NEUE MATERIALIEN Wie Werkstoffe immer mehr mit ihrer Funktion verschmelzen - NR. 4/2019 - ETH Zürich

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NEUE MATERIALIEN Wie Werkstoffe immer mehr mit ihrer Funktion verschmelzen - NR. 4/2019 - ETH Zürich
NR. 4/2019

               NEUE
            MATERIALIEN
                 Wie Werkstoffe immer mehr
                mit ihrer Funktion verschmelzen
                                   SEITE 12

Brücken bauen für den   Mit Querschnittlähmung   Martina Hirayama lenkt
Mittelbau               wieder gehen             das Bildungssystem
SEITE 32                SEITE 36                 SEITE 46
NEUE MATERIALIEN Wie Werkstoffe immer mehr mit ihrer Funktion verschmelzen - NR. 4/2019 - ETH Zürich
EDITORIAL

                                                                                                                      GLOBE
                                                                                                                  NR. 4/2019

                Materialwunder
                                                                           dass wir hier am Beginn einer äusserst
                                                                           fruchtbaren Entwicklung stehen. Die
                                                                           ETH Zürich ist mit ihrem inter­­diszi­pli­
                                                                           nären Kompetenzzentrum für Materialien
                                                                           und Prozesse gut gerüstet, um Wesent­
                                                                           liches dazu beizutragen.

                                                                           Mich fasziniert immer wieder, wie aus dem
                                                                           Zusammentreffen von klugen Köpfen mit
                                                                           ganz unterschiedlichem Hintergrund neue
                                                                           Ideen entstehen können. Etwa, wenn sich
                                                                           eine Bauingenieurin und ein Forscher, der
                Joël Mesot, Präsident der ETH Zürich                       selbstheilende Materialien für medizini­
                                                                           sche Anwendungen entwickelt, Gedanken
                                                                           über Baustoffe der Zukunft machen.
                Kompostierbare Brücken, Beton, der Risse                   Oder wenn ein Forscher, der auf weiche
                selbstständig heilt, Implantate, die sich,                 Materialien spezialisiert ist, und eine
                wenn sie nicht mehr gebraucht werden, im                   Wissenschaftlerin, die magnetische Nano-
                Körper auflösen, dehnbare und biegsame                     strukturen erforscht, ein Material mit
                Batterien – die aktuelle Materialforschung                 Formgedächtnis entwickeln. Lesen Sie
                bringt Dinge in den Bereich des Mög­                       mehr darüber in dieser aktuellen Ausgabe
                lichen, von denen wir bis vor Kurzem nur                   von Globe.
                träumen konnten. Nicht nur, dass sie
                Materialien mit Eigenschaften ausstattet,                  Ich wünsche Ihnen eine
                die sie von Natur aus nicht haben, wie die                 anregende Lektüre!
                Multifer­roika von Nicola Spaldin. Sie
                erlaubt es ausserdem auch, Materialien
                sparsamer und ökologiefreundlicher zu
                gestalten und einzusetzen.

                Möglich wird dies einerseits durch die
                Zusammenarbeit von ganz unterschied­
                lichen Disziplinen, andererseits durch die
                neuen Methoden der additiven Fertigung
                wie den 3D-Druck. Ich bin überzeugt,

Globe, das Magazin der ETH Zürich und der ETH Alumni

Titel Illustration: Vasjen Katro / Bild Editorial: Markus Bertschi
NEUE MATERIALIEN Wie Werkstoffe immer mehr mit ihrer Funktion verschmelzen - NR. 4/2019 - ETH Zürich
GLOBE
NR. 4/2019                                                     INHALT                                                                                                                                  NEW AND NOTED

     NEW AND NOTED                                                                                                 COMMUNITY                                     Nachhaltigkeit
5    News aus der ETH Zürich                                                                                  31 Verbunden mit der ETH
                                                                                                                                                                 EMISSIONSFREIE
6	Ein Berg an Daten                                                                                          32	50 Jahre AVETH
                                                                                                                  Brücken bauen für den Mittelbau                SCHIFFFAHRT
8	Physisch und psychisch fitter
                                                                                                              35 Kolumne                                         Der Schifffahrtssektor macht drei
                                                                 Permafrostforschung auf dem                                                                     Prozent des weltweiten CO2-Ausstos-
     FOKUS                                                           Hörnligrat – Seite 6                                                                        ses aus. Experten für Nachhaltigkeit
12	Neue Materialien                                                                                               REPORTAGE                                     in der Wirtschaft des Sustainability
    Viele neue Materialien sind                                                                               36	Wenn Querschnittgelähmte                       in Business Lab (sus.lab) der ETH
    dynamische Werkstoffe, die mit                                                                                wieder gehen können                            ­Zürich haben deshalb nun mögliche
    ihrer Funktion verschmelzen.                                                                                  Zwei Teams demonstrieren an                     Wege zu einer emissionsfreien Schiff-
                                                                                                                  einer Veranstaltung des                         fahrt ausgearbeitet. Das Team um
17 Die Macht der inneren Struktur                                                                                 Cybathlon 2020 ihre Exoskelette.                Petrissa Eckle sieht das grösste Poten-
   In Metamaterialien ist nichts                                                                                                                                  zial in naher Zukunft in «Null-Emis­
   wie sonst: Hartes ist plötzlich                                                                                                                                sionen»-Antrieben wie elektrischen
   elastisch.                                                                                                      CONNECTED                                      Motoren, Brennstoffzellen oder mit
                                                                                                              42 Begegnungen an der ETH                           Ammoniak betriebenen Verbren-               Internationale Handelsschiffe und grosse Frachter sind massgeblich
20 Eigentlich unmöglich                                                                                                                                           nungsmotoren.                               für den erheblichen CO2-Ausstoss im Schifffahrtssektor verantwortlich.
   Die Materialwissenschaftlerin                                Bereit zum Aufstehen – Seite 36               44	Agenda

                                                                                                                                                                                                                                                                                                    5
   Nicola Spaldin über ihre
   Faszination für Multiferroika
                                                                                                                   PROFIL                                        Medizin                                      wenige Ultraschallsensoren besitzen,         Biologie
23	Material, forme dich!                                                                                     46 Damit die BFI-Chemie stimmt                                                                  zu erhöhen. Sie nutzten dazu zunächst
    ETH-Forschende entwickeln                                                                                    Die ETH-Alumna Martina                          KI VERBESSERT                                ein von ihnen entwickeltes hochwerti-        RESISTENZEN OHNE
    Materialien, die auf Befehl ihre
    Form verändern.
                                                                                                                 Hirayama weiss die Trümpfe
                                                                                                                 des Schweizer Bildungssystems
                                                                                                                                                                 BILDGEBUNG                                   ges Optoakustik-Gerät mit 512 Senso-
                                                                                                                                                                                                              ren, das qualitativ hochstehende Bil-
                                                                                                                                                                                                                                                           ANTIBIOTIKA-EINSATZ
                                                                                                                 auszuspielen.                                                                                der lieferte. Diese liessen sie von einem
26 Kompostierbare Brücken                                                                                                                                        Wissenschaftler der ETH Zürich und           sogenannten künstlichen neuronalen           Antibiotikaresistenzen verbreiten
   Neue Ideen als Basis                                                                                                                                          der Universität Zürich haben Metho-          Netzwerk analysieren. Dabei lernte           sich nicht nur dort, wo oft Antibio­
   für lebendige Bauten, die auf                                                                                   5 FRAGEN                                      den des maschinellen Lernens ein­            das Netzwerk die Merkmale der hoch-          tika eingesetzt werden. Das schlies­
   ihre Umwelt reagieren                                                                                      50 Daniel Farinotti                                gesetzt, um die optoakustische Bild­         wertigen Bilder.                             sen Forschende der ETH Zürich und
                                                                                                                 Schmelzende Gletscher bedeuten                  gebung zu verbessern. Mit diesem                  Anschliessend schalteten die For-       der Universität Basel aus Laborexpe-
28 Neue Materialien konkret                                                                                      für den Glaziologen viel Arbeit.                Verfahren können zum Beispiel Blut-          schenden einen Grossteil der Sensoren        rimenten. Um Resistenzen einzu-
   Aktuelle Entwicklungen aus                                                                                                                                    gefässe im Körperinnern sichtbar             aus, sodass nur noch 128 beziehungs-         dämmen, reicht es demnach nicht,
   ETH-Labors auf einen Blick                                                                                                                                    ­gemacht, die Gehirnaktivität unter-         weise 32 Sensoren übrigblieben, mit          den Antibiotika-Einsatz zu reduzie-
                                                                                                                                                                  sucht oder Brustkrebs und Haut-             entsprechend negativen Auswirkun-            ren. Man sollte auch die Verbreitung
                                                                                                                                                                  krankheiten diagnostiziert werden.          gen auf die Bildqualität: Weil es an Da-     resistenter Keime blockieren.
                                                                                                                                                                       Die Bildqualität, die ein Gerät lie-   ten mangelte, durchzogen streifenarti-
                                                                                                                                                                  fert, hängt stark von seiner Anzahl         ge Störsignale das Bild. Wie sich jedoch
                                                                                                                                                                  Sensoren ab: je mehr davon, desto bes-      herausstellte, war das zuvor trainierte
                               IMPRESSUM — Herausgeber: ETH Alumni / ETH Zürich, ISSN 2235-7289 Redaktion: Martina Märki (Leitung), Fabio Bergamin,               ser. Die Forschenden unter der Lei-         Machine-Learning-System mit seinem
                               Corinne Johannssen, Nicol Klenk, Karin Köchle, Corina Oertli, Norbert Staub, Michael Walther, Felix Würsten Mitarbeit: Claudia
                               Hoffmann, Oliver Morsch, Samuel Schlaefli Inserateverwaltung: ETH Alumni Communications, globe@alumni.ethz.ch, +41 44 632 51 24
                                                                                                                                                                  tung von Daniel Razansky, Professor         Algorithmus in der Lage, diese Verzer-
                               Inseratemanagement: Fachmedien, Zürichsee Werbe AG, Stäfa, info@fachmedien.ch, +41 44 928 56 53 Gestaltung: Crafft AG, Zürich      für biomedizinische Bildgebung an           rungen zu korrigieren. Dadurch er-
                               Druck, Korrektorat: Neidhart + Schön AG, Zürich Übersetzung: Burton, Van Iersel & Whitney GmbH, München; Clare Bourne,             der Universität Zürich und der ETH          höhte sich die Bildqualität deutlich
                               Anna Focà, ETH Zürich Auflage: 39 500 deutsch, 31 500 englisch, viermal jährlich Abonnement: CHF 20.– im Jahr (vier Ausgaben);
                                                                                                                                                                  Zürich, suchten nach einer Möglich-         und war vergleichbar mit der Qualität
                               in der Vollmitgliedschaft bei ETH Alumni enthalten Bestellungen und Adressänderungen: globe@hk.ethz.ch bzw. für Alumni
                               www.alumni.ethz.ch/myalumni Kontakt: www.ethz.ch/globe, globe@hk.ethz.ch, +41 44 632 42 52 Kostenlose Tablet-Version.              keit, die Bildqualität von kostengüns-      einer Messung mit 512 Sensoren.              Antibiotikaresistente Salmonellen sind
                                                                                                                                                                  tigen Optoakustik-Geräten, die nur                                                       ein besonderes Problem.

Bilder: Peter Rüegg, Urs Matter, Daniel Winkler                                                                                                                  Bild: iStockphoto; Stefan Fattinger                     ETH GLOBE 4/2019
NEUE MATERIALIEN Wie Werkstoffe immer mehr mit ihrer Funktion verschmelzen - NR. 4/2019 - ETH Zürich
NEW AND NOTED                                                                  NEW AND NOTED

    10 Jahre Permafrostforschung

    EIN BERG AN DATEN
    1500 Kubikmeter Fels brachen im Hitzesom-
    mer 2003 am Hörnligrat des Matterhorns ab.
    Der gewaltige Felssturz war der Auftakt für
    ein ungewöhnliches Forschungsprojekt der
    ETH Zürich und weiterer Institutionen: Mit
    dem Projekt «PermaSense» wollen Geo- und
    Ingenieurwissenschaftler ergründen, wie sich
    der Klimawandel auf den Permafrost in steilen
    Felsgebieten im Hochgebirge auswirkt. Denn
    wenn das Eis schmilzt, fehlt der Kitt, der die
    Gesteinsmassen zusammenhält – es drohen
    Felsstürze und Steinschlag.
        Mit thermischen, kinematischen und seis-
    mischen Messungen können die Forschenden
    die Veränderungen im Fels nun genau abbil-
    den. Herzstück der Untersuchungen ist ein
    drahtloses Sensornetzwerk am Hörnligrat,
    das bislang über 115 Millionen einzelne Da-
    tenpunkte lieferte, die in Echtzeit ins Internet
    gespeist wurden. In den letzten zehn Jahren
    entstand so ein umfassender Datensatz, der
6

                                                                                                                                         7
    wohl zu den grössten in der Geschichte der
    Permafrostforschung zählt. Das erworbene
    Wissen kann künftig für die Entwicklung von
    Frühwarnsystemen genutzt werden.
        Die Aufnahme aus dem Jahr 2012 zeigt
    ETH-Forschungsgruppenleiter Jan Beutel und
    Projektpartner Samuel Weber bei Wartungs-
    arbeiten in der Abbruchzone am Hörnligrat
    auf über 3500 m ü. M.
                                                                Se
    → www.permasense.ch                                    Drah it zehn Ja
                                                                tlos-          hren
                                                                      S
                                                              Hörn ensornet liefert ein
                                                           Mess     ligr          zwe
                                                                daten at am Ma rk auf d
                                                                       in bis      tterh     em
                                                                 Meng         he         orn
                                                                       e und r unerre
                                                                               Qual      ic
                                                                                    ität. hter

                                        ETH GLOBE 4/2019                                          Bild: Peter Rüegg   ETH GLOBE 4/2019
NEUE MATERIALIEN Wie Werkstoffe immer mehr mit ihrer Funktion verschmelzen - NR. 4/2019 - ETH Zürich
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    Militärpsychologie
                                                                                                                                                                                                                                                 l im
                                                                                                                                                                                                                                      A k t u e l o d c a st
                                                                                                                                                                                                                                        ETH-P
    Physisch und psychisch fitter
    Soldaten müssen fit sein, wenn sie ihren Auftrag erfolgreich erfüllen                                                                 tuationen; die Fähigkeit, den Fokus zu     mern während der Prüfung der Puls          Master in Quantum
                                                                                                                                          behalten und unter Druck Wichtiges         hochgeht, gehört zur normalen Stress-      Engineering
    sollen. Dazu gehört nicht nur die körperliche Verfassung,                                                                             von Unwichtigem zu trennen, sowie          reaktion. Interessant ist jedoch die       Ab diesem Semester ist es möglich,
    sondern auch die mentale Belastbarkeit in schwierigen Momenten.                                                                       eine positive, zuversichtliche Grund-      Frage, ob sie unter der Belastung noch     einen Master-Abschluss in Quantum
                                                                                                                                          haltung – das alles sind Elemente der      genügend Reserven haben, um die            Engineering an der ETH Zürich
                                                                                                                                          psychischen Fitness, die zur Führungs-     Aufgabe zu meistern, und wie schnell       zu machen. Doch was ist eigentlich
                                                                                                                                          qualität beitragen. «Es geht nicht da­     sie sich von der Herausforderung er­       Quantum Engineering? Und wer
                                                                                                                                          rum, wie ein Fels in der Brandung jeg-     holen.                                     studiert dieses neue Fach? In dieser

    A
                                                                                                                                          lichen Stress an sich abprallen zu las-                                               Episode des ETH-Podcasts begleiten
              ls Kuscheldozent sei er schon                                                                                               sen», meint Annen, «sondern darum,         Auch ausserhalb der Armee gefragt          wir eine Studentin, sprechen mit
              bezeichnet worden, meint                                                                                                    flexibel auf Anforderungen und auch        Die Resultate stimmen Annen zuver-         einem Professor über die Lehrpläne
              Hubert Annen schmunzelnd.                                                                                                   Rückschläge reagieren zu können.»          sichtlich: «In unseren Studien konnten     und fragen auch die Industrie,
    Doch der Dozent für Militärpsycholo-                                                                                                                                             wir zeigen, dass unser Training tat-       was sie sich von einem Abschluss
    gie und Militärpädagogik an der Mili-                                                                                                 Praxisnahe Übungen                         sächlich wirkt und Offiziere danach        in Quantum Engineering an der
    tärakademie (MILAK) an der ETH Zü-                                                                                                    Das von Annen und seinen Mitarbeite-       gelassener mit Stress umgehen.» Die        ETH Zürich erhoffen.
    rich nimmt das gelassen. «Mit solchen                                                                                                 rinnen entwickelte Ausbildungspro-         Erkenntnisse werden auch ausserhalb
    Vorurteilen muss man in unserem Me-                                                                                                   gramm wird gegenwärtig in einer            der Armee registriert. Annen be-
    tier leben», erklärt er. «Wichtig ist ein-                                                                                            Offiziersschule angewendet. Zehn bis       kommt viele Anfrage von Blaulicht­
    fach, dass wir allfälligen Vorurteilen                                                                                                zwölf Ausbildner trainieren die rund       organisationen und sogar von psychia-
    mit harten Fakten begegnen.» Tat-                                                                                                     40 Aspiranten regelmässig mit praxis-      trischen Kliniken. Und auch in die
    sächlich hat Annen gute Argumente                                                                                                     nahen Übungen. Sie vermitteln bei-         Ausbildungsgänge des Kompetenz-
8

                                                                                                                                                                                                                                                                         9
    zur Hand, um den Kuschelvorwurf zu                                                                                                    spielsweise Elemente, die auch in der      zentrums SWISSINT in Stans, das
    widerlegen. Als im Projekt «Progress»                                                                                                 Sportpsychologie zur Anwendung             sämtliche friedensfördernde Ausland-
    der Ablauf einer Rekrutenschule so an-                                                                                                kommen. Die künftigen Offiziere wer-       einsätze der Schweiz koordiniert, sind
    gepasst wurde, dass den jungen Män-                                                                                                   den geschult, wie sie in heiklen           die Erkenntnisse eingeflossen. Für An-     Autos mit Gedanken steuern
    nern und Frauen der Einstieg in den                                                                                                   Situatio­nen ihre Emotionen und Ge-        nen ist dabei klar: Es geht nicht primär   Samuel Kunz ist seit einem Bade­
    Militäralltag leichter fiel und diese erst                                                                                            danken besser kontrollieren können.        um das generelle Wohlbefinden der          unfall Tetraplegiker und braucht einen
                                                        In einer modernen Armee immer wichtiger:
    nach und nach höheren Belastungen                   besser mit Stresssituationen umgehen können                                       Dazu ist es wichtig, dass sie ihre eige-   Betroffenen, sondern um die Frage,         Rollstuhl. Derzeit bereitet er sich
    ausgesetzt wurden, hatte dies – wie                                                                                                   nen Schwachstellen kennen und wis-         wie vor allem die Führungskräfte men-      auf den Cybathlon vor, eine Meister-
    von Annen erwartet – positive Folgen.                                                                                                 sen, in welchen Situationen sie zu         tal noch gezielter ausgebildet werden      schaft für körperbehinderte Men-
    «Es gab weniger Verletzungen und we-                                                                                                  Überreaktionen neigen.                     können, damit sie ihre Aufgaben mög-       schen. Zusammen mit der Neurowis-
    niger Abbrüche. Die Rekruten waren                                                                                                        In Zusammenarbeit mit dem              lichst souverän und glaubwürdig wahr-      senschaftlerin Rea Lehner und einem
    motivierter und nach elf Wochen               Resi­lienz lautet der psychologische     welche Erfahrungen die Amerikaner              Lehrstuhl von Ulrike Ehlert, Professo-     nehmen können. — Felix Würsten             Team der ETH Zürich trainiert er,
    ­Rekrutenschule doch gleich leistungs-        Schlüsselbegriff dazu, also die Fähig-   mit ihrem Resilienztraining machen.            rin für klinische Psychologie an der                                                  ein Auto in einem Computerspiel mit
     fähig wie alle anderen Rekruten», fasst     keit, angemessen mit emotional belas-     «Natürlich kann man nicht verhin-              Universität Zürich, untersuchen die        Informationen zur MILAK:                   seinen Gedanken zu navigieren.
     er die wichtigsten Punkte zusammen.         tenden Situationen und Rückschlägen       dern, dass ein Teil der Soldaten nach          MILAK-Forschenden in Längsschnitt-         → www.vtg.admin.ch/de/organisation/
                                                 umzugehen. Die Grundidee: Die Sol-        einem Kriegseinsatz unter schweren             studien, ob das Programm wirklich             kdo-ausb/hka/milak.html
    Drill allein reicht nicht                    daten sollen nicht nur physisch fit ge-   psychischen Problemen leidet», relati-         nützt. «Mit diesen Studien wollen wir
    Eine moderne Armee muss psycholo-            macht werden, sondern auch psychisch      viert Annen. «Doch wenn das Gros               uns in der internationalen Resilienz-
    gischen Aspekten Rechnung tragen, ist        stabiler werden, bevor sie in den Kampf   besser mit der Situation an der Front          forschung etablieren», hält Annen fest.
    Annen überzeugt, auch wenn hartes            ­ziehen.                                  klarkommt, ist viel gewonnen.»                 Der Wahl der geeigneten Evaluations-
    physisches Training natürlich nach wie            Als die US-Army 2009 das «Com-            Kriegseinsätze kennt die Schweiz          verfahren kommt dabei grosse Bedeu-
    vor wichtig ist. Gerade die US-Army           prehensive Soldier Fitness Program»      zum Glück nicht. Dennoch ist Annen             tung zu. Das MILAK-Team setzt des-
    nimmt in diesem Bereich eine Vorrei-          einführte, interessierte sich auch An-   überzeugt, dass Resilienz auch für die         halb unter anderem auf Methoden, die
    terrolle ein. Als aufgrund der Kriege in      nen für das neue Konzept. Während        Schweizer Armee ein Thema sein soll-           nachweislich objektive Rückschlüsse
    Afghanistan und Irak immer offen-             eines Forschungsaufenthalts an der       te. «Es ist wichtig, dass beispielsweise       zulassen, beispielsweise Stresstests
    sichtlicher wurde, dass viele Soldaten        Militärakademie West Point absol-        junge Offiziere lernen, besser mit             unter Laborbedingungen, bei denen                                                     Mehr Informationen:
    psychische Probleme haben, beschloss          vierte er das Master Resilience Trai-    Stresssituationen umzugehen.» Eine             auch die biologische Reaktion gemes-                                                  → www.ethz.ch/podcast
    das Pen­tagon, Gegensteuer zu geben.          ning und erfuhr so aus erster Hand,      gewisse Gelassenheit in kritischen Si-         sen wird. Dass den Versuchsteilneh-

                                                           ETH GLOBE 4/2019                                             Bild: VBS / ZEM   Bilder: Yves Salathé; Nicola Pitaro                  ETH GLOBE 4/2019
NEUE MATERIALIEN Wie Werkstoffe immer mehr mit ihrer Funktion verschmelzen - NR. 4/2019 - ETH Zürich
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     Physik                                                                                                                                                  Klimaforschung                               stabilisiert werden kann. Doch selbst      ETH-Spin-off
                                                                                                                                                                                                          in diesem Fall muss damit gerechnet
     KLEIN, ABER PRÄZIS                                                                                                                                      SCHLECHTE                                    werden, dass sich der Rückgang des         MIT INDUSTRIEMÜLL
     ETH-Forschende um Rachel Grange
                                                                                                                                                             AUSSICHTEN FÜR DEN                           Aletschgletschers bis Ende Jahrhun-
                                                                                                                                                                                                          dert fortsetzen wird, sagen die For-       ISOLIEREN
     haben ein kompaktes Infrarot-Spekt-                                                                                                                     ALETSCHGLETSCHER                             schenden. Sowohl beim Eisvolumen
     rometer entwickelt, das sich auf ei-                                                                                                                                                                 als auch bei der Länge müsse in diesem     Wer ein Haus baut, steht bei der Wahl
     nem rund zwei Quadratzentimeter                                                                                                                                                                      Fall mit einer Abnahme von mehr als        der richtigen Isolation vor einem Di-
     grossen Chip unterbringen lässt. Da-                                                                                                                    Das zunehmend warme Klima setzt              50 Prozent im Vergleich zu heute ge-       lemma: Entweder er entscheidet sich
     mit ist das neu entwickelte Messgerät                                                                                                                   den Schweizer Gletschern zu. Die             rechnet werden. Dass sich der Glet-        für einen künstlichen Dämmstoff wie
     deutlich kleiner als herkömmliche.                                                                                                                      Zunge des Aletschgletschers hat sich         scher selbst bei einer baldigen Stabili-   zum Beispiel Styropor oder Steinwol-
     Durch die Kompaktheit ergeben                                                                                                                           seit dem Jahr 2000 um rund einen             sierung des Klimas weiter zurückzie-       le. Diese sind zwar günstig und effi­
     sich interessante Anwendungsmög-                                                                                                                        ­Kilometer zurückgezogen. ETH-For-           hen wird, hängt damit zusammen, dass       zient, dafür aber wenig ökologisch.
     lichkeiten – im Weltall und im Alltag.                                                                                                                   schende der Versuchsanstalt für Was-        grosse Gletscher sehr träge sind und       Oder aber die Wahl fällt auf natürliche
     Das einfallende Licht wird nicht wie                                                                                                                     serbau, Hydrologie und Glaziologie          erst mit einer gewissen Verzögerung        Alternativen wie Holzfasern oder
     in herkömmlichen Infrarot-Spektro-                                                                                                                       haben in einer detaillierten Simulation     auf Klimaveränderungen reagieren.          Flachs, was zwar nachhaltig, dafür
     metern mit Hilfe von beweglichen               Das Wellenspektrum von Infrarotlicht lässt sich mit diesem
                                                                                                                                                              untersucht, wie sich der Aletschglet-            Geht man von einem ungünstigen,       aber teurer und manchmal auch weni-
     Spiegeln analysiert, sondern mit spe-          nur zwei Zentimeter langen Chip präzis aufschlüsseln.                                                     scher bis ins Jahr 2100 verändern wird.     aber durchaus realistischen Szenario       ger effizient ist. Kommt hinzu, dass
     ziellen Lichtleitern.                                                                                                                                        Der günstigste Fall für den Glet-       aus, bei dem sich das Klima in der         manche der heute gängigen Dämm-
                                                                                                                                                              schertourismus im Wallis wäre, wenn         Schweiz bis Ende Jahrhundert um vier       materialien leicht brennbar sind. Der
                                                                                                                                                              die globale Erwärmung, so wie im Kli-       bis acht Grad Celsius im Vergleich zur     ETH-Spin-off FenX hat sich daran
10

                                                                                                                                                                                                                                                                                               11
                                                                                                                     Zukunf
                                                                                                                                    tsblog                    maabkommen von Paris vorgesehen,            Referenzperiode 1960–1990 erwär-           gemacht, dieses Dilemma zu lösen.
                                                                                                                                                              unter 2 Grad Celsius gehalten werden        men wird, werden vom ehemals gröss-        FenX verwandelt Industrieabfall in
                                                                                                                                                              könnte. Dies setzt allerdings voraus,       ten Alpengletscher im Jahr 2100 nur        einen porösen Schaum, der sich zur
     Nachhaltigkeit                                 Digitalisierung                              Gesundheit                                                   dass die Treibhausgasemissionen welt-       noch ein paar mickrige Eisfelder übrig-    Gebäudeisolation eignet. Im Gegen-
                                                                                                                                                              weit in naher Zeit massiv gesenkt wer-      bleiben.                                   satz zu anderen nachhaltigen Dämm-
     ZUM SCHUTZ DES                                 ZEIT FÜR NEUEN                               DIE TÜCKEN DER                                               den, sodass das Klima ab etwa 2040                                                     stoffen ist dieser nicht brennbar und

     REGENWALDES                                    SOZIALEN VERTRAG                             SCHNITTSTELLEN                                                                                                                                      ausserdem günstig herzustellen.
                                                                                                                                                                                                                                                          Nun sucht die Jungfirma nach ei-
                                                                                                                                                                                                                                                     nem Partner für die Produktion. Bis-
     Die Brände im Amazonasgebiet sind              Neue Technologien verändern nicht            Bis man mit Gehirn-Computer-                                                                                                                        lang finanzieren sich die Jungunter-
     menschgemacht, und der Mensch                  nur die Arbeitswelt grundlegend, son-        Schnittstellen Gedanken lesen kann,                                                                                                                 nehmer über Mittel aus einem ETH
     kann sie auch stoppen – durch Koope-           dern auch die Beziehung zwischen             ist es noch ein weiter Weg. Und auch                                                                                                                Pioneer Fellowship sowie über natio-
     rationen, Investitionen in Waldschutz          Beschäftigten, Unternehmen und Ge-           sonst hat die Technik ihre Grenzen,                                                                                                                 nale und europäische Zuschüsse. Ziel
     und nachhaltige Landwirtschaft,                werkschaften, zeigt Gudela Grote auf.        stellt Roger Gassert klar.                                                                                                                          ist, bis im April 2020 rund 1,5 Millio-
     meint Rachael Garrett.                                                                                                                                                                                                                          nen Franken einzusammeln und ab
                                                    → www.ethz.ch/zukunftsblog-grote             → www.ethz.ch/zukunftsblog-gassert
                                                                                                                                                                                                                                                     2021 mit den Schaumplatten auf dem
     → www.ethz.ch/zukunftsblog-garrett
                                                                                                                                                                                                                                                     Markt zu sein.

                     Rachael Garrett,                              Gudela Grote, Professorin                        Roger Gassert, Professor                                                                                                         → www.fenx.ch
                     Assistenzprofessorin                          für Arbeits- und                                 für Rehabilitationstechnik
                     für Umweltpolitik                             Organi­sationspsychologie                        am Departement
                     am Departement                                am Departement                                   Gesundheitswissen­
                     Geistes-, Sozial- und                         Management, Technologie                          schaften und Technologie
                     Staats­wissenschaften                         und Ökonomie

                                                                                                                                                                                                                                                     Mehr Informationen zu diesen und
     Diese und weitere Blogbeiträge in voller Länge unter:                                                                                                                                                                                           weiteren Forschungsnachrichten
     → www.ethz.ch/zukunftsblog                                                                                                                              Blick auf den Grossen Aletschgletscher von der Moosfluh oberhalb der Bettmeralp.        aus der ETH Zürich finden Sie unter:
                                                                                                                                                             Selbst im günstigsten Fall ist um 2100 von hier aus kein Gletschereis mehr zu sehen.    → www.ethz.ch/news

                                                              ETH GLOBE 4/2019                         Bilder: Pascal A. Halder; Giulia Marthaler (2); zVg   Bild: Matthias Huss                                     ETH GLOBE 4/2019
NEUE MATERIALIEN Wie Werkstoffe immer mehr mit ihrer Funktion verschmelzen - NR. 4/2019 - ETH Zürich
FOKUS                                                                           FOKUS

     NEUE
                                                              Robotergreifarme, die sich ohne Mechanik
                                                              zusammenziehen können. Schrauben, die
                                                              gebrochene Knochen zusammenhalten und
                                                              sich später im Körper auflösen. Bau­ma­te­
                                                              rialien, die Alarm schlagen, bevor sie brüchig

      MATE-
                           Flexibel,                          werden. Viele neue Materialien sind nicht
                           dynamisch,                         statisch, sondern dynamische Werkstoffe,
                           wandelbar                          die mit ihrer Funktion ver­schmelzen.
                                                              TEXT Fabio Bergamin

     RIALIEN
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                                                                                                                                                                   13
                                                              V           on A bis Z aus demselben Material
                                                                          gefertigt, fest und unveränderbar
                                                                          während Generationen. Das trifft
                                                              auf eine lange Reihe von Gegenständen oder
                                                              Baumaterialien zu, die wir kennen: auf die
                                                              Tasse, aus der wir unseren Kaffee trinken, auf
                                                                                                                 Einer, der an solchen neuen Materialien
                                                                                                                 forscht, ist Ralph Spolenak. Jüngst hat der
                                                                                                                 ETH-Professor einen Ansatz entwickelt, mit
                                                                                                                 dem sich Risse in beweglichen Elektronik-
                                                                                                                 bauteilen einfach reparieren lassen. «Leiter
                                                                                                                 und Halbleiter in der Mikroelektronik sind in
                                                              die Legosteine unserer Kindheit oder die           der Regel wenig dehnbare Materialien. Wenn
                                                              Ziegelsteine, aus denen unsere Häuser ge-          man sie mit etwas Biegsamem kombiniert,
                                                              baut sind.                                         sind die Dehnungen oft grösser, als es die Me-
                                                                   Viele der modernen Materialien, die der-      talle aushalten können. Deswegen kann es zu
                                                              zeit an der ETH erforscht werden, unter-           Rissen kommen», erklärt Spolenak. Er denkt
                                                              scheiden sich davon grundlegend: Wissen-           dabei unter anderem an bewegliche Bild-
                                                              schaftler und Wissenschaftlerinnen stellen         schirme von Smartphones oder an Elektro-
                                                              heute Materialien her, deren innere Zusam-         nikbauteile, die in Textilfäden für tragbare
                                                              mensetzung und Eigenschaften sich auf der          Elektronik integriert sind.
                                                              Nanoskala von Punkt zu Punkt unterschei-                Solange ein Riss in einer solchen Elektro-
                                                              den. Manche Materialien können ihre Form           nik nicht zu breit ist, kann man das Bauteil
                                                              oder Farbe verändern, auf Knopfdruck, als          lokal erwärmen und das leitende Metall
                                                              Reaktion auf äussere Bedingungen oder              punktgenau zum Schmelzen bringen, wo-
                                                              wenn sich in ihrem Innern Anzeichen von Al-        durch sich der Riss wieder füllt. Spolenak und
                                                              terung zeigen. Und wieder andere Materia­          seine Mitarbeitenden entwickelten dazu eine
                                                              lien sind so konstruiert, dass sich innere Risse   präzise ansteuerbare Wärmequelle in Form
                                                              ganz einfach von aussen kitten lassen.             eines Films, der sich unter einem elektro-

        ETH GLOBE 4/2019       Illustrationen: Vasjen Katro                           ETH GLOBE 4/2019
NEUE MATERIALIEN Wie Werkstoffe immer mehr mit ihrer Funktion verschmelzen - NR. 4/2019 - ETH Zürich
FOKUS                                                                                                                                              FOKUS

     nischen Schaltkreis platzieren lässt –      spruchte Schneidwerkzeuge und Boh-       metallische Objekte herzustellen, de-
     beziehungsweise: auf den sich ein           rer zu beschichten. Wie Forschende in    ren chemische Zusammensetzung und                                                                                                                   Mittels Nano-3D-Druck lassen
     Schaltkreis drucken lässt. Der Film         seiner Gruppe zeigen konnten, lassen     deren innere Struktur sich Voxel für        Eine dünne Schicht aus Nickel- und Aluminium­                                                           sich Objekte herstellen, in denen sich
     besteht aus mehreren dünnen Nickel-         sich durch die geschickte Kombination    Voxel ändern kann. Ein Voxel ist die        lagen bringt leitendes Metall punktgenau                                                                unterschiedliche Metalle – hier
     und Aluminiumlagen, die sandwich­           von nur wenige Nanometer dünnen          dreidimensionale Entsprechung eines         zum Schmelzen. So könnten Risse in Elektronik-                                                          Silber (blau) und Kupfer (rot) – auf
                                                                                                                                      bauteilen geheilt werden.                                                                               engstem Raum abwechseln.
     artig angeordnet sind. Werden diese         Schichten      verschiedener   Titan-    Pixels, und in diesem Fall sind die ge-
     beiden Metalle lokal mit einem Fun-         Stickstoff-­Legierungen farbige Be-      druckten Voxel winzig: 200 Nanome-
     ken angeregt oder lässt man ein kleines     schichtungen herstellen. Die Farbe       ter im Durchmesser.
     Gewicht darauf fallen, kommt es zu          hängt dabei von der Dicke – im Nano-          Metallbauteile müssen also nicht
     einer chemischen Reaktion, die Wär-         meterbereich – der äusseren Schicht      mehr zwingend durchwegs aus ein und
     me freisetzt und eine Leiterbahn an         und der inneren Anordnung der Atome      derselben Legierung bestehen. «Selte-
     dieser Stelle zum Schmelzen bringt.         ab: Grün, Blau oder Purpur.              ne und teure chemische Elemente
           «Heilung ‹on demand›» nennt                Damit nicht genug: Wie die For-     liessen sich einsparen, indem man sie
     das Spolenak. Fernziel wären sogar          schenden zeigen konnten, führt eine      innerhalb eines Bauteils nur dort ver-
     selbstheilende     Elektronikbauteile.      starke Temperaturerhöhung auf 500        wendet, wo sie für die Funktion des
     «Dazu müsste ein entstehender Riss          Grad Celsius und höher zu einer          Bauteils unerlässlich sind», sagt Spo-
     die Wärmereaktion gleich selbst auslö-      irrever­siblen Umordnung der Atome       lenak. Gleiches gilt für toxische Legie-
     sen», erklärt der ETH-Professor. Er ist     und somit zu einer Farbänderung. Eine    rungselemente. «Zum Beispiel ist es
     davon überzeugt, dass dies dereinst         purpurne Beschichtung zum Beispiel       bei einigen Anwendungen wie dem Lö-
     möglich sein wird. Denn bei einem           wird gelb. «Eine solche Beschichtung     ten schwierig, ganz auf das giftige Blei
     Riss handle es sich um eine plastische      mit Temperatursensorfunktion könn-       zu verzichten.» Die neue Technologie        Beschädigt                                           Geheilt
     Verformung, die zu einem geringen           te für Maschinenteile verwendet wer-     könnte in Zukunft aber die Möglich-
     Mass immer auch Wärme erzeuge.              den, die bei hohen Temperaturen          keit bieten, Blei nur noch dort einzu-
     ­Zusammen mit seinen Mitarbeitenden         Schaden nehmen und deshalb über-         setzen, wo es dringend nötig ist. Mit
      ist er deshalb daran, ein System zu        wacht werden müssen», sagt Spolenak.     solchen weniger toxischen Bauteilen
      ent­
      ­   wickeln, bei dem diese geringe         «Es müssen dazu keine elektronischen     liesse sich die Zeit überbrücken, bis die   ter und versuchen gezielt zu verstehen,                       präzise zu bewegen, werden normaler-      zial in der personalisierten Medizinal-
      Anfangswärme ausreicht, um die
      ­                                          Sensoren eingebaut werden, sondern       Materialwissenschaft komplett blei­         welche Änderungen im Prozess welche                           weise piezoelektrische Materialien        technologie. Man könnte so eine
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                                                                                                                                                                                                                                                                                        15
      Schmelzreaktion zu zünden.                 man kann jederzeit sehr einfach op-      freie Alternativen entwickelt hat.          Auswirkungen darauf haben, wie ein                            eingesetzt», erklärt Spolenak. Das sind   patientenspezifische Kombination von
                                                 tisch überprüfen, ob das Maschinenteil        Möglich ist dieser Nano-3D-            Material lokal aufgebaut ist.»                                solche, die sich unter dem Einfluss ei-   Bio­sensoren auf einem Bauteil kom­­­
     Warnfarbe statt Sensor                      in der Vergangenheit einmal zu hoch      Druck von Metallen, weil sich die                So lassen sich beispielsweise beim                       nes elektrischen Felds ausdehnen.         binieren. Eine solche 3D-gedruckte
     Ein weiteres Beispiel für ein dynami-       erhitzt worden ist.»                     3D-Druck-Verfahren in den vergange-         Drucken von Metall Festigkeit und Zä-                         Häufig geht es da um sehr kleine Ver-     Sensoranordnung wäre sehr viel klei-
     sches Material aus Spolenaks Labor                                                   nen Jahren enorm weiterentwickelt           higkeit über die Temperatur verän-                            formungen, was aber ein Vorteil ist,      ner als eine Kombination einzelner
     ist eine metallische, sehr harte Oberflä-   Innen fest, aussen verformbar            haben. «Die additive Fertigung ist heu-     dern und somit Gegenstände fertigen,                          weil sich so eine hohe Stellgenauigkeit   serienmässig hergestellter Sensoren
     chenbeschichtung, die mit einer Farb­       Die aktuelle Materialforschung be-       te nahe an der Perfektion, sowohl inge-     bei denen diese lokal variieren. Ein                          erreichen lässt.                          und damit einfacher implantierbar.
     änderung auf hohe Temperaturen              schäftigt sich auch intensiv mit der     nieurtechnisch gesehen als auch was         Beispiel wären Bauteile, die im Innern                             Das Ziel von Ralph Spolenak und           Und vielleicht wird es in Zukunft
     reagiert. Sie hat also eine quasi im
     ­                                           3D-Drucktechnologie und der ad­          Steuerungsalgorithmen angeht», sagt         hohe Spannungen aushalten und dort                            seinen Kollegen, mit denen er im Na-      sogar möglich sein, solche Mikro­­
     Material eingebaute Temperatursen-          ditiven Fertigung. Weiterentwicklun-     Spolenak. Die Materialwissenschaft          sehr fest sein müssen, sich andernorts                        no-3D-Druck-Projekt zusammenar-           elektronikbauteile mit selbstheilen-
     sorfunktion. Die Beschichtung fusst         gen eines interdisziplinären ETH-        biete jedoch noch viel Raum für Wei-        aber verformen dürfen, um Stösse von                          beitet, ist, das Drucken noch präziser    den ­Eigenschaften auszustatten. «Der
     auf Spolenaks Arbeit mit Titan-             Teams aus den Bereichen Maschinen-       terentwicklungen. «Noch vor wenigen         aussen aufnehmen zu können.                                   zu machen: «Letztlich streben wir an,     3D-Druck und die additive Fertigung
     Aluminium­-Stickstoff-Verbindungen,         bau, Elektrotechnik, Chemie und          Jahren haben Forschende in diesem                                                                         die Auflösung so weit zu erhöhen, dass    geben uns Materialwissenschaftlern
     die wegen ihrer Härte verwendet wer-        Mate­rialwissenschaften – in dem auch    Bereich vor allem sehr viel auspro-         3D-Druck auf Nanoebene                                        wir damit Mikroelektronik-Bauteile        neue Möglichkeiten, und umgekehrt
     den, um etwa mechanisch stark bean-         Spole­nak dabei ist – erlauben es nun,   biert. Heute sind wir einen Schritt wei-    Knowhow zu den gedruckten Mate­                               drucken können. Damit wäre es mög-        bringen die Materialwissenschaften
                                                                                                                                      rialien ist jedoch nicht der einzige Bei-                     lich, mit der Mikroelektronik die drit-   diese Technologien entschieden wei-
                                                                                                                                      trag der Materialwissenschaften zum                           te Dimension zu erschliessen und die      ter», sagt Spolenak. «Letztlich geht es
                                                                                                                                      Nano-3D-Drucken, sondern auch die                             Bauteile kleiner zu gestalten.» Dazu      in der Materialwissenschaft immer
                                                                                                                                      Verbesserung der Prozesskontrolle:                            bräuchte es laut den Forschenden ein      darum, Prozesse, Materialien und Ei-
               «Die additive Fertigung ist ingenieurtechnisch                                                                         Wenn man so hochpräzise drucken                               Feedbacksystem, damit der Drucker         genschaften zusammenzuführen. Und
                                                                                                                                      möchte, wie das die ETH-Forschenden                           mit Echtzeitinformationen versorgt        anpassungsfähige und dynamische
               schon nahe an der Perfektion, aber die Material-                                                                       derzeit tun, braucht man dazu entspre-                        und gesteuert werden kann. Jetzt wird     Materialien und Ansätze ermöglichen

               entwicklung bietet noch viele Möglichkeiten.»
                                                                                                                                      chend präzise steuerbare Positionier­                         der Druckauftrag, einmal gestartet,       uns, Materialien mit ganz neuen Ei-
                                                                                                                                      tische. Denn beim 3D-Drucken bleibt                           quasi im Blindflug ausgeführt.            genschaften und Funktionen zu ent­
                                                                                                                                      die Druckdüse in der Regel an Ort,                                 Weil der 3D-Druck sehr gut geeig-    wickeln.»
               Ralph Spolenak                                                                                                         während sich die Unterlage darunter                           net ist für die Fertigung von indivi­
                                                                                                                                      bewegt. «Um solche Positioniertische                          duellen Bauteilen und kleinen Serien,     Forschungsgruppe von Ralph Spolenak:
                                                                                                                                      in den drei Raumdimensionen hoch-                             sieht der ETH-Professor auch Poten­       → www.met.mat.ethz.ch

                                                          ETH GLOBE 4/2019                                                            Bilder: Stefano Danzi und Alain Reiser, Laboratory for Nanometallurgy   ETH GLOBE 4/2019
NEUE MATERIALIEN Wie Werkstoffe immer mehr mit ihrer Funktion verschmelzen - NR. 4/2019 - ETH Zürich
FOKUS                                  FOKUS

                         DIE

                        MACHT                     DER INNEREN

                         STRUKTUR
                               In Metamaterialien ist nichts wie
                               sonst: Hartes ist plötzlich elastisch,
                               Weiches leitet Signale, und Schall
                               und Licht verhalten sich sonderbar.
                               TEXT Michael Walther
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                                                                                                                        17
                               I    n dem Keramikwürfel unter dem
                                    Mikroskop stecken Superkräfte:
                                    Eine Presse quetscht ihn von oben
                               um fast ein Drittel seiner Höhe zusam-
                               men. Aber nichts bröselt, bricht oder
                               reisst. Dann lässt sie nach, und der
                                                                             Was ETH-Professor Dennis Koch-
                                                                             mann gemeinsam mit Kolleginnen und
                                                                             Kollegen vom California Institute of
                                                                             Technology in Pasadena entwickelt
                                                                             hat, ist ein Metamaterial. Solche De-
                                                                             sign-Materialien haben Eigenschaften,
                               Würfel nimmt seine Ausgangsform               die in der Natur nicht vorkommen. An-
                               wieder an, fast wie ein Schwamm. Die          gelegt sind diese Eigenschaften in der
                               Presse wiederholt das Spiel, der Wür-         mikroskopischen Struktur.
                               fel bleibt intakt. Derart elastisch ist der        Elastische Keramiken sind dabei
                               0,1 Millimeter kleine Keramikwürfel           ein vergleichsweise unspektakuläres
                               dank seiner inneren Struktur: Er ist          Beispiel. Bekannt sind Metamateria­
                               durchzogen von geschwungenen Fur-             lien dafür, dass sich damit die Ausbrei-
                               chen und Höhlen. Diese sind so ange-          tung von Wellen kontrollieren lässt.
                               legt, dass sich die Zugkräfte in keinem       Forschern ist es etwa gelungen, ein
                               Bereich des Würfels konzentrieren             Metamaterial mit negativem Bre-
                               können, wenn er gequetscht wird.              chungsindex herzustellen. Ein solches
                               Denn solche Konzentrationen der               bricht Licht oder andere Wellen in die
                               Zugkräfte an defekten Stellen, Dellen         «verkehrte Richtung». Anwendungen
                               oder scharfen Ecken der Struktur ma-          sind komplett flache Linsen und theo-
                               chen das Material brüchig. Durch die          retisch sogar optische und akustische
                               spezielle Höhlenstruktur wird das ver-        Tarnkappen. Metamaterialien bergen
                               hindert, die Keramik wird plötzlich           also auch das Potenzial, Dinge unsicht-
                               elastisch.                                    bar werden zu lassen.

     ETH GLOBE 4/2019                     ETH GLOBE 4/2019
NEUE MATERIALIEN Wie Werkstoffe immer mehr mit ihrer Funktion verschmelzen - NR. 4/2019 - ETH Zürich
FOKUS                                                                                                                                FOKUS

     Das Feld der Metamaterialien ist noch      tieren können. Möglich machte dies       tend ist dies etwa für die Entwicklung
     relativ jung und eine wissenschaftliche    eine clevere Anordnung des weichen       von weichen Robotern.
     Goldgrube. Denn in der Theorie lassen      Materials. Die Wissenschaftler ver-          Aktuell arbeitet Kochmanns Team
     sich Metamaterialien auf fast beliebig    wendeten dafür sogenannt bistabile        daran, dasselbe Prinzip nicht nur in ei-                            «Mit der richtigen Struktur lassen sich
     viele Eigenschaften hin massschnei-       Elemente: Jedes von ihnen kann zwei       ner, sondern in zwei und drei Dimen­
     dern. Wer das Spiel aus geometrischen     Positionen einnehmen, eine gespannte      sionen anzuwenden. Damit werden                                     Eigenschaften von Materialien kontrolliert
                                                                                                                                                             verändern.»
     Formen, Elementen und Materialien         und eine entspannte. Diese Elemente       Materialien möglich, die auf einen be-
     beherrscht, dem öffnet sich eine Spiel-   haben sie wie Dominosteine in Serie       stimmten Stimulus ihre Form in zwei
     wiese.                                    hintereinander angeordnet und mitei-      oder drei Dimensionen verändern
                                               nander verbunden. Wird die Struktur       können, ohne auf Antriebe oder Moto-                                Dennis Kochmann
     Weich und leitfähig                       an einem Ende angestossen, bewegt         ren angewiesen zu sein. Allein anhand
     Kochmann und seine Gruppe leisten         sich eine Welle bis ans andere Ende –     der Struktur könnten die Forscher den
     dabei Grundlagenforschung. Sie loten      eben wie bei Dominosteinen.               Anfangs- und den Endzustand einer
     die Spielwiese aus und verschieben die          Damit war eine simple Lösung für    verwandelbaren Form programmie-
     Grenze dessen, wozu Materialien fähig     die Signalübertragung in weichen          ren, darüber hinaus auch Geschwin-
     sind. Vor wenigen Jahren haben sie ge-    ­Materialien gelegt. Die Forschenden      digkeit und Abfolge der Verwandlung.              Eigenschaft nachgewiesen: Ist das         sen ausgesetzt werden. Zum Beispiel,       Dennis Kochmann Werkzeuge an die
     zeigt, dass auch weiche Materialien –      hatten eine weiche Alternative zu her-                                                     Meta­material verformt (also aufgela-     wenn sie erhitzt, unter Strom gestellt     Hand. Huber macht so neue Denkwei-
     genauer: Polymere – Wellen transpor-       kömmlichen Kabeln gefunden. Bedeu-       Verwandlung auf Knopfdruck                        den), können sich darin Wellen in be-     oder wie beim Keramikwürfel kompri-        sen und Designkonzepte für Material-
                                                                                         Während diese Materialien mecha-                  stimmten Frequenzbereichen nicht          miert werden. Das so gewonnene Wis-        strukturen verfügbar. Zugleich – und
                                                                                         nisch – im Labor von Hand – angeregt              ausbreiten. Indem mehr oder weniger       sen über Materialien setzt er ein, wenn    darüber freut er sich als Physiker fast
                                                                                         werden, damit sie sich verwandeln, ge-            Spannung angelegt wird, lassen sich       er neue Metamaterialien entwickelt.        noch mehr – kann er anhand von Mes-
                                                                                         schieht dies bei anderen bereits elek­            diese Frequenzbereiche verändern.                                                    sungen in Experimenten mit seinen
                                                                                         tronisch auf Knopfdruck. Kochmann                 Solche regelbaren Wellenbarrieren         Werkzeug theoretische Physik               Metamaterialien gewisse physikali-
                                                                                         war an der Entwicklung eines silizium-            könnten auch interessant sein, um         Unterstützung erhält Kochmann auch         sche Modelle sogar noch verfeinern.
                                                                                         beschichteten Metamaterials beteiligt,            Schwingungen in sehr kleinen Bautei-      von Kollegen anderer Disziplinen.          Die inneren Strukturen von Metama-
                                                                                         das elektrochemisch aufgeladen wer-               len – wie sie etwa in der Mikroelektro-   Zum Beispiel vom theoretischen Phy-        terialien sind also der Schlüssel für vie-
                                                                                         den kann und dadurch seine Struktur               nik vorkommen – zu dämpfen, wie           siker Sebastian Huber. Dieser hat sich     les: vom Verständnis von Zusammen-
18

                                                                                                                                                                                                                                                                             19
                                                                                         verändert. Im Ausgangszustand sieht               Kochmann sagt.                            unter anderem darauf spezialisiert,        hängen in der Physik bis zur Kreation
                                                                                         es aus wie ein dreidimensionales Git-                                                       Strukturen und Systeme zu entwickeln       von neuartigen Materialien mit bisher
                                                                                         ter, wobei dünne horizontale Stränge              Kreative Suche nach der Struktur          und zu bauen, die sich verhalten, wie      nicht bekannten Eigenschaften.
                                                                                         dickere vertikale Pfosten verbinden,              Mit der richtigen Struktur lassen sich    es abstrakte theoretische Konzepte
                                                                                         ähnlich wie in einem Boxring. Wird                Eigenschaften von Materialien also        ­vo­raussagen.                             Zur Forschung von Dennis Kochmann:
                                                                                         die Struktur elektrisch aufgeladen,               kontrolliert verändern. Bleibt die Fra-         Zum Beispiel ist es ihm gelungen,    → www.mm.ethz.ch
                                                                                         schwellen die horizontalen Stränge an             ge, wie man aus unzähligen Kombina-        einen sogenannten topologischen Iso-
                                                                                         und verbiegen sich zu einem symmet-               tionen von geometrischen Formen,           lator zu bauen: ein System, bei dem       Zur Forschung von Sebastian Huber:
                                                                                         rischen Muster aus entgegengesetz-                architektonischen Prinzipien und Ba-       sich Wellen nur auf der Oberfläche und    → www.cmt-qo.phys.ethz.ch
                                                                                         ten, sinusähnlichen Bögen. Die For-               sismaterialien das Design findet, das      nur in eine Richtung ausbreiten kön-
                                                                                         schenden nutzen dabei einen Effekt,               zur gewünschten Eigenschaft führt.         nen. Den Effekt, den man vorher nur
                                                                                         der bei Batterien sonst zu Problemen              Man arbeite daran, Algorithmen und         aus der Quantenphysik kannte, de-
                                                                                         führen kann: Beim Laden und Ent­                  künstliche Intelligenz dafür einzuset-     monstrierte Huber erstmals 2015 mit
                                                                                         laden schwellen und schrumpfen die                zen, den Gestaltungsraum systema-          einem Modell aus 270 quadratisch an-
                                                                                         Elek­troden. Im neuen Metamaterial                tisch abzugrasen. Solche Methoden          geordneten Pendeln. Was Huber mit
                                                                                         führt die Schwellung der horizontalen             seien aber noch in den Kinderschuhen,      den Pendeln gelungen ist, macht er
                                                                                         Stränge dazu, dass sich die Struktur              sagt Kochmann. «Zurzeit steckt da          auch mit Metamaterialien: Er entwi-
                                                                                         grundlegend verändert – und so ver-               noch viel Brainstorming dahinter. Wir      ckelt und baut Strukturen, die Effekte
                                                                                         harrt, bis die Struktur wieder entladen           treffen uns gerne an der Wandtafel und     zeigen, wie man sie sonst nur in auf-
                                                                                         wird. Den Forschenden ist es damit                kombinieren aus dem gemeinsamen            wändigen Experimenten beobachten
                                                                                         gelungen, ein schaltbares Metamate­               Repertoire», also aus bekannten Form­      kann. Bei seinen Forschungsarbeiten
                                 Schaltbares Metamaterial
                                 Dieses silizium­beschichtete Metamaterial
                                                                                         rial zu kreieren. Weil es funktioniert            elementen und ihren Eigenschaften.         gehe es immer um die ultimative Kon-
                                 kann elektrochemisch aufgeladen werden.                 wie eine aufladbare Batterie, könnten                  Die Basis dafür bildet Kochmanns      trolle der Ausbreitung von Schwingun-
                                 Dabei verändert sich die Strukur. Aus geraden           damit in Zukunft auch mikrometer-                 Spezialgebiet: Simulationen. Ausge-        gen, sagt Huber.
                                 Gitter­querstreben werden bogenförmige.                 kleine implantierbare Energiespeicher             hend von der chemischen Zusammen-               Mit seinen Metamaterialien über-
                                                                                         entwickelt werden.                                setzung und der Mikrostruktur eines        setzt er die Konzepte der theoretischen
                                                                                              Darüber hinaus hat Kochmann mit              Materials erforscht er deren Eigen-        Physik in die Welt der Mechanik. Da-
                                                                                         Simulationen eine weitere spannende               schaften, wenn sie bestimmten Einflüs-     durch gibt er Materialforschern wie

                                                          ETH GLOBE 4/2019                                Bilder: Gruppe Dennis Kochmann                                                       ETH GLOBE 4/2019
FOKUS                                                                                                                              FOKUS

     EIGENTLICH                                                                                                                       Spule schicken, doch die ist gross und      ein winziges multiferroisches Teilchen,    rialien und wolle mich gerne dazu ein-

                       UNMÖGLICH
                                                                                                                                      wird heiss. Man braucht also viel           das man, weil es magnetisch ist, mit ei-   laden (lacht).
                                                                                                                                      ­Energie, und das Gerät wird sperrig.       nem Magnetfeld zu einem bestimmten
                                                                                                                                       Wenn man Magnetismus mit einem             Ort im Körper lotsen kann, etwa zu ei-     An welchen neuen Ideen arbeiten
                                                                                                                                       elektrischen Feld kontrolliert, umgeht     nem Tumor. Da die magnetischen und         Sie zurzeit?
                                                                                                                                       man dieses Problem.                        elektrischen Dipole gekoppelt sind,        Mein jüngstes Steckenpferd ist die so-
                                                                                                                                                                                  kann man dann mit einem oszillieren-       genannte versteckte Ordnung. Ein his-
                                                                                                                                      Wann haben Sie angefangen, in diese         den Magnetfeld das Teilchen schütteln,     torisches Beispiel dafür ist der Anti­
                                                                                                                                      Richtung zu forschen?                       wodurch die Moleküle des von ihm           ferromagnetismus, bei dem die ma­
                                                                                                                                      Im Jahr 2000 habe ich einen Artikel ge-     transportierten Medikaments freige-        gnetischen Dipole der Atome im
                       Die Materialwissenschaftlerin                                                                                  schrieben, in dem ich versuchte, die        lassen werden. Der Vorteil eines Ma­       Material so angeordnet sind, dass sie
                       Nicola Spaldin über ihre                                                                                       Frage zu beantworten, warum es so
                                                                                                                                      wenige magnetische Ferroelektrika
                                                                                                                                                                                  gnetfelds ist, dass man es aus der Ferne
                                                                                                                                                                                  einsetzen kann, genauso wie bei einer
                                                                                                                                                                                                                             abwechselnd nach oben und unten zei-
                                                                                                                                                                                                                             gen. Insgesamt ist das Material da-
                       Faszination für Multiferroika,                                                                                 gibt. Danach fingen Forschungsgrup-         Kernspintomografie.                        durch nicht magnetisch – und dennoch
                       die perfekte Ordnung und                                                                                       pen, die sehr gut in der Materialher-
                                                                                                                                      stellung sind, an, sich dafür zu interes-   Werden Multiferroika moderne
                                                                                                                                                                                                                             ist da diese perfekte Ordnung in sei-
                                                                                                                                                                                                                             nem Inneren. Da fragen wir uns: Wel-
                                                                                          Nicola Spaldin ist Professorin
                       Materialien mit exotischen                                         für Materialtheorie an der                  sieren. 2003 fanden wir gemeinsam           Technologien revolutionieren?              che anderen Arten von Ordnung könn-
                       Eigenschaften.                                                     ETH Zürich. Sie hat zahlreiche
                                                                                          nationale und internationale
                                                                                                                                      mit meinem langjährigen Mitarbeiter         Ich denke, unsere Rolle in der Grund-      ten in Materialien versteckt sein, die
                                                                                                                                      Ramamoorthy Ramesh an der Univer-           lagenforschung zu Materialien besteht      wir noch nicht entdeckt haben, weil
                                                                                          Auszeichnungen in Lehre und                 sität Berkeley ein gutes Multiferroi-       darin, eine breite Palette an Möglich-     man sie von aussen nicht sieht, und
                       TEXT Oliver Morsch
                                                                                          Forschung erhalten.
                                                                                                                                      kum, das bei Zimmertemperatur funk-         keiten zu schaffen, so dass Geräteent-     zu welchen exotischen Eigenschaften
                                                                                                                                      tionierte – Bismutferrit, das am inten-     wickler oder Medizintechniker daraus       könnten sie führen? Gemeinsam mit
                                                                                                                                      sivsten für Anwendungen erforscht           eine auswählen können. Es ist schwie-      Kollegen am Paul Scherrer Institut und
                                                                                                                                      wird. Um 2008 demonstrierten wir die        rig zu sagen, ob ein bestimmtes Mate-      an der EPFL haben wir kürzlich För-

     F
                                                                                                                                      Kontrolle von Magnetismus durch             rial für ein bestimmtes Gerät revolu­      dermittel des European Research
                                                                                          MULTIFERROIKA
                                                                                                                                      elektrische Felder in diesem Material.      tionär sein wird – dazu gibt es zu viele   Council für ein kollaboratives For-
                                                                                          Multiferroika sind Materialien, die
                                                                                                                                      Nochmal zehn Jahre später gibt es nun       wirtschaftliche und praktische Überle-     schungsprojekt gewonnen, um genau
20

                                                                                                                                                                                                                                                                        21
                                                                                          zugleich ferromagnetisch und fer-
                                                                                          roelektrisch sind. In einem Ferro-          die ersten Geräteprototypen.                gungen. Mit den Multiferroika haben        diese Frage zu beantworten. Insge-
                rau Spaldin, was fasziniert     men enthalten. Meistens machen wir        magneten zeigen die magnetischen                                                        wir eine Klasse von Materialien ge-        heim versuche ich auch noch, einen
                Sie an Multiferroika?           das heute noch so. Es gibt auch clevere   Dipole der Atome – ähnlich winzi-           Welche anderen Anwendungen von              schaffen, die sehr vielfältig und multi-   Raumtemperatur-Supraleiter zu ma-
                NICOLA SPALDIN – Mir fiel       Entwicklungen, bei denen man Atome        gen Kompassnadeln – alle in die-            Multiferroika gibt es?                      funktional sind, und das erhöht die        chen, aber das gehört vielleicht wirk-
                                                                                          selbe Richtung, wodurch das ganze
     auf, dass es keine ferroelektrischen       benutzt, die für gewöhnlich keine elek-                                               Die andere Hauptklasse von Anwen-           Möglichkeiten dessen, was wir von ei-      lich in die Kategorie «Unmögliche
                                                                                          Material magnetisch wird. Ebenso
     Materialien zu geben schien, die auch      trischen Dipole ausbilden, und sie        richten sich in einem Ferro­
                                                                                                                                      dungen beruht auf der Kontrolle von         nem Material erwarten können.              ­Materialien».
     ferromagnetisch waren. Ich fand es         dann dazu zwingt, dies durch unkon-       elektrikum elektrische Dipole im            elektrischen Eigenschaften durch Ma-
     spannend, zu ergründen, warum diese        ventionelle Mechanismen doch zu tun.      Material, die durch leicht verscho-         gnetfelder – genau umgekehrt also.          Sie meinen, Sie tun Dinge, die Sie sich    Professur für Materialtheorie:
     beiden Phänomene nicht gleichzeitig        Aber ich denke, die vielversprechends-    bene positive und negative Ladun-           Daran hatte ich gar nicht gedacht, als      gar nicht vorstellen können?               → www.theory.mat.ethz.ch
     auftreten. Dann versuchten wir, diese      ten Materialien für technologische An-    gen entstehen, parallel zueinander          ich anfing, mich mit diesen Materialien     In gewisser Weise ja. Ich erinnere mich
     Einschränkungen zu umgehen, um             wendungen sind die einfachen, wo wir      zu einem grossen elektrischen               zu beschäftigen, aber heute wird das für    an einen Anruf von einem Kollegen am       Hören Sie Nicola Spaldin im ETH-Podcast:
                                                                                          Dipol aus. Multiferroika vereinen                                                                                                  → www.ethz.ch/podcast
     Materialien herzustellen, die beide Ei-    die beiden Atomtypen kombinieren.                                                     biotechnologische Anwendungen aktiv         Anfang unserer Arbeit an Multiferroi-
                                                                                          beide Eigenschaften und koppeln
     genschaften vereinen.                                                                sie aneinander. Während man                 erforscht, zum Beispiel für gezielten       ka, der sagte, er organisiere gerade ei-
                                                Gibt es schon Anwendungen für diese       magnetische Dipole normalerweise            Wirkstofftransport. Dabei nimmt man         nen Workshop über unmögliche Mate-
     Warum haben Ferromagnetismus und           Materialien?                              mit Magnetfeldern kontrolliert
     Ferroelektrizität solche Schwierigkeiten   Es gibt Prototypen, ja, aber noch keine   (wie eine Kompassnadel, die sich
     zu koexistieren?                           weitverbreiteten Anwendungen. Für         am Erdmagnetfeld ausrichtet) und
     Am Ende ist es gar kein tiefgründiges      die Zukunft gibt es zwei Richtungen.      elektrische Dipole auf elektrische
                                                                                          Felder reagieren, können in einem
     physikalisches Gesetz – Atome, die         Die erste Anwendung, die wir im Sinn
                                                                                          Multiferroikum die magnetischen
     leicht magnetische Dipole erzeugen,        hatten, war die Kontrolle des Magne-      Dipole mit elektrischen Feldern
     sitzen einfach an anderen Stellen des
     Periodensystems als diejenigen, die
                                                tismus mit einem elektrischen Feld.
                                                Für Datenspeicherung und Datenver-
                                                                                          kontrolliert werden – und entspre-
                                                                                          chend die elektrischen Dipole mit
                                                                                                                                                «Ein Kollege organisierte einen Workshop über
     gut elektrische Dipole machen.             arbeitung ist das sehr spannend, da
                                                magnetische Geräte, etwa in einer
                                                                                          magnetischen Feldern.
                                                                                                                                                unmögliche Mate­rialien – und lud mich dazu ein.»
     Wie haben Sie dieses Hindernis             Computerfestplatte, mit magneti-                                                                Nicola Spaldin
     überwunden?                                schen Feldern kontrolliert werden.
     Der einfache Weg war, Materialien          Um aber ein magnetisches Feld herzu-
     herzustellen, die beide Arten von Ato-     stellen, muss man Strom durch eine

                                                          ETH GLOBE 4/2019                                 Bild: L’Oréal Foundation                                                         ETH GLOBE 4/2019
FOKUS                                                     FOKUS

                                                    E           gal, ob ein Regenschirm,
                                                                eine Autotür oder ein Robo-
                                                                terarm: Damit Gegenstände
                                                    beweglich sind und ihre Form verän-
                                                    dern können, benötigen sie meist ver-
                                                    schiedene Einzelteile, die mit Schar-
                                                                                              in der Luft- und Raumfahrt, wo es auf
                                                                                              jedes Gramm ankommt. Es eröffnet
                                                                                              aber auch neue Möglichkeiten in vielen
                                                                                              anderen Bereichen.

                                                                                              Treibstoff sparen
                                                    nieren, Nieten oder Schrauben ver-        Auch ETH-Forschende arbeiten an
                                                    bunden sein müssen – noch. Denn           Materialien, die ihre Form anpassen
                                                    weltweit forschen Wissenschaftlerin-      können. Einer unter ihnen ist Paolo Er-
                                                    nen und Wissenschaftler an Materia­       manni, Professor für Strukturtechno-
                                                    lien, die ihre Form nach Bedarf anpas-    logien und Leiter des Labors für Ver-
                                                    sen können, quasi auf Kommando. Der       bundwerkstoffe und adaptive Struktu-
                                                    Vorteil: Ein Bauteil aus einem form­      ren. Er und sein Team entwickeln
                                                    adaptiven Material könnte mehrere         Strukturen für die Luft- und Raum-
                                                    herkömmliche Bauteile ersetzen und        fahrt, die drei widersprüchliche Eigen-
                                                    Scharniere und Schrauben überflüssig      schaften in sich vereinen: Sie sollen
                                                    machen. Das führt nicht nur zu weni-      leicht, stabil und gleichzeitig flexibel
                                                    ger Wartungsaufwand, sondern spart        sein. «Das ist eine grosse Herausforde-
                                                    auch Gewicht. Das ist besonders für       rung», sagt Ermanni. Denn die meis-
                                                    Hightech-Anwendungen wichtig, etwa        ten Materialien sind entweder stabil
                                                                                              und tragfähig wie beispielsweise Stahl,
                                                                                              elastisch wie Gummi oder leicht wie
                                                                                              Styropor – aber nicht alles in einem.
                                                                                              Deshalb kombinieren die Forscher

                        MATERIAL
                                                                                              verschiedene Materialien miteinan-

                          FORME
                                                                                              der, beispielsweise faserverstärkte
22

                                                                                                                                         23
                                                                                              Kunststoffe, die sehr leicht, extrem
                                                                                              stabil und steif sind, mit flexiblen Ma-
                                                                                              terialien.
                                                                                                   So haben sie beispielsweise Trag-
                                                                                              flächen für Flugzeuge entwickelt, die

                         DICH!
                                                                                              ihre Form den jeweiligen Flugbedin-
                                                                                              gungen anpassen können, ähnlich wie
                                                                                              Vogelflügel. «Unser Ziel ist, die Aero-
                                                                                              dynamik zu verbessern und die Effi­
                                                                                              zienz zu steigern», sagt Ermanni.
                                                                                              Herkömmliche Tragflächen sind gröss-
                                                                                              tenteils starr und können ihr Profil nur
                                                                                              über Steuer- und Bremsklappen verän-
                                                                                              dern. Das ist jedoch aerodynamisch
                            ETH-Forschende entwickeln                                         ungünstig und führt zu unnötig hohem

                            neuartige Materialien, die auf Befehl                             Treibstoffverbrauch. Beim neu entwi-
                                                                                              ckelten Flugzeugflügel ist nur der vor-
                            ihre Form verändern. Sie könnten                                  dere Teil starr, der aus karbonfaserver-
                            flexible Autokarosserien oder neue                                stärktem Komposit gebaut ist. Der
                                                                                              hintere Teil besteht hingegen aus einer
                            Arten von medizinischen Geräten                                   nachgiebigen Struktur. Er kann mit
                            möglich machen.                                                   Hilfe einer elektrischen Steuerung
                                                                                              nach oben oder unten gebogen wer-
                            TEXT Claudia Hoffmann                                             den, wodurch sich der Auftrieb verän-
                                                                                              dert. «Linienflugzeuge könnten mit
                                                                                              verformbaren Tragflächen bis zu ei-
                                                                                              nem Drittel Treibstoff einsparen», sagt
                                                                                              Paolo Ermanni. So weit ausgereift

     ETH GLOBE 4/2019                                         ETH GLOBE 4/2019
FOKUS                                                                                                                                    FOKUS

                                                                                             Der Verbundstoff bleibt in einer                  Wasser, faltet sie sich wieder zurück.      ren Gewebe schädigen können», sagt         eine beliebige Form gegossen und här-
                                                                                             bestimmten Form, solange das                      Diese Eigenschaft wird bereits in ver-      Eric Dufresne, Professor am Labor für      ten dann aus. Durch Beigabe von Hilfs-
                                                                                             Magnetfeld angelegt ist. Wird es                  schiedenen Anwendungen genutzt,             weiche und lebende Materialien der         stoffen wäre auch ein 3D-Druck mög-
                                                                                             entfernt, entspannt sich das
                                                                                                                                               etwa in der Medizintechnik oder             ETH. Zudem ist es oft schwierig, das       lich. Beides bietet grosses Potenzial für
                                                                                             Material und nimmt wieder seine
                                                                                             ursprüngliche Form an.
                                                                                                                                               Raumfahrt. Stents aus Formgedächt-          Material gleichmässig zu erwärmen,         die industrielle Fertigung. Für das neu-
                                                                                                                                               nis-Legierungen können schmal zu-           und der Prozess benötigt viel Energie.     artige Polymer sehen die Forschenden
                                                                                                                                               sammengedrückt durch Blutgefässe            Deshalb hat Dufresne nun gemeinsam         verschiedene Anwendungsmöglich-
                                                                                                                                               geschoben werden und entfalten sich         mit dem Doktoranden Paolo Testa und        keiten, etwa in der Biomedizin oder im
                                                                                                                                               erst an ihrem Bestimmungsort. Trä-          mit Laura Heyderman, Professorin für       Bereich Soft Robotics. «Zum Beispiel
                                                                                                                                               gerstrukturen, etwa für Solarpanels,        Mesoskopische Systeme an der ETH           könnte man damit einen neuartigen
                                                                                             führt zu der gewünschten Formände-                werden platzsparend zusammenge-             und am Paul Scherrer ­Institut, ein neu-   Stent bauen, der in kompakter Form an
                                                                                             rung der gesamten Struktur.                       klappt ins All transportiert, wo sie sich   artiges Polymer-­Verbundmaterial ent-      einen bestimmten Ort geliefert werden
                                                                                                  Je nachdem, welche Drähte man                durch die Hitze der Sonne aufklappen.       wickelt. Dieses benötigt keine Hitze,      kann», sagt Dufresne. Nach Ausschal-
                                                                                             ansteuert, streckt sich das anfangs fla-               Neben den Metallen gibt es auch        sondern besitzt stattdessen ein magne-     ten des Magnetfeldes würde sich der
                                                                                             che Paneel in Längs- oder Querrich-               mehr und mehr Formgedächtnis-Ma-            tisches Formgedächtnis. Verdreht man       Stent ausdehnen – eine Thrombose
                                                                                             tung, oder es krümmt sich beispiels-              terialien aus Kunststoffen. Diese ha-       beispielsweise ein bandförmiges Poly-      könnte verhindert werden.
                                                                                             weise zu einer Halbkugel. Erst wenn               ben den Vorteil, dass sie um ein Vielfa-    merstück zu einer Spirale und legt              Bei der Entwicklung des Materials
                                                                                             die elektrische Spannung entfernt                 ches weicher und flexibler sind. Zudem      dann ein Magnetfeld an, verharrt es in     war eine Prise Zufall dabei. Denn wäh-
                                                                                             wird, kühlen die Drähte ab und ent-               sind einige besser biokompatibel, wes-      dieser Form. Wird das Magnetfeld           rend sich die Gruppe von Eric Du­
                                     In den Tröpfchen                                        spannen sich, sodass die ganze Struk-             halb sie sich besonders für medizini-       entfernt, entrollt sich die Spirale wie-   fresne vor allem mit der Interaktion
                                 aus Wasser und Glyzerin
                                                                                             tur von selbst wieder in ihre ursprüng-           sche Anwendungen eignen, etwa für           der zum Band.                              von weichen Materialien mit ihrer
                                    schweben winzige
                                  magnetische Partikel                                       liche Form zurückkehrt. «Dank der                 Implantate, Prothesen oder künstliche            Möglich ist das, weil das Material    Umgebung beschäftigt, forscht Laura
                                   aus Carbonyleisen.                                        modularen Bauweise sind sehr viele                Muskeln. Auch für die Robotik bieten        aus zwei Komponenten besteht: Das          Heydermans Team zu magnetischen
                                                                                             verschiedene Konfigurationen mög-                 sie vielversprechende Möglichkeiten,        Grundgerüst bildet ein Polymer auf Si-     Nanostrukturen. «Dank der Kombina-
                                                                                             lich», sagt Ermanni. Hinzu kommt,                 insbesondere für den Bau von «wei-          likonbasis. In diesen sind Tröpfchen       tion unserer Expertisen ist schliesslich
                                                                                             dass sich mittels 3D-Druck die Form               chen» Robotern, die lebenden Orga-          einer Flüssigkeit eingelagert, in der      ein Material mit völlig neuen Eigen-
                                                                                             der Verbindungsstücke schnell und                 nismen nachempfunden sind. Diese            winzige Eisenpartikel schwimmen.           schaften entstanden», freut sich Laura
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                                                                                                                                                                                                                                                                                  25
                                                                                             einfach variieren lässt, was unter-               können mithilfe einer Formverände-          Hält man einen Magneten daran, rich-       Heyderman.
                                                                                             schiedliche Ausgangsstrukturen er-                rung des Materials Bewegungen aus-          ten sich die Partikel entlang der Feld­
                                                                                             möglicht.                                         führen, beispielsweise einen Gegen-         linien aus. Dadurch wird das Material      Forschungsgruppe von Paolo Ermanni:
                                                                                                                                               stand ergreifen und wieder ablegen.         schlagartig fest, seine Steifigkeit er-    → www.structures.ethz.ch
     ist die Technologie zwar noch nicht.          form je nach Fahrtgeschwindigkeit an-     Das Material erinnert sich                                                                    höht sich um das 30-fache. Beim Ent-
     Dass sie grundsätzlich funktioniert,          passen, würde dies den Luftwiderstand     Eingesetzt werden könnte das neue                 Magnetisch programmierbar                   fernen des Magnetfelds verteilen sich      Forschungsgruppe von Eric Dufresne:
     konnte das Team aber bereits mit ei-          senken und Energie sparen.                Verbundmaterial zunächst in Satel­                Ein Nachteil der meisten Formge-            die Eisenpartikel wieder in der Flüssig-   → www.softliv.mat.ethz.ch
     nem eigens entwickelten Modellflug-                Deshalb testet Ermanni zusam-        litenantennen, die durch Verformung               dächtnis-Materialien ist jedoch, dass       keit und das Material wird weich.
     zeug beweisen.                                men mit seinem Doktoranden Oleg           ihre Sendefrequenz modulieren könn-               man sie für die Rückkehr in ihre Ur-              «Ein grosser Vorteil ist, dass die   Forschungsgruppe von Laura Heyderman:
                                                   Testoni Bauprinzipien, mit denen sich     ten. An einer solchen Anwendung ar-               sprungsform erhitzen muss. «Das ist         Herstellung des Materials sehr einfach     → www.mesosys.mat.ethz.ch
     Flexible Bauweise                             eine möglichst grosse Verformbarkeit      beitet bereits Postdoktorandin Maria              besonders für den Einsatz in der Medi-      ist», sagt Paolo Testa. Die flüssigen
     Um die Verbesserung der Aerodyna-             erreichen lässt. Ein Ansatz ist, Ele-     Sakovsky in Ermannis Gruppe.                      zin ein Problem, weil hohe Temperatu-       Komponenten werden gemischt, in
     mik geht es auch in einem Projekt, wel-       mente aus verschiedenen Materialien            Der Nickel-Titan-Draht, den die
     ches im Rahmen des Forschungspro-             modul­ artig zusammenzusetzen. Als        Forschenden im neuen Verbundmate-
     gramms Sustainable Design of 4D               Grundbausteine verwendet das Team         rial verwendet haben, zählt zu einer
     Printed Active Systems (SD4D) läuft,          rechteckige Elemente aus Polymilch-       besonderen Klasse von Stoffen. Diese
     einer Initiative des ETH-Rates. Ziel ist      säure und später aus karbonfaserver-      sind nicht nur sehr dehnbar und trotz-
     die Entwicklung neuer Materialien,            stärktem Kunststoff, die für Stabilität   dem stabil, sondern haben auch ein so-
     die mit 3D-Druck hergestellt werden           sorgen. Zusammengehalten werden           genanntes Formgedächtnis: Auch                                       «Dank der Kombination unserer Expertisen
     und die ihre Form auch noch nach der          sie von 3D-gedruckten Verbindungs-        wenn sie stark deformiert werden,
     Fabrikation verändern können. Sie             stücken aus Kunststoff, welche die nö-    ­«erinnern» sie sich noch an ihre ur-                                ist ein Material mit völlig neuen Eigen­schaften
                                                                                                                                                                  entstanden.»
     könnten unter anderem für den Bau             tige Flexibilität verleihen. Ausserdem     sprüngliche Form. Auf einen Stimulus
     von Autokarosserien zum Einsatz               ist in jedem Verbindungsstück ein          hin – meist eine Erwärmung – kehren
     kommen. «Windschnittigkeit ist be-            Draht aus einer Nickel-Titan-Legie-        sie wieder in ihren Ausgangszustand
     sonders bei E-Autos ein wichtiger Fak-        rung eingespannt. Werden die Drähte        zurück. So kann man beispielsweise                                  Laura Heyderman
     tor, um die Effizienz zu steigern und         mit Strom auf zirka 100 Grad Celsius       eine Büroklammer aus Formgedächt-
     somit die Reichweite zu erhöhen», sagt        erwärmt, verkürzen sie sich und defor-     nis-Draht bis zur Unkenntlichkeit ver-
     Ermanni. Liesse sich die Karosserie-          mieren so die Verbindungsstücke. Das       biegen. Legt man sie jedoch in heisses

                                                             ETH GLOBE 4/2019                                              Bild: Paolo Testa                                                         ETH GLOBE 4/2019
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