FEHLERMANAGEMENT ALS CHANCE: FEHLERKULTUR - FEHLANZEIGE? - Center fir Altersfroen

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FEHLERMANAGEMENT ALS CHANCE: FEHLERKULTUR - FEHLANZEIGE? - Center fir Altersfroen
Januar 2018                           Einzelpreis 4,50 Euro – Abonnement/3 Ausgaben 12 Euro

  #83            Das Luxemburger Fachblatt für Altersfragen

                     FEHLERMANAGEMENT ALS CHANCE:
                        FEHLERKULTUR – FEHLANZEIGE?

    ala
   T E G RIERT
IN        EN
  BLEIB
    TROTNZZ!
   DE M E

                    SCHWERPUNKT Neue Technologien in der Pflege
                      SEMINARKALENDER Fort- und Weiterbildung
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                                             Was ist schon normal?
                                             Mit der Sonderausgabe A | NORMAL
                                             macht das Magazin angewandte Forschung
                                             Mut zum Anderssein und -denken.

                                             Anlässlich des Kongresses A | NORMAL gibt die
                                             Cellule de Recherche des RBS – Center fir Altersfroen
                                             in Zusammenarbeit mit der Ligue Luxembourgeoise
                                             d’Hygiène Mentale ein Sonderheft des Magazins
                                             angewandte Forschung heraus.

                                             Gesundheit ist im Verständnis vieler Menschen etwas
                                             Naturgegebenes, Normales. Doch was heißt eigentlich,
                                             gesund oder normal zu sein? Sind Gesundheit und
                                             Normalität stabile Größen?

                                             Oder sind sie nicht vielmehr fehleranfällige und
                                             wandelbare Konstrukte? Wer entscheidet darüber,
                                             ob jemand geistig krank oder gesund ist? Und was
                                             bedeutet letztendlich normal?

   Wann macht Stress am Arbeitsplatz krank?
   Ist Psychotherapie im Alter noch sinnvoll?
   Wieviel Angst ist eigentlich normal?

Diese und weitere spannende Fragen, die zum Mitdenken und Umdenken anregen, bilden Gegen-
stand der deutsch-französischsprachigen Sonderausgabe. Die Inhalte sind eng angegliedert an
die Symposien, interaktiven Workshops und Ateliers, die den Kongress im Oktober 2016 zu einem
regelrechten Erlebnis machten.

         €
    4,50ORTO        Das Magazin kann bestellt werden unter:
             .P
     IN KL
                    recherche@rbs.lu oder 36 04 78-34

Weitere Informationen zu Projekten, Veranstaltungen und Publikationen der
CELLULE DE RECHERCHE finden Sie auf:

www.cellulederecherche.lu
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EDITORIAL

                                      ALLTAG HEISST LEBEN
                    Es ist schon erstaunlich. Ständig wollen wir dem Alltag ent-     men bekommt, weil man anscheinend nicht mehr in der Lage
                    fliehen, ärgern uns über die vielen kleinen Haushaltspflich-     ist, seinen alltäglichen Männerpflichten nachzukommen?
                    ten und sehnen uns nach Entspannung. Doch im Alter wird
                    Menschen oft erst bewusst, welch wichtige Bedeutung die          Als ich diesen Mann kennenlernte, entschied ich mich, so mit
                    Alltagsaktivitäten eigentlich haben. Und wie schön es ist,       ihm zu trainieren, dass er sich wieder selbst rasieren konnte.
                    wenn man diese noch selbst meistern kann.                        Nass. Sie können sagen: Was für ein Aufwand! Vier Wochen
                                                                                     trainierte ich mit ihm, je eine halbe Stunde pro Tag. Aber
                    Für die professionelle Altenpflege ist das nicht überraschend.   jeden Tag konnte er sich besser rasieren. Er begann immer
                    Bereits 1984 veröffentlichte die bekannte deutsche Geron-        mehr zu erzählen, obwohl man mir gesagt hatte, er würde
                    tologin und frühere Familienministerin Prof. Dr. Dr. h.c.        nicht viel reden. Während des Trainings erwähnte er auch,
                    (mult.) Ursula Lehr einen Artikel mit dem Titel: „Fördern        wie das war, als man ihm seinen Rasierer weggenommen hat-
                    und Fordern – Möglichkeiten und Grenzen von Aktivierungs-        te. Ja, er habe sich mal geschnitten, aber er sei doch nicht aus
                    maßnahmen in Altenheimen“. Damals wurde erstmalig in der         Zucker.
                    professionellen Altenhilfe thematisiert, dass hochbetagte Be-
                    wohner durchaus in der Lage sind, kleine Herausforderungen
                                                                                     Es war wirklich ein Genuss zu sehen, wie er immer mehr
                    zu bewältigen und nicht nur ihre Ruhe haben wollen.
                                                                                          aufblühte und stolz nach der Rasur über sein glattes
                                                                                               Kinn strich. War er zuvor noch ein nerviger, alter
                    Doch geht es dabei vor allem darum, ältere
                                                                                                   Heimbewohner, so sah ich jetzt einen zufrie-
                    Menschen zu organisierten Aktivitäten zu
                                                                                                      denen Mann, der sich selbst als kompe-
                    bewegen? Oder ist es nicht ebenso wich-
                                                                                                        tent erlebte, der sagen konnte: Das kann
                    tig, Pflegebedürftige dabei zu unter-
                                                                                                         ich noch! Dabei spielte es keine Rolle,
                    stützen, dass sie ihren Alltag wenigs-
                    tens ansatzweise noch selbst gestalten                                                ob er sich immer perfekt rasierte. In
                    können? Hierbei fällt mir unweiger-                                                    vielen Studien konnte belegt werden,
                    lich ein 93jähriger Mann ein, der im                                                   wie wichtig das Erleben von Selbst-
                    Altenheim regelmäßig zu den Pfle-                                                      wirksamkeit und Alltagskompetenz
                    gekräften lief und rief: „Mein Bart ist                                               im Alter ist. Das ist auch bei älteren
                    noch nicht gemacht!“ Die Mitarbeiter                                                 Pflegebedürftigen nicht anders. Diese
                    fanden das sehr lästig, schließlich kam                                            dabei zu unterstützen, dass sie einzelne
                    der Mann andauernd.                                                               Alltagsaktivitäten noch selbst hinbekom-
                                                                                                   men, steigert das Selbstbewusstsein und die
                    Nach einigen Gesprächen stellte sich heraus, dass                          Motivation, am Leben aktiv teilzunehmen.
                    man dem Mann seinen Nassrasierer abgenommen hatte,
                    da er sich einige Male damit geschnitten hatte. Daher wurde      Doch das kostet eben auch Zeit. Vielleicht erscheint es deut-
                    er elektrisch rasiert, um eine eventuelle Wunde zu verhin-       lich effizienter, zehn Menschen zu einer organisierten Akti-
                    dern. Worüber die Mitarbeiter allerdings nicht nachgedacht       vität zu „transportieren“ und ihnen ein wenig Unterhaltung
                    hatten, war die persönliche Wahrnehmung des Mannes. 75           anzubieten. Aber wenn das Ziel einer modernen Altenpflege
                    Jahre hatte er sich nass rasiert, selbstverständlich kann man    mehr als Warm-Satt-Sauber 2.0 sein soll, darf man den Stel-
                    das Erleben einer Nassrasur nicht mit einem Elektrorasierer      lenwert der Förderung von Alltagsaktivitäten älterer und
                    erreichen. Wenn er mit seiner Hand über das Kinn strich,         auch demenzbetroffener Menschen nicht unterschätzen. Die-
                    hatte er einfach nicht das Gefühl wie all die Jahre zuvor.       se Kompetenz entscheidet mit darüber, ob sie sich weiterhin
                                                                                     als nützlich und wertvoll empfinden. Sie dabei zu unterstüt-
                    Aber was noch viel gravierender ist: Sich selbst rasieren zu     zen, ist eine ganz besondere Liga professioneller Pflege. Alles
                    können, ist für einen Mann eine wirklich wichtige Sache.         andere nennt man Versorgung.
FOTO © WILLY SUYS

                    Wenn man keinen Flaum mehr hinter den Ohren hat, weil
                    man sich selbst rasieren kann, dann ist ein Mann ein Mann.                                                              Simon Groß
                    Doch was ist, wenn man plötzlich seinen Rasierer weggenom-                                    Direktor, RBS – Center fir Altersfroen

                                                                                                            RBS-BULLETIN | #83 | Januar 2018         3
FEHLERMANAGEMENT ALS CHANCE: FEHLERKULTUR - FEHLANZEIGE? - Center fir Altersfroen
INHALTSVERZEICHNIS

                                              FOTO © RBS – CELLULE DE RECHERCHE

                                                                                                      FOTO © VIBEKE WALTER
06          SCHWERPUNKT
                                                                                  44
06
            NEUE TECHNOLOGIEN IN DER PFLEGE
            Schöne neue Welt?

            GERONTOLOGISCHE FORSCHUNG
09          Comment sont-ils perçus par les personnes âgées?

            ROBOTS SOCIAUX D’ASSISTANCE
11          Soziale Assistenzroboter auf dem Prüfstand

            NOTIZEN AUS DER WISSENSCHAFT
14          Körperliche Aktivität & Demenz

            GERONTOLOGIE & GERIATRIE
            DIFFERENZIERTE DEMENZBETREUUNG BEI HPPA
16          Was tun mit „freien Radikalen“?

            SOZIALES MANAGEMENT
            FEHLERMANAGEMENT ALS CHANCE
19          Fehlerkultur – Fehlanzeige?

4    RBS-BULLETIN | #83 | Januar 2018                                                 Inhaltsverzeichnis
FEHLERMANAGEMENT ALS CHANCE: FEHLERKULTUR - FEHLANZEIGE? - Center fir Altersfroen
FORT- UND WEITERBILDUNG
              FEEDBACK
23            Wirksam Führen mit Empathie

26            SEMINARKALENDER
                                                                

36            ABONNEMENT 
              Teilnahmebedingungen für Seminare / Conditions de participation aux séminaires

37            Anmeldeformular / Formulaire d’inscription

39            FÜR SIE NOTIERT

              GERONTOLOGIE & GERIATRIE

44
              30 JAHRE ASSOCIATION LUXEMBOURG ALZHEIMER
              Integriert bleiben – trotz Demenz!

47            MAGAZIN

IMPRESSUM                                        Erscheinungsweise und Abonnement             Titelbild
                                                 Das RBS-BULLETIN erscheint dreimal im        © www.shutterstock.com
                                                 Jahr, jeweils im Januar, Mai und September
RBS-BULLETIN                                     zum Einzelpreis von 4,50 Euro. Das Jahres­   Grafische Umsetzung
                                                 abonnement kostet 12 Euro inkl. Porto.       proFABRIK SARL – www.pro-fabrik.com
Das Luxemburger Fachblatt für Altersfragen
                                                 Auflage: 1.500 Exemplare                     6, Rue Kummert – L-6743 Grevenmacher

Herausgeber
                                                 Abo-Service                                  Layout & Kreation
                                                 Telefon 36 04 78-33                          Danyel Michels
                                                 Fax 36 02 64
                                                                                              Druck
                                                 E-Mail fortbildung@rbs.lu
                                                                                              Imprimerie Centrale
                                                 www.rbs.lu
                                                                                              15, rue du Commerce – L-1351 Luxembourg
RBS – Center fir Altersfroen asbl
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20, rue de Contern – L-5955 Itzig                20, rue de Contern – L-5955 Itzig
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SCHWERPUNKT

NEUE TECHNOLOGIEN IN DER PFLEGE

SCHÖNE NEUE WELT?
Text Simon Groß

Eine herausragende Fähigkeit des Menschen liegt darin, technische Hilfsmittel zu entwickeln, um in
einer unwirtlichen Umgebung und unter schwierigen Bedingungen überleben zu können. Neue Techno­
logien können den menschlichen Zeit- und Arbeitsaufwand für vieles verringern, auch in der Pflege. Das
spart Kosten und kann so die Versorgung von Pflegebedürftigen sichern. Aber ist das wirklich nötig und
sinnvoll? Wieviele und welche Technologien braucht die Pflege heute, morgen und übermorgen?

                                                                                   Gesellschaft zu erschaffen versucht.
                                                                                   Wer sich allerdings nicht in diese in-
                                                                                   tegrieren lässt, der lebt als „Wilder“ in
                                                                                   Reservaten, darf sogar alt aussehen,
                                                                                   wird aber allgemein verachtet und ge-
                                                                                   mieden.

                                                                                      Was als Zukunftsroman vor vielen
                                                                                   Jahren geschrieben wurde, scheint
                                                                                   zunehmend Wirklichkeit zu werden.
                                                                                   Interessanterweise gerade im Bereich
                                                                                   der Pflege von alten Menschen, ein
                                                                                   Phänomen, das es in der Vision von
                                                                                   Aldous Huxely eigentlich gar nicht
                                                                                   gibt. Glücklicherweise wird heute
                                                                                   die Kontrolle und Beeinflussung von
                                                                                   hochbetagten Pflegebedürftigen nicht
Moderne Zeiten – auch in der Pflege?                                               von einer zentralen Weltregierung
                                                                                   gesteuert. Stattdessen gibt es eine
                                                                                   staatlich subventionierte Hilfsform,
   Haben Sie auch in Ihrer Schulzeit      auf ihre Rolle vorbereitet: Man soll     die jedoch zunehmend von Effizienz-
den berühmten Roman von Aldous            konsumieren, feste Beziehungen sind      steigerung, Kostensenkung und auch
Huxely gelesen? Vor 85 Jahren er-         unerwünscht, Krankheiten und alters-     Gewinnmaximierung bestimmt wird.
schienen, beschrieb er eine Gesell-       bedingte Veränderungen gibt es nicht     Betreiber von Einrichtungen der am-
schaft der Zukunft im Jahr 2540. In       mehr. Allerdings wird für die Bevölke-   bulanten und stationären Altenhil-
dieser „schönen neuen Welt“ ist es        rung der Todeszeitpunkt zwischen 60      fe sowie deren Finanzierungsträger
                                                                                                                               FOTO © ALAMY

gelungen, dass fast alles perfekt funk-   und 70 programmiert. Eine Welt, die      stellen immer häufiger fest, dass ge-
tioniert. Menschen werden in einer        jeden einzelnen Schritt kontrolliert,    rade die Versorgung und Betreuung
Art Massenproduktion künstlich ge-        Leid von vornherein zu eliminieren       von Mensch zu Mensch sehr kosten-
züchtet und durch Konditionierung         und auf diese Weise eine „glückliche“    intensiv ist. Da ist es nachvollziebar,

6   RBS-BULLETIN | #83 | Januar 2018                                                               SCHWERPUNKT
FEHLERMANAGEMENT ALS CHANCE: FEHLERKULTUR - FEHLANZEIGE? - Center fir Altersfroen
dass man nach Lösungen sucht, den          urteilen, was da eigentlich passiert.    zu Familienangehörigen, Freunden
teuren „Faktor Mensch“ einzusparen         Noch komplexer werden solche ethi-       und Nachbarn aufrecht erhalten. Die
und durch den Einsatz von modernen         schen Überlegungen, wenn man über        negativen Auswirkungen, die der Er-
Technologien zu ersetzen.                  den – vielleicht sogar heimlichen        satz von Direktkontakt durch Fern-
                                           Einsatz – von „intelligenten“ Klobril-   kommunikation auf das psychische
    Wer jetzt entsprechend moder-          len nachdenkt, die automatisch eine      Wohlbefinden von (älteren) Men-
ner Zukunftsvisionen allerdings vor        Reihe von körperbezogenen Daten          schen langfristig haben kann, werden
allem an knirschende Roboter denkt,        erfassen können. Das Ausmaß der          allerdings häufig geleugnet oder baga-
die Wunden versorgen und Pflegebe-         Möglichkeiten, biologische Daten         tellisiert.
dürftige füttern, übersieht die unbe-      von Pflegebedürftigen zu erfassen,
grenzten Möglichkeiten vieler bereits      ist gerade älteren Menschen über-
seit Jahrzehnten bestehenden Tech-         haupt nicht bewusst. Im Hinblick auf
nologien. Diese automatisieren den         den Einsatz neuer Technologien in                        Kompensation
Umgang mit und zwischen Menschen           der Pflege darf daher das Grundrecht
schon lange, ohne dass dies überhaupt      auf Privatsphäre nicht vernachlässigt       Schon immer haben Menschen ver-
als eine Entmenschlichung angesehen        werden.                                  sucht, körperliche Beeinträchtigungen
wird. Daher lohnt es sich, die verschie-                                            durch Hilfsmittel zu kompensieren.
denen Möglichkeiten durch den Ein-                                                  Doch längst ist ein Hörgerät kein
satz neuer Technologien einmal ganz                                                 Hörrohr mehr und eine Beinprothese
wertneutral zu betrachten. Denn diese                                               nicht mehr aus Holz. Heute kann man
können im positiven Sinn eine selbst-                     Kommunikation             dank moderner Technologien viele
ständige Lebensführung sowie den                                                    Defizite teilweise vollständig behe-
Kontakt zu nahestehenden Personen              Wer im Alter selbstständig zu Hau-   ben. Neben Brillen, Hörgeräten und
ermöglichen.                               se oder in einer Seniorenwohnung         Prothesen gehören dazu gerade bei äl-
                                           lebt, braucht manchmal sehr schnell      teren Menschen auch Rollatoren und
                                           Hilfe. Ein Sturz oder ein Infarkt kann   Rollstühle. Diese können mit Naviga-
                                           lebensbedrohlich werden, wenn der        tionssystemen ausgestattet werden
                  Überwachung              Betroffene zu spät behandelt wird.       und ein Design haben, dass eher an
                                           Daher gibt es schon seit vielen Jahren   klassische Fortbewegungsmittel als an
    Jedes Smartphone bietet heute die      den sogenannten Téléalarm, durch den     Krücken erinnert.
Möglichkeit, verschiedenste Werte zu       sich per Knopfdruck ein direkter Kon-
erfassen und dank GPS – Funktion           takt zu Nothilfediensten herstellen          Vielleicht erklärt das auch den au-
auch die Wege aufzuzeichnen, die der       lässt. Inzwischen ist es auch möglich,   ßergewöhnlichen Erfolg von E-Bikes,
Inhaber des Geräts zurücklegt. Spe-        Handys, Smartphones oder Tablets so      die älteren Menschen eine erleichterte
zielle Uhren zeichnen auf, wie lange       einzurichten, dass sie per Zuruf oder    Mobilität ermöglichen. Ebenso lassen
man geschlafen und wieviele Schritte       per Druck auf irgendeine Taste eben-     sich eingeschränkte Kraft in Armen
man zurückgelegt hat.                      falls direkt einen Notruf verschicken.   und Beinen durch Muskelkraftver-
                                                                                    stärker kompensieren. Insgesamt
   Kein Wunder, dass dies gerade im           Seit einigen Jahren gibt es au-       existiert eine Fülle von technischen
Umgang mit dementiell erkrankten           ßerdem sprachgesteuerte Geräte wie       Unterstützungen, die von speziell aus-
und lauffreudigen älteren Menschen         Alexa von Amazon, die auf Zuruf eine     gestatteten Autos bis zu bedienungs-
interessante Anwendungen bietet.           Anrufverbindung herstellen, Haus-        freundlicheren Smartphones reichen,
Die Überwachung der Wege von Be-           haltsgeräte steuern und sogar Fragen     aber natürlich auch immer eine Fra-
troffenen reduziert potentielle Risi-      beantworten. Solche Entwicklungen        ge des Geldes sind. Dank der ständig
ken, sodass diese sich deutlich freier     können deutlich mehr, als nur einen      wachsenden Möglichkeiten, digitale
bewegen können. Bleibt allerdings die      Notruf zu versenden. Mit ihrer Un-       Anwendungen mit mechanischen Lö-
Frage, ob Menschen mit Demenz eine         terstützung kann man auch mit kör-       sungen zu verbinden, werden in den
solche Kontrolle eigentlich wollen. In     perlichen Beeinträchtigungen noch        nächsten Jahren noch viele weitere
der Regel können sie ja gar nicht be-      selbstständig leben und den Kontakt      Entwicklungen entstehen.             »

                                                                                     RBS-BULLETIN | #83 | Januar 2018    7
FEHLERMANAGEMENT ALS CHANCE: FEHLERKULTUR - FEHLANZEIGE? - Center fir Altersfroen
SCHWERPUNKT

                                                              Lauftraining beim
                                                                Reality Walk im
                                                              CIPA Junglinster

                                                                   Animation
                                                Durch die Kombination von Dar-
                                            stellungen auf Bildschirmen und kon-
                                            kreten Aktivitäten werden heute ganz
                                            neue Formen der Unterhaltung und                             Pflegeroboter
                                            des Trainings für ältere Menschen an-
                 Unterstützung              geboten. Was vor zehn Jahren noch              Den autonomen Pflegeroboter, der
                                            die Spielkonsole Wii war, die in Alten-    komplexe Handlungen vornehmen
                      im Alltag             heimen für Kegelturniere und indivi-       kann, gibt es noch nicht. Das Problem
    Barrierefrei eingerichtete Wohnun-      duelle Förderprogramme eingesetzt          liegt darin, dass er keine Ausnahmen
gen sind nicht nur eine Erleichterung       wurde, sind inzwischen aufwendige          zulassen kann. Hätte jeder Mensch
für ältere Menschen, sie unterstützen       Vorrichtungen, in denen etwa Lauf-         die gleichen Empfindungen, wäre auch
auch den Einsatz von Haushaltsro-           bänder mit der Darstellung von rea-        eine Wundversorgung technisch durch-
botern. Bereits heute haben sich au-        len Wegen kombiniert werden. Hier          aus möglich. Doch weil gerade das
tonom arbeitende Staubsauger oder           geht es vor allem darum, die Motiva-       Schmerzempfinden ständig individuel-
Reinigungsmaschinen im Alltag ver-          tion und Freude an der Bewegung zu         le Anpassungen benötigt, werden sol-
breitet. Zukünftig werden diese durch       erhöhen. Aus diesem Grund wurden           che Anwendungen aber noch lange um-
Serviceroboter ergänzt, die in der Lage     auch Roboter entwickelt, die durch         stritten sein. Wenn aus Kostengründen
sind, Getränke anzureichen, notwen-         ihr Verhalten zum Mitmachen moti-          die „menschliche“ Behandlung nicht
dige Gegenstände zu holen oder Men-         vieren sollen. Speziell für Menschen       mehr als wichtig erachtet wird, sind zu-
schen in ihr Bett zu heben. Man kann        mit einer fortgeschrittenen Demenz         künftig Pflegeroboter durchaus denk-
solche Maschinen auch mit „sozialen         wurden lernende Roboter entwickelt,        bar. Das müssen nicht menschenähn-
Verhaltensweisen“ bzw. einem freund-        die als Ersatzobjekt dienen und „ver-      liche Maschinen sein, wie man sie aus
lichen „Gesicht“ ausstatten, um den         sorgt“ werden können. So kann etwa         Science Fiction-Filmen kennt. Man
anfänglich ungewohnten Gebrauch zu          der Robbenroboter Paro dazu beitra-        könnte Pflegehandlungen auch in ein-
erleichtern. Wer sein Haus entspre-         gen, dass sich Pflegebedürftige um ihn     zelne Schritte zerlegen und den Pfle-
chend ausstattet, kann sehr vieles au-      „kümmern“ und eine Art Beziehung           gebedürftigen mit Hilfe von Fließbän-
tomatisieren, ohne dass ein Roboter         entwickeln. Da ein Roboter keinen Fei-     dern „bearbeiten“ lassen. Aktuell sind
im engeren Sinn überhaupt sichtbar          erabend hat, wird er zu einer verläss-     das wohl eher Szenarien, die in Europa
wird. Türen, Schränke, Küchengeräte,        lichen „Bezugsperson“, wodurch sich        – anders als in Japan – noch nicht ver-
etc.; es gibt heute fast kein Gerät, des-   herausforderndes Verhalten spürbar         mittelbar sind. Weniger problematisch
sen Benutzung man nicht erleichtern         reduzieren lässt.                          erscheinen Imitationsroboter, die das
könnte. Bildschirme können in der                                                      Verhalten einer Pflegeperson nachah-
Wohnungseinrichtung leicht erreich-             Diese Wirkung macht es nicht ein-      men und Behandlungen ohne Direkt-
und bedienbar installiert werden und        fach zu beurteilen, ob eine solche fake-   kontakt ermöglichen. Entsprechen-
können dabei helfen zu kochen, eine         Beziehung ethisch vertretbar ist. Oder     de Entwicklungen gibt es bereits: Sie
Gebrauchsanweisung zu verstehen             ist es vielleicht doch denkbar, dass       könnten z.B. eine ungefährliche Ver-
oder eine virtuelle Besichtigung eines      man auch zu einem unbelebten Ob-           sorgung von Menschen ermöglichen,
                                                                                                                                  FOTO © VIBEKE WALTER

Kaufhauses vorzunehmen. Wirklich            jekt eine „echte“ Beziehung eingehen       die eine hochansteckende Krankheit
unbegrenzte Möglichkeiten. Bleibt nur       kann? Noch schwieriger wird es, wenn       haben. Das mag nicht schön klingen,
die Frage, ob da noch für den einzel-       über virtuell/augmented Reality-Tech-      kann aber sinnvoll sein. Allerdings be-
nen Mensch genügend Aufgaben blei-          nologien eine Welt simuliert wird, die     steht die Gefahr, dass sie auch einge-
ben, um Leben und Alltag sinnvoll zu        es gar nicht gibt, aber vielleicht ange-   setzt werden, um einen unangenehmen
gestalten.                                  nehme Gefühle auslösen kann.               Umgang generell zu vermeiden.         «

8   RBS-BULLETIN | #83 | Januar 2018                                                                   SCHWERPUNKT
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ROBOTS SOCIAUX D’ASSISTANCE

COMMENT SONT-ILS PERÇUS
PAR LES PERSONNES ÂGÉES?
Texte Dr Isabelle Tournier (Université du Luxembourg)

L’Université du Luxembourg mène actuellement l’étude pilote ASRIF (Assistive Social Robot Impact
on seniors’ Functionning) qui porte sur l’intérêt des personnes de 65 ans et plus pour les robots sociaux
d’assistance. Elle est soutenue par le laboratoire AI Robolab et cherche à mieux comprendre comment les
robots sociaux d’assistance pourraient aider les personnes âgées dans leur vie de tous les jours.

    L’étude pilote ASRIF prend place        grand risque d’isolement social, moins     Les robots sociaux d’assistance
dans le cadre du projet FEELSAFE            d’aide pour la réalisation des activités   pour préserver le bien-être
(financé par l’Université du Luxem-         quotidiennes et un plus grand senti-
bourg) mené par le Dr Mathilde La-          ment d’insécurité (ex: chute, vol).            La solitude, le sentiment d’insécu-
motte et dirigé par le Dr Isabelle Tour-                                               rité et la difficulté à réaliser correcte-
nier. Elle est faite en collaboration          Ces risques sont alimentés par des      ment les activités du quotidien ont un
avec le Dr Martine Hoffmann (RBS            changements physiques liés à l’âge         impact très négatif sur le bien-être et
– Center fir Altersfroen) et la société     (ex: baisse de la vision et de l’audi-     augmentent fortement le risque que
LuxAI. Son but principal est d’exami-       tion, moins d’endurance physique),         la personne âgée doive quitter son
ner le rôle des nouvelles technologies      ainsi que parfois par des changements      domicile pour aller vivre dans un éta-
comme une aide au quotidien pour les        cognitifs (ex: mémoire, langage), qui      blissement spécialisé.
personnes âgées.                            entravent la mobilité et les activités
                                            en dehors du domicile. Les amis, ainsi        Or, les robots sociaux d’assistance
    Le vieillissement s’accompagne de       que les éventuels frères et sœurs, su-     pourraient être utiles à de nom-
changements qui peuvent restreindre         bissent souvent les mêmes difficultés,     breuses personnes, notamment les
la qualité de vie, surtout au-delà de 80    ce qui rend les rencontres moins fré-      personnes âgées vivant seules, afin
ans. Le risque de vivre seul devient plus   quentes. Les enfants sont souvent peu      de réduire non seulement le senti-
important avec l’âge, notamment pour        disponibles, notamment parce qu’ils        ment d’isolement, mais également les
les femmes. Par exemple, chez les 80-       travaillent et doivent également s’oc-     difficultés lors de certaines activités
84 ans, la moitié des femmes (51.2%)        cuper de leurs propres enfants. Rares      quotidiennes (se rappeler un rendez-
vivent seules contre seulement 20%          sont en outre les contacts avec les voi-   vous, lancer un appel vidéo avec un
des hommes (STATEC, 2013). Une              sins, étant souvent limités notamment      proche, lire un document écrit trop
conséquence directe de cela est un plus     dans les régions urbaines.                 petit, stimuler la mémoire, etc.). »

                                                                                        RBS-BULLETIN | #83 | Januar 2018      9
FEHLERMANAGEMENT ALS CHANCE: FEHLERKULTUR - FEHLANZEIGE? - Center fir Altersfroen
SCHWERPUNKT                                                                           FAMILEO
                                                                                      Une application pour renforcer
                                                                                      les liens relationnels

                                                                                      Depuis le mois d’octobre 2017 le Centre
                                                                                      Intégré pour Personnes Agées Grén-
                                                                                      gewald connecte les résidents et leurs
L’étude pilote ASRIF
                                                                                      familles, grâce à Famileo, à un réseau
                                                                                      social familial et privé pour favoriser le
    Cependant, les nouvelles tech-         et souhaits des utilisateurs, comme
                                                                                      contact intergénérationnel.
nologies d’assistance quotidienne,         par exemple réduire leur sentiment
dont font partie les robots sociaux        de solitude, motiver à maintenir une       A la veille des vacances d’été, le CIPA
d’assistance, sont généralement peu        activité physique suffisante ou bien       Gréngewald s’est engagé dans ce projet
utilisées ou vite abandonnées par          encore entraîner les fonctions cogni-      innovant en déployant pour son établis-
                                                                                      sement cette application sécurisée et
les personnes de 65 ans et plus. Ceci      tives (ex. la mémoire, le langage).
                                                                                      adaptée aux personnes âgées.
pourrait s’expliquer par le fait que ces   Pour les besoins de cette étude, nous
nouveaux outils technologiques sont        avons fait appel au robot social QT        Fort du constat que les jeunes géné-
souvent développés sans inclure les        qui est également utilisé dans une         rations sont de moins en moins nom-
utilisateurs potentiels, c’est-à-dire      autre recherche menée au sein d’IN-        breuses à utiliser les modes de commu-
sans les interroger sur leurs besoins et   SIDE (recherche visant à améliorer         nication traditionnels tels que les cartes
attentes concernant ces technologies.      les compétences émotionnelles des          postales ou les lettres et que l’essentiel
                                                                                      des échanges se fait sur les réseaux
                                           enfants présentant un Trouble du
                                                                                      sociaux dont les personnes âgées sont
    L’objectif de notre étude est donc     Spectre Autistique).
                                                                                      peu familières, le CIPA Gréngewald pro-
d’étudier l’intérêt des personnes âgées
                                                                                      pose désormais aux résidents et à leurs
à utiliser un robot social d’assistance.       Dans la cadre de notre étude, nous
                                                                                      proches ce nouveau service Famileo.
Connaître les attentes des personnes       nous intéressons aux opinions, senti-
âgées concernant les robots d’assis-       ments et attentes des personnes âgées      Le principe? Une application ergono-
tance permettra de développer des ro-      vis-à-vis des robots sociaux, et cela      mique et très facile d’utilisation, qui
                                                                                      permet aux familles d’envoyer depuis un
bots (et plus largement des nouvelles      avant et après avoir réalisé quelques
                                                                                      smartphone des messages et des photos à
technologies) répondant aux besoins        exercices physiques et ludiques avec
                                                                                      un proche qui réside dans l’établissement.
                                           l’aide de QT. Nous cherchons notam-
                                           ment à savoir pour quelles activités       Deux fois par mois, les différents
                                           du quotidien les robots sociaux sont       messages envoyés par chaque famille
                                           perçus comme potentiellement utiles        sont automatiquement mis en page sous
                                           et comment les rendre plus adaptés à       la forme d’une gazette papier person-
                                                                                      nalisée au nom du résident. Elle est
                                           leurs attentes.
                                                                                      ensuite imprimée par l’établissement
                                                                                      avant d’être partagée avec le résident,
                                                 Une prochaine étape de cette
                                                                                      créant un véritable moment d’échange
                                           étude va consister à tester l’intérêt et   et de bonheur pour le senior plongé dans
                                           l’utilité potentielle des robots sociaux   l’univers de sa famille!
                                           d’assistances pour les personnes âgées
                                           présentant des pathologies cogni-          Dans les prochains mois, l’application
                                                                                      permettra également aux familles de
                                           tives (ex: maladie d’Alzheimer) ainsi
                                                                                      consulter l’actualité du CIPA et les
                                           que pour leurs aidants profession-
                                                                                      photos de leur parent publiées par l’éta-
                                           nels (ex: aides-soignants, infirmiers).
                                                                                      blissement.

                                              L’objectif des outils technologiques    Famileo contribue ainsi à renforcer les
                                           d’assistance en général, et de QT en       liens entre les résidents et leur famille et
                                           particulier, serait de permettre à la      entre les familles et le CIPA. Fort de ce
                                                                                      succès, le réseau Famileo a été déployé
                                           personne âgée de rester vivre chez elle
                                                                                      en 2017, sur l’ensemble des établisse-
                                           plus longtemps, dans de meilleures
                                                                                      ments gérés par Sodexo Luxembourg au
                                           conditions, et pour un coût finan-
                                                                                      Grand-duché et proposé à plus de 500
                                           cier plus faible que celui des centres     résidents et leurs familles.
                                           accueillant les personnes âgées.      «

                                                                                      Plus d’informations par:
                                                                                      e-mail manon.weber@sodexo.com ou
10   RBS-BULLETIN | #83 | Januar 2018                       SCHWERPUNKT               Tél. 34 72 70 9098
GERONTOLOGISCHE FORSCHUNG

SOZIALE ASSISTENZROBOTER
AUF DEM PRÜFSTAND
Text Naida Zaimovic

Ende September fand in der RBS – Cellule de Recherche eine zweitägige Pilotstudie in Kooperation mit
der Universität Luxemburg statt. Hauptziel war es zu testen, wie Senioren auf soziale Assistenzroboter
reagieren, mit ihnen interagieren und was sie von ihnen erwarten.

                                                      Auf den Teilnahmeaufruf in der              Spätestens seit dem Kinofilm Star
                                                   September-Ausgabe der RBS-Zeit-            Wars sind Begriffe wie künstliche In-
                                                   schrift Aktiv am Liewen meldeten sich      telligenz, Drohnen und Roboter, wie
                                                   zehn Testpersonen, die mit dem von         z.B. der tollpatschige R2D2 auch dem
                                                   der in Luxemburg ansässigen Firma          breiten Publikum bekannt. Der theo­
                                                   LuxAI produzierten sozialen Assis-         retische Begriff „soziale Assistenzro-
                            Naida Zaimovic         tenzroboter QT einige Spiele und           boter“ hingegen blieb noch einige Zeit
           ist Masterstudentin im Fachbereich      Bewegungsübungen durchführen               eher den entsprechenden Insider-
                 Psychologie an der Universität    konnten. Die Rückmeldungen der Teil-       Kreisen vorbehalten. Dabei sind diese
             Trier und absolvierte im Herbst ein
           Praktikum bei der RBS – Cellule de
                                                   nehmer waren gemischt. Manche wa-          Roboter nichts weiter als Maschinen,
                                      Recherche    ren der Auffassung, dass solch ein Ro-     deren primäre Aufgabe es ist, Men-
                                                   boter in Zukunft unter verschiedenen       schen in verschiedenen Alltagsaufga-
                                                   Umständen wie etwa Bettlägerigkeit         ben bzw. -aktivitäten behilflich zu sein
                                                   oder Demenz hilfreich sein könnte.         und zwar jeweils abhängig von der Art
                                                   Andere sahen den elektrischen Ge-          und Weise ihrer Programmierung und
                                                   fährten als reine Spielerei an, die eher   Konstruktion. Des Weiteren werden
                                                   unterhaltend als unterstützend ist.        soziale Assistenzroboter so program-
                                                                                              miert, dass sie auch sozial interagie-
                                                       Doch was sind eigentlich sozia-        ren können, natürlich in Rahmen und
                                                   le Assistenzroboter und wie können         Grenzen ihrer Programmierung und
                                                   sie alten Menschen im Alltag oder im       der technischen Möglichkeiten. Ihre
                                                   Notfall tatsächlich helfen? Könnte ein     soziale Inter­aktion oder ihre soft skills
                                                   Zusammenspiel zwischen künstlicher         beinhalten z.B. die Simulation emoti-
                                                   Intelligenz (hier soziale Roboter) und     onaler Gesichtsausdrücke – wie etwa
                                                   älteren Personen möglicherweise von        lächeln, traurig sein, fröhlich schauen
                                                   Nutzen sein?                               etc. – , das wiederholte Aufsagen von

                                                                                              RBS-BULLETIN | #83 | Januar 2018       11
SCHWERPUNKT

                                                                  Senioren testeten
                                                                  die interaktiven Fähigkeiten
                                                                  von QT

verschiedenen Sätzen und Worten,         fühlen sich vergesslicher im Gegensatz     dem Reinigen eines kotverschmierten
die Anleitung zu einfachen Bewegun-      zu früher und nicht fit genug, um sich     Bewohners oder Patienten, die neben
gen wie z.B. Arme heben oder anderen     an Termine oder andere zeitliche Ver-      einer gewissen Gelassenheit auch viel
körperlichen und kognitiven Aktivi-      pflichtungen wie etwa die Einnahme         Feingefühl verlangen.
täten. Ihr Erscheinungsbild kann je      von Medikamenten zu erinnern. Wie-
nach Konstruktion menschen-, tier-,      der andere geben an, körperlich weni-          Theoretisch ist vieles denkbar. Wie
maschinen- oder zeichentrickfigu-        ger belastbar zu sein. Durch neue weit-    diese Überlegungen künftig in die Pra-
renähnlich sein. Je detailreicher das    reichende Möglichkeiten der Technik        xis umgesetzt werden und welche Er-
Aussehen und aufwendiger und viel-       und Informatik könnten innovative          gebnisse bzw. konkreten Nutzen und
seitiger die Assistenzaufgaben, desto    Methoden zu diesen Zwecken entwi-          Sinn sie erbringen, darüber wird noch
höher sind auch die Entwicklungskos-     ckelt bzw. verwendet werden und so         viel geforscht werden müssen. Den-
ten solcher Roboter.                     (kleinere) Alltagsbeeinträchtigungen       noch stellt sich bereits jetzt die Frage,
                                         kompensiert werden.                        ob es in Zukunft u.a. vielleicht auch
    Gegenstand gerontologischer                                                     solche sozialen Assistenzroboter sein
Forschungen bildet auch die Frage,          Doch die gerontologische For-           könnten, die die Isolation bei älteren
wie das Leben im Seniorenalltag er-      schung beschäftigt sich nicht nur          Personen reduzieren, ihr Wohlbefin-
leichtert werden könnte (s. dazu den     mit der Verbesserung der Alltagsge-        den erhöhen oder ihren Wunsch nach
einführenden Artikel ab S. 6). Viele     staltung von Senioren, sondern auch        längerer Unabhängigkeit realistischer
Senioren berichten, dass sie sich so-    damit, wie man Alten- bzw. Kranken-        werden lassen könnten.                 «
zial isoliert fühlen und gerne etwas     pflegern den Berufsalltag erleichtern
Gesellschaft, Abwechslung und Unter-     könnte, wenn es zu heiklen oder unan-
haltung in ihrem Alltag hätten. Andere   genehmen Situationen kommt, so z.B.

12   RBS-BULLETIN | #83 | Januar 2018                                                                SCHWERPUNKT
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Das Team des RBS – Center fir Altersfroen asbl

wünscht all seinen
Leserinnen und Lesern
einen guten Start
ins neue Jahr!

                                                            RBS-BULLETIN | #83 | Januar 2018   13
NOTIZEN AUS DER WISSENSCHAFT

ERNÜCHTERNDES RESULTAT

KÖRPERLICHE AKTIVITÄT & DEMENZ
Text Jacqueline Orlewski

Demenz wird oft als die Geißel des 21. Jahrhunderts bezeichnet. Trotz vieler Bemühungen gibt es
bis heute kein Heilmittel für die verschiedenen Demenzformen und die Wirkung der Medikamente,
die die Entwicklung verzögern sollen, ist nicht immer eindeutig. Umso wichtiger scheint daher die
Vorbeugung: Lebensstilfaktoren wie Ernährung und körperliche Aktivität stehen hier an erster Stelle
der Diskussionen.

                                                                                                      FOTO © KZENON – FOTOLIA.COM

14   RBS-BULLETIN | #83 | Januar 2018                       NOTIZEN AUS DER WISSENSCHAFT
Dass durch körperliche Aktivität                               in der 2015 publizierten LIFE-Studie                               15 Jahren“, erklären die Wissenschaft-
kardiovaskulär protektive Wirkungen                                keinerlei Verbesserungen bei globalen                              ler. Egal ob wenig, moderat oder viel
erreicht werden können, gilt als erwie-                            oder spezifischen kognitiven Funkti-                               Sport getrieben worden war, dies än-
sen. Doch wie ist es mit der Demenz?                               onen. Ähnliche Ergebnisse waren bei                                derte nichts am durchschnittlichen Er-
Ist der fitte Senior wirklich weniger                              verschiedenen 36-monatigen Lebens-                                 krankungsalter von 75 Jahren.
demenzgefährdet als sein stubenho-                                 stil-Interventionen im Multidomain
ckender Nachbar? Eine französisch-                                 Alzheimer Preventive Trial herausge-                                  Was aber auffiel, war, dass im Vor-
britische Megastudie erbrachte nun                                 kommen. Dies nährte Zweifel an der                                 feld einer Demenz die körperliche
keinerlei Nachweis für einen Schutz-                               Kausalität des Zusammenhangs.                                      Aktivität signifikant abnahm – ein
Effekt: „Körperliche Aktivität schützt                                                                                                Vorgang, der bis zu neun Jahre vor
nicht vor kognitivem Leistungsabfall                                  Sabia und ihre Kollegen liefern nun                             Diagnosestellung begann und der be-
und senkt nicht das Demenzrisiko“,                                 Ergebnisse einer prospektiven Kohor-                               sonders ausgeprägt ist bei Patienten
teilen Dr. Séverine Sabia, Epidemio-                               ten-Studie mit 10 308 Menschen im                                  mit kardiovaskulären Erkrankungen.
login an der Universität Paris-Saclay                              Alter zwischen 35 und 55 Jahren, die                               Schaute man dann bei Demenzkranken
und ihre Kollegen im British Medical                               im Durchschnitt 27 Jahre beobachtet                                und Nicht-Demenzpatienten zehn und
Journal mit.                                                       worden waren. Es handelt sich um die                               28 Jahre in die Vergangenheit, ließ sich
                                                                   laufende Whitehall-II-Studie, in die in                            kein Unterschied in der körperlichen
    Dabei war in den vergangenen                                   den 1980er Jahren britische Staats­                                Aktivität feststellen. Deutlich abneh-
Jahren doch immer wieder genau das                                 angestellte aufgenommen worden wa-                                 mende körperliche Aktivität könnte
Gegenteil in der Publikums- und Fach-                              ren. Zwischen 1985 und 2013 wurden                                 demnach in der präklinischen Phase ei-
presse zu lesen: Wer in seinem Le-                                 per Fragebogen siebenmal Angaben                                   ner Demenz neben weiteren Hinweisen
ben viel in Bewegung sei, aktiv Sport                              zur körperlichen Aktivität erhoben.                                auf die sich entwickelnde Gedächtnis-
treibe, hieß es, könne unter anderem                                                                                                  und kognitive Störung hinweisen.
auch das Demenzrisiko im Alter sen-                                    Zwischen 1997 und 2013 wurden
ken. Dafür sprachen die Ergebnisse ei-                             die Teilnehmer bis zu viermal validier-                                Die Resultate dieser Studie werden
ner ganzen Reihe von Beobachtungs­                                 ten Testbatterien zur Prüfung der ko-                              die Diskussion zur Prävention von De-
studien. Selbst Interventionsstudien                               gnitiven Leistungen unterzogen. Über                               menzerkrankungen wieder neu bele-
schienen in diese Richtung zu deuten,                              elektronische Krankenakten hat das                                 ben. Und eines wird klar: Eigentlich
wie z.B. in einem 2008 veröffentlich-                              Forscherteam die Demenz-Erkrankun-                                 wissen wir nicht wirklich, was vorbeugt.
ten Review der Cochrane Collaboration                              gen im Laufe der Zeit ermittelt und bei                            Körperliche Aktivität allein zu stimu-
über elf Versuchsstudien. Das World                                seinen Berechnungen soziodemografi-                                lieren, scheint nicht den gewünschten
Dementia Council (WDC) hielt sogar                                 sche Faktoren, Komorbiditäten sowie                                Effekt zu haben und die Frage, ob eine
im Juni 2015 fest, es liege eine ausrei-                           das Gesundheitsverhalten wie Rauchen                               Kombination aus körperlicher und ko-
chende Evidenz dafür vor, dass unter                               und Alkoholkonsum berücksichtigt.                                  gnitiver Stimulation eine Demenz hin-
anderem regelmäßige körperliche Ak-                                                                                                   auszögern kann, steht im Raum. Hier
tivität das Risiko kognitiven Abbaus                                   Insgesamt 329 Demenzerkran-                                    wird in letzter Zeit oft das Tanzen als
und einer Demenz mindern könne.                                    kungen ermittelte die Arbeitsgruppe.                               optimale Maßnahme gepriesen, da es
                                                                   Hauptrisikofaktoren waren zunehmen-                                differenzielle, konditionelle, koordinati-
   Andererseits waren solche Ergeb-                                des Alter, weibliches Geschlecht und                               ve und kognitive Aspekte anspricht und
nisse nicht konsistent reproduzierbar.                             geringe Schulbildung. „Wir fanden kei-                             verbindet. Insgesamt bestehen jedoch
So erbrachte ein moderates Trainings-                              ne Assoziation zwischen körperlicher                               noch erhebliche Erkenntnislücken, und
programm bei 70- bis 89jährigen US-                                Aktivität, beurteilt in den Jahren 1997                            so hat die Forschung in den nächsten
Amerikanern im Vergleich zu einer                                  bis 1999, und der Abnahme des globa-                               Jahren zum Thema Demenzprävention
allgemeinen Gesundheitsberatung                                    len Kognitionsscores in den folgenden                              noch einiges zu leisten.               «

Literaturhinweise:
Sabia S, Dugravot A, Dartigues J-F, et al. Physical activity, cognitive decline, and risk of dementia: 28 year follow-up of Whitehall II cohort study. BMJ 2017;357:j2709.
Angevaren M, Aufdemkampe G, Verhaar HJ et al. Physical activity and enhanced fitness to improve cognitive function in older people without known cognitive impairment.
Cochrane Database Syst Rev. 2008;(3):CD005381.
Sink KM, Espeland MA, Castro CM et al. Effect of a 24-month physical activity intervention vs health education on cognitive outcomes in sedentary older adults: The LIFE randomized trial.
JAMA 2015;314(8):781-790.
Andrieu S, Guyonnet S, Coley N et al. Effect of long-term omega 3 polyunsaturated fatty acid supplementation with or without multidomain intervention on cognitive function in elderly adults with
memory complaints (MAPT): a randomised, placebo-controlled trial. Lancet Neurol 2017;16(5):377-389.
Müller P, Schmicker M, Müller NG. Präventionsstrategien gegen Demenz. Z Gerontol Geriat 2017; 50(Suppl 2):S89-S95.

                                                                                                                                      RBS-BULLETIN | #83 | Januar 2018                         15
GERONTOLOGIE & GERIATRIE

DIFFERENZIERTE DEMENZBETREUUNG BEI HPPA

WAS TUN MIT
„FREIEN RADIKALEN“?
Text Vibeke Walter & Simon Groß

Es gibt sie in vielen Einrichtungen: Unauffällig dementiell veränderte Bewohner, die aus den gewohnten
Betreuungssettings fallen und für die es das passende Angebot nicht zu geben scheint. Vibeke Walter
und Simon Groß (RBS-Bulletin) haben Patrick Franzen, Chargé de missions, beim Träger Homes
Pour Personnes Agées de la Congrégation des Franciscaines de la Miséricorde (HPPA), über den
möglichen Umgang mit diesen „freien Radikalen“ befragt.

                                                                        V.W.: Wie ist man in den HPPA-
                                                                      Häusern konkret auf die Proble-
                                                                      matik aufmerksam geworden?

                                                                          P.F.: Wir haben bei HPPA eine be-
                                                                      stimmte Einteilung. Zum einen den
                                                                      Club R, sprich club rencontre, für die
                                                                      fitten Bewohner. Zum anderen gibt es
                                                                      für Demenzbetroffene, die bei uns nach
                                                                      dem Psychobiografischen Pflegemodell
                                                                      von Prof. Erwin Böhm betreut werden,
                                                                      je nach Interaktionsstufen verschiedene
                                                                      Gruppen. Für mittelschwere Demenzen
                                                                      sind das die Stufen 3 bis 5, für die wei-
                                                                      ter fortgeschrittenen gibt es die geron-
                                                                      tologische Intensivbetreuung (GIB) in
                                                                      den Stufen 6 bis 7. Das sind Bewohner,
                                                                      die oft nicht nur dementielle Störungen,
                                                                                                                  FOTO © DE VISU – FOTOLIA.COM

                                                                      sondern auch erhebliche körperliche Pro-
                                                                      bleme und Defizite aufweisen, z.B. nicht
                                                                      mehr alleine gehen oder essen können.
                                                                      Für die bereits erwähnten, oft eher un-
                                                                      auffälligen „freien Radikalen“ hat sich
                                                                      dagegen niemand so richtig zuständig
                                                                      gefühlt. Für eine der Dementen-Gruppen
                                                                      waren sie in einer noch zu guten Ver-
                                                                      fassung, für den Club R dagegen schon

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zu schlecht. Manchmal wurden sie me-           V.W.: Aber es handelt sich um              Fall zu tun? Sie sollen ruhig weiterhin als
dikamentös behandelt, entweder weil          Demenzbetroffene?                            „freie Radikale“ unterwegs sein dürfen.
sie sehr unruhig und antriebsgesteuert                                                    Nur wenn wir uns ihnen zu spät wid-
waren oder weil sie sich in ihre Zimmer          P.F.: Ja, mit dem Unterschied, dass      men, ist die Gefahr groß, dass sie quasi
zurückzogen und man eine Depression          bei ihnen die Scheinanpassung eben noch      unbemerkt in eine verstärkte Demenz
vermutete.                                   sehr gut funktioniert. Oft haben sie noch    abgerutscht sind bzw. massiv abgebaut
                                             genügend Ressourcen bzw. coping-Stra-        haben. Um diese Verschlechterung zu
    Seit mehreren Jahren bin ich in allen    tegien, um ihre Erkrankung zu überspie-      verhindern, ist es wichtig, prophylaktisch
HPPA-Häusern als Demenz-Ratgeber             len. Oder sie ziehen sich im Zweifelsfall    vorzugehen.
aktiv und spreche regelmäßig mit den         so sehr zurück, dass sie den Mitarbeitern
Verantwortlichen vor Ort. Ich werde          gar nicht mehr auffallen.
aber auch dann tätig, wenn bei anderen
Bewohnern Probleme auftauchen und                                                            S.G.: Wie lange bleiben die
sich keine Lösungsansätze finden lassen.                                                  „freien Radikalen“ Ihrer Erfah-
In diesen Gesprächen wurden die soge-           V.W.: Ist das eine Beobachtung,           rung nach in diesem besonderen
nannten „freien Radikalen“ zunehmend         die in allen sechs HPPA-Einrich-             Stadium?
thematisiert, bis ich feststellte, dass es   tungen gemacht wurde?
sich hier eigentlich um eine vierte Be-                                                       P.F.: Das hängt vom Verlauf der
wohnergruppe handelt, die gar keinen             P.F.: Ja, auf jeden Fall. Bei rund 120   Demenzerkrankung ab und davon, wie
spezifischen Raum hat und nur wenig          Bewohnern pro Haus, ist etwa ein Viertel     schnell wir dieses Stadium erkennen. Ist
Aufmerksamkeit erfährt.                      dement. Von diesen 30 Betroffenen fallen     letzteres der Fall, können wir vorbeugend
                                             bis zu 10 in dieses Schema.                  arbeiten, d.h. wir ändern nicht die Situ-
                                                                                          ation, aber wir haben genug Informati-
                                                                                          onen, um einer Verschlechterung entge-
   S.G.: Wie findet man heraus,                                                           genzuwirken. Dieses Wissen ist wichtig,
dass sie in keines der Angebote                 V.W.: Wurde für diese Gruppe              um den Zeitpunkt nicht zu verpassen,
hineinpassen? Wird da vorher                 inzwischen ein bestimmtes Ange-              diese Bewohner so dabei zu unterstützen,
schon eine Art Diagnose gestellt             bot geschaffen?                              dass sie ihre noch vorhandene Autonomie
oder ergibt sich das während der                                                          möglichst lange wahren können.
Aktivitäten?                                     P.F.: Nicht direkt. Zunächst einmal
                                             ist für diese Bewohnergruppe eine enge
    P.F.: Am Anfang sind sie nicht auffäl-   Zusammenarbeit zwischen der regulären
lig, weil die Scheinanpassung noch sehr      Pflege und der spezifischen Demenzbe-           V.W.: Welche ganz konkreten
gut funktioniert, das heißt, die kleinen     treuung ganz besonders wichtig gewor-        Maßnahmen im Umgang mit den
Ausfälle werden von den Mitarbeitern         den. Jeder Mitarbeiter hat seit jeher        „freien Radikalen“ kann man sich
oft über einen längeren Zeitraum gar         hausintern jeweils einige Bewohner-Dos-      noch vorstellen?
nicht bemerkt. Wenn man sie jedoch ge-       siers, um die er sich vorrangig kümmert,
nauer beobachtet, fällt einem auf, dass      up to date hält und bei den Pflegevisiten        P.F.: Nehmen wir an, eine Bewohne-
diese Bewohner entweder in ihrem Zim-        präsentiert. Mittlerweile ist es so, dass    rin läuft den ganzen Tag durchs Alters­
mer bleiben, wo man nicht richtig mit-       für diese Dossiers sowohl ein Mitarbeiter    heim. Sie findet sich irgendwie noch
bekommt, was dort eigentlich passiert.       aus der Pflege als auch einer aus der Be-    zurecht, dank unserer Beobachtung und
Oder sie wandern durchs Haus und stel-       treuung zuständig ist, also ein doppelter    Wahrnehmung wissen wir aber, dass der
len demjenigen Mitarbeiter, der ihnen ge-    Blick darauf geworfen wird. Es geht gar      Moment kommt, wo sie – vielleicht weil
rade über den Weg läuft, ständig Fragen,     nicht so sehr darum, die Betroffenen so      sie müde oder erschöpft ist – irgendwo
wie „wo bin ich?“, oder „wo soll ich jetzt   schnell wie möglich in einer bestimmten      sitzt und nicht mehr weiter weiß. Genau
hin?“. Dieses Verhalten darf nicht im        Gruppe unterzubringen, sondern darum         zu diesem Zeitpunkt können wir gezielt
Alltag untergehen, sondern muss durch        herauszufinden, wo sind die Knackpunk-       eingreifen, ihr eine Orientierungshilfe
geschulte Beobachtungskompetenz wahr-        te, zu welchem Zeitpunkt am Tag häufen       anbieten und ihr so wieder die nötige
genommen werden.                             sich die Probleme und was ist in diesem      Sicherheit vermitteln, damit sie weiter

                                                                                          RBS-BULLETIN | #83 | Januar 2018       17
GERONTOLOGIE & GERIATRIE

                                                                                              V.W.: Sie sagen, Sie haben es
                                                                                           mit vier verschiedenen Katego-
                                                                                           rien von Bewohnern zu tun. Wie
                                                                                           durchlässig handhaben Sie dies im
                                                                                           Heimalltag?

                                                                                               P.F.: Es gibt immer punktuelle
                                                                                           Migrations­möglichkeiten, je nach Ver-
                                                                                           fassung und Interessen. Auch Bewohner
                                                                                           aus einer GIB können zu einem Konzert
                                                                                           zusammen mit dem Club R gehen oder
                                                                                           sind bei Geburtstagsfeiern dabei. Wir
                                                                                           informieren die anderen Bewohner na-
                                                                                           türlich über gewisse mögliche Verhaltens­
                                                                                           auffälligkeiten und meistens wird das
                                                                                           gut toleriert und akzeptiert. Die Türen
                                                                                           sind je nach Situation und individueller
                                                   Patrick Franzen
                                                                                           Belastungsfähigkeit immer offen. Wir
                                                   ist u.a. als Demenz-Ratgeber in den
                                                   HPPA-Einrichtungen aktiv
                                                                                           versuchen, die Bewohner, ob dement
                                                                                           oder nicht, so lange wie möglich in „ihrer
                                                                                           Spur“ zu halten. Manchmal besteht die
                                                                                           Gefahr, dass unsere Gesellschaft zu vieles
                                                                                           „verdiagnostizieren“ will, dabei sind wir
frei im Haus unterwegs sein kann. Dies      gewisse Regressionsgefahr gemindert            doch letztlich alle nicht ganz „normal“,
wird z.B. auch in den chronologischen       werden. Die Bewohner dürfen dann al-           will sagen, wir alle fallen für kurze Mo-
Ablaufplänen festgehalten, mit denen        lerdings noch immer selbst entscheiden,        mente aus der Normalität heraus.
wir versuchen, uns einen Überblick über     ob sie mitkommen wollen oder nicht.
Tagesgewohnheiten und -strukturen der       Wichtig ist: Sie sind nicht vergessen              Zum Abschluss möchte ich aber noch
Bewohner zu verschaffen.                    worden und haben ein Gespräch bzw.             betonen, dass unsere Vision der Demen-
                                            Angebot bekommen. So wird versucht,            tenbetreuung, so wie es auch das Nor-
                                            rechtzeitig eine Problementwicklung zu         malitätsprinzip nach Böhm vorsieht,
                                            vermeiden, damit Bewohner nicht an-            darin besteht, dass es gar keine spezifi-
   S.G.: Sie setzen also gezielte,          fangen, Verhaltens­auffälligkeiten zu zei-     schen Wohnbereiche mehr gibt. In den
„chirurgische“ Eingriffe ein, an-           gen, nur weil wir die Ursache dafür nicht      Altersheimen sind so viele verschiedene
statt gleich einen ganzen Betreu-           kennen. Gezieltes Wahrnehmen und Be-           Berufsgruppen vertreten, Hauswirt-
ungsmechanismus anzukurbeln.                obachten sowie ressourcenförderndes Ar-        schaft, Küche, Verwaltung, Technik etc.,
                                            beiten sind das A und O. Diese Sensibili-      da wäre es doch vorstellbar, dass Bewoh-
    P.F.: Ja, wir gehen minimal invasiv     tät sowie die stete Aufmerksamkeit für         ner, die zeitlebens einer dieser Tätigkei-
vor, und der Betroffene hat nicht das Ge-   den Blick aufs Detail rufe ich den Mit-        ten nachgegangen sind, dort bestimmte
fühl, inkompetent oder verloren zu sein     arbeitern immer wieder in Erinnerung.          Aufgaben oder Funktionen übernehmen.
und keine Ahnung zu haben. Ähnlich ist      Das ist meiner Meinung nach wichtiger          Je nach ihren Kapazitäten zeitlich be-
es, wenn wir bemerken, dass Menschen        als der oft weit verbreitete hektische         grenzt und begleitet von einem in punkto
                                                                                                                                        FOTO © SIMON GROSS

sich oft zu bestimmten Zeiten zurück-       Aktivismus, mit dem man die Bewohner           Demenz geschultem Personal. Die Beto-
ziehen. Dann kann man ins Zimmer ge-        u.U. nur noch mehr verwirrt. Die prä-          nung der Ich-Wichtigkeit und das Gefühl,
hen und Bescheid sagen, dass sich jetzt     zise Beobachtung und Dokumentation             gebraucht und wertgeschätzt zu werden,
z.B. die anderen Mitbewohner im Café        sind anfangs vielleicht etwas aufwendig,       ist eine der wirkungsvollsten Aktivitäten
treffen oder eine Aktivität auf dem Pro-    letztlich ersparen sie uns jedoch viel Zeit    überhaupt. Es bleibt also noch manches
gramm steht. Damit kann proaktiv eine       und Probleme.                                  zu tun.                                «

18   RBS-BULLETIN | #83 | Januar 2018                                                    GERONTOLOGIE & GERIATRIE
SOZIALES MANAGEMENT

                            FEHLERMANAGEMENT ALS CHANCE

                            FEHLERKULTUR – FEHLANZEIGE?
                            Text Yannick Hoffmann*

                            Fehler sind in den meisten Fällen eine ärgerliche Angelegenheit. Besonders dann, wenn uns ein Fehler
                            nicht unterläuft, sondern widerfährt. Doch wie gehen wir mit Fehlern um, wenn sie uns passieren?
                            Stehen wir offen dazu oder sind wir dazu geneigt, diese zu vertuschen? Wie sieht es aus, wenn wir
                            Fehler begehen bei denen Menschen unmittelbar zu Schaden kommen? Denn auch Mitarbeitern aus dem
                            medizinisch-pflegerischen Bereich unterlaufen Fehler. Ein kluges Fehlermanagement kann daher zu einer
                            Optimierung der Patientensicherheit beitragen.
FOTO © FPIC – FOTOLIA.COM

                                Widmet man sich der doch recht                    thematisieren. „Errare humanum            wir eigentlich unter dem Begriff „Feh-
                            komplexen und weitreichenden The-                     est – Irren ist menschlich“ 1. Menschen   ler“? So werden etwa Messfehler in der
                            matik des Fehlermanagements und                       machen Fehler, dies erkannte bereits      Physik anders definiert als Rechtsfeh-
                            der Fehlerkultur, kommt man in ers-                   vor rund 2000 Jahren der römische         ler in den Rechtswissenschaften. Pro-
                            ter Instanz nicht umhin, den gemein-                  Philosoph und Naturforscher Lucius        duktionsfehler, die durch Mängel in
                            samen Nenner der beiden Worte zu                      Annaeus Seneca. Doch was verstehen        der Herstellung eines Produktes ent-

                            1 Lautenbach, E. (2002). Latein-Deutsch: Zitaten-Lexikon. LIT-Verlag: Münster.

                                                                                                                            RBS-BULLETIN | #83 | Januar 2018   19
SOZIALES MANAGEMENT

                                            stehen, werden anders definiert als auf              druck, einer Umarmung oder in man-
                                            Handlungstheorien basierende Denk-,                  chen Fällen mit einem Wangenkuss
                                            Planungs- oder Handlungsfehler aus                   begrüßt. Würden Sie ihnen jedoch die
                                            dem Bereich der Psychologie.                         Zunge zur Begrüßung herausstrecken,
                                                                                                 könnte man Ihr Verhalten als Fehlver-
                                               Eine über diese unterschiedlichs-                 halten interpretieren. Umgekehrt ist
                                            ten Arten und Spezifitäten hinweg an-                in manchen Regionen in Tibet das He-
                                            wendbare, allgemeingültige Begriffs-                 rausstrecken der Zunge die traditionell
                                            definition stammt aus dem Bereich                    erlernte und somit unausgesprochene
                                            des Qualitätmanagements. Ein Fehler                  Anforderung an eine gelungene Begrü-
                                            wird hierbei als „Nichterfüllung einer               ßung.3
                                            Anforderung“ definiert2. Diese augen-
                                            scheinlich triviale Begriffsdefinition                   Die Nichterfüllung einer explizi-
                                            setzt zwei Grundbedingungen voraus:                  ten Anforderung zieht eine explizite
                                            Einerseits muss eine Anforderung an                  Konsequenz nach sich. Wenn Sie bei-
                                            eine Person vorliegen und andererseits               spielsweise dabei erwischt werden,
*Yannick Hoffmann                           muss diese Person nicht in der Lage                  wie Sie mit 90km/h durch eine Ort-
ist Psychologe                              sein, die an sie gerichtete Anforderung              schaft rasen, wo nur 50km/h erlaubt
(Master in psychological                    zu erfüllen.                                         sind, müssen Sie mit einer Geldstrafe
intervention – focus on clinical                                                                 und einem Punkteverlust beim Füh-
domain, Universität Luxemburg)
und in dieser Funktion bei
                                                                                                 rerschein rechnen. Kommen Sie stän-
Autisme a.s.b.l tätig.                                                                           dig zu spät zur Arbeit, müssen Sie
                                            Fehler als nichterfüllte                             sich auf eine Abmahnung vom Chef
                                            Anforderungen                                        gefasst machen. Die Nichterfüllung
                                                                                                 einer impliziten Anforderung hinge-
                                                Anforderungen werden dabei so-                   gen, zieht eine implizite Konsequenz
                                            wohl im privaten als auch im berufli-                nach sich. Beim Beispiel der „Zungen-
                                            chen Kontext an Menschen gestellt.                   Begrüßung“ könnte die implizite Kon-
                                            Man kann in beiden Bereichen zwi-                    sequenz sein, eine generelle Abwehr-
                                            schen expliziten und impliziten An-                  haltung der betroffenen Personen
                                            forderungen unterscheiden. Explizite                 hervorzurufen. Folglich könnten Ihre
                                            Anforderungen können in Gesetzes-                    Mitmenschen sich zukünftig scheuen,
                                            texten oder in Arbeitsverträgen fest-                Sie zu begrüßen.
                                            gehalten werden und sind somit ver-
                                            schriftlicht und unmissverständlich.
                                            Implizite Anforderungen sind dage-
                                            gen nicht verschriftlicht und werden
                                            größtenteils durch soziale Normen
                                            und Werte bestimmt. Beispielsweise
                                            werden Menschen in unserem west-
                                            lichen Kulturkreis mit einem Hände-
                                                                                                                                                   FOTO © YANNICK HOFFMANN

                                            2  DIN EN ISO 9000:2005 „Qualitätsmanagement – Grundlagen und Begriffe“
                                            3  Stocker, M. (2015). Die 8 exotischsten Begrüßungen. Blick am Abend. Zugriff unter: https://www.
                                              blickamabend.ch/news/rituale-aus-fremden-kulturen-die-8-exotischsten-begruessungen-id3136429.
                                              html

20      RBS-BULLETIN | #83 | Januar 2018                                                             SOZIALES MANAGEMENT
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