6/2011 Bayerischer Gemeindetag

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6/2011 Bayerischer Gemeindetag
BAYERISCHER GEMEINDETAG • Verband kreisangehöriger Städte,                                                B 6015 E
   Märkte und Gemeinden • Körperschaft des öffentlichen Rechts

                                                                                                          Bayerischer Gemeindetag
 6/2011

 Die Stadt Schwarzenbach an der Saale (Lkr. Hof) ist „Ausgewählter Ort 2011“
 des Wettbewerbs „365 Orte im Land der Ideen“
                                                                               BAYERISCHEN GEMEINDETAGS
                                                                               Die Zeitschrift des

  Der Bayerische Gemeindetag
                  im Internet:
           http://www.bay-
           gemeindetag.de

             Die Geschäftsstelle
   ist gleichzeitig über folgende
     e-mail-Adresse erreichbar:
baygt@bay-gemeindetag.de
6/2011 Bayerischer Gemeindetag
Bayerischer Gemeindetag Inhaltsverzeichnis
                                                          QuintEssenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .          217
                                                          Dr. Busse: Was für Bayerns Städte und
                                                          Gemeinden bei der Energiewende wichtig ist . . . .                                       219
                                                          Dr. Steger: Vertrauen in die Kommunen . . . . . . . . .                                  222
                                                          (Fast) 100 Jahre Bayerischer Gemeindetag . . . . .                                       227
                                                          Politische Gespräche in Abensberg . . . . . . . . . . . . .                              228
                                                          VERWALTUNG Organisationsfragen der Gemeinde . . . . . .                                  235
                                                          PERSONAL Freistellung von kommunalen Mandatsträgern
                                                          nach § 17 der Urlaubsverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                    235
                                                          VERTRAGSWESEN Städtebauliche Verträge . . . . . . . . . . .                              236
                                                          FINANZEN + STEUERN Kommunalfinanzen nach/in
                                                          der Krise? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   237
                                                          UMWELTSCHUTZ „Aktiv für die zukunftsfähige Kommune“ . .                                  237
                                                          KOMMUNALE am 19./20. Oktober 2011 in Nürnberg . . . .                                    238
                                                          UMWELTSCHUTZ Energieeffizienter Neubau
                                                          von Nichtwohngebäuden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                240
                                                          Lotse für effiziente Straßenbeleuchtung . . . . . . . . . . . . . . . .                  241
                                                          Stadt und Fluss: Bayerischer Werkbundtag 2011 . . . . . . . .                            242
                                                          SOZIALES Wertvolle Kinder – teure Alte!? . . . . . . . . . . . . .                       242
                                                          EUROPA Europakongress in St. Florian . . . . . . . . . . . . . . .                       244
                                                          VERSCHIEDENES „Deutschland – Land der Ideen“ . . . . . .                                 244
                                                          ÖFFENTLICHE SICHERHEIT Tag des Sicherheits-
                                                          rechts 2011 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .      245
                                                          KAUF + VERKAUF Kommunalfahrzeuge, Feuerwehrauto,
                                                          Gleitregalanlage, Auf- und Abrollgeräte, Löschgruppen-
                                                          fahrzeug, 8-fach Loch-Ordner, FW-Mehrzweckfahrzeug,
                                                          Traktor, Kommunalfahrzeug, Unimog . . . . . . . . . . . . . . . . .                      246
                                                          LITERATURHINWEISE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                247
                                                          Dokumentation:
                                                          „Entwicklung und Zukunft strukturschwacher
                                                          ländlicher Räume in Bayern“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                        249
                                                          Dokumentation:
                                                          Feuerwehrbeschaffungskartell – Resolution . . . . .                                      253

                                             Übersendung von Gerichtsentscheidungen an die Geschäftsstelle
                                             Die Auskunfts- und Beratungstätigkeit der Geschäftsstelle hängt in einem hohen
                                             Maße davon ab, wie gut der Informationsfluss zwischen Mitgliedskörperschaften
                                             und der Geschäftsstelle ist. Wir bitten deshalb unsere Mitglieder dringend, uns
                                             gerichtliche Entscheidungen umgehend zu überlassen und uns über anhängige
                                             Verfahren bei den Verwaltungsgerichten oder bei den obersten Bundesgerichten
                                             zu informieren, damit andere Mitglieder schnell und zeitnah von diesen Erfah-
                                             rungen profitieren können.
6/2011 Bayerischer Gemeindetag
Bayerischer Gemeindetag • QuintEssenz
                                                                                                 Wichtiges
                                                                                                  in Kürze 217
       Energieversorgung                                                                      Bayerischer Gemeindetag
Die Energiewende                                                                       „Leutenot“
schaffen                                                                               vor 100 Jahren
Durch die Katastrophe in Fukushima ist                                                 In unserer Folge„(Fast) 100 Jahre Bayeri-
ein Thema schlagartig in den Vorder-                                                   scher Gemeindetag“ stellen wir in dieser
grund der politischen Diskussion getre-                                                Ausgabe das zeitlose Thema „demogra-
ten: die Energiewende. Bundesregierung                                                 fische Entwicklung“ unter den besonde-
und Bayerische Staatsregierung wett-                                                   ren Blickwinkel der Jugendpflege vor
eifern darum, die jeweilige Opposition                                                 knapp 100 Jahren dar. Auf Seite 227
in den Parlamenten bei diesem Thema                                                    finden Sie wunderbare Ausführungen
links zu überholen. Waren bislang deut-                                                im Verbandsblatt „Der Bayerische Bür-
sche Kernkraftwerke „die sichersten der                                                germeister“ aus dem Jahre 1913. Schon
Welt“, so scheint man sich derzeit nicht                                               damals wurde intensiv dafür geworden,
schnell genug von Ihnen trennen zu                                                     durch eine intensive Jugendarbeit den
können. Der Ruf nach der sogenannten                                                   jungen Menschen die Vorzüge ihrer Hei-
Energiewende ist zu einem vielstimmi-                                                  mat auf dem Lande nahezubringen. Sie
gen Chor angeschwollen.                                                                sollten dadurch von der Landflucht ab-
Die Gemeinden und Städte können sich         Die handelsüblichen Preise spiegeln       gehalten werden. Man sollte „unserer
dieser Diskussion nicht entziehen. Sie       nicht die Kosten wider, die wirklich      Dorfjugend das Herz für die ländliche
müssen sich selbst fragen, welche Posi-      für den Strom bezahlt werden müs-         Heimat warm machen.“
tion sie in der aktuellen Diskussion ein-    sen. Das geht aus einer Studie des        Was so mit anrührenden Worten be-
nehmen. Die kommunalen Spitzenver-           Forums Ökologisch-Soziale Markt-          schrieben wurde, gilt im Grunde genom-
                                             wirtschaft (FÖS) im Auftrag des
bände veranstalteten dazu eine fünftei-                                                men auch heute noch: Die Großstädte
                                             Energie-Unternehmens Greenpeace
lige Tagungsreihe, um von mit der Ener-                                                und Ballungsräume mögen zwar mit
                                             Energy hervor. Die Studie gibt laut
giepolitik besonders versierten Gemein-                                                Arbeitsplätzen und einem großen kultu-
                                             den Analysten die„wirklichen“ Strom-
den Anregungen zu erhalten. Dr. Jürgen       kosten wieder, die auch die Kosten        rellen Angebot locken. Dennoch sollte
Busse, Geschäftsführendes Präsidialmit-      berücksichtigen, die der Staat mit        der hohe Stellenwert der ländlichen Ge-
glied des Bayerischen Gemeindetags,trug      Förderungen (getragen durch alle          genden für Herz und Seele nicht gering
dabei die vielschichtige Faktenlage zu-      Bürger der Gesellschaft) finanziert.      geschätzt werden. Warum sonst zieht es
sammen und warf entscheidende Fra-           Auch Kosten, die zum Beispiel durch       die Großstädter am Wochenende ge-
gen auf. Auf den Seiten 219 bis 221 ha-      Folgen wie Umweltschäden entste-          radezu magnetisch raus aufs Land?
ben wir seinen Vortrag für Sie abge-         hen, müssten berücksichtigt werden.
druckt.                                      Demnach ist Strom aus Wasserkraft
                                             mit 6,5 Cent pro Kilowattstunde am               Bayerischer Gemeindetag
                                             günstigsten, gefolgt von auf dem
       Demokratie                            Land erzeugter Windenergie mit
                                                                                       Politische Gespräche
Vertrauen in die                             7,6 Cent pro Kilowattstunde. Strom        beim Spargelessen
                                             aus Atomkraft und Kohle liegt zwi-        Auf den Seiten 228 und 229 finden Sie
Kommunen                                     schen 12 und 13 Cent pro Kilowatt-        Impressionen von mehreren Treffen der
                                             stunde. Am teuersten ist Strom aus
Viel ist in den letzten Monaten vom                                                    Repräsentanten des Bayerischen Gemein-
                                             Photovoltaikanlagen (Sonnenener-
„Wutbürger“ geschrieben worden. Seit                                                   detags mit Spitzenpolitikern und Vertre-
                                             gie), der laut den Experten eine
„Stuttgart 21“ ist immer stärker erkenn-                                               tern der bayerischen Wirtschaft beim
                                             „Anschubfinanzierung“ erfährt.
bar, dass sich die Bürger gegen Groß-                                                  gemütlichen Spargelessen in Abensberg.
projekte auflehnen, deren Sinn oder Fi-                                                Solche Treffen mögen ihren Nutzen
nanzierbarkeit sie nicht einsehen. Prof.                                               nicht auf den ersten Blick offenbaren.
Dr. Christian O. Steger, der ehemalige      Bürgerinnen und Bürger annehmen,           Sie sind dennoch wichtig, um in einer
Hauptgeschäftsführer des Gemeinde-          dort mehr Einfluss zu haben. Diese Stär-   angenehmen Gesprächskultur aktuelle
tags Baden-Württemberg, beschäftigt         kung der demokratisch-politischen Funk-    politische Themen zu besprechen und
sich in seinen Ausführen auf den Seiten     tion kommunaler Selbstverwaltung im        den „direkten Draht“ zu Politik und Wirt-
222 bis 226 mit den aktuellen Facetten      repräsentativen System einschließlich      schaft aufrecht zu erhalten.
des „Wutbürgers“, bezogen auf die kom-      ihrer ausgewogenen direktdemokrati-
munale Ebene. Dabei kommt er zur Er-        schen Möglichkeiten kann die Demokra-
kenntnis, dass durch die Komplexität        tie im Gesamtstaat stärken. Er mahnt              Zum Titelbild
der Politik in Deutschland und in der
Folge Undurchschaubarkeit der Entschei-
                                            daher sowohl die nationale als auch die
                                            europäische Ebene an, die Möglichkei-
                                                                                       Deutschland – Land
dungsgänge die Bürger frustriert und        ten und Bürgernähe der Kommunen nicht      der Ideen
zunehmend verärgert sind. Die vielbe-       nur zur Umsetzung oder zum kommuni-        Diesmal kein Rathaus. Sondern viele
schworene „Politikverdrossenheit“ kann      kativen Verkauf europäischer Politik zu    fröhlich dreinblickende Menschen, die
alsbald in eine „Demokratieverdrossen-      nutzen, sondern umgekehrt auf die Be-      sich über die Auszeichnung „Ausgewähl-
heit“ umschlagen.                           dürfnisse lokaler Einheiten nach Selbst-   ter Ort 2011“ des Wettbewerbs „365
Prof. Dr. Steger spricht sich im Ergebnis   bestimmung einzugehen und im Sinne         Orte im Land der Ideen“ freuen. Die
für Reformen des politischen Systems im     der Subsidiarität Freiheit der örtlichen   Stadt Schwarzenbach a.d. Saale hat mit
Sinne einer Stärkung der kommunalen         Entscheidung zu gewährleisten. So kön-     dem Schülerprojekt „Bevölkerungsent-
Entscheidungskompetenzen aus, weil die      ne ein Teil der „Wut“ verfliegen.          wicklung meiner Gemeinde“ der Stratcon
6/2011 Bayerischer Gemeindetag
Bayerischer Gemeindetag • QuintEssenz
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                                        GbR am Wettbewerb teilgenommen –
                                        und die unabhängige Jury überzeugt.
                                        Aus 2.600 eingereichten Bewerbungen
                                        repräsentiert die Stadt mir ihrer zu-
                                        kunftsfähigen Idee Deutschland als das
                                        „Land der Ideen“.
                                        Näheres hierzu können Sie auf den
                                        Seiten 244 und 245 nachlesen.

                                               Dokumentation
                                        Strukturschwache                           Auch wenn der eine oder andere Medizin-Skandal für negative Schlagzeilen
                                        Räume stärken!                             gesorgt hat: Der Arzt steht im Ansehen seiner Mitmenschen weiter ganz
                                                                                   oben. 82 Prozent aller Befragten schätzen den Beruf des Mediziners am meis-
                                        Unter der Rubrik „Dokumentation“ fin-
                                                                                   ten. Mit deutlichem Abstand folgt auf Platz zwei der Imageskala ein weiterer
                                        den Sie ein Positionspapier des Bayeri-
                                                                                   Klinikberuf: die Krankenschwester. Alle weiteren Berufe können nicht ein-
                                        schen Gemeindetags, das die beiden         mal jeden zweiten Befragten Achtung abringen: Am besten schneiden noch
                                        Vizepräsidenten des Verbands, Josef        Lehrer und Handwerker ab, die von 42 bzw. 31 Prozent genannt werden. Be-
                                        Mend (Iphofen) und Klaus Adelt (Selbitz)   sonders wenig Ansehen genießen bei den Deutschen Banker und Fern-
                                        anlässlich einer Anhörung des Aus-         sehmoderatoren: Ihr Image stand nur bei vier Prozent der Befragten hoch im
                                        schusses für Wirtschaft, Infrastruktur,    Kurs.
                                        Verkehr und Technologie des Bayeri-
                                        schen Landtags am 26. Mai 2011 vorge-
                                        tragen haben. Nachdem das Gutachten
                                        des Zukunftsrats der Bayerischen Staats-
                                        regierung Anfang des Jahres für Em-
                                        pörung im ländlichen Raum des Frei-
                                        staats gesorgt hatte, wollten sich die
                                        Volksvertreter anhören, welche Positio-
                                        nen die Vertreter der ländlichen Gegen-
                                        den des Freistaats vertreten. Dabei wur-
                                        de deutlich, dass eine Konzentration der
                                        Kräfte auf die ohnehin starken Ballungs-
                                        räume nicht die Zukunft Bayerns sein
                                        kann.Vielmehr muss der ländliche Raum
                                        gestärkt werden. Das A und O sind
                                        Arbeitsplätze und eine attraktive Infra-
                                        struktur.

                                               Dokumentation
                                        Feuerwehrbeschaf-
                                        fungskartell
                                        Der Kreisverband Berchtesgadener Land
                                        des Bayerischen Gemeindetags hat am
                                        30.März 2011 eine Resolution zum Feuer-
                                        wehrbeschaffungskartell zu Lasten der
                                        Städte und Gemeinden gefasst. Darin
                                        sprechen sich die Bürgermeister des
                                        Kreisverbands dafür aus, dass neue
                                        Modelle der kommunalen Zusammen-
                                        arbeit geprüft werden und sich Fach-       Fast zwei Drittel aller Bundesbürger begeben sich mehrmals in der Woche in
                                        verband und Innenministerium dafür         die Natur. Bevorzugtes Ziel der Erholungsuchenden ist der Wald (61 Pro-
                                        einsetzen, dass die bestehenden Nor-       zent). Auf Felder und Wiesen zieht es 46 Prozent der Bürger; in den Garten
                                        men für Grundmodelle von Feuerwehr-        – in den eigenen oder in den von Freunden und Bekannten – gehen 44 Pro-
                                        fahrzeugen konsequenter eingehalten        zent. Das ergab eine Umfrage im Auftrag des Bundesumweltministeriums.
                                        werden.                                    Die meisten verbinden mit einem Ausflug in die Natur Gesundheit und Erho-
                                                                                   lung. Jeder zweite hat schöne Kindheitserinnerungen an Ausflüge ins Grüne
                                        Die Resolution haben wir unter der         und möchte diese positiven Naturerfahrungen auch seinen Kindern nahe-
                                        Rubrik „Dokumentation“ für Sie abge-       bringen.
                                        druckt.
6/2011 Bayerischer Gemeindetag
6/2011 Bayerischer Gemeindetag                            219

                                                            Was für Bayerns Städte
                                                               und Gemeinden
Der GAU von Fukushima hat wie                               bei der Energiewende                                                          zienz sowie kontinuierlicher Aus-
ein Katalysator auf die deutsche                                                                                                          bau erneuerbarer Energien. Mit
Energiepolitik gewirkt.Der Wech-                                  wichtig ist*                                                            diesen Fragen beschäftigen sich
sel zu den Erneuerbaren Energien                                                                                                          ja auch die drei Fachblöcke der
als neues Standbein der deut-                                                                                                             heutigen Veranstaltung. Außer-
schen und bayerischen Energie-                                                                                                            dem betonen alle Konzepte, dass
versorgung und die Überschrei-                                                                                                            Energiepolitik natürlich nicht nur
tung der Brücke „Atomkraft“                                            Dr. Jürgen Busse,                                                  Strom bedeutet, sondern auch
soll nun mit einer Schnelligkeit                                     Geschäftsführendes                                                   Wärme und Verkehr. Zur Ver-
kommen, der die früheren Rot-                                        Präsidialmitglied des                                                deutlichung: Mit fast 180 Terra-
Grünen Atomausstiegsverträge                                       Bayerischen Gemeindetag                                                wattstunden pro Jahr liegt der
noch übertrifft. Auch wenn das                                                                                                            Energieverbrauch für Wärme in
letzte Wort noch nicht gespro-                                                                                                            Bayern über doppelt so hoch
chen ist und die Koalition bislang kei-                        Abrupte Schwenks haben bei allen                                    wie der des Stromsektors (85 Terra-
ne gemeinsame Sprachregelung ge-                               Risiken einen Vorteil: Wohl dosierte,                               wattstunden/a). Und der Verkehrssek-
funden hat, so ist das neue Energie-                           langfristig angelegte Umsteuerungen                                 tor benötigt über 120 Terrawattstun-
konzept der Staatsregierung „Energie                           laufen eher unmerklich ab. Eine Ener-                               den pro Jahr. Dennoch ist die aktuelle
innovativ“ in jedem Falle ambitio-                             giewende, wie sie jetzt vollzogen wer-                              Debatte auf die Stromversorgung fi-
niert: Das CSU-geführte Umweltminis-                           den soll, hat dagegen Brennglasfunk-                                xiert, da es gilt den hohen bayeri-
terium nennt als Zielmarge für Bayern                          tion: Für alle wird deutlich, was sich                              schen Atomstromanteil zu ersetzen.
2020, „spätestens 2022“. Das Wirt-                             ändern soll, die Auswirkungen sind                                  Erlauben Sie mir deshalb, dass ich
schaftsministerium spricht von„einem                           transparenter und alle Beteiligten sind                             mich in meinem Eingangsstatement
Zeitraum von 15 Jahren“, also spätes-                          gezwungen, Stellung zu beziehen. Wir                                ganz auf diesen Aspekt konzentriere
tens 2026.                                                     wollen nicht verhehlen, dass auch die                               und hierzu die entscheidenden Fra-
                                                               kommunalen Spitzenverbände ange-                                    gen aus kommunaler Sicht heraus-
                                                               sichts des atemberaubenden Meinungs-                                arbeite:
                                                               schwenks in der Staatsregierung erst
                                                                                                                                                     I.
                                                               die kommunale Position finden müs-
                                                               sen. Wir möchten deshalb die insge-                                 Der Ausstieg aus der Kernenergie in
                                                               samt fünfteilige Veranstaltungsreihe                                einem Zeitraum von zehn bis 15 Jah-
                                                               nutzen, mit Ihnen, als Vertreter von in                             ren wird kommen. Union und FDP lie-
                                                               der Energiepolitik besonders versier-                               gen eher marginal auseinander, auch
                                                               ten Gemeinden, die kommunale Posi-                                  die Ethikkommission bewegt sich in
                                                               tion zu diskutieren.                                                diesem Rahmen. Man kann angesichts
                                                                                                                                   der europäischen Dimension von Atom-
                                                               Sowohl die Pläne der Bundesregie-                                   unfällen und der Wahrscheinlichkeit
                                                               rung, wie das Energiekonzept der                                    von GAUs bei den deutschen Kern-
                                                               Staatsregierung predigen selbstver-
                                                               ständlich den sogenannten energie-
                                                                                                                                   * Statement anlässlich der Auftakt-Veranstaltung der
 Dr. Jürgen Busse
                                                               politischen Dreisprung, also Energie                                  Regionalveranstaltungen zur Energiewende am 16. Mai
                                                               sparen, Steigerung der Energieeffi-                                   2011 in Barbing

              BAYERISCHER                   Geschäftsführendes Präsidialmitglied       Dreschstraße 8, 80805 München                        Marina Ottendorfer, Tel. 0 87 09 / 92 17-60
                                           Direktor Dr. Jürgen Busse                  Tel. 0 89 / 36 00 09-30, Fax 0 89 / 36 00 09-36      Margit Frey (BayGT),Tel. 0 89 / 36 00 09-13
              GEMEINDETAG                  Verantwortlich für Redaktion und          Erscheinungsweise monatlich; Bezugspreis             Druck, Herstellung und Versand:
   Herausgeber und Verlag:                Anzeigen:                                 EUR 33,– jährl.; bei Mitgliedern im Beitrag enth.    Druckerei Schmerbeck GmbH
  Bayerischer Gemeindetag,                Wilfried Schober, Direktor beim          Anzeigenverwaltung:                                   Gutenbergstr. 12, 84184 Tiefenbach b. Landshut
 Körperschaft des öffentlichen Rechts;   Bayerischen Gemeindetag                   Druckerei Schmerbeck GmbH                            Tel. 0 87 09 / 92 17-0, Fax 0 87 09 / 91 57 25
6/2011 Bayerischer Gemeindetag
220 Bayerischer Gemeindetag 6/2011

kraftwerken sicher Gegenargumente        hält existentielle Bedeutung. Der am         len: Bis 2021 zusätzliche (Bestand:
finden, doch müssen die neuen politi-    Montag vorgelegte Entwurf zum EEG            410 Anlagen) 1.000 bis 1.500 Anlagen
schen Realitäten als Fakt hingenom-      geht in diese Richtung: Üppige Vergü-        mit 3 Megawattleistung. Es wird auf
men werden. Im Übrigen schwenken         tungen für Offshore-Windkraft, Kür-          einen massiven Ausbau in Nord-
auch unsere AKW-Anrainer Gemein-         zungen bei Inshore-Windkraft und             und Nordost Bayern gesetzt. Das
den um, wie die Resolution der Ge-       eine sehr eingeschränkte Vergütung           „Söder-Papier“ hält Windenergie-
meinde Geldersheim bei Grafenrhein-      von PV-Freiflächenanlagen.                   flächen auf 150.000 bis 200.000 ha
feld zeigt. Auch kann nicht behauptet    Modell B: Trotz Abschaltung aller            in Bayern für möglich, also immer-
werden, dass ein Ausstieg zu Beginn      AKWs soll weiterhin möglichst viel           hin 2 bis 3% der Landesfläche, mit-
der 20er Jahre vollkommen überra-        Energie in Bayern erzeugen werden.           hin etwa ¼ von Mittelfranken.
schend käme. Das oberste Beratungs-      Die Staatsregierung will mit ihrem         • Rasant auch der angepeilte Zu-
gremium der Bundesregierung in           Konzept diesen Weg gehen: Für das            wachs bei der Photovoltaik: Geplant
Umweltfragen, der „Sachverständigen-     Zieljahr 2021 ist geplant, dass nur          ist annähernd eine Vervierfachung
rat für Umweltfragen“ hat just im        rechnerische knapp 15% (ca. 10 TWh/a)        der Leistung. Das „Söder-Papier“
Januar ein knapp 700 Seiten dickes       als Importbedarf notwendig sind. Gut         spricht von einer Gesamtfläche (ein-
Ausstiegszenario vorgelegt, wie eben     ein Drittel des Strombedarfs soll durch      schließlich Dachflächen) von rund
bis zu dieser Zielmarke auf Atom-        Kraftwerke auf fossiler Basis erzeugt        15.000 ha, also knapp 3 Mal die Flä-
strom verzichtet werden kann und         werden – wofür ein Zubau von fünf            che des Starnberger Sees.
dennoch dem Klimaschutzzielen Ge-        Gaskraftwerken mit einer jährlichen        • Ambitioniert selbst die Pläne bei
nüge getan wird.                         Erzeugungskapazität von über 14 TWh          der Biomasse: Auf weiteren 100.000
                                         geplant ist. Den Löwenanteil mit über        ha (derzeit 400.000 ha) sollen auf
                   II.
                                         der Hälfte des bayerischen Strombe-          landwirtschaftlicher Nutzfläche nach-
Bis zum Ausstiegszeitpunkt gehen         darfs sollen die erneuerbaren Ener-          wachsende Rohstoffe angebaut wer-
alle Annahmen von einem konstan-         gien übernehmen. Dies bedeutet eine          den. Die Stromgewinnung soll um
ten Strombedarf in Bayern von 85 Ter-    Verdoppelung (derzeitiger Anteil 23,3%)      fast 50% auf 8 TWh/a (bislang 5,8
rawattstunden (2009 exakt 85,4 Mrd.      der Erzeugungsmenge in zehn Jahren!          TWh/a) gesteigert werden.
kWh) pro Jahr aus. Dies ist angesichts                                              • Sogar die traditionell in Bayern äu-
der hinzukommenden Elektroautos                            III.                       ßerst starke Wasserkraft soll Zu-
durchaus eine Herausforderung. Die                                                    wächse verbuchen: Eine Erzeugungs-
Kernenergie hat derzeit einen Anteil     Der Bayerische Gemeindetag und auf-
                                         grund entsprechend eindeutiger Äu-           steigerung um 15% ist anvisiert (dann
von deutlich über 50%, an der Ener-                                                   17% des bay. Stromverbrauchs). Seit
gieerzeugung, exakt gesagt, sind bis     ßerungen der Stadtwerke, gehe ich
                                         davon aus, auch im Sinne des Städte-         langem ist auch wieder von einem
zum Ausstiegszeitpunkt in Bayern gute                                                 Zubau bei der Kleinwasserkraft die
48 Terrawattstunden (57,6%) pro Jahr     tags zu sprechen, hat sich klar positio-
                                         niert: Wir begrüßen das Ziel, mög-           Rede – allerdings nur an vorhande-
zu ersetzen. Die Herausforderungen                                                    nen Querbauwerken.
für Bayern sind daher im Vergleich zur   lichst viel Wertschöpfung in Bayern
bundesweiten Betrachtung, wo der         zu halten bzw. zu mehren. Wir sehen        Wir bekennen uns dazu, dass diese
Atomstrom nur 29% ausmacht, we-          hier große wirtschaftliche Chancen         Potentiale gehoben werden. Aller-
sentlich größer.                         für den ländlichen Raum.                   dings müssen die Gemeinden das
                                                                                    Steuerrad in der Hand behalten. Des-
Wenn man nicht sämtliche Klimaschutz-    Allerdings muss uns klar sein, dass die
                                                                                    halb haben wir uns als Gemeindetag
ziele über Bord werfen will, kommt       Verwirklichung der Pläne der Staats-
                                                                                    für eine grundlegende Umstrukturie-
eine Substitution durch fossile Ener-    regierung in den nächsten zehn Jah-
                                                                                    rung der Außenbereichsregelung im
gieträger nur in einem bedingten         ren die bayerische Landschaft, spe-
                                                                                    BauGB ausgesprochen. Was wir vor-
Umfang in Frage. Für Bayern zeichnen     ziell den ländlichen Raum, erheblich
                                                                                    schlagen, klingt zunächst nach einer
sich deshalb für die Energiewende        verändern wird. Außerdem werden
                                                                                    Einschränkung der kommunalen Pla-
grob skizziert zwei Modelle ab:          wir – bei allen Einsparungs- und Effi-
                                                                                    nungshoheit: Alle Anlagen zur Nut-
                                         zienzbemühungen – wohl hinsicht-
Modell A: Bayern wird in erheblichem                                                zung regenerativer Energien,also Wind-
                                         lich des Anlagenbestands dann nicht
Umfang zum Energieimporteur. So                                                     energieanlagen, Wasserkraftanlagen,
                                         stehen bleiben, da ja auch noch ein
setzen die Modellrechnungen des                                                     aber auch Biomasseanlagen und PV-
                                         erheblicher Energiebedarf für den
Sachverständigenrats für Umweltfra-                                                 Anlagen sollen eine „relative“ Privile-
                                         Wärme- und Verkehrsbereich besteht.
gen insbesondere auf große Wind-                                                    gierung erhalten. Diese Anlagen sol-
kraftanlagen in der Nordsee offshore     Einige Zahlen:                             len im Außenbereich grundsätzlich
und in den Küstenregionen inshore.       • Zuallerst die Windkraftanlagen, die      zulässig sein, jedoch unter dem Vor-
Der favorisierte Stromverbund mit Dä-      mit über 20% des Strombedarfs            behalt, dass die Gemeinde nicht im
nemark und Norwegen, zwecks Spei-          zukünftig den größten Anteil am er-      Rahmen einer umfassenden „Ener-
cherung in Pumpspeicherwerken, er-         neuerbaren Energiemix haben sol-         gieleitplanung“, durch Darstellungen
6/2011 Bayerischer Gemeindetag
6/2011 Bayerischer Gemeindetag     221

im Flächennutzungsplan, bestimmte         richten, indem am Betrieb der erfor-         EEG-Anreize in möglichst großen Um-
Standortzuweisungen für derartige         derlichen EE-Anlagen verdient wer-           fang an die öffentliche Hand zurück-
Anlagen vorgenommen hat. Der Ge-          den kann. Und zur Akzeptanzförde-            fließen? Sollten wir deshalb nicht
meinde soll dabei ermöglicht werden,      rung sollen möglichst viele vor Ort          wieder stärker betonen, dass Energie-
sich für eine bestimmte Energieform       mitverdienen. Dieser Weg ist sicher          versorgung kommunale Daseinsvor-
zu entscheiden oder auch einen Ener-      besser, als den für unsere Bürger in         sorge ist?
giemix zu regeln, solange einer oder      jedem Fall teuren Umbau der Energie-         Sicher wird es wenig zielführend sein,
mehrerer der genannten Energieer-         versorgung im Wesentlichen durch             wenn nun Gemeinden mit weniger
zeugungsformen eine substantielle Be-     die großen Vier zu bewerkstelligen.          als tausend Einwohnern Gemeinde-
deutung eingeräumt wird. Wir beken-                                                    werke gründen. Aber es gibt erfolg-
                                          Aber: Was bedeutet das für die
nen uns damit zu den ehrgeizigen                                                       reiche Modelle der interkommunalen
                                          Energiekosten?
bayerischen Ausbauplänen für erneu-                                                    Zusammenarbeit im Energiesektor
erbare Energien, überlassen es aber       Heute liegen wir bei den konven-             (z.B. KommEnergie Puchheim) oder
der Gemeinde, für welche Energie-         tionellen Energieträgern bei Strom-          die Ausweitung von Stadtwerken auf
form sie sich entscheidet.                gestehungskosten um die sechs Cent           die Umlandgemeinden. Mit der Re-
Die Staatsregierung hat im Energie-       pro kWh. Der Sachverständigenrat für         kommunalisierung mehrerer Verteil-
konzept unseren Vorschlag aufge-          Umweltfragen, der sicher nicht ver-          netze in Bayern zeichnet sich hier ein
griffen. Ich will aber nicht verhehlen,   dächtigt ist, die Kosten zu hoch zu          Trend ab. In jedem Fall sehen wir die
dass dieser in der kommunalen Fami-       rechnen, geht bei den erneuerbaren           Städte und Gemeinden nicht bloß als
lie nicht auf uneingeschränkte Zu-        Energien für 2020 von Gestehungs-            Vorbild für Energieeffizienzmaßnah-
stimmung stößt. Aber wir als Gemein-      kosten von 12 bis 13 Cent pro kWh            men, sondern als qua Verfassung
detag sehen dies als Möglichkeit zu       aus. Heute schon liegt der EEG-Zu-           Verantwortliche für die örtliche Ener-
verhindern, dass die Gemeinden von        schlag, bei einem Anteil der erneuer-        gieversorgung. Entsprechend sollten
den EE-Anlagen überrollt werden.          baren Energien an der Stromerzeu-            die Städte und Gemeinden jedenfalls
                                          gung in Deutschland von 17%, bei             verstärkt darauf schielen, selbst die
                  IV.                     3,53 Cent pro kWh. Die Staatsregie-          Trägerschaft für Energieerzeugungs-
                                          rung plant für 2021 einen Anteil von         anlagen zu übernehmen.
Entscheiden wir uns für den Weg           50% nur des regional erzeugten Stroms
einer größtmöglichen bayerischen                                                       Meine sehr verehrten Damen und
                                          aus erneuerbaren Energien-Anlagen,           Herren, ich könnte hier mit Ihnen
Energieerzeugungsquote – ohne er-         hinzu käme noch der zusätzlich erfor-
gänzende Energieimporte wird es                                                        noch über viele Facetten der vor-
                                          derliche Importstrom aus EE-Wind-            liegenden Konzepte für zukünftige
keinesfalls funktionieren, da sind sich   kraftanlagen. Daneben ist noch mit
alle Konzepte einig – stellt sich die                                                  Energiepolitik sprechen, z.B. dass sich
                                          erheblichen Steigerungen bei den             die Staatsregierung unserer Forde-
Frage nach der Rolle der Kommu-           Netznutzungskosten, die nach heu-
nen. Neben den dargestellten pla-                                                      rung angeschlossen hat, den Investi-
                                          tigem Stand bereits über ein Drittel         tionspakt der energetischen Sanie-
nungsrechtlichen Überlegungen be-         des Nettostrompreises ausmachen, zu
grüßen wir als Gemeindetag sehr,                                                       rung sozialer Infrastruktur wieder auf-
                                          rechnen: Sowohl im Übertragungs-             leben zu lassen und auch für die
dass die Staatsregierung in Abstim-       wie im Verteilnetzbereich sind erheb-
mung mit den kommunalen Spitzen-                                                       Straßenbeleuchtung nochmals zins-
                                          liche Investitionen erforderlich. Die        verbilligte Darlehen geplant sind.
verbänden eine Initiative plant, um       Staatsregierung schreibt in ihrem Kon-
die bestehende Gewerbesteuerzerle-                                                     Aber da ich davon ausgehe, dass der
                                          zept dann auch, dass der gesamte             heutige Vormittag hierzu an anderer
gungsregelung für Windkraft auf alle      Umbau der Energieversorgung in
erneuerbare Energieanlagen auszu-                                                      Stelle noch Gelegenheit bietet, ging
                                          Deutschland Investitionen in Höhe            es mir darum, Ihren Blick auf die
weiten.                                   von rund 200 Mrd. Euro erfordere. Im         anstehenden Umwälzungen bei der
Aber müssen wir nicht weiter denken?      Konzept heißt es auch: Die Energie-          Energieerzeugung zu richten, um hier
                                          kosten werden steigen. Ich möchte da         eine Positionierung der Kommunen
Die bisherigen Konzepte führen zum
                                          deutlicher werden: Ich sehe das all-         voranzutreiben.
einen den bisherigen EEG-Ansatz
                                          seits gepriesene, energiepolitische Ziel-
weiter. Das heißt Private sollen ani-
                                          dreieck „sicher, bezahlbar, umwelt-
miert werden, durch Einspeisever-
                                          verträglich“ vor einer erheblichen
gütungen bzw. durch Boni auf den
                                          Deformation.
Eigenverbrauch weitere EE-Anlagen
zu errichten. Zur Akzeptanzförderung      Die Gretchenfragen sind deshalb für
vor Ort werden Bürgerbeteiligungs-        mich: Wie können wir den Umbau
modelle in Form von Genossenschaf-        unserer Energieversorgung möglichst
ten oder Fonds vorgeschlagen. Grund-      kostengünstig bewerkstelligen? Muss
gedanke ist also: Der Markt soll es       nicht zumindest das Ziel sein, dass die
6/2011 Bayerischer Gemeindetag
222 Bayerischer Gemeindetag 6/2011

                                  Vertrauen in die Kommunen
                                        – Was halten die „Wutbürger“
Durchschaubarkeit – Politik-               von den Institutionen? –                        spiel unter vielen, illustriert, der
verdrossenheit                                                                             andernorts dargestellt wird.
Schon auf nationaler Ebene ist                                                             Im Folgenden sollen in einem
die Politik in Deutschland mit                                                             ersten Teil zunächst einige Aus-
seinem föderalen Aufbau für                                                                gangspunkte benannt werden,
Nicht-Fachleute, und das ist                                                               die gerade für das Vertrauen in
nun einmal die größte Zahl aller                                                           die kommunale Selbstverwaltung
Bürgerinnen und Bürger, kaum                                                               wichtig erscheinen. In Ergänzung
mehr durchschaubar. Dies gilt                                                              sollen einige von der Universi-
                                           Prof. Dr. Christian O. Steger,                  tät Stuttgart9 erhobene Meinungs-
noch stärker für die europäi-                 Universität Stuttgart1
sche Politik und Rechtssetzung.                                                            äußerungen dargestellt werden.
Politikgestaltung und Politik-
durchsetzung vollziehen sich im euro-    gesellschaftlicher Wertewandel wird         Keine Gleichsetzung der Ebenen im
päischen Mehrebenensystem als kom-       für den vielfach registrierten Ver-         Staat
plexes Zusammenwirken nationaler         trauensverlust in „die Institutionen“
                                                                                     Es wäre ein grober Fehler, die Ent-
und transnationaler Institutionen und    verantwortlich gemacht.4 Vor ca. 30
                                                                                     scheidungsebenen von der Gemein-
Akteure.2 Nicht zuletzt durch diese      Jahren tauchte in der deutschen De-
                                                                                     de oder Stadt über Land und Bund bis
Komplexität und in der Folge Un-         batte der Begriff der „Politikverdros-
                                                                                     hinauf zum europäischen Gesetzge-
durchschaubarkeit der Entscheidungs-     senheit“ auf. Der Begriff ist schillernd.
                                                                                     ber bezüglich der Bildung politischen
gänge werden die Chancen der Bür-        Viele meinen, dass es sich dabei weni-
                                                                                     Vertrauens und der dafür notwendi-
ger, auf politische Entscheidungen       ger um einen Überdruss an der Demo-
                                                                                     gen Maßnahmen gleichzusetzen. Die
Einfluss zu nehmen, schwächer.3 Die-     kratie im Allgemeinen als um eine
                                                                                     Bürgerinnen und Bürger tun das näm-
se fehlende Transparenz führt nahezu     spezifische Verdrossenheit der Wähler
                                                                                     lich auch nicht, wie alle Umfrage-
zwangsläufig zu Frustrationen, zu-       über die Verhaltensweisen der politi-
                                                                                     daten zeigen. Und um ihr Vertrauen
mindest bei den Interessierten unter     schen Parteien bzw. über das Handeln
den Staatsbürgerinnen und Staats-                                                    geht es schließlich. Überdies werden
                                         oder Nicht-Handeln des aus den Par-
bürgern. Frust produziert nicht nur                                                  die Kommunen und ihre spezielle Be-
                                         teien hervorgegangenen politischen
politischen Ärger im Einzelfall, son-                                                deutung für „die Institutionen“ der
                                         Führungspersonals handle.5 Am 17. De-
dern auch möglicherweise dauerhaf-                                                   Demokratie zu wenig in den Blick
                                         zember 2010 wurde gar der „Wut-
te Vertrauensverluste. Aber auch ein                                                 genommen, obwohl sie seit alters her
                                         bürger“ als Wort des Jahres 2010 kre-
                                                                                     als „Grundschule der Demokratie“10,
                                         iert. „Wutbürger“ stehe für die Empö-
                                                                                     als „Graswurzeldemokratie“, als Mus-
                                         rung in der Bevölkerung, „dass politi-
                                                                                     ter eines volksnahen Systems der ge-
                                         sche Entscheidungen über ihren Kopf
                                                                                     gliederten repräsentativen Demokra-
                                         hinweg getroffen werden“.6 Bundes-
                                                                                     tie11, und schließlich als wichtiges Ele-
                                         tagspräsident Lammert hat dieses
                                                                                     ment der vertikalen Gewaltenteilung12
                                         Wort als „Medienerfindung“ charak-
                                                                                     im demokratischen Staat gepriesen
                                         terisiert.7 Jedenfalls scheint die „Zau-
                                                                                     werden. Das Folgende soll sich also
                                         berformel der Bundesrepublik“, die
                                                                                     im Wesentlichen auf die kommunale
                                         „Legitimation durch Verfahren“ (Luh-
                                                                                     Ebene beschränken.
                                         mann) heute nicht mehr zu wirken,
                                         „nicht nur in Stuttgart, aber dort be-      Man kann die Notwendigkeit einer
                                         sonders offenkundig“.8 Zunehmend            Differenzierung auch an Wahlen fest-
                                         scheinen auch der lokalen Ebene ge-         machen: Kommunalwahlen sind in
                                         genüber solche Erscheinungen „ab-           der Regel Persönlichkeitswahlen.Wah-
                                         zufärben“. Das wirkt sich bei größeren      len zum nationalen oder gar europäi-
                                         Projekten, ob Kraftwerkstandorte, Lei-      schen Parlament sind weitgehend Lis-
                                         tungstrassen, Brücken aus, selbst wenn      tenwahlen über die politischen Par-
 Prof. Dr. Christian O. Steger
                                         die Kommune nicht Hauptakteur ist,          teien. Nicht ohne Grund gibt es in
                                         wie der Fall „Stuttgart 21“, als ein Bei-   Deutschland, insbesondere in den süd-
6/2011 Bayerischer Gemeindetag
6/2011 Bayerischer Gemeindetag                                                       223

lichen Bundesländern, viele nicht in
Parteien gebundene Mitglieder der
Gemeinderäte und Bürgermeister. Die
sog. Rathausparteien sind z.B. im Land                                                                 Subjektive politische Kompetenzgefühle in der BRD
Baden-Württemberg statistisch sogar                                                                                                                           (in % aller Befragten)

                                             Institut für Sozialwissenschaften (SOWI I)
die stärkste politische Kraft.13 Damit
aber herrschen in den Kommunen                                                                                                                                                              Europa
ganz andere Beziehungen zwischen                                                                                     89,7%                                                  8,4%

den Bürgern und ihren gewählten Re-
präsentanten als auf regionaler Ebene                                                                                    84,9%                                                 14,7%
                                                                                                                                                                                                  Bund
in den Ländern oder gar im National-
staat. Dort kennt man den gewählten
Kandidaten häufig nicht oder allen-                                                                                                      59,7%                                               39,9%           Kommunen
falls vom Wahlplakat, im Unterschied
                                                                                          Nein, ich könnte                                                                                                                                      Ja, ich könnte
zur örtlichen Ebene.                                                                        eher nichts -100
                                                                                           unternehmen
                                                                                                                       -80         -60           -40         -20           0           20           40           60           80          100 etwas unter-
                                                                                                                                                                                                                                                   nehmen

Schließlich noch eine Anmerkung zur                                                               Fragestellung: Angenommen, eine Verordnung oder ein Gesetz würden in  diskutiert,
                                                                                                  die/das Sie als sehr ungerecht oder nachteilig betrachten. Meinen Sie, Sie könnten dagegen etwas unternehmen oder könnten Sie dagegen eher nichts

nötigen Differenzierung: die vielen                                                               unternehmen? Quelle: Repräsentative Bevölkerungsumfrage in der BRD im Auftrag der Freiherr vom Stein Akademie und des Instituts für Sozialwissenschaften
                                                                                                  der Universität Stuttgart, Januar 2008.

kleinen Kommunen in Europa weisen                                                                                                                                                                                                   PD Dr. Angelika Vetter
                                                                                           Freiherr vom Stein Akademie, Februar 2008
ganz andere Entscheidungsstruktu-
ren und Entscheidungsmechanismen
auf als einmal die großen Städte14        Grafik 1
und zweitens die stärker „politischen“
Ebenen weiter „oben“15. Maßnahmen        selbst wenn die handelnde Person als                                                                                                   Beispielsweise sind politische Kompe-
zur Schaffung von Vertrauen oder ge-     honorig und vertrauenswürdig einge-                                                                                                    tenzgefühle (siehe Grafik 1) am stärks-
gen Vertrauensverluste müssen sich       schätzt wird. Die Europäische Charta                                                                                                   ten mit Bezug zur lokalen Politik ent-
demgemäß an diesen Strukturen orien-     der Kommunalen Selbstverwaltung,                                                                                                       wickelt. Gefragt, ob man glaubt, im
tieren, so sehr es gemeinsame Grund-     die von allen EU-Mitgliedstaaten un-                                                                                                   Falle ungerechter oder nachteiliger
linien in bestimmten Bereichen, z.B.     terzeichnet ist, setzt als völkerrecht-                                                                                                Verordnungen oder Gesetze in der
bei der notwendigen Transparenz po-      licher Vertrag die europäischen Stan-                                                                                                  Gemeinde, im Bund oder in Europa
litischen Handelns, geben mag. Da-       dards für Funktion und Autonomie                                                                                                       etwas unternehmen zu können, se-
raus folgt, dass die Betrachtungsweise   der kommunalen Entscheidungsebe-                                                                                                       hen annähernd 40% der Bürgerinnen
der „Good Governance“ in Europa          ne.18 Dementsprechend sind auch die                                                                                                    und Bürger die Möglichkeit, in den
stärker ebenenspezifisch differenziert   „vertrauensbildenden Maßnahmen“                                                                                                        Kommunen Änderungswünsche ein-
erfolgen muss.16                         mit Blick auf die Städte und Gemein-                                                                                                   bringen zu können. Auf Bundesebene
                                         den auszurichten. Wo die Standards                                                                                                     glauben das nur 15% der Deutschen
Kommunen in Europa ernster nehmen        der Europäischen Charta nicht er-                                                                                                      und im Hinblick auf europäische Ent-
„Eine politische Institution ist umso    reicht werden, ist sozusagen der Kata-                                                                                                 scheidungen sind es sogar nur etwa
bedeutsamer im politischen Entschei-     log der notwendigen Maßnahmen je                                                                                                       8%. Das zeigt, „wie wichtig die Kom-
dungsprozess, je weniger andere Ins-     nach Lage und Mitgliedstaat mit                                                                                                        munen gerade im Hinblick auf die
titutionen ihr als mögliche Vetospie-    unterschiedlichen Prioritäten anzu-                                                                                                    Integration der Bürger in das politi-
ler gegenüberstehen“.17 Demgemäß         passen.                                                                                                                                sche Geschehen und damit für die
kommt es bei der Betrachtung auch                                                                                                                                               Demokratie sind“20.
auf europäischer Ebene auf die Ge-       Meinungsäußerungen und
samt-Situation der kommunalen Selbst-    Vertrauen der Bürger                                                                                                                   Ähnlich sind die Befunde, wenn die
verwaltung im jeweiligen Mitglieds-      Daten aus einer repräsentativen Be-                                                                                                    Bürger nach ihrer allgemeinen Zufrie-
staat der Europäischen Union, auf ihre   völkerungsumfrage, die im Auftrag                                                                                                      denheit mit der Demokratie gefragt
Stellung im Staatsaufbau, ihre Ent-      der Stuttgarter Freiherr vom Stein                                                                                                     werden (siehe Grafik 2), so wie sie in
scheidungsbefugnisse und ihre Ent-       Akademie für Europäische Kommu-                                                                                                        der jeweiligen Kommune, in Deutsch-
scheidungsmöglichkeiten auch in fi-      nalwissenschaften und des Instituts                                                                                                    land oder in Europa funktioniert. Hier
nanzieller Hinsicht maßgeblich an,       für Sozialwissenschaften der Univer-                                                                                                   geben 80% an, mit der Demokratie
wenn Vertrauensbildung erfolgen soll:    sität Stuttgart im Januar 2008 erho-                                                                                                   vor Ort zufrieden zu sein. Die Werte
Wer nichts zu sagen hat, wird von den    ben wurden19, zeigen in mehreren Be-                                                                                                   für Deutschland liegen bei 70% und
Bürgerinnen und Bürgern nicht ernst      reichen eine signifikant positivere Be-                                                                                                für Europa bei knapp unter 50%. Aller-
genommen, geschweige denn, dass          wertung der lokalen gegenüber der                                                                                                      dings ist aus dem Vergleich von Um-
man ihm – im konkreten Fall eher         nationalen und der europäischen Po-                                                                                                    fragewerten zu entnehmen, dass die
nutzloses – Vertrauen entgegenbringt,    litik.                                                                                                                                 Zufriedenheitswerte in Deutschland
6/2011 Bayerischer Gemeindetag
224 Bayerischer Gemeindetag 6/2011

                                                                                                                                                                                                                                 worten zwischen Parlamenten bzw.
                                                                                                                                                                                                                                 Gemeinderäten und der Verwaltung
                                                                                                                                                                                                                                 bzw. der Regierung deutliche Unter-
                                                                                       Demokratiezufriedenheit in der BRD                                                                                                        schiede.
                                                                                                                              (in % aller Befragten)
                                                                                                                                                                                                                                 Die Zahlen sind, was die lokale und
    Institut für Sozialwissenschaften (SOWI I)

                                                                                                                                                                                                                                 die nationale Ebene angeht, den
                                                                                                                                                            Europa
                                                                              89,7%                                 44,2%                     8,4%           48,2%             Europa                                            Angaben der vom Ausschuss der Re-
                                                                                                                                                                                                                                 gionen und der Europäischen Kom-
                                                                                                                                                                                                                                 mission veröffentlichten Eurobarome-
                                                                                                                            29,9%                                Bund     69,9%         Bund
                                                                                  84,9%                                                        14,7%
                                                                                                                                                                                                                                 ter Spezial-Umfrage 307 vom Februar
                                                                                                                                                                                                                                 200923 ähnlich. Sie unterscheiden sich
                                                                                                                                  19,0%                                        79,7%
                                                                                                                                                                                     Kommunen                                    aber deutlich, was die europäische
                                                                                                        59,7%                                                39,9%             Kommunen
                                                 Sehr unzu-
                                                 frieden und
                                                                                                                                                                                                                                 Ebene angeht: In der Eurobarometer-
                                                                                                                                                                                                                Sehr zufrieden
                                                     eher
                                                 unzufrieden
                                                                 -100          -80            -60                   -40       -20         0            20         40          60          80           100
                                                                                                                                                                                                                  und eher
                                                                                                                                                                                                                  zufrieden
                                                                                                                                                                                                                                 Umfrage wird für die Europäische
                                                                                                                                                                                                                                 Union ein Vertrauen von 47% der Bür-
                                                            Fragestellung: Wie zufrieden sind Sie alles in allem mit der Demokratie, so wie sie in … funktioniert? Sind Sie damit sehr zufrieden, eher zufrieden, eher
                                                            unzufrieden oder sehr unzufrieden? Quelle: Repräsentative Bevölkerungsumfrage in der BRD im Auftrag der Freiherr vom Stein Akademie und des Instituts
                                                            für Sozialwissenschaften der Universität Stuttgart, Januar 2008.
                                                                                                                                                                                                                                 gerinnen und Bürger dargestellt. Die
                                                                                                                                                                                                                                 Stuttgarter Daten weisen jedenfalls in
                                                 Freiherr vom Stein Akademie, Februar 2008                                                                                                        PD Dr. Angelika Vetter         Deutschland für die EU bestenfalls
                                                                                                                                                                                                                                 leicht über 20% aus, ähnliches ergibt
 Grafik 2                                                                                                                                                                                                                        sich aus einer neueren Untersuchung
                                                                                                                                                                                                                                 des Instituts für Demoskopie Allens-
                                                                                                                                                                                                                                 bach.24
erheblich schwanken können, zum Teil                                                                                                            Auch das Vertrauen in lokale politi-
                                                                                                                                                                                                                                 Auf europäischer Ebene genießt das
im selben Jahr.21                                                                                                                               sche Institutionen und Akteure in
                                                                                                                                                                                                                                 Parlament nach der Stuttgarter Erhe-
Die Zufriedenheit mit dem Funktio-                                                                                                              Deutschland (siehe Grafik 3) ist deut-                                           bung etwas mehr Vertrauen als die
nieren von Demokratie hat immer                                                                                                                 lich höher als das Vertrauen der Men-                                            Kommission als exekutives Organ, auf
auch mit ihrer „Performance“ zu tun,                                                                                                            schen gegenüber den korrespondie-                                                deutscher nationaler und auf Ge-
mit dem, was Demokratie konkret zu                                                                                                              renden Institutionen und Akteuren                                                meinde-Ebene ist es umgekehrt, wo-
leisten in der Lage ist. Hier schneiden                                                                                                         auf nationaler Ebene und Europa: Ge-                                             bei die in Deutschland praktisch über-
die Kommunen ebenfalls überdurch-                                                                                                               fragt, ob sie den entsprechenden Ein-                                            all direkt gewählten Bürgermeister in
schnittlich ab.22 Auch das ist ein Hin-                                                                                                         richtungen voll und ganz, weitge-                                                ihren Vertrauenswerten stark heraus-
weis, wie wichtig schon allein dieser                                                                                                           hend, teils/teils oder eher nicht oder                                           ragen.
Teilbereich des„Daseins“ der Kommu-                                                                                                             gar überhaupt nicht vertrauen, finden
                                                                                                                                                                                                                                 Dass in allen drei Ebenen die „Politi-
nen ist.                                                                                                                                        sich bei einer Differenzierung der Ant-
                                                                                                                                                                                                                                 ker“ am schlechtesten abschneiden,
                                                                                                                                                                                                                                 obwohl die besser bewerteten Gre-
                                                                                                                                                                                                                                 mien und die exekutiven Organe kon-
                                                                                                                                                                                                                                 kret aus ebensolchen Politikern be-
                                                                                                                                                                                                                                 stehen, wirft ein bezeichnendes Bild
                                                                     Vertrauen in politische Institutionen und Akteure                                                                                                           auf den Berufsstand des Politikers,
                                                                                                                                 (in % aller Befragten)
                                                                                                                                                                                                                                 relativiert aber auch die Angaben
    Institut für Sozialwissenschaften (SOWI I)

                                                                                       Politiker

                                                                                                                                                            Europa
                                                                                                                                                                                                                                 zum Vertrauen etwas.25
                                                                                     Parlament

                                                                             Kommission
                                                                                                                                                                                                                                 Eine Rolle spielt nicht nur nach der In-
                                                                                                                                                                                                                                 ternet-Umfrage„Perspektive Deutsch-
                                                                                            Politiker

                                                                                           Bundestag
                                                                                                                                                                 Bund                                                            land“ von 200226 die wahrgenom-
                                                                                      Bundesregierung                                                                                                                            mene Entfernung zu den Institutio-
                                                                                                                                                                                                                                 nen des politischen Systems (siehe
                                                                                                        Politiker

                                                                                                   Gemeinderat
                                                                                                                                                                       Kommunen
                                                                                                                                                                                                                                 Grafik 4).
                                                     Vertraue
                                                                                                Bürgermeister
                                                                                                                                                                                                               Vertraue voll
                                                                                                                                                                                                                                 Während immerhin noch 33 Prozent
                                                  überhaupt nicht
                                                  und eher nicht
                                                                    -60              -40                  -20                0            20                40           60               80              100 und ganz,
                                                                                                                                                                                                               vertraue eher     der Befragten die Stadt- und Gemein-
                                                            Fragestellung: Ich nenne Ihnen nun einige Einrichtungen des öffentlichen Lebens. Sagen Sie mir bitte, wie sehr Sie diesen Einrichtungen vertrauen.
                                                                                                                                                                                                                                 deverwaltungen als kompetent ein-
                                                            Antwortvorgaben: vertraue voll und ganz, weitgehend, teils/teils, eher nicht, überhaupt nicht. Quelle: Repräsentative Bevölkerungsumfrage in der BRD im
                                                            Auftrag der Freiherr vom Stein Akademie und des Instituts für Sozialwissenschaften der Universität Stuttgart, Januar 2008.
                                                                                                                                                                                                                                 schätzen, sind es beim deutschen na-
                                                                                                                                                                                                  PD Dr. Angelika Vetter
                                                                                                                                                                                                                                 tionalen Parlament, dem Bundestag,
                                                 Freiherr vom Stein Akademie, Februar 2008
                                                                                                                                                                                                                                 nur ganze 11 Prozent.
 Grafik 3
                                                                                                                                                                                                                                 Auch bei der wahrgenommenen Bür-
                                                                                                                                                                                                                                 gernähe ist der Unterschied eklatant:
6/2011 Bayerischer Gemeindetag     225

                                                                                                Bereich bei weitem nicht auf den Lor-
                                                                                                beeren ausruhen kann, sondern die
                                                                                                Verbesserung bzw. Erhaltung des Ver-
                                                                                                trauens ständig im Auge haben und
                                                                                                daran arbeiten muss. Die Schaffung
   Institut für Sozialwissenschaften (SOWI I)

                                                                                                von Transparenz, gründlich vorberei-
                                                                                                tete Partizipationsangebote, ausrei-
                                                                                                chende Offenheit und Ernsthaftigkeit
                                                                                                im Umgang mit Ergebnissen der Bür-
                                                                                                gerbeteiligung sind Voraussetzungen
                                                                                                des Erfolgs.28

                                                                                                Zum anderen:
                                                                                                Die Bewertung ist umso schlechter,
                                                                                                das Vertrauen umso geringer, je grö-
                                                                                                ßer die Entfernung zwischen Bürger
                                                                                                und Institution ist. Daraus ist einmal
                                                                                                zu folgern, dass vertrauensbildende
                                                               Prof. Dr. Christian O. Steger
                                                                                                Maßnahmen auf örtlicher Ebene die
 Grafik 4
                                                                                                Defizite der höheren Ebenen allein
                                                                                                wohl nicht ausgleichen können. Dies
                                                                                                muss auf den übergeordneten staat-
39 Prozent der Bürger bewerten die              Zusammenfassung                                 lichen Ebenen als Aufgabe viel erns-
Stadt- und Gemeindeverwaltungen                                                                 ter genommen werden als bisher.
                                                Zum einen:
als bürgernah; beim Bundestag sind              Die Bürger bewerten im Vertrauens-              Zum dritten:
es nur noch 3 Prozent.                          und im Effizienzbereich die kommu-
                                                                                                All das spricht für Reformen des poli-
Schließlich wird auch die Forderung             nale Ebene im Verhältnis zu den an-
                                                                                                tischen Systems im Sinne einer Stär-
erhoben, die Entscheidungskompe-                deren Ebenen im Nationalstaat und in
                                                                                                kung der kommunalen Entscheidungs-
tenzen wieder näher an den Bürger               Europa besser. Die Einschätzung ist
                                                                                                kompetenzen, weil die Bürgerinnen
heran zu rücken (siehe Grafik 5). 45            jedoch nach den gemessenen Werten
                                                                                                und Bürger annehmen, dort mehr Ein-
Prozent der Befragten fordern einen             nicht per se dauerhaft und wirklich
                                                                                                fluss zu haben. Diese Stärkung der
größeren Einfluss der Gemeinden                 überzeugend. Das heißt insbesondere
                                                                                                demokratisch-politischen Funktion
und Städte. Diese Tendenz wird auch             mit Blick auf die Vertrauensbildung,
                                                                                                kommunaler Selbstverwaltung im re-
durch andere Umfragen bestätigt.27              dass man sich auch im kommunalen
                                                                                                präsentativen System einschließlich
                                                                                                ihrer ausgewogenen direktdemokra-
                                                                                                tischen Möglichkeiten stärkt die De-
                                                                                                mokratie im Gesamtstaat.
                                                                                                Die Mehrheit der Deutschen will in
                                                                                                diesem Sinne eine bessere Unterstüt-
   Institut für Sozialwissenschaften (SOWI I)

                                                                                                zung bzw. Autonomie für die Kommu-
                                                                                                nen! Dies ist eine Mahnung auch an
                                                                                                die europäische Ebene, die Möglich-
                                                                                                keiten und Bürgernähe der Kommu-
                                                                                                nen nicht nur zur Umsetzung oder
                                                                                                zum kommunikativen „Verkauf“ euro-
                                                                                                päischer Politik nutzen zu wollen, son-
                                                                                                dern umgekehrt auf die Bedürfnisse
                                                                                                lokaler Einheiten nach Selbstbestim-
                                                                                                mung einzugehen und im Sinne der
                                                                                                Subsidiarität Freiheit der örtlichen
                                                                                                Entscheidung zu gewährleisten. Gera-
                                                                                                de darin sehen die Bürgerinnen und
                                                               Prof. Dr. Christian O. Steger
                                                                                                Bürger offensichtlich die stärksten
 Grafik 5                                                                                       Möglichkeiten eigener Einflussnahme
                                                                                                auf Entscheidungen.
226 Bayerischer Gemeindetag 6/2011

Die Reform des politischen Systems                            8. Zitat aus DIE ZEIT, 07.10.2010 Nr. 41; Eisenmann in:       19. Im Folgenden nahezu wörtliche Übernahme der Er-
                                                                 Stuttgarter Zeitung vom 22.10.2010, S. 27; vgl. Stutt-         läuterungen der folgenden Grafiken aus:Vetter in: Ga-
ist ein Bürgerziel. Es scheint so, dass                          garter Zeitung vom 30.10.2010, S. 24                           briel/Müller-Graff/Steger (Hrsg.), Schriftenreihe des
dann zumindest ein Teil der„Wut“ ver-                         9. Institut für Sozialwissenschaften, SOWI I, und Freiherr        Arbeitskreises Europäische Integration Bd. 68, Nomos
                                                                                                                                Verlag Baden-Baden 2010, 119, 137 – 140.
fliegen könnte.                                                  vom Stein – Akademie für Europäische Kommunal-
                                                                 wissenschaften, Stuttgart                                  20. Zitat Vetter in: Schuster / Murawski (Hrsg), Die regier-
                                                             10. So der Innenminister von Baden – Württemberg                   bare Stadt, 2.Aufl.2010, Kohlhammer, 248, 254f; Steger
                                                                 1954 bei der ersten Lesung des Entwurfs der neuen              in: Kunze/Bronner/Katz, GemO BW, § 1 Rdn. 77f. mwN.
                                                                 Gemeindeordnung des neuen Bundeslandes, zitiert            21. Die Eurobarometer – Umfrage vom April 2006 ermit-
                                                                 bei Steger in: Kunze/Bronner/Katz, GemO BW, § 1                telte 55 Prozent zufriedene Bürgerinnen und Bürger.
Fußnoten                                                         Rdn. 77 mwN.; Murawski in: Schuster/Murawski (Hrsg),           Die Deutschlandtrend – Umfrage von Ende Oktober
1. Prof. Dr. Christian O. Steger ist Hauptgeschäftsführer        Die regierbare Stadt, 2. Aufl. 2010, Kohlhammer, 39            desselben Jahres ergab nur 49 Prozent. Quelle: Der
   a.D. des Gemeindetags Baden-Württemberg, und              11. BVerfGE 83, 37, 54                                             Spiegel, 2006, http://www.spiegel.de/politik/deutsch-
   Honorarprofessor an der Universität Stuttgart, Institut                                                                      land/0,1518,446203,00.html; Zugriff 10.9.2010
   für Sozialwissenschaften                                  12. BVerfGE 79, 127 = BWGZ 1989, 262, 265
                                                             13. Pressemitteilung Statistisches Landesamt Baden–            22. Infratest Dimap, Sachsen-AnhaltTREND, Mai 2009
2. Gabriel in: Gabriel/Müller-Graff/Steger (Hrsg), Kommu-
                                                                 Württemberg vom 16.6.2009, BWGZ 2009, 470                  23. z.B. http://www.netzwerk-zukunftsstaedte.de/dstgb/
   nale Aufgaben im Europäischen Binnenmarkt, Schrif-
   tenreihe des Arbeitskreises Europäische Integration       14. Ellwein BWGZ 1980, 274, 276; zum Teilaspekt der Wahl-          homepage/artikel/schwerpunkte/europa/aktuell/euro-
   Bd. 68, Nomos Verlag Baden-Baden 2010, 95                     beteiligung nach Ortsgrößen siehe Vetter in: Vetter            barometer_umfrage_kommunen_haben_in_euro-
                                                                 (Hrsg), Erfolgsbedingungen lokaler Bürgerbeteiligung,          pa_das_groesste_vertrauen_des_buergers/einfluss-
3. Ebenso Vetter in: Gabriel/Müller-Graff/Steger (Hrsg),         VS Verlag 2008, 49, 58, 64                                     gemeindeneurobarfeb09dtld.pdf, Letzter Zugriff 14.03.
   Kommunale Aufgaben im Europäischen Binnenmarkt,                                                                              2011
   Schriftenreihe des Arbeitskreises Europäische Inte-       15. Siehe etwa das BVerfG zu direktdemokratischen Ele-
   gration Bd. 68, Nomos Verlag Baden-Baden 2010, 119,           menten auf Bundesebene und in den Kommunen,                24. FAZ vom 25.01.2011, http://www.faz.net/s/Rub99C3E
   120                                                           BVerfGE 79, 127 = BWGZ 1989, 262, 265                          ECA60D84C08AD6B3E60C4EA807F/Doc~EAE005CA
                                                             16. Zur Bedeutung der lokalen Demokratie in diesem Zu-             324524217B16D205CA47FBE88~ATpl~Ecommon~S
4. Klages/Daramus/Masser, FÖV Discussion Papers 15,                                                                             content.html, Zugriff 12.03.2011
   Speyer 2004, 19                                               sammenhang siehe Gabriel in: Gabriel/Müller-Graff/
                                                                 Steger (Hrsg), Schriftenreihe des Arbeitskreises Euro-     25. Vgl. auch Vetter in: Schuster/Murawski (Hrsg), Die
5. Vgl. von Lucke, „Demokratie ohne Volk“?, Blätter für          päische Integration Bd. 68, Nomos Verlag Baden-                regierbare Stadt, 2. Aufl. 2010, Kohlhammer, 248, 255 f.
   deutsche und internationale Politik 7/2010, 5, http://        Baden 2010, 95 ff.
   www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2010/juli/demo-                                                                        26. http://www.stern.de/politik/perspektivedeutsch-
                                                             17. Zitat Vetter in: Vetter (Hrsg), Erfolgsbedingungen loka-       land/perspektive-deutschland-2002-so-wollen-wir-
   kratie-ohne-volk, letzter Zugriff 12.3.2011
                                                                 ler Bürgerbeteiligung, VS Verlag 2008, 49, 59                  leben-506934.html, letzter Zugriff 12.03.2011
6. Die deutsche Gesellschaft für Sprache (GfdS) wählt
                                                             18. Zur Vielfalt kommunaler Selbstverwaltung in Europa
   jeweils prägnante Begriffe aus den Medien zum Wort                                                                       27. z.B. TNS-Emnid Studie, berichtet in „Die Welt“ vom
                                                                 siehe Vetter in: Gabriel/Müller-Graff/Steger (Hrsg.),
   des Jahres: http://www.tagesschau.de/inland/wort-                                                                            10.9.2003
                                                                 Schriftenreihe des Arbeitskreises Europäische Inte-
   desjahres106.html, Zugriff 12.3.2011
                                                                 gration Bd. 68, Nomos Verlag Baden-Baden 2010, 119,        28. Gabriel in: Schuster/Murawski (Hrsg), Die regierbare
7. Stuttgarter Zeitung vom 22.12.2010, S. 4                      122 ff.                                                        Stadt, 2. Aufl. 2010, Kohlhammer, 164, 188 f.
6/2011 Bayerischer Gemeindetag      227

(Fast) 100 Jahre Bayerischer Gemeindetag
Im nächsten Jahr kann der Bayerische Gemeindetag auf 100 Jahre Verbandsgeschichte zurückblicken. Seit seiner Grün-
dung im Jahr 1912 gibt unser Verband eine regelmäßig erscheinende Zeitschrift heraus. Sie erschien bis zur Gleichschal-
tung der kommunalen Spitzenverbände während des Nationalsozialismus als offizielles Verbandsorgan unter dem Titel
„Der bayerische Bürgermeister“. In Erinnerung an die Leistungen der Gründerväter und um Sie, die verehrten Leserin-
nen und Leser unserer heutigen Verbandszeitschrift, neugierig zu machen auf unsere große Jubiläumsveranstaltung,
bringt der„Bayerische Gemeindetag“ Ernstes, Heiteres, Besinnliches und auch manches, was uns heute absonderlich er-
scheint, aus den Anfangsjahren des größten bayerischen kommunalen Spitzenverbands.

Demografische Entwicklung anno dazumal –„Leutenot“ (1913, S. 41)
Jugendpflege, dieses große Vermächtnis unseres nun in Gott ruhenden Prinzregenten Luitpold, das allgemach auch auf
dem Lande draußen verständnisvolle Aufnahme findet, empfiehlt der Deutsche Verein für ländliche Wohlfahrts- und
Heimatpflege als ein wirksames Mittel gegen die Landflucht, gegen die Neigung der schulentlassenen jungen Burschen
und Mädchen, der ländlichen Scholle zu entfliehen und in der Stadt ungewissen Glücksträumen nachzujagen, die sich
nur zu oft nicht erfüllen wollen und mit all dem Elend enden, das in der Großstadt so viele im Kampfe ums Dasein schei-
tern lässt, während draußen in der ländlichen Heimat Eltern, Geschwister und Verwandte unter der Leutenot leiden, die
das Behaupten der ererbten Heimstatt zu hartem Ringen macht. Und diese Heimstatt soll doch der Stolz des Land-
bewohners sein, jedes Opfers wert.
Ja, auf solches Heim und das darin wurzelnde Heimatsbewusstsein darf einer stets stolz sein, ob auch mal ein Städter –
in Altbayern nennen sie ihn „Stadtfrack“ – die Nase ob dem „Bauernstolze“ rümpfen will. Wenn den Stadtbewohner
Hausherren und Mietsteigerung von Stadtteil zu Stadtteil, viele Treppen hoch, in Rückgebäude mit engen dunstigen
Höfen jagen, dann wäre der selbstbewusste Stadtbewohner heilfroh, wenn er ein eigen Heim als Rückhalt wüsste, aus
dem ihn keiner verscheucht.
Und doch zieht es so viele junge Leute, Burschen und Mädchen, nach der Stadt, weil sie dort Freiheit, Vergnügen und
goldene Berge erhoffen. Wenn sie erst einmal in den Strom der Jagd, wir wollen gar nicht sagen nach dem Glück, nur
nach dem täglichen Brote untergetaucht und ihnen die Wellen der Not über dem Kopfe zusammenschlagen, dann
denken gewiss viele an die ländliche Heimat mit ihrem ruhigen, gesundes sicheres Brot gewährenden Leben, an die
einfache Schlafkammer im eigenen dörflichen Heim, die ihm gegen die städtische, oft überfüllte, kärgliche Schlafstelle
ein Palast dünken mag.
Man mag das der jungen Welt auf dem Lande noch so oft predigen, sie wird ungläubig, ja unwillig den Kopf schütteln,
dass man sie von der so ernsten Fahrt nach dem städtischen Glücke abhalten will. Da heißt es nun früh einsetzen und
schon in der Schule, vor allem in der Sonn- und Feiertagsschule unserer Dorfjugend das Herz für die ländliche Heimat
warm machen. Nicht gegen die Gefahren und Nöte des Stadtlebens eifern, das fordert nur den Widerspruchsgeist
heraus, der heute mehr denn je in unserer Jugend steckt, aber die Schönheiten und Guttaten der Heimat den jungen
Leuten erschließen, dass sie nicht mit der Gleichgültigkeit der Gewohnheit an ihnen nichtachtend vorübergehen.
Viel Geduld, viel Ausdauer und Arbeit erfordert diese Jugendpflege in ihrer Entwicklung zur Heimatliebe, aber sie lohnt
sich auch, denn nach Jahren wird sie der Entvölkerung des Landes doch einen Damm setzen und der Leutenot draußen
steuern.
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