75 Mitteilungen an die Mitglieder der Südtirolerverbände - Gesamtverband der Südtiroler ...
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75 Mitteilungen an die Mitglieder der Südtirolerverbände Nr. 5/6 Mai/Juni 2021 75. Jahrgang Inhalt CD-Tipp ................ 4 Option - Spuren der Erinnerung ..... 5 Rezepte der Südtiroler Bäuerinnen ............17 Projekt Erinnerungskultur - Option .................. 18 Wir gratulieren zum Geburtstag ..... 24 Südtirol in Farben / Foto: Josef Gorfer, Bruneck Veranstaltungen.... 28 Sennesalm im Gadertal
Seite 2 Mai/Juni 2021 75 Südtiroler Heimat Parteienverkehr (Rentenberatung) und Bürodienst PATRONAT ACLI ÖSTERREICH UND GESAMTVERBAND DER SÜDTIROLER IN ÖSTERREICH Unsere Kanzlei in Innsbruck, Zeughausgasse 8, ist Montag, Dienstag und Mittwoch von 9.00 bis 13.00 und 14.00 bis 16.00 Uhr geöffnet. Frau Christine Stieger, E-Mail: innsbruck@patronato.acli.it Tel. Nr. +43 (0) 512 589860, Handy Nr. +43 (0) 670 4067185. Da s B ü r o is t u r laubs beding t vom 19. Juli bis 15. Aug us t 2021 g es chlo ssen. Wir bitten um telefonis che Ter minver einbar ung en! LEBENSBESCHEINIGUNG Leider hat es, bedingt durch die Corona-Pandemie, Verzögerungen und Fehlinformationen zur Lebensbescheinigung für die italienischen Rentenbezieher gegeben. Die Lebensbescheinigung für das Jahr 2020/2021 wird ab Juni 2021 gestartet. Der Abgabe-Termin bei der Citi-Bank ist der 07.09.2021. Die Erklärung ist bereits vorausgefüllt und somit nur mehr vom Pensionist*in zu unterschreiben. Ein zulässiger Zeuge (z.B. Meldeamt der Gemeinde, Magistrat oder italienisches Konsulat und Botschaft) muss mit Unterschrift und Stempel bestätigen, dass die Person am Leben ist. Die korrekt ausgefüllte Lebensbescheinigung kann an die Citi Bank nach London per Post zurückgeschickt werden. Es wird jedoch empfohlen, diese über das Patronat einzureichen. Patronat Acli Zeughausgasse 8 6020 Innsbruck oder innsbruck@patronato.acli.it Als Patronat haben wir die Möglichkeit, die Lebensbescheinigung elektronisch an die Citi Bank weiterzuleiten und können dabei die Daten auf ihre Richtigkeit überprüfen. Gleichzeitig erhalten wir eine Bestätigung über die erfolgte, elektronische Übermittlung von der Citi Bank! Auf unserer Homepage …unter Neu für www.verband-der-suedtiroler.at Gesamtverband der Südtiroler Smartphone-Besitzer: in Österreich What's App-Gruppe erfahren Sie alles Wissenswerte über unser Vereinsleben in ganz „jung+cool=südtirol“ Österreich! Wir sind auch auf Facebook… Wir freuen uns über jedes Gefällt mir
Südtiroler Heimat 75 Mai/Juni 2021 Seite 3 Südtirol-Themen Elektromobilität nimmt in Südtirol Fahrt auf Maßnahmenpaket auf zwei Säulen aufgebaut Die Nachfrage an Landes- Ziel der Maßnahmen war Elektro-Motorräder und für gen: dafür bekommt man zuschüssen für den Kauf es seit Beginn, den Ankauf 22 Lastenfahrräder geneh- von Land und Händlern von Elektrofahrzeugen und von Fahrzeugen sowie migt. Hinzu kommen noch einen Preisnachlass von von Heimladestationen ist den Ausbau der Ladeinfra- 246 geförderte Unterneh- insgesamt 4000 Euro. Zu- gestiegen. Seit 2018 hat struktur zu fördern. Dank men, die 2020 Zuschüsse dem wird das Leasing und das Land 2,3 Millionen des Maßnahmenpakets zur für ihre Investitionen in auch die Langzeitmiete Euro investiert. Weitere Förderung der Elektromo- Fahrzeuge mit Elektroan- von Elektrofahrzeugen ge- Aktionen sind geplant. bilität ist der Umstieg auf trieb und Ladestationen fördert. die E-Fahrzeuge für die bekommen haben. Bürger eine echte Alternati- Zusammen mit der Energie- ve geworden. Einen zusätz- Somit hat das Land für gesellschaft Alperia, dem lichen Schub gab es seit Private und Unternehmen Konsortium ARO und dem 2019, seit die Förderung von 2018 bis 2020 eine Unternehmen Alpitronic des Landes mit jener des Gesamtsumme von 2,3 investiert das Land auch in Staates kombinierbar ist. Millionen Euro an Zuschüs- den Ausbau der Schnell- Die Abteilung Mobilität hat sen gewährt. ladestationen entlang der 2020 insgesamt 298 Zu- Hauptstraßen des Landes. schüsse für den Ankauf von Auch 2021 können Bürge- Aktuell gibt es mehr als Elektroautos und Plug-In- rinnen und Bürger, Orga- 280 öffentliche Ladepunkte Hybridfahrzeugen für Pri- nisationen und Verbände in Südtirol. vate gewährt. Zusätzlich um einen Zuschuss für den wurden 48 Beiträge für Kauf eines E-Autos anfra- Quelle: Heimat & Welt Olympische Spiele Gemeinsam forschen Logo für „Mailand-Cortina 2026“ Zusammenarbeit mit FWF Das Logo für „Mailand- der Natur, erklärte Kompat- Bei der Förderung bilate- Cortina 2026“ wurde ent- scher. In Südtirol wird zum raler Forschungsprojekte hüllt. ersten Mal eine Disziplin wird das Land Südtirol der Olympischen Winter- auch in Zukunft mit dem Bei einer Online-Presse- spiele ausgetragen. In der Österreichischen Wissen- konferenz an der auch Südtirol Arena in Antholz schaftsfonds zusammen- Landeshauptmann Arno werden die Wettkämpfe im arbeiten. Kompatscher teilgenom- )PH[OSVUZ[H[[ÄUKLU/PLY men hat, wurde das Logo wird eine Struktur genutzt, Seit drei Jahren arbeiten für die Olympischen Win- in der schon bisher große das Land Südtirol und der terspiele 2026 enthüllt. Die Veranstaltungen abgewi- Österreichische Wissen- XXV. Winterspiele werden ckelt wurden. schaftsfonds (FWF) bei Be- im Februar 2026 in Mai- gutachtung und Förderung land und Cortina, aber Quelle: Heimat & Welt von bilateralen Forschungs- auch in Antholz in Südti- projekten zusammen. Die- rol ausgetragen. Das Logo se Zusammenarbeit soll netzung abzielen. So arbei- wurde von Millionen Men- nun verlängert werden. tet das Land auch mit dem schen über eine Online- Schweizerischen National- Auswahl ausgesucht. Das Zur Kooperationsvereinba- fonds (SNF), der Deutschen Design sei einfach und klar rung mit dem FWF haben Forschungsgemeinschaft und transportiere den Geist sich im vergangenen Jahr (DFG) und dem Luxem- von Olympia 2026, der Das Logo für die Olympi- weitere Abkommen gesellt, burgischen Nationalfonds nicht auf Prunk und Pomp schen Winterspiele und die auf eine Stärkung der (FNR) zusammen. basiert, sondern auf Nach- das Logo für die Paralym- Forschung in Südtirol und haltigkeit und Einklang mit pischen Spiele 2026. deren internationale Ver- Quelle: Heimat & Welt
Seite 4 Mai/Juni 2021 75 Südtiroler Heimat CD-TIPP 100 Jahre Südtirol oder Der Geburtstag einer Greisin von Dietmar Gamper Jetzt als Audiobook Die Erzählung rankt sich erhältlich um die Bäuerin Maria Hofer (Eva Kuen). In zehn Sze- Das Theaterstück „100 Jah- nen wird jeweils ihr 100. re Südtirol“ von Dietmar Geburtstag gefeiert. Um Gamper ist nun als Hörspiel die Feierlichkeiten herum adaptiert worden. Das Au- wird geredet, politisiert, ge- diobook dazu wird von der plant, gebandelt, intrigiert, Edition Raetia vertrieben gespaßt und geliebt. Als und ist bereits auf allen gän- Erzähler fungiert Knecht gigen Streamingplattformen Natz (Heinz Köfler), er ist und Onlineshops verfügbar. der Outlaw, der zwar weder Er ist der wissende Beiste- „100 Jahre Südtirol“ ist eine lesen, noch schreiben kann, hende auf dem Südtiroler In Zusammenarbeit mit humorvolle Tour de Force aber über ein großes Gespür Hof, der die Hofers kritisch durch das letzte Jahrhundert und eine feine Beobach- beäugt und das Geschehen auf einem Südtiroler Hof. tungsgabe verfügt. kommentiert. Jetzt online abschließen tiroler.at Wenn die Welt kopfsteht, sind wir für dich da. Mit der Haushalts- und Eigenheimversicherung zum Top-Preis. Weitere Informationen unter tiroler.at
Südtiroler Heimat 75 Mai/Juni 2021 Seite 5 OPTION – Spuren der Erinnerung Optionsgeschichte Mathias Tasser Liebe Leser Tasser, die ihre Wurzeln ich in der SH über Er- Autor der Erinnerungen der Südtiroler Heimat! in St. Johann in Ahrn- fahrungen und Lebens- an seinen Vater: tal hat. Bei diesem Ge- geschichten berichtet, Für diese Ausgabe der spräch zeigte er mir ein die die Übersiedlung in Rudolf Tasser, studierte SH habe ich einen sehr Manuskript vom Sohn das „Deutsche Reich“ in Innsbruck Geschichte interessanten Interview- des Mathias Tasser (Ma- und die Bürden der Ein- und Germanistik, unter- partner getroffen. Im Ver- thias Tasser ist der Bru- gliederung in eine neue richtete an Mittel- und einsheim der „Sängerver- der des Großvaters von Gesellschaft zum Thema Oberschulen, ab 1990 einigung Wolkensteiner“ Emmanuel Dallapozza) hatten. Diese Optionsge- Direktor des Südtiroler treffe ich mich mit dem über seinen Großon- schichte hat eine ganz Landesbergbaumuse- Obmann und Chorleiter kel. Diese Geschichte andere Qualität. Sie ums. der „Wolkensteiner“, zeigt die Zerrissenheit spielt in Südtirol. Unbe- Emmanuel Dallapozza, der Menschen die durch kannterweise möchte ich NS: In der nächs- um über seine Familie, die Option in eine Ge- dem Autor der Lebens- ten Ausgabe der SH die aus dem Fassatal wissenslage gedrängt geschichte seines Vaters möchte ich über Em- stammt, zu plaudern. wurden, die dem Raum danken, dass er mit so manuel Dallapozza Im Laufe des Gespräches für Menschenwürde und viel Akribie schmerz- berichten, der einen kam ich auch auf die Gerechtigkeit keinen hafte Erinnerungen, be- der namhaftesten Familie seiner Mutter zu Platz oder fast keinen ginnend im Jahre 1941, Chöre Tirols leitet. sprechen, eine geborene Platz ließ. Bis jetzt habe nachgezeichnet hat. Erinnerungen an meinen Vater, Mathias Tasser! (ungekürzte Fassung) Obwohl sich dabei ein Konsequenzen zu tragen das schlechte Gewissen ziemlich schonungsloses hatte, ist nicht nur eine zu verdecken, dann hät- Bild zumindest eines Teils Südtiroler Eigenheit. Wie te man darin auch etwas seiner Ahrntaler Mitmen- hätten die Wenigen auch Positives sehen können, schen ergab, entsprangen mit den Vielen abrechnen aber in den allermeisten dem keine Rachegelüste, sollen? Das wäre der Krieg Fällen war kein schlech- sondern mehr eigentlich nach dem Krieg gewor- tes Gewissen da. Wenn nur Verwunderung da- den. So war es vielleicht diese Leute unter sich rüber, dass der Fanatis- sogar gut, dass die Dorf- waren, sprachen sie auch mus der Nazis auch die nazibonzen nach einer zwanzig Jahre nach dem anscheinend standfesten vierjährigen Schämfrist Kriege noch von den katholischen Ahrntaler so wieder als Bürgermeister „Unserigen“, wenn sie sehr verseucht hatte, dass auf den Dorfthronen Platz sich und Ihresgleichen viele von ihnen zu Jägern nehmen durften, um dann meinten und bedauerten, jener wurden, die den Na- jahrzehntelang dort sitzen dass der Führer gegen so Mathias Tasser zi-Irrsinn nicht mitmach- zu bleiben, ohne dass je- viel Verrat nicht mehr an- ten, dem sie selbst sich mand auch nur zu fragen gekommen sei. Es ist in Vorbemerkungen: ohne viel Überlegungen wagte, wie das damals Südtirol bis heute nicht Mein Vater Mathias Tasser an den Hals geworfen hat- gewesen war. Die Folge ratsam, sich für ehemali- war ein sehr guter Erzäh- ten. Und das hatte ohne war, dass die Wenigen, ge Widerständler einzu- ler. Wenn er von einer Zeit Zweifel die große Mehr- die dem verbrecherischen setzen. Auch ein an und als Deserteur während heit getan. Dass die Nazi- Regime der Nazis nicht für sich so mutiger Mann des zweiten Weltkrieges Bande, die Südtirol damals auf den Leim gegangen wie Dr. Friedl Volgger hat erzählte, tat er das mit kujonierte (Anm. d. Red. waren, weiterhin eine das einsehen und sich großer Leidenschaft, so quälen, schikanieren, be- Randgruppe blieben, auf dem beugen müssen. Zu- als würde er das Erleb- leidigen), nach dem Krie- die man herabsah. Wenn nächst veröffentlichte er te erneut durchmachen. ge dann überhaupt keine das geschehen wäre, um in der Novembernummer
Seite 6 Mai/Juni 2021 75 Südtiroler Heimat des „Volksboten“ aus dem wäre, woran kaum je- Jahre 1945 die Namen der mand zweifelte. Als der Naziwiderständler, und Abschluss des Options- zwar auch jene der Deser- abkommens in Südtirol teure. Danach ist er aber bekannt wurde, war man in keiner Weise mehr aktiv vom Führer enttäuscht, als geworden. Es wäre auch er von all denen die Auf- ganz und gar undenkbar gabe der Heimat verlang- gewesen, dass er seine te, die ihr Deutschtum er- politische Karriere, die halten wollten, aber dann ihn immerhin bis in den willigte man ein – große römischen Senat führte, Führer fordern nun mal etwa als Funktionär einer große Opfer - und stimm- Organisation von ehema- te mit fast neunzig Prozent ligen Widerständlern hät- für die Abwanderung ins te starten können. So eine Reich. Wer nicht dafür Organisation hätte es aber Die Tratte, Heimathof der Familie Tasser stimmte war „a Walischo“ gebraucht, um einmal der und ein Volksfeind. allgemein verbreiteten Affäre um die Entführung Kürzeren zu ziehen. Die Ansicht entgegenzutre- der Unterbrennkinder in Hebamme überkam wohl Das Unterbrenn war ein ten, die Deserteure seien St. Johann, womit alles be- so etwas wie Mitleid und kleines Bauerngut direkt Drückeberger, die sich gonnen hatte. Mein Vater sie sagte zu meinem Vater: am linken Ufer der Ahr, zu dem großen Vaterlande lebte vom Februar 1943 „Geh doch und sag, dass dem auch eine Mühle mit verweigert hätten, als es an als Deserteur im Wal- sie die Kinder endlich in Stampf (Kornmühle) ge- sie am meisten brauchte, de. Mit zwei Jahren und Ruhe lassen soll.“ Was er hörte. Die beiden Kinder zum anderen aber auch, drei Monaten gehörte er dann auch tat. (Kommen- waren Waisenkinder. Zu- um ihnen wirtschaftliche am Ende des Krieges zu tar meiner Mutter dazu auf nächst war ihr Vater Bla- Entschädigungen zumin- den dienstältesten Deser- Tonband: „Dea hot se olm sius gestorben, dann hatte dest im gleichen Maße teuren im Ahrntal. ols ostell gilott.“) Die zwei die Mutter einen Stiefvater zukommen zu lassen wie Kinder waren die Unter- ins Haus geholt und war den anderen Kriegsop- Verdächtig gemacht brennkinder. Sie waren im dann bald danach selbst fern und Frontkämpfern. und die Folgen Zuge des Optionsabkom- gestorben. Die zarte, Es ist heute noch so, dass Als sie geschah, dachte mens in den Mittelpunkt bleiche Frau, die sich be- die Teilnahme an Hitlers zunächst niemand, dass des örtlichen Interesses mühte, die Kinder über Krieg, der zu den größten die kleine Begebenheit gerückt, das Hitler und die Brücke zu bringen, Verbrechen der Mensch- Folgen haben würde. Mussolini Südtirol betref- war ihre Tante Anna, eine heitsgeschichte gezählt Auch nicht die daran Be- fend im Jahre 1939 abge- Schwester des Vaters. Sie werden muss, bei uns im- teiligten. Meine Eltern schlossen hatten. Die Süd- war als Vormund einge- mer noch unter Heimat- saßen zusammen mit tiroler hatten danach die setzt worden. Weil sie zu ]LY[LPKPN\UN\UK7ÅPJO[- der alten Gemeinde- Wahl zwischen der Ab- den wenigen Dableibern erfüllung läuft. hebamme am Söller des wanderung ins Deutsche im Dorf gehörte, hatte Oberscharnhauses in St. Reich und dem Verbleiben sie auch für die Kinder Ich habe mir einige Male Johann, wo sie seit 1941 in ihrer Heimat, allerdings „walsch“ gewählt, wie vorgenommen, die Erzäh- wohnten, und schauten mit der Aussicht, Natio- man sagte, wenn jemand lungen meines Vaters auf auf die Straße hinunter nalität und Sprache dafür damals für das Dableiben Tonband aufzunehmen. Es und zum gegenüber lie- aufzugeben. Die Südti- stimmte. Den Nazigrößen ist aber dann nie dazu ge- genden Unterbrennhaus roler waren schockiert. und ihren Helfershelfern kommen. Als er im März hinüber. Sie redeten über Die meisten hatte lange PT+VYMNLÄLSKHZUPJO[ 1982 ins Brunecker Kran- dieses und jenes und un- schon sehnsüchtig nach Die Kinder wurden von kenhaus kam, war es zu terbrachen das Gespräch, Deutschland geblickt, wo ihnen in die Mangel ge- spät. Ich habe dann meine als vom Unterbrenn eine der Führer sich anschick- nommen und gegen die Mutter kurz vor deren Tod Frau zwei Kinder, die sich te, nach dem ersten ver- Tante aufgehetzt, dass sie einmal befragt, aber sie PTZJO\SWÅPJO[PNLU(S[LY lorenen Weltkrieg nun bald nicht mehr ein noch wusste über das Schicksal befanden, mehr oder we- einen zweiten vorzube- aus wussten. Sie merkten meines Vaters nicht viel niger mit Gewalt über die reiten, von dem sich die nur, dass die Tante anders mehr als wir durch seine Brücke in Richtung Straße Südtiroler erwarteten, dass entschieden hatte als die Erzählungen auch wuss- zu zerren versuchte. Die er sie vom ungeliebten ita- meisten Leute im Dorf ten. Wo sie sich genau Frau war zart und bleich lienischen Joch befreien und dass sie dadurch iso- auskannte, war die Zeit und schien gegen die und ins große Deutsche liert waren. Und so wehr- vorher, mit der unglück- grimmig sich wehrenden, Reich einverleiben wür- ten sie sich gegen alles, lichen Involvierung in die weinenden Kinder den de, wenn er gewonnen was von ihrer Tante aus-
Südtiroler Heimat 75 Mai/Juni 2021 Seite 7 ging. Als einigermaßen Als die Entführung be- recht verlässlicher Na- kommen. Meine Mutter sicher war, dass die Tan- kannt wurde, suchten die zi-Mitläufer verdächtigt konnte sich einen Rechts- te für ihre Mündel nicht Carabinieri nach den Tä- worden, an der Entfüh- anwalt nicht leisten. Sie umoptieren würde, ent- tern. Weil die Tante der rung beteiligt gewesen zu versuchte es deshalb mit schloss man sich auf Sei- Kinder davon berichtete, sein. Wenige Tage nach- einer Frau, die den Ruf ten der Nazis, die Kinder dass mein Vater sie sei- dem die Kinder über die hatte, so etwas wie eine zu entführen und sie über nerzeit aufgefordert hat- Grenze gebracht worden Winkeladvokatin zu sein. den Alpenhauptkamm der te, die Kinder in Ruhe zu waren, tauchten die Cara- Als sie nach dem Kriege Zillertaler Alpen ins Deut- lassen, geriet er in Ver- binieri auf der Platteralm dann von meinem Vater sche Reich zu bringen. dacht, zu den Entführern auf und verhafteten mei- zur Rede gestellt wurde, Seit Hitler im Jahre 1938 zu gehören. Den Nazis nen Vater. Meine Mutter gab sie zu, unter dem Österreich annektiert hat- konnte das natürlich nur ging davon aus, dass er Druck der Nazis erst gar te, führten die Wege über recht sein, denn solange bald wieder daheim sein nicht aktiv geworden zu die zahlreichen Jöcher man ihn verdächtigte, werde, denn die Wahrheit sein. Wahrscheinlich ist des Ahrntales ja direkt waren die wahren Täter musste sich ja herausstel- gegen die wirklichen Ent- ins Reich. Die Entführer vor Nachforschungen len, war doch die Alm führer nie ernsthaft ermit- drangen eines Nachts in sicher. Es ist nie aufge- voll von Menschen, die telt worden, obwohl mein die Wohnung der zarten, kommen, wer damals die bestätigen konnten, dass Vater die Namen der Be- bleichen Frau ein, schlu- Tante niedergeschlagen ein anderer die Kinder gleitpersonen der Kinder gen sie nieder, sperrten und die Kinder entführt vorbeigebracht und mein der Polizei mitgeteilt hat. sie in ihre Kammer und hat. Die Frage war, ob Vater sich geweigert hatte, Es wirkte sich wohl nega- nahmen die Kinder mit. der Eggehäusl Franz nur den Bergführer zu spielen. tiv aus, dass er an illega- Als einer der Täter, der den Begleiter über das Aber es kam dann nie- len Versammlungen der Eggehäusl Franz, mit den Joch hinüber gemacht mand mehr, der danach Nazis nie teilgenommen Kindern am Tag danach hat, oder von Anfang an fragte. Mein Vater blieb hatte und dass er folglich auf dem Weg über den zu den Entführern gehör- dann – wie gesagt - mehr nicht als einer der Ihren Alpenhauptkamm in der te. Er traute sich jedenfalls als zwei Monate im Ge- galt. Dass er optiert hat- Platteralm im Frankbach nicht mehr nach Südtirol fängnis von Bruneck ein- te, genügte anscheinend auftauchte, zeigte es sich, zurück, auch nach dem gesperrt. In den Verhören nicht, um ihn zu einem dass sie für den doch eher Kriege nicht, als die Sa- gab er zwar an, wer die vollwertigen Volksgenos- gefährlichen Gang über che für ihn längst unge- Kinder zur Platteralm ge- sen zu machen. das immerhin 2761 Meter fährlich gewesen wäre. bracht und dann weiter in hohe Frankbachjoch hin- Bekannten sagte er, dass Richtung Grenze geführt In Jenbach beim über in den Stillupgrund er Angst vor meinem Vater hatte. Aber es wurde nie Reichstelegrafenamt nicht vorbereitet waren. gehabt habe. Ob er nach jemand anderer verhaftet. Die Ausweisung aus Ita- Sie baten meinen Vater, dem Tode meines Vaters Als er dann Ende Septem- lien war an sich noch der auf dieser Alm mit den je wieder im Ahrntal auf- ber 1941 aus dem Ge- keine Katastrophe. Da anderen Dienstboten, zu getaucht ist, entzieht sich fängnis entlassen wurde, sein Bruder Franz schon denen auch meine Mutter meiner Kenntnis. Mein stellte ihn die italienische einige Jahre vorher aus gehörte, die damals beim Vater erzählte später, dass Polizei auf den Brenner Arbeitsgründen nach Platter tagwerkte und mit ihn im Gefängnis von Bru- und schob ihn ins Deut- Mayrhofen im Zillertal Mähen von Bergheu be- neck, wo er mehr als zwei sche Reich ab. Das war übersiedelt war, fuhr er schäftigt war, er möge Monate eingesperrt war, deshalb möglich, weil er vom Brenner direkt dort- sie begleiten, weil er die gelegentlich schon eine ja als Optant für die deut- hin und fand zunächst bei Wege über die Ahrntaler ungeheure Wut gepackt sche Staatsbürgerschaft einem Bauern Arbeit und Jöcher recht gut kannte. Er habe, als er sah, dass er optiert hatte und hier – dann beim Telegrafenamt ging nicht mit, wohl auch, von den Nazis benutzt wie die anderen Optan- in Jenbach, am Eingang weil meine Mutter nicht wurde, und dann wünsch- ten auch – nur so lange ins Zillertal. Dort gehörte einverstanden war, wie te er den Tätern, dass sie geduldet wurde, als er er zu einem Arbeitstrupp, sie im Nachhinein beton- sich selbst umbringen sich nichts zu Schulden der neue Leitungen ver- te. Dafür ging Peter Mit- möchten. Als sich weni- kommen ließ. legte und für die Instand- terhofer mit, den sie Mil- ge Jahre nach dem Kriege haltung der Bestehenden SH7PL[YVUHUU[LU,YÄLS dann der Oberfuchsstall Im Nachhinein hat sich sorgte. Er verdiente gut, dann später im Krieg. Von Lois in der Nähe seines gezeigt, dass man von auf jeden Fall besser als der Platteralm brachen die Hauses im Eidnbachl er- Seiten der Dorfnazis alles bis dahin als Bauern- beiden Führer samt Kinder schoss, sah es für meinen versuchte, um meinem knecht im Ahrntal. Meine in Richtung Frankbach- Vater ein bisschen so aus, Vater die Entführung an- Mutter litt jedenfalls kei- joch auf, um von dort auf als habe das Geschehen zulasten und dass von ne Not und hatte so viel Reichsgründen ins Ziller- etwas mit diesem, seinem keiner Seite etwas unter- Geld zur Verfügung wie tal zu gelangen. Das alles Wunsch zu tun, denn der nommen wurde, um an später lange nicht mehr. geschah Mitte Juli 1941. Lois war seinerzeit als die wirklichen Täter zu So war die Trennung von
Seite 8 Mai/Juni 2021 75 Südtiroler Heimat Oberscharner vorbei. Damals war das zweite Kind, meine Schwester Paula, schon geboren (28.02.1943). Diese Tref- fen zu Hause beim Ober- scharner waren nur nachts möglich und nicht unge- fährlich. Das Oberschar- nerhaus lag mitten im Dorf und zusätzlich teilte meine Mutter die Woh- nung im ersten Stock des Hauses mit einer ledigen Frau, die sich, wenn sie ge- braucht wurde, bei Wöch- nerinnen als Aufwarterin verdingte, oder auch als 2YHURLUWÅLNLYPU:PLOPL Cäcilia Kaiser und wurde im Dorf die „Schan Cille“ genannt. Die Frau war an Die Familie Tasser (Mathias Tasser, hintere Reihe 3. von rechts) sich harmlos, aber es war zu befürchten, dass sie Frau und Kind zu ertragen, lungen immer wieder ben, dass er einrücken über die Geschehnisse denn es bestand für ihn durch. und in den Kaukasus kom- beim Oberscharner der al- damals ein striktes Ein- men würde. Auch mein ten Hebamme mehr oder reiseverbot nach Italien, Nicht in den Kaukasus Vater sagte später immer, weniger genau berichte- das er auch nicht mit il- Es war dann doch nicht dass er erst durch die te, die beim Klamperer in legalen Jochgängen vom eine freudige Überra- widrigen Wetterverhält- der unmittelbaren Nach- Zillertal ins Ahrntal aufzu- schung, als meinem Vater nisse – es hatte sehr stark barschaft wohnte. Die lockern wagte. Die Angst, im Frühsommer 1942 die geschneit - daran gehin- war politisch interessiert dass mein Vater zur Wehr- Einberufung zur Wehr- dert worden sei, über das und durch und durch na- macht eingezogen würde, macht zugestellt wurde Frankbachjoch ins Ziller- tionalsozialistisch gesinnt. war vorhanden, vor allem und er sich für die sieben tal zu gelangen und dann Dazu kam noch, dass im der seit Juni 1941 in Gang Monate dauernde Ausbil- nach Reichenhall zu fah- Parterre des Hauses, in ILÄUKSPJOL 2YPLN NLNLU dung nach Reichenhall ren. Meine Mutter erfuhr der sogenannten „Unter- Russland ließ diese Ge- begeben musste. Bevor davon erst, als Tage nach stube“, zwei junge Frau- fahr ansteigen. Allerdings er dort einrückte, kam er dem vermeintlichen Über- en lebten, von denen eine wuchs gleichzeitig mit der Ende Mai übers Joch für gang über das Joch der Schneiderin war. Beide Ausbreitung des Krieges einige Tage nach Hause, NS-Ortsgruppenleiter von -YH\LU^HYLUSLKPNWÅLN- auch die Wahrscheinlich- was ausreichte, um für die Steinhaus, Johann Hofer ten aber durchaus Bezie- keit, dass Deutschland zweite Schwangerschaft vom Garber, beim Ober- hungen zu Männern, die den Krieg verlieren wür- meiner Mutter zu sorgen. scharner auftauchte und sich aus einer jeweiligen de und insofern stieg auch Als die Ausbildung in nach meinem Vater fragte, Situation ergaben. Nach die Hoffnung, dass es Reichenhall nach sieben der drüben im Reich nicht der Besetzung des Landes doch noch gut ausgehen Monaten abgeschlossen angekommen sei. Meine im September 1943 hiel- könnte. Mein Vater war war, gab es einen kurzen Mutter machte sich große ten sich zu diversen Tag- in Mayrhofen in einem Urlaub, bevor es Ende Sorgen, weil sie ja auch und Nachtzeiten deutsche Gasthaus einquartiert, Februar zwecks Heimat- um die Wetterverhältnis- Wehrmachtsangehörige in das einem Wirt gehör- verteidigung an die Kau- se wusste, dann aber von der Unterstube auf. Nach te, der alles eher als ein kasusfront gehen sollte. der Schwester meines Va- dem Kriege wurde die Nazi war und mit düsteren Diesen Urlaub im Febru- ters die Nachricht bekam, Wehrmacht von ameri- Prognosen, die Zukunft ar 1943 nützte mein Vater dass er noch im Tale sei kanischen Soldaten abge- des Reiches betreffend, trotz des Hochwinters für und nicht zur Truppe zu- löst, wodurch sich auch zumindest meinem Vater einen Besuch bei meiner rückkehren würde. die Unterstubenpopula- gegenüber nicht hinter Mutter im Ahrntal. Als er tion veränderte. Eine der den Berg hielt. Dass der sich von ihr, die damals Als sich der erste Wirbel beiden Frauen wurde von ,PUÅ\ZZKPLZLZ>PY[LZH\M hochschwanger war, ver- um seine Desertation ge- einem amerikanischen meinen Vater groß war, abschiedete, war zumin- legt hatte, kam er dann Soldaten geschwängert klang aus seinen Erzäh- dest sie im festen Glau- auch eines Nachts beim und bekam im Jahre 1946
Südtiroler Heimat 75 Mai/Juni 2021 Seite 9 ein Kind, das dann die tiv regelmäßig Unterstüt- Zeitlang ziemlich regel- begann, war der deutsch- ersten Lebensjahre beim zung, seltener von mei- mäßig auf dem Feld oder tümliche Dr. Kiener eines Oberscharner verbrachte. nem Vater. Ich erinnere im Stall im Trippachhaus ihrer Opfer. Es sollen ihm Als sich die Amerikaner mich z.B. daran, dass mit. Um weniger aufzufal- – vielleicht doch wegen verzogen, folgten ihnen Maria, die Schwester mei- len, verkleidete er sich ge- seiner katholischen Ein- italienische Dadoglio- ner Mutter, am Sonntag in legentlich auch, indem er stellung - erst Zweifel Soldaten und dann auch der Früh immer mit Krap- das schwarze Gewand der an der neuen Heilslehre Finanzer und Carabinieri fen vorbeikam, wenn sie alten Trippachhauserin gekommen sein, als er nach, und zwar sowohl im zur Frühmesse ging. Mei- anzog und ein Kopftuch nach dem Einmarsch der Tale als auch beim Ober- ne Mutter erzählte später, aufsetzte. Aber gerade das Deutschen im Jahre 1943 scharner in der Unter- dass die zwei Jahre und ÄLS H\M ,PUPNL 3L\[L PT zu einem ärztlichen Fort- stube. drei Monate ein ständiger ;YPWWHJOKYÅ OLYH\LU bildungskurs geladen Kampf mit dem Hunger wunderten sich über das wurde, in dem es um die Mit „Nichts“ überleben waren, woran ich mich kräftig Mist ausbreitende Tötung von lebensun- Was die wirtschaftliche z.B. nicht erinnern kann. Weibele, sie hielten es werten Leben ging, wie Situation der Familie an- Natürlich hat sie zuerst für die alte Trippachhaus- die Behinderten von den ging, wurde diese nach uns Kinder gefüttert und erin, konnten sich aber Nazis genannt wurden. der Desertation meines dann halt gegessen, was den kraftvollen Schwung Dieser Doktor wird heute Vaters bald kritisch, weil noch übrig war. Wir Kin- nicht erklären, mit dem sie noch als Standbild tiroli- ja kein Einkommen mehr der hatten nie gefragt, was die Mistgabel führte. Das scher Beharrlichkeit gegen vorhanden war. Meine es zu essen gibt, sondern Trippachhaus war wäh- den walschen Unterdrü- Mutter musste sich an dem nur, ob genug davon vor- rend der gesamten Dauer ckungswahn verherrlicht, ausrichten, was möglich handen sei, betonte meine der Desertation eine Art wie sich entsprechende war. Für Tagwerksdienste Mutter immer, wenn sie Fixpunkt für meinen Vater, Zeitzeugen erinnern. bei Bauern war angesichts von früher erzählte. mehr als sein Heimathof, von zwei kleinen Kindern auch weil dort die Gefahr In meinem Fall war es kaum Zeit, außerdem war Das, was mein Vater auch von Spionen und Kont- anders. Ich bin in meiner der Lohn dafür gerade für während dieser Zeit durch rollen größer war. Über frühesten Jugend nirgends Frauen derart erbärm- Arbeit bei verschiedenen den Radioapparat waren lieber hingegangen als in lich, dass sie kaum da- Bauern verdiente, war die Trippachhauser mit die Kirche, aber ich hat- von leben hätte können, durchaus ergiebiger als der Welt verbunden. Die te kein Sonntagsgewand, auch wenn sie sich die- das, was meine Mutter Lage war für das Abhören bis sich anlässlich einer sem Job vollständig ge- einbrachte, ganz gleich, von Feindsendern gerade- Fronleichnamsprozession widmet hätte. Da waren ob er sich in Naturalien zu ideal. Die beiden Trip- die Kohler Tonia meiner Auftragsarbeiten ertrag- zahlen ließ oder in Geld. pachhausbuben, der Franz erbarmte und mir eine Ja- reicher und deshalb will- Es waren aber nur ganz und der Thomas, wurden cke und eine kurze Hose kommener, die zu Hause wenige Bauernhöfe, die vor allem im Winter zu ak- lieh. Die Tonia war eine erledigt werden konnten, als Arbeitsplätze in Frage tiven Helfern, wenn mein Schwester des in der Na- wie etwa das Wollspinnen kamen. Sie mussten ab- Vater in einer Höhle ganz zizeit von 1943 bis 1945 oder das Stricken. Es gab seits gelegen sein, mög- oben in den Blosenberg- eingesetzten kommissari- Bäuerinnen, die meiner lichst wenig Einblick von wäldern hauste. Der Franz schen Bürgermeister Josef Mutter solche Arbeiten außen bieten und vor al- musste 1944 zur Brixner Oberhollenzer vom Koh- übertrugen, weil sie um lem durften die Bauern Polizei einrücken, sodass ler und wohnte damals im ihre Not wussten. Es gab selbst nicht zu den Nazis von da an nur mehr der alten Schulhaus zusam- aber auch solche, die poli- zählen. Solch verlässliche Thomas als Deserteurhel- men mit ihrer Schwester tischer Fanatismus davon Plätze waren das Trip- fer zur Verfügung stand. Walpurg. Die beiden hat- abhielt, auf diese Weise pachhaus und der Schach- [LUKYLP2PUKLYPU7ÅLNL Deserteure zu unterstüt- nerhof am Rohrberg. Das Dr. Kiener, genommen, von denen zen und so den Endsieg Trippachhaus lag im Trip- der Menschenfreund zwei geringfügig älter wa- hinauszuzögern. Manche pach drinnen richtig ein- Es gab im Tale damals ei- ren als ich, sodass ich mit Frauen brachten Krapfen schichtig, seine Felder nen Arzt namens Dr. Josef deren Gewand zurecht- vorbei oder Brot, Mehl waren auch von der ge- Kiener. Er war nicht nur kam. Die Tonia hat mir oder Kartoffeln, aber sie genüberliegenden Talseite Arzt, sonder auch katho- und auch meinen Eltern taten es meist heimlich, aus kaum einsehbar. We- lisch und ein eifriger Ver- nach dem Kriege mehre- weil es anrüchig war, Not sentlicher aber war, dass teidiger alles Deutschen re Male erzählt, dass der zu lindern, die durch De- die Trippachhauser fürs gegen die faschistische Dr. Kiener ihr darauf vor- sertation entstanden war. Dableiben gestimmt hat- Unterdrückungspolitik. geworfen habe, sie unter- Insgesamt hielt sich diese ten und so keinerlei Vor- Als sich zu Beginn der stütze Deserteure. Diese Wohltätigkeit durchaus in urteile gegen Leute hatte, dreißiger Jahre die Seuche Unterstützung bestand, Grenzen. Vom Heimathof die keine Nazis waren, des Nationalsozialismus wie gesagt darin, dass sie meiner Mutter kam rela- Mein Vater arbeitete eine auch im Tale auszubreiten mir, der ich damals fast
Seite 10 Mai/Juni 2021 75 Südtiroler Heimat genau zweieinhalb Jahre die Cille etwas merkte. kam im Dorf auch das Ge- Der Lois war einer der alt war, ein Gewand lieh, Aber die war mehr ängst- rede auf, jetzt werde man Mesnerbrüder, von denen damit ich bei der Fron- lich als tückisch und hat mit meiner Mutter und es ein inzwischen schon leichnamsprozession mit- sicher öfter etwas mitbe- den Fratzen schon abfah- fast historisches Foto gibt, gehen konnte. kommen, aber nie irgend- ren, was vielen sonst an das sie (ohne ihre Schwes- etwas unternommen, was sich braven, durchaus ka- tern) alle um den Stuben- Vom Wildern, zum Nachteil meines tholisch denkenden Men- tisch sitzend zeigt. Links das tägliche Brot Vaters gewesen wäre. schen als eine akzeptable sitzt der Hansl (Johann Mein Vater besaß ein Ge- Dass sie hie und da Angst Maßnahme erschienen )HW[PZ[6ILYRVÅLY7YPLZ- wehr, das er in der ge- hatte, wenn bei dunkler ist, damals. Meine Eltern ter und Maler, vor allem samten Zeit seiner Wald- Nacht ein bewaffneter, besprachen die Lage und Kirchenmaler) und gleich läufigkeit ständig bei halbverwildeter, bärtiger kamen zum Schluss, dass daneben der Friedl, der sich hatte. Einmal diente Mann ins Haus schlich, ist man dagegen etwas unter- von seinem Vater die Mes- es seinem persönlichen nicht verwunderlich, war nehmen müsse, weil nun nerei in St. Johann geerbt Schutz, vor allem war es sie doch – so zumindest eh schon alles wurscht sei. hatte und ein gesuchter, eine Jagdwaffe, denn die ihre Version – Männern Also begab sich mein Vater wenn auch nicht ein sehr Nahrungsbeschaffung lebenslänglich aus dem eines späten Abends zum erfolgreicher „Tierarzt“ war ein Problem. Wenn Wege gegangen und mit Mesner in St. Johann in war. In der Mitte sitzt Jo- er bei Bauern arbeitete ihren gut vierzig Jahren seiner ganzen Deserteur- seph Georg, der Dichter, oder auf seinem Heimat- das Urbild einer alten ausrüstung samt Gewehr, der im Jahre 1939 den hof oder auf dem meiner Jungfrau. Meine Mutter klopfte an und sagte unge- „Volkspreis für Deutsche Mutter vorbei kam, oder versuchte die nächtlichen fähr folgendes: „Falls mei- Dichtung“ bekommen bei anderen befreundeten Besuche so geheim wie ner Frau und den Kindern hat. Just jenen Preis, den Leuten, dann bekam er zu möglich zu halten. Mein etwas passiert, schüre ich die Nazis als Ersatz für essen und wann immer Vater kam aber eine Zeit- dem Kohler die Bude an, den Nobelpreis geschaf- es ging auch noch einen lang jedes Mal zu mir und die ersten, die auf den fen hatten, was eigentlich Proviantvorrat mit. Aber in die Kammer, wenn er Brandplatz kommen, wer- von der Familientradition die wichtigste Nahrungs- auf Besuch weilte und den erschossen. Lasst sie her nicht passte, weil die quelle war das Wild des weckte mich. Das stellte in Ruhe, sie sind für das Mesnerischen keine Nazis Waldes, und das zu jeder er dann allerdings ein, was geschehen ist, nicht waren, sondern so etwas Jahreszeit. Wenn er wie- als ich seinen Besuch der ]LYHU[^VY[SPJO7ÄL[LUR wie das Gegenteil davon. der einmal eine Gämse er- Cille gegenüber verriet. güita Nocht.“ Auf den Dichter folgte legt hatte, brachte er beim Ich soll, was in der dama- dann der Lois, der es zum Oberscharner entweder ligen Lage nicht von Vor- Wenn man verstehen will, Widenhofbauern gebracht selbst Fleisch vorbei, oder teil war, früher reden als warum mein Vater für die hatte, indem er die Koh- ließ es über eine Schwes- laufen gelernt haben und Aktion das Mesnerhaus lertochter Anna geheiratet ter oder einen Bruder zu- so der Cille zum Schre- als Bühne ausgewählt hatte. Den Bogen schließt kommen. cken meiner Mutter eines hat, muss man wissen, dann Franz ab, der Medi- In diesem Zusammenhang Morgens eröffnet haben, dass die Mesnerischen zin studiert hatte und in erinnere ich mich an eine in der Nacht sei der Vater alle Dableiber waren, St. Johann eine Arztpraxis Begebenheit, die mich dagewesen, worauf mei- also nicht für Deutschland betrieb. Mein Vater wusste sehr stark beeindruckt ne Mutter dann doch eher optiert hatten. Insofern genau, dass die familiären haben muss, obwohl ich beunruhigt war. war von ihrer Stelle aus Bindungen der Mesneri- sicher nicht älter als zwei ein gewisses Verständnis schen zum Nazi-Bürger- Jahre war, als ich sie er- Verzweifelte Drohung zu erwarten. Zumindest meister Oberhollenzer lebte. Ich sehe meinen Va- Der augenfälligste Beweis aber war ein Auftritt dort trotz der politischen Di- ter, der in der Stube beim dafür, dass es nächtliche berechenbarer als beim vergenzen durchaus noch Oberscharner aus seinem Besuche gegeben hat, war Kohler, wo es von Dienst- bestanden und dass die großen Rucksack eine die dritte Schwangerschaft boten wimmelte, deren Botschaft seines Auftrittes ganze Gämse zaubert. meiner Mutter und die im Reaktion nicht ohne wei- in der Mesnerstube dort Meine Mutter muss ziem- Juli 1944 erfolgte Geburt teres vorherzusehen war. ankommen würde, wo sie lich glücklich geschaut meiner Schwester Anna. Die Mesnerischen waren ankommen sollte. Tatsäch- haben, denn damit war Diese Schwangerschaft aber mit dem Nazibürger- lich war sie erfolgreich, nicht nur der Fleischkon- war nicht ungefährlich, meister Josef Oberhollen- denn es hat nie einen Ver- sum für mehrere Wochen denn die Dorf- bzw. Tal- zer verschwägert, denn such gegeben, meine Mut- gedeckt, sondern der Nah- nazis konnten sich pro- eine der Schwestern des ter in Sippenhaft zu neh- rungsbedarf überhaupt. voziert fühlen, wenn da Kohlers hatte zunächst men oder sonst irgendwie Das Problem war aber die einer, der nicht in den den Widenhof geerbt, den „wegzubringen“. Ob auch Konservierung und vor al- Kaukasus wollte, im hei- die Kohler gekauft hatten, nie daran gedacht wurde, lem die Unterbringung in matlichen Ahrntal derart und dann den Mesner Lois ist freilich eine andere Ge- der Wohnung, ohne dass deutliche Spuren setzte. Es geheiratet. schichte.
Südtiroler Heimat 75 Mai/Juni 2021 Seite 11 Die „tapferen“ waren. So sagte der Vop- vorher der Fall gewesen anderen Ahrntaler Dör- Weißenbacher pichl Peter in St. Jakob, war. Dass die Lage unge- fern, was vor allem zwei An sich sah das Leben ein Onkel meines Vaters mütlicher wurde, war im Geistlichen zu verdanken der Deserteure im Ahrntal mütterlichseits, er würde Ahrntal aber auch den De- war, die schon 1939 ent- lange gefährlicher aus, als keinen Augenblick lang serteuren vom Marxegg- gegen der bischöflich- es war. Im Laufe der Zeit zögern, meinen Vater wie hof in Weißenbach zu pompanischen Tendenz waren nämlich auch eini- eine Katze zu erschießen, verdanken. Als nämlich für das Deutschwählen ge andere Ahrntaler deser- falls er seiner habhaft wür- Ende 1944 der Marxegg- dagegen aufgetreten wa- tiert, darunter eine kleine de. Nach dem Krieg hat IH\LY1VOHUU5PLKLYRVÅLY ren, was eine bedeutend kompakte Gruppe von ihn mein Vater dann ein- verstarb und er im Fried- niedrigere Optionsquote Weißenbachern, zu der mal gefragt, wie das nun hof von Luttach begraben in diesen Dörfern zur Fol- zwei Brüder gehörten, die mit der Katze sei. Der Pe- werden sollte, kamen die ge hatte, als sie sonst lan- vom Marzegghof stamm- ter hat verstanden, aber beiden desertierten Söhne desweit erreicht wurde. ten und mehrere Grup- eingesehen hat er nichts. des Verstorbenen, Alois In St. Jakob war der Tischl pen aus St. Jakob und St. Die Familienangehörigen und Jakob, während der Geistliche Dr. Josef Steger, Peter, die am Obermair-, großmütterlichseits gehör- Beerdigung vom nahen damals Regens des Pries- am Oberachrainer- und ten zwar zu den größten Walde herunter und senk- terseminars in Brixen, in am Winklerhof daheim Bauern im Tal, aber nicht ten gemeinsam mit zwei Weißenbach der Außer- waren. Das Ahrntal war gerade zu deren intellek- anderen Söhnen den Vater hofer-Geistliche Dr. Pe- für diese Leute ein beina- tueller Elite. ins Grab, ein alter Brauch, [LY 5PLKLYRVÅLY KHTHSZ he idealer Aufenthaltsort. der sich im Ahrntal auch Theologieprofessor und Einmal ließen die vielen Was das gefährliche Le- nach dem Kriege noch ab 1946 als Nachfolger Einzelhöfe keine lücken- ben der Deserteure be- lange hielt. Diese Tat er- Stegers, Regens des Pries- lose Kontrolle der Perso- trifft, sind zwei Phasen zu regte Aufsehen. Die Nazis terseminars. In beiden nen zu, die sie aufsuch- unterscheiden, Die Zeit fühlten sich provoziert Dörfern war die Haltung ten oder sie verließen. vor dem Einmarsch der und tobten sich in der den Nazis gegenüber kri- Zum anderen hatten die Deutschen im September Folge regelrecht aus. Bei tischer und den Deser- meisten dieser Deserteu- 1943 war relativ ruhig, einer daraufhin in Weiß- teuren gegenüber wohl- re einen relativ weiten fa- irgendwie hätte es auch enbach durchgeführten wollender. Die dortigen miliären Hintergrund, von den ärgsten Nazis wider- Razzia wurden allein auf Deserteure kamen vorwie- dem aus sie auf vielfältige standen, wenn sie den dem Marxegghof acht gend aus zwei Familien, Art und Weise unterstützt Carabinieris Landsleute Personen verhaftet, da- der Familie Gartner vom wurden. Sehr oft waren hätten anzeigen müssen. runter die Bäuerin und Oberacher und der Fami- die Aufenthaltsorte Almen Wahrscheinlich hätten sechs Kinder. Dazu kamen lie Obermaier vom Ober- oder andere besonders diese auch keinen allzu auch einige Verwandte moar. Die bei der Razzia entlegene Orte, die von großen Eifer an den Tag der Marxegger und an- auf beiden Höfen ver- den Besitzern den De- gelegt, weil das Einfan- dere Weißenbacher. Sie hafteten Familienmitglie- serteuren zur Verfügung gen der Deserteure müh- kamen zunächst ins Brun- der verbrachten die Zeit gestellt wurden. Die Ver- sam war und nicht ganz ecker Gefängnis und bis zum Kriegsende im WÅLN\UN ^HY ZV VYNHUP- ungefährlich. Eine gewisse von dort ins polizeiliche Gefängnis von Bruneck, siert, dass die Deserteure Gefahr ging von den Cara- Durchgangslager in der die wehrfähigen Männer selbst auf Heimathöfen binieri aber trotzdem aus, Bozner Reschenstrasse, hingegen wurden – wie hin und wieder auftauch- war doch das faschistische wo sie bis zum Kriegsende auch die vier Marxegg- ten und mit dem Notwen- Italien 1940 auf Seiten der blieben. Die Jungbäuerin, söhne von Weißenbach digsten versorgt wurden Nazis in den Krieg einge- die schwanger war, wurde – einer Strafkompanie oder dass man ihnen an treten, als die Gefahr be- als Dienstmagd zum Brug- zur Frontbewährung zu- vereinbarten Orten Le- stand, dass Italien bei der gerwirt in St. Johann ver- geteilt. Es gehörte schon bensmittel hinterlegt, die Beuteverteilung nach den WÅPJO[L[+LY/LPTH[OVM sehr viel Glück dazu, dass sie dann, wenn die Luft Blitzsiegen Hitlers leer wurde von einem Nazi von den Verhafteten nur rein war, abholten. Und ausgehe könnte. aus Luttach mit Namen einer nicht überlebte. Es so waren doch ziemlich Vinzenz Mairhofer zur Be- war der leicht behinder- einige der Deserteure re- Die Situation verschlech- wirtschaftung übertragen. te Josef Kirchler, der den lativ gut in die Ahrntaler terte sich nach dem Ein- Marxeggsöhnen vor ihrer Umwelt integriert. Natür- marsch der Deutschen Dass man wenig später im spektakulären Aktion das lich bedeutet das nicht, Wehrmacht im Septem- August des Jahres 1944 Feiertagsgewand auf den dass die Obernazis und ber 1943. Von da an hat- auch gegen die Deser- Lechnhof, über der Lut- viele einfache Nazis es ten die Eigenbaunazis den teure in St. Jakob auf die tacher Kirche gelegen, nicht auf sie abgesehen deutschen Heeres- und gleiche Weise vorging, getragen hatte, wo sie es hätten. Manchmal gaben Polizeiapparat zur Verfü- war kein Zufall. In beiden vor dem Begräbnis anzo- sich selbst Verwandte gung und konnten andere Dörfern gab es bedeutend gen. Er wurde im Bozner tapferer, als sie eigentlich Seiten aufziehen als das weniger Nazis als in den Durchgangslager einem
Seite 12 Mai/Juni 2021 75 Südtiroler Heimat Sondertransport zugeteilt hinter der Holunderstaude setzen würden. Er ging die weder der Bauer oder der und kehrte nicht mehr hockte, näherten sich von wenigen hundert Meter Knecht. Mein Vater hielt zurück. hinten über das Gallfeld hinüber zum Obwegishof, sich auch in der Stube zwei Männer und ließen wo er sich im Stadel ins auf. Es war ein Zufall, dass Die Deserteure waren sich nur wenige Meter Stroh verkroch und dort während des Gebetes sei- sich einig, mein Vater hinter ihm außerhalb des die Nacht verbrachte, Als ne älteste Schwester durch mit inbegriffen, dass die Gartenzaunes nieder. Sie er am Morgen erwachte, das hintere Tor ins Freie Tat der Marxegger die sagten: „Da sehen wir war schon helllichter Tag. ging, um auf den Abort zu an sich schon schwierige ihn auf alle Fälle, wenn Da wurde es ein zweites kommen. Sie stürzte in die Lage bedeutend erschwert er kommt. Wenn er dann Mal brenzlig, als der Bau- Stube zurück und warnte hat. Einerseits gab es aber im Hause ist, tun wir uns er und sein ältester Sohn meinen Vater. Der griff auch so etwas wie Bewun- SLPJO[LY¸+HZPLU\YÅ Z- auf den Stadel kamen, um nach dem an der Haustür derung für die kühne Tat, terten, konnte er sie nicht Stroh zu schneiden. Der bereit stehenden Ruck- andererseits klang aber erkennen, es handelte Sohn riss mit einer Har- sack und nach dem Ge- schon der Vorwurf durch, sich aber dem Dialekt ke das Stroh vom Stock wehr und rannte, so wie dass es sich um eine kopf- nach um Leute aus dem hinunter und kam dabei er war, durch das vordere lose Tat gehandelt hat, Tal. Mein Vater überlegte meinem unter dem Stroh Haustor hinaus und über die nicht nur niemanden nicht lange, brach unter verborgenen Vater immer den Kirchweg durch das etwas brachte, sondern der Staude hervor und näher. Schließlich rief der Feld hinunter. Es war keine die Lage vor allem für die rannte hinter dem Schar- Bauer dann aber doch: Zeit mehr gewesen, Schu- Verhafteten und zur Wehr- nerhaus hinunter auf die „Für heute haben wir ge- he anzuziehen, er trug nur macht Einberufenen dra- Straße und hinauf zum nug“ und sie verließen lodene Pantoffeln an den matisch verschlechterte. Gasthaus Schachen, wo den Stadel. Wahrschein- Füßen, die man im Tale Dass dieses Abenteuer re- er von der Straße abbog lich wäre nichts Gröbe- „Pfössn“ nennt. Mein Va- SH[P]NSPTWÅPJOH\ZNLNHU- und hinter dem Schachen res passiert, wenn er sich ter wunderte sich später, gen ist, hielten zumindest über die Wiese hinauf den Beiden zu erkennen dass ihm niemand folgte, die Deserteure, mit denen Richtung Wald und dann gegeben hätte, handelte obwohl er Schüsse hörte. mein Vater nach dem Krie- gegen den Tratterhof ging. es sich doch um die frü- Als er zu unterst im Tratter ge noch Kontakt hatte, für Sein plötzlicher Aufbruch heren Nachbarn. Aber zu Feld war, wo der Weg hin- pures Glück. muss die hinter ihm pas- Obwegis war man damals über zum Schmiedhof im senden Treiber überrascht recht scharf nazistisch ;YPWWHJOKYÅ HIa^LPN[ Knapp gegangen haben, denn er rannte unterwegs, was die Sache ging er auf diesem Wege Mein Vater bekam den schon dem Schachen zu, unberechenbarer machte. rückwärts hinaus, sodass neuen, scharfen Wind als er weit hinter sich das Im Zuge der härteren Vor- es im frischen Schnee auch zu spüren. Einmal Bersten von Zaunspelten gangsweise gegen die De- aussah, als sei da einer nahmen die Hausdurch- hörte, woran er erkannte, serteure kam es an mehre- von draußen gekommen. suchungen bei Ober- dass sie ihn nicht einholen ren Orten zu regelrechten Nach einigen hundert scharner zu und auch würden und relativ ruhig Treibjagden, an denen die Metern wagte er es erst die Patrouillen von SOD- in Richtung Blosenberg obersten Dorfnazi genau- wieder normal weiter zu Leuten (SOD = Südtiroler stapfen konnte. Meine so teilnahmen, wie SOD- NLOLU=VT;YPWWHJOKYÅ Ordnungsdienst) in der Schwester und ich fanden Leute und andere mehr ging er dann hinüber auf Umgebung der Heimat- am Tag darauf im Garten oder weniger Freiwillige. den Rohrberg zum Scha- höfe meines Vaters und Eier und brachten sie der Einmal war die Tratte, der chenhof, wo er ähnlich meiner Mutter. Dabei Mutter. Diese wunderte Heimathof meines Vaters, wie im Trippachhaus im- kam es zu einigen recht sich und fragte bei der das Ziel. Die Sache war ei- mer geduldet war und dramatischen Situatio- Nachbarin nach, ob die nigermaßen gut vorberei- auch zu essen bekam. In nen. Einmal wartete mein Eier aus ihrem Hühnerstall tet. Es war im Spätherbst diesem Falle überließ man Vater beim Oberscharner seien. Die verneinte das des Jahres 1944, der erste ihm zunächst ein Paar hinter einer Holunder- und so kam es als Folge Schnee war gerade gefal- Schuhe, bis ihm nach ei- staude in der Ecke des dieses Fundes für einige len. Die Horde näherte nigen Tagen seine eigenen Gartens, bis die Cille in Zeit zu einer kulinari- sich dem Hause am spä- wieder zugestellt wurden. ihrer Schlafkammer das schen Aufbesserung der ten Abend, als die Familie Licht abdrehte, um ins Küche. Mein Vater wagte gerade den Abendrosen- An der Tratte entwickelte Haus zu kommen. Er hatte es nicht, nach der Flucht kranz betete. Das geschah sich die Lage inzwischen beim Schachner auf dem aus der Holunderstaude wie auf vielen Höfen in auf eine recht gefährliche Rohrberg dreschen ge- an der Tratte bei seiner der Weise, dass die Beter Art und Weise. Als die holfen und war von der Mutter und den Geschwis- an den Fenstern auf den in Nazis nämlich wissen Bäuerin mit Eiern entlohnt tern vorbeizuschauen, der Stube reihum führen- wollten, wer meinen Va- worden, die er in einem weil er nicht wusste, was den Sitzbänken oder auf ter gewarnt hatte, eröffne- Körbchen meiner Mutter die zwei abgehängten den Stubenboden knieten. te ihnen der älteste Bruder bringen wollte. Als er so Späher alles in Bewegung Den Vorbeter machte ent- meines Vaters, es sei die
Südtiroler Heimat 75 Mai/Juni 2021 Seite 13 Schwester gewesen, die damals gegebenen Um- aufhalte. Er hat später nie Walde verbrachte mein während des Betens in ständen kaum gelungen davon gesprochen, dass Vater geneinsam mit die Stube gestürzt sei und wäre. ihm die Sache zu gefähr- dem Lahna Hansl und gesagt habe, draußen sei- lich erschien oder dass dem Koasa Seppl in einer en lauter Bewaffnete. Sie Gefährten im Walde er dahinter ein Manöver Höhle hoch oben am wurde daraufhin verhaf- Infolge der sehr frühen vermutete, seiner habhaft Blosenberg unterhalb des tet und saß zwei Monate Desertation meines Va- zu werden. Er hat sich Lercher Wasens (Lercha im Brunecker Gefängnis, ters war er lange auf sich HILY H\JO UPL KLÄUP[P] Wousn). Es handelte sich wurde dann aber entlas- allein gestellt. Den gan- und für länger anderen um eine natürliche Höh- sen. Noch in der gleichen zen ersten Winter über angeschlossen, sondern le, die sie mit Hilfe von Nacht tauchte der Such- (1943/44) verbrachte er al- immer nur für eine ge- Holz, Steinen und Moos trupp beim Oberscharner lein. Damals war die Lage wisse Zeit. Bei den ande- ausbauten und abdichte- auf. Auch dorthin beglei- aber nicht so gefährlich, ren Deserteuren handelte ten und so einigermaßen tete sie der älteste Bruder sodass er es sich leisten es sich um Johann Kaiser wohnlich gestalteten. Sie meines Vaters. Er war es, konnte, sich teilweise auf vom Lahner in Luttach, legten sich ein Lebensmit- der meine Mutter weck- seinem Heimathof und in den Lahna Hansl, mit telmagazin an und füllten te, worauf die Horde das verschiedenen Futterhäu- dem mein Vater fast den es auf, wann immer sich Haus stürmte und bis auf sern, Heuschupfen oder ganzen zweiten Winter die Gelegenheit dazu er- den letzten Winkel durch- Almen aufzuhalten. Das gemeinsam verbrachte, gab. Untertags wagten sie suchte, Der Anführer, ein große Problem war, dass und um Josef Kaiser in St. es nie, Feuer anzuzünden, Reichsdeutscher, schrie die Spuren im Schnee sei- Johann, den Koasa Seppl. weil die Gefahr bestand, meine Mutter an: „Frau, nen Aufenthaltsort verra- Beide leben nicht mehr. dass der aufsteigende wo ist ihr Mann?“ Und auf ten konnten, sodass jeder Johann Kaiser blieb ledig Rauch auf der anderen die Antwort, sie wisse es Ortswechsel riskant war. und wohnte nach dem Talseite gesehen werden nicht, schrie er: „Sie wer- Wenn man den harten Kriege beim Maschtla in konnte. Da streiften sie den noch draufzahlen!“ Ahrntaler Winter kennt, Luttach. Er ist schon vor entweder durch den Wald Meine Mutter daraufhin: kann man sich ungefähr längerer Zeit verstorben. in der engeren Umgebung “Tut mir und den Kindern vorstellen, was es bedeu- Josef Leiter übersiedelte der Höhle, wobei sie aber was ihr wollt!“ Mein Vater tet haben muss, sich über nach dem Kriege nach darauf achten musste, fragte sich hinterher, wie Monate im Wald aufzu- Mühlbach, wo er heira- dass sie keine Spuren zu er damals entkommen halten und größtenteils tete und erst vor wenigen den Wegen hin legten, konnte, waren doch an- nur von dem zu leben, Jahren starb. Von Rudolf auf denen auch im Win- scheinend wirklich aus- was der Wald hergibt. Innerhofer aus Steinhaus, ter die Bauern verkehrten, reichend Bewaffnete mit Natürlich hoffte mein Va- dem Maurer Rudl, wusste wenn sie etwa Heu oder von der Partie, die den ter, lediglich einen Win- mein Vater zwar, dass er Holz zogen. Oft lagen an sich recht übersicht- ter im Wald zubringen desertiert war, dem ge- sie vor allem bei schlech- lichen Hofbereich an der zu müssen. Er hat später lang es aber, sich so zu tem Wetter tagelang in Tratte hätten kontrollieren dann recht eindringlich verstecken, dass er kaum der Höhle und warteten, können. Mir gegenüber geschildert, wie ihm am Kontakt mit anderen hat- dass die Zeit verging. Sie haben mehr als dreißig Beginn des zweiten Win- te. Lange war er im Fut- hatten an der Decke der Jahre nach dem Kriege ters zumute war, als sich terhaus des Kastnerhauses Höhle Drähte befestigt, an zwei damals Beteiligte das Kriegsende zwar ab- in Steinhaus versteckt, denen sie den Speck und unabhängig voneinander zeichnete, aber es doch wo ihn die Kastnertochter die anderen Lebensmittel ausgesagt, sie und ande- klar war, dass es vor 1945 Maria Duregger, mit der aufhängten, über die sie re hätten sich keineswegs nicht zu erhoffen sein er ein Verhältnis hatte, mit verfügten. Es gehörte zur freiwillig an der damali- werde. Der Zweite Win- Essen versorgte. Im Som- einzigen Abwechslung gen Jagd beteiligt, sondern ter im Walde hatte aber mer hielt er sich in der Alm im eintönigen Höhlenle- seien gezwungen worden den Vorteil, dass er ihn im Rauchhüttenkar im Zil- ben, den Waldratten zu- mitzumachen. Dafür hät- nicht mehr allein verbrin- lertaler Sundergrund auf, zusehen, die sich von der ten sie aber die Anwei- gen musste. Im Laufe des die den Maurern gehör- Decke an den Drähten auf sungen zu schießen, nicht Jahres 1944 waren einige te. In den letzten Kriegs- den Speck herunterließen, sehr ernst genommen. weitere Ahrntaler deser- tagen stieß ein weiterer um ihn zu verzehren. Einer sagte, er habe in tiert, die aus Luttach und Deserteur dazu. Es war Mein Vater sprach später die Luft geschossen, was St. Johann stammten. Die kein Ahrntaler, aber mit mit Bewunderung von der von den Nazis auch gar Kontakte zu zweien von einer Geigertochter aus Intelligenz und der Ge- nicht kontrolliert werden ihnen wurden über die St. Johann verbandelt, die schicklichkeit dieser Tiere. konnte, weil es ja bereits Heimathöfe meines Vaters er nach dem Kriege dann Es war übrigens eine Fol- dunkel war. Es mag sein, und meiner Mutter herge- auch heiratete. Sein Name ge dieser nicht gewollten, dass bei exakterer Durch- stellt, wo sich die Neuen ist mir unbekannt. aber doch notwendigen führung der Befehle ein gemeldet und nachgefragt Naturverbundenheit, dass Fluchtversuch unter den hatten, wo mein Vater sich Den zweiten Winter im mein Vater sich im Walde
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