Alpträume und Visionen: Schweizer Kulturpolitik 2028
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Alpträume und Visionen: Cauchemars et visions: Schweizer Kulturpolitik 2028 politique culturelle 2028 Liebe Leserinnen und Leser, Chères lectrices, chers lecteurs, Seit der europäischen Aufklärung dient die Depuis le siècle européen des Lumières, l’art Kunst der Selbstverwirklichung des Indivi- contribue à l’épanouissement personnel de duums. Daher nimmt sie für sich in Anspruch, l’individu. C’est la raison pour laquelle il sich in einer eigenen Wertsphäre zu bewe- revendique le droit d’exister dans une sphère gen, losgelöst von ökonomischen Zwängen. de valeurs qui lui soit propre, en étant libéré Im Zuge der globalen Ökonomisierung wird des contraintes économiques. Dans un Kultur – nicht erstmals, aber zusehends – contexte de mondialisation de l’économie, la ökonomischen Kriterien unterworfen: Sie culture est manifestement, même si ce n’est wird vermarktet, gefördert, gesponsert und pas nouveau, soumise à des critères écono- auf ihre Wirkung und Wertschöpfung hin miques : elle est commercialisée, promue, untersucht. sponsorisée et l’on passe au crible ses effets et la valeur ajoutée qu’elle apporte. Das vorliegende Swissfuture-Bulletin macht die Bedeutungsverschiebungen in diesem Le présent bulletin de Swissfuture a pour komplexen Verhältnis von Kultur und Ökono- thème les transferts de signification dans ces mie zum Thema. Das Heft entspringt der rapports complexes entre culture et écono- Zusammenarbeit von Swissfuture mit dem mie. Ce numéro résulte de la collaboration Forum Kultur und Ökonomie (FKÖ). Das FKÖ de Swissfuture avec le Forum Culture et will das Wissen über die Wechselwirkung Economie (FCE). Le FCE souhaite approfondir zwischen wirtschaftlichen und politischen les connaissances sur l’interaction entre Dimensionen im Kulturbereich vertiefen und dimensions économiques et politiques dans die Rahmenbedingungen für eine kontinu- le domaine culturel et améliorer les condi- ierliche Finanzierung kultureller Einrich- tions de base pour un financement régulier tungen durch die öffentliche Hand und des institutions et manifestations culturelles Private verbessern. Dazu führt es jedes Jahr par les collectivités publiques et le secteur eine Tagung durch. privé. Pour ce faire, il organise chaque année un colloque. Wir publizieren ausgewählte Referate der Tagung 2008, welche im Frühjahr in Bern Nous publions une sélection des exposés unter dem Fokus »Visionen und Alpträume – faits au colloque 2008 qui, sous l’intitulé Schweizer Kulturpolitik 2028« stattfand. Die »Cauchemars et visions – La politique Vorträge ergänzen wir mit anderen zu- culturelle suisse en 2028«, a eu lieu au kunftsgerichteten Reflexionen sowie mit printemps à Berne. Nous complétons ces konträren Plädoyers zur Kulturförderung. Wir exposés d’autres réflexions tournées vers wünschen Ihnen eine inspirierende Lektüre. l’avenir et de plaidoyers pour la promotion de la culture allant dans des sens opposés. Pius Knüsel Nous vous en souhaitons une stimulante Mitglied der Programmgruppe des FKÖ lecture. Basil Rogger Pius Knüsel Vorstandsmitglied Swissfuture Membre du groupe de programme du FCE Basil Rogger Membre du comité de Swissfuture
FORUM • KULTUR UND ÖKONOMIE FORUM • CULTURE ET ÉCONOMIE Inhalt : Das FORUM • KULTUR UND ÖKONOMIE wurde im Le FORUM • CULTURE ET ÉCONOMIE a été fondé Januar 2001 als informeller Zusammenschluss in en janvier 2001 à Montreux sous forme de 2008 bis 2028 – Vom Verschwinden und vom Wiederauftauchen der Kultur / Pius Knüsel Seite 4 Montreux gegründet. Es baut auf die Unabhängig- groupement informel. Il est basé sur keit und Entscheidungsfreiheit seiner Mitglieder l’indépendance et la liberté de décision de ses Kulturpolitik als Kontrollpolitik / Max Fuchs Seite 13 und kann laufend erweitert werden. membres et peut être étendu à tout moment. Das Exzentrische ist der Feind des Exzellenten / Thomas Steinfeld Seite 20 Das FORUM • KULTUR UND ÖKONOMIE will das Le FORUM • CULTURE ET ÉCONOMIE veut appro- Video- und Computerspiele als Kulturgut und Provokation / Claus Pias Seite 26 Wissen über die Wechselwirkung zwischen fondir les connaissances relatives aux interactions Kulturmanagement und die Tücken des Strukturwandels / Katja Gentinetta Seite 30 wirtschaftlichen und politischen Dimensionen im entre les dimensions économiques et politiques Kulturbereich vertiefen und den Kulturfinanzier- de la culture, et proposer des options d’action aux Szenarien zur Zukunft des Kulturkonsums / Basil Rogger Seite 33 ern Handlungsoptionen mitgeben. responsables du financement de la culture. Kreativwirtschaft als kulturpolitischer Faktor / Christoph Weckerle Seite 36 Das FORUM • KULTUR UND ÖKONOMIE will die Le FORUM • CULTURE ET ÉCONOMIE veut amélio- Kultur ist Sache der Kultur / Robert Nef Seite 40 Rahmenbedingungen für eine genügende und rer les conditions cadre pour un financement kontinuierliche Finanzierung kultureller Einrich- suffisant et permanent d’institutions et de projets Culture d’Etat? – Etat de la culture... / Josiane Aubert Seite 43 tungen und Projekte durch die öffentliche Hand culturels par les pouvoirs publics et les privés. Résumés / Abstacts Seite 46 und Private verbessern. Le FORUM • CULTURE ET ÉCONOMIE s’est fixé pour Das FORUM • KULTUR UND ÖKONOMIE stellt sich objectif de développer les échanges das zur Aufgabe die gegenseitige Information d’informations sur les activités de ses partenaires über die Tätigkeit der Partner zu intensivieren; de permettre la réalisation de grands projets grosse Projekte mit vereinten Kräften zu ermögli- grâce à la mise en commun des efforts de ses chen; das Zusammenspiel ökonomischer und membres d’améliorer la collaboration des forces kultureller Kräfte zu verbessern; durch Veranstal- économiques et culturelles de former une plate- tungen und Öffentlichkeitsarbeit eine Plattform forme pour le financement de la culture en Suisse für die Kulturfinanzierung in der Schweiz zu à travers des manifestations et des travaux de bilden. relations publiques Das FORUM • KULTUR UND ÖKONOMIE wird Le FORUM • CULTURE ET ÉCONOMIE est dirigé par von der Steuergruppe geführt, die für die Aktivi- le groupe de pilotage, qui est responsable des täten des Forums verantwortlich ist. Der Steuer- activités du forum. Le groupe de pilotage com- gruppe gehören zurzeit folgende Personen und prend actuellement les personnes et institutions Institutionen an: suivantes: - Toni J. Krein, Head Corporate Cultural Sponsorship, Credit Suisse - Diana Pavlicek, Corporate Sponsoring Manager, Swiss Re - Mirjam Beerli, UBS Kulturstiftung - José Bessard, directeur de communication, Loterie Romande - Rosie Bitterli Mucha, Chefin Kultur und Sport Stadt Luzern - Joëlle Comé, Directrice du service des affaires culturelles République et canton de Genève - Hans Ulrich Glarner, Kulturbeauftragter Kanton Aargau - Hedy Graber, Leiterin der Direktion Kultur und Soziales, Migros-Genossenschafts-Bund (MGB) - Regula Huber-Süess, Swisslos - Jean-Frédéric Jauslin, Direktor Bundesamt für Kultur - Pius Knüsel, Direktor Kulturstiftung Pro Helvetia - Rosmarie Richner, Generalsekretärin Fondation Nestlé pour l’Art www.kulturundoekonomie.ch www.culture-economie.ch
können – unter Bedingungen, welche ihnen Vielfalt erhalten will, muss sie schwergewich- 2008 bis 2028 – als Brotsamen serviert werden. Wer nur die tig in die gelebten Traditionen investieren Vom Verschwinden und vom Hälfte bekommt, von dem kann man nichts Ganzes verlangen. Das ist das Dilemma der statt in die globale Homogenisierung des künstlerischen Schaffens. Wo es zaghafte Wiederauftauchen der Kultur demokratischen Förderung, hervorgegangen Versuche in die andere Richtung gibt, aus den partizipativen Modellen der 80er werden sie von den aktuell Begünstigten mit Jahre. Sie muss möglichst viele bedienen, sie dem Argument bekämpft, Qualität beruhe Pius Knüsel, Direktor Pro Helvetia muss Vielfalt durch breite Verteilung abbil- auf Innovation. Der Ausstieg aus der Traditi- den. Wer Brotsamen gibt, verhindert Exzel- on erhöht jedoch den Rechtfertigungsdruck lenz und zwingt den Künstler zur reinen auf die Kulturförderung. Kultur und Kunst haben in den letzten 30 Jahren die Gesellschaft durchdrun- Existenzsicherung. gen. Den willigen Konsumenten steht das reichste Angebot zur Verfügung. 1.5 Globalisierung statt Widerspruch. Das ist der Erfolg jener Kulturpolitik, welche sich in den 80er Jahren her- 1.3 Private Konkurrenz. Unter dem Titel »interkultureller Dialog« ausbildete. Doch der Vermehrung entspricht zu unserer Enttäuschung kein Das Dilemma des Förderers wird umso beschleunigt Kulturförderung jene Globali- Wachstum des Publikums. Schlimmer noch, das Überangebot führt zu einer dramatischer, als die wachsende private sierung, die sie zu Hause verbal bekämpft, Inflation der Werte, zur Angleichung und zum Verlust von Aufmerksamkeit. Kulturfinanzierung, vor allem die Stiftungen, indem das förderalistische System Kultur als Kultur ist mehr denn je schöne Privatsache. Sie verschwindet aus dem öf- sich längst in die Bereiche der öffentlichen lokale Angelegenheit beschreibt. Der fentlichen Diskurs. Dazu kommen demografischer Wandel, politische Verhär- vorwagt. Zahlreiche Stiftungen haben öffentlich finanzierte wie der private Kultur- tungen, der Kampf um Instrumente wie Pro Helvetia. Eine Projektion über 20 Qualitätsbegriffe entwickelt, welche jenen markt der westlichen Welt präsentiert sich Jahre in die Zukunft wird zum Abenteuer. der Förderer in nichts nachstehen. Damit weltweit als Erfolgsmodelle, an dem Asien, verwischen sich die Unterschiede, die Afrika, Lateinamerika sich strukturell wie besonderen Leistungen, welche die Tätigkeit ästhetisch orientieren. Den Förderern er- 1. anderswo findet, was er sucht. Doch dem öffentlicher Instanzen legitimieren. Die Folge scheint das Streben nach neuen Horizonten Beginnen wir mit der Gegenwart. Aus Direktor von Pro Helvetia, von eben dieser ist eine Reduktion der öffentlichen Kulturpo- allein schon förderungswürdig; sie fördern Konsumentensicht stelle ich einen Verlust an Gesellschaft mit Kulturförderung beauftragt, litik auf Finanzpolitik, da es keine verbind- globale Standards – anstelle widersprüchlicher Orientierungsleistung der Kulturproduktion ist dieses Schwinden von kultureller Kraft ein liche Ästhetik mehr gibt. Solches spiegelt Denk-, Gestaltungs-, Lebensmodelle, in welchen fest: Was sind die zentralen, ästhetisch Alarmzeichen. Ich versuche, es in zehn sich im visionslosen Kulturförderungsge- gesellschaftliche Vielfalt sich wieder findet. gestaltbaren Konflikte unserer Gesellschaft? Stichworten zu analysieren: setzes des Bundes. Auch das ist ein Ver- Welche relevanten Bruchlinien bearbeitet schwinden von Kultur. Wo keine Inhalte zu 1.6 Welt der Verwaltung. Kunst? Da das geförderte Umfeld grössten- 1.1 Spezialisierung: diskutieren sind, bleibt das Budget das Kunst wird ähnlich der Landwirtschaft, der teils Nabelschau betreibt, bleibt der Griff ins Die Angebotsmehrung kann nicht ohne alleinige Thema. Gesundheit, der Bildung ein Schlachtfeld der globale Angebot, welches in unerbittlicher Auswirkungen auf die Arbeit der Kulturför- wohl meinenden Funktionäre. Das schönste Konkurrenz zur heimischen Produktion steht derer bleiben. Sie stehen unter Effizienzdruck 1.4 Kunst oder Vielfalt. Beispiel liefert der Schlussbericht der und in dem sich meine lokalen Befindlich- und müssen immer mehr Spezialwissen Kulturpolitik hat längst der Kunstpolitik Platz deutschen Enquête-Kommission Kultur, keiten aussagekräftig aufbereitet finden. einbringen. Die wachsende Professionalisie- gemacht, ohne dass es benannt würde. Viel publiziert im Dezember. Der Bericht mündet Dem war nicht immer so. Noch ist es keine rung treibt die Standards parallel immer ist zwar die Rede von Identität und Selbst- in 500 Handlungsempfehlungen an die Generation her, da beschäftigte auch helve- höher. Der Bezug zur Kultur der Rezipienten, vergewisserung, die wir der Kultur schulden; Politik. Das zeugt von hoher Regelungslust. tische Kunst sich auf vernehmliche Weise mit welche nie professionell sein wird, löst sich. die Begriffe gehören zu den zahlreichen Hat Politik sich nach 1968 noch kulturell den Fragen der unmittelbaren Umwelt. Sie Daraus folgen Fragmentarisierung und Wirkungsversprechen, die wir mit Kultur definiert, so neigt sie heute dazu, das kultu- half zu verstehen, zurückzuweisen oder Blickverengung. Urteile erfolgen immer mehr assoziieren. Auch das künftige Kulturgesetz relle Feld in seiner historischen Zufälligkeit anzunehmen. Sie schuf eine Aura der Ver- aus kunstimmanenter und nicht aus gesell- operiert mit diesem breiten UNESCO- zu zementieren. Kunst wird nicht mehr als ständigung, an der wir teilhatten. In einer schaftlicher Perspektive. Kulturbegriff. Kulturelle Vielfalt ist zum ästhetischer, emotionaler, sozialer Zustand Gesellschaft, die zunehmend das Kleine liebt höchsten der Werte geworden, die UNESCO- gesehen, der die Ordnung (auch die för- und die Provokation (auch Grösse provoziert) 1.2 Über-Forderung. Konvention zum Schutz der kulturellen dernde) im umfassenden Sinne erschüttert, meidet, bleibt dafür wenig Platz. Kein Tatsächlich liegt das »Verschwinden« der Vielfalt ein Erfolg internationaler Kulturpoli- sondern als positiver Umweltfaktor, welcher Problem für mich als Konsumenten, der Kultur nicht an den Künstlern. Sie tun, was sie tik. Wenn Kulturpolitik tatsächlich kulturelle die Ansiedlung von Managern begünstigt. | swissfuture | | schweizer kulturpolitik 2028 |
1.7 Frei von Kunst. 1.9 Miniaturisierung. Auskommen findet? Erfreulich widersprüch- allgemeine Kultivierung, Ästhetisierung und Die hart erkämpfte Errungenschaft der Nicht dass es keine interessante Kunst mehr lich dazu die Meldung, dass die Psychologie Multimedialisierung des Alltags beschert hat. Kunstfreiheit ist vermutlich der folgenreichste gäbe. Doch die kulturelle Landschaft ist eben dabei ist, den Intelligenztest neu zu Kultur verschwindet, zwar nicht physisch, Beitrag zum Bedeutungsschwund der Kunst. unüberblickbar geworden. Es gibt weder eichen – nach oben. Die kulturellen Fähig- aber aus der kollektiven Aufmerksamkeit. Tatsächlich gehört es zu den unverrückbaren klare Strömungen noch herausragende keiten, komplexe Phänomene zu verstehen, Kein Problem, solange es nicht um Steuer- Werten unserer Gesellschaft, dass Sanktionen Persönlichkeiten, es herrscht, was Inhalte, seien immer tiefer verankert, der Durch- gelder geht. Doch solange uns Kultur mit der nicht mehr statthaft sind; wir erinnern uns an Verfahren, Positionen angeht, die universelle schnittsmensch von heute viel intelligenter Zukunft versöhnt und solange es Kulturpoli- Thomas Hirschhorn. Doch der Preis ist hoch. Gleichzeitigkeit. Es gibt nur noch Nischen, als sein Kamerad vor 30 Jahren. Vielleicht tik gibt, ist es deren Aufgabe, diese Versöh- Wo Sanktionen nicht möglich sind, löst sich nicht nur geistig, auch physisch. In der Musik- liegen die Interessen der »Generation doof« nung in die Wege zu leiten. Im zweiten Teil der Wirklichkeitsbezug. Und wo der Wirklich- welt zum Beispiel brechen die grossen einfach nicht bei den Werten ihrer Väter und versuche ich nun, Kulturpolitik nach vorne zu keitsbezug schwindet, folgt das Desinteresse Produktions- und Vertriebsstrukturen Mütter. Das war doch bei uns schon so. projizieren, um die im ersten Teil aufgeführ- auf dem Fusse. zusammen. Dafür spriesst und blüht es in Haben wir Förderer uns überflüssig ge- ten Probleme anzugehen. Wie jede Prognose jedem Winkel. Wir erleben eine globale macht? Weder noch. Geschichte ist ein ist auch diese hier rein spekulativ. 1.8 Cohabitation. Miniaturisierung der kulturellen Sphäre als dialektischer Prozess. Aus dem Erfolg des Die Entwicklung der Kultur lässt sich kaum Erfolgreiche visuelle Kunst lebt heute vom öffentliche und partizipative. Die Auseinan- »genug Kultur für alle« wird das Hindernis: im grossen Massstab steuern. Ästhetische Grosskapital. Macht und Dekor verbünden dersetzung um gemeinsame Werte findet Beliebigkeit. Aus der Vision der »freien wie inhaltliche Prozesse nähren sich aus sich auf quasi-religiöse Weise. Unerreichbare heute in Werbung, Entertainment und im Kunst« wird der Alptraum: Wirkungslosigkeit. vielfältigen Kräftefeldern, auf die wir nur Preise spiegeln unerreichbare Positionen. Internet statt. Aus der Absicht des »aufgeklärten Bürgers« geringen Einfluss haben. Natürlich gibt es Politische und wirtschaftliche Macht sind wird Abkehr: Kunst im Elfenbeinturm. Sicher Einrichtungen und Werke, die nur dank dem Künstler kein Gegenüber mehr, das ihn 1.10 Generationenbruch. scheint mir, dass das Verschwinden der Förderung existieren. Aber sie kommen, da herausfordert. Die Wirtschaft spielt den Wer in dieser Welt also etwas bewirken will, Kultur gleichzeitig der Abschied von ihren gebunden an politische Verständigungpro- Gönner, welcher kritische Kapriolen als ist gut beraten, die Finger von der Kunst zu vertrauten Rollen bedeutet. Sie kann nicht zesse, zu spät, um Entwicklungen zu prägen, wertsteigerndes Marketing begrüsst. Und lassen. Die Soziologen reden vom Zeitalter mehr verherrlichen, wie sie es von der Antike sie fixieren Vorhandenes. Die unverbrüch- der Staat offeriert die schützende Umar- der Mikrotrends: von einer Gesellschaft, die bis zur Renaissance tat; dafür sind wir zu liche Traditionslastigkeit der grossen Kultur- mung für jene, die auf der Strecke bleiben. sich in distinkte Kleingesellschaften auflöst, selbstbewusst. Sie kann nicht mehr unterhal- einrichtungen zeugt davon. Doch kulturelle Das nenne ich die Cohabitation von Kunst, welche nichts mit üblichen kulturellen ten, wie mittelalterliche Aristokratie und Revolutionen werden durch technologische wirtschaftlicher und politischer Macht. Merkmalen gemein haben. Von diesen Handelsbürgertum es gerne sahen; dafür Durchbrüche induziert; den Buchdruck, die Gleichzeitig verliert die Arbeit an Wert, auch Gruppen erreicht die typischerweise geför- haben wir mittlerweile eine Unterhaltungsin- Elektrizität, die Photographie, die Schallplat- in der Kunst: Effekt gewinnt. Kultur besetzt derte Kultur nur wenige. Das motiviert dustrie. Sie kann nicht mehr erziehen, wie te, den Film. Ohne Schallplatte zum Beispiel die ehemaligen Fabriken. Kapital- und vermutlich jene Klagen, die uns aus der Aufklärung und Industriebürgertum es ihr keine Popmusik, ohne Popmusik kein 1968, Kunstsphäre entwickeln verwandte Gesetz- Sozialforschung erreichen. Die kulturelle zuwiesen; dafür sind wir zu kritisch. Sie kann ohne 1968 keine Postmoderne! Anfänglich mässigkeiten. Auf der einen Seite boomt der Bildung der Menschen, erkennbar in erster auch nicht mehr herausfordern, weil Medien werden die neuen Formen, die in ihren Finanzsektor, wo man in Minuten Millionen Linie an ihrem Umgang mit der Schriftkultur, und Werbung wirksamer provozieren. Was Kinderjahren meist banale Inhalte transpor- verdienen kann, wo von Anlagestrategien die also dem Buch, sei in rapidem Niedergang bringt uns die Kunst von morgen? Und wie tierten, hart bekämpft mit den Vorwürfen der Rede ist und eine globale Spielermentalität begriffen, der Zerfall epidemisch. Schon muss eine Förderung aussehen, welche Trivialisierung, der Kommerzialisierung, der herrscht. Auf der anderen Seite haben wir hätten wir es bei der Jugend mit einer Kunst wieder als lohnende Auseinanderset- Banalisierung, des moralischen Verfalls. den Kunstsektor, wo es zunehmend um »Generation doof« zu tun. Kein Wunder, zung ermöglicht? Als Kristallisationspunkte Kulturförderung verlangsamt. Das ist zweifel- Anlagestrategien von Sammlern und ästhe- heisst das neue Jahrhundertprojekt Kultur- öffentlichen Diskurses? Wie kann Kunst sich los eine lebenswichtige Funktion; sie hält tische Strategien von Künstlern geht. »Idea- vermittlung. Der schrumpfenden Resonanz aus den nützlichen Umarmungen von Politik Vergangenheit lebendig. Das Verlangsamen lerweise wird man mit purer Kreativität über der hochkulturellen Produktion geht es mit und Wirtschaft befreien, um die Macht des kann aber nicht der ganze Zweck von Nacht zum Millionär«, sagt der Beat Wyss, Vermittlung an den Kragen. Zwischen die Geistes zu feiern? Förderung sein. Der liegt vielmehr darin, Schweizer Kunsthistoriker und Gesellschafts- Kunst und ihre Rezipienten schiebt sich eine Kultur als Feld vielfältiger Auseinanderset- analytiker, in einem Interview im »Magazin« Schicht kultureller Beziehungstherapeuten. 2. zung mit Vergangenheit und Zukunft vom 5. Januar 2008. Kunst spricht nicht mehr direkt zu uns – Soweit einmal die Schattenseiten des auszugestalten, traditionell und experimen- vielleicht soll sie das gar nicht, weil nur so aktuellen Fördersystems, welches uns auf der tell. Auseinandersetzung impliziert mehr als eine neue Schicht von Hermeneuten ihr Sonnenseite ein reiches Angebot, eine ein privates künstlerisches Interesse; sie | swissfuture | | schweizer kulturpolitik 2028 |
erfordert eine gesellschaftliche Dimension, um Kulturpolitik zu rechtfertigen, als »Panem sozialen Strukturen ausmachen. Eine künf- Warum nicht. Der Begriff Phantasie taucht in welche das Kunstwerk suchen muss. Dieser et circenses«. In freiheitlichen Industriege- tige Kulturpolitik wird ihre Legitimation der kulturpolitischen Debatte erstaunlicher- Anspruch kann nicht hoch genug sein; ihn sellschaften produziert die Kulturindustrie nicht mehr aus ihrer relativen Erfolglosigkeit weise gar nicht auf, obwohl er mit Kunst aufs hoch zu halten, ist die erste Aufgabe der Vergnügen im Übermass, dafür braucht es beziehen – also daraus, dass es ihr nie Engste verhängt ist. Phantasie ist auf das vergangenen wie der künftigen Kulturpolitik. keine Subventionen. gelingt, Hochkultur mehrheitsfähig zu Erleben ausgerichtet. Sie ist die in jedem Und zugleich die schwierigste, weil es die machen. Die Legitimation wird 2028 darin Individuum verfügbare Fähigkeit, dem Geiste Suche nach sozialen Potentialen statt wie Der zweite Motivator heisst – soziale Identifi- bestehen, parallele Kulturen zur Blüte zu oder der Seele Auslauf zu verschaffen – bisher nach Talenten ist. kation. Über die Kultur, welche ich konsumie- führen, eine Fülle kultureller Identifikations- jenseits der Alltagswirklichkeit. Diese Lust Die künftige Kulturpolitik muss deshalb re, definiere ich meinen sozialen Standort angebote bereit zu stellen! Denn aus grosser existiert bei Gebildeten wie bei Ungebil- adaptiv sein. Kultur ist jenes Feld, auf dem (um nicht zu sagen Stand). Als Besucher Kunst resultieren Respekt und Anerkennung, deten, bei Künstlern wie bei Rezipienten. Sie die Entwicklung der Gesellschaft ihre eines alternativen Kulturzentrums positionie- gerade für andere Lebensmodelle, andere ist eine Konstante des Lebens, ein Protein des humane Form annimmt. Sie muss sich immer re ich mich anders als der Operngänger, der Menschen, andere Kulturen. Glücks. Und in einer vereinfachten Definition mit den ausserkulturellen Neuheiten befas- gepflegte Bürgerlichkeit zur Schau stellt; in Der dritte Motivator – könnte er Bildung könnte man sogar sagen: Kunst ist alles, was sen, um ihre Erschliessung mit kulturellen beiden Fällen dokumentiere ich Zugehörig- heissen? Geht jemand freiwillig in die Schule ein Produkt der Phantasie ist und was diese Mitteln zu ermöglichen; Kultur ist jenes keit zu einer Gruppe, Schicht, Klasse. Die 80er ohne konkretes Ziel vor Augen? Ich glaube Phantasie anregt. Phantasie selbst ist ein Medium, das uns mit der Zukunft versöhnt hatten versucht, diese soziale Strukturierung nicht, dass Bildung Rezipienten im breiten Beweis und eine Quelle von Menschlichkeit. und das technische Innovation mit Wert ver- der Kulturlandschaft zu überwinden – Sinne motiviert, vielmehr gehört Kultur als Identifikation und Phantasie, das sind meines sieht. Kulturpolitik hätte sich deshalb viel früher vergeblich. Allein dadurch, dass man sich im roter Faden in die Bildung, im Sinne von Erachtens die Schlüsselbegriffe einer künf- mit dem Internet, mit den Computerspielen Gravitationsfeld von Kunst bewegt, macht Vertrautmachen mit der eigenen Kulturge- tigen Kulturpolitik. In allen Entscheiden und ihrem kulturellen Impact beschäftigen man eine Aussage über sich selbst. Dieses schichte und Ausprobieren der eigenen lauten die zentralen Kriterien deshalb: Gibt müssen mit dem Ziel, deren Wirkungskraft Bedürfnis ist gross – deshalb wird die kreativen Fähigkeiten, also als Scharfstellung es genügend diverse kulturelle Pole, um der Gesellschaft nutzbar zu machen. Livekultur nie aussterben und deshalb sind der sinnlichen Werkzeuge. einen Wettbewerb der Konzepte und Lebens- die statusdefinierenden Festivals und Häuser Motivator Nummer vier - die Suche nach modelle zu provozieren? Regt, was wir Das führt mich zum ersten Axiom: Die immer voll. Und es scheitern jene, die keiner dem emotionalen Ausnahmezustand? fördern, die kollektive Phantasie an? immanente Aufgabe der Kulturpolitik 2028 sozialen Gruppe eine Heimat bieten. Erschütterung, Betroffenheit, Erleichterung, Solche Kriterien lassen sich nicht auf einzel- ist, Vergangenheit und Zukunft gleichermas- Nun gibt es heute soziale Gruppen, denen Erlösung, Euphorie: Die Suche nach solchen ne Werke anwenden. Sie funktionieren nur sen zu gestalten. Ihre transzendente – oder der Staat kostspielige Identifikationssysteme Zuständen treibt viele – ins Kino, zur Litera- im Blick auf die gesamte kulturelle Land- soziale – Aufgabe ist es, die Motivation der zur Verfügung stellt, andere fertigt er günstig tur, ins Konzert. Diese Suche nach Ergriffen- schaft. Damit verschiebt sich der Fokus vom Bürgerinnen und Bürger, sich mit Kultur zu ab, dritte profitieren überhaupt nicht. Daraus heit ist derzeit keine Eigenheit der Hochkul- Werk und vom Künstler auf die Zusammen- beschäftigen, in Rechnung zu stellen. Denn resultiert eines der Legitimationsprobleme tur, aber sie wird es werden müssen, wenn es hänge, auf die kulturellen Pole. Eine künftige Kultur ist kein abstraktes Produkt, das wir für aktueller Kulturpolitik. Das wäre kein Pro- in 20 Jahren noch Hochkultur geben soll. Die Kulturpolitik wird sich deshalb nicht mehr als Zeiten erhöhten Bedarfs lagern können, blem, wenn es eine anerkannte herrschende zeitgenössische Kultur hat im Zeichen der fördernd im Kleinen, sondern als strukturie- sondern gelebte Beziehung. Deshalb lautet Klasse gäbe, welche ihre Normen durchsetzt. kritischen Dekonstruktion mit den Gefühlen rend im Grossen verstehen. Die Sorge um das das zweite Axiom: Kulturpolitik 2028 moti- Doch die moderne Demokratie ist ein System aufgeräumt – mit dem Argument, sentimen- Kleine übergibt sie an die kulturellen Einrich- viert die Kulturschaffenden von der Gesell- rascher Umwälzung und verlangt, dass tale Konzepte seien Manipulationsinstru- tungen selbst. Folgend die fünf strukturellen schaft her. Denn im Unterschied zu Kunstpo- Herrschaft ein Wandlungsprozess ist, an dem mente und also das Disqualifikationsmerk- Paradigmen einer solchen Politik: litik bezieht Kulturpolitik die Gesellschaft mit alle Ebenen des sozialen Systems teilhaben. mal der populären Kultur. Kunst als neue ein. Jedes Verhalten ist durch Nutzenüberle- Die Gesellschaft erfindet sich in wach- Heimat starker Gefühle – das erzeugte Glück. A) Kulturelle Komplexe gungen bestimmt: Was bringt es mir, Ausstel- sendem Masse laufend neu in einem Wettbe- Weil es die Phantasie in Schwung bringt. Kulturpolitik 2028 wird die Institutionenland- lungen zu besuchen, was habe ich vom Gang werb divergenter Mikrowertsysteme, die Damit sind die Emotionen die Vorstufe zum schaft umgestalten in Funktion der sozialen ins Konzert, von der Lektüre eines Buches? auch eine kulturelle oder ästhetische Ausprä- fünften Motivator. Ich höre Musik, weil sie Dynamik. Eine Stadt braucht nicht drei Was also bewegt Menschen? Welche Motiva- gung finden. Deshalb kann es keine klare meine Phantasie anregt. Ich gehe ins Kino, Theater, die dasselbe tun, aber sie braucht toren könnte Kulturpolitik künftig nutzen? nationale Identität und auch keine herr- weil es mich packt – und phantasieren lässt. Häuser, welche unterschiedliche Kulturen schende kulturelle Norm mehr geben, Phantasie ist die elementarste Form von pflegen. Kulturen, die in Opposition zueinan- Zuerst kommt das Vergnügen, klar. Aber sondern nur noch den gesunden Widerstreit Freiheit. Kulturpolitik also als Summe von der stehen. Die Pflege und die Förderung Vergnügen allein reicht nur in Diktaturen aus, von Kulturen, welche Breite und Tiefe der Strategien zur Stimulierung der Phantasie? von Vielfalt verlangen ein bewusstes Fördern | swissfuture | | schweizer kulturpolitik 2028 |
widersprüchlicher Ansätze und Modelle, von suchen und erneuern sie im Ausschreibungs- tertem Auftrag. Es können auch Strukturen schaft, anstelle ihrer heute geforderten und kritischer Kunst, von affirmativer Kunst, von verfahren. Zur Neubesetzung fügt sich die sein, welche sich über verschiedene Instituti- praktizierten Vermischung macht es möglich, professioneller Kultur, von Laienkultur, von regelmässige Prüfung der Ergebnisse: die onen hinweg erstrecken, welche gemeinsam dass privates Geld die blinden Flecken der thematischen wie von l‘art-pour-l‘art- Analyse von Kohärenz und Dynamik des bestimmte landesweite Aufträge wahrneh- öffentlichen Förderung behebt und Neues Ansätzen, von traditionellen und folkloristi- Systems, Beteiligungsgrad der Öffentlichkeit, men. Denkbar sind umfassende Konzepte zur sich durchsetzen kann. schen Formen. Sprachen die Kulturgesetze Nachhaltigkeit des Outputs. Die Erfolgsindi- Förderung künstlerischer Videospiele oder früher von Volk, so reden sie heute von katoren werden situativ festgelegt und des Tanzes. Das bedingte allerdings eine Mit diesen fünf Instrumenten – komplexe Vielfalt – und meinen damit genau das politisch ausgehandelt. Delegation von Kompetenzen von unten Institutionen, Delegation des Kleinge- ständig wechselnde Gefüge kultureller nach oben; Vertrauen in zentrale Steuerung; schäftes, Metastrukturen, Entwicklungsmo- Subsysteme, welches heute eine Gesellschaft B) Delegation von Verantwortung im Interesse der kulturellen Dynamik. Unsere delle, Ausfinanzierung – lassen sich m.E. die konstituiert. Diese Institutionen der Zukunft Kulturpolitik 2028 gestaltet keine Inhalte derzeitige Bundesverfassung wie das neue eingangs angeschnittenen Probleme lösen: rüstet die Kulturpolitik mit komplexen mehr, sie kennt keine herrschende Ästhetik Kulturförderungsgesetz sind darauf nicht Die Kontingentierung begrenzt die subventi- Aufträgen aus. Nicht bloss Theater zu spielen, mehr, welche sie durchsetzt. Kulturelle vorbereitet – Kultur ist in diesem Lande noch onierte Produktion. Dafür legt sie die Verant- sondern auch den Künstlernachwuchs zu Komplexe im obigen Sinn implizieren bereits, immer lokaler sprich kantonaler Besitz. wortung in die Hände jener, welche die fördern, Autoren nachzuziehen, Laien dass Kulturförderung von morgen sich Bedingungen künstlerischer Arbeit selbst einzubinden, Theatertraining anzubieten, weitgehend von der Unterstützung des D) Langfristigkeit gestalten. Die meisten Projekte werden Quartierarbeit zu leisten, öffentliche Feste zu einzelnen Künstlers oder des Einzelprojektes Nicht alles, was Kulturförderung ausmacht, gefördert als Teil eines grösseren Zusam- gestalten, mit Verlagen zusammen zu verabschiedet. Diese erfolgt durch die wird sich in kulturellen Komplexen unter- menhanges. Dieser wiederum erzeugt arbeiten und die künstlerische Verantwor- Institutionen selbst, die man auch als weit bringen lassen – von den politisch zu zusätzlichen Sinn, speist Geschaffenes ein in tung für öffentliche Anlässe zu übernehmen. gespannte Produktionssysteme bezeichnen gestaltenden Rahmenbedingungen wie Mechanismen der Rezeption wie der wei- Ein Verlag kann genauso literarische Stipen- könnte. Nehmen wir zum Vergleich die Urheberrecht, soziale Sicherheit, Schutz des teren Bearbeitung und Beurteilung. Kultu- dien ausrichten wie ein Kulturförderer, mit Schweizerischen Bundesbahnen. Sie erhalten Erbes usw. abgesehen. Wo Förderinstanzen relle Komplexe geben damit Antwort auf drei Literaturhäusern und -festivals kooperieren, eine jährliche Subvention von 2.5 Mrd. weiterhin direkt mit Künstlerinnen und Probleme: Überproduktion, Bedeutungs- Übersetzungen fördern. Ein solches umfas- Franken auf Grund eines Leistungsauftrags, Künstlern arbeiten, muss es m. E. um mittel- schwund und Kompromisskultur demokra- sendes Wertschöpfungssystem, das nach dann lässt man sie machen. Längst haben wir fristige Entwicklungsprojekte gehen, vor tisch verfasster Fördergremien. Nur Inten- Sparten, sozialen Gruppen oder Medien im öffentlichen Verkehr das System hinter allem im Blick auf Ausland und internationa- danten können eindeutig entscheiden, organisiert sein kann, nenne ich einen uns gelassen, wo der Bund jede Bahnstrecke le Konkurrenzfähigkeit. Entwicklungspro- glaubhafte ästhetische Wahlen treffen. kulturellen Komplex. einzeln subventioniert. Nur bei der staatli- jekte heisst: Fördermodelle, welche mehrjäh- Deshalb empfiehlt sich auch da, wo staatli- Die Zahl solcher Komplexe ist flexibel, aber chen Kulturförderung braucht es vier rigen (finanziellen) Raum für Aufbauarbeit che Gremien Künstler direkt fördern, ein nicht beliebig hoch. Sie bündeln die kultu- Experten, um 20‘000 Franken freizumachen. schaffen. Inklusive Erfolgsdefinition und Intendantensystem mit regelmässiger relle Landschaft nach soziokulturellen Der Vorteil einer Delegation von Einzelent- Ausstiegsszenario. Ablösung. Kulturelle Komplexe fangen die Kriterien. Das bedeutet Kontingentierung, scheiden an kulturelle Komplexe: Biogra- sozialen Zentrifugalkräfte auf! aber kein Sparprogramm, denn die Komplexe phien wie Kleinprojekte werden Teil einer E) Ausfinanzierung und komplementäre Die Orientierung der Institutionenlandschaft brauchen für umfassende Portfolios umfas- umfassenden sozialen wie künstlerischen Welten an der sozialen Dynamik, verbunden mit der sende Mittel. Nur mittels Kontingentierung Sinnproduktion, sie werden dadurch aufge- Wenn der Staat komplexe Institutionen Pflicht der Kulturschaffenden, sich unters kriegen wir Produktion und Rezeption in ein wertet. Kuratoren, Kommissare oder wie die finanziert, muss er sie in Zukunft ausfinanzie- Volks zu mischen, übernimmt die Forderung Gleichgewicht, da wir mittels Subventionen Köpfe der neuen Institutionen einmal ren. Ausfinanzieren in einem Masse, das es nach kultureller Vielfalt, die mehr meint als den Markt ausschalten. Um die kontingen- heissen werden, entscheiden aus einer ihnen verbietet, private Gelder zu akquirie- künstlerische Vielfalt. Bündelung kleiner tierte Landschaft in Bewegung zu halten, künstlerischen Vision heraus; das gestattet ren. Sie sollen in der Lage sein, ihre Aufgaben Strukturen und Initiativen sowie Ausrichtung müssten die Aufträge alle paar Jahre neu ihnen, kohärente inhaltliche Entscheide zu aus eigenen Mitteln zu bestreiten. Private auf langfristige Entwicklung und Hilfe zur ausgeschrieben werden. Auch private fällen – was die demokratisch organisierte Gelder – von Sponsoren wie von Stiftungen – Selbstbehauptung im internationalen Markt Konsortien könnten sich um den Betrieb öffentliche Förderung nicht kann. bleiben Initiativen vorbehalten, welche nicht machen den willkürlichen Einzelentscheid kultureller Komplexe bewerben; in Bereichen staatlich beeinflusst sind; Stiftungsgelder vor überflüssig. Eine solche künftige Kulturpoli- wie Literatur oder Film liegt solches sogar C) Übergreifende Strukturen allem aber den Künstlerinnen und Künstlern. tik verlangt von uns Unmögliches. Sie auf der Hand. Auch ihre Partner im Einzelnen Kulturelle Komplexe kann man noch anders Die Aufteilung der Finanzierungswelt in eine verlangt, dass wir die Kontrolle über den – Kulturschaffende, Ensembles, Spezialisten – verstehen denn als Institutionen mit erwei- Art duales System, ähnlich der Medienland- Einzelfall preisgeben und dass wir auf die 10 | swissfuture | | schweizer kulturpolitik 2028 | 11
Pius Knüsel Durchsetzung eines künstlerischen Qualitäts- begriffs verzichten. Qualität ist immer an 1957 in Cham ZG geboren. Studium der Germanistik, Philosophie und Literaturkritik Kulturpolitik als Kontrollpolitik eine spezifische Kultur gebunden. Es wird an der Universität Zürich. Freiberuflicher Journalist, ab 1985 Kulturredaktor für das aber viele verschiedene Kulturen geben in 20 Schweizer Fernsehen; 1992 bis1997 Programmleiter des Jazz Clubs MOODS sowie Jahren. Deshalb wird es ratsam sein, dass wir des ersten Jazznojazz-Festivals in Zürich; 1993 Max Fuchs, Präsident des Deutschen Kulturrates bis 1997 Mitglied des Direktoriums des Widersprüche suchen statt sie zu umgehen, Europe Jazz Networks; 1998 bis 2002 Leiter dass wir sie ins Licht setzen und sich entwi- des Kultursponsorings der Credit Suisse; seit 2002 Direktor der Schweizer Kulturstiftung ckeln lassen. Kulturpolitik 2028 verlangt, dass Pro Helvetia; Mitbegründer des Forums Kultur und Ökonomie. Sporadische Auch wenn das nicht gerne offen ausgesprochen wird: Kulturpolitik ist Kon- Lehrtätigkeit in Kulturmanagement und Kulturpolitik u.a. an den wir komplexe Situationen schaffen, komplexe Universitäten von Basel, Neuchâtel, Lausanne und an der Zürcher trollpolitik. Kontrolle impliziert Macht. Wenn wir davon ausgehen, dass die Hochschule Winterthur. Aufträge vergeben und deren Ausführung Künste in Zukunft nicht aus der Gesellschaft verschwinden werden, dann wird inklusive der Entscheide an Dritte übergeben auch die Politik weiterhin Interesse haben, dieses Feld mitzugestalten – also – an unternehmerische Kuratoren in einem mit Macht darauf zu wirken. Allerdings sind auch andere Kräfte in diesem sozialen Sinne. Feld aktiv, zum Beispiel die Wirtschaft, die Zivilgesellschaft und überstaatli- Kulturverwalter hingegen geraten in die che Global Players. In welche Richtung könnte sich das Kräfteverhältnis in An- interessante Position, zu antizipieren, ent- betracht eines sich wandelnden Kunst- und Kulturverständnisses entwickeln? sprechende Modelle zu entwerfen und ihre Umsetzung zu beobachten, die Modelle anzupassen. Sie wälzen keine Gesuchsdos- 1. Kulturpolitik als Kontrollpolitik? Auffassung von Kulturpolitik sieht in dieser siers mehr, dafür Analysen und Projektionen. Obwohl seit mindestens 30 Jahren der weite eher eine weiche Form von Politik, die es mit Kulturförderer wären Ermöglicher von Kulturbegriff diskutiert wird, der unter der Förderung des Guten im Menschen zu Freiheit statt Verfüger von Standards. Künf- »Kultur« zwar auch die Künste versteht, der tun hat. Beides, der Kunstbereich selbst, aber tige Kulturverwalter werden, so ahne ich, aber Werte, Identitäten und Lebensweisen auch die Politik, die diesen Bereich gestalten mehr sozialwissenschaftliche Kenntnisse der Menschen mit einbezieht, sieht die will, stehen also zunächst einmal in einer benötigen, mehr verstehen von Wirkungsme- Realität anders aus. Besonders im deutsch- gewissen Distanz zum Terminus der Kontrolle. chanismen, mehr von Ökonomie, um reale sprachigen Raum denken die meisten Aber das ist pure Ideologie. Denn Kulturpoli- wie symbolische Wertschöpfung zu fördern. Menschen im Kulturbereich bei »Kultur« tik ist zunächst einmal Politik – und nicht Sie schaffen das Unglaubliche, paradoxe nach wie vor an die Künste. Man betrachte Kultur. Sie funktioniert wie jede Politik mit Situationen auszuhalten, Widersprüche zu nur einmal den Kulturetat einer beliebigen dem Medium der Macht. Es geht ausserdem kultivieren. Sie schaffen es, Entscheide im grösseren Stadt. Sofern die Stadt über ein im Kulturbereich um sehr viel Geld, Arbeits- grossen Massstab zu fällen (oder zu beantra- Theater, ein Opernhaus, einige Museen und plätze und zunehmend um öffentliche gen) und die kleinen Entscheide zu überge- vielleicht sogar noch über ein Konzerthaus Aufmerksamkeit sowie Reputation. Es wäre ben an jene, welche das Wesen künstleri- verfügt, wird man sehr leicht feststellen, dass also sehr naiv, zu glauben, der Bereich der schen Schaffens näher kennen. Wir nehmen mindestens 80 Prozent des Kulturetats durch Kultur sei ein machtfreier Raum. Auch die also Abschied von der heimlichen Mäzena- diese Kunsteinrichtungen verbraucht sind. Künste selber haben unmittelbar mit Macht tenexistenz, eingebettet in Kommissionen. Kulturpolitik ist in der Realität überwiegend zu tun. Es gibt Machtkämpfe innerhalb der Dafür wird Kulturpolitik das Zusammenspiel Kunstpolitik. Ich werde mich im folgenden einzelnen Kunstsparten. Ich erinnere etwa an von Kunst und Gesellschaft ins Zentrum auf die Künste konzentrieren. Dies bedeutet, »Laokoon« von E. Lessing, in dem er die Frage rücken. Kulturförderer 2028 sind Architekten dass die Themenstellung meines Beitrages diskutiert, welche Kunstform (Literatur oder der Identifikation. die Künste mit dem Begriff der Kontrolle bildende Kunst) am besten geeignet ist, um konfrontiert. Bei den Künsten denkt man Angst und Entsetzen auszudrücken. Solche Dieser Text kombiniert eine gekürzte Fassung der Rede »Vom Verschwin- den der Kultur«, gehalten am 05.03.2008 anlässlich des Forums Kultur und sofort an Kunstautonomie und Kunstfreiheit, Fragen der Konkurrenz zwischen den Kunst- Ökonomie 2008 in Bern und eine redigierte Fassung der Rede »Vom Wiederauftauchen der Kultur«, gehalten am 18.04.2008 in Zürich im also zwei Werte, die in den Verfassungen der formen sind immer schon sehr ernsthaft Rahmen des Kongresses »Kulturmanagement 2.0«. Staaten verankert sind. Beide Werte stehen diskutiert worden und spielen bis heute aber in einem klaren Gegensatz zu Kontrolle. etwa dort eine Rolle, wo man in den ver- Auch die Kulturpolitik tut sich schwer mit schiedenen Ländern »kulturelle Leitmedien« dem Begriff der Kontrolle. Eine verbreitete unterscheiden kann. 12 | swissfuture | | schweizer kulturpolitik 2028 | 13
Der vielleicht wichtigste Beleg dafür, dass Gerade weil die meisten um die Macht der Wirkungsbehauptungen? Es gibt eine Weise einer subjektlosen Gewalt in der Kunst kein machtfreier Raum ist, stammt vom Künste wissen, auch wenn sie nicht die ständig anwachsende Zahl von Wirkungsstu- globalisierten Welt beschrieben wird. Interes- französischen Kultursoziologen Pierre Schriften von Bourdieu gelesen haben, dien, die belegen, dass die Hoffnungen in die sant in Hinblick auf Fragen der Macht ist Bourdieu (v.a. 1987). Er hat es geradezu als erscheint ihnen die Kontrolle dieses Kontroll- Wirksamkeit der Künste bei dem Individuum auch, dass in den letzten Jahren der franzö- eine Lebensaufgabe betrachtet, die idealisti- mittels Kunst sehr wichtig. Dies lässt sich in nicht unbegründet sind. Schwieriger ist es sische Sozialwissenschaftler Michel Foucault sche Autonomieästhetik im Anschluss an der Geschichte zurückverfolgen bis hin zu allerdings, die sozialen Wirkungen der Künste eine unglaubliche Konjunktur hat und Kant zu widerlegen. Kunst, so seine Aussage, dem Einsatz von Brot und Spielen zur festzustellen. Die vielleicht wichtigste gerade dabei ist, seinen Landsmann Pierre ist mitnichten harmlos und nur auf das Gute Besänftigung der Menschen im alten Rom. empirische Studie stammt von dem eng- Bourdieu von der Spitzenposition der im Menschen bezogen, sondern das Gegen- Und vermutlich wird man auch bei den lischen Sozialforscher François Matarasso meistzitierten Sozialwissenschaftler zu teil ist richtig. Bourdieu hat nämlich nicht Höhlenmalereien diese Machtdimension (2000). Matarasso hat in umfangreichen verdrängen. Insbesondere ist es seine bloss in theoretischen, sondern in umfang- finden (Faulstich 1997). Die Erhaltung von Studien in den unterschiedlichsten Ge- dialektische Theorie der Macht, die zum reichen empirischen Studien gezeigt, dass es Massenloyalität auch mit Hilfe künstlerischer genden Englands die soziale und politische Verständnis unserer Gesellschaft ausgespro- einen engen Zusammenhang gibt zwischen Programme hat immer wieder sowohl in Wirksamkeit entsprechender kulturpoli- chen nützlich erscheint. Denn zum einen Gruppen von Menschen in der Gesellschaft Demokratien, aber auch in Diktaturen eine tischer Strategien mit einer Vielfalt empi- rehabilitiert Foucault die Macht als das nicht mit ihren spezifischen ästhetischen Präfe- grosse Rolle gespielt. rischer Methoden erforscht und er kam zu nur schlechthin Böse, sondern er zeigt, dass renzen und ihrem sozialen Platz in dieser Nun könnte man meinen, dass all diese einer Liste von 50 eindrucksvollen Wir- Macht geradezu anthropologisch notwendig Gesellschaft. Man kann dies auf die lapidare Aussagen über die politische Wirksamkeit kungen. Als Fazit kann man feststellen, dass ist (Ordnung als Grundlage von Freiheit, so Formel bringen: Sage mir, was du kulturell der Künste überhaupt nicht stimmen. Am man einen Grossteil der Wirkungen von bereits Ernst Cassirer). Und er zeigt, dass wir konsumierst, und ich sage dir, an welchem profundesten hat diese These die Erzie- Kunst inzwischen auch auf seriöse Weise alle Akteure in diesem Spiel um die Macht Platz der Gesellschaft du stehst. hungswissenschaftlerin Yvonne Ehrenspeck belegen kann. Und weil dies so ist, wird man sind und zwar in der doppelten Funktion des in ihrem Buch »Versprechungen des Ästhe- nicht erwarten können, dass man die Ent- Opfers und des Täters. 2. Einige weitere Gründe dafür, dass es tischen« (1998) ausgearbeitet. In einem wicklung der Künste und ihre Verbreitung in Neben diesen neuen Ansätzen, mit Macht weiterhin eine Kulturpolitik geben wird Durchgang durch die Geschichte führt sie der Gesellschaft sich selbst überlässt. Kultur- umzugehen, gilt natürlich immer noch ein Im ersten Abschnitt habe ich einige kulturso- zahlreiche Beispiele dafür auf, wie man politik als der Politikbereich, der die Entwick- traditionelles Akteursmodell in der Kulturpo- ziologische Argumente dafür gesammelt, immer wieder die Überzeugung formuliert lung und Verbreitung von Künsten zu steuern litik (Fuchs 2007). So unterscheidet man warum die Künste im Hinblick auf Macht und hat, dass ein Umgang mit Kunst und dem versucht, wird nach wie vor Relevanz behalten. üblicherweise bei der Herstellung kultureller Gesellschaft relevant sind und weswegen Ästhetischen alle möglichen Fortschritte in Güter und Dienstleistungen die drei Bereiche Kulturpolitik als Versuch, diese Künste zu der menschlichen Entwicklung sicherstellt. 3. Wer hat die Macht in der Kulturpolitik? Markt, Staat und den Dritten Sektor, die steuern, gerade in machtpolitischer Hinsicht Ich selber habe vor etwa 15 Jahren (in Fuchs/ In früheren Zeiten war Macht verbunden mit Zivilgesellschaft. Dieses Drei-Sektoren-Modell so interessant ist. Ein zweites Argument Liebald, 1995) in einem Durchgang durch körperlicher Gewalt, und wenn man gesehen gilt jedoch nicht bloss für die Produktion von dafür, dass die Künste bleiben werden, relevante Literatur 90 Wirkungsbehaup- hat, wie die Schergen und Soldaten eines Kunst und Kultur, es gilt auch in der Kultur- gewinnt man aus anthropologischen Überle- tungen zusammengestellt, in denen die Fürsten die Menschen verprügelten, dann politik. Ich will daher zur politischen Rolle der gungen. Ich stütze mich auf Ernst Cassirer tollsten Entwicklungen bei dem Individuum musste man sich nicht mehr die Frage drei Akteure einige Bemerkungen machen. und seine Philosophie der symbolischen oder in der Gesellschaft durch einen Um- stellen, wer die Macht hat: Die Macht war Staat: Dass der Staat ein entscheidender Formen, in der er zeigt, dass es eine Reihe gang mit Kunst versprochen werden. Das sichtbar für Jedermann (Mann 1994). Heute Akteur in der Kulturpolitik ist, muss nicht gleichberechtigter Zugangsweisen zur Welt Problem bei diesen Wirkungsbehauptungen ist das alles etwas komplizierter. Macht und besonders hervorgehoben werden, gerade in gibt. Er unterscheidet etwa die Sprache, die war, dass keine davon auch nur annähernd Gewalt sind unsichtbar geworden. Man kontinentaleuropäischen Ländern. In etwas Religion, die Wissenschaft, die Politik, die empirisch belegt war. Interessant ist, dass spricht inzwischen sogar von einer »subjekt- älteren Definitionen zur Kulturpolitik findet Technik, die Wirtschaft und eben auch die man in den letzten Jahren auch in der losen Gewalt« (Gerstenberger 2006). Viele man dies auch ungeschminkt ausgespro- Künste. Er zeigt, dass sich keine dieser ästhetischen und Kunsttheorie keine Scheu erinnern sich vielleicht noch an die vorletzte chen, wenn man etwa sagt, dass Kulturpolitik »symbolischen Formen« als Weltzugangswei- mehr hat, nicht bloss von Wirkungen, son- documenta XI, die sich unter dem Stichwort des Staates ein Mittel der ideellen Vergesell- sen durch die anderen ersetzen lässt, weil dern sogar von Funktionen von Kunst zu »Postcolonialismus« sehr stark um Künstle- schaftung im Interesse der Aufrechterhal- jede die Welt auf eine ganz spezifische Weise sprechen (Kleimann/Schmücker 2001). Man rinnen und Künstler aus Afrika, Asien und tung der jeweiligen staatlichen Ordnung ist. erfasst. Daher kann man mit guten Gründen erwartet sogar eine soziale oder individuelle Südamerika gekümmert hat. Das Kultbuch Der Staat ist immer noch ein wichtiger die These aufstellen: Ohne Kunst ist mensch- Wirksamkeit von Kunst. der Kuratorengruppe war Hardt/Negri: Akteur, denn er setzt die Rahmenbedin- liches Leben ein unvollständiges Leben. Wie steht es heute mit dem Beleg solcher Empire (2003), in dem genau diese neue gungen, weil er die Gesetzgebungskompe- 14 | swissfuture | | schweizer kulturpolitik 2028 | 15
tenz hat. Der Staat ist zudem ein wichtiger tik über diese unmittelbar mit Kultur verbun- im Kontext der Vereinten Nationen erstellen kleinen Verlage, den kleinen Kunsthandel, die Förderer, weil er erhebliche Mengen an Geld denen Produzenten weit hinaus. So ist das sollten. Diese Expertise kam zum Ergebnis, kleinen Medienbetriebe überrollen könnten. in die Kulturförderung steckt. Und schliess- zentrale grundlegende Gesetz zur Sicherung dass ohne die weltweiten zivilgesellschaft- Schutzmassnahmen könnten darin bestehen, lich ist der Staat auch dort wichtig, wo er in der Existenz der Menschen mit künstleri- lichen Organisationen wichtige Themen wie dass man den Wettbewerb bei den Büchern staatlichen oder staatsnahen Einrichtungen schen Berufen das Urheberrecht. Die Ent- Menschenrechte, Armut, Gewalt und Erhal- ausschaltet und die Buchpreise verbindlich Einfluss darauf nimmt, welche Personen wicklung der Technik bringt es nunmehr mit tung der Natur überhaupt nicht auf die festlegt. Schutzmassnahmen könnten auch wichtige Funktionen im Kulturbereich sich, dass es immer neue Verbreitungswege Tagesordnung der Vereinten Nationen bestimmte finanzielle Fördermassnahmen übernehmen sollen. kultureller Inhalte gibt. Ein Beispiel ist der gekommen wären. Die Ursache liegt darin, oder bestimmte steuerliche Vergünstigun- Wichtig im Hinblick auf die Rolle des Staates jetzt beendete Streik der Drehbuchautoren dass in den 200 Staaten, die es auf der Welt gen sein. All dies wird in vielen Ländern auch ist, dass zunehmend die Kompetenzen für in Hollywood, bei dem es auch darum ging, gibt und die Mitglied in den Vereinten so betrieben. Allerdings hat sich hier eine Kulturpolitik nicht mehr in den entspre- dass die Drehbuchautoren einen gerechten Nationen sind, nur die wenigsten den hohen sehr starke, lange Zeit von der Kulturpolitik chenden kulturpolitischen Ressorts der Anteil an der Vermarktung ihrer Produkte Standards einer Demokratie genügen. Daher überhaupt nicht zur Kenntnis genommene Regierungen und Administrationen liegen, über das Internet und über DVDs haben braucht eine humanistische Weltpolitik Bewegung in der Wirtschaftspolitik ergeben. sondern dass kulturfremde Ressorts eine wollten. Diese Ausdehnung des Urheber- nichtstaatliche Organisationen, da man sich So gibt es seit 1995 das so genannte GATS- hohe Relevanz bekommen. Wenn wir über rechtes hat zur Frage geführt, wie man in auf die Regierungen der meisten Staaten Abkommen (General Agreement on Trades die soziale Absicherung von Künstlerinnen dieser virtuellen Welt des Internets über- nicht verlassen kann. Diese hohe Bedeutung und Services), das sich zum Ziele setzte, auch und Künstlern sprechen, dann haben wir es haupt jemanden zur Finanzierung der der Zivilgesellschaft findet sich insbesondere bei den Dienstleistungen eine Liberalisie- mit dem Sozialminister zu tun. Wenn wir uns Nutzung künstlerischer Produkte finden bei dem jüngsten völkerrechtlichen Instru- rung der Märkte herbeizuführen. Der mit der Welthandelsorganisation und dem kann. Die Lösung bestand darin, dass man ment, der Konvention zur kulturellen Vielfalt Dienstleistungsbegriff der Welthandelsorga- GATS-Abkommen herumschlagen, um zu dort, wo man von der Virtualität des Inter- der UNESCO, wieder, auf die ich jetzt ab- nisation, in dessen Kontext dieses GATS- verhindern, dass reines Marktdenken nun nets in den gegenständlichen Bereich schliessend eingehen werde. Abkommen platziert ist, erfasst Bildung, auch im Bereich der Kultur, der Bildung und übergeht, einen Anknüpfungspunkt finden Gesundheit, Kultur und Kunst und die der Medien Platz greifen soll, dann ist unser kann. Man hat sich nämlich überlegt, dass 4. Die UNESCO-Konvention zur öffentlichen Medien. Ein Staat, der sich bereit Partner der Wirtschaftsminister. man auf Drucker – ähnlich wie auf Kopierge- kulturellen Vielfalt erklärt, die genannten Felder der Zuständig- Eine zweite Entwicklungstendenz besteht räte – einen Betrag aufschlägt. Für die Die UNESCO ist bekanntlich diejenige keit des GATS-Abkommens zu unterwerfen, darin, dass der Nationalstaat zwar weiterhin Kulturpolitik bedeutet dies, dass als neuer Unterorganisation der Vereinten Nationen, dürfte in Zukunft keine öffentlichen Gelder existiert und wichtige Regelungsfunktionen kulturpolitischer Partner die Geräteherstel- die einen klaren kulturpolitischen Auftrag mehr für Kultur ausgeben (illegale »Subven- hat, dass aber trotzdem überstaatliche lung im Bereich digitaler Medien aufge- hat. So wichtig die UNESCO im ideellen tion«), er dürfte auch keine gesetzlichen »Global Players« eine entscheidende Rolle taucht sind, an die vor 10 oder 15 Jahren Bereich war, so wenig kann man behaupten, Regelungen treffen, die in den dann »freien« spielen. In Deutschland gehört zu diesen die noch niemand als kulturpolitischer Akteur dass sie bisher in der harten Machtpolitik Kulturmarkt eingreifen würden. Eine interna- Europäische Union. Man spricht inzwischen gedacht hat. eine grosse Rolle gespielt hat. Dies hat sich in tionale Auseinandersetzung in der Kulturpo- davon, dass in einzelnen Politikfeldern über Dritter Sektor/Zivilgesellschaft: Die Zivilgesell- den letzten Jahren erheblich verändert. Und litik bestand daher darin, gegen eine Aufnah- 80 Prozent der zu treffenden gesetzlichen schaft, vor allem die organisierte Zivilgesell- dies hat vor allen Dingen mit der jetzt me von Kunst und Medien in das Regelungen nicht mehr im Nationalparla- schaft der Verbände, hat in der Politik nicht anzusprechenden Konvention zur kulturellen GATS-Abkommen zu kämpfen. ment entschieden werden, sondern von der immer einen guten Ruf. Man sprach vom Vielfalt zu tun. Eine starke Motivation hat mit Diese Abwehrkämpfe waren allerdings den Kommission der Europäischen Union kom- Verbändestaat und nannte dies »Korporatis- der Befürchtung zu tun, dass eine ökono- Kulturpolitikern in verschiedenen Ländern men und nur noch in nationales Recht mus«. Dieser negativen Sichtweise steht aber mische Globalisierung nationale, regionale nicht genug, so dass sie sich überlegt haben, umgesetzt werden müssen. Auf die Welthan- in den letzten Jahren verstärkt eine positive und lokale kulturelle Ausdrucksformen ein weiteres starkes Instrument gegen diese delsorganisation WTO als relevanten Global Bewertung gegenüber, die soweit geht, dass unterdrücken könnte. Ein starker Impuls im Vermarktung der Künste zu installieren. Die Player komme ich später zurück. Und natür- man in den Verbänden und in den zivilgesell- Vorfeld der Konvention kam aus Kanada. Man tragfähigste Idee bestand darin, das damals lich sind im kulturpolitischen Bereich die schaftlichen Organisationen die Hoffnungs- erinnere sich, dass Kanada etwa 8000 km gut eingeführte Leitkonzept der kulturellen UNESCO und der Europarat zu nennen. träger der Demokratie sieht. So hat der UN- offene Grenzen zu den USA hat. In den USA Vielfalt – es gab bereits die »Universelle Wirtschaft: Bei einer Thematisierung der Generalsekretär Kofi Annan als eine seiner sitzen die grossen global Players der Kultur- Erklärung zur kulturellen Vielfalt« der Wirtschaft im Kulturbereich denkt man heute letzten Amtshandlungen eine Gruppe von so wirtschaft. In Kanada gab es immer stärker UNESCO aus dem Jahre 2001, die jedoch sofort an die Creative Industries, doch geht genannten »eminent persons« berufen, die werdende Befürchtungen, dass diese mäch- keinerlei rechtliche Bindekraft hat – zu die Relevanz der Wirtschaft in der Kulturpoli- ein Gutachten zur Rolle der Zivilgesellschaft tigen kulturwirtschaftlichen Akteure die nutzen und eine Konvention zu ihrem 16 | swissfuture | | schweizer kulturpolitik 2028 | 17
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