50 milliOnen bis 2030 - Wie gelingt die Wärmewende? - Öko-Institut

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50 milliOnen bis 2030 - Wie gelingt die Wärmewende? - Öko-Institut
März 2021

                                                                Nachhaltiges
                                                                aus dem Öko-Institut

50 milliOnen
bis 2030
Wie gelingt die Wärmewende?

Sozial und ökologisch   Ein nachhaltiges Wohnprojekt

Wohnraum besser nutzen      Interview mit Daniel Fuhrhop

Für eine nachhaltige Bioökonomie       Eine Kolumne von Martin Möller
50 milliOnen bis 2030 - Wie gelingt die Wärmewende? - Öko-Institut
2   IM FOKUS I LaVidaVerde
50 milliOnen bis 2030 - Wie gelingt die Wärmewende? - Öko-Institut
3

die
geteilte
wanne
Ein Energie-Plus-
Mehrgenerationenhaus in Berlin
Wer in Berlin-Lichtenberg keine Lust auf eine Dusche hat,           rum, ein besonders schönes Haus zu bauen, sondern eines,
sondern lieber in die Wanne will, muss erst mal schauen,            das einen möglichst hohen Ökostandard erfüllt und ein so-
ob nicht schon jemand drin sitzt. Denn im Mehrgeneratio-            lidarisches Miteinander ermöglicht.“ Eine wichtige Grundla-
nenhaus in der Sophienstraße, das in Eigeninitiative gebaut         ge hierfür ist ein vierzehntägiges Plenum, bei dem aktuelle
wurde, teilen sich die Bewohnerinnen und Bewohner eine              Fragen besprochen werden. „Bei größeren Entscheidungen
Badewanne ebenso wie viele andere Dinge. „Wir haben eine            muss es Einigkeit geben, alle haben ein Vetorecht.“ Wichtig ist
Gästewohnung, in der übrigens auch die Wanne steht, nutzen          nicht zuletzt: ein hohes Engagement für das selbst organisier-
vier Waschmaschinen gemeinsam, haben zusammen einen                 te Haus – etwa in Arbeitsgruppen für Finanzen, die Wartung
großen Garten und einen Raum für Veranstaltungen“, sagt             der Anlagen oder die Gartenarbeit. Neue Mieterinnen und
Franziska Mohaupt, Mit-Initiatorin dieses Wohnprojektes, das        Mieter werden zudem sehr genau unter die Lupe genommen.
besonders nachhaltig ist. Denn: Die individuellen Wohnflä-          „Das Kennenlernen kann schon mal bis zu fünf Monate dau-
chen pro Person sind klein und der Energieverbrauch gering.         ern, aber dafür bekommen wir dann auch Menschen, die wir
Möglich wird das durch energieeffiziente Elektrogeräte, eine        wirklich wollen und die uns wirklich wollen“, sagt Mohaupt.
gute Dämmung und die Wärmerückgewinnung aus Abwas-
ser und Abluft. Auf dem Dach ist zudem eine große Photo-            Tauchen doch einmal Konflikte auf, können sie über eine
voltaikanlage angebracht. Unterm Strich produziert das Haus         Mediation gelöst werden. Doch nicht nur an den zwischen-
sogar mehr Energie als es verbraucht.                               menschlichen Beziehungen, auch am Haus selbst gibt es über
                                                                    sechs Jahre nach dem Einzug 2014 immer wieder Dinge zu
Derzeit wohnen 28 Erwachsene zwischen 25 bis 79 und 12              tun. „Wir nutzen zum Beispiel das Grauwasser für den Garten,
Kinder zwischen 1 bis 13 Jahren im Haus, Paare, Familien,           würden es aber gerne auch in den Waschmaschinen einset-
WGs. Organisiert sind sie nach dem Prinzip des Mietshäuser          zen, um noch mehr Wasser zu sparen. Hier stehen uns leider
Syndikats, einer Initiative, die sich für langfristig bezahlbaren   derzeit undichte Wassertanks im Weg.“ Bereut hat Mohaupt
Wohnraum einsetzt und sich hierfür an selbstorganisierten           das Projekt aber noch nie. „Dieses gemeinsame Leben gibt ei-
Wohnprojekten beteiligt und sie mit Rat und Tat unterstützt         nem so viel zurück. Ich finde es zum Beispiel toll, dass meine
– so auch das Energie-Plus-Mehrgenerationenhaus in Berlin.          Kinder mit mehreren anderen Kindern aufwachsen.“
2,7 Millionen Euro waren für Grundstückskauf und Bau nötig,
die teils über Bankkredite, teils über zahlreiche Direktkredite                                                   Christiane Weihe
finanziert wurden.
                                                                    info@lavidaver.de
Initiiert wurde das Haus von zwei Paaren, die vor allem eins        https://lavidaver.de
wollten: sozial und ökologisch wohnen. „Uns ging es nicht da-       https://www.syndikat.org/de/projekte/lavidaverde
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4   INHALT

                                                                               10
                                                                    Ein übergeordnetes Konzept
                                                                  Der Umbau der Wärmeversorgung

                                                        		IM FOKUS: WÄRMEWENDE
                                                         2 Die geteilte Wanne
                                                        		Ein Energie-Plus-Mehrgenerationenhaus in Berlin
                                                         6 Ein behäbiges Schiff
                                                        		 Politikinstrumente für die Wärmewende
                                                        10 Hier Einzelheizung, da Fernwärme
                                                        		 Kommunale Wärmeplanung
                                                        12	„Wohnfläche ist eine Ressource“
                                                            Interview mit Daniel Fuhrhop

                               6
                                                            (Carl von Ossietzky Universität Oldenburg)
                                                        13		 Porträts
                       Kursänderung nötig               		 Patrizia Renoth (Kommune Holbæk)
             Die mögliche Klimalücke im Gebäudesektor   		Dr. Veit Bürger (Öko-Institut)
                                                             Dr. Max Peters (KEA-BW)

                     Besser weniger als mehr            		ARBEIT
                   Die Zukunft der Bioökonomie          14	Von Infrastrukturen bis zu Verteilungswirkungen
                  Eine Kolumne von Martin Möller            Aktuelle Projekte, neue Ideen

                             18                         16 Von der Agrar- bis zur Verkehrspolitik
                                                        		Kurze Rückblicke, abgeschlossene Studien

                                                        		PERSPEKTIVE
                                                        18 Besser weniger als mehr
                                                          	Die Zukunft der Bioökonomie

                                                        		EINBLICK
                                                        19 Von Containerschiffen bis zum Jahresbericht
                                                        		 Neuigkeiten aus dem Öko-Institut

                                                        		VORSCHAU
                                                        20 Noch 30 Jahre
                                                        		Die Endlagerung radioaktiver Abfälle
50 milliOnen bis 2030 - Wie gelingt die Wärmewende? - Öko-Institut
EDITORIAL I IMPRESSUM                      5

                                Zimmer gesucht,
                                auf Zeit
                                Ich möchte gerne ein zusätzliches Zimmer für unsere Wohnung. Nur eins. denn jetzt, wo die
                                Kinder größer werden, würden wir ihnen gerne einen eigenen rückzugsort ermöglichen. Weil
                                die beiden das Nest aber irgendwann auch wieder verlassen werden, möchte ich das Zimmer
                                gerne nur für ein paar Jahre. Ich gebe es dann gerne wieder ab, wenn meine Frau und ich den
                                Platz nicht mehr brauchen.

                                Geht nicht, denken Sie? Sollte es aber, finde ich. Unsere Vorstellungen davon, wie wir wohnen,
                                sind sehr starr und die Möglichkeiten eingeschränkt. du brauchst eine größere Wohnung?
                                dann musst du umziehen! Und wenn die Kinder aus dem Haus sind, kannst du wieder die
                                Kisten packen. Oder du bleibst auf einer Wohnfläche sitzen, die nicht nur mit Blick auf die
                                energie, die nötig ist, um sie zu beheizen, zu groß ist. also warum nicht Wohnraum schlau-
                                er nutzen? Indem man zum Beispiel in zu groß gewordenen Wohnungen und Häusern Teile
                                abtrennt und untervermietet. Oder neuen Wohnraum von anfang an so anlegt, dass er sich
                                unterschiedlichen Lebensphasen und Größenanforderungen anpassen kann.

Jan Peter Schemmel              die Wärmewende wurde viel zu lange aufgeschoben. Wir müssen dringend handeln, um die
Sprecher der Geschäftsführung   immer größer werdende Klimalücke im Gebäudebereich zu schließen. Vorschläge für wir-
des Öko-Instituts               kungsvolle Instrumente gibt es. So etwa für eine deutliche Steigerung der Sanierungsrate und
j.schemmel@oeko.de              des einsatzes von Wärmepumpen sowie den abschied von fossilen energien, aber eben auch
                                Überlegungen, wie sich vorhandene Wohnflächen effizienter nutzen lassen.

                                Zusätzlich müssen wir höchste effizienzansprüche an Neubauten stellen, weil die Gebäude,
                                die wir heute bauen, darüber entscheiden, ob wir die angestrebte Klimaneutralität in 2050
                                erreichen. es ist schon jetzt möglich, Häuser zu bauen, die mehr energie produzieren als sie
                                verbrauchen – das zeigt das Beispiel des energie-Plus-Mehrgenerationenhauses in Berlin-
                                Lichtenberg, das wir auf den vorherigen Seiten vorgestellt haben. Und clever bauen geht
                                übrigens nicht erst seit gestern. So können wir dort, wo es um Kühlung geht, viel von der
                                traditionellen architektur in sehr heißen Ländern lernen. die kennt zahlreiche Tricks, um für
                                Kühlung zu sorgen – dies gelingt durch die Wahl des Baumaterials und der außenfarbe eben-
                                so wie durch die durchdachte ausrichtung der Häuser, das anbringen von Luftklappen oder
                                die richtige Positionierung von Fenstern.

                                es mangelt also nicht an Ideen. Und falls Sie (ein) Zimmer übrig haben – vielleicht finden Sie
                                ja jemanden, für den diese Wohnfläche gut passt.

                                Ihr
                                Jan Peter Schemmel

                                Weitere Informationen zu unseren Themen finden Sie im Internet unter www.oeko.de/epaper

                                eco@work – März 2021 – ISSN 1863-2009 – Herausgeber: Öko-Institut e.V.
                                redaktion: Mandy Schoßig (mas), Christiane Weihe (cw) – Verantwortlich: Jan Peter Schemmel
                                Weitere autorinnen und autoren: Martin Möller, anette Nickels (ani), Jan Peter Schemmel, Nora Wissner
                                druckauflage: 2.150; digitale Verbreitung: rund 7.000 abonnentinnen und abonnenten – Im Internet verfügbar unter: www.oeko.de/epaper
                                Gestaltung/Layout: Tobias Binnig, www.gestalter.de – Technische Umsetzung: Markus Werz – Gedruckt auf 100-Prozent-recyclingpapier
                                redaktionsanschrift: Borkumstraße 2, 13189 Berlin, Tel.: 030/4050 85-0, Fax: 030/4050 85-388, redaktion@oeko.de, www.oeko.de
                                Bankverbindung für Spenden:
                                GLS Bank, BLZ 430 609 67, Konto-Nr. 792 200 990 0, IBaN: de50 4306 0967 7922 0099 00, BIC: GeNOdeM1GLS
                                Spenden sind steuerlich abzugsfähig.
                                Bildnachweis: S.13 rechts: © Kea-BW; S.14 © Craig – stock.adobe.com; S.15 © Simon Kraus – stock.adobe.com; S.17 © Butch – stock.
                                adobe.com; S.18 © MdSHaHrIar – stock.adobe.com; S.19 unten © enanuchit – stock.adobe.com; S.20 © markus dehlzeit – stock.adobe.
                                com; andere © Privat oder © Öko-Institut, Ilja C. Hendel
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6   IM FOKUS

               Politikinstrumente
               für die Wärmewende
               So wie es ist, kann es nicht bleiben: Der Gebäudebereich steuert auf
               eine große Klimaschutzlücke zu. Eigentlich sollen seine Treibhausgas­
               emissionen laut dem Klimaschutzgesetz bis 2030 auf 70 Millionen
               Tonnen CO2-Äquivalente (CO2e) sinken, das wäre im Vergleich zu 1990
               eine Minderung um 67 Prozent. Mit den bisherigen Maßnahmen kann
               dieses Ziel jedoch nicht erreicht werden: Eine Analyse, die unter Lei-
               tung des Öko-Instituts durchgeführt wurde, erwartet eine Lücke von
               fast 17 Millionen Tonnen CO2e, wenn nicht gegengesteuert wird. Die
               Expertinnen und Experten aus dem Bereich Energie & Klimaschutz
               haben bereits in vielen Studien skizziert, wo die Wärmewende steht
               und mit welchen Instrumenten sich ein nahezu klimaneutraler Ge-
               bäudebestand doch noch erreichen lässt.
50 milliOnen bis 2030 - Wie gelingt die Wärmewende? - Öko-Institut
7

      ein
behäbiges
   schiff
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8   IM FOKUS

    „der Wärmesektor ist wie ein sehr             die Ursachen für die schleppende Sa-          „denn ein Großteil der Gebäude, in de-
    schweres, behäbiges Schiff “, sagt dr. Veit   nierung sind vielfältig, sagt der stellver-   nen wir heute wohnen und arbeiten,
    Bürger, Wissenschaftler am Öko-Institut,      tretende Leiter des Bereichs energie &        wird auch 2050 noch stehen. das heißt,
    „wenn man verhindern will, dass es auf        Klimaschutz in Freiburg. „Bei der ener-       wir werden die Klimaziele des Gebäu-
    Grund läuft, muss man das ruder recht-        giewende hat man sich lange auf den           desektors nur dann erreichen, wenn wir
    zeitig herumreißen, damit es genug Zeit       Stromsektor konzentriert, auch, weil die      heute nach ambitionierten Standards
    hat, den Kurs zu ändern.“ das heißt für       Transformation hier einfacher ist und         bauen und unseren heutigen Gebäude-
    den Wissenschaftler vom Öko-Institut:         weniger entscheiderinnen und ent-             bestand ambitioniert durchsanieren.“
    So schnell wie möglich, aber spätestens       scheider betroffen sind. Im Gebäude-
    in der nächsten Legislaturperiode, die        sektor hat man es mit mehr als 15 Mil-
    im Herbst 2021 beginnt. „die Lücke mit        lionen eigentümerinnen und eigentü-
    Blick auf das Klimaschutzziel ist einfach     mern zu tun, die man überzeugen und
    zu groß.“ darüber hinaus gibt es im Ge-       motivieren muss.“ Bei der Wärmeerzeu-
    bäudesektor sehr lange Investitionszyk-       gung sei nun aber unter anderem durch
    len, umfangreiche arbeiten etwa an dä-        den Kohleausstieg ein erhöhter Hand-
    chern oder der außenhülle werden nur          lungsdruck entstanden. „Wenn Kohle-
    im abstand von Jahrzehnten durchge-           kraftwerke vom Netz gehen, fallen auch

                                                                                                    5,5
    führt. „ein weiteres Problem ist der Man-     viele Kraft-Wärme-Kopplungs-anlagen
                                                                                                       MEHR ALS
    gel an qualifizierten Handwerkern und         weg. die bislang durch sie erzeugte
    Handwerkerinnen“, sagt Bürger, „auch          Wärme, die Kundinnen und Kunden
    das lässt sich nicht so schnell beheben,      über Fernwärmenetze versorgt, muss
    hier gibt es schließlich mehrjährige aus-     ersetzt werden.“
    bildungszeiten.“

                                                         FORDERN, FÖRDERN,
                                                            INFORMIEREN
           IM GEBÄUDEBEREICH
           DROHT EINE                                                                                  MILLIARDEN EURO STEHEN 2021
                                                  die Wärmewende kann durch viele                      FÜR DIE GEBÄUDESANIERUNG
           KLIMASCHUTZLÜCKE
           VON FAST                               unterschiedliche Instrumente vorange-                ZUR VERFÜGUNG
                                                  bracht werden, kleinere und größere,
                                                  breit gefächerte und spezialisierte. „es
                                                  gibt quasi einen dreiklang aus fördern-       die Förderungen können zudem eine
                                                  den, fordernden und informierenden            wichtige rolle bei einem verschärften

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                                                  elementen“, sagt Veit Bürger, „so gibt        Ordnungsrecht spielen – damit alle ei-
                                                  es inzwischen viele gute Förderpro-           gentümerinnen und eigentümer, die
                                                  gramme und Informationskampagnen.“            zur Sanierung verpflichtet werden, das
                                                  Mehr als 5,5 Milliarden euro stellt die       auch finanzieren können. „das Ord-
                                                  Bundesregierung im laufenden Jahr für         nungsrecht muss deutlich aktiver wer-
                                                  die Gebäudesanierung zur Verfügung.           den und Sanierungsanlässe schaffen,
                                                  damit wird die dämmung von Fassa-             etwa indem besonders ineffiziente Ge-
                                                  den und die Modernisierung von Fens-          bäude ab einem bestimmten Zeitpunkt
                                                  tern ebenso gefördert wie der einbau          nicht mehr neu vermietet werden dür-
           MILLIONEN TONNEN CO2E                  neuer Heizanlagen. „In Zukunft wird es        fen. eine Möglichkeit wäre auch, dass
                                                  aber noch mehr Geld für Förderungen           immer dann, wenn Häuser verkauft
                                                  brauchen.“ Gleichzeitig müssten die           oder vererbt werden, die neuen eigen-
                                                  Förderbedingungen angepasst werden,           tümer und eigentümerinnen innerhalb
    doch warum ist im Gebäudebereich              um bessere anreize für ambitioniertere        einer vorgegebenen Frist das Gebäude
    nicht ausreichend passiert? Immer-            effizienzstandards zu setzen. So fördert      auf eine bestimmte effizienzklasse sa-
    hin sind Heizung und Warmwasser-              der Staat noch immer das so genannte          nieren müssen“, so der Wissenschaft-
    verbrauch für mehr als 80 Prozent des         effizienzhaus 100, das als referenz in        ler. „Wichtig ist hier, dass die auflagen
    energiebedarfs von Privathaushalten           etwa dem aktuellen Standard des Ge-           mit der Zeit immer strenger werden,
    verantwortlich. durch Wärmedäm-               bäudeenergiegesetzes für Neubauten            um eine immer höhere effizienz zu
    mung könnte der Wärmebedarf un-               entspricht. „Wenn wir die Klimaziele          erreichen.“ auch eine Pflicht für Solar-
    sanierter Häuser um bis zu 80 Prozent         im Gebäudesektor erreichen wollen,            anlagen auf Neubauten und bei der
    sinken. Und der Sanierungsbedarf ist          brauchen wir jedoch die effizienteren         Sanierung von dächern bestehender
    hoch: So sind bei rund der Hälfte aller       Standards 40, 55 oder 70, bei denen das       Häuser, wie sie in Hamburg und Baden-
    ein- und Zweifamilienhäuser die au-           Gebäude im Vergleich dann nur noch            Württemberg bereits eingeführt wurde,
    ßenwände nicht gedämmt, bei vielen            40, 55 bzw. 70 Prozent der Primärener-        hält der Wissenschaftler für sinnvoll.
    wärmegedämmten Gebäuden reichen               gie des referenzgebäudes verbraucht“,         „Wir brauchen diese Flächen dringend
    die dämmstandards nicht aus.                  fordert der experte vom Öko-Institut.         für die energiegewinnung.“
50 milliOnen bis 2030 - Wie gelingt die Wärmewende? - Öko-Institut
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Bereits seit anfang 2021 werden zudem       plan. In diesem bewerten energiebe-        Politikinstrumenten unter anderem
die Treibhausgasemissionen, die beim        rater und -beraterinnen den gesamten       auch konsequente Nachwuchs- und
Heizen entstehen, mit einem CO2-Preis       Sanierungsbedarf eines Hauses und in       Umschulungsprogramme im Hand-
von zunächst 25 euro pro Tonne ver-         welchen Schritten die Sanierung sinn-      werk, eine Förderung regionaler Be-
sehen. Bis 2025 steigt der Preis auf 55     voll umgesetzt werden kann. „Wenn je-      ratungsnetzwerke, Mindestquoten an
euro. ein Instrument, das aus Sicht des     mand eine Förderung für nur eine ein-      erneuerbaren energien für Wärmenetz-
Öko-Instituts noch weiterentwickelt         zelne Maßnahme beantragt – etwa für        betreiber sowie eine anpassung des
werden muss. „Wichtig ist eine weitere,     die dachsanierung oder den Heizungs-       regulierungsrahmens für die Fernwär-
sukzessive erhöhung des CO2-Preises         austausch – sollte er den Zuschlag nur     me oder auch eine verpflichtende Wär-
bei einer gleichzeitigen Senkung des        bekommen, wenn ein Sanierungsfahr-         meplanung für Kommunen (siehe hierzu
Strompreises“, sagt Bürger. Letzteres       plan vorliegt“, erklärt der experte, „so   ausführlich „Hier Einzelheizung, da Fern-
sei notwendig, um bei Hauseigentü-          wird verhindert, dass einzelne Maßnah-     wärme“ auf Seite 10).
mern und Hauseigentümerinnen die            men durchgeführt werden, die später
anreize zu vergrößern, Wärmepumpen          vielleicht nicht mit weiteren Sanie-
einzusetzen, die eine der Schlüsseltech-    rungsschritten harmonieren.“                      AUSSTIEG MIT FOLGEN
nologien der Wärmewende darstellen.
„In der Heizkostenverordnung sollte
zudem festgelegt werden, dass durch                   WEGWEISER                        eine wichtige Frage, die noch nicht ge-
den CO2-Preis in vermieteten Gebäu-              FÜR DIE WÄRMEWENDE                    löst ist, ist für den Wissenschaftler auch
den nicht allein die Mietenden belastet                                                jene nach der Zukunft des erdgasnet-
werden, sondern auch die Besitzenden,                                                  zes. „Wenn Gasheizungen verboten
da sie die Sanierungsentscheidungen         Im Projekt „Systemische Herausforde-       werden, gibt es mit dem Gasverteilnetz
treffen.“                                   rung der Wärmewende“ für das Um-           eine Infrastruktur, die nach und nach
                                            weltbundesamt hat sich das Öko-Ins-        überflüssig wird. Bislang wird dieser
Sinnvoll ist es auch, fossile energien im   titut gemeinsam mit dem Fraunhofer-        Frage noch viel zu wenig Beachtung
Heizungskeller langfristig zu verbieten.    Institut für Solare energiesysteme ISe     geschenkt, das muss sich dringend än-
„ab 2026 gibt es bereits ein Verbot für     und dem Hamburg Institut ausführlich       dern. der ausstieg aus dieser Infrastruk-
neue, reine Ölheizungen – eine solche       der Wärmewende gewidmet. „Hier ha-         tur muss strategisch angegangen wer-
entscheidung braucht es nun auch für        ben wir einen Fahrplan entwickelt, wie     den, hier braucht es auch Konzepte, wie
erdgasheizungen.“ Öl- und Gaskessel         die Sanierungsraten steigen müssen, ab     das reguliert werden kann.“ Viele Gas-
können auch mit erneuerbaren energi-        wann Verbote für Öl- und Gasheizun-        versorger argumentierten, man könne
en kombiniert werden, so etwa in Form       gen gelten sollten und die Fernwärme       das Netz langfristig für Wasserstoff nut-
einer sogenannten Hybrid-Wärmepum-          CO2-ärmer werden muss“, sagt Bürger,       zen. „dessen Verfügbarkeit ist aber be-
pe. aus Sicht des stellvertretenden Be-     „erarbeitet haben wir diesen Fahrplan      grenzt und Wasserstoff ist viel zu teuer,
reichsleiters muss dabei sichergestellt     vom Ziel her, dem klimaneutralen           um ihn als Heizenergie einzusetzen“, so
werden, dass die einsatzzeit des fossilen   Gebäudebestand.“ Betrachtet wurden         der Wissenschaftler vom Öko-Institut.
Kessels auf die besonders kalten Tage       außerdem die relevanten akteurinnen        „deswegen wird das erdgasverteilnetz
im Jahr beschränkt wird.                    und akteure im Wärmemarkt sowie die        langfristig deutlich an Bedeutung ver-
                                            rolle der Wärmenetze für die Wärme-        lieren.“
Nicht nur eine Kombination aus for-         wende. Zusätzlich hat das Projektteam
dernden und fördernden Instrumenten         eine Instrumenten-roadmap entwi-                                        Christiane Weihe
ist sinnvoll, auch das Zusammenspiel        ckelt, die Gesetze und Förderprogram-
von fördernden und informierenden           me skizziert, mit denen dieser Fahrplan
elementen kann sich lohnen: beim            umgesetzt werden kann. dazu gehören
gebäudeindividuellen Sanierungsfahr-        neben den meisten zuvor erläuterten

                                                                                        Die nachhaltige Transformation des Wärmesek-
                                                                                        tors steht im Mittelpunkt der Arbeit von Dr. Veit
           NEUE, REINE                                                                   Bürger. Der Physiker und Energiewirtschaftler

Ölheizungen
                                                                                        entwickelt, bewertet und evaluiert entsprechen-
                                                                                       de Politikinstrumente, insbesondere mit Blick auf
                                                                                          die energetische Modernisierung des Gebäu-
                                                                                          debestandes sowie die Dekarbonisierung der
                                                                                       Wärmeversorgung. In seinen Projekten widmet er
                                                                                       sich der Wärmewende auf europäischer, nationa-
           SIND AB 2026 VERBOTEN                                                                    ler und regionaler Ebene.
                                                                                                        v.buerger@oeko.de
50 milliOnen bis 2030 - Wie gelingt die Wärmewende? - Öko-Institut
10 IM FOKUS

hier
einzelheizung,
da fernwärme

   Kommunale                                 Die kommunale Wärmeplanung ist
                                             eine langfristige Strategie zum Um-
                                                                                        wie Geo- und Solarthermie oder Bio-
                                                                                        masse ebenso wie in Hinsicht auf die
                                             bau der Wärmeversorgung als Teil der       Abwärme etwa von industriellen oder
   Wärmeplanung                              nachhaltigen Stadtentwicklung. Dabei
                                             betrachtet jede Kommune, wie sich ihr
                                                                                        Müllverbrennungsanlagen.“ Auf dieser
                                                                                        Grundlage wird eine kommunale Wär-
                                             Wärmesektor unter Berücksichtigung         meplanung entwickelt, die die langfris-
                                             der jeweiligen Voraussetzungen vor Ort     tige Wärmeversorgung festlegt. Wichtig
   Erdgas oder Heizöl – das schienen lan-    entwickeln und dabei klimaneutral wer-     ist dabei, dass die Planungsprozesse
   ge Zeit fast die einzigen Optionen im     den kann. „Dafür braucht es zunächst       gut aufeinander abgestimmt und alle
   Heizungskeller. Heute sind die Optio-     eine Bestandsaufnahme des aktuellen        relevanten Akteurinnen und Akteure
   nen vielfältiger. Je nach Ort und Regi-   Wärmebedarfs und der bestehenden           – etwa aus Stadtwerken und der Stadt-
   on kann sich Geothermie, Solarther-       Infrastruktur sowie Szenarien zu mög-      planung, von Umwelt- und Tiefbau-
   mie oder auch industrielle Abwärme        lichen zukünftigen Entwicklungen“, er-     ämtern – einbezogen werden. „Dies
   lohnen. Ein übergeordnetes Konzept,       klärt Benjamin Köhler, Senior Research­    ermöglicht, die Wärmeversorgung inte-
   welche Art der Wärmeversorgung in         er am Öko-Institut.                        griert, langfristig, effizient und nachhal-
   unterschiedlichen Kommunen und                                                       tig zu gestalten.“
   Quartieren am sinnvollsten und nach-      Hier ist sehr viel Detailwissen gefragt:
   haltigsten ist, fehlt jedoch bislang.     über den Sanierungsstand der Gebäu-
   Dies soll sich nun in Baden-Württem-      de, die Art der Heizanlagen und die              Vorreiter Dänemark
   berg ändern: Hier wurden große Kreis-     ganz konkreten Versorgungsstruktu-
   städte und Stadtkreise im Rahmen          ren. Betrachtet werden dabei einzelne
   des novellierten Klimaschutzgesetzes      Quartiere, Straßen, manchmal sogar         In Dänemark begann die kommunale
   2020 dazu verpflichtet, eine kommu-       einzelne Gebäude. Geprüft wird auch,       Wärmeplanung schon vor vielen Jahr-
   nale Wärmeplanung anzustoßen. Und         wo es Freiflächen etwa für Solarthermie    zehnten: Nach den Ölkrisen 1973 und
   damit der Klimaneutralität auch in        gibt. „Zusätzlich betrachtet die Kommu-    1979 wollte sich das Land unabhängiger
   Sachen Wärme einen entscheidenden         ne, welche Wärmepotenziale bestehen        von Energieimporten machen. „Wärme-
   Schritt näher zu kommen.                  – mit Blick auf erneuerbare Energien       netze waren hier eine zentrale Chance,
11

daher wurden sie anhand von Wärme-         freiwillig tun und hierfür Fördermittel       Ländern lernen können. „eine wichtige
plänen weiter ausgebaut, zunächst vor      beantragen. „Leider ist das Klimaschutz-      Frage ist dabei auch, wie die Bundesre-
allem in Ballungsgebieten. Gleichzeitig    gesetz bezüglich der Umsetzung vage,          gierung überhaupt aktiv werden kann
hat man Ölheizungen etwa durch Steu-       das ist ein risiko“, so Benjamin Köhler.      – etwa mit Blick auf gesetzliche Ver-
ern und abgaben teurer gemacht“, sagt      Festgelegt sei bisher nur, dass innerhalb     pflichtungen. Grundsätzlich kann den
Köhler. damit keine monopolistischen       von fünf Jahren nach Veröffentlichung         Kommunen hier nichts vorgeschrieben
Strukturen entstehen, gehören fast         eines Plans fünf Maßnahmen begon-             werden, daher analysieren wir, ob und
alle Fernwärmeversorger den Kommu-         nen sein müssen. „Wichtig ist, dass der       wie die kommunale Wärmeplanung
nen oder Genossenschaften. Gewinne         Wärmeplan in konkrete kommunalpo-             dennoch etabliert werden kann.“ Mög-
müssen wieder zurückfließen, es gibt       litische entscheidungen mündet und            lich sei dies etwa über Verpflichtungen
strenge Transparenzkriterien. die Wär-     zum Beispiel Grundlage für die Festle-        von der Landes- auf die kommunale
meplanung hat aber nicht nur zu einem      gung der Wärmeerzeugungsstruktur              ebene. Baden-Württemberg habe hier
ausbau der Fernwärme beigetragen,          in Neubau- oder Sanierungsgebieten            zudem eine Vorbildfunktion, andere
sondern auch zu Gebäudesanierungen         wird. außerdem muss sichergestellt            Länder dürften nachziehen.
und dem einbau emissionsärmerer            werden, dass die Wärmepläne in Sum-
oder -freier Heizungen in Gebieten ge-     me konsistent sind und nicht jede Kom-
führt, in denen der auf- oder ausbau       mune ausschließlich etwa auf Biomasse               DIVERS UND VIELFÄLTIG
der Fernwärme nicht die effizienteste      setzt. denn hierfür reichen die Potenzi-
und günstigste Option war oder noch        ale nicht aus.“
ist. Heute hat fast jede Kommune einen                                                   Beim Blick in die Zukunft der Wärme-
Wärmeplan und das Land gibt seine er-      auch Hamburg hat bereits ein so ge-           versorgung sieht der Senior researcher
fahrungen im deutsch-dänischen aus-        nanntes Wärmekataster erstellt, um            vom Öko-Institut nicht nur ein stei-
tausch an die Bundesrepublik weiter.       Informationen zu Wärmebedarf und              gendes engagement bei der Wärme-
auch mit Blick auf weiterhin bestehen-     -versorgung zusammenzutragen, in              planung. er erwartet, dass die Frage,
de Herausforderungen. „Mehr Fernwär-       anderen Bundesländern ist man noch            welche energie für Heizung und Warm-
me heißt natürlich nicht automatisch:      nicht so weit. „In Schleswig-Holstein         wasser sorgt, in den nächsten Jahrzehn-
mehr Nachhaltigkeit. derzeit gibt es in    steht die kommunale Wärmeplanung              ten deutlich diverser und abhängiger
dänemark viel Holz- und Müllverbren-       auf freiwilliger Basis im Klimaschutzge-      von den lokalen Voraussetzungen sein
nung, aber auch noch Kohle. es wird        setz, Bayern konnte sich bei der Novelle      wird; mit entsprechenden positiven
daran gearbeitet, wie die anteile von      seines Klimaschutzgesetzes leider nicht       Wirkungen auf die lokale und regionale
Wärmepumpen, Geo- und Solarthermie         zu einer verpflichtenden kommunalen           Wertschöpfung. „In manchen Städten
steigen können.“                           Wärmeplanung durchringen.“ die kom-           wie Karlsruhe oder Hamburg wird man
                                           munale Wärmeplanung steckt noch               die abwärme der Industrie nutzen, in
einen sinnvollen ansatz sieht Benjamin     in den Kinderschuhen, sagt Benjamin           München wird in Zukunft die tiefe Geo-
Köhler auch in der österreichischen        Köhler. es gebe wenige übergreifende          thermie eine wichtige rolle spielen“,
energieraumplanung in Salzburg, Wien       und strategische ansätze, die meisten         sagt Benjamin Köhler. die Zeit von erd-
und der Steiermark, die strukturiert       Bundesländer setzen keine verpflich-          gas und Heizöl als einzige Optionen im
energieangebot und -nachfrage be-          tende Wärmeplanung um. „es wird               Heizkeller wird dann lange vorbei sein.
trachtet. Im Fokus steht hier die Frage,   nach wie vor viel auf Freiwilligkeit und
wie Flächen für die Produktion von er-     anreize über Förderungen gesetzt – so                                      Christiane Weihe
neuerbaren energien gesichert und ge-      wie bislang auch bei der Gebäudesanie-
nutzt werden können. „Flächen sind ein     rung“, sagt Köhler. „Zusätzlich ist es hier
zentraler Faktor für die Wärmewende“,      schwer, bundesweite regelungen zu
sagt der Senior researcher, „wir brau-     schaffen, weil die Wärmeplanung nun
chen sie für die Solarthermie und Wär-     mal eine kommunale beziehungsweise
mespeicher ebenso wie für Bohrungen        lokale oder regionale aufgabe ist.“
für die Geothermie oder anlagen, die
überschüssigen erneuerbaren Strom in       Wie das Thema weiter vorangetrieben
Wärme umwandeln.“                          werden kann, damit beschäftigt sich
                                           das Öko-Institut derzeit gemeinsam mit
                                           mehreren Projektpartnern in einer ana-
      LÄNDERSACHE WÄRME                    lyse für das Bundeswirtschaftsministe-            Benjamin Köhler beschäftigt sich am Öko-
                                           rium und die Bundesstelle für energie-        Institut mit vielen unterschiedlichen Facetten der
                                           effizienz, die sich der energiewende im        Wärmewende. Er widmet sich energieeffizienten
                                           Wärmebereich widmet. ein zentraler             Gebäuden und klimaangepasstem Bauen eben-
Baden-Württemberg ist nun das erste
                                                                                         so wie der technisch-wirtschaftlichen Bewertung
deutsche Bundesland, das eine kommu-       aspekt des Projektes ist es, einen Über-        von Gebäuden und Gebäudeenergiesystemen.
nale Wärmeplanung verpflichtend ein-       blick über den Status quo zu erhalten.           Darüber hinaus befasst sich Köhler, der einen
geführt hat. Städte ab 20.000 einwoh-      Zu analysieren, in welchen Landesge-          Master in Energie- und Umweltmanagement be-
nerinnen und einwohnern müssen bis         setzen die kommunale Wärmeplanung              sitzt, unter anderem mit politischen Instrumen-
                                                                                          ten für eine sozial ausgestaltete Transformation
ende 2023 einen entsprechenden Plan        bereits verankert ist, welche Pläne es                        des Gebäudesektors.
erstellen, weitere Städte können dies      hierfür gibt und was wir von anderen                           b.koehler@oeko.de
12 IM FOKUS I INTerVIeW

wOhnfläche ist
 eine ressOurce
   Verbietet das Bauen! – mit diesem             lich. energieeffizienz alleine wird für       Welche Potenziale hat dieses Modell?
   programmatischen Titel sprach sich            die Wärmewende nicht ausreichen. Wir          Wenn man sich die Stellen anschaut,
   Daniel Fuhrhop 2015 deutlich ge-              haben allerdings in deutschland einen         die das am besten betreiben, sieht man
   gen Neubauten aus. Denn aus Sicht             effekt, dass viele ältere Menschen in zu      sehr hohe Vermittlungszahlen. So gibt
   des Wirtschaftswissenschaftlers lässt         groß gewordenen Wohnungen wohnen              es zum Beispiel eine kleine wallonische
   sich der Nachfrage nach Wohnraum              – etwa, wenn die Kinder ausgezogen            Organisation, die in und um Brüssel he-
   auch durch geschickt genutzte Alt-            sind. dieses Problem verschärft sich mit      rum Wohnpaare vermittelt. 2019 gab es
   bauten begegnen. Derzeit begleitet            der Überalterung unserer Gesellschaft.        in Brüssel 330 neue Wohnpaare, dazu
   Daniel Fuhrhop an der Carl von Os-            andererseits möchten manche der älte-         kamen 120 weitere in kleineren walloni-
   sietzky Universität Oldenburg ein             ren Menschen gar nicht allein im Haus         schen Städten. Wenn man diesen erfolg
   Forschungsprojekt, das sich einer             wohnen.                                       entsprechend der Bevölkerungszahl auf
   optimierten Wohnraumnutzung und                                                             deutschland übertragen würde, käme
   neuen Wohnmodellen widmet. Im In-             Wie können Wohnflächen besser ge-             man auf über 7.000 neue Wohnpaare
   terview mit eco@work spricht der ehe-         nutzt werden?                                 jährlich. Leider sind wir hierzulande
   malige Verleger über die Entwicklung          Wichtig ist es zum Beispiel, Leerstand zu     aber meilenweit davon entfernt, das
   der Wohnflächen ebenso wie über An-           erfassen – das dürften derzeit etwa zwei      vorhandene Potenzial auszuschöpfen.
   sätze für flächensparendes Wohnen.            Millionen Wohnungen sein – und ihn
   Und natürlich auch über die Frage, wa-        wieder zu beleben. eine der Hauptauf-         Wer sollte sich darum kümmern, sol-
   rum man Neubauten aus seiner Sicht            gaben des flächensparenden Wohnens            che Modelle voranzutreiben?
   fast nicht mehr braucht.                      ist aus meiner Sicht aber, die Vielfalt der   Grundsätzlich ist es eine aufgabe für Po-
                                                 Wohnungswünsche und Lebensstile               litik und Verwaltung in Bund, Land und
   Daniel Fuhrhop, wie entwickeln sich           zu berücksichtigen und zu unterstüt-          Kommunen. Bislang wurde Wohnen
   die Wohnflächen in Deutschland?               zen. dazu gehört zum Beispiel, jenen          von öffentlichen Stellen nur als soziales
   Grundsätzlich wachsen sie, weil die Zahl      zu helfen, die gerne flächensparender         Thema betrachtet. es wird Zeit, dass der
   der neu gebauten Wohnungen konti-             wohnen wollen und ihnen unterschied-          enorme effekt von Wohnflächen auf das
   nuierlich höher ist als man es für den        liche Optionen anzubieten. das kann           Klima stärker ins Bewusstsein und in
   reinen Bevölkerungszuwachs bräuchte.          etwa sein, in eine kleinere Wohnung           den Fokus rückt. dann braucht es aber
   So ist zwischen 1993 und 2018 die Zahl        umzuziehen ebenso wie vorhandene              strategische und gebündelte Maßnah-
   der Wohnungen von 35 auf 42 Millionen         Wohnungen umzubauen und so etwa               men, ein ganzheitliches Programm.
   gestiegen, obwohl sich die Zahl der ein-      einliegerwohnungen zu schaffen, aber
   wohnerinnen und einwohner in dieser           auch die Untervermietung oder das             Vielen Dank für das Gespräch.
   Zeit nur um knapp zwei Millionen er-          Zusammenwohnen mit anderen Men-               das Interview führte Christiane Weihe.
   höht hat. Natürlich gibt es dafür Gründe      schen sind Optionen. Hier gibt es viele
   wie etwa kleinere Haushaltsgrößen und         tolle und erprobte Modelle.
   den erhöhten Bedarf in Boom-Städten
   – aber alleine damit lässt sich so ein Zu-    An der Universität Oldenburg befas-
   wachs nicht rechtfertigen. In vielen re-      sen Sie sich gerade intensiv mit einem
   gionen wird mehr gebaut als eigentlich        solchen Modell.
   sinnvoll wäre.                                das stimmt. es steht unter der Über-
                                                 schrift „Wohnen für Hilfe“ – dieses kann
   Warum sollten Neubauten reduziert             zum Beispiel so aussehen, dass ein jun-
   werden?                                       ger Student ein Zimmer bei einem ver-
   Weil Wohnfläche eine wichtige ressour-        witweten rentner bezieht, dafür nicht
   ce ist, mit der wir aus energie- und Klima-   bezahlt, sondern aufgaben übernimmt.
   gesichtspunkten nicht verschwende-            also die Wäsche wäscht, den rasen
                                                                                                 Im Interview mit eco@work: Daniel Fuhrhop,
   risch umgehen sollten. Bau und Betrieb        mäht oder den Gartenzaun neu streicht.
                                                                                               Autor und Wirtschaftswissenschaftler an der Carl
   von Gebäuden sind für etwa vierzig            Um die Wohnpaare zusammenzubrin-                    von Ossietzky Universität Oldenburg
   Prozent der Treibhausgase verantwort-         gen, braucht man Vermittlungsstellen.                     post@daniel-fuhrhop.de
IM FOKUS I POrTrÄTS 13

                                                        Dr. Veit Bürger
          Patrizia Renoth                    Stellvertretender Bereichsleiter am                     Dr. Max Peters
energieplanerin im dänischen Holbæk                      Öko-Institut                          Leiter Kompetenzzentrum
                                                                                                      Wärmewende
ein kleines Land kann beim Klimawan-       Wäre eine Wärmepumpe sinnvoll? Oder
del viel bewirken. Indem es erfahrun-      doch lieber ein Pelletkessel? Wenn es        Wie sieht die Zukunft der Wärmeversor-
gen teilt, so wie dänemark, und indem      um eine neue ausstattung für den Heiz-       gung zwischen Odenwald und Boden-
es Menschen genau damit beauftragt,        keller geht, holen sich seine Bekannten      see aus? Bei der Beantwortung dieser
so wie Patrizia renoth. „dänemark hat      oft einen ratschlag von dr. Veit Bürger.     Frage wird dr. Max Peters in nächster
bereits in den 1980er Jahren mit der       er ist zwar kein Heizungstechniker, aber     Zeit eine wichtige rolle spielen. denn er
kommunalen Wärmeplanung begon-             ein experte für die Wärmewende. Und          ist experte für kommunale Wärmepla-
nen. Nun soll dies ja auch in Baden-       so kennt er sich mit effizienten Techno-     nung, die in Baden-Württemberg nun
Württemberg umgesetzt werden, wir          logien ebenso aus wie mit den Potenzi-       für größere Städte verpflichtend ist. „Sie
haben die dortige Landesenergieagen-       alen erneuerbarer energien für Heizung       müssen unter anderem den Wärme-
tur bei der Vorbereitung unterstützt“,     und Warmwasser oder sinnvollen Maß-          bedarf und die vorhandene Infrastruk-
sagt sie. den deutsch-dänischen er-        nahmen der Gebäudesanierung.                 tur ermitteln, Potenziale erneuerbarer
fahrungsaustausch hat renoth als Be-                                                    energien erheben und eine lokale Wär-
raterin der dänischen energieagentur             „Für die Wärmewende ist                mewendestrategie hin zur Klimaneutra-
begleitet, seit anfang 2021 arbeitet sie                                                lität bis 2050 entwerfen“, sagt der Leiter
                                              die nächste Legislaturperiode
als energieplanerin in Holbæk, „um ins                                                  des Kompetenzzentrums Wärmewende
konkrete Handeln zu gehen“. Holbæk ist                 entscheidend.“                   bei der Landesenergieagentur. Gemein-
eine der letzten dänischen Kommunen                                                     sam mit seinem Team unterstützt er alle
ohne etabliertes Fernwärmenetz im          dabei sieht der stellvertretende Leiter      Kommunen im Land dabei, durch direk-
Stadtgebiet.                               des Bereichs energie & Klimaschutz           te Beratungen und einen Handlungs-
                                           auch: es reicht noch lange nicht. „In den    leitfaden.
     „Zwei Drittel der dänischen           vergangenen Jahren ist bei der Wärme-
                                           wende viel zu wenig passiert. da wir                  „Wärmeplanung ist
 Haushalte beziehen Fernwärme.“
                                           es mit einem sehr trägen Sektor zu tun
                                                                                                  Daseinsvorsorge.
                                           haben, müssen in der nächsten Legis-
Ursprünglich sollte die dänische Wär-      laturperiode weitere wirkungsvolle ent-         Sie ist immer lokal verankert!“
meplanung dazu dienen, unabhängig          scheidungen getroffen werden, um der
vom Öl zu werden. Inzwischen liegt         Wärmewende das Momentum zu verlei-           „derzeit ist Baden-Württemberg noch
der Fokus darauf, wie sie bestmöglich      hen, das angesichts der Klimaziele not-      weit von einer echten Wärmewende
zu Klimazielen beitragen kann. „der-       wendig ist.“ doch Bürger ist optimistisch,   entfernt“, so Peters, „der anteil erneuer-
zeit stammt die Wärme zu etwa zwei         dass es Bewegung bei der Wärmewende          barer energien im Wärmebereich liegt
dritteln aus erneuerbaren energien,        gibt. „Klimaschutz ist durch Fridays For     unter 20 Prozent, die Sanierungsquote
überwiegend aus Biomasse. In Zukunft       Future wieder ein wichtiges Thema ge-        ist niedrig.“ die kommunale Wärme-
sollen der anteil von Windenergie und      worden und auch die Politik widmet der       planung ist für ihn zentral, um eine be-
die Zahl der Wärmepumpen steigen,          Wärmewende viel mehr aufmerksam-             lastbare Grundlage für den Wandel zu
die Möglichkeiten der Geothermie wer-      keit als noch vor zehn Jahren.“              legen. Nicht zuletzt, weil sie aufgaben
den untersucht.“ Für Patrizia renoth ist                                                verknüpft. „Wärmeplanung kann und
es eine zentrale Herausforderung der       auch mit Blick auf das Freiburger Büro       muss zusammen mit den aufgaben der
dänischen energiewende, wie Sektoren       des Öko-Instituts muss Veit Bürger übri-     Stadtplanung gedacht werden.“ Für die
verbunden und neue Technologien in-        gens ab und zu Fragen zu Gebäudehül-         Zukunft sieht er eine große Vielfalt von
tegriert werden können. „Spannend fin-     le und Heiztechnik beantworten. das          Wärmequellen. „es wird unter anderem
de ich zum Beispiel die Frage, wie man     tut er gerne: das sehr gut gedämmte          die Nutzung von Umweltwärme und
abwärme aus rechenzentren sinnvoll         Haus wird mit Nahwärme aus einer Bio-        tiefer Geothermie geben, aber auch So-
nutzen kann.“                       cw     masseanlage versorgt.               cw       larthermie und etwas Biomasse.“        cw

patrn@holb.dk                              v.buerger@oeko.de                            max.peters@kea-bw.de
14 ARBEIT I AKTUELL

   Strategien für Südostasien
   Konsum und Nachhaltigkeit in Einklang     von Umweltzeichen und umwelt-              packungen in Asien“ widmet sich das
   zu bringen, ist nicht nur in Europa,      freundlicher öffentlicher Beschaffung in   Öko-Institut dem schnell wachsenden
   sondern auch in den aufstrebenden
   ­                                         fünf asiatischen Ländern“, das im Rah-     Aufkommen von Plastikabfällen in asia-
   Ländern in Südostasien eine schwieri­-    men der Internationalen Klimaschutzini­    tischen Ländern. „Viele Länder bemü-
   ge Aufgabe. „Das Wirtschaftswachstum      tiative des Bundesumweltministeriums       hen sich um eine verbesserte Kreislauf-
   in der Region ist ungebrochen und da-     von der Gesellschaft für Internationale    wirtschaft“, sagt Prakash, „dennoch gibt
   mit steigen auch die Zahl der kon­        Zusammenarbeit (GIZ) gefördert wird.       es zum Beispiel in Thailand, Malaysia
   sumorientierten Mittelschichtshaushal-    „Wir beraten Behörden, Unternehmen         und Indonesien keine umfassenden
   te ­sowie die Nachfrage nach Gütern       und wissenschaftliche Einrichtungen in     Konzepte zur Abfallvermeidung.“ Geför-
   und ­Dienstleistungen kontinuierlich“,    Vietnam, Kambodscha, Myanmar, Bhu-         dert von der GIZ im Rahmen der Export-
   sagt ­­Siddharth Prakash, Senior Re­      tan und Laos zu umweltfreundlicher öf-     initiative Umwelttechnologien des Bun-
   search­ er am Öko-Institut, „gerade in    fentlicher Beschaffung – ein wesentli-     desumweltministeriums         unterstützt
   den ärmeren südostasiatischen Län-        cher Hebel, um einen Markt für nach-       das Öko-Institut diese Länder noch bis
   dern gibt es aber keine Strategien, wie   haltige Produkte und Dienstleistungen      Februar 2023 dabei, Kunststoffverpa-
   nachhaltige Konsum- und Produktions-      zu fördern – sowie zu Umweltzeichen.“      ckungen zu reduzieren – so etwa durch
   muster gefördert werden können. In        Teil des Projektes, das noch bis Dezem-    die Entwicklung von ordnungsrechtli-
   unseren Projekten unterstützen wir die    ber 2023 läuft, ist es auch, regulatori-   chen Politikmaßnahmen und techni-
   Länder in der Region, Politikinstrumen-   sche Prozesse zu begleiten, Schulungen     schen Standards zur Förderung des
   te für den nachhaltigen Konsum zu ent-    für Schlüsselakteure und -akteurinnen      Kunststoffrecyclingmarktes, die Etablie-
   wickeln und zu implementieren.“           zu unterstützen und Potenzial zur Har-     rung einer erweiterten Herstellerver-
                                             monisierung von Umweltzeichen zwi-         antwortung oder auch die Unterstüt-
                                             schen den Ländern zu identifizieren.       zung von kommunalen Pilotprojekten,
             Wirksame                        Dabei arbeitet das Projektteam eng mit     die sich Mehrweglösungen widmen.
        Nachhaltigkeitshebel                 Partnerinnen und Partnern vor Ort zu-      „Unser Ziel ist, gemeinsam mit Akteu-
                                             sammen.                                    rinnen und Akteuren vor Ort eine De-
                                                                                        batte über die Wirkung von politischen
   Das Öko-Institut gibt sein Wissen bei                                                Instrumenten zur Kunststoffverpa-
   der Konzeption und Umsetzung von           Circular Economy fördern                  ckungsreduktion anzustoßen und lang-
   ambitionierten     produktbezogenen                                                  fristige Lösungen für eine Kreislaufwirt-
   Umweltstandards weiter – so im Projekt                                               schaft zu finden.“                    cw
   „Transformation von Produktions- und      Im Projekt „Nachhaltige Lösungsansät-
   Verbrauchsmustern durch Stärkung          ze zur Reduzierung von Kunststoffver-
15

Schnelle
Infrastrukturen
Mit Blick auf ihre Infrastruktur steht die energiewende vor
einem dilemma: der dringend benötigte ausbau etwa von
Stromtrassen oder Windenergieanlagen (Wea) geht nicht
schnell genug voran, gleichzeitig gibt es langwierige Pla-
nungsverfahren, die häufig gerichtlich überprüft werden.
„Oftmals wird die Schuld für den verzögerten ausbau von
Infrastrukturen – insbesondere mit Blick auf die Windener-
gie – in den Beteiligungs- und Klagerechten sowie dem
massiven Widerstand vor Ort ausgemacht“, sagt Silvia
Schütte, Senior researcher am Öko-Institut. Im eigenfinan-
zierten Projekt „energiewende möglich machen: Infrastruk-
turen zügig und nachhaltig realisieren“ analysiert die Wis-
senschaftlerin nun, was an diesem Vorwurf dran ist. „Wir
betrachten keine einzelfälle, sondern die Frage, warum und
an welchen Stellen Verfahren grundsätzlich verzögert wer-
den. es greift aus unserer Sicht zu kurz, die Schuld alleine
bei der Beteiligung zu suchen. denn es ist ja durchaus mög-
lich, dass Vorhaben wegen einer fehlerhaften Planung
scheitern. Und wenn sie fehlerhaft waren, müssen wir uns
fragen: Woran lag es?“ das Projektteam skizziert die Hemm-
nisse in den Verfahren, bewertet die bestehenden Beteili-
gungsverfahren sowie die aktuelle Gesetzgebung. „darüber
hinaus entwickeln wir Vorschläge, wie sich die Verfahren
verbessern und beschleunigen lassen ohne abstriche bei
der inhaltlichen auseinandersetzung zu machen“, so Silvia
Schütte. das Kurzgutachten erscheint im Juli 2021.      mas

Energiewende,
sozial gerecht                                                   Einfacher erneuerbar
Wie werden steigende energiepreise in der Gesellschaft ver-      Wie können die Genehmigungen und administrativen Pro-
teilt? Wie können alle Bürgerinnen und Bürger an den Vor-        zesse für neue erneuerbare-energien-anlagen vereinfacht
teilen von Klimaschutzmaßnahmen teilhaben? Oder anders           werden, so wie es die aktualisierte erneuerbare-energien-
gefragt: Wie lässt sich die energiewende sozial gerecht ge-      richtlinie vorsieht? diese Frage steht im Mittelpunkt des
stalten? diese Frage steht im Mittelpunkt des Projektes „Ver-    neuen Projektes „reS Simplify“ für die europäische Kommis-
teilungswirkungen und soziale Folgewirkungen klimapoliti-        sion. „Bis 2030 sollen 32 Prozent des energieverbrauchs der
scher Maßnahmen in den Bereichen Wohnen und Mobilität“           eU aus erneuerbaren Quellen stammen“, sagt dominik See-
für das Bundesministerium für arbeit und Soziales. „Wir be-      bach, Senior researcher im Bereich energie & Klimaschutz,
trachten bestehende Instrumente und entwickeln Vorschlä-         „doch beim ausbau gibt es in ganz europa zahlreiche Hür-
ge, wie solche Maßnahmen sozial verträglich gestaltet wer-       den, die zu fast einem Viertel mit Verwaltungsprozessen
den können“, sagt Projektleiterin Katja Schumacher aus           und dem Netzanschluss verbunden sind. In der Folge stei-
dem Bereich energie & Klimaschutz. „In der Mobilität und         gen die Verzögerungen und zusätzlichen Kosten und es
beim Wohnen gibt es eine starke Verbindung zwischen öko-         kommt nicht immer die aktuellste Technologie zum ein-
logischen und sozialen Zielen, so etwa mit Blick auf steuerli-   satz.“ Gemeinsam mit Solar Power europe und Windeurope
che Privilegien für Besserverdienende, steigende Wohnkos-        sowie unter Leitung der eclareon GmbH analysiert das Öko-
ten nach energetischer Sanierung oder in Hinsicht auf ener-      Institut noch bis april 2023, wie sich das ändern lässt. „Wir
giearmut. Hier gibt es ein hohes Potenzial, soziale              erstellen unter anderem einen Überblick über die aktuellen
auswirkungen solidarisch zu gestalten.“ das Projektteam          Verfahren, stellen positive Beispiele aus Mitgliedsstaaten
widmet sich noch bis ende april 2021 auch vorbildhaften          vor und schlagen Verbesserungen für die Prozesse vor“, so
Maßnahmen aus deutschland und europa und verdeutlicht            der Wissenschaftler.                                      cw
weiteren Forschungsbedarf für eine sozial gerechte ener-
giewende.                                                mas
16 ARBEIT I rÜCKBLICK

   Sozial gerechte
   Mobilität
   Gerecht ist sie oft nicht, die Verkehrspolitik. So profitieren gerade     Digital, regional,
   Menschen mit höheren einkommen häufig von der entfernungspau-
   schale und der dienstwagenbesteuerung. diese Privilegien fördern          nachhaltig
   zusätzlich die Mobilität mit dem auto. doch: eine klimafreundliche
   und sozial verträgliche Verkehrspolitik ist möglich. „Hierfür können      Menschen vernetzen, Lebensmittel bestellen oder
   vorhandene Instrumente genutzt, müssen aber umgestaltet wer-              individuelle Mobilitätslösungen – all dies ist heu-
   den“, sagt ruth Blanck, Senior researcher am Öko-Institut. „Bisher        te über digitale Plattformen möglich. Hiermit sind
   wird der Kauf von elektroautos aus dem allgemeinen Steuerhaus-            mit Blick auf inklusives Wachstum und nachhaltige
   halt finanziert. davon profitieren aber nur die Haushalte, die sich ein   entwicklung eine reihe von Chancen, aber auch
   neues auto leisten können. Stattdessen könnte zur Finanzierung der        risiken verbunden. Im Bereich ernährung gibt es
   Kaufprämien die CO2-Komponente der Kfz-Steuer erhöht werden.“             etwa inzwischen eine Fülle an Plattformen, die sich
                                                                             der Lebensmittelverschwendung annehmen – so
   In der analyse „Impulse für mehr Klimaschutz und soziale Gerechtig-       durch den Verkauf von nicht-normgerechtem Obst
   keit in der Verkehrspolitik“ für den Naturschutzbund NaBU hat das         oder übrig gebliebenen Speisen. „aus wirtschaftli-
   Öko-Institut das Mobilitätsverhalten der deutschen analysiert, unter-     cher und sozialer Sicht bieten sich ebenso Chan-
   schiedliche Instrumente der Verkehrspolitik bewer-                              cen, wenn Plattformen den absatz von regi-
   tet und empfehlungen für eine klimafreund-                                              onalen Produkten zu fairen Preisen für
   liche und sozial verträgliche Mobilität                                                      die erzeugerinnen und erzeuger
   der Zukunft erarbeitet. „Menschen                                                               fördern“, sagt Cara-Sophie-
   mit höheren einkommen sind                                                                          Scherf, Senior researcher
   mobiler und nutzen das auto                                                                           im Bereich Umweltrecht
   deutlich häufiger als jene                                                                              & Governance. Im Be-
   mit niedrigeren einkom-                                                                                   reich Mobilität hat
   men – sie besitzen auch                                                                                    sich       wiederum
   deutlich häufiger ein ei-                                                                                    gezeigt, dass die
   genes auto“, erklärt die                                                                                      Nachhaltigkeit
   Wissenschaftlerin aus                                                                                          stark von der an-
   dem Bereich ressour-                                                                                            gebotenen Mo-
   cen & Mobilität.                                                                                                bilitätsdienst-
                                                                                                                   leistung selbst
   darüber hinaus profi-                                                                                           abhängt.      So
   tieren jene mit höhe-                                                                                           macht es etwa
   ren einkommen häu-                                                                                             einen     Unter-
   fig von Instrumenten                                                                                          schied, inwiefern
   der Verkehrspolitik – so                                                                                     die Plattformen
   etwa Steuervorteilen bei                                                                                   auf den ÖPNV oder
   der dienstwagenbesteu-                                                                                    elektromobilität set-
   erung. „etwa 20 Prozent der                                                                             zen.
   neu zugelassenen Fahrzeuge
   sind dienstwagen, die auch pri-                                                                    Im rahmen des Projek-
   vat genutzt werden dürfen“, sagt                                                                tes „regGeM:digital“ hat das
   ruth Blanck. „doch nur drei Prozent der                                                     Öko-Institut gemeinsam mit dem
   deutschen Haushalte verfügt überhaupt                                                   Fraunhofer-Institut für arbeitswirt-
   über einen dienstwagen, die meisten von ihnen                                    schaft und Organisation (IaO) sowie dem
   verdienen weit überdurchschnittlich. Geringverdiener sind vollstän-       Institut für arbeitswissenschaft und Technologie-
   dig von dem damit verbundenen Steuervorteil ausgeschlossen.“ Zu-          management der Universität Stuttgart (IaT) ana-
   sätzlich fahren etwa drei von vier dienstwagen mit dieselantrieb, sie     lysiert, inwiefern regionale digitale Plattformen ei-
   sind deutlich stärker motorisiert und teurer als der durchschnitt. „Wir   nen Beitrag zur Mobilitäts- und ernährungswende
   empfehlen daher, dienstwagen deutlich höher zu besteuern – ent-           leisten können. „Mit den gewonnenen erkenntnis-
   sprechend des tatsächlichen Vorteils. “, so die expertin vom Öko-In-      sen soll unter anderem die Wirtschaftlichkeit und
   stitut. „dazu sollten privat gefahrene Kilometer zusätzlich versteuert    Wettbewerbsfähigkeit nachhaltiger regionaler
   werden.“                                                            cw    Plattformen gestärkt werden.“                   mas
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Scharfe Ziele
ambitionierter ist besser: die eU will     ist etwa die Frage, ob Schifffahrt und     Im Policy Paper „Wanted: a New 2030
ihre Treibhausgasemissionen bis 2030       Luftverkehr sowie der Landnutzungs-        Climate Target for the eU. an analysis of
um mindestens 55 Prozent im Ver-           sektor integriert werden.“ Gerade die      key choices for the ambition and scope
gleich zu 1990 reduzieren – statt um       emissionen aus der Schifffahrt und dem     of a 2030 target“ hat das Öko-Institut
40 Prozent wie bislang vorgesehen.         Luftverkehr sind seit 1990 deutlich an-    diese effekte quantifiziert. In den kom-
das hat der europäische rat ende 2020      gestiegen. Um das Ziel zu erreichen,       menden Monaten werden auch die
beschlossen. ein wichtiger Schritt auf     müssen bei deren einbeziehung daher        Weichen gestellt für die politischen
dem Weg zur Klimaneutralität bis 2050.     höhere Minderungen in den anderen          Instrumente, mit denen das neue eU-
„Wie viele emissionen bis 2030 jedoch      Sektoren erreicht werden. Zielführend      Klimaziel erreicht werden soll. „Wichtig
tatsächlich emittiert werden dürfen, ist   ist es aus Sicht der expertin, besonders   ist, dass es weiterhin jährliche emissi-
jetzt stark davon abhängig, wie das Ziel   für den Landnutzungsbereich ein sepa-      onsbudgets und für alle Sektoren klare
definiert wird“, sagt Sabine Gores, Sen-   rates Ziel zu definieren, um dessen Sen-   anforderungen zur emissionsreduktion
ior researcher am Öko-Institut, „zentral   kenwirkung zu erhalten und zu stärken.     gibt.“                               mas

Klimaschutz in der Landwirtschaft
die europäische Landwirtschaft wird ihre Treibhausgasemis-      einen höheren einfluss könnten aus Sicht des Öko-Instituts
sionen kurzfristig kaum verringern, wenn die Gemeinsame         dagegen die neu vorgeschlagenen eco-Schemes haben:
agrarpolitik der eU (GaP) fortgesetzt wird wie bisher. Ohne     Wenn Landwirtinnen und Landwirte zusätzliche Umwelt- und
weitere reduktionen kann die Landwirtschaft 2030 sogar mit      Klimaauflagen erfüllen, erhalten sie höhere Flächenprämien.
einem anteil von bis zu 20 Prozent der emissionen zu einer      „Sofern sie ambitioniert gestaltet werden, können sie die eu-
der größten Quellen von Treibhausgasen der eU werden. das       ropäischen emissionen aus Landwirtschaft und Landnutzung
zeigt die analyse „Verbesserung des Beitrags der Gemeinsa-      weiter senken“, erklärt Senior researcher Kirsten Wiegmann,
men agrarpolitik zum Klimaschutz in der eU“ im auftrag von      „da diese auflagen aber freiwillig sind, wird dieses Potenzial
Germanwatch. Gefördert vom Bundesumweltministerium hat          nur von einem Teil der Betriebe realisiert werden.“ das Öko-
das Öko-Institut darin untersucht, wie die GaP zur emissions-   Institut empfiehlt daher, dass insbesondere europäische Mit-
minderung beitragen kann. „die GaP sieht zum Beispiel zwar      gliedsstaaten mit regional hohen Tierbestandsdichten und
Standards vor, die sich auf einen guten ökologischen und        intensiver landwirtschaftlicher Produktion die eco-Schemes
landwirtschaftlichen Zustand beziehen und knüpft Zahlun-        attraktiv gestalten. „Wichtig ist es aber auch, dass es anreize
gen an entsprechende Verpflichtungen“, sagt Senior resear-      für Konsumentinnen und Konsumenten gibt, denn durch ihre
cher Margarethe Scheffler, „selbst bei einer ambitionierten     ernährungsweise bestimmen sie ebenfalls mit, was und wie
ausgestaltung sind mit den bisher angedachten Standards         die europäische Landwirtschaft produziert“, so Margarethe
aber nur geringe Minderungen möglich.“                          Scheffler.                                                  cw
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