50 Jahre AEEB Evangelische Erwachsenenbildung aktuell und innovativ - Mitteilungsblatt 2015

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50 Jahre AEEB Evangelische Erwachsenenbildung aktuell und innovativ - Mitteilungsblatt 2015
50 Jahre AEEB

            Evangelische
E r w a c hs e n e n b il d u n g
                      aktuell
                            und
                   innovativ

                Mitteilungsblatt    2015

                                    Arbeitsgemeinschaft
                                    für Evangelische
                                    Erwachsenenbildung
                                    in Bayern e.V.
50 Jahre AEEB Evangelische Erwachsenenbildung aktuell und innovativ - Mitteilungsblatt 2015
Herausgeber:
Arbeitsgemeinschaft für Evangelische Erwachsenenbildung in Bayern e. V. (AEEB)
Herzog-Wilhelm-Str. 24
80331 München

Tel: 0 89 – 5 43 44 77 – 0
Fax: 0 89 – 5 43 44 77 – 25

Mail: landesstelle@aeeb.de
www.aeeb.de

Mitteilungsblatt der AEEB
ISSN 1610-5095
Nr. 1/31. Jahrgang (2015)
Redaktion: Dr. Jens Colditz

Layout: Bachhuber GmbH grafik- & webdesign

Nachdruck mit Quellenangabe bzw. Kürzel AEEB gerne gestattet.
(gegen Belegexemplar)

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50 Jahre AEEB Evangelische Erwachsenenbildung aktuell und innovativ - Mitteilungsblatt 2015
50 Jahre AEEB

    Evangelische
Erwachsenenbildung
aktuell und innovativ

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50 Jahre AEEB Evangelische Erwachsenenbildung aktuell und innovativ - Mitteilungsblatt 2015
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50 Jahre AEEB Evangelische Erwachsenenbildung aktuell und innovativ - Mitteilungsblatt 2015
Editorial
50 Jahre AEEB

Liebe Leserin, lieber Leser,

wir feiern ein Jubiläum. Vor 50 Jahren wurde die        tiefsten Grund haben in der biblischen Botschaft:
Arbeitsgemeinschaft für Evangelische Erwach-            Gottes Liebe und sein Heil gelten allen Menschen
senenbildung in Bayern gegründet. Es war ein            und seiner ganzen Schöpfung. Darum engagieren
ereignisreiches halbes Jahrhundert mit Aufbruch         wir uns für den öffentlichen Verkündigungsauftrag
und Konsolidierung, mit Herausforderungen und           der Kirche und für ihr Bildungshandeln in der Ge-
Klärungen. Dankbar blicken wir vor allem auf die        sellschaft.“
Menschen, die mit ihrem großen Engagement, mit
Ideen und Kreativität diese Arbeit begleitet haben      Mit 50 fängt man gerne etwas Neues an. Erfahrun-
und heute gestalten. Die Evangelische Erwachse-         gen sind da, man weiß um die Stärken und kann
nenbildung zeigt ihre Vielfalt und Lebendigkeit         mit den Kräften haushalten. Die Bibel kennt das 50.
durch die haupt-, neben- und ehrenamtlichen Mit-        Jahr als Jubeljahr, das in eine neue Freiheit führt.
arbeiterinnen und Mitarbeiter.                          50 Tage nach Ostern feiern wir mit Pfingsten das
                                                        Kommen des Heiligen Geistes, einen Aufbruch. Der
In den 60-er und 70-er Jahren des vergange-             aktuelle Innovationsprozess in der Erwachsenen-
nen Jahrhunderts gab es einen Aufbruch aus der          bildung setzt Weichen für eine Weiterentwicklung.
„Bildungskatastrophe“. Mit ihrer Gründung im            Vernetzung, Regionalisierung, Service, neue Forma-
Dezember 1964 war die AEEB früh dabei. Sie hat          te, das sind Schlüsselworte für die Zukunft.
bildungspolitische Systemfragen mit gestaltet, die
zehn Jahre später zu einem staatlichen Weiterbil-       Wie präsentiert sich die Evangelische Erwachse-
dungsgesetz in Bayern führten.                          nenbildung aktuell? Was bewegt Menschen heute?
                                                        Wo sind wir dran? In dieser Jubiläumsausgabe des
Heute ist Bildung in aller Munde. Vieles soll damit     Mitteilungsblattes bekommen Sie einen Einblick.
gerettet werden: Wohlstand, Erfolg, soziale Sicher-     Den Autorinnen und Autoren danke ich für Ihre
heit, Migrationsprobleme. Bildung evangelisch hat       Beiträge und Ihnen wünsche ich viel Freude beim
den Menschen im Blick – in seinem Denken und            Lesen.
Fühlen, Wissen und Glauben, in seiner Freude und
Gebrochenheit, in seiner Nüchternheit und Empa-
thie. In Zeiten der Pluralisierung und Orientierungs-   Ihr
suche hat lebensbegleitendes Lernen an Bedeutung
gewonnen; die Bildungsarbeit unserer Kirche
möchte den Menschen hier neue Dimensionen er-           Dr. Jens Colditz
öffnen. Im Leitbild der AEEB heißt es: „Als Christen    Kirchenrat
glauben wir, dass Hoffnung und Engagement ihren

                                                                                           Editorial      5
50 Jahre AEEB Evangelische Erwachsenenbildung aktuell und innovativ - Mitteilungsblatt 2015
Inhalt
Grußwort Landesbischof Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm                                                                      ...................................................... S. 9

Innovation und Perspektiven
Evangelische Erwachsenenbildung aktuell
Aufbruch in die Zukunft
Drei Fragen an Oberkirchenrat Detlev Bierbaum ......................................................................................................                              S.10

Hans Jürgen Luibl
Regionale Bildungslandschaften blühen
Eine Zukunftsvision ............................................................................................................................................................. S. 12

Wolfgang Wurch
Kirche in der Welt
Ein evangelischer Beitrag für eine Bildungsgesellschaft ........................................................................................                                  S. 15

Harald Wildfeuer
Evangelische Stadtakademien im Gespräch
Strategien und Perspektiven ............................................................................................................................................          S. 18

Udo Hahn
Am Ende kommt es auf die Inhalte an
Die Evangelische Akademie Tutzing als Ort des Diskurses .....................................................................................                                     S. 23

Christoph Seyler
Lebensqualität in ländlichen Räumen stärken
Der Beitrag der Evangelischen Erwachsenenbildung ............................................................................................... S. 26

Sonja Sibbor-Heißmann
Wir sind so frei
Evangelisches Bildungsprofil in der Diaspora ............................................................................................................. S. 30

Sabine Hammerbacher
In guter Kommunikation mit der Kirche vor Ort
Ein Erfahrungsbericht ........................................................................................................................................................    S. 33

Christian Stalter
Was heißt hier trivial?
Impressionen zu einem gemeindlichen Bildungsformat ........................................................................................... S. 36

Jürgen Wolff
Aktuelle Modelle der Transformation
Didaktik der Evangelischen Erwachsenenbildung ......................................................................................                                              S. 40

6             Inhalt
50 Jahre AEEB Evangelische Erwachsenenbildung aktuell und innovativ - Mitteilungsblatt 2015
Trends und Themen
Dorathea Strichau
Ehrenamtliches Engagement
… davon lebt die Evangelische Erwachsenenbildung ..............................................................................................                                  S. 44

Bernd Rother / Susanne Diestelhorst-Weiand
„miteinander.fördern“
Ehrenamtsakademie im Dekanatsbezirk Rosenheim ................................................................................................                                   S. 49

Sigrid Zimmermann
„Warum Kerzen? Ihr habt doch elektrisches Licht!“
Ehrenamtliche in der Arbeit mit Asylsuchenden .......................................................................................................                            S. 52

Kornelia Schmidt
Bildung von Anfang an
Begleitung, Beratung, Interaktion .................................................................................................................................              S. 55

Bettina Marquis
Young at heart
Förderung der Medienkompetenz von älteren Frauen ............................................................................................                                    S. 59

Johannes Rehm
Ethische Bildung
Ein Auftrag des Kirchlichen Dienstes in der Arbeitswelt ........................................................................................                                 S. 62

Jens Colditz
Fremder Glaube, eigener Glaube
Profile religiöser Bildung ..................................................................................................................................................    S. 64

Autorinnen und Autoren............................................................................................................................................               S. 70

Bildnachweis.................................................................................................................................................................    S. 72

                                                                                                                                                                                Inhalt   7
50 Jahre AEEB Evangelische Erwachsenenbildung aktuell und innovativ - Mitteilungsblatt 2015
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50 Jahre AEEB Evangelische Erwachsenenbildung aktuell und innovativ - Mitteilungsblatt 2015
Grußwort

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Arbeitsgemeinschaft für Evangelische Erwach-        manchmal bin ich ja selber dabei -, dann zeigt sich:
senenbildung in Bayern feiert ein Jubiläum, zu dem      sie sind von öffentlicher Relevanz, sie interessieren
ich sehr herzlich gratuliere. 50 Jahre lang arbeiten    viele gesellschaftliche Gruppen, auch wenn diese
die verschiedenen Bildungseinrichtungen unserer         nicht Teil der Kirche sind.
Evangelischen Kirche zusammen, sie kooperieren,
befruchten sich wechselseitig und helfen mit, den       Dass unsere Evangelische Erwachsenenbildung da
Bildungsauftrag, der untrennbar mit dem Evange-         „am Ball“ ist, dass sie öffentliche Foren schafft oder
lium verbunden ist, so gut wie möglich zu erfüllen.     manchmal auch in kleineren Kreisen den Rahmen
                                                        dafür bildet, dass grundlegende Orientierungsfra-
Ich blicke selber auf viele gute Erfahrungen mit der    gen hinter den mitunter kleinteiligen, politischen
Evangelischen Erwachsenenbildung. Als Gemein-           Diskussionen zum Vorschein kommen, das ist ein
depfarrer habe ich eng mit dem Evangelischen Bil-       ganz wichtiger Verdienst.
dungswerk vor Ort zusammengearbeitet, auch mit
dem Katholischen Bildungswerk in ökumenischer           Ich danke allen, die in der Evangelischen Erwach-
Verbundenheit. Wir haben Runde Tische initiiert –       senenbildung tätig sind, für ihre tägliche Arbeit.
für Fragen sozialer Verantwortung und zur Ökume-        Manchmal geschieht dies unter schwierigen Be-
ne. Der Runde Tisch der Religionen ist zur Tradition    dingungen. Aber die Wirkung ist groß, wenngleich
geworden. Vertreter unterschiedlicher Religionen        man sie im Einzelnen nicht immer genau ermitteln
kommen zusammen, tauschen sich über Fragen der          kann. Auch für die Prozesse der Innovation, die ge-
Zeit aus und bringen damit öffentlich zum Aus-          rade jetzt stattfinden, bin ich dankbar. Ich wünsche
druck, wie wichtig es ist, dass die Religionen zur      mir, dass die Evangelische Erwachsenenbildung
Kraft des Friedens und der Versöhnung in der Ge-        auch in der Zukunft ihren Auftrag erfüllen kann,
sellschaft werden.                                      dass sie die Menschen erreichen und auf diese Art
                                                        eine Stimme der Kirche, ja, eine Stimme des Evan-
Evangelische Erwachsenenbildung beschäftigt sich        geliums in unserer heutigen Zeit sein kann.
nicht nur mit sich selbst, nicht nur mit der Kirche,
sondern wirkt in die Gesellschaft hinein. Das kenn-     Herzlichen Glückwunsch, alles Gute und Gottes Se-
zeichnet im Kern den Auftrag unseres christlichen       gen für die Zukunft!
Glaubens. „Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für
andere da ist“, so hat es Dietrich Bonhoeffer, dessen
70. Todestag wir 2015 gedenken, ausgedrückt. Die        Ihr
Evangelische Erwachsenenbildung setzt diese Maß-
gabe in ganz eindrucksvoller Weise seit vielen Jah-
ren in die Realität um. Kirche muss immer öffent-
liche Kirche sein, Theologie ist immer öffentliche
Theologie und interessiert sich für die Gesellschaft,   Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm
für den Raum der Welt. Bonhoeffer hat gesagt: „Ich      Landesbischof
kann mich nur auf die Gotteswirklichkeit einlas-        Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche
sen, wenn ich mich ganz auf die Weltwirklichkeit        in Deutschland
einlasse.“ Wenn ich mir die Themen anschaue, mit
denen sich die Evangelische Erwachsenenbildung
beschäftigt – und dazu habe ich viel Gelegenheit,

                                                                                           Grußwort         9
50 Jahre AEEB Evangelische Erwachsenenbildung aktuell und innovativ - Mitteilungsblatt 2015
Innovation und Perspektiven

Evangelische Erwachsenenbildung aktuell

Aufbruch in die Zukunft
Drei Fragen an Oberkirchenrat Detlev Bierbaum
Interview: Jens Colditz

10    Innovation und Perspektiven
Evangelische Erwachsenenbildung – welchen Auftrag hat sie im 21. Jahrhundert?
Der Protestantismus entstand als Bewegung, die         Mitgestaltung der Gesellschaft einzutreten, ob ge-
vom Evangelium herkommend in die Gesellschaft          gen Rechtspopulismus oder Fundamentalismus, auf
hineinwirkte. Zwischen den Polen Freiheit und Ver-     jeden Fall für Meinungsfreiheit. Bei all dem wird die
antwortung galt es zukünftig sein Leben als Christ     Freiheit des Evangeliums gelebt und so auch vertei-
und Bürger zu gestalten. So hat er sich individuell    digt. Ohne Bildung geht das nicht. In einer pluralen
und gesellschaftlich als prägende Kraft hinein ent-    Gesellschaft können unterschiedliche – verantwor-
wickelt in säkulare Strukturen unseres Gemeinwe-       tete – Meinungen bestehen. Mündigkeit ist gefragt.
sens. Das 21. Jahrhundert wird durch die Zivilge-      Dieses reformatorische Bildungsanliegen ist auf
sellschaft geprägt sein. Für den Protestantismus ist   dem Hintergrund der Entscheidungsoptionen, die
es auf Grund seiner Identität unverzichtbar, für die   sich Menschen unserer Tage bieten, hoch aktuell.

Inwiefern braucht Bildung auch im Medienzeitalter die Begegnung von Mensch zu Mensch?
Bildung von unserem christlichen Fundament her         Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei! Biblische
gedacht bezieht sich auf den ganzen Menschen.          Geschichten sind immer auch Bildungsgeschichten.
Begegnungen face to face sind dabei unerlässlich,      Es ist allerdings notwendig, dass sich die Bildungs-
denn es geht so gesehen oft um existenzielle The-      formate den verändernden Bedürfnissen der Men-
men: Sinn des Lebens, Beziehungen, Schuld, Ster-       schen anpassen. Über Facebook oder Twitter, Soci-
ben und Tod, Hoffnung, Freude. Also spirituelle        al-Media-Nutzung, Dialogrunden und Bar Camps
Themen im weitesten Sinn. Es geht natürlich auch       erreicht man neue Zielgruppen. Auch Zeitfenster
um Lebenspraxis, etwa in Erziehungsfragen. Die Bi-     für Veranstaltungen, die sich an den Lebenswirk-
bel erzählt davon, wie sich in der Begegnung von       lichkeiten ausrichten, sind gefragt. Hier gilt es ge-
Mensch zu Mensch und in der bewussten Ausein-          meinsam mit den Besuchern unserer Veranstaltun-
andersetzung mit dem Grund des Lebens – Christen       gen nachzudenken. Manches über Bord zu werfen.
nennen ihn Gott Schöpfer – neue Perspektiven er-       Neues zu erproben. Doch das geschieht auch.
öffnen. Der Mensch ist einfach ein soziales Wesen:

Durch den laufenden Innovationsprozess der Bildungswerke ist die Evangelische Erwach-
senenbildung auf vielen Ebenen der Landeskirche neu ins Gespräch gekommen. Welche
Erwartungen verbinden Sie damit?
Die Erwachsenenbildung ist – etwa neben früh-          texten zukunftsfähig ausrichtet. Dazu gehört auch,
kindlicher Bildung in unseren Kindertagesstätten       die Erwachsenenbildung vor Ort neu zu denken. Die
oder auch dem Religionsunterricht – ein wesentli-      Denkwerkstätten sind ein erster großer Erfolg, sie
cher Teil des Bildungshandelns unserer Kirche.         bieten Raum und Zeit, neue Perspektiven zu ent-
In den Transformationsprozessen, also in der Ge-       wickeln. Sie bringen Menschen und Organisationen
staltung von Veränderung in unserer Kirche, spielt     miteinander ins Gespräch. Überraschend viele Ver-
Bildung eine wesentliche Rolle. So gilt es, Gemein-    antwortliche aus dem kirchlichen, aber auch kom-
de- und Dekanatsentwicklung miteinander zu ver-        munalen Kontext haben sich ansprechen lassen. Ein
knüpfen, Diakonie und Kirche neu aufeinander zu        gutes Zeichen der Wertschätzung für die Evange-
beziehen, Sozialräume in Quartieren zu gestalten.      lische Erwachsenenbildung. Und ein Zeichen, wie
Der Prozess „Innovation Bildung 2017“ muss im          notwendig sie für Kirchenentwicklung ist.
Blick haben, wie sich unsere evangelische Kirche
in gesellschaftlichen Umbrüchen und neuen Kon-

                                                                     Innovation und Perspektiven           11
Hans Jürgen Luibl

Regionale Bildungslandschaften blühen
Eine Zukunftsvision, auch für die Evangelische Erwachsenenbildung

12   Innovation und Perspektiven
Regionale Bildungslandschaften, regionaler Bil-         nen, wenn sie denn einen Lebensraum, einen leben-
dungsraum, Bildungsregionen – diese Begriffe ha-        digen Raum darstellen.
ben Konjunktur. Gründe dafür gibt es genug. Einer
davon liegt schon im Stichwort der Regionalisie-        Ein anderer Grund liegt vermutlich im ‚User-Turn‘.
rung. Die großen Systeme und Theorien scheinen          Also schlicht die Erkenntnis, die gerade für die Er-
immer weiter weg zu rücken von der eigenen Le-          wachsenenbildung schon immer handlungsleitend
benswelt. Gesucht wird verstärkt die Region als Le-     war: Am Anfang der Bildung steht der Mensch. Vor-
benswelt, in der man sich orientiert, sich einbringen   bei sind die Zeiten der reinen Angebots- und Insti-
und auch etwas gestalten kann. Das gilt auch für        tutionenlogik, nach dem Motto: Wir bieten an …
Bildung: Bildung vor Ort, angefangen von ‚mei-          Und die Menschen kommen oder manchmal auch
nem‘ Stadtteil, ‚meinem‘ Dorf bis zu Metropolregio-     nicht.

Der Mensch bleibt das Maß
In den Blick rückt verstärkt die Bildungsbiogra-        Regionale Bildungslandschaften, das ist Bildung,
phie des einzelnen Menschen und seines Umfelds.         die vor Ort und unter Einbeziehung der Einzelnen
Frühkindliche Bildung ist wichtig, aber sie braucht     sich entwickelt. Lassen sich solche Vorstellungen
den Blick auch für die Eltern, die mit den Kindern      auf kirchliches Bildungshandeln übertragen? Etwa
lernen, sich und ihr Kind besser zu verstehen und       auf ein Dekanat? Das Dekanat ist – mal mehr, mal
zu entwickeln. Ein sehr gutes Beispiel ist dafür der    weniger – Lebensraum und Handlungsebene in ei-
Elternkurs der AEEB „vertrauen-spielen-lernen“.         nem. Zur Bildungsregion wird das Dekanat schlicht
Dahinter stehen weitere Fragen, nämlich nach der        mit der Frage, welche Bildungseinrichtungen und
Verknüpfung der Lernorte (z.B. Konfirmandenun-          Bildungsangebote es eigentlich vor Ort gibt. Da sind
terricht und Elternarbeit, Lernort Schule und Lern-     etwa das Bildungswerk, die Stadtakademie, die Fa-
ort Internet usw.) und der Lernarten, etwa die Ent-     milienbildungsstätte, das spirituelle Zentrum. Dazu
deckung des informellen Wissens als Ressource für       gehören auch die Fortbildungen, vor allem ehren-
formale und non-formale Bildungsprozesse. Drän-         amtlicher Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Und
gend dabei ist die Frage, wie die Übergänge von         das reicht dann von der Lektorenschulung über die
einer Bildungsphase zur anderen gestaltet werden        Weiterbildung für den Besuchsdienst in Kranken-
können. Dazu braucht es ein Übergangsmanage-            häusern – von Klinikseelsorgern verantwortet – bis
ment, in dem die Bildungseinrichtungen sich nicht       hin zu den Kursen für Altersberater/innen oder Mi-
nur einbringen, sondern selber verändern und ent-       grationsbegleiter/innen, die in Kooperation mit der
wickeln, gemäß den Bedarfen der Menschen. „Der          Kommune durchgeführt werden. Und so schwingt
Mensch bleibt das Maß.“ So haben es vor Jahren          kirchliches Bildungshandeln in den zivilgesell-
schon die sieben staatlich anerkannten Träger der       schaftlichen Bereich hinein – nicht zwanghaft, son-
Erwachsenenbildung in Bayern programmatisch als         dern der Dynamik in einem Bildungsraum folgend.
Bildungsaufgabe formuliert.

Lernorte im kirchlichen Bildungsnetz
Wenn man die Augen aufmacht, wird man vor Ort           Bildungsbegleitung der Eltern und Großeltern in
noch Anderes und noch mehr entdecken. Und das,          Erziehungsfragen – in kleinen Gruppen und grö-
was da in Blick kommt, sollte auch miteinander ins      ßeren öffentlichen Veranstaltungen. In dieser Ver-
Spiel gebracht und gestaltet werden. Ein Bildungs-      knüpfung wird die Kindertagesstätte ein lebendiger
ort mit vielen Potentialen sind die evangelischen       Lernort in der Gemeinde – und damit ein wichtiges
Kindertagesstätten. Neben der frühkindlichen Bil-       Element der Gemeindepädagogik. Hier geschieht
dung braucht es die Fort- und Weiterbildung der         viel, an anderen Orten steht das noch bevor.
Erzieher und Erzieherinnen; es braucht auch die

                                                                     Innovation und Perspektiven         13
Ein manchmal übersehener Bildungsort, mitten in         nötig ist. Und die Gemeinden? Das aber bleibt leer,
der Gemeinde, mitten im Dekanat, ist die Schule         wenn nicht verstärkt Menschen vor Ort mit ihren
und darin speziell der Religionsunterricht. Es gibt     Bildungsmöglichkeiten einbezogen werden. Es gibt
eine Öffnung des Lebensraums Schule, nicht nur,         nicht „die“ evangelische Bildung oder Erwachse-
aber verstärkt durch die Ganztagsschulen. Welche        nenbildung, aber sie kann vor Ort entstehen. Etwa
Möglichkeiten ergeben sich dabei für Gemeinde-          wenn Kirchenvorsteher und Kirchenvorsteherinnen
und Dekanatsentwicklung? Wie könnte Schule ein          verstärkt nach hilfreichem Wissen im Bereich Ver-
Lernort im kirchlichen Bildungsnetz vor Ort wer-        waltung wie Religion fragen, um den steigenden
den? Oder die Diakonie! Sie ist nicht einfach Pflege,   Herausforderungen in dieser Leitungsfunktion ge-
sie ist Pflege und Verstehen; Bildung als Qualifizie-   recht zu werden. Oder etwa, wenn Menschen in der
rung der Pflegekräfte gehört ebenso dazu wie Bil-       Flut der Informationen nach verlässlichem Wissen
dung Ehrenamtlicher im diakonischen Bereich oder        fragen, nach Orientierungswissen für die eigene
Vermittlung von Wissen über Entwicklungen hin zu        Lebenspraxis und ihren gemeinschaftlichen Lebens-
einer „sozialen“ Gesellschaft.                          raum – der ist Gemeinde und Sozialraum in einem.
                                                        Wie kann es gelingen, Menschen vor Ort zu ermuti-
Bildungslandschaften entwickeln heißt Institutio-       gen und zu befähigen, mithilfe der Bildungseinrich-
nen miteinander ins Spiel bringen, um gemeinsam         tungen vor Ort ihr Orientierungswissen zu finden?
zu entdecken, was Bildung ist und welche Bildung

Ur-eigenes Prinzip
Die regionale Bildungslandschaft Dekanat blüht, sie     rausforderung. Aber davor sollte evangelische Bil-
wuchert. Einen Bildungsbotaniker, der alles sam-        dungsarbeit nicht zurückscheuen, denn das ist ihr
melt, oder einen Gärtner, der alles reglementiert,      ur-eigenes Prinzip.
braucht es nicht. Es braucht aber Verständigungs-
prozesse und Kommunikationsarbeit unterschiedli-        Die institutionalisierte Evangelische Erwachsenen-
cher Bildungsagenten. Das Leitmotiv hierfür könn-       bildung ist hier ganz neu gefragt. Es geht darum,
te „educational governance“, Leitung eines offenen      den offenen Bildungsprozess auf Dekanatsebene zu
Prozesses mit unterschiedlichen Teilnehmenden,          organisieren. Denn wir können Bildung. Wir haben
sein. Wenn und wo Bildung sich von unten orga-          gelernt, dass und wie Bildungsprozesse als freiwil-
nisiert, muss auch die Leitung, Struktur und Orga-      lige Prozesse begleitet werden können – in evan-
nisation dem angepasst werden. Leitung ist damit        gelischer Freiheit. Und ja: Wir kennen die Ausdiffe-
so etwas wie die Organisation des Spiels der Diffe-     renzierungen, die kleinen und großen Unterschiede
renzen. Menschen mit ihren Ideen, Wünschen und          im Bildungshandeln. So können wir einladen zum
Fragen wahrzunehmen und dies in einen Bildungs-         „dancing with difference“.
prozess zu bringen, zeigt sich dabei als größte He-

14       Innovation und Perspektiven
Wolfgang Wurch

Kirche in der Welt
Ein evangelischer Beitrag für eine Bildungsgesellschaft

                                              Innovation und Perspektiven   15
Der   Innovationsprozess „Innovation Bildung           sere Phantasie für eine profilierte Bildungsarbeit:
2017“ innerhalb der Evangelischen Erwachsenen-
bildung hat uns inspiriert, das Evangelische Bil-      • Profilierung des Bildungswerks als dekanatliches
dungswerk in Bamberg neu zu denken. Wir sind             Kompetenzzentrum
im Blick auf die Situation vor Ort die drei von
                                                       • Professionalisierung neuer Bildungs- und Lern-
der AEEB vorgegebenen Ziele und Schwerpunkte
                                                         formate im Sozialraum
der Innovation abgeschritten. Alle drei Richtun-
gen waren für uns attraktiv und beflügelten un-        • Regionalisierung von Bildungseinrichtungen

Dekanatliches Kompetenzzentrum
In Bezug auf diesen Schwerpunkt konnten wir eine       So ist das EBW ein unverzichtbarer Partner, der im
gute Einbindung des Evangelischen Bildungswerks        Dekanat gut eingebunden und vernetzt ist. Diese
in das Dekanat feststellen. Die Beziehungen zwi-       guten Arbeitsbeziehungen zum Dekanat werden
schen Dekanat und EBW sind geprägt von Wert-           wir weiter pflegen und ausbauen, um ein verlässli-
schätzung. Das Dekanat nimmt unsere Dienstleis-        cher Partner zu bleiben. Gestützt wird das gute Ver-
tungen in Anspruch. Wir spielen einen wichtigen        hältnis durch eine strukturelle Anbindung des EBW
Part bei der inhaltlichen Planung dekanatlicher        an den Dekanatsausschuss: ein Mitglied des DA ist
Themen, unterstützen Kirchengemeinden bei Ver-         satzungsgemäß im EBW-Vorstand. So gesehen sind
anstaltungsplanung und Gestaltung von Jahresta-        wir mit unserer Bildungsarbeit zunächst in der Kir-
gen und Ausstellungen und vieles mehr. Daneben         che verankert. Doch wie kommt die Kirche durch
bietet unser Bildungswerk Fortbildungen für Mitar-     die Erwachsenenbildung in die Welt – wie es der
beiter und Mitarbeiterinnen an.                        Titel dieses Berichts ankündigt?

Neue Bildungs- und Lernformate im Sozialraum
Den stärksten Reiz für die Weiterentwicklung und       gar biblischen Auftrag ernst: Suchet der Stadt Bes-
Ausrichtung des EBW auf die Zukunft übt das zwei-      tes. Wir sind bereit, Verantwortung für die soziale
te Innovationsziel aus: das Bespielen des sozialen     und politische Gestaltung der Gesellschaft zu über-
Raumes mit neuen Bildungsformaten. Gerade in           nehmen. Angeregt durch den Innovationsprozess
den letzten Jahren zeigt sich ein besonderer Wir-      haben wir uns vergewissert, dass diese Ausrichtung
kungsgrad beim Agieren des EBW in die Stadt bzw.       der Bildungsangebote im sozialen Raum Rückende-
Stadtgesellschaft hinein. Das EBW hat sich durch       ckung durch Dekanatsausschuss und Dekan haben
seine qualitätsvollen Angebote, gute Öffentlich-       und sich darin ein Teil des Kirchenverständnisses
keitsarbeit und geschickte Kontaktarbeit Ansehen       des Dekanatsausschusses abbildet. Mit dieser Klam-
verschafft in Teilen des öffentlichen Lebens und ist   mer EBW-Dekanat tragen wir zur Kirchenentwick-
ein akzeptierter Akteur und erwünschter Partner        lung, bezogen auf den Auftrag, Kirche in der Welt
für verschiedene Themen, Anliegen und Zielgrup-        zu sein, bei und stärken die Relevanz der Kirche in
penarbeit geworden.                                    der Gesellschaft. Umgekehrt ist Evangelische Er-
                                                       wachsenenbildung unter diesem Blickwinkel auch
Dabei versteht sich das EBW als Arm der Kirche in      Agentur für Dekanatsentwicklung.
die Stadt und nimmt darin einen kirchlichen, ja so-

16       Innovation und Perspektiven
Drehscheibe für Innovation und Effizienz
Für die Durchführung unserer Denkwerkstatt ha-         nen und Parteien herzustellen und Kompetenzen
ben wir Teilnehmende aus verschiedenen Bereichen       und Potentiale effizient ins Spiel zu bringen. Von
der Stadt, Politik, Kultur, Bildung und aus Kirche     der Koexistenz zur Kooperation – lautet die De-
und Diakonie eingeladen. 36 Personen inklusive         vise. Das EBW könnte durch die Moderationsauf-
des vier-köpfigen EBW-Vorstandes nahmen teil.          gabe seine evangelische Stimme einbringen und
Der Horizont der Denkwerkstatt wurde abgesteckt        sich zur Drehscheibe für Innovation und Effizienz
durch offene Fragestellungen, die sich auf die He-     in Bamberg machen. Gerade für eine Gesellschaft
rausforderungen des Sozialraums der Stadt bezo-        im Wandel ist ein abgestimmtes und Potentiale er-
gen: Welche Themen werden die Entwicklung des          schließendes Vorgehen unerlässlich, zumal wir im
Sozialraumes in den nächsten Jahren bestimmen?         Bildungswerk durch unsere Transition-Arbeit gute
Plenum und Kleingruppen, die sich im Blick auf die     Erfahrungen mit geteilter Verantwortung und ver-
Arbeitskontexte der Anwesenden sowohl homogen          antwortlicher Teilhabe außerhalb festgefügter In-
als auch heterogen ausrichteten, führten zu span-      stitutionsstrukturen gemacht haben.
nenden Perspektiven und verdichteten sich in eini-
gen Begriffen.                                         Unser Eindruck an diesem Nachmittag und Abend
                                                       war, dass die Vertreter der anwesenden Einrichtun-
Von Beginn an brachte das Plenum übereinstim-          gen und Arbeitsbereiche unter der Versäulung von
mend seine Freude über so eine Veranstaltung           Akteuren und Bildungsorganisationen leiden und
zum Ausdruck. Der Austausch und die gemeinsa-          eine Entgrenzung in oben beschriebener Weise er-
me Suche nach der Stadt Bestes war getragen von        sehnen. Man spürt uns als EBW ab, dass wir nicht
höchster Motivation. Ein Ergebnis: Die Beteiligten     mit den anderen in Wettbewerb gehen wollen,
wollen dieses Format nach einem Jahr unbedingt         sondern dass wir für Vernetzung stehen, Anknüp-
wiederholen. Inhaltlich verdichtete sich die Spuren-   fungspunkte suchen, neue Potentiale einbeziehen
suche auf Begriffe wie Alphabetisierung, Integra-      und Innovation sowie Wachstumsmöglichkeiten
tion oder Inklusion jeweils im umfassenden Sinn.       ausloten möchten. Darin sehen wir für unser Bil-
Deutlich wurde der Wunsch, die Themen gemein-          dungswerk die Gunst der Stunde.
sam anzugehen. Was sich in diesen fünf Stunden
der Denkwerkstatt ereignete, waren erste Schritte      Waren wir in der Planung unserer Denkräume eher
von Vernetzung. Die Einsicht war offensichtlich,       davon ausgegangen, dass wir auf ein konkretes Pro-
dass für die in den Blick genommenen Bildungs-         jektvorhaben stoßen würden, so wurde der Gedan-
bedarfe Kooperation eine Grundbedingung ist. Das       ke an Strukturarbeit – den Aufbau von Netzwer-
EBW wurde geradezu aufgerufen, seine Kompetenz         ken und Kooperationen – und an das Moderieren
für Vernetzung und Kooperation einzubringen.           und Steuern dieser Vernetzungsarbeit, wie es auch
                                                       in der Denkwerkstatt schon lebendig wurde, eine
Der Vorstand sieht dieses Votum als eine wunder-       großartige Vision. Wir sind davon beflügelt, diesen
bare Einladung, nach seinen Möglichkeiten für die      Ansatz als unseren evangelischen Beitrag in die Bil-
Stadtgesellschaft Bamberg eine Vernetzung mit an-      dungsgesellschaft einzubringen.
deren Bildungsträgern, Initiativen, Akteuren, Verei-

                                                                    Innovation und Perspektiven         17
Harald Wildfeuer

Evangelische Stadtakademien im Gespräch
Strategien und Perspektiven

18   Innovation und Perspektiven
In der Erwachsenenbildung ist in den letzten 20        das für sie passende Angebot auswählen. Sie müs-
Jahren ein grundlegender Paradigmenwechsel er-         sen ihre Lernprozesse selbst in die Hand nehmen
folgt. Nach der realistischen Wende, die in den        und aktiv steuern. Non-formales und vor allem
1960er Jahren mit der konsequenten Orientierung        informelles Lernen werden zunehmend wichtiger.
am persönlichen und zunehmend auch ökonomi-
schen Nutzen von Weiterbildung für die Teilnehmer      • Dazu kommt als weiterer Trend die wachsende
begann und in den 1970er Jahren mit dem profes-        Marktorientierung und Ökonomisierung der Er-
sionellen Ausbau der Erwachsenenbildung als ei-        wachsenenbildung. An die Stelle von Institutions-
nem eigenständigen quartiären System im dama-          orientierung tritt Kundenorientierung. Damit geht
ligen Bildungskonzept einen vorläufigen Abschluss      einher, dass alle Einrichtungen von Erwachsenen-
erlangte, erfolgte seit den 1990er Jahren unter dem    bildung auf dem Bildungsmarkt um Kunden wer-
Druck zurückgehender öffentlicher Förderung und        ben müssen. Es ist längst nicht mehr so, dass die
wachsender Konkurrenz gerade auch durch die Zu-        Kunden zum Programm kommen. Vielmehr muss
nahme an Angeboten nicht-institutioneller und          das Programm zum Kunden kommen. Das eigene
kommerzieller Weiterbildung eine doppelte Wei-         Profil wird zur Marke. Der eigene Marktanteil re-
chenstellung:                                          guliert sich unter den Vorzeichen von Angebot und
                                                       Nachfrage.
• Zum einen lässt sich von einer konstruktivisti-
schen Wende sprechen. Damit ist die Aufgabe be-        Wie können evangelische Stadtakademien ange-
schrieben, dass sich lernwillige Menschen ihre Wei-    messen auf diese Herausforderungen reagieren? Die
terbildung selbst organisieren müssen. Sie müssen      folgenden strategischen Überlegungen verstehen
aus einer Fülle an möglichen Lehr-Lern-Szenarien       sich als Denkanstoß und Orientierungshilfe.

Stärkung der „individuellen Regulationsfähigkeit“
Eine angemessene Beschreibung der gegenwärti-          die Fähigkeit des Individuums, sein Verhalten und
gen Bildungslandschaft liefert der Bildungsbericht     sein Verhältnis zur Umwelt, die eigene Biographie
von 2006: „Der steigende Stellenwert der Weiter-       und das Leben in der Gemeinschaft selbstständig
bildung innerhalb des Bildungswesens wird in Poli-     zu planen und zu gestalten. Diese umfassende und
tik und öffentlicher Meinung immer wieder betont.      allgemeine Zielkategorie für das Bildungswesen als
Die veränderte Bedeutung von Weiterbildung ist         Ganzes wie für jeden seiner Teile beinhaltet unter
auf die beschleunigte Dynamik des wissenschaft-        den Bedingungen der Wissensgesellschaft in beson-
lich-technischen und sozioökonomischen Wandels         derem Maße die Entfaltung der Lernfähigkeit von
und die Alterung der Gesellschaft zurück zu führen.    Anfang an und deren Erhalt bis ins hohe Alter.“(2)
Moderne Gesellschaften weisen sich dadurch aus,
dass Lern- und Bildungsprozesse nicht mehr nur das     Auch Evangelische Erwachsenenbildung versteht
prägende Muster im Kindes- und Jugendalter sind,       sich als Unterstützung für lernende Individuen in
sondern inzwischen auch das Erwachsenenalter voll      ihrem Bemühen um lebenslange Anpassung an sich
erfasst haben. Für die Individuen bedeutet das, sich   ständig ändernde persönliche, gesellschaftliche und
auf veränderte Bedingungen einzustellen. Die In-       berufliche Herausforderungen. Sie stärkt deren in-
stitutionen sind gehalten, ebenfalls auf veränder-     dividuelle Regulationsfähigkeit. Mit diesem Ansatz
te Anforderungen zu reagieren und entsprechende        entspricht sie ihrem Grundauftrag, Menschen in ih-
Angebote und Kapazitäten bereitzustellen.“(1)          rer persönlichen Entwicklung im Geiste des Evange-
                                                       liums zu begleiten: „Wir orientieren uns in unseren
Der Zwang zum lebenslangen Lernen und zur Selbst-      Veranstaltungen an den Teilnehmerinnen und Teil-
organisation der damit verbundenen Lernprozesse        nehmern, ihren Bedürfnissen und Lebenslagen. Wir
lässt sich als individuelle Regulationsfähigkeit be-   nehmen sie als mündige Partnerinnen und Partner
schreiben: „Individuelle Regulationsfähigkeit meint    ernst und respektieren sie mit ihren Meinungen und

                                                                    Innovation und Perspektiven        19
Einstellungen. Weil wir uns an den Menschen ori-         ment ihren tiefsten Grund haben in der biblischen
entieren, greifen wir die Fragen unserer Zeit auf. Als   Botschaft: Gottes Liebe und sein Heil gelten allen
Christen glauben wir, dass Hoffnung und Engage-          Menschen und seiner ganzen Schöpfung.“(3)

Lokalisierung und lokale Präsenz in der Stadtgesellschaft
Die entscheidende Planungs- und Handlungsebe-            erstattung der lokalen Medien angewiesen, weil sie
ne einer evangelischen Stadtakademie ist der Mi-         mit den Mitteln ihrer eigenen Öffentlichkeitsarbeit
krokosmos der Stadtgesellschaft. Es kommt dabei          (z.B. Programmheft, Homepage) zunächst immer
entscheidend darauf an, bei der Programmplanung          nur einen kleinen Ausschnitt der städtischen Gesell-
genau Ausschau nach den relevanten Schnittstellen        schaft erreicht, nämlich interessierte Angehörige
zu halten, mittels derer lokale Bildungsangebote an      aus dem konservativen und postmateriellen Milieu.
globale Trends und Themen andocken können, die           Die verlässliche Information von Bestandskunden
in den Medien aufgegriffen und diskutiert werden.        mit dem eigenen Programm ist die unabdingbare
Globale Themen und Trends müssen lokalisiert wer-        Voraussetzung eines nachhaltigen Bildungsmarke-
den, d.h. im regionalen Umfeld an konkreten Orten,       tings. Denn nur zufriedene Kunden kommen gerne
Ereignissen oder Personen festgemacht werden, um         wieder. Und nur sie werben gerne in ihrem Umfeld
Interesse und direkte Betroffenheit zu wecken.           für neue Kunden. Für die Stadtakademie kommt es
                                                         zentral darauf an, dass sie aus Kundensicht ein at-
Die Stadtakademie muss aber auch umgekehrt mit           traktiver Ort und eine gute Adresse ist. Und dass
ihrem Angebot in der Stadtgesellschaft lokal prä-        sie bei denen, die gerne kommen, selbst zum Stadt-
sent sein, um angemessen wahrgenommen zu wer-            gespräch wird, dass sich ihre Qualität also bei den
den. Sie ist auf wohlwollende und positive Bericht-      potenziellen Zielgruppen herumspricht.

„Evangelisch“ als Marke
Aus einer Sicht, die sich an den Spielregeln des         besteht demgegenüber wohl am klarsten im protes-
Marktes orientiert, kommt es darauf an, dass ein         tantischen Prinzip (Paul Tillich), also in dem Grund-
Anbieter erkennbar ist, dass er sein Profil deutlich     gedanken der Reformation, dass jeder Mensch von
zum Ausdruck bringt und sich gegenüber den Mit-          Gott mit einer unauslöschlichen Würde und Freiheit
bewerbern ein Alleinstellungsmerkmal verschafft.         ausgestattet ist, die seine Selbstbestimmung und
Was also ist das Alleinstellungsmerkmal Evangeli-        (Gewissens-) Autonomie ermöglicht: Im Mittel-
scher Erwachsenenbildung? Auch im Angebot einer          punkt steht immer der Mensch mit seinen Aufgaben
evangelischen Stadtakademie werden sinnvoller-           und Fragen, mit seiner Begabung und Würde. Die
weise die Trends und Themen aufgegriffen, die auch       Stärkung der „individuellen Regulationsfähigkeit“
an anderen Stellen den Markt prägen: Gesundheit,         lernender Menschen ist daher in der Evangelischen
Fragen von Erziehung und Partnerschaft und nach          Erwachsenenbildung nicht in erster Linie eine Mar-
dem gelingenden Leben überhaupt. Zum besonde-            ketingstrategie unter veränderten Marktbedingun-
ren Portfolio einer kirchlichen Bildungseinrichtung      gen, sondern Teil ihrer theologisch begründeten
gehören darüber hinaus auch theologische The-            Identität. Dass Menschen in ihrem Denken und ihrer
men und der interreligiöse Dialog sowie Fragen der       Entscheidungsfreiheit nicht klerikal vereinnahmt
christlichen Spiritualität und Lebensgestaltung. Alle    oder ideologisch bevormundet werden, dass sie in
diese Themen begründen für sich genommen noch            ihrem eigenständigen und kritischen Denken ange-
keine Alleinstellung Evangelischer Erwachsenenbil-       regt und „freigesetzt“ werden, das macht in einer
dung, finden sie sich doch ebenso in anderen all-        Zeit, in der unter dem Vorzeichen der Ökonomisie-
gemein- und persönlichkeitsorientierten Bildungs-        rung Bildung für alle möglichen Zwecke vermarktet
einrichtungen oder in denen anderer Konfessionen.        wird, die Größe und die Besonderheit Evangelischer
Das Besondere evangelischer Erwachsenenbildung           Erwachsenenbildung aus.

20       Innovation und Perspektiven
Vernetzung und regionale Angleichung
Erwachsenenbildung erfordert unter den Vorzei-         sermaßen die Funktion öffentlicher Trendsetter für
chen der Postmoderne multiple Perspektiven und         Themen, die in die Stadtgesellschaft hineinwirken
Strategien. Kein Anbieter kann auf alle Trends und     und das Stadtgespräch bereichern können. Von da-
Bedarfe reagieren. Keiner kann alle relevanten As-     her kommt der regelmäßigen Kommunikation und
pekte der Themen und Bedürfnisse abdecken. Ge-         Kooperation zwischen den Bildungseinrichtungen
meinsam mit anderen Einrichtungen der Erwach-          in der Stadt eine besondere und stetig wachsende
senenbildung in der Region findet die Planung          Bedeutung zu. Eine Arbeitsgemeinschaft der Er-
daher sinnvollerweise als ein kommunikativer Ab-       wachsenbildung oder ein runder Tisch der Bildungs-
stimmungs- und Angleichungsprozess statt, der die      einrichtungen sollten in jeder Stadt zum Standard
verschiedenen Personengruppen und Institutionen        professioneller Erwachsenenbildung gehören. In
einbezieht. Wiltrud Gieseke spricht in diesem Zu-      dieser permanenten und gesicherten Kommunika-
sammenhang von regionaler Angleichung: „Die            tion und Kooperation laufen die regionalen Anglei-
Programmplanung wird in diesem Angleichungs-           chungsprozesse ab, die Gieseke im Blick hat: „Salopp
handeln durch Übernahme und Abstimmung, Fin-           formuliert lässt sich also sagen: Die Themen liegen
den gemeinsamer Lösungen, Ideenaustausch, durch        auf der Straße. Sie durchlaufen mehrere Prüf-
gemeinsame Arbeitsbeschlüsse etc. zu einem mit         instanzen, müssen vorher aber gefunden, auf-
anderen Menschen gemeinsam erarbeiteten Vorha-         gehoben und für relevant befunden werden. (...)
ben.“(4)                                               Es ist die Verbindung zwischen Inhalten, institu-
                                                       tionellem Interesse an Bildung/Kompetenz/Quali-
In der Kooperation der vielfältigen Anbieter von       fikation in einer Region, identifizierten Bedarfen
Weiterbildung ergibt sich gewissermaßen eine           und Bedürfnissen und professioneller Kompetenz.
seismografische Gesamtschau auf die regiona-           Kommunikation und die daraus entstehende Ver-
le Bildungslandschaft. So können Trends und            netzung sind dann die Verbindungsfäden, die zu
Schwerpunkte gemeinsam entdeckt, bearbeitet            entsprechenden Bildungsangeboten oder Projekt-
und programmatisch umgesetzt werden. Regionale         vorhaben führen.“ (5).
Bildungseinrichtungen übernehmen dabei gewis-

Programmplanung
Programmplanung hat immer auch mit der Markt-          siert und verwaltet werden, noch kann Bildung als
position des Anbieters und seiner Sicht auf poten-     Dienstleistung nur pädagogisch verstanden werden.
zielle Kunden zu tun. Jedes Programmheft sagt          Bildung ist stets eine strukturelle Koppelung zwei-
auch: „Diese Themen haben wir zu bieten. Dafür         er autonomer und selbstreferenzieller Systeme: Auf
stehen wir. Und diese Inhalte könnten unsere Kun-      der einen Seite steht der Anbieter mit seinem Lehr-
den interessieren.“ Ähnliches gilt auch für die di-    arrangement; auf der anderen der Kunde mit sei-
daktische Gestaltung der Bildungsformate und die       nem Lernarrangement. Anbietersicht und Kunden-
Kultur in einer Bildungseinrichtung: „Diese Form       sicht müssen in Passung gebracht werden, damit es
von Bildung bieten wir unseren Kunden an. Da-          zu einem gelingenden Lehr-Lernprozess kommen
rin unterstützen wir sie in ihrem Bildungsinteresse.   kann. Ein marktorientiertes Bildungsmanagement
Diesen Service können sie bei uns erwarten.“ Es geht   kann diese Suchbewegung professionell fördern
stets um eine kundenorientierte Bildungsarbeit und     und unterstützen. Es steht daher nicht im Gegen-
um eine bildungsförderliche Kundenfreundlichkeit.      satz zur pädagogischen Ausrichtung der Planung,
Weder darf das pädagogische Anliegen nur organi-       sondern unterstützt und ergänzt diese.

                                                                    Innovation und Perspektiven         21
Anmerkungen
(1) Bildung in Deutschland, herausgegeben im         Der Beitrag ist ein überarbeiteter und stark ge-
Auftrag der Ständigen Konferenz der Kultusminis-     kürzter Auszug aus einer Masterarbeit zum Thema:
ter der Länder in der Bundesrepublik Deutschland     „Vom Trend zum Thema - Aspekte eines marktori-
und des Bundesministeriums für Bildung und For-      entierten Bildungsmanagements am Beispiel einer
schung, 2006, S. 123.                                evangelischen Stadtakademie“, die der Autor zum
(2) Bildung in Deutschland, aaO, S. 2.               Abschluss eines Masterstudiengangs Erwachsenen-
(3) Leitbild der Arbeitsgemeinschaft für Evangeli-   bildung im Jahr 2013 an der Evang. Hochschule in
sche Erwachsenenbildung in Bayern (AEEB).            Nürnberg erstellt hat.
(4) Wiltrud Gieseke, Bedarfsorientierte Angebots-
planung in der Erwachsenenbildung, 2008, S. 48.
(5) Gieseke, aaO, S. 49.

22      Innovation und Perspektiven
Udo Hahn

Am Ende kommt es auf die Inhalte an
Die Evangelische Akademie Tutzing als Ort des Diskurses

                                             Innovation und Perspektiven   23
Wissen, Bildung, lebenslanges Lernen. Drei Stich-        Sie wirkt an der Gestaltung einer verantwortlichen,
worte, jedes für sich mit Signalcharakter, die als Sy-   gerechten und partizipativen Gesellschaft mit.
nonym für den viel zitierten „Schlüssel zur Zukunft“
stehen. Zugleich handelt es sich um Containerbe-         Die genannten Stichworte je für sich können auch
griffe, die im jeweiligen Kontext präzisiert werden      andere Bildungsträger zur Beschreibung der eige-
müssen und nur allzu oft alles und auch gar nichts       nen Arbeit heranziehen. In der Summe und in der
aussagen.                                                Kombination kann man schon von einem Alleinstel-
                                                         lungsmerkmal sprechen.
Der Bildungsmarkt in Deutschland wächst. Auch das
kann man für einen Allgemeinplatz halten, denn           Wo steht die Akademie heute? In einem Haus, das
tatsächlich gibt es ein kaum noch zu überblicken-        1947 seine Arbeit aufnahm, darf, ja muss man sich
des Feld von Aus-, Fort- und Weiterbildung, dazu         diese Frage in immer neuen Anläufen stellen. Die
Trainings und Beratung u.a.m. Auch im Kontext von        Zukunft gestalten kann nur, wer die Herkunft kennt
Bildungsangeboten für Erwachsene ist eine Erwei-         und sie zu würdigen weiß. Das gilt auch in Tutzing.
terung des Marktes zu beobachten. Überregiona-           Klar ist aber auch, dass die Verdienste der Vergan-
le Tageszeitungen bieten Vortragsabende an – mit         genheit in der Gegenwart nichts gelten. Aber sie
Kosten für den Nutzer, die keiner der üblichen Bil-      sind mehr als nur Ausstellungsstücke unter Glas.
dungsträger zu fordern wagen würde. Und Maga-
zine laden an exklusive Orte mit exklusiven Redne-       „Wandel durch Annäherung“ – das Motto der Ost-
rinnen und Rednern ein. Immer geht es um Bildung.        politik Willy Brandts, das der damals unbekannte
                                                         Egon Bahr in einer Tagung des Politischen Clubs
Zugleich verändert sich der Bildungsmarkt. Nicht         der Evangelischen Akademie Tutzing 1963 prägte,
alles, was es heute gibt, wird auf Dauer Bestand ha-     ist im Rückblick eine Sternstunde diskursorientier-
ben. Die Ursachen hierfür sind unterschiedlich. Und      ter Bildungsarbeit gewesen. Es ist immer wieder
sie sind nicht immer zuallererst dem Bildungsträ-        erfreulich wahrzunehmen, wie in evangelischen,
ger anzulasten. Dort, wo z.B. Fördermittelgeber ihre     aber auch in katholischen Akademien darauf Be-
Schwerpunkte verändern, kann das die Existenz ge-        zug genommen wird. Es wird als gemeinsames Erbe
fährden. Und in alledem stellt sich die Frage: Was       betrachtet, die Zivil- und Bürgergesellschaft voran
muss am Ort angeboten werden? Was braucht es in          zu bringen.
einer Region? Und wie steht es um die Leuchtturm-
projekte?                                                Es gibt, wenn ich das richtig recherchiert habe, kei-
                                                         ne Tagung anderer Bildungsträger, in der gleichsam
Die Evangelische Akademie Tutzing wird immer             idealtypisch der Diskurs zu einer Klärung führte, in
wieder zu den Leuchttürmen gerechnet. Und das            deren Folge tatsächlich die Geschichte einen ande-
nicht ohne Grund. Sie ist die einzige Einrichtung        ren Verlauf nahm.
der Landeskirche, die den bayernweiten Bildungs-
auftrag hat – so wie ihn vergleichbare Häuser in         Warum hat sich ein solches Ereignis nicht wieder-
anderen Landeskirchen haben.                             holt bzw. wiederholen lassen? Es hängt nach meiner
                                                         Wahrnehmung mit der Ausweitung und Ausdiffe-
Konkret lautet das Konzept wie folgt: Die Evange-        renzierung des Bildungsmarktes zusammen – und
lische Akademie Tutzing führt Menschen aus Poli-         zwar über die Jahrzehnte. Namhafte Unternehmen
tik, Wirtschaft, Kultur, Medien und Kirche zusam-        haben Stiftungen gegründet und entsprechend
men. Sie versteht sich als ein Ort der Bildung und       ausgestattet, um eigene Impulse zu setzen. Die
der Begegnung mit dem christlichen Glauben. Sie          politischen Parteien haben mit ihren Stiftungen
will Meinungsbildung möglich machen und för-             überparteilich anerkannte Dialog-Foren geschaf-
dert durch den Diskurs die Suche nach Lösungen in        fen. Vor allem aber hat sich etwas auf der Seite der
der Zivilgesellschaft. Sie richtet ihre Arbeit inter-    Verantwortungsträger in Politik, Wirtschaft, Kultur,
disziplinär, interkulturell und international aus.       Medien – und auch in den Kirchen – verändert. Als
                                                         Egon Bahr und Willy Brandt und Konrad Adenauer

24       Innovation und Perspektiven
und andere sich 1963 in der Evangelischen Akade-        Auf dem Bildungssektor scheint es, liegt bei Dis-
mie Tutzing aufhielten, blieben sie mehrere Tage –      kursangeboten die Messlatte am höchsten. Einen
und diskutierten in immer neuen Anläufen unter-         Zwang zur Fortbildung kennen die Gäste der Tut-
einander und mit den Tagungsteilnehmern. Heute          zinger Tagungen nicht. Sie reagieren auf interes-
ist das unvorstellbar! Die Entscheider haben nicht      sante Themen, bei denen das Team der Studien-
mehr wie in jener Zeit vielleicht ein, zwei Termine     leiterinnen und Studienleiter zeigen muss, dass es
am Wochenende, sondern zehn bis zwanzig.                entsprechend vernetzt ist und die Hand am Puls
                                                        des gesellschaftlichen Geschehens hat. Am Ende
Hinzu kommt: Wir haben heute mehr Orte und Fo-          kommt es auf die Inhalte an. Wobei Schloss und
ren. Und wer seine Ideen in Tutzing präsentiert, der    Park auch ihren Teil dazu beitragen, dass die Gäste
vermittelt sie auch bei jeder anderen Gelegenheit.      Bildungsprozessen hier vielleicht aufgeschlossener
Deshalb sind Impulse in dieser Eindeutigkeit – wie      gegenüber stehen.
es bei „Wandel durch Annäherung“ der Fall war –
heute nicht mehr eindeutig an einen Ort zu binden.
Bundespräsident Joachim Gauck hat beim Jahres-
empfang in Tutzing eine große Rede auf die Freiheit
gehalten. Über dieses Thema hatte er auch schon
andernorts gesprochen. Aber erst diese Rede wurde
von einem Verlag publiziert – mit Hinweis auf die
Evangelische Akademie Tutzing – und nahm über
mehrere Monate den Spitzenplatz auf der Sach-
buch-Bestsellerliste des „Spiegel“ ein.

Ob auf den vielen Marktplätzen heute wirklich dis-
kutiert wird, oder doch nur Statement auf State-
ment und Vortrag auf Vortrag folgt – und für die
Diskussion meist keine Zeit bleibt, diese Frage darf
und muss man stellen. Da ist viel verloren gegan-
gen. Und ob im Zeitalter der Digitalisierung mit sei-
nen großartigen Möglichkeiten, die vielen zu betei-
ligen, die sich sonst gar nicht einbringen könnten,
alles besser geworden ist, das darf und muss man
kritisch hinterfragen.

Was bedeutet das für die Gegenwart – und für die
Zukunft? Das Mandat, sich als Ort des Diskurses ein
ums andere Mal zu behaupten, gilt auch heute und
ist in einem Akademiegesetz für unser Haus fest-
gelegt. Zugleich muss das Angebot auf dem Markt
Abnehmer finden. Nach wie vor ist die Evangelische
Akademie Tutzing eines der Ziele, das Entscheider
aus Politik und Gesellschaft ansteuern. Wer hier
spricht, trifft auf ein qualifiziertes Publikum und
weiß um die Reichweite sowie um die Möglichkei-
ten der medialen Kommunikation seiner Botschaft
von Tutzing aus.

                                                                     Innovation und Perspektiven        25
Christoph Seyler

Lebensqualität in ländlichen Räumen stärken
Der Beitrag der Evangelischen Erwachsenenbildung

26   Innovation und Perspektiven
Begleitendes Handeln in der Kirche hat Lebensräu-      Erwachsenenbildung. Nachfolgende Ausführungen
me von Menschen im Blick. „Innenstadt“, „Ballungs-     nehmen die Kombination „Ländliche Räume und
gebiete“, „Diaspora“ und die „Ländlichen Räume“        Erwachsenbildung“ in den Blick; andere Kombina-
haben ihr spezifisches Gepräge. Das eröffnet un-       tionen sollten an anderer Stelle ebenso bedacht
terschiedliche Fragestellungen zu den kirchlichen      werden.
Anliegen, etwa zur Spiritualität oder Diakonie oder

Dörfliche Lebensqualität
In ländlichen Strukturen stellen sich die Fragen der   Maßgebend für eine dörfliche Lebensqualität ist die
Lebensqualität, die diese Räume ermöglichen, wie-      Beibehaltung oder der Aufbau einer entsprechen-
der neu. Waren die Dörfer früher stark landwirt-       den Infrastruktur. Die Themenfelder Kindergarten
schaftlich geprägt, müssen „Dorfidentitäten“ nun       und Schulen, Arztpraxis und Krankenhausnähe,
neu und für das eigene Dorf passend entwickelt         Breitbandanbindung und öffentliche Nahverkehrs-
werden. Die gemeinsamen Themen, die bislang von        möglichkeiten deuten neben den Einkaufsmöglich-
der Landwirtschaft vorgegeben waren, gibt es so        keiten diese Herausforderungen an.
kaum noch. Wenn es hagelt, dann ist das schon lang
nicht mehr Dorfthema Nr. 1! Dörfer entwickeln sich     Die Zahl der landwirtschaftlichen Anwesen nimmt
dort gut, wo gemeinsame Themen – etwa ein Grün-        zwar weiterhin ab, aber die Flächen und damit die
dungsjubiläum – gefunden werden, und vor allem         Themen bleiben. Derzeit erleben wir in der Land-
dort, wo ein lebendiges Vereinswesen diese Themen      wirtschaft eine gewaltige Umbruchsituation, in der
gestaltet.                                             die Landwirte bzw. Landwirtsfamilien sich orientie-
                                                       ren müssen. Globalisierung und wirtschaftliche Be-
Sichtbar ist das auch am Dorfbild. Landwirtschaft-     triebsgröße, Tier-, Futter- und Bodenethik, Nach-
liche Anwesen siedeln sich zunehmend mit großem        haltigkeit und Ökologie sind da ebenso die Themen
Gebäudebestand am Dorfrand an, im Einzelfall prä-      wie die Positionierung in den Fragen der Energieer-
gen in Dorfzentren schon Leerstände ein entspre-       zeugung.
chendes Bild. Häufig gruppieren sich Siedlungen
verschiedener Baugenerationen um den Dorfkern,         Die neuen Themen der Landwirtschaft produzieren
Ausbildung und Beruf jedoch finden woanders            im ländlichen Gefüge sozusagen neue Gewinner
statt. Mancherorts nimmt die Bevölkerungszahl          und Verlierer, und das gilt ebenso für die Dörfer in
spürbar ab. In einigen Gebieten sind die Strukturen    einer Region, die sich unterschiedlich entwickeln.
stark vom Tourismus bestimmt.

Neue Herausforderungen
Für die Evangelische Erwachsenbildung bringen          tende der Evangelischen Erwachsenbildung mit-
diese Entwicklungen nun auch neue Herausforde-         bringen, genannt:
rungen. Wie oben angedeutet, sind das Anfragen
an kirchliche Strukturen, an den Seelsorgeauftrag,     • Die Strukturen der Kirchengemeinden bleiben
an die Diakonie vor Ort und an die Gestaltung von      in der Veränderung, die Bereitschaft, sich ehren-
spirituellen Angeboten. Und auch an die Erwach-        amtlich zu engagieren, ist dabei groß. In der Aus-
senbildung.                                            bildung und Befähigung zum ehrenamtlichen
                                                       Dienst – etwa im Leiten einer Seniorengruppe –
Als Beispiele für Chancen des begleitenden kirch-      hat die Evangelische Erwachsenbildung eine große
lichen Handelns in Form der Erwachsenbildung sei       Aufgabe. Durch Fortbildungen und Trainings zur
die Profilierung des Ehrenamtes und das Angebot        Gruppenleitung – in der Spannweite von inhaltli-
einer kompetenten Moderation, wie sie Mitarbei-        chen Themen über Vorbereitungen, Durchführun-

                                                                    Innovation und Perspektiven         27
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