ERFOLG IST, WENN TRADITION WEITERGEFÜHRT WIRD.
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EDITORIAL | 3 «STA BAIN»* «IN BEWEGUNG» E T nde September war mein letzter Arbeitstag bei Raiff- radition und Wandel sind zwei Konstanten in der eisen. Ich blicke auf 19 ungemein bereichernde Jahre 116-jährigen Geschichte von Raiffeisen. Die eine und viele wertvolle Begegnungen zurück. Ich habe mich steht für Kontinuität, die andere für Veränderungen. in all dieser Zeit stets als Vermittler und Netzwerker, manch- Bei Raiffeisen gehen wir Veränderungen – oder wie es im mal auch als Denker und Lenker verstanden. Was mich per- Fachjargon heisst: Entwicklungs- und Changeprozesse – so sönlich freut: Unsere 292 Banken sind weitestgehend autonom an, dass wir unsere Stärken ausbauen und unsere eigenen geblieben, auch was ihre Entscheidungskompetenz betrifft. Antworten auf Themen wie Digitalisierung, Regulierung Selbstkritisch muss ich aber auch feststellen, dass wir im und Strukturwandel haben. Wir setzen also beim Wandel Anlage- und Firmenkundengeschäft noch viel Luft nach oben keine Abrissbirne ein, die keinen Stein auf dem anderen haben. Raiffeisen ist dennoch sehr gut aufgestellt, auch weil lässt. wir mit meinem Nachfolger Patrik Gisel eine interne Lösung Wir könnten auch nur stehen bleiben und uns ausruhen. finden konnten. Diese Kontinuität stimmt mich persönlich Wenn wir aber in einem stetig sich wandelnden Markt sehr zuversichtlich. Das Schöne ist, dass Patrik alles anpacken umfeld bestehen wollen, müssen auch wir uns bewegen und eine neue Sichtweise für das bisherige Geschäft ent- und verändern. Der Wandel ist wie eine Reise, deren Ziel wickeln kann. wir zwar kennen, nicht aber die Unwägbarkeiten auf dem Meinen Ratschlag braucht er dabei sicher nicht. Für die Weg dorthin. Die Raiffeisenbanken können solche Reisen Zukunft von Raiffeisen wünsche ich mir, dass die Schweizer ohne Hektik angehen, weil sie in der Region tief verwurzelt Bevölkerung Raiffeisen nicht nur glaubwürdig, sympathisch, sind, weil sie sich kennen und einander vertrauen. Sie arbei- verlässlich und vertrauenswürdig, sondern auch kompetent in ten immer schon im Netzwerk zusammen, sie haben ein ge- allen Finanzfragen findet. Für mich persönlich geht es nun meinsames Verständnis und laufen alle in dieselbe Richtung. darum, die nächsten 30 Jahre in meiner Lebensplanung aktiv Raiffeisen ist in voller Fahrt, offen, bereit für Neues und anzugehen. stabil für Unerwartetes. Die Raiffeisen Gruppe zu führen, Eines ist aber jetzt schon sicher: Was immer ich geschäft- die sich aus Tradition dem Wandel verpflichtet fühlt, ist eine lich noch anpacken werde, die Latte für die Identifikation mit faszinierende Aufgabe, mehr noch: ein Privileg. Ich begebe einem Unternehmen ist nach meiner Zeit bei Raiffeisen hoch mich voller Leidenschaft gemeinsam mit den Mitarbeiten- angesetzt. den und mit Ihnen auf diese spannende Reise. Ich wünsche Ihnen, liebe Mitglieder, Kunden und Mitar- Ihnen als Mitglied oder Kunde kann ich versprechen: beitende, alles Gute. Bleiben Sie der coolen Marke Raiffeisen Raiffeisen bleibt Raiffeisen, gerade weil wir uns stetig treu verbunden, so wie ich dies tun werde. verändern werden. Sie können mich beim Wort nehmen. Pierin Vincenz Patrik Gisel Vorsitzender der Geschäftsleitung CEO Raiffeisen Schweiz der Raiffeisen Gruppe (bis 30.9.15) (seit 1.10.15) *Rätoromanisch für «Auf Wiedersehen» PANORAMA RAIFFEISEN 3/2015
INHALT FOKUS RAIFFEISEN IM WANDEL 6 RÜCKBLICK – Auf den Spuren des Erfolgs von Pierin Vincenz, der sich nach 15 Jahren an der Spitze von Raiffeisen verabschiedet hat. 9 AUSBLICK – Der neue CEO Patrik Gisel im Gespräch: «Raiffeisen zu führen ist ein Privileg.» 12 EINBLICK – Fast 10 000 Mitarbeitende von Raiffeisen trafen sich zum gemeinsamen Austausch in Basel. Ein Bericht mit Eindrücken und Stimmen vor Ort. 18 ÜBERBLICK – VR-Präsident Johannes Rüegg-Stürm zum speziellen Zustandekommen der neuen Grundstrategie von Raiffeisen. 20 WEITBLICK – Kein Geschäftsmodell, das sich den rasanten Entwicklungen verschliessen darf. Wir zeigen, was die Digitalisierung fürs Retailbanking heisst. 12 GELD 23 AUFTAKT – Über kollegialen Besuch aus Brasilien, die neue Crowdfunding-Plattform von Raiffeisen und die Geschichte des Schweizer «Batzens». 24 E-BANKING – Raiffeisen hat sich ein neues, modernes CHF 5 Online-Banking verpasst. Wir fragen nach, was es damit auf sich hat. 1689 28 KOLUMNE – Martin Neff über die Folgen von 7381 0436 Immobilienerwerb, die oft vergessen gehen. 5692 30 ANLEGEN – Wer sein Geld sinnvoll anlegen will, sollte einige wichtige Regeln beachten. Wir zeigen, worauf es ankommt. 32 WIRTSCHAFT – Wohin führt die steigende Staats verschuldung in Europa? Wie ist es um die Schweizer 20 Exportindustrie bestellt? Antworten im Überblick. 36 DARK SIDE OF MONEY – Bei Online-Käufen geht leicht vergessen, wie wichtig sichere Passwörter sind, um sich vor Missbrauch zu schützen. SWISSNESS 40 AUFTAKT – Wir porträtieren die Toggenburger Scherenschnittkünstlerin Jolanda Brändle, die das aktuelle Cover gestaltet hat. 42 ZU GAST – Auf Besuch beim Glarner Traditionsbetrieb IM SCHERENSCHNITT-PROFIL horgenglarus, wo seit Generationen zeitlose Stühle Den Wechsel an der Spitze von Raiffeisen hat entstehen und ihren Weg in die Welt finden. Jolanda Brändle für unsere aktuelle Ausgabe treffend in Szene gesetzt. Mehr über die Künstlerin auf Seite 40. 3/2015 PANORAMA RAIFFEISEN
Gewinnen Sie Gold! 48 BLICK ZURÜCK – Keine 70 Jahre ist es her, als Armut Wie gefällt Ihnen unser Magazin? Machen Sie mit bei und Hoffnung auf ein besseres Leben den ländlichen unserer Umfrage und sagen Sie uns, wie wir noch besser Schweizer Alltag prägten. werden können. raiff.ch/survey 50 KOLUMNE – Der Publizist und Autor Richard Reich über den Schulanfang bei den Burgers und den Übereifer des Elternstolzes. LANDAUF LANDAB 53 JUBILÄUM – Die Raiffeisen Familienferienwochen feiern ihr 10-jähriges Bestehen. 55 LOHNENDER EINSATZ – Im Wallis entstehen neue Ideen, der Verein «Rhyboot» bekommt mehr Platz, die Mülimatter Mehlschwalben erhalten passende Nistplätze, Nicole Koller holt Gold und in Untereggen lockt ein 42 neuer Grillplatz zum BBQ. 57 BESCHIRMEN UND GLEITEN – Regen und Winter können kommen: Raiffeisen offeriert Gratis-Schirme und Langlaufkurse. 57 IMPRESSUM MEMBERPLUS 59 SCHWEIZER MUSEEN – Die Schweiz ist nicht nur ein Land der Berge, Seen und Pärke, sondern auch eines der Museen. Raiffeisen-Mitglieder profitieren von 48 Gratis-Eintritten und vielen weiteren Vorteilen. RAIFFEISEN Blog Finanzinformationen, Videos, Tipps zu Geldfragen, Wettbewerbe, Hintergründe und Umfragen finden Sie auf dem Raiffeisen-Blog, a uf Facebook und Twitter. panorama-magazin.ch facebook.com/raiffeisen.ch twitter.com/raiffeisen_ch 50 PANORAMA RAIFFEISEN 3/2015
Pierin Vincenz auf einem überdimensionierten Sofa der Künstlerin Pipilotti Rist auf dem Roten Platz in St.Gallen, wo sich der Sitz von Raiffeisen Schweiz befindet. EINE KARRIERE MIT VIEL SCHUB Eine der glanzvollsten Bankerkarrieren der Schweiz ging Ende September zu Ende. Raiffeisenchef Pierin Vincenz trat nach 19-jähriger Tätigkeit für die Genossenschaftsbank zurück. 15 Jahre davon war er Vorsitzender der Geschäftsleitung von Raiffeisen Schweiz. Autor Beat Schmid Foto René Ruis (Keystone)
FOKUS Raiffeisen im Wandel | 7 A ls ich angefragt wurde, einen Text über Pierin Vincenz zu Prozent auf 154 Milliarden Franken zu. Die Zahl der Genossen- schreiben, dachte ich zunächst an einen Witz. Warum schafter erhöhte sich von 1,4 auf 1,9 Millionen. Heute zählt Raiffeisen ausgerechnet ich, wo ich doch eine der schwierigsten 3,7 Millionen Kunden. Der Mastermind hinter diesem epochalen Beziehungen zum Raiffeisenchef habe, die man sich als Journalist Wandel war Pierin Vincenz – der Bündner Bueb aus Andiast. überhaupt denken kann? Ende 2008 trat ich mit einer Artikelserie einen Shitstorm los, welcher das «Raiffeisenreich erschütterte», wie Bentley bei der Büezerbank? «Das Magazin» später in einem Porträt schrieb. Warum also? Man Es war gegen Ende 2008, als jemand auf der Redaktion den Anstoss solle keine permanenten Freunde und keine permanenten Feinde gab, die Euphorie in St. Gallen zu stören. Ein leitender Kollege kam haben, sagte mir einst der Greenpeacechef Kumi Naidoo. Kein auf mich zu und sagte in verschwörerischem Ton: «Ich habe gehört, schlechtes Motto für eine der grössten Non-Profit-Organisationen dass bei Raiffeisen etliche Luxusautos in der Tiefgarage stehen, teu- der Welt, dem ich mich gerne anschliesse. In diesem Sinn nahm ich re Porsches, sogar ein Bentley und ein Aston Martin sollen darunter die Einladung dankend an. sein. Dem müsste man vielleicht mal nachgehen...» Hörte ich rich- tig, ein Bentley? Bei Raiffeisen, der Bauern- und Büezerbank? Wie Ein Meister der Kommunikation passte das zum sorgsam gepflegten Anti-Hochglanz-Image der Zum ersten Mal traf ich Pierin Vincenz im Frühling 2007 in seinem Genossenschaftsbank? Fahren denn dort nicht alle einen Büro in St. Gallen. Ich spazierte vom Bahnhof über den «Roten «Buure»-Subaru? Falls nicht, dann wäre das vielleicht tatsächlich Platz» Richtung Hauptsitz. Der in Raiffeisen-Farbe übertünchte eine Geschichte wert. Boden markierte eindrücklich, dass die Bank nicht mehr die «Brot- Auf jeden Fall war es wert, dem Hinweis nachzugehen. Die und-Wurst»-Bank sein wollte, für die sie am Zürcher Paradeplatz Gelegenheit bot sich mir in einer ruhigen Woche, als der globale belächelt wurde. Der Raiffeisen- Finanzstrom kurzzeitig eine Pau- Platz und der grosszügige Haupt- se einlegte. Mit meinem alten sitz unterstrichen den Anspruch «Der Mastermind hinter Volvo tuckerte ich nach St. Gallen der Bankengruppe, zu einem Faktor im Schweizer Banking Raiffeisens epochalem Wandel und legte mich buchstäblich auf die Pirsch. Ich sah zwei Dinge, die werden zu wollen. Das dachte war Pierin Vincenz, der Bündner meinen journalistischen Killer- ich damals, als ich mich zum Ge- instinkt weckten: Zum einen, sprächstermin begab. Bueb aus Andiast.» tatsächlich, all die teuren Autos, Das Interview selbst drehte Beat Schmid, Wirtschaftsjournalist die ich erspähen konnte (den Bent- sich dann vor allem um das ley sah ich allerdings nicht). Und Thema Frauenförderung und Vereinbarkeit von Familie und Beruf. dann Pierin Vincenz selbst, der – welch ein Zufall – genau vor mei- Vincenz sagt e damals, dass er binnen sechs Jahren 30 Prozent Frau- nen Augen aus dem Fond eines stark motorisierten Audi A8 mit en im Topkader haben wollte. Mit seinen Gedanken zu Frauen, Teil- verlängertem Radstand und St. Galler Nummernschildern stieg. Mit zeit und Kinderkrippen positionierte er sich als ein moderner Ma- einem entspannten Lächeln verabschiedete er sich vom Chauffeur nager, der seine Berufskollegen später noch mehrmals vor den Kopf und verschwand federnden Schrittes im Haupteingang des impo- stiess. Zürcher Bankern schien die Idee einer firmeninternen Kin- santen Raiffeisen-Zentralsitzes. dertagesstätte etwa so fremd wie die Abschaffung des Bankgeheim- Auf der Rückfahrt machte ich mir Gedanken, wie man dies zu nisses. Vincenz aber offenbarte damit sein ausserordentliches Kom- einer Geschichte verarbeiten konnte. Es war mir klar, dass diese Be- munikationsgeschick, mit dem er in seiner Karriere immer wieder obachtungen bei Weitem nicht ausreichten. Aber es waren immer- brillierte und das ihn von seinen Kollegen so deutlich unterschied. hin süffisante anekdotische Anhaltspunkte, die nahelegten, dass das Nach der ersten Begegnung hatte ich zunächst nicht mehr viel Image der Raiffeisenbanken (ländlich, bescheiden, bieder) offen- mit Raiffeisen zu tun. Die globale Finanzkrise zog herauf. UBS und sichtlich nicht mit der gelebten Realität (Luxusautos, persönlicher Credit Suisse sorgten ab Herbst 2007 für dicke Schlagzeilen und Chauffeur) übereinstimmte – zumindest nicht in St. Gallen. Die beschäftigten uns Bankjournalisten bis zur Belastungsgrenze. Für Fallhöhe, wie wir Journalisten das nennen, also die Diskrepanz die damals 390 Genossenschaftsbanken (heute 292) war die Finanz- zwischen vorgespieltem Schein und gelebtem Sein, war gemäss krise ein Segen. Die Banken auf dem Land mussten lediglich die meiner Einschätzung gross genug, um weitere Recherchen zu Schalter öffnen und die Notenbündel verunsicherter Kunden ent- rechtfertigen. gegennehmen. Die Neugeldzuflüsse, die sie periodisch nach St. Gal- len meldeten, sorgten am Sitz von Raiffeisen Schweiz für Euphorie. Sturm aus heiterem Himmel Es war die Zeit, als Raiffeisen zum Halali auf die Grossbanken blies Der Rest ist mehr oder weniger Geschichte: Ende 2008 publizierte und erstmals so richtig «Schub» gab, wie Vincenz gern sagte. ich eine Reihe von Artikeln, die dieses Image ein wenig korrigieren Eine Entwicklung war in Gang gesetzt, welche die behäbige Ban- sollten. Bei der ersten Geschichte ging es um den Lohn von drei bis kengruppe innert weniger Jahre zu einem der führenden Finanz- vier Millionen Franken (Vincenz bestätigte das nie). In einer an- dienstleister der Schweiz katapultieren sollte. Die Bilanz schwoll deren um Privilegien, die an Grossbankenchefs erinnerten, wie von 123 Milliarden (2007) auf 201 Milliarden Franken (per Mitte Helikopterflüge und Reisen im Privatjet. Am Schluss waren es 2015) an. Die Hypothekarausleihungen nahmen um sagenhafte 50 zwei Aspekte, die an der Person Vincenz hängen blieben: sein PANORAMA RAIFFEISEN 3/2015
8 | FOKUS Raiffeisen im Wandel Millionengehalt und die Helikopterflüge, die Vincenz nutzte, um schicken würden. Doch ich merkte bald, dass sich der zähe Bergler schnell vom einen Ende der Schweiz zum anderen zu gelangen. nicht so einfach aus dem Amt entfernen liess. Vincenz hatte den Der Sturm um seine Person kam für Vincenz wie aus heiterem Laden eisern im Griff. Jahre später wurde mir klar, weshalb. Vincenz Himmel, wie er später einmal sagte. Möglicherweise hat ihn am hat es geschafft, sich gegen Angriffe aus den eigenen meisten irritiert, dass die schärfste Kritik ausgerechnet von einem Reihen zu immunisieren. Der Machiavelli zugeschriebene Spruch Medium kam. Das hatte er nie für möglich gehalten, auch deshalb «Divide et impera» (lateinisch für teile und herrsche) wurde zu sei- nicht, weil er wie kein zweiter Schweizer Manager die Medien «im nem wichtigsten Leitsatz. Griff» hatte. Vergleichbar allenfalls noch mit einem Nicolas Hayek. Das föderalistische Raiffeisen-Reich mit über 300 unabhän- Sein Einfluss zeigte sich etwa daran, dass «Blick», für den die Schlag- gigen Banken war zu kleinteilig, die einzelnen VR-Präsidenten zu zeilen um Helikopterflüge und Millionengehalt eigentlich eine machtlos, als dass wirkungsvolle Opposition gegen die Zentrale in Kampagne hätten wert sein müssen, keine einzige Zeile darüber ver- St. Gallen hätte erwachsen können. In einer Genossenschaft wie der lor. Zu gut war Vincenz mit dem Ringier-Konzern vernetzt – sei es Migros, die aus fünf Regionaleinheiten besteht, die mit machtbe- durch Sportsponsoring oder durch andere geschäftliche und private wussten Regionalfürsten an der Spitze besetzt sind, wäre eine Verbindungen. Machtentfaltung vincenzscher Prägung schlichtweg undenkbar. Im eigenen Laden hingegen war er sich Kritik durchaus gewohnt und er konnte damit umgehen. Über die Jahre entwickelte er gerade- Stets mutig und pointiert zu eine Meisterschaft darin, die geballte Kritik der Genossenschaf- Meine Artikel passten Raiffeisen nie. Und trotzdem, während all ten ins Leere laufen zu lassen und die Delegierten für seinen Kurs zu der Jahre hatte ich immer einen guten Draht zur Medienstelle und gewinnen. Das gelang ihm auch dann spielend, wenn Neuerungen zu Mediensprecher Franz Würth, der meine Fragen stets mit profes- für die unabhängigen Banken oft- sioneller Gelassenheit beantwor- mals mit einem Verlust an Selbst- tete. Die Wogen glätteten sich mit ständigkeit einhergingen. Vin- «Pierin Vincenz hinterlässt eine den Jahren. Diesen Frühling traf cenz konnte sie praktisch immer überzeugen. Neben seinem Kom- grosse Lücke, bei Raiffeisen ich Pierin Vincenz wieder einmal zu einem grossen Interview – das munikationstalent verfügt der Sohn des 2014 verstorbenen und in der Medienwelt.» zweite seit 2007. Die Frauen wa- ren kein Thema mehr. Dafür der Beat Schmid, Wirtschaftsjournalist Bündner CVP-Ständerats Gion starke Franken und seine Folgen Clau Vincenz über ein äusserst für die Schweiz. Er forderte eine feines politisches Gespür. Es fällt ihm leicht, die richtige Balance grundlegende gesellschaftspolitische Debatte über die Vor- und ins- zwischen Zwang und Freiheit zu finden. Dabei leisteten ihm sein besondere die Nachteile des starken Frankens. «Wir müssen uns Bündner Skilehrer-Charme und seine bodenständige Geselligkeit fragen: Sind wir bereit, die negativen Folgen der starken Währung gute Dienste. zu tragen?» Auch der Schweizerischen Nationalbank fuhr er an den Karren und forderte mehr Transparenz bei der Entscheidungsfin- Sein Leitsatz: «Divide et impera» dung. Kaum ein anderer Banker hat den Mut, sich derart pointiert Durch Mark und Bein ging ihm, als die Raiffeisenbank in Interlaken gegen eine der mächtigsten Institutionen der Schweiz zu stellen. 2002 aus dem Verbund der Raiffeisen Gruppe austreten wollte. Vin- Das Schicksal der Raiffeisen Gruppe wird mich auch nach dem cenz kämpfte und lobbyierte, was das Zeug hielt. Sein Glück war, Abgang des langjährigen Steuermanns beschäftigen. Die Diversifi- dass der Verwaltungsrat der abtrünnigen Bank im Volk schlecht ver- kationsstrategie, also der Einstieg ins Private Banking mit der Über- ankert war. Am Schluss stimmten die Genossenschafter für den Ver- nahme von Notenstein sowie ins Asset Management und der Aus- bleib. Es ging um alles oder nichts. Denn Vincenz wusste: Wenn eine bau des Firmenkundengeschäfts sind noch längst nicht Bank geht, wird es unter Umständen gefährlich. Dass die Raiffeisen abgeschlossen. Gruppe in all den Jahren zusammenblieb, ist ganz entscheidend Pierin Vincenz hinterlässt kein fertiges Haus, das war wohl nie sein persönlicher Verdienst. seine Absicht. Sein Rücktritt kommt überraschend plötzlich. Er hin- Klar, intern prasselte es Kritik wegen seines Lohnes, wegen sei- terlässt eine grosse Lücke. Bei Raiffeisen und in der Medienwelt. nes Spleens mit dem Heli und des 200 000 Franken teuren Audis mit Chauffeur. Vincenz sah ein, dass «man mit dem Thema Lohn keine Diskussion gewinnen kann». Auch Flüge mit dem Heli waren passé. Vincenz war sich bewusst: «Dies passte offenbar nicht zu unserer Kultur.» Einzig seinen Dienstwagen wollte er sich nicht auch noch ZUM AUTOR «verleiden lassen». Die kleinen Genossenschaften setzten durch, dass der Lohn des Geschäftsführers, also von Pierin Vincenz, fortan bei Beat Schmid (47) ist stellvertretender Chefredaktor bei der zwei Millionen Franken gedeckelt wurde (exklusive «Schweiz am Sonntag». Der profilierte und erfahrene Wirt- Sozialleistungen). schaftsjournalist arbeitete zuvor bei der «Sonntagszeitung», Ursprünglich ging ich davon aus, dass es möglicherweise für Vin- beim «Blick», als stv. Chefredaktor bei «Computerworld» cenz eng werden könnte, dass ihn die Delegierten zum Teufel und war Redaktor bei der Nachrichtenagentur Reuters. 3/2015 PANORAMA RAIFFEISEN
«RAIFFEISEN ZU FÜHREN IST EIN PRIVILEG» Raiffeisens neuer CEO Patrik Gisel will das Anlage- und Firmenkundengeschäft forcieren und die Spitzenposition in der Finanzierung von Wohneigentum weiter stärken. Bei der Digitalisierung wird Raiffeisen an Tempo zulegen müssen. Das Aussterben der Banken vor Ort wird dies aber nicht zur Folge haben. Interview Markus Rohner/Pius Schärli Fotos Daniel Ammann
10 | FOKUS Raiffeisen im Wandel K ontinuität ist und war für Raiff- Patrik Gisel, seit 1. Oktober 2015 CEO Raiff‑ einwandfreien Umsetzung. Denn die In- eisen immer schon wichtig. eisen Schweiz: Pierin Vincenz war und ist vestitionen sind erheblich. Dies zeigt sich auch in der ein Visionär und versteht es ausgezeich- Wahl des Nachfolgers von net, mit den Anspruchsgruppen und Me- Die Digitalisierung verändert auch die Pierin Vincenz, der Ende September sein dien zu kommunizieren. Er hatte hohes Bankbranche massiv: Will Raiffeisen hier Amt als CEO von Raiffeisen Schweiz Geschick im Zusammenhalt der Raiffei- das Feld von hinten aufrollen? niedergelegt hat. Dessen Nachfolger Patrik sen Gruppe. Meine Stärke liegt in der Um- Darum geht es nicht. Keiner bestreitet, dass Gisel arbeitet seit bald 16 Jahren für die setzung von visionären Vorhaben und im die Digitalisierung das Bankgeschäft schon Raiffeisen Gruppe und war zuletzt Leiter Umstand, dass ich während den letzten beeinflusst hat und dieses noch stärker ver- des Departements Firmenkunden. Die Be- Jahren an der Weiterentwicklung der ändern wird. Wir müssen uns aber auch rufung durch den Verwaltungsrat zum Raiffeisen Gruppe mitarbeiten konnte. bewusst sein, dass wir erst am Anfang der CEO von Raiffeisen Schweiz erachtet der Meine weiteren Stärken werden hoffent- Entwicklung stehen, dass das digitale Busi- 53-jährige, in Arbon aufgewachsene Ost- lich bald noch sichtbar werden. ness noch in den wenigsten Fällen rentabel schweizer als grosse Ehre. Er musste es sich und noch längst nicht in allen Ausprä nicht zweimal überlegen, ob er den verant- Sie sind also eher der Pragmatiker? gungen kundentauglich ist. Wir sind aber wortungsvollen Job annehmen möchte. Das würde ich so unterschreiben. Es ist nicht untätig gewesen. Ein Beispiel: «Wenn man eine solche Chance be- nicht so, dass ich keine Visionen hätte, Anfang 2016 werden wir mobiles Bezahlen kommt, muss man zugreifen. Ich war mehr aber noch lieber setze ich diese dann in über die Paymit-App anbieten. als 13 Jahre in der Rolle des stellvertreten- der Praxis erfolgreich um. den CEO. In dieser Zeit habe ich mir ab Verstärkt drängen auch Nicht-Banken wie und zu Gedanken gemacht, ob ich auch Ein Triathlet wie Sie ist ein Einzelkämpfer, kleine Fintech-Unternehmen auf den Markt. den Job an der Spitze von Raiffeisen ma- der sich allein ins Ziel durchkämpfen muss. Diese sind dynamischer und müssen auf keine chen würde», erklärt Patrik Gisel im Ver- Jetzt stehen Sie einer siebenköpfigen gewachsenen Strukturen Rücksicht nehmen. lauf des Interviews. Ein Unternehmen zu Geschäftsleitung vor. Wie beschreiben Sie Fintech-Unternehmen sind keine direkte führen, das so erfolgreich im Markt steht, Ihren Führungsstil? Konkurrenz für uns, denn sie decken typi- erachtet er als ausgesprochen faszinierende Dieser Gegensatz zwischen Beruf und scherweise nicht die gesamte Wert- schöp- Aufgabe. Er nimmt immer wieder begeis- Freizeitbeschäftigung war für mich nie fungskette einer Universalbank ab. Es ist ein Problem. Ich arbeite bei Raiff‑ deshalb durchaus möglich, dass wir uns auf eisen seit Jahren sehr intensiv mit diesem Gebiet den einen oder anderen Zu- «Vor Ort präsent zu sein, ganz unterschiedlichen Leuten zu- kauf überlegen werden. sammen. Kooperation ist mir in der bleibt für uns wichtig» Geschäftsleitung sehr wichtig. Als Den Trend der Zeit zu erkennen ist nicht Patrik Gisel, CEO Raiffeisen Schweiz Ausgleich kann ich im Sport dann immer einfach. Stellt Raiffeisen deshalb jetzt meine eigenen Wege gehen und einen eigenen Think Tank auf die Beine? dort für mich allein Themen reflek- In unserem «Raiffeisen Labor» wollen wir tert zur Kenntnis, wie gross die Motivation tieren. Erfolg ist aber auch bei Raiffeisen eine kleine Gruppe von innovativen Men- bei den Mitarbeitenden ist und wie die 292 ein Gemeinschaftswerk. schen zusammenführen, die kreative An- eigenständigen Banken unternehmerisch sätze entwickeln, die später in die Praxis agieren. Die Erneuerung der Banken-Software hat umgesetzt werden können. Diese Begeisterung wird es auch in Zu- bei Ihnen oberste Priorität. Hat Raiffeisen kunft brauchen, steht die Finanzbranche die Entwicklung verschlafen? Ich stelle mir diese Mitarbeitenden als junge, doch vor einer spannenden Zukunft. Neu- Nein, so ist es nicht. Die Frage ist ja im- technikaffine «Freaks» vor… erungen und Herausforderungen haben mer, wann ist der richtige Moment? Wir Diese Menschen können durchaus unge- Patrik Gisel immer schon angestachelt. haben in der Vergangenheit mehrfach be- wöhnliche Profile haben. Das können Leu- Nicht ohne Stolz stellt er fest: «Ein solches wiesen, dass wir diesen Zeitpunkt stets te aus Hightech-Firmen sein, die branchen- Unternehmen zu führen, erachte ich als gut gewählt haben. Unser E-Banking bei- übergreifend sehen, was läuft, und die vor Privileg.» Wie der Mann an der Spitze der spielsweise hat nur einen Bruchteil dessen allem verstehen, was die Digitalisierung Nummer 1 unter den Retailbanken tickt, gekostet, was andere Banken dafür ausge- alles möglich macht. Oder Leute aus ande- erfahren Sie im folgenden Interview. geben haben. Aber die Digitalisierung ist ren Bereichen, zum Beispiel aus der Me jetzt zu forcieren. Wer A sagt zu einem dienbranche, die schon heute weit voraus PANORAMA: Was unterscheidet Sie grossen Projekt mit entsprechenden Inves- sind in der Digitalisierung und wissen, was von Ihrem Vorgänger Pierin Vincenz, vom titionen, muss gerade in diesem Fall auch funktioniert und was der Kunde künftig Ausdauersport einmal abgesehen? B sagen zu einer qualitativ und terminlich haben will. 3/2015 PANORAMA RAIFFEISEN
FOKUS Raiffeisen im Wandel | 11 «Die Herausforderungen um eine stärkere Diversifikation der Zukunft verlangen nach der Erträge zu erreichen. Dabei neuen Lösungen» denke ich vor allem an das Anla- ge- und Firmenkundengeschäft. Patrik Gisel, CEO Raiffeisen Schweiz Zudem wollen wir in den Städ- ten weiter wachsen. Raiffeisen wird also digitaler, aber gleichzei- Ihr Vorgänger hat bei der Präsentation der tig gibt es noch immer rund 1000 Geschäfts- Halbjahreszahlen 2015 im August gesagt, stellen. Wird es diese in 20 Jahren überhaupt Raiffeisen müsse künftig vielleicht etwas noch geben? mehr Risiken eingehen. Sind Sie auch dieser Mit Sicherheit. Aber sie werden das Ge- Meinung? schäft anders betreiben als heute. Das ty Unser Geschäft ist immer mit Risiko ver- pische Transaktionsgeschäft wird aus den bunden. Das wird leider von wichtigen Bankgebäuden verschwinden. Stattdessen Playern der Branche manchmal vergessen. wird es viel komplexere, vielleicht auch Wenn wir jedes Risiko in unserem Ge- bankübergreifende Beratungs- und Dienst- schäft eliminieren wollten, dann wären leistungsgeschäfte geben. Physisch vor Ort wir nicht mehr lange im Bankgeschäft Der Überflieger präsent zu sein, ist uns auch in Zukunft tätig. Mir ist im Leben wichtig, … wichtig. Die entscheidende Frage wird im- … dass ich beruflich und privat etwas mer bleiben: Wie bringen wir uns beim Passt denn diese Risikofreude zur soliden Positives bewirken und bewegen überaus sensiblen Geldgeschäft ein? Denn Genossenschaftsbank Raiffeisen? kann. Ich zähle mich nicht zum passiv dieses wird immer von Vertrauen und Ver- Wir müssen in jedem Bankgeschäft ein- konsumierenden Typ Mensch. trautheit geprägt sein. Diese Nähe zur grenzbare Risiken eingehen. Unsere Risi- Bank wird der Kunde auch in Zukunftws- kopolitik ist aber klar: Wir gehen nur Risi- Dafür stehe ich ein … uchen. Und wir werden ihm diese bieten. ken ein, die wir verstehen, tragbar sind und … für unser genossenschaftliches Geschäftsmodell, das in der Finanz- rentieren. Mit dem Firmenkundengeschäft branche einzigartig ist, weil es gegen- Ob Banken geschlossen werden, entscheidet gehen wir logischerweise mehr Risiken über Shareholder-Value-Modellen viel am Schluss nicht der Sitz von Raiffeisen ein. Wir bleiben aber im Rahmen des Trag- transparenter ist. Schweiz in St.Gallen, sondern die einzelne baren und investieren in den Ausbau unse- Bank vor Ort. Hat diese stark föderalistische rer Fähigkeiten. So, dass wir auch damit Raiffeisens Wettbewerbsvorteil Genossenschaftsstruktur eine Zukunft? Geld verdienen werden. ist … Das Genossenschaftsmodell ist in der heu- ... die Tatsache, dass wir keine Hau- tigen Zeit ein grosser Vorteil. Denn wir Muss denn Raiffeisen immer wachsen und ruckpolitik betreiben. Unser Modell ist per se nachhaltig. setzen unsere Prioritäten so um, wie sie im grösser werden? lokalen und regionalen Markt gefordert Auch in einer Genossenschaftsbank ist Meine Leidenschaft … sind. Vor Ort arbeiten für uns Leute, wel- qualitatives, gesundes Wachstum wichtig. … ist schon lange die Motorsportflie- che die Verhältnisse bestens kennen und Wachstum ist für die Mitarbeitenden im gerei. auf die Bedürfnisse der Kunden eingehen. Kundenkontakt ein entscheidender An- Diese dezentrale Verantwortung, die Nähe trieb: Sie wollen Geschäfte machen, gute Darauf würde ich nie verzichten … zum Kunden und die Entscheidungs Geschäfte. Und damit meine ich eben nicht … auf mein Triathlontraining, auch kompetenz vor Ort haben Raiffeisen stark nur die monetären Aspekte. Ein Unterneh- wenn ich zeitlich noch so unter Druck bin. Diese Zeit leiste ich mir einfach. gemacht – und so wird es auch in Zukunft men wie Raiffeisen braucht eine klare bleiben. Wachstumsstrategie. Letztlich erwarten Was ich nicht mag … auch die Kunden, dass Raiffeisen auf einem …sind «Hidden Agendas», wenn also Raiffeisen ist stark im Hypothekengeschäft. soliden Fundament steht und in der Lage Leute nicht offen kommunizieren. Das Ist dieses noch rentabel? ist in die Zukunft zu investieren. Zweite: Leute, die keine Freude mehr Das Hypothekargeschäft ist für uns nach am Job haben. wie vor ausserordentlich interessant. Das Wie lange ich diesen Job mache … wird unser Kerngeschäft bleiben. Aber die Das Interview in ganzer Länge lesen Sie … liegt nicht in meinen Händen. Plus/ anderen Geschäftsbereiche müssen noch auf unserem Blog. minus sieben bis zehn Jahre kann ich stärker zum Geschäftsergebnis beitragen. mir gut vorstellen. azin.ch/gisel Wir brauchen weiterhin Anstrengungen, panorama-mag PANORAMA RAIFFEISEN 3/2015
12 | FOKUS Raiffeisen im Wandel RAIFFEISEN SCHREIBT GESCHICHTE rbeitende und Verwaltungsräte Am 26. September trafen sich über 10 000 Mita gie. Ein einmaliges Ereignis mit in Basel zur Verankerung der neuen Grundstrate vielen positiven Impulsen für die Zukunft. Autor Pius Schärli Fotos Robert Huber, Gian Vaitl, Felix Walker 3/2015 PANORAMA RAIFFEISEN
isen: Das gab es noch nie in der Geschichte von Raiffe Mitarb eitend e aus allen Regio nen treffe n Über 10 0 00 usch sich in der Basler Messe zum gemeinsamen Austa über die Zukunft ihrer Bank. PANORAMA RAIFFEISEN 3/2015
14 | FOKUS Raiffeisen im Wandel « Basel im Raiffeisen-Fieber» titelte die Basellandschaftliche Zeitung und spielte damit auf die histo rische Dimension eines Anlasses an, der in der 116-jährigen Geschichte von Raiffeisen einmalig und einzigartig zugleich war. Rund Eine Strategie ist nur dann erfolgreich, wenn sie im Alltag gelebt und für den Kunden spürbar wird. In insgesamt 28 zeitgleichen Foren haben an diesem Tag bis zu 400 Teil- nehmende in Fünferteams die Frage disku- tiert, was der Kunde von morgen erwartet Gelebte Innovation Ob Beacon, 3D-Drucken, Augmented Reality oder Crowdfunding: Auf einer Innovations fläche konnten die Mitarbeitenden aktuelle Innovationsthemen bei Raiffeisen hautnah erleben. Ganz nach dem Motto «für gute 10 000 Mitarbeitende und Verwaltungsräte und wie sich Raiffeisen für die Zukunft auf- Ideen braucht es gute Ideen» wurden alle Teil- aus der ganzen Schweiz kamen an jenem stellt. Dabei zählte jede Stimme. Die elektro- nehmenden aufgefordert, eigene Vorschläge Samstag in der Messe Basel zusammen. nische Interaktionsplattform «DialogWeb» einzubringen. Zeichnerinnen und Zeichner ermöglichte es, über Fragen abzustimmen skizzierten diese gleich vor Ort auf Papier und Der Kunde im Mittelpunkt und die Resultate direkt auszuwerten. hängten sie an die «Wall of Ideas». Wer sich «DialogPlus: Gemeinsam Zukunft leben» inspiriert fühlte, konnte die Ideen auf der Tafel war das Motto des Events, der den Höhe- Newsroom mit TV-Studio zeichnerisch weiterentwickeln. punkt eines fünfjährigen Strategieentwick- Bereichert wurde der Arbeitstag durch Das Fazit dieses Anlasses kommt von Mi- lungsprozesses markierte. «Mit dem grossen Breaking News, die in einem eigens aufge- chael Auer, Mitglied der Geschäftsleitung Anlass in Basel haben wir beim Prozess der bauten Newsroom live produziert und auf von Raiffeisen Schweiz: «Von diesem Tag Grundstrategie einen Schlusspunkt, gleich- die Grossleinwände übertragen wurden. werden viele Mitarbeitende noch in 10 oder zeitig aber auch den Startschuss für die ge- Durch den Tag führten die SRF-Modera 20 Jahren sprechen. Dies deshalb, weil das meinsame Umsetzung von Strategie und toren Reto Brennwald und Annina Campell. Erlebte nicht nur in die Köpfe, sondern auch Werten gesetzt», erklärte Gabriele Burn, Brennwald zeigte sich erstaunt, wie konzen- in die Herzen der Menschen gehen wird.» Mitglied der Geschäftsleitung von Raiffeisen triert die Raiffeisen-Mitarbeitenden an die- Schweiz. sem Samstag zu Werke gingen. Er entpupp- Werfen Sie einen Blick hinter Ziel der Veranstaltung war es, dass jede te sich überdies als Raiffeisen-Fan: «Die die Kulissen: und jeder seinen persönlichen Beitrag zum Bank zeigt, dass das Genossenschaftsmodell log-plus magazin.ch/dia künftigen Erfolg von Raiffeisen leistet. Denn: alles andere als passé ist.» panorama- 02 01 01 Auf der «Wall of Ideas» konnten Mitarbeitende ihre Vorschläge anbringen und zeichnerisch weiterentwickeln. 02 Auf der Innovationsfläche liessen sich Technologien wie 3D-Drucken, Beacon oder Augmented Reality erleben. 03 In einem eigens für den Grossanlass eingerichteten Newsroom wurden Beiträge live produziert und auf die Grossleinwände und das DialogWeb übertragen. 03 3/2015 PANORAMA RAIFFEISEN
FOKUS Raiffeisen im Wandel | 15 l hat mir aufgezeigt, «Die Veranstaltung in der Messe Base feisen als Grup pe ist. Fast 10 000 wie gross und bedeutend Raif n, so was elt zu sehe Menschen in einer Halle versamm geht definitiv unte r die Hau t.» du Gros-du-Vaud Mariana Santos, Banque Raiffeisen «Intensiv, voller Energie und leid enschaftlich haben wir uns in grundsätzlichen Ausrichtung Basel mit der von Raiffeisen beschäftigt. Wir kommenden Jahren nicht jede müssen nun in den s Mal alles grundsätzlich disk habe, gibt mir Kraft für die näc utieren. Was ich erlebt hsten Jahre.» Michael Auer, Mitglied Ges chäftsleitung Raiffeisen Schw eiz n ar: Wir müsse D ialogP lus wohl allen kl e ne ue n diesem gilt es, di «Eines ist nach weiter verbessern. Zudem l dies unse re Be ratung sser zu nutzen – auch wei no ch be chnologien ünschen.» Kanäle und Te die Kunden w sen della M agliasina Banca Raiffei anta At anas zov-Tomasini, Sam und rte Menschen n auch in Zu kunft motivie Raiffeisen- bei Raiffeise twicklungen «Wir brauchen die uns hilft, technische En deln, die DNA aber eitsicht , un s w an eine W üssen setzen. Wir m adäquat umzu unbeding t beha lten.» Schweiz n, Raiffeisen Jürg Moosman «Ich habe an der «Wall of Idea s» das Implantieren eines Chi Körper vorgeschlagen. Dam ps im it erhält der Kunde Zugang und zum Bancomaten. Das zur Bank Bargeld würde damit überflü ssig.» Mar co Müller, Raiffeisenbank Rors chacherberg-Thal PANORAMA RAIFFEISEN 3/2015
16 | FOKUS Raiffeisen im Wandel «Ich arbeite erst seit sechs Mo naten bei Raiffeisen und erlebe historischen Moment. Der Anl schon einen ass hat mir geholfen, noch tiefe Raiffeisen-Kultur einzutauche r in die n. Ich nehme viele Ideen mit die sich aber erst noch setzen nach Hause, müssen.» Sarah Willi, Banque Raiffeise n Nyon la-Vallée die wir ackt werden, in gu te G es chichten verp nlas s in Ba sel war en, wenn si e üssen. Der A n funk tioni er u er zähl en m sich er, dass «Strategie wieder ne Ich bin mir er am Lage rfeuer immer rtes, gros se s Lagerfeuer. Verh alte n einand chestrie künftiges rvorragend or bnisse unser für mich ein he ichten , Ep isoden und Erle en w erde n.» diese Gesch proche n positiv präg ausg es sen Schweiz -Prä sident Raiffei egg-Stürm, VR Johannes Rü «Aus der Stärke heraus, in der sich Raiffeisen befindet, ist es einfacher, eine neue Strategie zu entwickeln. Der Zeitpunkt dafür ist genau richtig. Wir sind mit dem Hypogeschäft zu einseitig unterwegs, deshalb ist es wichtig, dass wir unsere Erträge diversifizieren.» Christian Tritschler, Raiffeisenbank Untersee-Rhein «Ich deute die Bezeichnung ‹DialogPlus› für den Event dahing ehend, dass wir weiterhin im Dialog mit dem Kunden bleiben müssen. Das aber reicht nicht: Wir müssen ihm einen Mehrw ert bieten – ein ‹Plus› eben.» Arwin Swaroop, Banque Raiffeisen de Meyrin hauen, ganz genau ansc en muss sich die Megatrends Digitalisie rung, «Auch Raiffeis An schluss. Ein Beispiel ist die wir den ge in sonst verpassen ewerber schon lan chenfremde Mitb hier stehen bran n. » den Startlöcher wil Gossau-Nieder , Raiffeisenbank Peter Lamprecht 3/2015 PANORAMA RAIFFEISEN
«Auch wenn wir uns eine neue Strat egie geben, dürfen wir die Werte nicht vergessen, die uns gross und stark gemacht haben. Gute Beratung, persönliche Beziehung und Professionalität sind weiterhin gefragt. Nur so können wir mit der Konkurrenz mithalten.» Natascha Browne, Raiffeisenbank Untergäu «Es ist entscheidend, dass die Grundstrategie nun bei allen im ganzen Land Fuss fasst. Die Raiffeisenbanken Frage sei aber erlaubt, ob Aufwand und Ertrag bei dies em Anlass am Ende stimmen Reto .» Altwegg, Verwaltungsrat Raif feisenbank Frauenfeld ell tot. Wir haben , dann sind wir als Bank schn «Wenn wir uns nicht wandeln n, zu entwickeln und anzupassen. bewege keine andere Wahl, als uns zu Aus tau sch e wie diese gehört zum Business. Der Markt verlangt dies, das .» sind wichtig Raiffeisen de Lavaux Jean-Michel Regamey, Banque t nicht. Ich und die Ko nkurrenz schläf e Chancen ben, viel gehört zum Le dass uns die Zukunft noch «Der Wandel erzeug t, eues und üb folg bietet.» bin offen für N für weiteren Er rg k Rothenbu Raiffeisenban Jasmin Christ, «Im Tessin habe n wir die Strategi diskutiert. Hier e schon im klein in Basel hatten en Kreis intensiv gemeinsam zu ve wir die Möglichk rtiefen. Dieser Ta eit, die Werte g hat eine grosse das spürt man.» Bedeutung, Alessio Antonie tti, Banca Raiff eisen Malcanto nese PANORAMA RAIFFEISEN 3/2015
18 | FOKUS Raiffeisen im Wandel «DIE EINBINDUNG DER BASIS WAR EIN ABSOLUTES MUSS» Raiffeisen hat eine neue Strategie, die nicht im Elfenbeinturm ausgeheckt worden ist. 1500 Führungskräfte, 10 000 Mitarbeitende und Verwaltungsräte haben am künftigen Weg intensiv mitgearbeitet – sehr zur Freude des VR-Präsidenten Johannes Rüegg-Stürm. Denn dieses breit abgestützte Vorgehen ist für eine weiterhin positive Entwicklung der Raiffeisen Gruppe zentral. Interview Pius Schärli Foto Daniel Ammann W er Raiffeisen bislang fehlen- den Mut zu Experimenten attestiert hat, muss jetzt umdenken. Die Art und Weise, wie sich die dritte Bankenkraft in der Schweiz eine neue Grundstrategie gege- ben und damit die Voraussetzungen für künftigen Erfolg geschaffen hat, ist hierzu- lande einzigartig. «Wir haben Raiffeisen als Firma auf den Prüfstand genommen und analysiert, was zu tun und zu lassen ist», sagt Johannes Rüegg-Stürm rückblickend. Dieses selbstkritische Vorgehen ist vor dem Hintergrund des rasanten Wandels, den auch die Finanzwirtschaft mitmachen muss, eine vordringliche Aufgabe. Denn Raiffeisen will sich auch noch in fünf oder zehn Jahren deutlich von den Mitbewer- bern unterscheiden und als einzigartige Bank wahrgenommen werden. Johannes Rüegg-Stürm hat den Strategieentwick- lungsprozess nicht nur als Verwaltungs- ratspräsident der Raiffeisen Gruppe, son- dern auch in seiner Rolle als Professor für Management und Organisation an der Uni- versität St. Gallen (HSG) begleitet. Prof. Dr. Johannes Rüegg-Stürm (54) ist seit 2008 im Verwaltungsrat von Raiffeisen PANORAMA: Wie opportun ist es Schweiz und präsidiert diesen seit 2011. Im Verwaltungsrat leitet er auch den überhaupt, über Strategien öffentlich Strategie- und Governance-Ausschuss. zu diskutieren? Johannes Rüegg-Stürm, Verwaltungs- ratspräsident Raiffeisen Schweiz: Man sollte sich davor hüten, dem Thema Stra- tegie allzu sehr den Nimbus des Geheim- nisvollen zu verleihen. Es geht bei einer 3/2015 PANORAMA RAIFFEISEN
FOKUS Raiffeisen im Wandel | 19 guten Strategiearbeit um die systematische Was ziemlich viel Aufwand nach sich zieht. für jede und jeden zu einer Selbstver- Auseinandersetzung mit der Zukunft, Natürlich ist die Entwicklung einer Strate- ständlichkeit werden, so wie dies das die durch Unsicherheit und Ungewissheit gie im Rahmen einer breit abgestützten Atmen oder der richtige Gebrauch der geprägt ist. Das betrifft jedes Unterneh- Strategieerarbeitung viel anspruchsvoller Grammatik und der Worte ist, wenn wir men, aber auch jedes Individuum. Ganz als eine Bombenwurf-Strategie. Man muss miteinander reden. Eine Strategie wird nur besonders bei einer genossenschaftlichen sich auf andere Menschen einlassen und dann im Alltag wirksam, wenn sie verstan- Unternehmung ist es fundamental wich- sich unvoreingenommen mit tig, auf möglichst breiter Basis Erfahrung deren Meinungen auseinander- und Wissen für die Strategiearbeit zu setzen, man muss zuhören und «Eine Strategie wird nur dann mobilisieren. Geduld üben können, man muss Konflikte austragen und im Alltag wirksam, wenn Kopf, Viele von uns leben im Hier und Jetzt und sich auf viel Ungewissheit ein- Hand und Herz dabei sind.» haben kaum Zeit, uns mit der Zukunft zu lassen. Aber genau dies stärkt Johannes Rüegg-Stürm, VRP befassen. uns als Raiffeisen-Genossen- Ja, das ist ein Dilemma. Wir alle sind viel schaft und schafft die Voraus- zu stark durch Aufgaben und Fragestellun- setzungen für eine nachhaltige Umset- den wird und in einem gemeinschaftlichen gen gebunden, die einen unmittelbar be- zung unserer Strategie. Effort verinnerlicht worden ist. Das ist nicht schäftigen. Viele Unternehmen verpassen nur eine Sache des Verstandes, sondern auch es dabei, sich rechtzeitig Gedanken zur Der Ansatz mit der Einbindung aller ist also eine Sache des Gefühls. Es braucht dazu Zukunft zu machen. Man sollte sich dafür typisch für ein Genossenschaftsmodell? Kopf, Hand und Herz. ausreichend Zeit nehmen, Distanz zum Ta- Mehr noch, er ist ein Muss. gesgeschäft gewinnen, die eigene Vorstel- Was wird die neue Strategie dem Kunden lungskraft stärken und sich gemeinsam mit Was aber auch hinderlich sein kann, wenn bringen? den grundlegenden künftigen Herausfor- jede Meinung gleich viel zählt. Unsere Kundinnen und Kunden müssen derungen auseinandersetzen. Ja, diese breite Einbindung ist höchst an- merken, dass unsere Kompetenz in einem spruchsvoll. Man muss sich umso intensi- breiten Spektrum an lebensbezogenen Fi- Was ist beim Prozess einer Strategiefindung ver mit den Annahmen und Argumenten nanzfragen spürbar zunimmt. Unsere Bera- denn entscheidend? von Kolleginnen und Kollegen auseinan- terinnen und Berater denken vernetzt, kön- Ein solcher Prozess darf kein chaotisches dersetzen. Genau das wollten wir errei- nen komplexe Lebenslagen unserer und unverbindliches Jekami sein. Vielmehr chen: die Raiffeisenbanken und alle Mit- Kundschaft rasch verstehen und kompeten- muss er sorgfältig vorbereitet und achtsam arbeitenden verbindlich zu involvieren, te Lösungen konfigurieren. Damit weitet orchestriert werden. Das wichtigste Ergeb- um gemeinsam tragfähige Zukunfts sich der Horizont für Kunden und Beraten- nis ist dabei nicht das Strategiedokument, perspektiven zu entwickeln. de. Das alles ist überaus anspruchsvoll. Wir sondern ein breit abgestütztes Verständnis müssen uns bewusst sein: Auf uns alle kom- dafür, was jetzt zu unternehmen oder auch Das war das erklärte Ziel der Dialog- men gewaltige Veränderungen zu. Wir müs- zu unterlassen ist, um zukünftig weiter Er- Veranstaltung in Basel. Wie taxieren Sie sen kundenzentriert und langfristig ausge- folg zu haben. Wenn dieses Verständnis diesen grössten Anlass in der Geschichte richtet unsere Fähigkeiten bei der Beratung nicht gemeinsam erarbeitet werden kann, Raiffeisens? und zur Problemlösung substanziell ausbau- bleibt auch das beste Strategiedokument als Die Veranstaltung am 26. September in der en und gleichzeitig effizient bleiben. Nur so zahnloser Papiertiger in der Schublade. Messe in Basel war die Krönung des Strate- können wir im Kontext der neuen digitalen gieprozesses. Alle 10 000 Mitarbeitenden Möglichkeiten unser Geschäftsmodell Er- Raiffeisen hat über 1500 Führungskräfte und Verwaltungsräte haben sich mit der folg versprechend weiterentwickeln. Wir beim Dialog der Grundstrategie miteinbezo- erarbeiteten Strategie auseinandergesetzt. müssen letztlich aber auch realistisch blei- gen und über 3000 Ideen verarbeitet. Wäre An diesem Tag ging es darum, die bis anhin ben: Die neue Grundstrategie ist keine es nicht einfacher gewesen, wenn Verwal- geleistete Arbeit auf breitestmöglicher Ba- Revolution. tungsrat und Geschäftsleitung eine Strategie sis zu diskutieren und zu vertiefen, um so vorgegeben hätten? ein gemeinsames Verständnis über die Einfacher ja, aber ein solches Vorgehen Chancen und die erforderlichen Entwick- wäre einfach absurd. Attraktive Ideen und lungsanstrengungen von Raiffeisen zu Zukunftsbilder kann man nicht vorgeben. entwickeln. Vielmehr geht es auch bei uns darum, dass Das ganze Interview mit Prof. Johannes wir unsere Mitarbeitenden und uns selber Was passiert nun im Anschluss an Rüegg-Stürm lesen Sie auf unserem Blog. begeistern für das, was wir erreichen wol- diese Veranstaltung? zin.ch/jrs len. Dazu müssen wir uns gemeinsam auf Wir müssen die Kernaussagen der Grund- panorama-maga den Weg machen. strategie jetzt verinnerlichen. Sie müssen PANORAMA RAIFFEISEN 3/2015
C HF 5 1689 7381 0436 5692 VERÄNDERUNGEN: RADIKAL UND RASANT Schweizer Banken befinden sich inmitten tiefgreifender Umwälzungen. Vor allem die Digitalisierung beschäftigt die Branche wie kaum eine andere Entwicklung zuvor. Es herrscht Aufbruchstimmung und Verunsicherung zugleich. Denn noch ist nicht klar, wohin die Reise führt. Autorin Iris Kuhn-Spogat Illustrationen Michael Stünzi W ie funktioniert Banking in Z (wie Zahlungsverkehr) digitalisiert und Kundenbefragung mit über 1000 Schweizer Zukunft? Wohin steuern die damit radikal verändert. Kontoinhabern durchgeführt. Die wich Schweizer Banken? Was gilt es tigsten Ergebnisse aus «Digitale Revolution zu bewahren, was zu erneuern? Haben Ban- Alltägliches wird online erledigt im Retailbanking»: 74 Prozent der befragten ken überhaupt eine Zukunft? «Banking ist Mächtig Druck kommt dabei von neuen Bankkunden erledigen alltägliche Bank nötig, Banken sind es nicht», postulierte der Wettbewerbern: Giganten wie Google, geschäfte wie Zahlungen oder Kontoabfra- Microsoft-Gründer Bill Gates schon im Jah- Facebook oder Apple drängen in den Markt. gen bereits heute online – und zwar quer re 2000. Was damals nur für Stirnrunzeln Für die Kreditvergabe und Anlageberatung durch alle Altersgruppen. sorgte, lässt heute Sorgenfalten entstehen. bieten Start-ups, die wie Pilze aus dem Bo- Für komplexere Produkte erwartet die Kein Banker, der sich derzeit wegen der den schiessen, neue Services zu günstigen Mehrheit der Kunden aber nach wie vor Digitalisierung nicht mit Grundsatzfragen Konditionen an. In den Banken herrscht ob eine persönliche und individuelle Beratung zur Zukunft des Finanzwesens beschäftigt. der Dynamik Aufbruchstimmung und Ver- – auch das quer durch alle Altersgruppen. Die Digitalisierung hat bereits die Medien- unsicherung zugleich. «Nach Jahren des Bankkunden wollen also weiterhin ihre landschaft und den Handel umgepflügt. Optimismus ist bei den Entscheidungsträ- Geldangelegenheiten sowohl online wie Nun ist die Finanzindustrie dran. gern die Erkenntnis gereift, dass es ein ‚wei- auch offline erledigen können. Und zuneh- Banken sehen sich einer Vielzahl von ter so‘ nicht mehr lange geben kann», kons- mend auch via E-Banking: Bereits elf Pro- weiteren Herausforderungen wie Regelflut, tatierteineaktuelleStudiedesdeutschenFraun- zent der Schweizer Umfrageteilnehmer er- Margenerosion, Kostendruck, Marktzugang hofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und ledigen ihre täglichen Bankgeschäfte über oder neuer Konkurrenz gegenübergestellt. Organisation. Apps auf dem Smartphone oder Tablet, sie- Zudem haben es Banken heute mit besser Wie weiter, wenn nicht weiter so? Als ben von zehn Befragten sind an Mobi- informierten Kunden zu tun. Sie verglei- Wegmarken in die digitale Zukunft werden le-Banking interessiert. Oder wie das Bei- chen per Mausklick Konditionen und holen Studien am Laufmeter veröffentlicht. Die spiel Raiffeisen zeigt: Fast 80 Prozent aller Offerten ein, informieren sich über Pro deutsche Unternehmensberatung Roland Inlandzahlungen werden online erledigt. dukte, tauschen sich mit anderen Anlegern Berger hat im Februar 2015 insgesamt 95 (!) aus und können auf sogenannte Crowd Studien zum Thema Digitalisierung und Bankstelle stirbt nicht aus funding-Plattformen ausweichen. Fakt ist: Retailbanking analysiert. In Zusammen- Das Ende der Bankstelle ist gemäss der Die Geschäftsmodelle der etablierten Ban- arbeit mit dem Kreditkartenanbieter Visa Roland-Berger-Studie nicht in Sicht, eine ken werden von A (wie Anlageberatung) bis wurde zudem eine breit angelegte Modernisierung aber unverzichtbar: Das 3/2015 PANORAMA RAIFFEISEN
FOKUS Raiffeisen im Wandel | 21 Zusammenspiel von Online-, Mobile- und Bain & Company schätzt, dass weltweit über Know-how, Vertrauen, Kundenbasis. Sie persönlicher Beratung durch die Bank wer- 3500 Fintech-Firmen aktiv sind. 100 sind es lancieren zur Verteidigung ihres Reviers de über den Geschäftserfolg entscheiden, allein in der Schweiz. Die Banken reagieren deshalb eigene digitale Angebote. behauptet die Studie. Sie verlangt neue, auf die Herausforderung, indem sie Fintechs Konkurrenz erhalten die Banken auch kundenorientierte Konzepte wie Selbst aufkaufen, sich mit ihnen verbünden oder im Bereich Zahlungsverkehr (siehe Box) so- bedienungsterminals für alles, was Kunden aber intern selber aufrüsten: Indem sie wie bei der Kreditvergabe. Das Modell des einfach selber erledigen können, stylish ein- Teams formieren mit Leuten, die einen un- sogenannten Peer-to-Peer-Lendings erfreut gerichtete Zonen für Beratungsgespräche verstellten Blick, ein Faible für Technologie sich in den USA und in Grossbritannien und alle nicht notwendigen Bankeninhalte und die richtige Nase für Trends haben. grosser Beliebtheit. Es beginnt auch in der auf digitalen Kanälen. Den richtigen Mix Schweiz zu greifen: 2008 mit cashare.ch lan- zu finden erklären die Berater zur «strate Online informieren, offline abschliessen ciert, tummelten sich gemäss Crowdfun- gischen Kernfrage für die Branche». Ein beliebter Tummelplatz für Fintechs ist ding Monitoring 2015 von Swisscom und Multichanneling heisst das Zauberwort: das Anlagegeschäft, die Paradedisziplin der der Hochschule Luzern letztes Jahr 20 An- Es besagt, dass Banken alle verfügbaren ana- Schweizer Banken. Swisscom und das Insti- bieter im Geschäft mit der privaten Vermitt- logen und digitalen Kommunikationska tut für Finanzdienstleistungen Zug (IFZ) lung von Konsumkrediten. Inzwischen sind näle nutzen, um für den Kunden attraktiv haben untersucht, was die Kunden von digi- bereits 30 Plattformen aktiv. und mit ihm in Kontakt zu bleiben. Vertrau- talem Anlegen halten. Die Schweizer Anle- Das Modell ist simpel: Auf der jewei en, Beratung von Mensch zu Mensch, Er- ger entpuppen sich darin gegenüber neuen ligen Plattform finden Kreditsuchende und fahrung, Know-how: Die Trümpfe in den Angeboten und Anbietern im internatio Vermögende zusammen. Algorithmen sor- Händen der etablierten Banken sind nach nalen Vergleich als noch eher konservativ, gen für die nötige Bonitätsprüfung. Die wie vor stichhaltig. Sie garantieren aber kei- mit Betonung auf noch: «Schweizer Banken Höhe des Zinses bestimmen Angebot und nen Schutz mehr vor bankenfremden Wett- sollten sich nicht darauf verlassen, dass ihre Nachfrage. Seit Kurzem drängt auch die bewerbern wie Fintechs. Dies sind kleine, Kunden träge bleiben», mahnen die Verfas- Kioskbetreiberin Valora ins Kreditgeschäft wendige Start-ups, die, inspiriert von den ser der Studie. und lanciert an den K Kiosken «Bob Mo- Möglichkeiten neuer Technologien, Finanz- ney», das heisst Online-Konsumkredite von services und -produkte aushecken und an- Kredite am Kiosk 1000 bis 80 000 Franken zum Jahreszins von bieten, ohne eine Bank zu sein. Die meisten Das Potenzial des digitalen Anlegens ist 8,9 Prozent. von ihnen haben auch keine Ambition, eine gemäss Finanzprofessor Andreas Dietrich, Viele Experten sind sich einig, dass die Bank zu werden. Sie haben es aber auf den Mitverfasser der Swisscom-Studie und aus- aktuellen Entwicklungen erst der Anfang wichtigsten Rohstoff der Banken abgese- gewiesener Fintech-Szenenkenner, aber sind und die Bankenwelt in der fundamen- hen: auf die Kundengelder. enorm. Er schätzt, dass bis ins Jahr 2020 talsten Umwälzung ihrer Geschichte steckt. Fintechs entwickeln einfache, bequeme über 80 Milliarden Franken digital angelegt Nicht klar ist aber, wie die Zukunft der und günstige Lösungen für den Umgang mit sein werden, also rund 14 Prozent des ge- Bankenwelt aussehen wird. Gewiss ist: Der Geld. Die einen arbeiten an Apps, die Bar- samten investierten Vermögens von Schwei- Markt wird entscheiden, welche Ideen sich geld und Kreditkarten zum Bezahlen über- zer Haushalten. Und zwar nicht nur dank durchsetzen und überleben. Letztlich be- flüssig machen, andere an der Auswertung den Start-ups, sondern auch dank den eta stimmen die Kunden die Zukunft mit – von Big Data oder an der Kreditvermittlung blierten Banken. Sie sind sich ihrer Stärken digitale Revolution hin oder her. unter Privaten. Die Unternehmensberatung gegenüber Fintechs bewusst – Marktmacht, Mobiles Bezahlen Viele Experten sind sich darin einig: Smartphone-Apps werden an Während viele Kunden noch kaum Notiz davon genommen Bedeutung zulegen. Dank ihnen kann man in Läden bezahlen haben, dass ihr Smartphone auch ihr Portemonnaie sein könn- und Freunden oder Geschäftspartnern Geld überweisen. Hier te, wird massiv in die Entwicklung von Bezahl-Apps investiert. verschmelzen Banking, Detailhandel, IT und Telekommunikation. Derzeit machen vor allem zwei Apps von sich reden: Die In der Schweiz ist ein regelrechtes Gerangel im Gang. Nicht weil SIX-Zahlfunktion Paymit (entstanden aus der Wortkombination die Kunden auf solche Apps warten, sondern weil damit zu rech- von Payment und Transmit) und Twint von PostFinance. Bei der nen ist, dass branchenfremde Giganten wie Apple, Google und Paymit-Lösung sind sechs Banken an Bord, darunter Raiffeisen, Ebay mit viel mehr Usern, als die Schweiz Einwohner zählt, und UBS, ZKB und seit August auch die Swisscom, die ihre Eigen mit ihren eigenen Bezahlsystemen wie Apple Pay, Google Wallet entwicklung namens Tapit mangels Kundenzuspruch hat fallen und PayPal demnächst in die Schweiz drängen. lassen. PANORAMA RAIFFEISEN 3/2015
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