Alltägliche Reproduktion von sozialer Ungleichheit durch Ethnisierungs- und Kulturalisierungsprozesse im Bildungsfeld - Socialnet

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Alltägliche Reproduktion von sozialer
Ungleichheit durch Ethnisierungs- und
Kulturalisierungsprozesse im
Bildungsfeld
Erklärungs-, Wahrnehmungs- und
Handlungsmuster von Sozialarbeitenden an
Hauptschulen

Sevim Dik

veröffentlicht unter den socialnet Materialien
Publikationsdatum: 29.04.2020
URL: https://www.socialnet.de/materialien/29044.php
FH Bielefeld – University of Applied Sciences
             Fachbereich Sozialwesen
  Bachelorarbeit zur Erlangung des Akademischen
         Grades „Bachelor of Arts“ (B. A.)

Alltägliche Reproduktion von sozialer Ungleich-
heit durch Ethnisierungs- und Kulturalisierungs-
            prozesse im Bildungsfeld

 Erklärungs-, Wahrnehmungs- und Handlungsmuster
       von Sozialarbeitenden an Hauptschulen

                         vorgelegt von

                          Sevim Dik

           Bachelor-Studiengang Soziale Arbeit

                   im Wintersemester 2019/20

Erstgutachterin:      Prof.in Dr.in Claudia Rademacher
Zweitgutachter:       Prof. Dr. Claus Melter

Abgabedatum:          31.12. 2019
Sevim Dik                                                                                              Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis
1.0 Einleitung ........................................................................................................... 4

2.0      Definition soziale Ungleichheit ....................................................................... 5

3.0      Definition Ethnisierung und Kulturalisierung ................................................... 6

4.0      Theoretische Einbettung- die zentralen Ansätze von Pierre Bourdieu ............ 7

   4.1 Der Habitus ..................................................................................................... 7

   4.2 Der soziale Raum ........................................................................................... 9

   4.3 Das Konzept der symbolischen Gewalt ......................................................... 10

   4.4 Die sozialen Felder ....................................................................................... 12

5.0      Das Feld der Bildung ................................................................................... 14

   5.1 Institutionelle Diskriminierung ....................................................................... 17

   5.2 Die Schulform Hauptschule........................................................................... 19

   5.3 Soziale Arbeit am Ort Schule ........................................................................ 21

6.0 Empirische Untersuchung ................................................................................ 22

   6.1 Fragestellung ................................................................................................ 22

   6.2 Erhebungsmethode- narrativ fundierte Interviews ......................................... 24

   6.3 Auswertungsmethode- die dokumentarische Methode .................................. 25

7.0 Reflektierende Interviewinterpretation .............................................................. 26

   7.1 Interview mit Schulsozialarbeitende A ........................................................... 27

   7.2 Interview mit Schulsozialarbeitende B ........................................................... 30

   7.3 Interview mit Schulsozialarbeitende C........................................................... 36

8.0 Fazit der empirischen Untersuchung ................................................................ 40

9.0      Einbettung der empirischen Forschung in den wissenschaftlichen Diskurs .. 42

10.0 Ausblick/Schluss ............................................................................................ 44

11.0 Literatur- und Quellenverzeichnis ................................................................... 46

12.0 Anhang ........................................................................................................... 52

   12.1 Interview mit Schulsozialarbeitende A- Alltägliche Reproduktion von sozialer
   Ungleichheit durch Ethnisierungs- und Kulturalisierungsprozesse im Bildungsfeld
   ........................................................................................................................... 52

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   12       .2 Interview mit Schulsozialarbeitende B- Alltägliche Reproduktion von
   sozialer Ungleichheit durch Ethnisierungs- und Kulturalisierungsprozesse im
   Bildungsfeld ........................................................................................................ 63

   12.3 Interview mit Schulsozialarbeitende C- Alltägliche Reproduktion von sozialer
   Ungleichheit durch Ethnisierungs- und Kulturalisierungsprozesse im Bildungsfeld
   ........................................................................................................................... 81

       12.3.1 Nachtrag des Interviews mit Schulsozialarbeitende C .................... 87

13.0 Richtlinien für die Transkription ...................................................................... 89

14.0     Erklärung ..................................................................................................... 90

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1.0 Einleitung

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und Grundprinzip der NICHT-Diskriminie-
rung der Bundesrepublik Deutschland lautet:

       „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse [sic],
       seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder
       politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen
       seiner Behinderung benachteiligt werden“ (Artikel 3, GG).

Daher sollte im Bildungsfeld Chancengleichheit nach Leistungsfähigkeit und dies un-
abhängig von kollektiven Merkmalen gelten. Folgt man dem Leistungsprinzip ergibt
sich ein widersprüchliches Bild.

Denn jede/r dritte Schüler_In mit einem sogenannten „Migrationshintergrund“ besucht
die Schulform Hauptschule. Dagegen liegt der Anteil der Jugendlichen ohne „Migrati-
onshintergrund“ bei 17 Prozent (vgl. Solga/ Dombrowski 2009, S. 17). Schüler_Innen
mit einem „Migrationshintergrund“ sind an Haupt- und Förderschulen überproportio-
nal stark präsentiert (vgl. Bozay 2016, S. 279). Alles nur ein Zufall?

Zahlreiche Studien haben die Bildungsbenachteiligung von Schüler_Innen mit „Mig-
rationshintergrund“ nachgewiesen (vgl. Brungs 2018, S. 480). Die soziale und ethni-
sche Herkunft erweist sich für den Bildungserfolg als ausschlaggebend (vgl. Bozay
2016, S. 532).

Gerade an der Überpräsenz nichtdeutscher Schüler_Innen an Hauptschulen lässt
sich eine erkennbare Chancenungleichheit und Diskriminierung feststellen (vgl.
Solga/ Dombrowski 2009, S. 17).

Dabei stellt die indirekte, versteckte Diskriminierung in der Organisation Schule „das
große Dunkelfeld der alltäglichen Diskriminierung“ (Gomolla/ Radtke 2009, S. 19) dar,
die mithilfe von Studien aufgezeigt werden kann (vgl. Gomolla/ Radtke 2009, S. 19).

So stellt Kalpaka (2009) fest:

       „Im Kontext von Migration dominiert in der pädagogischen Praxis das `Andern´ in
       Form von Kulturalisierungen und Ethnisierungen: Probleme bzw. Misserfolge von Mig-
       rantinnen und Migranten werden beinahe reflexartig auf die kulturelle bzw. ethnische
       Herkunft […] zurückführt“ (Kalpaka 2009, S. 26).

Schließlich erweist sich die Chancengleichheit als eine Illusion, denn bestimmte
Gruppen werden systematisch und auf Dauer von begehrten Schulabschlüssen und
schließlich von hohen Positionen in der Gesellschaft ausgegrenzt. Diese Fakten zei-

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gen die Auswirkungen bestimmter neuer und alter Symbole wie Kleidungsstil, Ge-
schlecht, Sprachakzent und Hautfarbe, welche sich auf den schulischen und berufli-
chen Weg der Schüler_Innen auswirken (vgl. Arslan 2016, S. 18).

Gegenwärtig stellen Ethnisierungsprozesse Ausgrenzungsmechanismen im Feld der
Bildung dar, welche das `Andere´ konstruieren und somit ungleiche Behandlung erst
möglich machen. So sieht Pierre Bourdieu das Feld der Bildung als Produktionsort
von Symbolischer Ordnung (vgl. Arslan/ Bozay 2016, S. 3).

Doch am Ort Schule soll Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession handeln und
Benachteiligungen entgegenwirken. Denn das Hauptziel der Profession ist „die För-
derung gerechter sozialer Verhältnisse“ (Vereinte Nationen u.a. 2002, S. 3), um die
Würde der Individuen zu schützen (vgl. Vereinte Nationen u.a. 2002, S. 3). Dement-
sprechend stellt sich die Frage, ob (und wenn ja, wie) Schulsozialarbeitende Benach-
teiligungen an Hauptschulen tatsächlich entgegenwirken.

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich zunächst mit dem ungleichheitskritischen An-
satz von Pierre Bourdieu, um die alltägliche soziale Ungleichheit durch Ethnisierung
und Kulturalisierung zu erläutern. Dabei wird eine Verbindung zu institutioneller Dis-
kriminierung gezogen. Schließlich wird mit drei narrativ fundierten biographischen In-
terviews auf die Schulsozialarbeit eingegangen, um abschließend ein Fazit für Sozi-
alarbeitende im Bildungssystem ziehen zu können.

2.0    Definition soziale Ungleichheit

„Soziale Ungleichheit liegt vor, wenn Menschen aufgrund ihrer Stellung in sozialen
Beziehungsgefügen von den wertvollen Gütern einer Gesellschaft regelmäßig mehr
als andere erhalten“ (Hradil 2001, S. 30). Dies bedeutet, wenn die Ausstattung der
Ressourcen (wie die Einkommenshöhe oder der Grad der Bildung) oder die Lebens-
verhältnisse (wie die Wohnungsbedingungen) von Personen aus gesellschaftlichen
Gründen so bestehend sind, dass Teile der Gesellschaft dauerhaft bessere Chancen
im Leben und auf Verwirklichung haben, als andere Bevölkerungsgruppen. Bessere
Verwirklichungs- und Lebenschancen sind Maßstäbe der Gesellschaft (wie Wohl-
stand, Sicherheit und Gesundheit), welche ein gutes Leben ermöglichen (vgl. Hradil
2012, o. S.).

Hradil (2012) merkt ebenfalls an, dass heutzutage einer der bedeutsamsten gesell-
schaftlichen Maßstäbe und damit einer der bedeutsamsten Dimensionen von sozialer
Ungleichheit, der formale Bildungsgrad eines Menschen darstellen, denn der formale

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Bildungsgrad entscheidet über die niedrigere oder höhere Position in der Gesellschaft
(vgl. Hradil 2012, o. S.).

Pierre Bourdieu (1987) verweist ebenfalls auf den engen Zusammenhang zwischen
Bildungsungleichheiten und soziale Ungleichheiten (vgl. Bourdieu 1987, S. 515), wo-
rauf in der vorliegenden Arbeit näher eingegangen wird.

3.0     Definition Ethnisierung und Kulturalisierung

Der Prozess der Ethnisierung präsentiert sich als ein sozialer Ausgrenzungsmecha-
nismus, „der Minderheiten schafft, diese negativ etikettiert und dadurch Privilegien
einer dominanten Mehrheit verfestigt“ (Bozay 2016, S. 302). Die ethnische Gruppe
macht nicht lediglich das Zugehörigkeitsgefühl oder die gemeinsame Religion, Spra-
che oder Kultur aus, sondern auch die Zuschreibungen, welche andere Menschen
vornehmen (vgl. Treibel 2003, S. 199). Diese Zuschreibungen werden von der domi-
nierenden Gruppe durch negative ethnisierende und kulturelle Symbole konstruiert,
um die Ausgrenzung der „Anderen“ legitimieren zu können (vgl. Bozay 2016, S. 302).

Im Kontext der Kulturalisierung werden über das Merkmal „Kultur“ homogene Grup-
pen konstruiert, welche sich auf hegemoniale nationalstaatliche Werte und Normen
stützen (vgl. Apitzsch 1990, S. 7). Dabei wird „Kultur“ nicht als „prozessuales und
sozial gewordenes Gebilde verstanden“ (Bozay 2016, S. 302), sondern durch folklo-
ristische Merkmale geprägt. So wird durch die „Kulturelle Differenz“ eine Spaltung
zwischen „Wir“ und „Den Anderen“ definiert und Minderheiten zu Fremden gemacht
(vgl. Bozay 2016, S. 302).

Kalpaka (2009) ergänzt, dass damit Schüler_Innen zu Repräsentant_Innen „ihrer Kul-
turen“ werden (vgl. Kalpaka 2009, S. 27) und dabei nicht als Individuen angesprochen
werden (vgl. Kalpaka 2009, S.28). Engel et al. (2019) fassen zusammen: „Unter Kul-
turalisierung kann die Reduzierung von sozialen Konflikten auf vermeintlich kultureller
Differenz verstanden werden“ (Engel et al. 2019, S. 286- 287).

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Sevim Dik                     Theoretische Einbettung- die zentralen Ansätze von Pierre Bourdieu

4.0    Theoretische Einbettung- die zentralen Ansätze von
       Pierre Bourdieu

In der vorliegenden Arbeit werden, die für den Forschungskontext wichtig erachteten
Konzepte des ungleichheitskritischen Soziologen Pierre Bourdieu erläutert, um unter
anderem das Zusammendenken der Konzepte in einer Formel:

       „[(Habitus) (Kapital)] + Feld= Praxis“

(Lenger et. al 2013, S. 21) und damit die entstehende Praxis zu präsentieren. So
erklärt sich die Praxis aus dem Zusammenspiel von Handlungsmöglichkeiten und
Ressourcen (Habitus und Kapitalien) im Rahmen bestimmter machtvollen Strukturen
(soziale Felder) (vgl. Lenger et. al. 2013, S. 21).

4.1 Der Habitus

Pierre Bourdieu (1987) definiert den Habitus eines Menschen “als dauerhaftes Wahr-
nehmungs-, Denk- und Handlungsmuster“ (Bourdieu 1987, o. S.), wodurch die soziale
Welt gesehen und interpretiert wird. Es handelt sich um Routinen und Muster, “die
bildlich gesprochen- hinter dem Rücken der handelnden Person wirken“ (El-
Mafaalani 2014, S.19) und sind somit im Unterbewusstsein.

Bourdieu versteht die verschiedenen Ausprägungen des Habitus als „Systeme dau-
erhafter Dispositionen, strukturierte Strukturen, die geeignet sind, als strukturierende
Strukturen zu wirken, mit anderen Worten: als Erzeugungs- und Strukturierungsprin-
zip von Praxisformen und Repräsentationen“ (Bourdieu 1976, S. 165).

Die sozialen Strukturierungsprozesse prägen den Habitus eine bestimmte Form auf
und wirken darüber auf die Herstellung von Praxisformen, Wahrnehmungs-, Bewer-
tungs- und Denkschemata (vgl. Barlösius 2011, S. 60). So werden als Struktur- und
Teilungsprinzipien die Grundsätze verstanden, „nach denen die gesellschaftliche Zu-
teilung von Ressourcen und Positionen“ (Barlösius 2011, S. 60) bestehen. Die Struk-
turprinzipien stellen die Kapitalien (siehe Kapitel 4.2) wie Bildungskapital, ökonomi-
sches Kapital, Geschlechtszugehörigkeit (vgl. Barlösius 2011, S. 60) dar. Zudem sind
die Strukturprinzipien von Gesellschaft zu Gesellschaft unterschiedlich machtvoll (vgl.
Barlösius 2011, S. 60). So ist die Bildung in einigen Gesellschaften bedeutsam und
in anderen Gesellschaften weniger bedeutsam.

Die Strukturprinzipien haben auch je nach sozialem Feld (siehe Kapitel 4.4) autonome
strukturierende Bedeutsamkeiten, denn in einigen Feldern ist die Religion, das Ge-
schlecht und/ oder die Ethnizität bestimmend und in anderen Feldern nicht. So wird

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der Habitus je nach Feld unterschiedlich geprägt. Daher besteht zwischen Feld und
Habitus eine „Komplizenschaft“ (vgl. Barlösius 2011, S. 63). An dieser Stelle kann
gefragt werden, welche Bedeutsamkeit die Ethnizität in der Schule hat.

Mit den Strukturprinzipien wird dem Individuum eine Position im sozialen Raum (siehe
Kapitel 4.2) gegeben, welche unterschiedliche Einflüsse und Wirkungen auf den Ha-
bitus haben (vgl. Barlösius 2011, S. 61). Daraus folgert Bourdieu (1997), dass Men-
schen wissen was zu tun oder zu sagen ist und bilden sich daraus die Meinungen und
Ansichten (Bourdieu nennt es Doxa). Somit werden die Praxisformen, Bewertungs-,
Denk-, und Wahrnehmungsschemata als klar, naturgegeben und unabwendbar er-
fahren (vgl. Bourdieu 1997, S. 159). Die Doxa führt zu einer „Verhaftung an Ordnungs-
beziehungen, die (…) als selbstverständlich und fraglos hingenommen werden“
(Bourdieu 1982, S. 734f).

Dies bedeutet, dass der Habitus als strukturierte Struktur angesichts der gesellschaft-
lichen Teilungsprinzipien eine gewisse Form von Prägung auferlegt wird. Was den
Habitus lediglich zu einem bestimmten Erzeugungs- und Gestaltungsprinzip und so-
mit nur zu bestimmten Denk-, Wahrnehmungs-, und Bewertungsschemata befähigt.
Somit lässt sich erklären, dass Gruppen und Menschen, welche die gleich starke Wir-
kung der Strukturprinzipien haben, einen vergleichbaren Habitus entwickeln (Milieu)
(vgl. Barlösius 2011, S. 63).

Anderseits kann der Habitus als strukturierende Struktur verstanden werden, denn
der Habitus reagiert auf die einwirkenden Strukturierungsprinzipien, indem diese in
eine strukturierende Struktur transformiert werden und somit Gestaltungsprinzipien
annehmen und „damit zu einem Erzeugungsprinzip“ (Barlösius 2011, S. 64) werden
(vgl. Barlösius 2011, S. 63- 64). So erläutert Van Essen (2013), dass der Habitus als
strukturierende Struktur gesehen werden kann, da sich eine bestimmte Grundhaltung
mit bestimmten sozialen Praxisformen hervorrufen lässt. Der Habitus ist für die beo-
bachteten und erlebten Formen der Praxis verantwortlich, welche auf den geprägten
Lebenslauf mit Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsschemata basieren. Dazu
zählen beispielsweise „Alltagstheorien und Klassifikationsmuster, die der Interpreta-
tion und der Ordnung der sozialen Welt dienen“ (Van Essen 2013, S. 35).

Abschließend erklären Lenger, Schneickert und Schumacher (2013), dass dem Ha-
bitus eine doppelte Funktion zu kommt, denn der Habitus erzeugt (strukturierte Struk-
tur) und generiert (strukturierende Struktur) die soziale Praxis gleichzeitig (vgl. Len-
ger/ Schneickert/ Schumacher 2013, S. 19).

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4.2 Der soziale Raum

Bourdieu zeigt mit der Theorie des sozialen Raumes auf, in welchem Verhältnis Per-
sonen einer Gesellschaft zueinanderstehen (vgl. Van Essen 2013, S. 18). So kann
die soziale Ordnung auch als sozialer Raum mit veränderlichen Positionen gesehen
werden, in denen die Rangordnung sozialer Positionen ausgehandelt wird (vgl. Bour-
dieu 1992, o. S.).

Der soziale Raum wird mithilfe unterschiedlicher Kapitalsorten veranschaulicht, wo-
raus die Position eines Individuums bestimmt wird (vgl. Van Essen 2013, S. 18).

Mit dem Begriff „Kapital“ „sind sehr abstrakt jene Mittel und Instrumente zu verstehen,
die es erlauben, ein Spiel zu seinen Gunsten zu entscheiden oder, bezogen auf das
soziale Feld, dort eine Position einzunehmen, mit der sich das eingesetzte Kapital
vergrößern lässt“ (Barlösius 2011, S. 103-104).

Dabei differenziert Bourdieu verschiedene Formen von Kapitalsorten: das ökonomi-
sche Kapital, soziale Kapital, kulturelle und symbolische Kapital. Das ökonomische
Kapital sind ökonomische Güter (vgl. Bozay 2016, S. 525), sprich alles was direkt
oder unmittelbar in Geld austauschbar ist (wie Besitz und Einkommen) (vgl. Barlösius
2011, S. 108).

Mit dem sozialen Kapital meint Bourdieu (1992) die Ressourcen, die “mit dem Besitz
eines dauerhaften Netzes von mehr oder weniger institutionalisierten Beziehungen
gegenseitigen Kennens oder Anerkennens verbunden sind“ (Bourdieu 1992, S. 63).
Somit kann durch die Mitgliedschaft zu einer bestimmten Gruppe die Chance beste-
hen, anerkannte soziale Kontakte zu erhalten und persönliche Empfehlungen zu ver-
mitteln (vgl. Barlösius 2011, S. 109).

Das kulturelle Kapital ist für den Diskurs, wie soziale Ungleichheiten reproduziert wer-
den bedeutsam und besteht aus drei Arten: das inkorporierte kulturelle Kapital, ob-
jektivierte kulturelle Kapital und institutionalisierte kulturelle Kapital (vgl. Bozay 2016,
S. 525).

Die erste Form des kulturellen Kapitals „ist ein Besitztum, das zu einem festen Be-
standteil der `Person´ zum Habitus geworden ist; aus `Haben´ ist `Sein´ geworden“
(Bourdieu 1992, S. 56). Diese Kapitalsorte wird als körper- und personengebundene
Eigenschaft (vgl. Van Essen 2013, S. 19), als verinnerlichte Disposition verstanden,
die dem Habitus angehört, welche sich durch Verhaltensweisen und Art des Spre-
chens zeigen (vgl. Barlösius 2011, S. 109). Dies bedeutet das sich diese Form des

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Kapitals durch individuelle Sozialisationsprozesse ergibt und nicht durch Geld erwor-
ben werden kann (vgl. Van Essen 2013, S. 19). Jedoch stehen sich das inkorporierte
kulturelle Kapital und die nächste Kapitalform, das objektivierte kulturelle Kapital sehr
nahe (vgl. Van Essen 2013, S. 19), denn “ohne Leser kein Buch und ohne Buch kein
Leser, kein Kunstgegenstand ohne die ästhetischen Dispositionen des Betrachters“
(Schwingel 1995, S. 85). Dementsprechend meint das objektivierte kulturelle Kapital,
kulturelle feldspezifische Güter, wie beispielsweise Instrumente, Gemälde und Bü-
cher. Daher hat diese Form des Kapitals einen engen Zusammenhang mit dem öko-
nomischen kulturellen Kapital, da es einfach durch Geld austauschbar ist, wie bei-
spielsweise durch einen Kauf eines hochwertigen Gemäldes (vgl. Van Essen 2013,
S. 19).

Und schließlich das institutionalisierte kulturelle Kapital, welches in Form von Bil-
dungstiteln im Bildungsfeld erlangt wird (vgl. Barlösius 2011, S. 109). Das heißt Uni-
versitäts- und Schulabschlüsse (vgl. Van Essen 2013, S. 19). Hier macht Van Essen
(2013) darauf aufmerksam, dass ein erworbener Bildungstitel in Deutschland häufig
den Zugang zu ökonomischem Kapital erleichtert und somit eine höhere Position und
Einkommensmöglichkeiten bietet (vgl. Van Essen 2013, S. 19), denn “je höher der
Bildungstitel desto höher die Chance der Akkumulation von ökonomischem Kapital,
etwa in Form von höherem Einkommen“ (Van Essen 2013, S. 19).

Die vierte und letzte Kapitalsorte ist das symbolische Kapital, die nicht wie die ande-
ren drei Kapitalsorten aus akkumulierter Arbeit entsteht (vgl. Van Essen 2013, S. 20),
sondern „als wahrgenommene und als legitim anerkannte Form der drei vorgenann-
ten Kapitalien (gemeinhin als Prestige, Renommee, usw. bezeichnet)“ (Bourdieu
1985, S. 11). Somit ist das symbolische Kapital das Ergebnis und die Legitimation
aus den anderen drei Kapitalarten (vgl. Barlösius 2011, S. 110). Also meint diese
Kapitalform, die allgemeine Anerkennung der anderen Kapitalarten, welche in der Ge-
sellschaft zu Ansehen, Ehre, Prestige und Macht führen (vgl. Van Essen 2013, S. 20).

4.3 Das Konzept der symbolischen Gewalt

Das Konzept der symbolischen Gewalt nimmt in der machtanalytischen soziologi-
schen Theorie von Bourdieu eine bedeutende Schlüsselstellung ein. Das Konzept
beinhaltet wichtige Begriffe (symbolische Macht, symbolische Herrschaft), die eng mit
der symbolischen Gewalt zusammenstehen (vgl. Schmidt/ Woltersdorff 2008, S.8)
und daher kurz erläutert werden, bevor näher auf das Konzept eingegangen wird.
Symbolische Gewalt meint, die praktische Ausübung von gewaltloser Gewalt. Sym-
bolische Macht beschreibt die Möglichkeit symbolische Gewalt vollziehen zu können

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(vgl. Schmidt/ Woltersdorrf 2008, S. 8). Symbolische Herrschaft oder symbolische
Ordnung (vgl. Arslan/ Bozay 2016, S. 1) stehen „für verkannte und damit anerkannte
Herrschaftsverhältnisse- Voraussetzung wie Resultat symbolische Gewalt“ (Schmidt/
Woltersdorff 2008, S. 8), welche sich aus der Verkennung der symbolischen Kapita-
lien ergeben. Daraus ergibt sich die Reproduktion der symbolischen Ordnung (vgl.
Schmidt/ Woltersdorff 2008, S. 8).

Bourdieu (2005) versteht unter symbolischer Gewalt „jene sanfte, für ihre Opfer un-
merkliche, unsichtbare Gewalt, die im Wesentlichen über die rein symbolischen Wege
der Kommunikation und des Erkennens, oder genauer des Verkennens, des Aner-
kennens oder, äußerstenfalls, des Gefühls ausgeübt wird“ (Bourdieu 2005, S. 8).

Somit ist symbolische Gewalt ein subtiler (durch Blicke, Körperhaltungen, beiläufige
Bemerkungen, kleine Gesten) und damit nicht zu sehender Modus der Herrschafts-
ausübung. Damit die symbolische Gewalt funktioniert, darf sie nicht als Gewalt, Ein-
schüchterung, Nötigung entlarvt werden. Daher ist die Voraussetzung von Symboli-
scher Gewalt, dass die Beherrschten stillschweigend ein „gewisses Einverständnis“
entwickeln (vgl. Krais 2008, S. 53). Bourdieu schreibt zu der versteckten Gewalt, dass
sie „nur auf Menschen wirken […], die (von ihrem Habitus her) für sie empfänglich
sind, während andere sie gar nicht bemerken“ (Bourdieu 1990, S. 27). So entwickeln
Individuen, die mit Handlungen der symbolischen Gewalt konfrontiert sind, einen Sinn
für die symbolische Gewalt (vgl. Krais 2008 S. 53).

Dementsprechend sind beispielsweise „Bildungsverlierer“ von der Fähigkeit (Bega-
bung) der „Bildungsgewinner“ überzeugt und gleichzeitig von ihrer Fähigkeit nicht
überzeugt (vgl. Arslan 2016, S. 26). So hat Wellgraf (2012) in seiner Feldforschung
an Hauptschulen das negative Selbstbild der Schüler_Innen festgestellt (vgl. Wellgraf
2012). Also besteht durch das Einverständnis zwischen Beherrschte und Herr-
schende eine Komplizenschaft, wenn beide Seiten die symbolische Ordnung in ihrem
Habitus verankert haben (vgl. Krais 2008, S. 54).

Symbolische Gewalt kennzeichnet sich besonders durch die Wirkung der Verkennung
und Anerkennung von Herrschaft aus (vgl. Krais 2008, S. 54), die sich in Sprache
unter anderem durch Metaphern, Klassifikationen und Stereotypen auszeichnen und
somit inkorporiert und verwachsen in den Deutungs- und Wahrnehmungsmuster der
unterschiedlichen Habitus´ sind. Deshalb kann die symbolische Gewalt mit der die
Individuen die Teilungs- und Wahrnehmungsprinzipien der symbolischen Ordnung,

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Sevim Dik                      Theoretische Einbettung- die zentralen Ansätze von Pierre Bourdieu

aufgrund ihrer „Mächtigkeit in der Selbstverständlichkeit und gegebenen Fraglosig-
keit“ (Schmidt/ Woltersdorff 2008, S. 8) (Doxa) akzeptieren (vgl. Schmidt/ Woltersdorff
2008, S. 8).

Im Rahmen der Symbolischen Gewalt ist für Bourdieu eine soziale Klassifikation, bei-
spielsweise die Einordnung in „männlich“ und „weiblich“ (vgl. Krais 2008, S. 54), die
„als inkorporierte, Körper gewordene Klassifikationen- auf das Perfekteste die Ver-
wandlung sozialer in `natürliche´ Gegebenheiten leisten, weil sie selbstverständlich
und nicht hinterfragbar sind und daher keiner Legitimation bedürfen“ (Krais 2008, S.
54). Somit sichert die Symbolische Gewalt die Anerkennung der symbolischen Herr-
schaft (vgl. Schmidt/ Woltersdorff 2008, S.8) und die Verkennung durch die Wirkung
des Symbolischen (vgl. Schmidt/ Woltersdorff 2008, S. 8). So schreibt Bourdieu
(2005) über die männliche Herrschaft:

       „Die soziale Ordnung funktioniert wie eine gigantische symbolische Maschine zur Ra-
       tifizierung der männlichen Herrschaft, auf der sie gründet: Da ist die gesellschaftliche
       Arbeitsteilung, die äußerst strikte Verteilung der Tätigkeiten, die einem der beiden Ge-
       schlechter nach Ort, Zeit und Mitteln zugewiesen werden“ (Bourdieu 2005, S. 21).

Bourdieu beschreibt Felder wie die Schule als Orte der Produktion der Symbolischen
Ordnung (vgl. Arslan 2016, S. 20), indem sich neben Geschlecht, Merkmale wie Haut-
farbe, Sprachakzent und Kleidungsstil auf die Schullaufbahn auswirken (vgl. Arslan
2016, S. 18). Bevor die Effekte und Auswirkungen im Feld der Schule erläutert wer-
den, werden zunächst die sozialen Felder nach Bourdieu beschrieben.

4.4 Die sozialen Felder

Pierre Bourdieu versteht unter dem Begriff Feld die unverwechselbaren sozialen Ein-
richtungen (und sozialen Einheiten), welche sich aus der Gesellschaft bilden (vgl.
Barlösius 2011, S. 90). So bezeichnet er mit sozialen Feldern, die verschiedenen Be-
reiche in der Gesellschaft, wie beispielsweise das Feld der Bildung oder das Feld der
Wirtschaft. Im Rahmen dieser Felder befinden sich Unterfelder, in denen bestimmte
Bereiche ausdifferenziert werden (vgl. Van Essen 2013, S. 28).

Die Felder gewinnen eine begrenzte Autonomie und unterscheiden sich von anderen
Feldern, indem sie sich ein individuelles „Grundgesetz“, „Nomos“ bilden. Daraus ent-
stehen Eigenlogiken in den unterschiedlichen Felder. So ist im Bildungsfeld das Ge-
setz, die individuelle Bildungsfähigkeit (vgl. Barlösius 2011, S. 94). Durch die Eigen-
logik der Felder kann die Bedeutsamkeit einzelner Kapitalsorten und Kapitalstruktu-
ren je Feld variieren (vgl. Van Essen 2013, S. 28).

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Sevim Dik                     Theoretische Einbettung- die zentralen Ansätze von Pierre Bourdieu

Das konzipierte Feldkonzept des Soziologen dient dazu die Macht- und Positions-
kämpfe im sozialen Feld zu verdeutlichen (vgl. Barlösius 2011, S. 92). Um die Macht-
und Positionskämpfe zu verbildlichen, setzt Bourdieu das Geschehen im Feld mit ei-
nem Kartenspiel oder einem Spielfeld gleich. Im Spielfeld wird vergessen, dass es
sich um ein Spiel handelt, da die gestellten Regeln unbedacht von den Spielenden
ausgeführt werden (vgl. Barlösius 2011, S. 99- 100). So werden die Regeln im Spiel
unhinterfragt hingenommen. Dieses Phänomen nennt Bourdieu auch Doxa (im Habi-
tuskonzept). Das unbewusste Mitspielen der Spielregeln von den Spielenden im Feld
ist die „illusio“, die „Wirklichkeitsillusion“ (vgl. Barlösius 2011, S. 100). Damit meint
Bourdieu die Faktizität, dass „man vom Spiel gefangen ist, daß man glaubt, daß das
Spiel den Einsatz wert ist oder, um es einfacher zu sagen, daß sich das Spiel lohnt“
(Bourdieu 1998, S. 140f). Somit wird mit der Fortdauer einer Wirklichkeitsillusion, je
sozialem Feld der Sinn des Spieles erzeugt (vgl. Van Essen 2013, S. 29). Im Rahmen
der „Illusio“ beteiligen sich die Spielenden im Spiel so tief, dass die Spieleinsätze
stillschweigend anerkannt werden, ohne sich Bewusst zu machen, worum es sich im
Spiel handelt. So ergibt sich ein „heimliches Einverständnis“ mit den Regeln im Spiel
(vgl. Barlösius 2011, S. 100), welche die Spieleinsätze und Regeln (Nomos) unhin-
terfragt lassen (vgl. Van Essen 2013, S. 29). Dementsprechend wird für das Bildungs-
feld, im Rahmen des Schulsystems die Illusion der Chancengleichheit (vgl. Kapitel
5.0) für alle Schüler_Innen konkretisiert (vgl. Barlösius 2006, S. 94).

Die Auswirkung der „illusio“ auf den Feldern ist, dass die sozialen Kämpfe oft unsicht-
bar bleiben. Sie dient dazu die feldspezifischen Sichtweisen durchzusetzen und voll-
zieht somit die soziale Strukturierung der einzelnen Felder, welche vor den Spielen-
den mit der „illusio“ verschleiert wird (vgl. Barlösius 2011, S. 101). Dies bedeutet für
das Bildungsfeld: „Wer Bildungszertifikate und -titel erlangen will, der akzeptiert, dass
er dafür schulische und universitäre Leistungen zu erbringen hat“ (Barlösius 2011, S.
103).

Die Konstruktion des Spielfeldes führt Bourdieu weiter aus, indem er Trümpfe als
Spieleinsätze verbildlicht. Die Trümpfe, womit Bourdieu Kapital meint, können in den
einzelnen Felder zum Vorteil des Spielenden eingesetzt werden. Einige Spielende
besitzen Kapital mit denen sie ihre Mitspielenden ausstechen können. Der Wert des
Kapitals ist von Spiel zu Spiel variabel (vgl. Barlösius 2011, S. 103). Somit werden
die feldspezifisch effektive Kapitalsorten dargestellt (vgl. Van Essen 2013, S. 28).

„Gleich Trümpfen in einem Kartenspiel determiniert eine bestimmte Kapitalsorte die
Profitchancen im entsprechenden Feld“ (Bourdieu 1985, S. 10). Dies bedeutet, dass
die Profit- und Handlungschancen der Spielenden vom Besitz der entsprechenden

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erforderlichen Kapitalsorten des Feldes abhängen (vgl. Barlösus 2011, S. 106). So
wirken die Kapitalverhältnisse auf die interne Hierarchie im sozialen Feld (vgl. Van
Essen 2013, S. 28), denn „Akteure mit wenig Kapital bzw. mit einer nicht passenden
Kapitalstruktur landen auf unteren Plätzen der Hierarchie. Jene mit viel Kapital und in
der idealen Zusammensetzung können dagegen die höchsten Positionen- die Macht-
positionen- einnehmen“ (Barlösius 2006, S. 115). Demnach steht der Bourdieusche
Feldbegriff und der Begriff des Kapitals in einer wechselseitigen Beziehung zueinan-
der, welche je Feld detailliert identifiziert werden muss (vgl. Bourdieu/ Wacquant
1996, S. 128).

5.0    Das Feld der Bildung

Wie im vorherigen Kapitel erläutert, wirkt in jedem sozialen Feld eine Eigenlogik (No-
mos), „eine Art Grundgesetz, an der sich die feldspezifischen Praxisformen und
Wahrnehmungs- und Bewertungskategorien orientieren“ (Van Essen 2013, S. 51).
Dabei stellt die Eigenlogik nicht die Wahrheit da, sondern eine Einigung der Spielre-
geln von den Mitspielenden im Feld. Wobei sich diese Einigung über die Grundge-
setze im Feld als Illusion erweisen können (vgl. Van Essen 2013, S. 51). So gilt als
Nomos im Feld der Schule die individuelle Bildungsfähigkeit der jeweiligen Schü-
ler_Innen (vgl. Barlösius 2006, S. 94). Van Essen (2013) macht darauf aufmerksam,
dass nicht alle Schüler_innen an die individuelle Bildungsfähigkeit glauben und die-
sen verweigern. So gilt im Kontext der gesetzlichen Schulpflicht das Grundprinzip
nicht für alle Schüler_Innen, dennoch sind alle Feldteilnehmenden von ihn betroffen
(vgl. Van Essen 2013, S. 52), da dieser „aufgrund seiner enormen Suggestivkraft
ganz erheblichen Einfluss auf alle Teilnehmenden ausübt“ (Van Essen 2013, S. 52).
Weil im institutionellen Schulkontext die einzelnen Schüler_Innen für Leistungsversa-
gen verantwortlich gemacht werden (vgl. Grundmann/ Bittlingmayer/ Dravenau/ Groh-
Samberg 2010, S. 56).

Denn die Legitimationsgrundlage (vgl. Van Essen 2013, S. 52) stellt beispielsweise
das nordrhein- westfälische Schulgesetz dar, in dem es lautet:

       „Die Fähigkeiten und Neigungen des jungen Menschen (…) bestimmen seinen Bil-
       dungsweg. Der Zugang zur schulischen Bildung steht jeder Schülerin und jedem
       Schüler nach Lernbereitschaft und Leistungsfähigkeit offen“ (Schulgesetz NRW 2019,
       §1 Abs. 2).

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Damit wird das als sozial gerechte und demokratisch anerkannte Leistungsprinzip
deutlich. Das Schulsystem hat die zentrale Aufgabe Schüler_Innen anhand des Merk-
mals „Leistungserbringung“ zu verorten (vgl. Van Essen 2013, S. 52).

       „Schulen tragen dazu bei, die Heranwachsenden im Verlauf des Qualifizierungspro-
       zesses durch schulische Auswahlprozesse (Selektion) auf unterschiedliche soziale
       Positionen zu verteilen (Allokation)“ (Van Ackeren/ Klemm 2009, S. 187).

Dabei wird das Ziel verfolgt homogene Lerngruppen herzustellen, welche nach ihrer
Leistungsfähigkeit beschult werden sollen (vgl. Van Essen 2013, S. 52). Nach Bour-
dieu stellen die Positions- und Machtkämpfe im Feld der Schule den Wettkampf um
das Erlangen von Zeugnissen dar, die den Zugang zu anerkannten Berufs- und Aus-
bildungschancen ermöglichen (vgl. Van Essen 2013, S. 60). Für den Wettstreit um
die begehrten Zertifikate ist besonders das inkorporierte kulturelle Kapital von Bedeu-
tung (vgl. Van Essen 2013, S. 61), da diese die Grundlage für den Bildungserfolg
darstellen (vgl. Van Essen 2013, S. 62). Denn: „Die Aussicht auf und die Wahrschein-
lichkeit von Bildungserfolgen nämlich steigt in dem Maße, in dem schulische und fa-
miliäre Habitusformen übereinstimmen“ (Liebau 2006, S. 366).

Das Feld der Schule gilt als „Mittelschichtsinstitution“ (Rieger- Ladich 2011, S. 153),
denn in der Institution wird ein „Habitus verlangt und honoriert, wie er im Normalfall in
Mittelschichtsfamilien ausgebildet wird“ (Baumert/ Maaz 2006, S. 22). Dementspre-
chend haben Schüler_Innen aus Mittelschichtsfamilien den entsprechenden vorteil-
haften Habitus erworben, der sich in den Schulen auszahlen lässt (vgl. Van Essen
2013, 62).

Seit den 1990er Jahren zeigen zahlreiche Studien (PISA-, IGLU-, TIMS- Studien) die
Bildungsungleichheit in Deutschland auf. Alle Forschungen zeigen übereinstimmend
den Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserwerb (vgl. Brungs
2018, S. 472). Somit steht die schulische Leistungsfähigkeit der Individuen, nachweis-
lich in einer sehr engen Verbindung mit der sozialen Herkunft (vgl. Kronig 2007, S.
10).

Damit erweist sich das Versprechen der feldspezifischen Eigenlogik der Leistungsfä-
higkeit als Illusion der Chancengleichheit, denn die schulischen Leistungen sind an
die soziale Herkunft gekoppelt (vgl. Van Essen 2013, S. 54). Chancengleichheit be-
deutet, „wenn der Erwerb von Bildungsgraden und die dadurch erfolgende Verteilung
von Lebenschancen“ so bestehen, „dass sie sich ausschließlich an der individuellen
Leistung bemessen“ (Hradil 1999, S. 148). Das heißt, dass jede Person unabhängig

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von Merkmalen wie sozialer Herkunft, Ethnie, Geschlecht gleiche Chancen auf einen
Schulerfolg haben müssten. Aber

       „das Feld der Bildung gründet auf der `Illussio´, dass es allen gleiche Bildungschancen
       eröffnet (…). Eine Analyse des Feldes der Bildung zeigt jedoch, dass dort Bildungsfä-
       higkeiten vorausgesetzt und prämiert werden, die familial ungleich verteilt sind“ (Bar-
       lösius 2006, S. 100).

Indem die Schüler_innen mit ungleichen Kapitalien in das Feld der Schule eintreten,
haben sie nicht die gleichen Anfangsvoraussetzungen und somit nicht die gleichen
Chancen in der Schule. Dennoch wird der Bildungserfolg und Bildungsmisserfolg wei-
terhin mit der individuellen Begabungsfähigkeit und dem Bildungswillen legitimiert,
welcher tief in der Gesellschaft, im Habitus der Individuen verankert ist (vgl. Van Es-
sen 2013, S. 54- 55). So ist beispielsweise die Wahrnehmung einer Lehrerin an der
Hauptschule:

       „Wer sein Ziel hat und dafür arbeitet, der wird es auch schaffen. Man muss fleißig
       sein, man bekommt nichts hinterhergeschmissen, sondern muss sich selbst um seine
       Zukunft kümmern. […] Ihr habt alle Möglichkeiten, ihr müsst nur gucken, wofür ihr
       euch eignet“ (Wellgraf 2012, S. 290).

So basiert die Funktionalität von der Institution Schule auf der Existenz von mächtigen
Bildungsmythen, die sich auf der Vorstellung des sozialen Aufstiegs beruhen. Zudem
einem meritokratischen Leitbild folgen, indem Bildung als Möglichkeit und Chance
verstanden wird, die lediglich von dem einzelnen Individuum abhängig sind (vgl. Well-
graf 2012, S. 282). Daher spricht Solga (2009) vom „Mythos eines fairen Bildungs-
wettbewerbs“ (Solga 2009, S. 63).

Demnach wirkt das meritokratische Prinzip als verschleierndes Element, welches tief
in den Orientierungsmuster der Menschen verankert ist. Dies gilt ebenso für Schü-
ler_Innen, die aufgrund ihrer sozialen Herkunft benachteiligt sind (vgl. Van Essen
2013, S. 60). Zudem wird die soziale Vererbung und die Reproduktion von sozialer
Ungleichheit verschleiert, sodass der Schulerfolg oder Misserfolg für die Personen
wie eine eigene Entscheidung und individuelles Schicksal wirkt (vgl. Fröhlich/ Reh-
bein 2009, S. 210). Bozay (2016) führt weiter aus, dass nicht die persönliche Leis-
tungsfähigkeit die Ursache für Misserfolge oder Erfolge im Feld der Schule sind, son-
dern die symbolische Ordnung und unsichtbare Herrschaftsverhältnisse (vgl. Bozay
2016, S. 530).

Somit erweist sich die soziale Herkunft als ausschlaggebend für den Schulerfolg (Bo-
zay 2016, S. 532). Der Bildungsbericht (2014) zeigt, dass Familien mit einem soge-
nannten „Migrationshintergrund“ oft eine niedrige soziale Position in der Gesellschaft

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haben und betroffene von Armut sind (vgl. Bildungsbericht 2014, S. 22). Da die
Schichtzugehörigkeit mit der sozialen Herkunft zusammenhängt, sind gerade Men-
schen mit einem „Migrationshintergrund“ aufgrund der sozialen Herkunft benachteiligt
(vgl. Bozay 2016, S. 529). Doch auch der „Migrationshintergrund“ erweist sich für den
Schulerfolg als bedeutsam (vgl. Bozay 2016, S.532), worauf im nächsten Kapitel nä-
her eingegangen wird.

5.1 Institutionelle Diskriminierung

Fereidooni (2011) beschreibt mit institutioneller Diskriminierung, die ungleiche Be-
handlung von Individuen durch das organisatorische Verfahren in wichtigen zentralen
Institutionen in der Gesellschaft wie beispielsweise Schulen. Diese Benachteiligun-
gen werden häufig versteckte oder indirekte Diskriminierung genannt, da Individuen
nicht von einzelnen Menschen in der Institution ungleich behandelt werden. Hingegen
schafft das gesamte Netz von Institutionen durch Strukturen, Leistungen, Rechtspre-
chungen und Maßnahmen, die Ursachen für das Entstehen von Diskriminierungen
(vgl. Fereidooni 2011, S. 23f.).

Gomolla und Radtke (2009) sprechen von institutioneller Diskriminierung von Schü-
ler_Innen mit einem sogenannten „Migrationshintergrund“,

-      „wenn regelmäßig von der Organisation Schule vorgenommene (Selektions-) Ent-
       scheidungen, die in ihrer eigenen Logik und Pragmatik getroffen werden, ungleiche
       Wirkungen auf die Schüler haben, und
-      wenn diese in der Organisation selbst hergestellten Unterschiede durch Merkmale/Ei-
       genschaften, die der benachteiligten Gruppe zugeschrieben werden, mit Sinn ausge-
       stattet werden, und
-      wenn es sich dabei um das Kollektivmerkmal der `nationalen Herkunft´/`Kultur´ han-
       delt“ (Gomolla/ Radtke 2009, S. 275).

Dabei unterscheiden Gomolla und Radtke (2009) in Anlehnung an Feagin und Booher
Feagin (1986) zwischen Mechanismen direkter und indirekter Diskriminierung.

Unter Mechanismen direkter Diskriminierung werden die informellen und formellen
organisatorischen Wirkungen beschrieben, die Schüler_Innen mit „Migrationshinter-
grund“ in fördernder Intention, „zu Kandidaten für Sonderbehandlungen machen“
(Gomolla/Radtke 2009, S. 278). Es beschreibt die „Ungleichbehandlung Gleicher“
(Gomolla/Radtke 2009, S. 275).

So werden die Schüler_Innen in der Grundschule bei der Empfehlung zur weiterfüh-
renden Schule und in Elternsprechtagen häufig bei der Bewertung und Einschätzung
der Lehrenden niedriger eingestuft. Das bedeutet, dass die Schüler_Innen auch bei

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guten Noten an die Haupt- oder Realschule empfohlen werden. Dabei wird die Be-
gründung angeführt, dass der Schulerfolg auf dem Gymnasium ohne hervorragende
Kompetenzen der deutschen Sprache unmöglich sei und die Erfahrung des Schei-
terns vorgebeugt werden soll. Ebenso werden bei guten Deutschkenntnissen teil-
weise später folgende Komplikationen befürchtet (vgl. Gomolla/ Radtke 2009, S. 280).
Somit werden Schüler_Innen mit einem sogenannten „Migrationshintergrund“ tenden-
ziell bei der Übergangsempfehlung vermehrt an Gesamtschulen verwiesen. So ent-
zieht sich die Grundschule eine Schulempfehlung zu erteilen und die Erziehungsbe-
rechtigten sind gezwungen ihre Kinder bei einer Haupt- oder Gesamtschule anzumel-
den (vgl. Gomolla/ Radtke 2009, S. 280).

Zudem werden Vorbereitungs- oder Auffangklassen zum Spracherwerb lediglich an
(einigen) Hauptschulen angeboten (vgl. Gomolla/Radtke 2009, S. 280) und bestehen
somit nicht an Gymnasien oder Realschulen (vgl. Gomolla/Radtke 2009, S. 261). Vor-
bereitungsklassen gibt es für Schüler_Innen, von denen angenommen wird, dass sie
die Sprache des Unterrichts nicht genügend bewältigen (vgl. Gomolla/Radtke 2009,
S. 269). So werden Schüler_Innen, die sich in der 4. Schulklasse in einer Auffang-
klasse befinden, zum Teil „automatisch“ auf eine Hauptschule verwiesen (vgl.
Gomolla/ Radtke 2009, S. 261- 262).

Da Vorbereitungsklasse nur an Hauptschulen existieren, werden auch leistungsstär-
kere Schüler_Innen mit Sprachproblemen an Hauptschulen empfohlen. Sie werden
ebenfalls an Hauptschulen überwiesen, selbst wenn keine Auffangklasse an den
Schulen vorhanden sind (vgl. Gomolla/Radtke 2009, S. 280).

Mit Mechanismen indirekter Diskriminierung wird die „Anwendung gleicher Regeln“
(Gomolla/Radtke 2009, S. 281) verstanden, die sowohl für Schüler_Innen mit „Migra-
tionshintergrund“ als auch ohne „Migrationshintergrund“ gelten (vgl. Gomolla/ Radtke
2009, S. 281). Bei dieser Form der Diskriminierung sind es „formelle und informelle
Handlungsmuster und geschriebene und ungeschriebene Regeln der Gleichbehand-
lung, die in den Mitgliedschaftsbedingungen institutionalisiert sind“ (Gomolla/Radtke
2009, S. 275). So werden in schulischen Auswahlprozessen (Selektionen) die Regeln
auf alle Schüler_Innen gleich angewendet, was ausgrenzende Wirkungen für be-
stimmte Schüler_Innen haben kann (vgl. Gomolla/ Radtke 2009, S. 275). Denn die
individuellen Lebensbedingungen und Lernvoraussetzungen von Schüler_Innen aus
nicht deutschen Herkunftsfamilien bleiben unberücksichtigt (vgl. Gomolla/Radtke
2009, S. 281).

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„Dabei werden im Fall von Migrantinnen die vermeintlich `neutralen´ Leistungskrite-
rien vielfach mit askriptiven Merkmalen in Bezug auf den kulturellen und religiösen
Hintergrund der Kinder und ihrer Familien gefüllt“ (Gomolla/ Radtke 2009, S. 281).
Woraus Entscheidungen im Rahmen der Schule begründet sein können (vgl.
Gomolla/Radtke 2009, S. 281). Somit bezeichnet die indirekte Diskriminierung (im
Gegenzug zu der direkten Diskriminierung) „die Gleichbehandlung Ungleicher“
(Gomolla/ Radtke 2009, S. 275).

Demzufolge sind die Legitimationen bei Selektionsentscheidungen zum Übergang auf
ein Gymnasium beispielsweise die „häuslichen Lernbedingungen und Unterstüt-
zungsmöglichkeiten“ (Gomolla/Radtke 2009, S. 283), welche erstmal auf alle Kinder
angewendet werden, jedoch bei Schüler_Innen mit einer ethnischen Differenz zusätz-
lich mit zugeschriebenen kulturellen Bedeutungen und Inhalten bedeckt werden kann.
Die Argumentationen zur Legitimation der Selektionsentscheidung beruhen sich auf
„muttersprachlichen Familienkontext“ (Gomolla/Radtke 2009, S. 283), „Kultur und Re-
ligion“ (Gomolla/Radtke 2009, S. 283), nicht vorhandene „soziale Integration“
(Gomolla/Radtke 2009, S. 283), „(Selbst-) Segregation“ (Gomolla/Radtke 2009, S.
283) der Herkunftsfamilie und fehlende Bildung der Erziehungsberechtigten (vgl.
(Gomolla/Radtke 2009, S. 283). Zudem die nicht richtige oder mangelnde Bildungs-
aspirationen und Unerfahrenheit der Erziehungsberechtigten gegenüber dem Schul-
system. Daher werden auch leistungsfähigere Schüler_Innen mit guten Schulleistun-
gen nicht an Gymnasien empfohlen, da die Gymnasialeignung aufgrund der Argu-
mentationen oft hinterfragt werden (vgl. Gomolla/Radtke 2009, S. 283).

So sind Schulen

       „mit ihren Organisationsstrukturen, Programmen, offenen und unausgesprochenen
       Regeln, dem Handlungswissen der Fachkräfte, mit ihren Kommunikationsformen und
       Routinen sind sie an der Verfestigung oder Veränderung sozialer Unterschiede in den
       Bildungskarrieren und -erfolgen höchst aktiv beteiligt“ (Gomolla 2008, S. 5)
und sind somit ein Faktor für das Diskriminierungsnetz.

5.2 Die Schulform Hauptschule

Wie im letzten Abschnitt festgestellt, scheint „sprachliche und kulturelle Heterogenität
zu einem impliziten Klassifikationsmerkmal der Hauptschule geworden zu sein“
(Gomolla/ Radtke 2009, S. 262). Gomolla und Radtke (2009) äußern, dass die ent-
scheidende Ursache für die Überpräsenz von Schüler_Innen mit einem sogenannten
„Migrationshintergrund“ an Haupt- und Förderschulen Interaktionseffekte sind (vgl.
Gomolla/Radtke 2009, S. 283), die sich „zwischen diskriminierenden Praktiken an frü-
hen Stellen der Schullaufbahn und an später gelagerten Selektionsschwellen“

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(Gomolla/Radtke 2009, S. 283) äußern, welche oben (im Kapitel 5.1) ausgeführt wur-
den.

Aus all dem stellt es keinen Zufall dar, dass Schüler_Innen mit einem „Migrationshin-
tergrund“ an Hauptschulen überrepräsentiert sind. Schließlich sind die zahlreichen
Studien (PISA-, IGLU-, TIMS- Studien), welche die Benachteiligung von Schüler_In-
nen mit einem sogenannten „Migrationshintergrund“ belegen, Ergebnis der diskrimi-
nierenden Institutionsform bzw. der Ordnung (vgl. Bozay 2016, S. 533). Bozay (2016)
führt zusammen, dass die „Bilder im Kopf“ durch die symbolische Ordnung auch in
Schulen bzw. Hauptschulen wirken und reproduziert werden (vgl. Bozay 2016, S.
533), welche erhebliche Folgen für das Leben der Schüler_Innen haben können. So
fasst Schweitzer (2004) die Folgen der Bildungsdiskriminierung von Schüler_Innen
mit einem „Migrationshintergrund“ zusammen:

       „Die Schüler aus den unteren Sozialschichten werden am Ende also vierfach bestraft:
       durch ihre Herkunft, durch die ungerechte Selektion am Ende der Grundschule, durch
       die ungünstigen Lernbedingungen der Hauptschule und schließlich durch die gerings-
       ten Chancen auf dem Arbeitsmarkt“ (Schweitzer 2004, o. S.).

Zudem stellt Wellgraf (2012) die gesellschaftliche Produktion von Verachtung der
Schüler_Innen an den Hauptschulen fest (vgl. Wellgraf 2012). Die Schulform ist im
viergliedrigen Schulsystem am „unteren Ende“ platziert (vgl. Wellgraf 2012, S. 95).
Hauptschulen gelten als „Restschulen“ für bestimmte „Probleme“ (vgl. Gomolla/
Radtke 2009, S. 243). Gomolla und Radtke (2009) beschreiben die Hauptschulen
aufgrund der geringen Erwerbschancen auf dem Arbeitsmarkt nicht als „weiterfüh-
rend“, sondern als „totes Gleis“ (Gomolla/Radtke 2009, S. 150) im Schulsystem (vgl.
Gomolla/Radtke 2009, S. 150). So kommt es in mehreren Bundesländern zur Schlie-
ßung der Hauptschulen und Erweiterung der Realschulen (vgl. Vester 2014, S. 246).

Schüler_Innen der Hauptschule kommen größtenteils aus Familien mit niedrigem so-
zioökonomischem Status, welche sich im anschließenden Berufsleben in geringeren
Chancen und beruflichen Misserfolg übersetzten lassen (vgl. Wellgraf 2012, S. 95).
Dies geht für Schüler_Innen mit Verachtung und Verkennung einher, denn Anerken-
nungspraxen sind eng mit der Verteilung von Ressourcen und wertvollen Gütern der
Gesellschaft verbunden (vgl. Wellgraf 2014, S. 317). Abgesehen von sozioökonomi-
schen Status werden die Schüler_Innen im Schulalltag ebenfalls auf symbolische Art
ausgegrenzt, was sich in Erscheinungen von Demütigungen und Erniedrigungen
(symbolische Gewalt) äußert und Schüler_Innen sich wehrlos und ohnmächtig fühlen
(vgl. Wellgraf 2018, S. 246).

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Doch an Hauptschulen ist (häufig) Soziale Arbeit verankert, die am Ort Schule Bil-
dungsbenachteiligung verringern oder abbauen soll. Damit kommt der Schulsozialar-
beit eine bedeutende Rolle zu, gerade als Menschenrechtsprofession Bildungsbe-
nachteiligung entgegenzuwirken.

5.3 Soziale Arbeit am Ort Schule

Prassad (2011) erläutert, dass im Jahre 1988 der Internationale Verband der Sozial-
arbeiter_Innen verankert hat, dass

       „die Soziale Arbeit ihrem Selbstverständnis nach eine Menschenrechtsprofession ist,
       da sie vom Grundsatz des unteilbaren Wertes jedes einzelnen menschlichen Wesens
       ausgeht und da eines ihrer Hauptziele die Förderung gerechter sozialer Verhältnisse
       ist, die den Menschen Sicherheit und Entfaltungsmöglichkeiten bietet, während sie
       ihre Würde schützen“ (Vereinte Nationen u.a. 2002, S. 3).

Somit hat unter anderem Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession das Hauptziel
gerechtere soziale Verhältnisse von Schüler_Innen am Ort der Schule zu fördern.
Dabei orientiert sich die Auftragsgrundlage der Schulsozialarbeit an das Kinder- und
Jugendhilfegesetz SGB VIII.

Schulsozialarbeit wird allgemein verstanden

       „…als ein Angebot der Jugendhilfe, bei dem sozialpädagogische Fachkräfte kontinu-
       ierlich am Ort Schule tätig sind und mit Lehrkräften auf einer verbindlich vereinbarten
       und gleichberechtigten Basis zusammenarbeiten, um junge Menschen in ihrer indivi-
       duellen, sozialen, schulischen und beruflichen Entwicklung zu fördern, dazu beizutra-
       gen, Bildungsbenachteiligungen zu vermeiden und abzubauen, Erziehungsberech-
       tigte und Lehrer_innen bei der Erziehung und dem erzieherischen Kinder- und Ju-
       gendschutz zu beraten und zu unterstützen sowie zu einer schüler-freundlichen Um-
       welt beizutragen.“ (Speck, 2006, S. 23).

Dabei kann Schulsozialarbeit mit Schüler_Innen individuell oder in Gruppen, außer-
halb oder in der Schule arbeiten. Sie kann mit einer präventiven Maßnahme agieren
oder als Intervention bei Krisen oder Konflikten tätig sein (vgl. Brungs 2018, S. 478).

Zur Verbesserung der sozialen Verhältnisse und der Bildungschancen für Schüler_In-
nen der Hauptschule und damit zur Verringerung oder zum Abbau von Ungleichheiten
hat beispielsweise Aladin El- Mafaalani (2014) in seiner Studie „Vom Arbeiterkind zum
Akademiker“ festgestellt, dass alle untersuchten Bildungsaufsteiger_Innen in ihrer Bi-
ographie eine Person zur Unterstützung hatten, die aus einem höheren Milieu
stammte (vgl. El- Mafaalani 2014, S. 6). Diese Personen werden „soziale Paten_In-
nen“ genannt. Soziale Paten_Innen eröffnen Wege, motivieren, geben Feedback und
sind Vorbilder und Mentor_Innen, die jede Funktion übernehmen, welche nicht von

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dem sozialen Umfeld und Familien erfüllt werden können (vgl. El- Mafaalani 2015, o.
S.).

Idealerweise stellt dies eine Unterstützungsmöglichkeit von Seiten der Schulsozialar-
beitende am Ort der Hauptschule dar, welches die Bildungsgerechtigkeit fördern
würde.

6.0 Empirische Untersuchung

Im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen die Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsmuster
von Schulsozialarbeitenden zu der alltäglichen Reproduktion von sozialer Ungleich-
heit durch Kulturalisierungen und Ethnisierungen an Hauptschulen. Es wurden drei
narrative fundierte Interviews mit einer erzählgenerierenden Einstiegsfrage mit
Schulsozialarbeiterinnen, die an der Hauptschule arbeiten oder jahrelang gearbeitet
haben, geführt. Es konnten und wurden lediglich Sozialarbeiterinnen befragt. Die In-
terviewdauer lag zwischen 19 bis 38 Minuten und wurde an den entsprechenden
Standorten in den jeweiligen gewünschten Räumen geführt.

Es wurde die Schulform Hauptschule gewählt, da Schüler_Innen mit einem soge-
nannten „Migrationshintergrund“ überproportional diese Schulform besuchen und wie
im oberen Verlauf beschrieben, mehrfach benachteiligt sind.

6.1 Fragestellung

Gomolla und Radtke (2009) konnten mit ihrer Forschung „Institutionelle Diskriminie-
rung- Die Herstellung ethnischer Differenz in der Schule“ belegen, dass das Feld der
Schule strukturelle Benachteiligung anhand des Merkmals „ethnische Zugehörigkeit“
legitimiert (vgl. Bozay 2016, S. 533). Dabei wird der Misserfolg von Schüler_Innen mit
einem zugeschriebenen „Migrationshintergrund“ im Bildungsfeld fast reflexartig auf
die ethnische, kulturelle Herkunft zurückgeführt (vgl. Kalpaka 2009, S. 26).

Somit schlussfolgern Gomolla und Radtke (2009) für das Bildungsfeld:

         „Erst wird diskriminiert/ benachteiligt/ ausgegrenzt, dann werden die Gründe für die
         Diskriminierung/ Benachteiligung/ Ausgrenzung bei den Opfern und ihren Eigenschaf-
         ten gesucht, womit die Motive der Täter und ihre Vorteile/ Gewinne ausgeblendet und
         abgedunkelt werden“ (Gomola/Radtke 2009, S. 276).

Nun hat Soziale Arbeit am Ort Schule den bedeutenden Handlungsauftrag Benach-
teiligungen abzubauen. Dies bedeutet, dass Schulsozialarbeitende „jegliche Art von

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