darüber hinaus wirkt er unermüdlich als     Boccherinis zahlreichen Werken für Streich-
     Wranitzky mit dem Münchner Kammeror-              Seit 2008 unterrichtet er am Leopold-Mo-      Tutor zahlreicher internationaler Meisterkur-   trio widmet. Das Debütalbum der Streichtrios
     chester und Howard Griffiths, erschien 2016       zart-Zentrum der Universität Augsburg und     se, spielt aber auch liebend gerne Kammer-      op. 9 von Beethoven wurde von der Kritik sehr
     bei Sony. Ihre zweite Aufnahme mit Solo- und      leitet zusammen mit Andreas Ottensamer        musik, wo das Horn sein unverwechselbares       gelobt. Suyeon Kang ist Konzertmeisterin der
     Kammermusikwerken von Ernest Bloch folg-          die Kammermusikreihe «Bürgenstock Fes-        Timbre einbringen kann. Gerne kombiniert er     Kammerakademie Potsdam und Mitglied der
     te 2017. Seit 2018 ist sie Mitglied im Streich-   tival» in Luzern. Die Süddeutsche Zeitung     dieses Interesse mit neuesten Kompositionen:    Camerata Bern. Ausserdem konzertiert sie mit
     quartett ihrer Eltern, das ihr so sehr vertraut   beschreibt ihn als «Gentleman-Pianist mit     György Ligeti nannte ihn einst den besten In-   dem Orchestre de Chambre de Genève und
     ist, dem Carmina Quartett.                        der subtilen, gleichwohl interpretatorisch    terpret seines berühmten Klaviertrios.          der Kammerphilharmonie Bremen.
                                                       reichen Reduktionskunst des Alleskönners.»

32                                                                                                                                                                                                   33
DIANA KETLER                                    BENEDICT KLÖCKNER                                RAZVAN POPOVICI                                    MAXIMILIAN RANDLINGER
     Klavier                                         Violoncello                                      Viola                                              Flöte

     «A high level of pianism with an unusual        Bemerkenswert früh, nämlich bereits mit          Die Eltern des Bratschisten Razvan Popovici        Während seines Studiums bei Andrea Lie-
     musical intelligence. She will make her mark    14 Jahren, begann Benedict Klöckner sein         sind beides bekannte Pädagogen und Musi-           berknecht an der Hochschule für Musik in
     in the future» – so beschrieb der Komponist     Instrumentalstudium an der Musikhoch-            ker, die in den 1990er Jahren von Rumänien         München entdeckte Maximilian Randlin-
     György Ligeti die Pianistin Diana Ketler nach   schule in Karlsruhe und alsbald räumte er        in den idyllischen bayerischen Chiemgau ge-        ger seine grosse Hingabe für die Kammer-
     einem Konzert in London. Aufgewachsen ist       bei internationalen Wettbewerben ab. Seine       zogen sind, um ihren Kindern die bestmög-          musik. Im Jahr 2009 gründete der Flötist
     sie in einer Musikerfamilie in Riga und setzt   unpräten­t iös frische, aber gleichzeitig ver-   lichen Chancen zu eröffnen. Razvan nutze           zusammen mit ehemaligen Mitgliedern des
     sich leidenschaftlich für die Musik der bal-    bindliche Art des Musizierens brachte ihn in     diese Möglichkeiten und ist heute nicht nur        Bundesjugendorchesters das canorusquin-
     tischen Ländern ein. Sie spielte zahlreiche     Verbindung mit den Who Is Who der Klassik-       ein brillanter Kammermusiker und Solist, er        tett in klassischer Bläserquinettbesetzung.
     Erstaufführungen von Klavier- und Kammer-       szene. Starke Impulse gewinnt er in der Be-      ist auch für die Musik, für Konzerte, ganze        Das Ensemble wurde preisgekrönt, auch am
     musikwerken in England und Deutschland.         schäftigung mit moderner Musik und deren         Festivals und immer auch für junge Talente         ARD-Musikwettbewerb. Geschätztes Ensem-
     In ihren Konzerten hat Diana in den vergan-     Schöpfer, wie Wolfgang Rihm und Eun Hwa          europaweit aktiv. So ist er Initiator und Inten-   blemitglied ist und war Randlinger auch bei
     genen Jahre für zahllose besonders inspirier-   Cho. Seit 2014 ist Benedict Klöckner Künst-      dant des SoNoRo Festivals in Bukarest, das         CHAARTS, dem Bayerischen Staatsorches-
     te, berührende und überraschende Momente        lerischer Leiter des von ihm gegründeten         es mit klassischer Musik schafft ein urbanes       ter, dem Gewandhausorchester Leipzig und
     in unterschiedlichsten Programmen gesorgt.      Internationalen Musikfestival Koblenz.           und junges Publikum zu begeistern und er ist       dem Symphonieorchester des Bayerischen
     Als künstlerische Leiterin des Chiemgauer                                                        Initiant des Chiemgauer Musikfrühlings, also       Rundfunks.
     Musikfrühlings Traunstein und SoNoRo in                                                          in der Umgebung seiner Jugend und frühen
     Bukarest beherrscht sie auch die andere Seite                                                    Adoleszenz. 2019 wurde er dazu als einer
     des Festivalbetriebs virtuos.                                                                    der Leiter des Europalia Festivals in Brüssel
                                                                                                      verpflichtet.
                                                                                                          Razvan ist Mitglied des Ensemble Raro.
                                                                                                      Das Klavierquartett ist quasi ein musischer
                                                                                                      Wunderkasten, der immer die Musik, darun-
                                                                                                      ter viele Raritäten «auflegt», die gerade den
                                                                                                      besten Ton verkörpern.

34                                                                                                                                                                                                     35
Sie können auch lesen