ADS/ADHS/AD(H)D/POS/HKS/MCD/ - MBD : Bitte um Aufmerksamkeit!
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ADS/ADHS/AD(H)D/POS/HKS/MCD/ MBD ...: Bitte um Aufmerksamkeit! Was soll der HOKUSPOKUS? Wieder so eine dieser Fancy-Strömungen von jenseits des grossen Teichs? Alte Plaggeister in neuen Laken? Trendige Diagnoseetiketts, um die Nervositäten einer ausrastenden Welt zu bemänteln? Die Beschäftigung mit den Aufmerksamkeits-Defizit- (Hyperaktivitäts-)Störungen (AD(H)S) bei Erwachse- nen ist hierzulande in ärztlichen, auch fachärztlichen Kreisen im Zunehmen begriffen. Erfahrene PraktikerInnen haben längst registriert, dass etliche psychische Störungen mit einer Beeinträchtigung der Aufmerksamkeits- und Gedächtnisleistungen, innerer Unruhe und Konzentrationsstörungen einhergehen, die einen hohen Leidensdruck und oft riskante Sekundärfolgen zeitigen. Allmählich erfährt dieser Leidensbereich auch in breiteren Fachkreisen die angemessene Beachtung. Die im Mittelpunkt der Diskussion stehende ADHS-Diagnose wird endlich auch im alten Abendland allmählich so ernst genommen, wie es einer etablierten diagnostischen Kategorie des „Diagnostical and Statistical Manual IV„ der American Psychiatric Association gebührt. Wobei durchaus immer, wenn ein Krankheitsbild, „ohne das man bisher doch auch ausgekommen war„, neu ein- und abgegrenzt wird, Skepsis am Platz ist: Was ist da dran? Wer ist da dran? Mit welchem Recht? Mit welchen Partikularinteressen?? Gut, dass wir drüber reden! Ich kann hier nicht näher auf die anderswo und vielerorts gut und ausführlich beschriebenen Einzelheiten dieses Syndroms eingehen. Eine Literaturliste lesenswerter Publikationen für Laien und Fachleute kann via E-Mail bei mir angefordert werden. Hier nur so viel: Die Rede ist vorab von erheblichen Störungen der Fähigkeit, die im Berufs- und Alltagsleben erforderliche Konzentration der Aufmerksamkeit auf das situations- oder aufgaben- bezogene Wesentliche zu richten und über erforderlich lange Zeiträume aufrechtzuerhalten; von eventuell damit einhergehenden oder losgelöst davon auftretenden erheblichen Schwierigkeiten, spontane Impulse und einschiessende Emotionen zurückzuhalten; und von innerlich empfundenen Unruhezuständen, die - weit über die normalen Bandbreiten dessen, was uns das „moderne Leben„ so zumutet, hinaus - in erheblich störender Weise auftreten. Und wir reden hier auch über die Abgrenzung dieser Aufmerksamkeits-Defizit- 1
Hyperaktivitäts-Störung im engeren Sinn von anderen Störungen der Konzentration, der Gedächt- nisfunktionen, der Aufmerksamkeit, der Impulsivität und des inneren Antriebs. Ein ausgezeichneter Überblick über viele Aspekte der ADHS findet sich bei ADD-Online. Mein reges Interesse an kognitiven Störungen im Kontext psychischer Erkrankungen hat mir durchaus zu einer Klärung und Verortung meiner Positionen rund um das auf der Symptomebene jedenfalls wohl definierte Krankheitsbild der ADHS verholfen. Für aufmerksam Eingeweihte besteht kein Zweifel: Aufmerksamkeits-Defizit-Störungen sind in unserer Zeitwelt sehr verbreitet; AD(H)S als nosologische Entität, als definiertes Krankheitsbild neben anderen definierten psychiatrischen Krankheitsbildern hat sei- ne volle Existenzberechtigung. Das (fast nur noch in der Schweiz) so genannte frühkindliche psychoorganische Syndrom (POS) ist in der Kinder- und Jugendpsychiatrie eine etablierte Grösse, wenngleich auch dort über Lesarten, über Ursachen- und Behandlungsaspekte immer noch lebhaft diskutiert wird. Auch auf die Überschneidungen und Abgrenzungen der in der Überschrift aufgeführten Syndrombezeichnungen kann ich hier nicht näher eintreten; mit den heute vorab gebräuchlichen Begriffen der AD(H)S und des „frühkindlichen POS„ sind die tatsächlich vorkommenden Störungsbilder jedenfalls hinlänglich gut erfasst. Die lange Zeit hochgehaltene Annahme, wonach sich frühkindliche Aufmerksamkeitsstörungen und/oder frühkindliche Hyperaktivität/Impulsivität mit dem Übertritt ins Erwachsenenalter „auswachsen„, d.h. generell in nichts auflösen sollen, trifft nicht zu. Die Subsymptomatik aus dem Bereich der Hyperaktivität/Impulsivität neigt mit dem Erwachsen- werden zwar zur Besserung; die Symptome rund um die Aufmerksamkeits- und Gedächtnisfunktionen können indessen anhalten. Ein beträchtlicher Teil der „POS-Kinder„ leidet also auch im Erwachsenenalter noch unter Störungen von „Krank- heitswert„, die hier nun ausschliesslich unter dem Begriff der ADS/ADHS bei Erwachsenen zusammengefasst werden (die Beantwortung der Frage, warum es eigentlich kein frühkindliches POS des Erwachsenenalters gibt, sei der geneigten Leserschaft überlassen). Allerdings finden innerhalb der ADHS-begründenden Symptomatik Akzent- verschiebungen statt, Anpassungs- und Bewälti- gungsmechanismen kommen stärker zum Tragen, zugleich aber auch die Folgen der Benachteiligungs- erfahrungen, all jener „Stauchungen„, 2
Zurücksetzungen, Missverständnisse und Ent- wertungen, denen diese Menschen infolge ihrer „etwas anderen Denkart„ oft von Kindesbeinen an ausgesetzt waren. So stellen sich bei der Abklärung und Behandlung erwachsener ADHS-PatientInnen teilweise etwas andere Fragen. Hinzu kommt, dass andere psychiatrische Syndrome alles andere als selten mit störenden Symptomen einhergehen, die dem Syndrom der AD(H)S zumindest sehr nahe stehen (Komorbidität). Dies führt dazu, dass das Krankheitsbild der AD(H)S zwar klar anhand seiner Symptome definiert werden kann, es aber nicht immer ganz so klar ist, ob die damit zusammengefassten Störungen auch hinsichtlich Ursachen, Entstehungszusammenhängen, Behand- lungsnotwendigkeiten und so weiter wirklich eine völlig homogene Gruppe bilden. Die Frage stellt sich erst recht, wenn all die Krankheitsbilder, die einen wesentlichen Teil der definitorisch geforderten ADHS-Kriterien und - symptome aufweisen, aber eben doch nicht alle, die zur seriösen Diagnosestellung nötig wären (z.B. Vollbild in der erwachsenen Gegenwart, aber kaum Vorläufersymptome in der Kindheit und Jugend), hinzugenommen werden: Haben wir es da nicht doch mit einer ganzen Palette von Störungen zu tun, die sich auf der Symptomebene zwar nahe stehen, sich hinsichtlich Ursachen, Entwicklungsgeschichte und Kausalität aber doch z.T. erheblich unterscheiden? Diese Aspekte haben zu einer ganzen Reihe von Phänomenen und Positionen geführt, die durchaus kritisch zu reflektieren sind und auf deren Uneinheitlichkeit und Widersprüchlichkeit auch einiges an bissigen Kommentaren und Vorbehalten dem diagnostischen Label der ADHS gegenüber zurückzuführen sein dürfte. Manche definieren dieses Krankheitsbild so locker, nennen unter dieser Überschrift so periphere und unspezifische Symptome, dass es nur noch ein paar vereinzelte fossile Persönlichkeiten zu geben scheint, die es seltsamerweise irgendwie fertig gebracht haben, nicht an ADHS zu leiden. Meine Erfahrungen und Überlegungen lassen mich heute drei Bereiche unterscheiden: die „Hardcore- AD(H)S„, die die Kriterien des renommierten Diagnoseinventars DSM-IV eindeutig erfüllt; die „inkomplette, subsyndromale oder partielle AD(H)S„, die etliche wesentliche Kriterien gemäss DSM-IV in 3
relevanter Ausprägung erfüllt, aber nicht alle; und als Drittes kognitive oder neuropsychologische Funktionsstörungen, die von AD(H)S differenzialdiagnostisch unterschieden werden sollten und anderen Störungen sowie Krankheits- bildern zuzuordnen sind. Dabei ist es bis zu einem gewissen Grad „ein Streit um des Kaisers Bart„, wenn von einer bestimmten Konstellation von Symptomen mit Feuereifer behauptet wird, es handle sich „eindeutig„ um eine AD(H)S, solange sich auch durchaus renommierte Gelehrte noch darüber zanken, was denn diesem - rein erscheinungsbildlich definierten - Syndrom nun wirklich ursächlich zugrunde liege. Überspitzt gesagt: Eine eindeutige ADHS ist eindeutig etwas Uneindeutiges. Die derzeit 1 von manchen namhaften Forschenden ganz in den Mittelpunkt gerückte Genetik ist m.E. noch zu vage gefasst, als dass sie diesen Absolutheitsanspruch nach wissenschaftlich strengen Massstäben aufrechterhalten könnte - wie meistens, wenn in der Psychiatrie für eine Krankheit eine praktisch überwiegende genetische, also erbliche Ursache postuliert wird. Jenen ExponentInnen, die allen Ernstes behaupten, es handle sich bei ADHS vorab um eine intuitiv, mit der klinisch geschulten Nase zu stellende Diagnose, tragen auch nicht gerade zur „Vereindeutlichung„ des Ursachenverständnisses bei. Dennoch oder erst recht gibt es gute Gründe für gut ausgebildete und erfahrene Fachleute, sich der Diagnostik der ADHS und der Differenzialdiagnostik geistiger Leistungsbeeinträchtigungen bei anderen Störungen anzunehmen und sich bei der Diagnosestellung an die strengen Kriterien von DSM- IV zu halten. Gerade damit dieses zu lange zu wenig stark gewichtete Krankheitsbild nicht zur Auffangdiagnose für alle möglichen Unpässlichkeiten des Seelenlebens verkommt; damit sein in unseren Breitengraden noch im Stadium der Beargwöhnung durch die Welt der etablierten KlinikerInnen befindliches Image nicht zu einem „Wischiwaschi- Image„ verkommt, mit dem sich Halb- und Viertelprofis doppelt und dreifach zu profilieren suchen; und gerade auch weil differenzial- diagnostische Abgrenzungen von anderen Störungs- bildern mit zum Teil erheblich differierenden therapeutischen Konsequenzen möglich und nötig sind. 1 Russel Barkley, Thomas Brown, Paul Wender, Klaus-Henning Krause u.a.m.; es gibt aber auch namhafte ForscherInnen, die überzeugend eine Wechselwirkung zwischen neurobiologischen Strukturen und entwicklungsgeschichtlichen Prägungen darstellen, bei der die Genetik nicht diesen „positivistischen Überhang„ hat, z.B. Allan Schore. 4
Im Dienst des Ernstnehmens von AD(H)S bei Erwachsenen und seiner näheren und ferneren Verwandten orientiere ich mich deshalb bei der Abklärung am von DSM-IV geforderten Kriterienset. Das Vorgehen umfasst ein Erstgespräch zur Klärung des Abklärungsanliegens und der weiteren diagnostischen Schritte; die Erhebung relevanter Daten mittels gebräuchlicher standardisierter Fragebogen; die einlässliche Erhebung der psychiatrischen Vorgeschichte unter spezieller Berücksichtigung ADHS-relevanter Aspekte, wie sie mittels der Fragebogen bereits eruiert wurden; Zusatzuntersuchungen inklusive einer psycho- diagnostischen Screeninguntersuchung mit ge- bräuchlichen kognitiven Leistungstests, die Auf- schluss über ADHS- und anderweitig bedingte Beeinträchtigungen der geistigen Leistungsfähigkeit geben. Bedarfsweise werden neuropsychologische, medizinische, neurologische, laborchemische, radiologische und andere ergänzende diagnostische Untersuchungen veranlasst bzw. vermittelt. Bei entsprechender Indikationsstellung folgt eine Behandlungsphase mit Stimulanzien und/oder spezifisch geeigneten Antidepressiva, wenn PatientIn und Untersucher nach sorgfältiger Abwägung von Nutzen und Vorbehalten in diesem Sinn übereingekommen sind. Hilfestellung, Vermittlung von kompetenter Sachhilfe, Beratung und Coaching rund um die im Zug der Abklärung erhobenen umschriebenen Schwierigkeiten, Rückstände oder Defizite von ADHS-PatientInnen hat das Behandlungsangebot ebenso zu umfassen wie evt. Partner- und Angehörigenberatung, Kontakte mit ArbeitgeberInnen oder Lehrstellen- vorgesetzten. Die Psychotherapie konzentriert sich zumeist fokal auf die Bewältigung und Neuaus- richtung der oft schwerwiegenden depressiven Prägungen der Selbstwertfunktionen und der zugehörigen Verzerrungen in der Selbstwahr- nehmung und im zwischenmenschlichen Be- ziehungsleben. MS 2003 5
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