2D - FORSCHUNG FÜR PRÄZISE MEDIZIN - Paul Scherrer Institut (PSI)
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SCHWERPUNKTTHEMA FORSCHUNG FÜR PRÄZISE MEDIZIN 5 Das Magazin des Paul Scherrer Instituts 2 03 / 2019 3 2
SCHWERPUNKT THEMA: FORSCHUNG FÜR PRÄZISE MEDIZIN 1 HINTERGRUND Krebszellen unter Beschuss So präzise wie keine andere Behandlungs methode gegen Tumore: die Protonen therapie. Nur das PSI bietet in der Schweiz diese Therapie an. Seite 10 R E P O R TA G E Medikamente mit Strahlkraft Die Radiopharmazie am PSI entwickelt strahlende Wirkstoffe, mit deren Hilfe sich Krebszellen aufspüren und bekämpfen lassen. Seite 18 3 2
NACHGEFRAGT Was machen Sie da, Herr Strässle? 4 DAS PRODUKT Datenspeicher 6 DAS HELFERLEIN Einweg-Kaffeelöffel 7 SCHWERPUNKTTHEMA: FORSCHUNG FÜR PRÄZISE MEDIZIN 8 H I N T E R G R U N D Krebszellen unter Beschuss 10 I N F O G R A F I K Feuer frei auf Tumore 16 R E P O R TA G E Medikamente mit Strahlkraft 18 IM BILD Niels Schröter 21 I N H A LT IN DER SCHWEIZ 5 000 000 000 000 000 Bytes von Villigen nach Lugano 22 Wie Forscher und Ingenieure die Datenflut am PSI bändigen. IN KÜRZE 2 Aktuelles aus der PSI-Forschung 26 1 Das Energiesystem der Zukunft INFOGRAFIK 2 P SI-Bildgebung hilft bei Raketenstarts Feuer frei auf Tumore 3 Molekulare Schere stabilisiert Zell-Skelett G ALERIE Vom Protonenbeschleuniger bis in das Gewebe von Patienten. Eine Grafik verrät, Hand in Hand für die Gesundheit 28 was bei der Bestrahlung von Patienten Die Menschen vor und hinter den Kulissen passiert. der Protonentherapie. Seite 16 ZUR PERSON Er macht seine Träume wahr 34 Früher arbeitete Philippe Stutz am PSI als Techniker, heute ist er Goldschmied in Luzern. WIR ÜBER UNS 38 IMPRESSUM 40 AUSBLICK 41 5232 Das Magazin des Paul Scherrer Instituts 3
Was machen Sie da, Herr Strässle? NACHGEFRAGT Am PSI werden mit einem hier erfundenen Verfahren Protonen auf Tumore geschossen und damit zerstört. Das bedeutet Heilung für bisher Tausende von Krebskranken, darunter mehr als 500 Kinder. Thierry Strässle, Direktor ad interim, erklärt, wie das PSI Patienten hilft – nicht nur mit dieser Protonentherapie. 4
NACHGEFRAGT Herr Strässle, aus der ganzen Schweiz kommen Patienten nach Villigen, um sich am PSI behandeln zu lassen. Wieso? Weil sie sich bei uns einer ganz besonderen Therapie unterzie hen können, der sogenannten Protonentherapie. Das PSI ist die einzige Institution in der Schweiz, die diese Bestrahlungs 1 möglichkeit zur Behandlung von Tumoren anbietet. Am PSI behandeln wir Patientinnen und Patienten damit bereits seit mehr als 30 Jahren – und erzielen einzigartige Erfolge. Nicht zuletzt wurde hier die Spot-Scanning-Technik entwickelt, die mittlerweile weltweit bei der Heilung von Krebskranken hilft. Bei dieser Technik rastert ein dünner Protonenstrahl einen Tu mor im Körperinneren präzise ab und vernichtet ihn so. Der Strahl wirkt nur in der Tiefe, wo der Tumor sitzt; davor- und dahinterliegendes gesundes Gewebe wird geschont. Das PSI ist doch ein Forschungsinstitut und keine Klinik. Wie passt das zusammen? Die Protonentherapie ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie Grundlagen- und Anwendungsforschung ineinandergreifen und Nutzen für viele Menschen schaffen. Hier in Villigen ha ben wir bereits mehr als 7200 Patienten behandelt, darunter 2 mehr als 500 Kinder. Letztere profitieren besonders von der sehr präzisen und schonenden Protonentherapie. Das ist nur möglich, weil wir hier über Jahrzehnte geforscht haben: so wohl für Aufbau und Betrieb der notwendigen Anlagen als auch für die Entwicklung neuer Methoden zur Bestrahlung. Wir ruhen uns aber nicht auf dem Erfolg aus, sondern for schen weiter, um die Behandlungsmöglichkeiten stetig zu verbessern. Das gilt selbstverständlich auch für das zweite Gebiet der medizinischen Forschung, auf dem wir uns enga gieren: die Radiopharmazie. Was ist das? Dabei wird ein radioaktives Element mit einem Molekül verbun den, das sich an Krebszellen heftet. Über eine Infusion gelangt der Wirkstoff in die Blutbahn des Patienten. Das geschieht in einer der Kliniken, die sich in der Nähe des PSI befinden. In der Nähe deshalb, weil die Wirkstoffe aufgrund ihres radioak 3 tiven Zerfalls meist nicht sehr lange haltbar sind und binnen sehr kurzer Zeit zur Anwendung kommen müssen. Hat sich der Wirkstoff an die Krebszellen geheftet, sorgt das radioaktive Element dafür, dass Ärzte den Tumor und seine Ableger genau lokalisieren können. Bei einigen Wirkstoffen kann die radioak tive Strahlung den Tumor sogar schädigen und damit bei der Heilung helfen. Auch mit dieser Forschung nehmen wir welt weit eine Spitzenposition ein und tragen zum Fortschritt in der Medizin bei. 5232 Das Magazin des Paul Scherrer Instituts 5
DAS PRODUKT So manches, was am PSI untersucht wird, könnte Je mehr Wissen die Menschheit generiert und in eines Tages dazu beitragen, Alltagsprodukte zu elektronischer Form abspeichert, desto mehr steigt verbessern. Zum Beispiel auch der Strombedarf dafür. Sogenannte multifer roische Materialien könnten in der Zukunft energie sparsame Datenspeicher ermöglichen, denn bei Datenspeicher ihnen sind die elektrischen und magnetischen Ei genschaften aneinandergekoppelt. Somit würde es genügen, ein elektrisches Feld anzulegen, um mag netische Bits und Bytes zu speichern. Dies würde deutlich weniger Strom benötigen als herkömmliche Magnetspeicher. Die Krux: Die meisten Multiferroi ka erhalten ihre besondere Eigenschaft nur weit unter null Grad Celsius. Doch vor Kurzem gelang es Forschenden am PSI, ein neues, möglicherweise multiferroisches Material unter anderem aus Kupfer und Eisen zu erschaffen. Im Labortest behielt dieses die magnetische Eigen schaft sogar bei plus einhundert Grad Celsius – und damit auch bei der Betriebswärme von Computern. Nun tüfteln die Forschenden weiter, um bei Be triebstemperatur nachweislich nicht nur die relevan te magnetische, sondern auch die elektronische Ei genschaft und die Kopplung der beiden zu erhalten. 6
DAS HELFERLEIN In der Spitzenforschung kommen manchmal 50 000 kleine Kaffeelöffel aus Kunststoff haben überraschend alltägliche Hilfsmittel zum Einsatz. Forschende benutzt, um die gleiche Anzahl Proben Zum Beispiel gewöhnliche für die Untersuchung an der Synchrotron Lichtquel le Schweiz SLS am PSI abzufüllen. Es handelte sich um eine Studie von Geologen aus Finnland, die das Einweg-Kaffeelöffel Gesteinspulver aus einem Bergwerk erforschten, in dem unter anderem Kupfer gefördert wird. Die 50 000 Proben waren in mehreren Hundert Bohrun gen gesammelt worden. Das Ziel: eine detaillierte dreidimensionale Karte der dortigen Gesteinszu sammensetzung und ein besseres Verständnis geo logischer Formationen, das für die künftige Gewin nung von Metallen nützlich sein wird. Dass für jede Probe ein eigenes Löffelchen be nutzt wurde, liegt an der Empfindlichkeit der Un tersuchungsmethode mit den Röntgenstrahlen der SLS: Jedes Stäubchen, das von der vorherigen Pro be am Löffel verblieben wäre, hätte das Ergebnis verfälscht. Zugleich ermöglichte erst die Schnellig keit der SLS -Methode dieses immense Projekt: Jede Probe war innerhalb von nur 12,8 Sekunden vermessen. Am Ende behielten die Forschenden einige der Kunststofflöffel zur Erinnerung – der Rest kam ins Recycling. 5232 Das Magazin des Paul Scherrer Instituts 7
HINTERGRUND Krebszellen unter Beschuss 2 Seite 10 INFOGRAFIK 1 Feuer frei auf Tumore Seite 16 Forschung für präzise SCHWERPUNKTTHEMA Medizin Am PSI arbeiten Ärzte und Forscher daran, Tumore so exakt wie möglich zu lokalisieren und zu behandeln. Sie bestrahlen sie mit Protonen oder spüren sie mit komplexen Molekülen und Isotopen auf, um sie zu bekämpfen. Die Fortschritte, die sie dabei erzielen, dienen nur einem Zweck: der Gesund- heit der Patienten. 8
FORSCHUNG FÜR PRÄZISE MEDIZIN 3 R E P O R TA G E Medikamente mit Strahlkraft Seite 18 5232 Das Magazin des Paul Scherrer Instituts 9
FORSCHUNG FÜR PRÄZISE MEDIZIN – HINTERGRUND Krebszellen unter Beschuss Am Paul Scherrer Institut PSI erhalten Krebskranke eine in der Schweiz einzigartige Therapie. Der Beschuss mit Protonen macht Tumoren den Garaus – und das so präzise wie mit keiner anderen Form der Bestrahlung. Das erweitert die Behandlungsmöglichkeiten bei komplizierten Fällen und insbesondere bei Kindern. Text: Sabine Goldhahn Olga Jose aktiviert die Gegensprechanlage. Wäh derter Protonentherapie behandelt. Massgeschnei rend die Radiologie-Fachfrau einen der vielen Bild dert heisst: die richtige Dauer, Intensität und Häufig- schirme mit ihren Augen fixiert, fragt sie: «Können keit der Bestrahlung am richtigen Ort. Mit einer der wir bitte den Strahl haben.» Auf einem Monitor sieht art individuell angepassten Strahlentherapie haben sie das Bild, das eine Kamera im nur wenige Meter die Spezialisten am PSI schon mehr als 8000 Krebs entfernten Therapieraum aufnimmt. Dort, an einem patienten geholfen, ihre Erkrankung zu besiegen. der drei Behandlungsplätze für Protonentherapie am PSI, der sogenannten Gantry 3, liegt ein junger Diagnose: Krebs Mann ganz ruhig auf einer Liege. Der Patient wartet auf die Bestrahlung. Nachdem Jose erfahren hat, Auch der junge Patient – nennen wir ihn Noah dass der geforderte Strahl abgerufen werden kann, Schmid – ist wegen dieser technologisch fortschritt- drückt sie auf den Bestrahlungsknopf. lichsten Methode zur Krebsbestrahlung ans PSI Fünfzig Meter entfernt, hinter der Gantry 3, be gekommen. ginnen nun positiv geladene Teilchen, sogenannte Die ersten Krankheitszeichen seien ganz unspe Protonen, ihre Reise zum Patienten. Mit einer Ge zifisch gewesen, erinnert er sich: Schnupfen und schwindigkeit von bis zu 175 000 Kilometer pro leichte Kopfschmerzen. Als keine Medikamente hal- Sekunde – fast zwei Drittel der Lichtgeschwindig fen, sei er zum Arzt gegangen. Schon nach wenigen keit – fliegen sie auf den jungen Mann zu. Sie durch Untersuchungen stand fest: Eine seltene Krebsge dringen Haut und Gewebe, bis sie den Endpunkt schwulst breitete sich in seinen Nebenhöhlen und ihres rasanten Fluges erreichen: die Krebszellen, im Rachenraum aus, wucherte entlang der Riech die das Leben des Patienten bedrohen. nerven zum Gehirn und befiel einen Lymphknoten Der bleistiftdicke Protonenstrahl steuert sein nach dem anderen, bis hinunter zum Hals. Keine Ziel äusserst präzise an. Nur weniger als einen Mil Frage: Der Tumor musste raus. Doch durch die Nähe limeter kann er davon abweichen und benachbartes, zu den Sehnerven durften die Chirurgen nur sehr gesundes Gewebe treffen. «Im Vergleich zu anderen vorsichtig operieren und konnten nicht alle bösar Bestrahlungsmethoden, beispielsweise mit Photo tigen Zellen entfernen. Es folgten Chemotherapie nen, ist das eine sehr schonende Behandlung», sagt und eine Anfrage beim Paul Scherrer Institut. Die Barbara Bachtiary, Radioonkologin am PSI. Ärzte wussten: Am PSI gibt es die Protonenthera An dieser Meisterleistung der Präzision haben pie, und die kann Noah Schmid helfen. viele Mitarbeitende des PSI ihren Anteil. Mediziner, «Krebszellen wachsen oft sehr nahe an emp Physiker und Techniker arbeiten am Zentrum für findlichen Strukturen wie Sehnerv, Innenohr oder Protonentherapie ZPT tagtäglich daran, Protonen Rückenmark», erklärt Barbara Bachtiary. «Herkömm- möglichst genau in Tumore zu lenken und diese zu liche Strahlentherapie würde diese Strukturen zerstören. Dabei bauen sie auf ihr jeweiliges Exper ebenfalls treffen und dadurch Nebenwirkungen ver tenwissen, die richtige Infrastruktur und viele Jahre ursachen.» Die Protonentherapie hingegen ist von Erfahrung. Hier, in Villigen, werden Krebspatienten allen Bestrahlungsarten gegen Krebs diejenige, wel immerhin schon seit 35 Jahren mit massgeschnei che am genauesten gerichtet und dosiert werden 5232 Das Magazin des Paul Scherrer Instituts 11
kann. Das schont gesundes Gewebe. Deshalb ver blaue Fläche daneben zeigt die Areale, welche viel wenden Ärzte diese Form der Bestrahlung vor allem leicht auch noch Tumorzellen enthalten und eben bei Tumoren im Kopf- und Halsbereich, wo oft we falls mit einer starken Dosis bestrahlt werden sollen. nige Millimeter darüber entscheiden, ob ein Patient Daneben folgen gelbe Areale, wo gefährdete Struk beispielsweise erblindet oder sein Gehör verliert. turen liegen und nur eine schwache Protonendosis So fürchtet auch Noah Schmid um sein Augenlicht. auftreffen darf. Grün umrahmt sind schliesslich Seine Stimme wird leise, als ihm Bachtiary behut noch einzelne Krebszellnester entlang der Blut- und sam erklärt, wie nah der Protonenstahl an den Seh Lymphgefässe am Hals. nerv herankommen wird: fünf Millimeter. Diese Si cherheitszone will die Ärztin unbedingt einhalten. Sicherheit durch Teamarbeit Um die Bestrahlung so genau wie möglich zu planen, werden von jedem Patienten zunächst aktu Schon im Vorfeld der Bestrahlungsplanung haben elle Schichtbilder vom Kopf und Hals angefertigt. Zu sich die Mediziner am PSI bei jenen Ärzten über diesem Zweck hat das ZPT eigene medizinische den Patienten informiert, die ihn vorher behan- Grossgeräte wie Computertomograf (CT) und Mag delt hatten. netresonanztomograf (MRT). Die Geräte liefern sehr «Wir legen sehr viel Wert auf die enge Zusam detaillierte Bilder, die Kopf und Hals in Schichten menarbeit mit den Medizinern der zuweisenden Kli von weniger als einem Millimeter Dicke zeigen. Auf niken und schätzen den fachlichen Austausch mit den schwarz-weissen Aufnahmen erkennt Bachtiar y allen Schweizer Universitäts- und Kantonsspitälern. die Knochenstrukturen und Weichgewebe, wie etwa In den letzten drei Jahren wurden uns die meisten Nervenstränge. Am Monitor zeichnet sie mit dünnen, Patienten aus dem Universitätsspital Zürich, dem farbigen Linien die Umrisse von empfindlichen Inselspital Bern und den Kantonsspitälern St. Gallen Strukturen und Tumorresten nach. Das erfordert und Aarau zugewiesen», sagt Damien Charles We Übung, doch die Ärztin hat in ihrem Leben schon ber, Leiter und Chefarzt des ZPT. zigtausende Aufnahmen gesehen. Bei Noah Schmid dauerte es knapp drei Wo Diese Bilder sind dann die Grundlage für die chen, bis der Behandlungsplan ausgearbeitet war Behandlung und das wichtigste Werkzeug für den und er seine erste Bestrahlung erhielt. Bachtiary Bestrahlungsplan: Rot schraffiert ist der Bereich, hatte ihm die Therapie eingehend erklärt: Bei der den die Protonen am stärksten treffen sollen, also Behandlung schädigt ein gebündelter Strahl von Pro- Krebsgewebe und befallene Lymphknoten. Eine tonen die Erbsubstanz DNA in seinen Krebszellen, Bei der Planung wird die betroffene Region des Körpers in verschiedene Zonen eingeteilt, die mit unterschiedlicher Intensität bestrahlt werden, um gesundes Gewebe zu schonen. 12
FORSCHUNG FÜR PRÄZISE MEDIZIN – HINTERGRUND wodurch diese ihre Fähigkeit zur Zellteilung und richtige Position, die Reihenfolge der Bestrahlungs Vermehrung verlieren und absterben. Der entschei felder und beobachtet, ob der Patient ruhig liegt. dende Vorteil bei der Bestrahlung mit Protonen: Die Alles scheint okay. Die Maschinerie, die für eine schnellen schweren Teilchen lassen sich sehr gut ordnungsgemässe Bestrahlung des Patienten sorgt, lenken und bremsen, damit sie ihre maximale Ener arbeitet reibungslos. gie nur im Tumor deponieren. Sie verlieren bloss Kopf und Hals des Patienten werden aus vier sehr wenig Energie auf dem Weg dorthin und stop verschiedenen Richtungen bestrahlt. Deshalb muss pen exakt im Tumorgewebe, was wiederum gesun die Gantry beziehungsweise ihr Bestrahlungskopf des Gewebe vor und hinter der Geschwulst schont. um den Patienten herumgedreht werden. Hinter ei Der Erfolg der Protonentherapie hängt also letztlich ner weissen Wand verborgen, arbeiten dafür zwei davon ab, dass die Bestrahlung des Tumorgewebes Elektromotoren mit jeweils zehn PS, um den ge so exakt wie möglich erfolgt. waltigen Drehkörper der Gantry mit 220 Tonnen Patient Schmid weiss, dass er sieben Wochen zu bewegen. lang jeden Tag ans PSI kommen und auf dem Be handlungstisch der Gantry 3 möglichst regungslos Bestrahlungstechnik am PSI entwickelt liegen muss. Obwohl eine einzelne Bestrahlung in ein bis zwei Minuten vorbei ist, kann ein ganzer Be Im Bestrahlungsraum verrät kein Geräusch, dass strahlungsdurchgang mit Umlagerung des Patien die Protonen nun mit zwei Drittel der Lichtge ten über eine Stunde dauern. schwindigkeit in den Körper von Noah Schmid ein dringen und im Tumor abrupt stoppen. Wie bei einer Bloss nicht bewegen Vollbremsung geben sie dabei ihre ganze Energie ab und erreichen damit ihre maximale Wirkung. Hinter Doch bevor es losgeht, muss Schmid es geduldig diesem Energieabfall, Bragg Peak genannt, kommt über sich ergehen lassen, dass die Radiologie-Fach keine Strahlung mehr an. Diese besondere physika frau Olga Jose ihm ein Kissen und eine Kopfmaske lische Eigenschaft der Protonen liegt der Spot- aus Kunststoff anpasst. Beides wird mit Druck Scanning-Technik zugrunde, die vor über zwanzig knöpfen an der Behandlungsliege in der Gantry be Jahren hier am PSI entwickelt wurde. Damien festigt. «Für einige Patienten ist es unangenehm, Weber: «Das Verfahren verhalf der Protonenthera wenn sie ihren Kopf und ihr Gesicht während der pie weltweit zum Durchbruch, denn es ermöglich Bestrahlung nicht bewegen können», erklärt Jose. te überhaupt erst, Patienten in angemessener Zeit «Die Maske hilft, dass wir sie an jedem Tag der zu behandeln und sehr unregelmässig geformte mehrwöchigen Behandlung genau gleich positionie Tumore exakt zu bestrahlen.» Bei der Spot- ren können.» Trotzdem dauert es vor der ersten Be Scanning-Technik rastert der bleistiftdünne Proto strahlung noch eine halbe Stunde, bis sich Kopf, nenstrahl den Tumor von hinten nach vorne, Ebene Hals und Schultern des Patienten an genau demsel für Ebene und Reihe für Reihe ab: zuerst die am ben Ort in der Bestrahlungsposition befinden wie tiefsten liegende Schicht des Tumors und dann die auf den Planungsbildern vorgesehen. Die Überein nächsthöher liegende und so fort. Ohne die damit stimmung kontrollieren Jose und Bachtiary noch erreichbare Präzision hätten Patienten wie Noah einmal gemeinsam. Schmid ebenso wenig eine Chance auf eine erfolg Die Radiologie-Fachfrau fährt die Gantry auf reiche Behandlung wie viele Kinder. die erste Bestrahlungsposition für die nun anste hende Behandlung, dann verlässt sie den Bestrah lungsraum und begibt sich in den Kontrollraum, von dem aus sie das Verfahren starten kann. Die Sicherheit im Blick «Wir legen sehr viel Wert auf Hier zeigen neunzehn Monitore Bilder der Kameras aus dem Behandlungsraum, den Weg des Protonen die enge Zusammenarbeit strahls, die Funktionsfähigkeit der Sicherheitssys teme und vieles mehr. Besonders wichtig: der Be mit den Medizinern der zuwei- strahlungsplan. Aufmerksam blickt Jose auf einen Bildschirm nach dem anderen. Sie kontrolliert die senden Kliniken.» Damien Charles Weber, Leiter und Chefarzt des Zentrums für Protonentherapie ZPT 5232 Das Magazin des Paul Scherrer Instituts 13
Der Protonenstrahl gibt seine Energie genau im Tumor ab. Er rastert das Krebsgewebe zeilenweise in Schichten ab und zerstört es. «Bei Kindern liegen empfindliche Organe und Struk Ulrike Kliebsch, die am ZPT für Patientenstudien turen sehr nah beieinander. Ihre Zellen haben noch verantwortlich ist, erzählt: «Bei uns laufen regel viele Zellteilungen vor sich und somit Jahrzehnte mässig Studien zur Wirksamkeit unserer Therapie. Zeit, Mutationen zu bilden und zu entarten. Des- Zudem werden Kinder im zentralen Kinder-Krebs halb sollte man ihre Zellen im Kindesalter möglichst register der Schweiz erfasst. Das erlaubt später wenig ionisierenden Strahlen aussetzen, die ein Rückschlüsse auf die wirksamsten Bestrahlungspa zusätzliches Risiko darstellen. Zudem vertragen rameter, allfällige Nebenwirkungen und die Lebens sie nur eine geringe Strahlendosis», erklärt Weber. qualität. Tumore bei Kindern sind sehr selten und «Wenn Kinder Krebs haben, ist die viel genauer an man will möglichst viel darüber wissen.» wendbare Protonentherapie für sie besser geeignet Wenn ein Patient seine Bestrahlung beendet als herkömmliche Strahlentherapie mit Photonen. hat, erfolgt nach acht bis zwölf Wochen die erste Diese lassen sich nicht so gut fokussieren, weil sie Kontrolluntersuchung, danach meist halbjährlich ihre Energie nicht so punktgenau abgeben wie oder jährlich. Diese Nachsorge liegt allen Mitarbei Protonen. Deshalb schädigen sie auch Gewebe vor tenden besonders am Herzen. Manche Patienten und hinter den Tumoren oft stärker.» Das Team am schicken später Postkarten und Dankesbriefe oder ZPT hat bei der Protonenbestrahlung der kleinen kommen fit und gesund persönlich vorbei. Das ist Krebspatienten grosse Erfahrung: Unterstützt von für das Team am ZPT das Schönste. Kinder- und Narkoseärzten wurden hier schon über Noah Schmid hat seine erste Bestrahlung hinter 500 Kinder behandelt, die meisten von ihnen nach sich. Die Maske wird ihm abgenommen und er genau definierten Therapieprotokollen im Rahmen streckt sich. Das reglose Liegen war anstrengend. internationaler Studien. Bachtiary und Jose reichen ihm die Hand und ver abschieden ihn. Bis zum nächsten Tag. Nachsorge zum Wohl der Patienten Alle wichtigen Informationen zur Behandlung und zum Befinden der kleinen und grossen Patienten werden akribisch in einer Datenbank gesammelt. 14
FORSCHUNG FÜR PRÄZISE MEDIZIN – INTERVIEW «Es ist wichtig, weiter zu forschen» Die Protonentherapie ist aufwendig und teurer als Wie werden die Indikationen zur Protonen die herkömmliche Strahlentherapie, doch ihre therapie festgelegt? Treffsicherheit bei Tumoren ist unübertroffen. Da Das ist in jedem Land anders. Die Liste in der von ist nicht nur Damien Weber vom PSI überzeugt. Schweiz wurde vor zwanzig Jahren aufgestellt, als Europaweit entstehen neue Zentren, um mehr die Protonentherapie noch am Anfang war. Seitdem Krebspatienten damit behandeln zu können. Das wurden keine neuen Krankheiten hinzugefügt. Auch hilft nicht nur den betroffenen Kindern und Er wenn ich als Arzt von der Protonentherapie über wachsenen, sondern trägt auch zur Sicherheit bei. zeugt bin: Wir müssen Daten liefern, die beweisen, dass die Protonentherapie der herkömmlichen Herr Weber, wie kommt es, dass am PSI Pa Strahlentherapie überlegen ist und weniger Kompli tienten behandelt werden? kationen macht, oder eben nicht. Doch die Patien Die grössten und erfahrensten Protonentherapie tenzahl in der Schweiz ist klein, deshalb muss man zentren weltweit sind aus Forschungsinstituten international zusammenarbeiten, um für die ein hervorgegangen. Das hat historische Gründe. Man zelnen Krankheitsbilder genügend zuverlässige braucht eine riesige Infrastruktur und das PSI, wie Daten zur Protonentherapie zu bekommen. auch andere Zentren, hatte diese. Das ermöglichte es überhaupt erst, die Methode zu entwickeln, sie Wie wollen Sie den Nachweis erbringen? patiententauglich zu machen und kontinuierlich zu Die Zahl der Protonentherapiezentren in Europa verbessern. Die Protonentherapie braucht grosse steigt. Im Jahr 2024 werden es ungefähr dreissig Erfahrung, insbesondere für die Patientensicher sein. Einige von ihnen haben sich in einem Netz heit und für noch bessere Ergebnisse. werk, dem European Particle Therapy Network, zusammengeschlossen, um gemeinsam klinische Das PSI hat das einzige Protonentherapie Studien mit dreihundert und mehr Patienten durch zentrum in der Schweiz. Reicht das, um alle zuführen. Das PSI war einer der Gründer dieses Patienten zu versorgen? Netzwerks. Ausserdem ist das PSI assoziiertes Mit Das ist eine heikle, aber wichtige Frage in einem glied im amerikanischen NRG-Oncology-Netzwerk. Land, das die Gesundheitsversorgung auf kantona Es ist geplant, dass das PSI in nicht allzu ferner ler Ebene reguliert. Wenn man sich die Zahlen an Zukunft an ein bis zwei randomisierten Studien der schaut, reicht es im Moment, denn nicht alle Patien Phase 3 teilnimmt. Bei einer wird es um Lungen ten, bei denen eine Protonentherapie angezeigt krebs gehen. wäre, bekommen sie auch. Das Bundesamt für Ge sundheit BAG hat eine Liste an Krebserkrankungen Die Lunge bewegt sich beim Atmen. Kann festgelegt, bei denen die Protonentherapie ange man Lungenkrebs denn überhaupt so genau wendet werden darf. Diese Liste umfasst derzeit bestrahlen wie Tumore in anderen Körper zehn Indikationen bei Erwachsenen sowie sämtli regionen? che Tumore im Kindes- und Jugendalter bis acht Wir haben eine Technik entwickelt, mit der das mög zehn Jahre. In der Schweiz haben wir mit zwei lich ist. Vor Kurzem haben wir eine 17-jährige Frau Gantrys bereits mehr als doppelt so viele erstmals damit behandelt. Es ist sehr ungewöhnlich, Bestrahlungsplätze pro Einwohner wie beispiels dass Kinder oder Jugendliche Lungenkrebs bekom weise Grossbritannien. Ein Protonentherapiezent men, unter dem sonst Erwachsene leiden. Jetzt rum muss eine kritische Masse an Patienten aufwei ist sie krebsfrei. Das zeigt, wie wichtig es ist, auf sen, um gut zu sein. Wenn es nur eine begrenzte diesem Gebiet zu forschen und die Methoden wei Anzahl von Patienten hat, fehlt die Erfahrung. terzuentwickeln. 5232 Das Magazin des Paul Scherrer Instituts 15
Feuer frei auf Tumore 1 2 An den Behandlungsplätzen des Zentrums für Pro 5 Der Protonenstrahl rastert den Tumor Schicht für tonentherapie am PSI (hier abgebildet Gantry 3) Schicht ab. Im Körper übertragen die Protonen den können Tumore aus jeder Richtung bestrahlt wer grössten Teil ihrer Energie genau im Krebsgewebe. den. Deshalb muss die Gantry beziehungsweise ihr 6 Protonen haben eine hohe Energiedichte. Da Bestrahlungskopf um den Patienten herumgedreht durch kommt es in der Krebszelle zu direkten werden. Der gewaltige Drehkörper 3 der Gantry ist Schäden an der Erbsubstanz DNA, die sich im Zell 220 Tonnen schwer und bis zu 10,5 Meter breit. Die kern befindet und alle wichtigen Informationen für se Masse kommt unter anderem durch ein rotieren das Überleben der Zelle enthält. Ebenfalls entste des Stahlgerüst, 9 Magnete zum Lenken des Proto hen durch die aufgenommene Energie in der Zelle nenstrahls, das Vakuumrohr, in dem die Protonen sehr reaktive Verbindungen, sogenannte freie Ra gebündelt werden, Vorrichtungen zur Strahlendiag dikale. Auch diese freien Radikale schädigen die nostik und einen 1,5 Meter breiten Kabelschlepp DNA der Zelle 7 . zustande. Die Drehung selbst leisten 2 Elektromo toren mit jeweils 10 PS. Die Folge ist, dass Krebszellen, deren DNA stark beschädigt ist, nicht überleben können. Die Über 1 Ihren Ursprung nehmen die Protonen an der Io bleibsel der abgestorbenen Zellen werden vom Im nenquelle, die im Ringbeschleuniger COMET sitzt. munsystem des Körpers beseitigt. Genau das ist In ihr werden kontinuierlich Wasserstoffatome in das Ziel der Protonentherapie. Bruchteilen von Sekunden in negativ geladene Elek tronen und positiv geladene Protonen zerlegt. Ein elektrisches Feld saugt die Protonen in den Ringbe schleuniger, wo sie 630 Mal auf einer Kreisbahn rotieren. Anschliessend werden sie in den Strahlen gang geleitet 2 und dort mithilfe von Magneten gebündelt. Die Protonen fliegen mit zwei Dritteln der Lichtge schwindigkeit durch den 50 Meter langen Strahlen gang zur Gantry 3 und werden gezielt auf den Tu mor gefeuert. 4 Wie tief sie in den Körper eindringen, entscheidet ihre Energie. Für das richtige Energiele vel sorgen Graphitkeile. Je dicker die Graphitschicht ist, die die Protonen durchdringen müssen, um so grösser ist die Bremswirkung und desto früher geben die Protonen ihre Energie im Gewebe ab. Wie weit diese Keile in den Strahlengang eingerückt werden müssen, bestimmt ein Dosimetrist bei der Therapie 4 planung. 16
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Medikamente mit Strahlkraft Im Dienst der Kranken arbeiten PSI-Wissenschaftler mit radioaktiven Stoffen und entwickeln Arzneimittel, die Strahlung aussenden. Damit helfen sie, Krebsleiden und Entzündungen aufzuspüren und Tumore am Wachstum zu hindern. Ihre Forschung unterstützt Spitäler und ist für die Schweizer Industrie von grossem Interesse. Text: Sabine Goldhahn Der Wettlauf gegen die Zeit startet Montagmorgen Komponente signalisiert den Ort durch Radioakti im Reinraumlabor des Zentrums für radiopharma vität. Sie besteht nämlich aus einem Radionuklid. zeutische Wissenschaften ZRW am PSI. Ärzte vom So heissen instabile Atome, die bei ihrem Zerfall Kantonsspital Baden wollen einen Patienten mit Strahlung aussenden. Für medizinische Zwecke Prostatakrebs untersuchen und haben dafür beim werden Radionuklide mit einer Halbwertszeit von PSI ein Radiopharmakon bestellt, ein radioaktives wenigen Minuten bis eine Woche verwendet. Wegen Arzneimittel. Mit seiner Hilfe wollen die Mediziner der Radioaktivität ist ihre Herstellung nur unter Tumorzellen im Patienten aufspüren. Das Arznei bestimmten Sicherheitsvorkehrungen erlaubt, die mittel besteht aus zwei Hauptkomponenten. Ein am PSI gegeben sind. Für die Diagnostik des Teil, der sogenannte Tracer, passt genau zu Prostatakarzinoms stellt das Team im Reinraum Zielstrukturen, die auf der Oberfläche von Tumor labor das radioaktive Arzneimittel 68Ga-PSMA-11 zellen sitzen, und heftet sich dort an. Die zweite her. Dafür hat es zwei Tage Vorlauf, doch Mittwoch, 18
F O R S C H U N G F Ü R P R Ä Z I S E M E D I Z I N – R E P O R TA G E am Produktionstag, muss es sich beeilen – in nur reicht. Sie kann Krebszellen direkt zerstören, so 68 Minuten verliert das verwendete Radionuklid bald das Radiopharmakon an ihnen andockt. die Hälfte seiner Strahlkraft. Die besondere Strahlencharakteristik von Lute 10:00 Uhr: In einer mit dicken Bleiplatten ab tium-177 haben sich Chemiker Martin Béhé und sei geschirmten sogenannten heissen Zelle startet auf ne Arbeitsgruppe am ZRW zunutze gemacht und das Knopfdruck die Synthese des Wirkstoffs. Langsam Radionuklid mit einem Minigastrin als Tracer ge- tropft eine unscheinbare, klare Flüssigkeit vom Syn koppelt. Dieses Molekül bindet sich ganz gezielt an theseapparat in ein Gefäss. den sogenannten Cholecystokinin-2(CCK2)-Rezep 10:40 Uhr: Die Flüssigkeit mit dem Wirkstoff wird tor, den Tumorzellen des bösartigen medullären in ein daumengrosses Glasfläschchen abgefüllt und Schilddrüsenkarzinoms auf ihrer Oberfläche tragen. in einen strahlensicheren Behälter gepackt. Bei dieser Art von Schilddrüsenkrebs ist die sonst 11:00 Uhr: Das Medikament ist zum Versand etablierte Radio-Jod-Therapie nicht wirksam. Er bil per Gefahrguttransport bereit. Der Behälter wird det früh Tochtergeschwülste in anderen Organen 30 Minuten später im Spital ankommen. Dort wartet und trifft manchmal auch Kinder und junge Erwach bereits der Patient. sene. «Wenn dieser Tumor Metastasen gebildet hat, 11:30 Uhr: Das Team am PSI kontrolliert eine zu war eine Heilung bisher nicht möglich», sagt Béhé. rückbehaltene Probe des Arzneimittels auf seine Deshalb suchte er mit seinem Team mehrere Jahre Qualität und Reinheit und informiert die Klinik über lang nach einem radioaktiven Wirkstoff, um die die Freigabe. Tochtergeschwülste zu finden und zu vernichten. 12:00 Uhr: Das Fachpersonal zieht mit einer Die Forschenden prüften intensiv, welcher Wirk Spritze die für den Patienten berechnete Wirkstoff stoff schnell im Körper aufgenommen wird, nur an menge auf und spritzt sie in dessen Venen. Die den CCK2-Rezeptor bindet und andere Gewebe Untersuchung geht los. schnell wieder verlässt, um mit seiner Strahlung Einmal im Blutkreislauf angekommen, sucht keine gesunden Zellen zu schädigen. Diese und wei sich das radioaktive Arzneimittel sein Ziel im Kör tere spezielle Anforderungen erschwerten die Su per: die Krebszellen. Diese tragen auf ihrer Oberflä che nach einer passenden Substanz. Erfolg hatte che Strukturen, die charakteristisch für eine Krebs die Gruppe erst, als sie das Peptid Minigastrin art sind, und die gesunde Zellen nicht aufweisen. An (PSIG-2) mit dem Lutetium-177 kombinierte: Es rei diese Strukturen dockt das Arzneimittel an, das an cherte sich gezielt an den Zellen des medullären das Radionuklid gekoppelt ist. Schilddrüsenkarzinoms an, verblieb nicht in ande Die radioaktive Strahlung der Arznei macht win ren Geweben und wurde rasch aus den Nieren aus zige Ableger des Tumors sichtbar, die man sonst geschieden, um dort keinen Schaden anzurichten. nicht sehen würde. Das gelingt mithilfe von Spezial Damit waren die wichtigsten Voraussetzungen er kameras. Sie erfassen die Strahlung, die der Wirk füllt, um den Wirkstoff im Reinraumlabor des PSI stoff aus dem Körper des Patienten nach aussen standardisiert nach pharmazeutischen Vorschriften schickt. Daraus errechnet ein Computer Bilder, auf herzustellen – der erste Schritt für den kontrollier denen Tumorherde farbig erscheinen und gut er ten Einsatz am Patienten im Rahmen einer Studie. kennbar sind. Auch an diesem Tag erfüllt der einge setzte Wirkstoff seine Aufgabe und die Ärzte am Kantonsspital Baden wissen nun, wo sich der Tumor und seine Ableger im Körper ihres Patienten befin den. Diese Informationen werden genutzt, um eine «Die Eigenschaften eines Radio auf die Situation des Patienten abgestimmte Thera pie zu entwickeln. nuklids bestimmen, ob man Aber strahlende Substanzen können weitaus mehr, als Krebszellen aufzuspüren. «Die Eigen es zur Diagnostik verwendet oder schaften eines Radionuklids bestimmen, ob man es zur Diagnostik verwendet oder ob man damit die ob man damit die Krebszellen ge- Krebszellen gezielt zerstört», erklärt Roger Schibli, Leiter des ZRW, einer gemeinsamen Einrichtung des zielt zerstört.» PSI, der ETH Zürich und des Universitätsspitals Zü rich. Manche Radionuklide wie Lutetium-177 senden Roger Schibli, Leiter des Zentrums für auch zerstörerische Teilchenstrahlung, sogenannte radiopharmazeutische Wissenschaften ZRW Betastrahlung, aus, die nur wenige Millimeter weit 5232 Das Magazin des Paul Scherrer Instituts 19
2016 war es dann soweit: Mit Erlaubnis der Schwei Am Universitätsspital Basel hat inzwischen zerischen Zulassungs- und Aufsichtsbehörde für der zweite Teil der Patientenstudie mit dem Heilmittel Swissmedic durften Ärzte der Klinik für PSI-Wirkstoff begonnen. «Diese Studie ist eine Radiologie und Nuklearmedizin des Universitäts sogenannte Dosis-Eskalationsstudie», erklärt spitals Basel den neuen, inzwischen patentierten Rottenburger. «Hier geben wir Patienten mit medul Wirkstoff erstmals am Menschen einsetzen. «In lärem Schilddrüsenkarzinom eine als sicher erach dieser ersten Studie haben wir den Wirkstoff sechs tete Wirkstoffdosis und beobachten, ob sie diese Patienten gegeben, die ein medulläres Schilddrü Dosis gut und ohne höhergradige Nebenwirkungen senkarzinom in einem fortgeschrittenen Stadium an anderen Organen vertragen. Wenn dies der Fall hatten», berichtet der Basler Nuklearmediziner ist, kann die Wirkstoffdosis dann weiter gesteigert Christof Rottenburger. werden.» Mit diesem Vorgehen tasten sich die Bas Zu dieser Zeit informierte das PSI auf seiner ler Mediziner gemeinsam mit dem PSI an die Strah Webseite über die Entwicklung des Wirkstoffs und lendosis heran, welche Patienten gefahrlos für eine dessen Zulassung als Studienmedikament. Dieser Behandlung erhalten können. Für die Dauer der Artikel weckte das Interesse der Schweizer Pharma Studie wird das radioaktive Arzneimittel noch wei industrie. Das Lausanner Unternehmen Debio terhin im Reinraum am PSI hergestellt – so wie an pharm meldete sich bei Martin Behé am PSI. Die dere Radiopharmaka, die von den Kliniken der Re Geschäftsleute liessen sich erklären, woraus der gion bestellt werden. Am ZRW tüfteln die Wirkstoff besteht und wie er im PSI-Labor herge Forschenden bereits an den nächsten vielverspre stellt wird, sie stellten Fragen und prüften Unterla chenden Substanzen. gen, und sie schauten sich die Ergebnisse der ers ten Patientenstudie ganz genau an. Das Resultat nd so werden die Radionuklide am U überzeugte: Im Dezember 2017 unterzeichneten PSI hergestellt: https://www.psi.ch/de/media/ Debiopharm und das PSI einen Lizenzvertrag, der forschung/im-fokus-der-protonen es dem Unternehmen erlaubte, den PSI-Wirkstoff für Anwendungen in der Krebsbehandlung weiter zuentwickeln und ihn bis zur Zulassung und damit zur Marktreife zu bringen. Im Juli 2018 war es dann endlich soweit. Der Wirkstoff mit dem Namen 177Lu- PSIG-2 heisst nun auch nach dem Lausanner Phar maunternehmen: Debio1124. Das Detektormolekül, an das ein Radionuklid gekoppelt ist, bindet spezifisch an die Oberfläche von Tumorzellen. Die Strahlung des Radio- nuklids hilft bei der Lokalisierung von Tumoren und kann diese sogar zerstören. 20
IM BILD Niels Schröter Neue Materialien, in denen Elektronen exotische Verhaltensweisen zeigen, faszinieren Niels Schröter. Diese könnten sich für die Elektronik der Zukunft als nützlich erweisen – beispielsweise in Quanten computern. Der Physiker sucht dafür nach Materia lien mit besonderen Quasiteilchen, zum Beispiel Majorana-Fermionen. Und kürzlich entdeckten er und seine Kollegen in einem Kristall aus Aluminium- und Platin-Atomen erstmals Rarita-Schwinger-Fer mionen. Diese Teilchen waren bislang nur theore tisch vorhergesagt worden – vor mehr als 75 Jahren. 5232 Das Magazin des Paul Scherrer Instituts 21
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IN DER SCHWEIZ Das Bandarchiv des CSCS: Der Roboter zwischen den Regalen kann auf jedes der 3600 Datenbänder zugreifen, auf denen die Daten von wichtigen Experimenten lagern. 5 000 000 000 000 000 Bytes von Villigen nach IN DER SCHWEIZ Lugano Bei Untersuchungen winziger Strukturen mit den Grossforschungs anlagen des PSI fallen riesige Datenmengen an. Diese werden im Supercomputerzentrum CSCS in Lugano archiviert. Dort steht auch «Piz Daint» – diesen Supercomputer nutzen die Forschen- den für ihre Simulationen und Modellierungen. Text: Christina Bonanati 5232 Das Magazin des Paul Scherrer Instituts 23
Zwischen den Daten: Leonardo Sala im Serverraum der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS. Hier werden die Daten zwischengespeichert, die an SLS und SwissFEL produziert werden. Am Freie-Elektronen-Röntgenlaser SwissFEL in Vil Rhodopsin-Proteinkristalle eine Rohdatenmenge ligen strömt ein winziger Proteinkristall in einer von etwa 250 Terabyte. Das ist ungefähr das Tau Zahnpastaartigen Masse langsam aus einem Injek sendfache, das ein handelsüblicher Laptop an Spei tor. Ein Laser trifft ihn und löst Bewegungen im Mo cherkapazität aufweist. lekül aus. Es verändert seine Struktur – etwa wie Nicht nur am SwissFEL, auch an anderen Gross wenn eine Katze einen Buckel macht. Eine billions forschungsanlagen wie der Synchrotron Lichtquel tel Sekunde später durchdringt ein Röntgenlicht le Schweiz SLS oder der Neutronenquelle SINQ puls die Probe und trifft auf einen Detektor. Damit führen Fortschritte in der Beschleuniger- und De wird die Strukturänderung des Proteins quasi foto tektortechnik zu Leistungssteigerungen, wodurch grafisch festgehalten. Bei dem so abgelichteten bei Experimenten immer mehr Daten erzeugt wer Protein handelt es sich um lichtempfindliches Rho den. So werden derzeit am PSI jährlich bis zu 5 Peta dopsin, das zum Beispiel in der Netzhaut des byte Daten produziert. Das entspricht in etwa der menschlichen Auges vorkommt. Dessen Struktur Speicherkapazität von einer Million DVDs. veränderung ist der Ausgangspunkt für die Übertra gung von Lichtreizen zum Gehirn. Wohin mit den vielen Daten? Im Versuchsaufbau treffen pro Sekunde 25 Röntgenlichtpulse auf die Proteinkristalle in der zäh- Für diese Datenmengen ist das Rechenzentrum flüssigen Masse. Die Pulse dauern nur eine billiard des PSI nicht ausgelegt. Seit 2018 findet die Archi stel Sekunde an und haben eine extrem hohe Dich vierung von Daten daher am Supercomputerzent te an Photonen. Das ermöglicht hochauflösende rum Centro Svizzero di Calcolo Scientifico (CSCS) Bilder von molekularen Strukturen. Am Ende ent in Lugano statt. Das sogenannte Petabyte-Archiv steht aus den vielen einzelnen Aufnahmen eine Art wurde in enger Zusammenarbeit zwischen Kolle Daumenkino von den Bewegungen des Proteins. gen von PSI und CSCS entwickelt. Computerexper «Bei derlei präzisen Filmaufnahmen wächst der Da ten der beiden Einrichtungen arbeiteten eigens tenberg gewaltig in die Höhe», so Leonardo Sala, einen Managementprozess aus, mit dem digitale Gruppenleiter des Bereichs High Performance Informationen komprimiert, sicher übertragen, ar Computing am PSI. So lieferten die Aufnahmen der chiviert sowie wieder abgerufen und nach Ablauf 24
IN DER SCHWEIZ der mindestens 5-jährigen Archivierungszeit ge puter am CSCS nutzen wir schon seit 15 Jahren», so löscht werden können. Über ein Glasfaserkabel Andreas Adelmann, Leiter des Labors für Simulati werden mit einer speziell entwickelten Netzwerk onen und Modellierung am PSI. Denn für Simulati verbindung zwischen PSI und CSCS pro Sekunde onen und Modellierungen von Grossforschungsan 10 Gigabyte Daten übertragen. lagen und Experimenten, zum Beispiel in den Ein Ende der Datenflut ist nicht zu erwarten. Mit Material- und Biowissenschaften, benötigen die der Aufrüstung der SLS zur SLS 2.0 werden künftig Forschenden enorm hohe Rechenleistungen. Die noch sehr viel mehr Bits und Bytes produziert. «Wir se finden sie am «Piz Daint» des CSCS, einem der arbeiten derzeit an einer Prozedur, um dieses Volu leistungsfähigsten Supercomputer der Welt. Schaff men zu reduzieren und komprimieren», sagt Sala. te 1941 der erste in der Praxis einsetzbare, frei pro Spezielle Algorithmen sollen die Daten, die von den grammierbare Rechner, die "Z3", knapp zwei Addi Detektoren kommen, sortieren, sodass nur noch die tionen pro Sekunde, so beträgt die Rechenleistung für die Forschungsarbeiten relevanten Informatio des «Piz Daint» heute 25 000 Petaflop in der Se nen gespeichert werden. Sala erklärt, weshalb das kunde. Das sind 25 Billiarden Rechenoperationen, sinnvoll ist: «Bei der Messung der Proteine an der 14 000 -mal schneller als eine Grafikkarte der Play SLS treffen weniger als 20 Prozent der Röntgenpulse station 4. ein Protein und produzieren ein brauchbares Bild.» Prinzipiell wird in der PSI-Forschung für fast Die Signale, die kein Ergebnis liefern, müssen also alles Modellierung und Simulation benötigt, sei es, nicht aufwendig gespeichert werden. um zu verstehen, wie sich etwa Risse in Materiali Was sich so einfach anhört, ist in der Realität en fortpflanzen oder um Komponenten von Brenn eine gewaltige Herausforderung. «Einem Computer stoffzellen zu erforschen. beizubringen, welche Messungen unbrauchbar sind, Teilchenbeschleuniger wie das Zyklotron zur Pro- ist sehr schwierig», räumt denn auch Sala ein. Doch tonenbeschleunigung, die SLS oder der SwissFEL das ist nur der erste Schritt zur Eindämmung der werden mithilfe von Simulationen nicht nur neu Datenschwemme. Nach dem automatisierten Aus konstruiert, sondern auch weiterentwickelt und sortieren können die IT-Spezialisten das Datenvo optimiert. Zudem können die Forschenden berech lumen um den Faktor zehn verringern, indem sie nen, wie ein Experiment wahrscheinlich verlaufen nicht Rohdaten, sondern die zur Endnutzung aufbe wird, um so mögliche Probleme in der Versuchs reiteten Informationen abspeichern. anordnung zu erkennen. Und es gibt noch einen weiteren Grund, warum Von Villigen den Roboter man gerne und mit gutem Gewissen seine Daten für in Lugano aktivieren die Berechnungen und Archivierung nach Lugano schickt: «PIZ Daint» ist seit 2013 der günstigste und Am CSCS in Lugano finden sich die Ergebnisse der energieeffizienteste Petaflop-Supercomputer der Messungen der Proteinforschungsgruppe schliess Welt, denn für dessen Kühlung verbrauchen keine lich in einer sogenannten Bandbibliothek wieder. energieintensiven Klimaanlagen Strom. Dass die Eingelagert in einem Regal befinden sich etwa elektronischen Superhirne des CSCS nicht heiss 3600 Datenbänder, bei denen es sich um ähnliche laufen, verhindert das Wasser des Luganersees. Magnetbänder handelt, wie man sie vor Jahrzehn Aus 45 Meter Tiefe wird etwa 6 Grad kaltes Nass ten noch für Videokassetten benutzte. «Zu Anfang entnommen und nach der Nutzung in eine Tiefe von stehen uns in der Bandbibliothek 10 Petabyte Spei 12 Meter zurückgeführt. Dabei wird die durch den cher zur Verfügung. Der grosse Vorteil an der Höhenunterschied entstehende, potenzielle Ener Zusammenarbeit mit dem CSCS ist, dass wir das bei gie des Wassers mithilfe von Turbinen auch noch für Bedarf beliebig aufrüsten können», so Sala. Bis Stromerzeugung genutzt. 2022 plant das PSI, rund 85 Petabyte zur Archivie rung an das CSCS zu übertragen. Daten zu speichern, ist die ein Sache, sie wieder aus dem Archiv herauszuholen, eine völlig andere. «Zu Anfang stehen uns in der Deshalb listet ein speziell dafür eingerichteter Ka talog auf, wo sich welche Informationen befinden. Bandbibliothek 10 Petabyte Speicher Bei Bedarf stöbern Forschende einfach in diesem Katalog und aktivieren von Villigen aus einen Robo zur Verfügung. Bei Bedarf ter, der die passenden Bänder heraussucht, in ein Laufwerk eines Computers steckt und das Versen können wir das beliebig aufrüsten.» den zum PSI auslöst. Die Zusammenarbeit mit dem CSCS geht jedoch über die reine Archivierung von Leonardo Sala, Gruppenleiter des Bereichs Forschungsergebnissen hinaus. «Den Supercom High Performance Computing am PSI 5232 Das Magazin des Paul Scherrer Instituts 25
Aktuelles aus der PSI-Forschung 1 Das Energiesystem der Zukunft Das Projekt ReMaP, eine Forschungs kooperation des PSI, der Eidgenössi schen Materialprüfungs- und Forschungs- anstalt Empa und der ETH Zürich, ist gestartet. Damit werden die Forschungs- und Entwicklungsplattformen NEST, move und ehub der Empa mit der For schungs- und Entwicklungsplattform ESI des PSI vernetzt. Mit Letzterer soll bei spielsweise ein Algorithmus, also letzt lich ein Computerprogramm, entwickelt werden, das Energieverbrauch und -ge winnung miteinander abgleicht und Schwankungen automatisch ausgleicht. Dabei wird mit Solarmodulen gewonne ne Energie mittels Elektrolyse in Wasser stoff zwischengespeichert und über eine Brennstoffzelle später wieder in Strom umgewandelt, wenn ein entsprechender Bedarf auftritt. Weitere Informationen: http://psi.ch/node/28856 26
IN KÜRZE Am 20. Juni 2019 fand der Ariane-5-Rakete statt. 104. Start einer Diese Mission brachte 2 Kommunikationssatelliten erfolgreich in die Erdumlaufbahn. 10 594 Kilogramm betrug das Gesamt gewicht der Nutzlast dieser Mission. 2 PSI-Bildgebung hilft bei Raketenstarts Raketen der Europäischen Weltraum 3 Molekulare Schere organisation ESA fliegen mit Unterstüt zung des Paul Scherrer Instituts PSI ins stabilisiert Zell-Skelett Weltall. In Kooperation mit dem Unter nehmen Dassault Aviation durchleuch Forschende des Paul Scherrer Instituts ten PSI-Forschende an der Neutronen PSI in Villigen haben erstmals die Struk quelle SINQ des PSI sogenannte tur wichtiger Enzyme in menschlichen pyrotechnische Bauteile, die später in Zellen aufgeklärt, die wesentliche Bau Trägerraketen vom Typ Ariane 5 sowie steine des Zell-Zytoskeletts verändern. Vega eingebaut werden. Die Neutronen- Es handelt sich dabei um die sogenann Bildgebung des PSI dient dabei der Qua ten Vasohibine. Damit ist der noch feh litätssicherung dieser Komponenten. lende Teil des Kreislaufs aufgedeckt, der Die pyrotechnischen Bauteile fungieren den Auf- oder Abbau von Stützelemen beim Raketenstart als Zündschnüre oder ten der Zelle regelt. Die untersuchten Zündkörper und sorgen unter anderem Enzyme wirken als molekulare Schere. dafür, dass innerhalb der richtigen hun Sie schneiden einen kleinen Teil vom dertstel Sekunde die Boosterraketen ab- Zell-Zytoskelett ab. Das stabilisiert das geworfen werden. Beispielsweise wurden Skelett über das übliche Mass hinaus, am 20. Juni 2019 Satelliten in die Umlauf was wiederum eine normale Zellentwick bahn der Erde gebracht – mit einer Ariane- lung behindern und beispielsweise Krank- Rakete, deren pyrotechnische Kompo heiten des Nervensystems verursachen nenten zuvor am PSI durchleuchtet wor kann. Die strukturelle Aufklärung der Va den waren. sohibine bietet nun neue Möglichkeiten für die Entwicklung spezifischer Hemm Weitere Informationen: stoffe. Diese liessen sich dann für medi Foto: ESA/CNES/ARIANE-SPACE – Service Optique CSG https://www.psi.ch/node/28979 zinische Therapien nutzen. Weitere Informationen: http://psi.ch/node/29057 5232 Das Magazin des Paul Scherrer Instituts 27
Hand in Hand für die Gesundheit Für einen optimalen Verlauf der Protonentherapie braucht es viele GALERIE verschiedene Spezialisten. Mediziner für die Diagnose, Dosimetristen für die Therapieplanung, Medizinisch-technische Radiologie-Fachper sonen für die Betreuung der Patienten während der Therapie und Überwachung des korrekten Ablaufs der Bestrahlung, Physiker für den Betrieb der Anlagen und Forschende, die die Therapie weiterent wickeln. Sie alle arbeiten zusammen für die Gesundheit der Patienten. Text: Sebastian Jutzi 28
FORSCHUNG FÜR PRÄZISE MEDIZIN – GALERIE Diagnose Damien Weber ist seit 2013 Leiter und Chef arzt des Zentrums für Protonentherapie am PSI. Jede Woche analysiert er mit Kollegin nen und Kollegen Aufnahmen von Patienten, die mit einem Magnetresonanztomografen angefertigt wurden. Auf ihnen erkennt man genau, welches Gewebe mit Protonen be schossen werden muss. 5232 Das Magazin des Paul Scherrer Instituts 29
Therapieplanung Dosimetrist Nicola Bizzocchi plant die The rapie für jeden Patienten ganz individuell. Dazu teilt er mithilfe eines speziellen Com puterprogramms den Tumor in verschiede ne Zonen ein. Jede dieser Zonen wird prä zise mit einer eigens für sie definierten Intensität bestrahlt. Das minimiert mögli che Nebenwirkungen der Behandlung und garantiert einen bestmöglichen Erfolg der Therapie. 30
FORSCHUNG FÜR PRÄZISE MEDIZIN – GALERIE Therapie Olga Jose ist Medizinisch-technische Ra diologie-Fachfrau und stellvertretende Leiterin der Gruppe der Radiologie-Fach personen. Sie macht die Qualitätskontrolle am Bestrahlungsgerät und führt die Be handlung durch. So positioniert sie die Liege mit dem Patienten in der richtigen Ausgangsstellung und achtet darauf, dass die Bestrahlung reibungslos abläuft und sich die Patienten – soweit als möglich – wohlfühlen. 5232 Das Magazin des Paul Scherrer Instituts 31
Betrieb Das Revier von Betriebsphysikerin Zema Chowdhuri liegt hinter den Kulissen der Behandlungsräume und erstreckt sich vom Protonenbeschleuniger COMET über die Strahllinie, durch die die Protonen zur Behandlungsstation flitzen, bis in die Gan try, dem eigentlichen Behandlungsraum. Sie stellt den einwandfreien Betrieb der Anlagen sicher, mit deren Hilfe die Proto nen exakt gelenkt und dosiert werden. 32
FORSCHUNG FÜR PRÄZISE MEDIZIN – GALERIE Forschung Physiker David Meer forscht, um die Proto nentherapie weiter zu verbessern und noch präziser zu machen. So untersucht er bei spielsweise mithilfe eines menschlichen Phantoms, wie sich die Behandlung von Tumoren im Brust- und Bauchraum opti mieren lässt. Dort sind Tumore besonders schwer exakt zu treffen, weil das Gewebe durch die Atmung ständig in Bewegung ist; auch das Herz schlägt permanent. 5232 Das Magazin des Paul Scherrer Instituts 33
Er macht seine Träume wahr ZUR PERSON Am PSI baute Philippe Stutz unter anderem Spinnrotatoren für Experimente am Protonenbeschleuniger oder zeichnete Pläne für eine 20-Tonnen-Betonbrücke. Heute fertigt er als Goldschmied in Luzern Hochzeitsringe und andere wertvolle Schmuckstücke. Text: Joel Bedetti Es gibt Menschen, die einen Raum betreten und den andern kündigte Stutz seinen geliebten Job als jeden darin mit ihrer positiven Energie anstecken. Techniker am Protonenbeschleuniger des Paul Philippe Stutz ist so einer. Wenn der Innerschwei Scherrer Instituts, um Goldschmied zu werden. zer Hüne mit sanfter Stimme sein Goldschmiede Ereignisreich war das Leben von Philippe Stutz atelier am Schwanenplatz Nummer 4 betritt, strömt immer. Als er vier Jahre alt war, trennten sich seine seine gute Laune durch den elegant möblierten Eltern. Stutz wuchs bei der Mutter, einer Filzmache und schwarz gestrichenen Verkaufsraum in die an rin, im Luzernischen auf. Sie gab ihm das Interesse grenzende Werkstatt, wo gerade drei seiner sechs am Handwerk mit. Nach der Lehre als Mechaniker Angestellten arbeiten und ihn mit grossem Hallo montierte und entwarf er einige Jahre lang Anlagen empfangen. bei seinem Vater in der Firma, die Gummigranulat für Wie ein Wirbelwind führt Stutz den Besuch Sportplätze produziert. Von ihm, sagt Stutz, habe er durch sein Reich. Begeistert bleibt er vor der neu das Unternehmerische. Als er, Ende zwanzig, wieder erstandenen Occasion-Walzmaschine stehen, ein mit seiner Jugendliebe Jasmin zusammenkam, zog hüfthohes, metallgrünes Gerät mit Kurbel zum ma er in ihren Studienort Lausanne und fand dort einen nuellen Plattwalzen von Gold. «Gute alte Qualität», Job in der Versuchswerkstatt eines Zahnradherstel betont Stutz und springt zurück in den Verkaufs lers. «Wir machten einen Ausflug ans CERN», erin raum, wo er über den Holztisch streicht, an dem er nert sich Stutz, «und ich dachte: In so einer riesigen Kunden seine Schmuckmodelle präsentiert. «Den Forschungsanlage will ich auch einmal arbeiten.» habe ich mit meinen Angestellten selbst gezimmert», Wenige Monate später ging der Wunsch in Erfül erzählt Stutz und hält bereits eine Kinderhalskette lung. Jasmin nahm eine Stelle am Universitätsspital hoch, Spezialität des Hauses und Schmucktrend Zürich an, Stutz sah sich nach einem Job in der Re seit den 90er-Jahren. «Sieh mal, diesen schlichten gion um. Von einem Freund, der an der ETHZ und am Stern als Anhänger kann man auch als junger Mann PSI doktorierte, hörte er, dass ein Techniker für den noch tragen», ist er überzeugt. Zuletzt steht Stutz, grossen Protonenbeschleuniger gesucht wurde. der sich eine kindliche Freude bewahrt hat, wieder Stutz bewarb sich und erhielt den Zuschlag. Als Mit im Eingang und ahmt mit geweiteten Augen und glied eines vierköpfigen Teams war er nun für Be offenem Mund das Kind eines Kunden nach, das die trieb und Unterhalt des ringförmigen Beschleuni Spielecke mit altem Schulpult, Malstiften und Holz gers mit einem Umfang von rund 48 Metern zu- klötzen entdeckt. «Auch sie sollen sich wohlfühlen», ständig, in dem Protonen mit etwa 80 % der Licht sagt er. «Es darf auch mal laut sein hier drin.» geschwindigkeit kreisen. In der riesigen Halle der Schnell wird klar: Philippe Stutz sprudelt nicht Anlage installierte er mit seinen Kollegen Geräte für nur vor Ideen, er verwirklicht sie auch. So schnell es Experimente oder skizzierte neue Bauteile, etwa für geht, selbst wenn sie radikal sind. Nur so lässt sich eine mehr als 20 Tonnen schwere Betonbrücke über die Wende erklären, die der 39 -Jährige seinem Le einer Experimentierstation. «Am PSI durfte ich ben vor sieben Jahren gab. Fast von einem Tag auf schnell viel Verantwortung übernehmen», erzählt er. 34
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