Interprofessionalität Interprofessionnalité - Hebamme.ch Sage-femme.ch Levatrice.ch Spendrera.ch - Schweizerischer ...

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Hebamme.ch
Sage-femme.ch
Levatrice.ch
Spendrera.ch
9 2016

Interprofessionalität
Interprofessionnalité
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Inhalt • Sommaire

Ausgabe 9                                                                             Edition 9
Interprofessionalität                                                                 Interprofessionnalité

Aktuell                                                               2              Actualité                                                                            24

Editorial Nadine Oberhauser                                           5              Editorial Nadine Oberhauser                                                          27

Dossier                                                               4              Dossier                                                                              26  
Im Spannungsfeld zwischen Professionalisierung,                                       Apprendre à collaborer, un défi pour améliorer
Recht und Tradition Marion Huber                                                     la qualité des soins Patricia Picchiottino
Wem dient «Interprofessionalität»? Michael Gemperle                   9
                                                                                      Focus                                                                                30
Mosaik                                                              12               Financer des projets de recherche tout en
Was es über das Zika-Virus zu wissen gilt Miryam Azer                                favorisant les interactions entre profes­sionnels
                                                                                      Marie-Julia Guittier et Sabine Cerutti-Chabert
Neues aus Forschung und Wissenschaft                                16
                                                                                      Mosaïque                                                                             32
Wie die Körperempfindung mit dem Stillen
zusammenhängt Barbara Broers und Joanna Wawrzyniak                                    Ce qu’il faut savoir du virus Zika Josianne Bodart Senn

Verband                                                             18               Infos sur la recherche                                                               34

Sektionen                                                           19               Fédération                                                                           18

Fort- und Weiterbildung SHV                                         20               Sections                                                                             19

Impressum                                                           13               Formation continue FSSF                                                              21

                                                                                      Impressum                                                                            13

Thema der Ausgabe 10/2016                                                             Thème de l’édition 10/2016
Geburtsvorbereitung                                                                   Préparation à la naissance
Erscheint Anfang Oktober 2016                                                         Parution début octobre 2016

                                   113. Jahrgang |  113e année

                                   Geschäftsstelle | Secrétariat Rosenweg 25 C, Postfach, CH-3000 Bern 23, T +41 (0)31 332 63 40, F +41 (0)31 332 76 19
                                   info@hebamme.ch, www.hebamme.ch, www.sage-femme.ch Öffnungszeiten Mo–Do 8.30–12 Uhr, 13.30–16.30 Uhr / Fr 8.30–12 Uhr |
                                   Heures d’ouverture Lu-Je 8:30–12:00, 13:30–16:30 / Ve 8:30–12:00 Offizielle Zeitschrift des Schweizerischen Hebammenverbandes |
                                   Journal officiel de la Fédération suisse des sages-femmes | Giornale ufficiale della Federazione svizzera delle levatrici | Revista uffiziala
                                   da la Federaziun svizra da las spendreras Erscheinungsweise 10 Mal im Jahr, Doppelausgaben im Januar / Februar und Juli /August |
                                   Parution 10 éditions par année, numéros doubles en janvier / février et en juillet /août

                                   Foto Titelseite Der SHV dankt Silvia Arnold, Assistenzärztin, und Andrea Leu, Hebamme und Ausbildnerin;
                                   beide Frauenklinik Triemli Photo couverture La FSSF remercie Silvia Arnold, interne, et Andrea Leu, sage-femme et
                                   formatrice; toutes deux à la Frauenklinik Triemli
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Aktuell

    SHV prämiert Bachelorarbeiten                                                                                           Kurzfilm als Hilfe
    des ZHAW-Studiengangs Hebamme                                                                                           beim Stillen
                                                                                                                            von Frühgeborenen

                                                                                                              Keiko Saile
                                                                                                                            Muttermilch ist für Frühgeborene be-
                                                                                                                            sonders wichtig: Sie kann ihnen dabei
                                                                                                                            helfen, Entwicklungsrückstände auf ter-
                                                                                                                            mingerecht geborene Babys aufzuholen.
                                                                                                                            Neuere Studien zeigen z. B. positive Wir-
                                                                                                                            kungen auf Hirnentwicklung und Herz-
                                                                                                                            funktion. Frühgeborene zu stillen ist aber
                                                                                                                            oft mit Anlaufschwierigkeiten verbun-
                                                                                                                            den. Ein neuer Kurzfilm von Stillförde-
                                                                                                                            rung Schweiz zeigt Müttern von Frühge-
                                                                                                                            borenen mit anschaulichen Anleitungen,
    Die prämierten Absolventinnen und ihre Dozentinnen, zusammen mit der Preisverleiherin (v. l.):                          wie es gelingen kann.
    Anja Pfister, Marianne Indergand-Erni, Nicole Freuler, Ursina Braun, Elisabeth Spiegel, Sina Schlatter,                 Weitere Informationen und Film unter
    Ursina Hottinger, Laura Hermann und Regula Hauser.                                                                      www.stillfoerderung.ch/fruehgeborene
                                                                                                                            Bestellung der DVD für CHF 25.– unter
    Drei Bachelorarbeiten von Hebammen-                           «Zukunftsvision hebammengeleitete Be-                     contact@stillfoerderung.ch
    studierenden an der Zürcher Hochschule                        treuung?» Die Bachelorarbeit von Ursina
    für Angewandte Wissenschaften (ZHAW)                          Hottinger und Sina Schlatter, betreut von
    erhielten von Marianne Indergand-Erni,                        Elisabeth Spiegel-Hefel, trägt den Titel
    Mitglied des Zentralvorstandes des                            «Evidenzbasierte alternative nicht-inva-                  Genossenschaft
    Schweizerischen Hebammenverbands                              sive Methoden zur Beurteilung des Ge-
    (SHV), am 1. Juli einen Preis überreicht.                     burtsfortschrittes».                                      Maternité Alpine hat
    Nicole Freuler und Ursina Braun, betreut                      Quelle: www.zhaw.ch › Departemente ›
    von Anja Pfister, behandelten den «Sud-                       Gesundheit › Institute und Zentren › Institut
                                                                  für Hebammen (2x)
                                                                                                                            Mietshaus gefunden
    den unexptected postnatal collapse».
    Laura Herrmann, betreut von Regula                                                                                      Die Genossenschaft Geburtshaus Mater-
    Hauser, stellte sich folgender Frage:                                                                                   nité Alpine berief am 25. Juli eine aus­
                                                                                                                            serordentliche Generalversammlung ein,
                                                                                                                            weil die Verwaltung für den Geburts-
                                                                                                                            hausbetrieb gut geeignete Räume zur
    240 000 Ultraschalltests zu viel                                                                                        Miete an der Eggetlistrasse 5a in Zwei-
                                                                                                                            simmen gefunden hat. Die anwesenden
    Die jüngste Datenerhebung von santé-                          schaften in der Schweiz Risikoschwan-                     Genossenschafter haben dem Kredit für
    suisse zeigt ein deutliches Bild: Ultra-                      gerschaften wären, was sicher nicht der                   den fünfjährigen Mietvertrag unter dem
    schalluntersuchungen, vor allem bei                           Fall sei. Jedenfalls entspreche diese Pra-                Vorbehalt der Erteilung der Betriebsbe-
    Schwangeren, nehmen markant zu. Statt                         xis nicht dem Gesetz. Bei gut 60 000 Ge-                  willigung und der Aufnahme auf die kan-
    den zwei durch die Krankenkassen be-                          burten pro Jahr bezahlen die Kranken-                     tonale Spitalliste nach eingehender Dis-
    zahlten Untersuchungen während der                            kassen so rund 240 000 Ultraschalltests                   kussion grossmehrheitlich zugestimmt.
    Schwangerschaft stellten die Ärzte in-                        pro Jahr zu viel, wie Sandra Kobelt von                   Zur definitiven Prüfung der Betriebsbe-
    zwischen rund sechs Ultraschallbilder                         santésuisse sagt. Dies ergebe Zusatz-                     willigung wurden sämtliche Unterlagen
    her, sagte santésuisse-Vertrauensarzt Urs                     kosten von 30 Mio. CHF.                                   an die Gesundheits- und Fürsorgedirek-
    Vogt am 13. Juni im Schweizer Radio SRF.                      Die Ultraschalltests nehmen laut santé-                   tion eingereicht. Der definitive Entscheid
    Das heisst, dass bei fast jeder Konsulta-                     suisse generell zu, nicht nur in der Gynä-                sollte Ende August erfolgt sein. Die Ver-
    tion im Verlauf der Schwangerschaft ein                       kologie, sondern auch in der Urologie,                    waltung hat auch das Gesuch für die
    Bild gemacht wird.                                            der Gastroenterologie und in anderen                      Aufnahme des Geburtshauses Maternité
    Diese Untersuchungen geben dem Arzt                           Gebieten der inneren Medizin. Insge-                      Alpine auf die Spitalliste des Kantons
    und der Schwangeren zwar mehr Si­                             samt erhöhte sich die Zahl in den letzten                 Bern per 1. Januar 2017 gestellt. Darüber
    cherheit. Meist begründeten die Ärzte                         fünf Jahren um zehn Prozent. Mit dem                      wird der Gesamtregierungsrat entschei-
    die Ultraschalluntersuchungen aber mit                        Vorschlag von Gynäkologen, drei statt                     den. Am 1. Januar 2017 ist zudem der
    «Komplikationen», sodass sie medizinisch                      zwei Untersuchungen kassenpflichtig zu                    Betriebsstart geplant: Die ersten schwan-
    notwendig erscheinen und damit kassen-                        machen, wäre santésuisse einverstan-                      geren Frauen haben sich bereits proviso-
    pflichtig werden. «Eigentlich kann man                        den. Wenn sich alle Ärzte daran hielten,                  risch angemeldet. Geburtsvorbereitungs-
    von einem Missbrauch sprechen», sagte                         spare dies 15 Mio. CHF.                                   kurse sowie Themenkurse sind bereits ab
    Urs Vogt. Laut dem Krankenkassenver-                          Quelle: Neue Zürcher Zeitung vom 14. Juni 2016            Herbst geplant.
    band santésuisse hiesse das nämlich,                                                                                    Quelle: Genossenschaft Geburtshaus Maternité Alpine,
    dass rund 70 Prozent aller Schwanger-                                                                                   Medienmitteilung vom 2. August 2016

2   Hebamme.ch • Sage-femme.ch 9  2016
Interprofessionalität Interprofessionnalité - Hebamme.ch Sage-femme.ch Levatrice.ch Spendrera.ch - Schweizerischer ...
der frühen Kindheit gelegt wird. In den
Anzahl Geburten                               ersten Lebensjahren ist die Eltern-Kind-    WHO: Good Practices
                                              Beziehung besonders zentral. Für das
stieg 2015 an                                 Kleinkind sind verlässliche, verfügbare     für Hebammen
                                              und vertraute Bezugspersonen unver-
Die definitiven Ergebnisse der Statistik      zichtbar. In diesem Zusammenhang zu         und Pflegepersonal
der natürlichen Bevölkerungsbewegung          bedenken ist bspw. die postpartale De-
für das Jahr 2015 zeigen, dass die Zahl der   pression. Für die psychische Gesundheit
Lebendgeburten von 85 300 im Jahr 2014        der Kinder ebenfalls entscheidend sind
auf 86 600 im Jahr 2015 zugenommen            familiale Schutzfaktoren wie eine stabile
hat (+ 3,1 %). Dieser Geburtenanstieg ist     elterliche Beziehung, gute Erziehungs-
nicht auf einen Babyboom, sondern auf         kompetenzen der Eltern sowie ein posi-
das Bevölkerungswachstum zurückzu-            tives Familienklima.
führen, denn die zusammen­gefasste Ge-        Quelle: www.netzwerk-kinderbetreuung.ch ›
burtenziffer blieb stabil bei 1,5 Kindern     Gesellschaft › Info-Feed Frühe Kindheit ›
pro Frau (2015: 1,54). Die Zahl der Ge-       16. Juni 2016
burten erhöhte sich in den meisten
Kantonen. Nur sechs Kantone verzeich-
neten einen Rückgang: Zürich, Uri, Neu-
enburg, Graubünden, Schaffhausen und          Krankenkassenprämie
Obwalden. Trotz rückläufiger Geburten-
zahl ist Zürich noch immer der Kanton         wird erhöht
mit den meisten Geburten pro Ein­
wohnerin und Einwohner (11,6 ‰). Die          Psychische Erkrankungen sollen künftig
niedrigste Geburtenziffer registrierte        rascher erkannt und behandelt und die
das Tessin (8,4 ‰). Zum Vergleich: Ge-        Gesundheit im Alter gestärkt werden.
samtschweizerisch zählte die Schweiz          Das Eidgenössische Departement des          Mit 55 Fallstudien zeigt das «European
10,5 Geburten pro 1000 Einwohnerin-           Innern erhöht deshalb den Zuschlag          compendium of good practices in nurs­
nen und Einwohner.                            auf der Krankenkassenprämie, wie dies       ing and midwifery towards Health 2020
Die meisten Geburten (77,1 %) erfolgten       von der Stiftung Gesundheitsförderung       goals» des Regionalbüros der Weltge-
im Rahmen einer Ehe. Der Anteil der           Schweiz beantragt worden ist. Damit         sundheitsorganisation (WHO) für Europa,
nicht ehelichen Geburten belief sich          soll die Belastung des Gesundheitssys-      wie Hebammen und das Pflegepersonal
2015 auf 22,9 %. Somit stieg die Zahl der     tems durch chronische, nichtübertrag-       zur öffentlichen Gesundheit und mehr
nicht ehelichen Geburten weiter an: von       bare Krankheiten verringert werden.         Chancengleichheit beitragen. Die Fallstu-
18 500 im Jahr 2014 auf 19 800 im Jahr        Der Prämienzuschlag von heute jährlich      dien illustrieren, dass Hebammen und
2015 (+ 7,1 %).                               CHF 2.40 pro krankenversicherter Per-       das Pflegepersonal einen grossen Beitrag
Quelle: Medienmitteilung des Bundesamtes      son wird in zwei Schritten erhöht, und      leisten zur Gesundheitsförderung und
für Statistik vom 30. Juni 2016               zwar 2017 auf CHF 3.60 und um weitere       Prävention über den gesamten Lebens-
                                              CHF 1.20 im Jahr 2018.                      zyklus der Patientinnen und Pa­tienten
                                              In der Schweiz betrugen 2011 die direk-     hinweg. Zudem tragen sie wesentlich zu
                                              ten medizinischen Kosten aller nicht-       einer patientenzentrierten Betreuung
Grundlagenbericht:                            übertragbaren chronischen Krankheiten       bei, verbessern den Zugang zu und för-
                                              51,7 Mrd. CHF. Zu diesen Krankheiten        dern die Integration von Gesundheits-
Zahlen und Fakten zur                         gehören Krebs, psychische Krankheiten,      dienstleistungen. Dabei erweist sich die
                                              Diabetes, Herz-Kreislauf- und Atemwegs­     Zusammenarbeit in multidisziplinären
psychischen Gesundheit                        erkrankungen oder Muskel-Skelett-Er-        Teams als besonders effektiv.
                                              krankungen. Mit gesundheitsfördernden       Publikation unter www.euro.who.int ›
In der Ausgabe 6 aus der Reihe «Gesund-       und präventiven Massnahmen wird das         Health topics › Health systems › Nursing and
heitsförderung Schweiz Bericht» fokus-        Ziel verfolgt, die Krankheitslast und die   midwifery › Publications
siert Gesundheitsförderung Schweiz            damit verbundenen volkswirtschaftli-        Quelle: www.netzwerk-kinderbetreuung.ch ›
                                                                                          Gesellschaft › Info-Feed Frühe Kindheit ›
auf die psychische Gesundheit über die        chen Kosten zu verringern. Zudem zeigt
                                                                                          24. Mai 2016
gesamte Lebensspanne und bündelt              der erst kürzlich vom Bundesrat verab-
Grundlagenwissen zu verschiedenen             schiedete Bericht über die Perspektiven
Querschnittsthemen. Expertinnen und           der Langzeitpflege, dass die demografi-
Experten verschiedener Fachbereiche           sche Entwicklung in den nächsten Jahr-
verfassten zu relevanten Querschnitts-        zehnten zu Mehrausgaben für die Lang-
themen verschiedene Kapitel, so auch          zeitpflege in Milliardenhöhe führen wird.
eines zur psychischen Gesundheit in der       Es lohnt sich deshalb, in Präventions-
frühen Kindheit. Sabine Brunner vom           massnahmen zu investieren, welche die
Marie Meierhofer Institut für das Kind        Pflegebedürftigkeit so lange wie mög-
zeigt darin, dass die Grundlage für die       lich hinauszögern.
psychische Gesundheit in den Jahren           Quelle: Medienmitteilung des Bundesamtes
                                              für Gesundheit vom 1. Juli 2016

                                                                                                    9 2016 Hebamme.ch • Sage-femme.ch    3
Interprofessionalität Interprofessionnalité - Hebamme.ch Sage-femme.ch Levatrice.ch Spendrera.ch - Schweizerischer ...
Dossier

    Im Spannungsfeld zwischen
    Professionalisierung, Recht und
    Tradition
    Interprofessionelle Zusammenarbeit lässt sich in einer umfassenden und ganzheitlichen
    Schwangerschafts- und Geburtsbetreuung nicht mehr wegdenken. Sie beschreibt in erster
    Linie die Zusammenarbeit mindestens zweier unterschiedlicher Berufsgruppen zur Erlangung
    eines gemeinsamen Ziels. Tradition, rechtliche Aspekte, Professionalisierung und Speziali­
    sierung bringen jedoch hemmende Faktoren mit sich. Es gilt, sich diese bewusst zu machen
    und der Frage nachzugehen, in wieweit diese Hindernisse überwunden werden können.

    Marion Huber

                   Interprofessionelle Zusammenarbeit (IPZ), ein Begriff, der    erreicht sind (Waring, 2005, Abstract). Eine weitere Pro­
                   heutzutage quasi zum guten Ton einer personenzentrier-        blematik für gelingende IPZ kann in den unterschiedli-
                   ten Betreuung und damit auch zum Hebammenalltag ge-           chen Denk- und Sichtweisen bezüglich der Betreuung
                   hört, wird oftmals als Deckmantel für unterschiedliche        von Schwangeren/Gebärenden/Müttern gesehen wer-
                   Formen von Zusammenarbeiten genutzt. Von daher gilt           den (Reime et al., 2004, S. 1390).
                   es zunächst, diesen Begriff zu definieren. IPZ umfasst die    Hindernisse für IPZ beginnen auf struktureller Ebene.
                   Zusammenarbeit mindestens zweier unterschiedlicher            Schon räumliche Distanzen wirken sich erschwerend aus,
                   Berufsgruppen, das heisst die kooperative Zusammenar-         da sie die Zugänglichkeit der Professionen behindern. Sie
                   beit unterschiedlicher Personen mit unterschiedlichen         erschweren zudem eine gemeinsame Zielfindung, die je-
                   Kompetenzen und Spezialisierungen. Dies zur Erreichung        doch als unabdingbar für gelingende IPZ angesehen wird
                   eines gemeinsamen Zieles (D’Amour et al., 2005, S. 120).      (Xyrichis und Lowton, 2008, S. 144). Ebenfalls auf struk­
                   Es bedeutet nicht das additive Zusammenfügen silohaf-         tureller Ebene anzusiedeln ist die aktuelle Entwicklung
                   ten Wissens, sondern vielmehr das Erkennen von Über-          im Gesundheitswesen. Professionsspezifische Traditio-
                   lappungsbereichen oder auch Verbindungsstellen, das           nen, hoher Spezialisierungsgrad und Professionalisierung
                   Er- und Anerkennen von Kompetenzen und somit auch             der nichtärztlichen Gesundheitsberufe wirken der IPZ
                   das Klären von Rollen (D’Amour, 2005, S. 120). Multipro-      entgegen. Professionalisierung bedeutet gerade in den
                   fessionell hingegen ist das additive Zusammenfügen            nichtärztlichen Gesundheitsberufen, sich als akademi-
                   fragmentierten Wissens zur Erreichung eines übergeord-        sche Disziplin zu behaupten, eine eigene Sprache zu ent-
                   neten Zieles, das nur bedingt als ein gemeinsame formu-       wickeln und ein erweitertes Kompetenzprofil zu generie-
                   liertes Ziel sein muss (D’Amour, 2005, S. 120).
                   Die Forderung nach IPZ hat sich in erster Linie aus ökono-
                   mischen Gründen als aktuelles Thema herauskristallisiert.
                   Leitgedanken dabei sind Kostenreduktion, Fachkräfte-          Autorin
                   mangel und die Problematik fragmentierten Wissens
                   durch Professionalisierungsbestrebungen und Spezialisie-
                   rung. Dennoch lassen sich die wenigsten Situationen in
                   der Praxis nur durch eine Profession bewältigen. Erfor-
                   derlich wird nun ein Schnitt- oder besser Verbindungs-
                   stellenmanagement, das Basis der IPZ ist.

                   Räumliche Distanzen sind ein Hindernis
                   Nicht gelingende IPZ zeigt sich in erster Linie unter ande-
                   rem durch Informationslücken, Fehlinformationen, «criti-
                   cal Inzidents», Missverständnisse und Fehlentscheidun-
                   gen. Hinzu kommen Standesdünkel und Ängste sowie
                   eine persönliche Hemmschwelle, andere hinzuzuziehen,          Marion Huber, Prof. Dr. phil., seit 2009
                   sei es bei Problemen oder wenn die eigenen Grenzen            stell­vertretende Leiterin für interprofes-
                                                                                 sionelle Lehre und Praxis, Institut für
                                                                                 Gesundheits­w issenschaften, Zürcher Hoch-
                                                                                 schule für angewandte Wissenschaften.
                                                                                 marion.huber@zhaw.ch

4   Hebamme.ch • Sage-femme.ch 9  2016
Interprofessionalität Interprofessionnalité - Hebamme.ch Sage-femme.ch Levatrice.ch Spendrera.ch - Schweizerischer ...
Editorial

ren. Mieg (2005, S. 342) definiert Professionalisierung
folgendermassen: «Professionalisierung bedeutet im en-
gen Sinn den Prozess der Entwicklung einer Berufsgruppe
in Richtung einer Profession, d. h. einer Berufsgruppe mit
einer gewissen Autonomie in der Leistungskontrolle.»
Das Bestreben nach mehr Autonomie hat mitunter dazu
geführt, dass sich die Berufsgruppen um Kompetenzer-            Nadine Oberhauser
weiterungen bemühen, um Fähigkeiten zu erwerben,                Leiterin der Hebammenausbildung, Haute Ecole de
die das autonome Handeln unterstützen oder auch erst            Santé Vaud, Lausanne
ermöglichen. Exemplarisch sei das «clinical assessment»
erwähnt, das traditionell den Ärzten vorbehalten war.
Nun ist es wesentlicher Bestandteil in der Aus- und Wei-
terbildung der Hebammen und in der Berufspraxis.                Liebe Leserin, lieber Leser
Den anderen Berufsvertreter hinzuziehen                         Sie hören «Interprofessionalität» und verstehen «Interdiszipli-
Autonomiebestreben und vorhandene hierarchische                 narität»? Das ist nicht falsch, aber auch nicht ganz richtig. Das
Strukturen gelten als Hindernisse der IPZ (Xyrichis und         Konzept entwickelte sich bereits in den 1980er-Jahren, vorerst
Lowton, 2008, S. 145). Sie erschweren die klare Abspra-
                                                                in angelsächsischen Ländern. In der Schweiz interessiert man
che bezüglich Verantwortlichkeiten und damit auch der
                                                                sich seit rund zehn Jahren dafür. Interprofessionelle Zusam-
Rollen. Traditionell ist der Arzt in der hierarchischen Kette
weisungsbefugt. Die Hebamme ist autonom, sofern es              menarbeit ist, «wenn mehrere Gesundheitsfachpersonen mit
sich um eine physiologische Geburt handelt. Grund­              unterschiedlichem beruflichem Hintergrund untereinander
legend sind beide eigenständigen Heilberufe gemäss              wie auch mit den Patientinnen und Patienten, deren Angehö-
Teichmann (2013, S. 99) gesetzlich verpflichtet, den ande-      rigen, Betreuenden sowie der Gemeinschaft zusammenarbei-
ren hinzuzuziehen. Laut Teichmann (2013, S. 100) muss           ten, um die bestmögliche Versorgungsqualität zu erreichen»
der Arzt die Hebamme bei jeder Geburt herbeiholen, die          (Bundesamt für Gesundheit, 2012).
Hebamme den Arzt bei von der Norm abweichenden
Verläufen von Schwangerschaft, Geburt und Wochen-               Nichts Neues, werden Sie sagen, wenn Sie hören, dass diese
bett. Hierzu weist Teichmann (2013, S. 100) auf die Pro­        Zusammenarbeit den Fokus auf die Bedürfnisse des Patienten
blematik hin, dass es keine präzise Abgrenzung zwischen         richtet und diese zu erfüllen und die Qualität der Versorgung
normalen und nicht normalen Geburtsvorgängen gibt.              zu verbessern versucht. Es geht also nicht darum, die Kom­
Zieht eine Hebamme einen Arzt hinzu, gibt sie in diesem         petenzen der anderen Berufsleute gezielt zu nutzen oder
Augenblick ihre Eigenständigkeit auf. In diesem Moment          Massnahmen zu delegieren. Vielmehr geht es darum, die
geht rechtlich die therapeutische Gesamtverantwortung
                                                                Funktionen und Rollen der Fachpersonen zu kennen, deren
an den Arzt (Teichmann, 2013, S. 101).
Geht man also davon aus, dass beide Berufsgruppen die           Wissen und Fähigkeiten zusammenzuführen und gemeinsam
entsprechenden Normen kennen, dann bleibt im Indivi-            zu bestimmen, welches Angebot für eine gegebene Situation
dualfall immer noch die Frage nach den entsprechenden           optimal wäre und wer es umsetzen könnte.
Kompetenzen und der Erfahrung der jeweiligen Person
                                                                Dazu braucht es erwiesene Kompetenzen in den Bereichen
offen (Teichmann, 2013, S. 103). Zudem wird das Klären
der Rollen und Verantwortlichkeiten erschwert, und es           Kommunikation, Gruppenleitung und Konfliktbewältigung
bedarf eines zeitlichen Investments von Situation zu            sowie die Bereitschaft zu einem gemeinsamen Vorgehen,
Situation. Rollen- und Verantwortungsklärung gelten             das über die Berufshierarchien hinausreicht. Wir wissen,
allerdings ebenfalls als unumgänglich für gelingende IPZ        dass professionelle Interaktion im Alltag schwierig ist und
(Xyrichis und Lowton, 2008, S. 144/145).                        dass sie oft im Notfall, in einer komplexen Situation er­
                                                                folgen muss – unter Berücksichtigung unterschiedlicher
Eine gemeinsame Sprache finden                                  Anliegen und Werte, wobei die Wahrnehmung der Ver­
Jegliches Hinzuziehen anderer Professionen erfordert ein        antwortlich­keiten und der beruflichen Rolle zu Kompetenz-
Verbindungsstellenmanagement. Dieses wiederum das
                                                                abgrenzungen und Machtansprüchen führen kann.
Weitergeben von Informationen. Aufgrund einer in der
Schweiz fehlenden gemeinsamen Dokumentationsplatt-              Das Akzeptieren der Interprofessionalität in ihrer ganzen
form wie bspw. einem Mutter-Kind-Pass wird die lücken-          Komplexität führt dazu, dass man in der Gruppe stärker und
lose Informationsweitergabe erschwert. Eine lückenlose          besser ist als allein. Ein anspruchsvolles, notwendiges und
Informationskette garantiert jedoch noch nicht das ge-
meinsame Sprachverständnis. So entwickeln sich im Zuge
                                                                auch spannendes Vorgehen.
der Professionalisierung professionsspezifische Sprachen.
Diese erschweren ein gemeinsames Verständnis und er-
fordern Übersetzungsarbeit. Eine gemeinsame Sprache             Herzlich, Nadine Oberhauser
mehrerer Professionen gilt jedoch als wichtig für gelin-
gende IPZ (Xyrichis und Lowton, 2008).

                                                                                                    9 2016 Hebamme.ch • Sage-femme.ch   5
Interprofessionalität Interprofessionnalité - Hebamme.ch Sage-femme.ch Levatrice.ch Spendrera.ch - Schweizerischer ...
Dossier

        Interprofessioneller Betreuungspfad

        Setting                            Ambulant                                  Spital                            Ambulant                       Spital

        Untersuchung/                                                               Schwangerschaftsdiabetes
                                           1. VU        2. VU          …                                                                …             Frühgeburt
        Symptome                                                                     Depressive Verstimmung

        Koordinations-                   – Auswahl                                 – Spitalübertritt                – Übertritt nach Hause
        aufgaben                             einer Hebamme                           – Aufrechterhalten des           – Aufrechterhalten des
                                          – 1. UV                                      Informationsflusses               Informationsflusses
                                          – Mutter-Kind-Pass                        – …                              – …

        Interprofessioneller             Profession
        Betreuungsbogen
                                          Werdende Mutter        •
                                                                      Wunsch: Hausgeburt
                                                                                                                                                                   >
        Frau S., 27-jährig, Primipara,
        erste Schwangerschaft             Hebamme                •
                                                                      Auftrag: Hausgeburt
                                                                                                                                                                   >
                                          Gynäkologe                            •
                                                                                     Auftrag 1
                                                                                          >                       •                                               >
                                          Psychologe                                     •
                                                                                              Auftrag 2
                                                                                                                                                                   >
                                          Labor                                          •
                                                                                               Blutanalyse
                                                                                                              >                                  •                >
                                          Spitalarzt                                     •                   >                                  •                >
                                          Pflege                                         •                   >                                           •       >
                                          Pädiater                                                                                                             • >

                                                                                     
                                                                                     Auftrag 1: Diagnostik und Behandlung des Schwangerschaftsdiabetes,
                                                                                     Abklären des Schweregrades der Depression
                                                                                     Auftrag 2: Abklären des Schweregrades der Depression, Psychotherapie

            Übertrittsituation | Situations-/Settingwechsel |    Besondere Gefahrenstelle im Informationsfluss und
        bezüglich interprofessioneller Zusammenarbeit |    Informationsweitergabe und interprofessionelle Verbindungsstellen.
        Quelle: In Anhlehnung an BAG (2016). Das Interprofessionelle Team in der Palliative Care. S.  14.

                    Auf der persönlichen Ebene lassen sich unterschiedliche,                                 Bei problemlosen Verläufen ist eine Hebamme für den
                    für IPZ hinderliche Faktoren beschreiben. Als wichtigstes                                grössten Teil der Strecke bezüglich der Betreuung eigen-
                    Hindernis ist das mangelnde Wissen über die Kompeten-                                    verantwortlich, sofern die Schwangere/Gebärende/Mut-
                    zen der anderen Professionen zu nennen und damit die                                     ter und das Setting es erlauben. Dies wird durch Aussagen
                    Bereitschaft, sich diesbezüglich zu engagieren (Xyrichis                                 von Xyrichis und Lowton (2008, S. 145), dass gemeinsame
                    und Lowton, 2008). Eine grundlegende Offenheit und                                       Räumlichkeiten die IPZ fördern, unterstützt. Sie erleich-
                    Vertrauen den anderen gegenüber wird ebenfalls von                                       tern die Zugänglichkeit, die Möglichkeit regelmässiger
                    Xyrichis und Lowton (2008) als wichtige Basis für die IPZ                                Teamtreffen und somit auch den interprofessionellen
                    benannt.                                                                                 Austausch. Dies scheint auch der Grund zu sein, warum
                    Nun stellt sich die Frage, in wieweit den genannten Hin-                                 sich unerfahrene, jüngere Frauen eher für eine Spitalge-
                    dernissen entgegengetreten werden kann, damit eine                                       burt als für eine Hausgeburt entscheiden (Anthony et al.,
                    umfassende, ganzheitliche personenzentrierte und so-                                     2005, S. 750–51). Für Freipraktizierende bedarf es bspw.
                    mit interprofessionelle Betreuung möglich wird.                                          einer regelmässigen aktiven gegenseitigen Kontaktauf-
                                                                                                             nahme (Gynäkologe/Hebamme).
                    Ganzheitliche Betreuung schafft niemand alleine
                    In erster Linie geht es um das Wohl der Klientin und das                                 Eine Person führt, die andere gibt ihre Führung ab
                    ihres Kindes, was eine ganzheitliche Betreuung not­                                      Grundlegend und unabhängig vom Setting wechseln
                    wendig macht und in der Regel nicht von einer einzelnen                                  die Komplexitäten der interprofessionellen Teams von
                    Profession getragen werden kann. In irgendeiner Form                                     Situation zu Situation. Teilweise spricht man von losen
                    braucht es also die IPZ, gerade wenn man die Klientin als                                Netzwerken bis hin zu wirklich notwendiger physischer
                    Teil eines Teams sieht und sie somit auch ins Zentrum                                    Zusammenarbeit. Innerhalb dieses Kontinuums bedarf
                    der Arbeit stellt, was eine Forderung der personenzent-                                  es in erster Linie einer permanenten Reflexion darüber,
                    rierten Betreuung darstellt.                                                             wie eng das Team im spezifischen Fall zusammenarbei-
                                                                                                             ten und gestaltet werden muss. Dies ist eine Frage der
                                                                                                             klaren Führungsübernahme und damit der Rollenklä-

6   Hebamme.ch • Sage-femme.ch 9  2016
Interprofessionalität Interprofessionnalité - Hebamme.ch Sage-femme.ch Levatrice.ch Spendrera.ch - Schweizerischer ...
rung, die sich je nach Situation verlagern kann. Genau        fallsituationen. Es konnten signifikante Verbesserungen
diese Verbindungsstelle scheint jedoch immer wieder zu        bezüglich Teamstruktur, Führungsverhalten, gegenseiti-
Schwierigkeiten und Unsicherheiten zu führen. Eine Per-       gem situativen Monitoring, Kommunikation und gegen-
son muss ihre Führung abgeben. Der Verlust der Autono-        seitiger Unterstützung gezeigt werden (Sawyer et al.,
mie ist in diesem Fall Fakt. Eine andere Person muss die      2013, S. 30–32). Ein weiterer Vorteil gemeinsamer Aus-
Führung übernehmen, nicht jedoch auf Basis ihrer Kom-         bzw. Weiterbildungen besteht in der Bildung einer ge-
petenzen, sondern aufgrund rechtlicher Vor­gaben.             meinsamen Sprachbasis (Austin, 2013).
Ein Beispiel: Eine erfahrene Hebamme muss einem jun-
gen unerfahrenen Assistenzarzt die Führung übergeben.         Andere Sichtweisen akzeptieren
In einem solchen Fall wäre es wahrscheinlich sinnvoller,      Eine weitere Möglichkeit, dieser Problematik zu begeg-
wenn die Hebamme die Führung beibehalten würde.               nen, besteht in einer Grundakzeptanz und dem Wissen
Oftmals geschieht dies schon ganz implizit, werden doch       um eine wechselseitige Abhängigkeit. Das heisst konkret,
die erfahrenen Hebammen wenigstens bezüglich ihres            man muss sich situationsabhängig vom Gedanken der
Wissens immer wieder von den jungen Ärzten eher be-           Autonomie verabschieden. Systemisch gesehen gibt es
fragt als dass die Oberärzte befragt werden (Stiefel,         keine wirkliche Autonomie, lediglich eine Interdependenz
2004, S. 74). Dennoch geht ab dem Zuschalten des Arztes       (Nassehi, 2016). Um in dieser Abhängigkeit Vertrauen
die Entscheidungsgewalt zum Arzt.                             aufbauen zu können, benötigt es wiederum das Wissen
                                                              um die Kompetenzen der jeweilig anderen Berufsgruppe.
Hebammen und Ärzte früh zusammenbringen                       Je komplexer das System ist, je grösser das involvierte
Ein anderes Beispiel: Beteiligt sind eine unerfahrene Heb-    Team, desto weniger kann das Endergebnis vorhergese-
amme und unerfahrene Assistenzärzte. Hier gestaltet           hen werden, was zu Unsicherheit führt (Nassehi, 2016).
sich das Zusammenspiel laut Stiefel (2004, S. 74) schon       Die Akzeptanz, dass auch die anderen recht, jedoch einen
schwieriger. Beide Professionen können nur schwer ihren       anderen Blickwinkel haben, und Vertrauen in die jewei­
gegenseitigen Kenntnisstand und damit die jeweiligen          ligen Kompetenzen können zu einer Reduzierung der
Kompetenzen einschätzen. Die Abgrenzung von Physio-           Unsicherheit führen. Im Rahmen der Zusammenarbeit
logie und Pathologie ist in diesem Setting schwieriger,       heisst das konkret, es braucht die Fähigkeit, eine Situa-
zumal die jungen Ärzte während ihrer Ausbildung in            tion multiperspektivisch zu betrachten. Man kann hier
erster Linie mit pathologischen Situationen konfrontiert      auch von geteilter Intelligenz sprechen. Um eine Situa-
werden. Hieraus kann es zu Kompetenzgerangel kommen           tion ganzheitlich zu erfassen, benötigt es geteilte Intel-
(Stiefel, 2004, S. 74). Dieser Situation kann im Grunde auf   ligenz. Hierzu reicht eine monoprofessionelle Betrach-
unterschiedliche Weise begegnet werden: Einerseits            tungsweise nur selten aus (Nassehi, 2016). Dies wird im
kann schon in der Ausbildung auf das Zusammenführen           Praxisalltag als Bereicherung beider Seiten erlebt, was
von Hebammen und Ärzten fokussiert werden (Cullen et          die Arbeitszufriedenheit wiederum erhöht (Suter et al.,
al., 2003, S. 427) oder auf den Miteinbezug der Hebam-        2009, S. 44). Demzufolge braucht es einen Gedanken­
men in die ärztliche Ausbildung. Dass dies einen förder-      shift, weg von uniformer Intelligenz hin zu geteilter Intel-
lichen Einfluss auf die interprofessionelle Kompetenz-        ligenz, und dies bedarf einer grundlegenden Offenheit
entwicklung hat, wurde durch ein Modell der Amsterdam         für die Sichtweisen der jeweils anderen Professionen.
Medical Centres dargelegt. So konnte gezeigt werden,
dass die gegenseitige Akzeptanz gesteigert werden             Respekt erleichtert vieles
konnte, und Hebammendozierende wurden als gleich              Vermehrtes Wissen über die anderen verstärkt zudem
kompetent eingestuft wie das ärztliche Kollegium (Stie-       auch den Respekt. Ein weiterer wichtiger Kernaspekt für
fel, 2004, S. 75).                                            gelingende IPZ (Xyrichis und Lowton, 2008, S. 150). Zu-
Ein weiterer Vorteil einer solchen Unterrichtsform wurde      dem erleichtert das Wissen über die anderen die Rollen-
in der Wissenserweiterung über die andere Profession          klärung, die bei vorhandenem Respekt sehr effektiv ge-
gesehen. Berufliche, fachliche Inhalte kamen jeweils          staltet werden kann (Austin, 2013). Es begünstigt die
nicht zu kurz und halfen, die gegenseitigen Sichtweisen       Akzeptanz der wechselseitigen Abhängigkeit und somit
kennenzulernen und besser zu verstehen. Eine Unter­           eine Abflachung der Hierarchien, was die Barriere des Au-
suchung von Cullen et al. (2003, S. 427) zeigte eine ver-     tonomiegedankens zusehends abschwächt (Austin, 2013;
besserte Rollenklärung auf durch mehr Wissen über die         Suter et al., 2009). Für eine gemeinsame Entscheidungs-
jeweils andere Profession.                                    findung kann dies als förderlich betrachtet werden (Aus-
Nun sollten sich solche Ausbildungsprogramme nicht            tin, 2013).
nur auf den Geburtsvorgang und nur zwei Professionen          Die bisher genannten Förderfaktoren IPZ brauchen je-
beschränken. Ein gegenseitiger Gewinn kann auch durch         doch etwas Grundlegendes: den Willen zur Zusammen-
Ausbildungseinheiten bspw. mit Physiotherapeutinnen           arbeit und eine Offenheit den anderen Professionen
und -therapeuten, mit Pflegenden und Labormitarbei-           gegenüber. Diese personenbezogenen Eigenschaften er-
tenden herbeigeführt werden. Wissenserweiterung um            fordern ein hohes Mass an Eigenreflexion und Kommu-
die Kompetenzen und Sichtweisen der jeweils anderen           nikationsbereitschaft und -fähigkeit, die ebenfalls Basis­
Professionen werden als Kernelemente gelingender IPZ          eigenschaften für gelingende IPZ darstellen (Austin, 2013;
gesehen (Xyrichis und Lowton, 2008, S. 150). Gemein-          Suter et al., 2009).
same Weiterbildungen können dies ebenfalls fördern.
Sawyer et al. (2013, S. 30) untersuchten den Effekt von
interprofessionellem Teamtraining in simulierten Not-

                                                                                                     9 2016 Hebamme.ch • Sage-femme.ch   7
Dossier

                 Gemeinsame Dokumentation                                       Insbesondere in diesem Fall wäre eine gemeinsame Do­
                 Alle Punkte klären jedoch immer noch nicht die Pro­            kumentationsplattform sinnvoll. Im Dokument könnte
                 blematik eines gelingenden Verbindungsstellenmana­             auch der Klientenpfad aufgezeigt sein. Ein möglicher Vor-
                 gements. Sie sind lediglich Voraussetzung dafür. Das           schlag findet sich in der Abbildung auf Seite 6.
                 einfachste Hilfsmittel gelingenden Verbindungsstellen-         Gelingende IPZ wirkt sich positiv auf die Sicherheit von
                 managements wäre eine gemeinsame Dokumenta­                    Mutter und Kind aus und hat positive Auswirkung auf
                 tionsgrundlage wie bspw. ein Mutter-Kind-Pass. Die Ver-        die Arbeitszufriedenheit (Freeth et al., 2009, Abstract).
                 antwortung für den vollständigen Informationsgehalt            Von daher erscheint es sinnvoll, gemeinsam voranzu-
                 liegt bei der Schwangeren/Gebärenden/Mutter selbst.            schreiten und Hindernisse für IPZ gemeinsam aus dem
                 Als treibende Kraft in dem interprofessionellen System         Weg zu schaffen.
                 erscheint dies sinnvoll, sofern die entsprechenden Fähig-
                 keiten für eben diese Verantwortungsübernahme gege-
                 ben sind. Ansonsten muss eine Stellvertretung gesucht
                 werden, dies kann die Hebamme sein oder aber auch der                  Literatur
                 begleitende Gynäkologe.                                                Anthony, S. et al. (2005) Maternal factors and the probability of
                 Als dienlich hat sich auch das Aufstellen von Patienten-/              a planned home birth. «BJOG International Journal of Obstetrics
                 Klientenpfaden erwiesen. In jedem spezifischen Fall                    and Gynaecology», 112(6); 748–753.
                                                                                        Austin, D. (2013) UCSF’s Nurse-Midwives Collaborate with
                 kann damit systematisch aufgezeigt werden, wo welche
                                                                                        Physicians for High-Quality Maternity Care.
                 Professionen zeitlich gesehen ihre Haupteinsätze haben.
                                                                                        http://scienceofcaring.ucsf.edu/ › Titel im Suchfeld eingeben ›
                 Informationsflüsse in die entsprechenden Richtungen                    Dezember 2013
                 können so gleichzeitig gesteuert werden. Zudem gibt                    Cullen, L. et al. (2003) Strategies for interprofessional education:
                 der Klientenpfad die Möglichkeit, die Versorgung in ihrer              the Interprofessional Team Objectives Structured Clinical Examina-
                 Komplexität darzustellen und sie für alle Beteiligten sicht-           tion for midwifery and medical students. Nurse education Today;
                 bar zu machen. Ein Klientenpfad benötigt allerdings eine               23, 427–433.
                 zentrale Steuerungsstelle. Diese muss nicht zwingend                   D’Amour, D. et al. (2005) The conceptual basis for interprofessional
                 beim Arzt, sondern kann durchaus bei einer Hebamme                     collaboration: Core concepts and theoretical frameworks. «Jour-
                                                                                        nal of Interprofessional Care, Supplent 1»; 116–131.
                 liegen. Problematischer wird es, wenn ein Wechsel aus
                                                                                        Freeth, D. et al. (2009) Multidisciplinary Obstetric Simulated
                 einer ambulanten Versorgung in das Spital stattfindet.
                                                                                        Emergency Scenarios (MOSES): Promoting Patient Savety in
                                                                                        Obstetrics with Teamwork-Fokused Interprofessional Simulations.
                                                                                        «Journal of Continuing Education in the Health Professions»;
                                                                                        29(2), 98–104.
                                                                                        Mieg, H. A. (2005) Professionalisierung. In: Rauner, F. (Hrsg),
                                                                                        Handbuch der Berufsbildungsforschung. Bielefeld: Bertelsmann;
        Wichtigste Voraussetzungen                                                      342–349.
                                                                                        Nassehi, A. (2016) Die Bedeutung des Faktors «Setting» für
        für gelingende interprofessionelle                                              das Gelingen von Interprofessionalität und die Bedeutung
                                                                                        des Faktors «Verantwortung» für das Gelingen von Inter­
        Zusammenarbeit                                                                  professionalität. Referat an der Tagung «Wie gelingt Inter­
                                                                                        professionalität?», Schweizerische Akademie der Medizinischen
        Strukturelle Voraussetzungen                                                    Wissenschaften vom 12. April.
        – Rechtliche Aspekte                                                           Reime, B. et al. (2004) Do maternity care provider groups have dif-
        – Finanzielle Aspekte                                                          ferent attitudes twards birth? «BJOG International Journal of Ob-
        – Räumliche Nähe                                                               stetrics and Gynaecology»; 111, 1388.1393.
                                                                                        Sawyer, T. et al. (2013) Improvements in Teamwork During Neo­
        Teamvoraussetzungen                                                             natal Resuscitation After Interprofessional TeamSTEPPS Training.
                                                                                        «Neonatal Network»; 1(8), 26–33.
        – Wissensaneignung über die Kompetenzen
                                                                                        Stiefel, A. (2004) Zukunftsvision: Gemeinsame Ausbildung von He-
           der anderen Professionen
                                                                                        bammen und Ärzten. «Die Hebamme»; 17, 74–75.
        – Respekt den anderen Professionen gegenüber                                   Suter, E. et al. (2009) Role understanding and effective commu­
        – Akzeptanz geteilter Intelligenz                                              nication a score concepts for collaborative practice. «Journal of
        – Akzeptanz wechselseitiger Abhängigkeit                                       interprofessional Care»; 23(1), 41–51.
           (geteilte Intelligenz)                                                       Teichmann, A. T. (2013) Delegation ärztlicher Leistungen an
        – Gemeinsames Formulieren eines für alle                                       Hebammen. «Gynäkologe»; 46, 99–104.
           geltenden Zieles                                                             Waring, J. J. (2005) Beyond Balme: curltural barriers to
        – Rollenklärung                                                                medical incidents reporting. «Social Science & Medicine»;
                                                                                        60(9), 1927–1935.
                                                                                        Xyrichis, A. und Lowton, K. (2008) What fosters or prevents
        Personelle Voraussetzungen
                                                                                        interprofessional teamworking in primary and community care?
        – O ffenheit den anderen Professionen gegenüber                                A literature review. «International Journal of Nursing Studies»;
        – Wille zur interprofessionellen Zusammenarbeit                                45(1),140–53.
        – Reflexionsfähigkeit
        – Kommunikationsfähigkeit

8   Hebamme.ch • Sage-femme.ch 9  2016
Wem dient
«Interprofessionalität»?
Ohne eine grundlegende Umgestaltung der Arbeitsteilung ist die Emanzipation nicht­
ärztlicher Berufsgruppen von der Ärzteschaft kaum denkbar. Vor dem Hintergrund
bestehender Verhältnisse und vorherrschender Lesarten des Begriffs scheint «Inter­
professionalität» für nichtärztliche Berufsgruppen den eigenständigen beruflichen
Handlungsspielraum aber eher nicht zu vergrössern, im Gegenteil.

Michael Gemperle

«Interprofessionalität» ist in aller Munde. Gesundheits-     Aufeinander angewiesen
fachleute, Spitaldirektoren, Krankenkassenvertreter, aber    An den gesammelten Schilderungen fällt zunächst auf,
vermehrt auch Behördenvertreter und Ärzte bekräftigen        dass sie von einem scheinbaren Widerspruch durchzogen
fortwährend die Bedeutung der Kooperation zwischen           sind: Auf der einen Seite betonten sowohl die Ärzte als
den Berufsgruppen für die Verbesserung des Gesund-           auch die Pflegefachpersonen, dass sich die interprofes­
heitswesens. Für die nichtärztlichen Berufsgruppen wie       sionelle Beziehung in den vergangenen Jahren gewandelt
Hebammen und Pflege ist damit besonders die Hoffnung         habe. Die Hierarchie habe abgenommen. Auch würde das
verbunden, dass die nachrangige Wertigkeit ihrer Berufs-     arbeitsteilige Zusammenspiel im Alltag vermehrt auf
praxis (endlich) aufgehoben wird. Allerdings bestehen        Augenhöhe stattfinden. Auf der anderen Seite geht aus
auch andere Lesarten von «Interprofessionalität». Was        den mündlichen Berichten unzweifelhaft hervor, dass
steckt hinter diesem Begriff? Und: Wem dient seine Ver-      die Beziehung zwischen Ärzteschaft und Pflege nach wie
wendung?                                                     vor ausgesprochen ungleich ist.
                                                             Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass in die früher
Interprofessionalität untersucht                             quasi-militärisch organisierte Beziehung zwischen Ärz-
Grundsätzlich mag das rezente Aufleben um einen Be-          ten und Pflegefachpersonen eine neue Dynamik Ein-
griff überraschen, der sich auf einen Sachverhalt bezieht,   gang gefunden hat. Ein wesentlicher wiederkehrender
der Gesundheitsfachpersonen beschäftigt, seitdem sie         Bezugspunkt der Schilderungen der Angehörigen beider
arbeitsteilig arbeiten. Diese «Mode» erstaunt aber weni-     Berufsgruppen ist, dass heute eher ein «Miteinander»
ger, wenn sie in den Kontext der Dynamik im Gesund-          bzw. ein kooperativer Umgang zwischen den beiden Be-
heitswesen eingebettet wird. Dies soll in diesem Artikel     schäftigtengruppen bestehe und man «eng zusammen-
in zwei Schritten geschehen: Erstens soll auf Grundlage      arbeiten muss». Ein leitender Arzt bemerkte gar, dass
von empirischen Befunden beispielhaft diskutiert wer-        «man aufeinander angewiesen» sei und «das Ziel nur ge-
den, inwiefern sich das Verhältnis zwischen Ärzteschaft      meinsam erreichen kann», und lässt damit eine verstärkte
und Pflege verändert hat und wie dies von den Angehö-        Abhängigkeit der Ärzteschaft von der Pflege erkennen.
rigen der beiden Beschäftigtengruppen erfahren wird.         Auch in den anderen Interviews wurde deutlich, dass
Zweitens interessiert, welche neuen Akzente die erste        Ärzte und Pflegefachpersonen heute in der Alltagsarbeit
grössere behördliche Initiative zu «Interprofessionalität»   stärker als früher aufeinander angewiesen sind. Dies
hinsichtlich des Verhältnisses zwischen den Berufsgrup-      verweist zweifelsohne darauf, dass infolge des medizi-
pen setzt.                                                   nisch-technischen Fortschritts und der angestiegenen
Im Forschungsprojekt «Im Dienste öffentlicher Güter»         Qualifikation und Spezialisierung Pflegende zunehmend
(2010 bis 2013) wurde u. a. untersucht, inwiefern sich das   Aufgaben von Ärzten übernehmen, was eine zuneh-
Verhältnis zwischen Ärzteschaft und Pflege geändert hat.     mende Kooperation und Koordination der Arbeiten er-
Es handelt sich um ein Dreiländerprojekt, das am Beispiel    fordert (Blum et al., 2008).
von vier ausgesuchten Sektoren erforschte, wie sich die
Arbeit in öffentlichen Diensten durch die Einführung des
New Public Managements veränderte. * Zum Schweizeri-
schen Spitalbereich wurden neben Sekundärdatenana­
lysen insgesamt 41 Beschäftigte eines Zentrumsspitals
                                                                         * Das Forschungsprojekt «Im Dienste öffentlicher Güter» wurde
befragt, darunter 26 Pflegefachpersonen und 5 Ärzte.                        unter der Leitung von Franz Schultheis, Universität St. Gallen,
Analysiert wurden die daraus hervorgegangenen münd-                         Berthold Vogel, Hamburger Institut für Sozialforschung, und
lichen Zeugenberichte zum Wandel der Arbeit auf Grund-                      Jörg Flecker, Universität Wien, realisiert und vom Schweizeri-
lage der Werdegänge sowie der beruflichen und privaten                      schen Nationalfonds, der Deutschen Forschungsgemeinschaft
Situationen der Betroffenen (Flecker et al., 2014; Schult-                  und dem Österreichischen Wissenschaftsfonds finanziert.
heis et al., 2014).

                                                                                                      9 2016 Hebamme.ch • Sage-femme.ch       9
Dossier

     Autor                                                                      Differenzen, besonders die Unterschiede zwischen der
                                                                                Leitungsebene und der Basis. Alles in allem scheint sich
                                                                                die traditionelle Vormachtstellung der Ärzte gegenüber
                                                                                der Pflege zwar abgeschwächt zu haben, zugleich aber
                                                                                die betriebliche Seite ihrer Position verstärkt zu haben,
                                                                                auch wenn ihre eigene Arbeit im gleichen Atemzug ver-
                                                                                stärkt unter Kontrolle der Spitalverwaltung geraten ist.
                                                                                Ausserdem besteht die Tendenz, die neu geschaffenen
                                                                                Ungleichheiten weniger als solche wahrzunehmen, da
                                                                                die Wahrnehmungsmuster der Beschäftigten sich weni-
                                                                                ger schnell geändert haben als die Spielregeln.

                                                                                Gegeneinander ausgespielt werden?
     Michael Gemperle, Dr. rer. soc., Gastforscher am
                                                                                Welche Veränderung der Beziehung zwischen Ärzte-
     Centre Européen de Sociologie et de Science Politique                      schaft und nichtärztlichen Berufen ist vom bundesrät­
     (EHESS-CNRS), Paris, und Habilitand am Soziologischen                      lichen Programm «Interprofessionalität» zu erwarten?
     Seminar der Universität St. Gallen. Er leitet das vom                      Dieses im März 2016 verabschiedete dreijährige Förder-
     Schweizerischen Nationalfonds finanzierte Projekt                          programm stellt die erste grössere behördliche Initiative
     «Das pflegerische Berufsethos im Wandel» (2013–2016).                      zum Begriff dar. Es hat sich dem Ziel verschrieben, Pilot-
     Davor war er Assistent mit Lehrauftrag an den Univer­                      projekte oder Forschungen zu «Interprofessionalität» zu
     sitäten Basel und St. Gallen und Gastforscher an                           fördern. Dem Programmtext zufolge wird unter «Inter-
     der London School of Economics and Political Science.
                                                                                professionalität» verstanden, dass die Berufsgruppen im
                                                                                Gesundheitswesen gegeneinander ausgespielt werden,
                                                                                mit dem Ziel, die Gesundheitsausgaben zu reduzieren
                    Unter betriebswirtschaftlicher Kontrolle                    (Verkürzung der Spitalverweildauer, Reduktion der Kon-
                    Andererseits bringt die Aussage des leitenden Arztes        sultationen) – dem sich im Übrigen auch das zweite vom
                    zum Ausdruck, dass der Berufserfolg der Kaderärzte mehr     Bundesrat genehmigte Förderprogramm für das Gesund-
                    als früher von Pflegefachpersonen abhängt. Da sie ihrer-    heitswesen verschrieben hat (Privatisierung der Alters-
                    seits nicht unwesentlich am betriebswirtschaftlichen Ab-    pflege).
                    schluss ihrer Klinik gemessen werden, sind die zu Mana-     Aber kann eine verstärkte Interprofessionalität mit einem
                    gern avancierten leitenden Ärzte darauf angewiesen,         Abbau der Gesundheitsversorgung einhergehen? Erfor-
                    dass ihre Mitarbeiter sich diesbezüglich kooperativ und     dert eine verbesserte Zusammenarbeit nicht grössere
                    «einvernehmlich» verhalten, bspw. durch «korrektes»         Ressourcen, wie die Literatur zum Thema einhellig sugge-
                    Dokumentieren (Gemperle und Pfeuffer, 2013).                riert (Martin et al., 2010), z. B. für die Koordination und
                    Die in allen drei im Projekt untersuchten Ländern beob-     Kommunikation zwischen den beteiligten Berufsgrup-
                    achtete Ökonomisierung der Spitäler (Bode und Vogd,         pen? Oder findet «Interprofessionalität» hier nicht ein-
                    2016; Manzei und Schmiede, 2014) hat die Bedeutung          fach als Label Verwendung? Um Akzeptanz für einen
                    betriebswirtschaftlicher Kriterien für die interprofes­     Leistungsabbau zu schaffen, würde sich ein inzwischen
                    sionelle Beziehung aber auch noch in weiteren Berei-        unter Ärzten und anderen Gesundheitsfachpersonen
                    chen anwachsen lassen. Bspw. wurde davon berichtet,         mit einem gewissen Ansehen und einer positiven Konno-
                    dass in bestimmten Abteilungen (z. B. Anästhesie) Ärzte     tation ausgestatteter Begriff aufdrängen.
                    zu einem gewissen Grad durch (kostengünstigere) spezia­
                    lisierte diplomierte Pflegefachpersonen ersetzt werden.     Vom Regen in die Traufe?
                    Auch wurde mitgeteilt, dass die in Kliniken zum Einsatz     Fachpersonen hinsichtlich der Arbeitskosten zueinander
                    kommenden Pflegefachpersonen von leitenden Ärzten           in eine Konkurrenzsituation zu bringen, steht ganz in der
                    bei der Pflegedienstleitung «eingekauft» werden (Gem-       Logik des bereits stattfindenden Umbaus der stationä-
                    perle, 2014).                                               ren Gesundheitsvorsorge nach betriebswirtschaftlichen
                                                                                Kriterien. Wie erwähnt, findet das Ausspielen von «teu-
                    Veränderte ärztliche Vormachtstellung                       reren» Ärzten durch «kostengünstigere» nichtärztliche
                    Die interprofessionelle Beziehung hat sich in den vergan-   Fachpersonen bereits heute punktuell statt. Entspre-
                    genen Jahren demnach nicht allein dadurch verändert,        chend liegt die Vermutung auf der Hand, dass das För­
                    dass die nunmehr qualifizierteren Pflegefachpersonen        derungsprogramm vor allem auf eine Intensivierung der
                    informierter, kompetenter und aktiver mit den Ärzten in-    skizzierten «Verbetrieblichung» der Beziehung zwischen
                    teragieren und einen grösseren Einfluss auf die Behand-     Ärzten und nichtärztlichen Berufsgruppen hinwirkt.
                    lung nehmen. Die Beziehung zwischen Ärzteschaft und         Aufgrund der dargestellten Erfahrung dürfte die damit
                    Pflege scheint sich im Zuge der Ökonomisierung öffentli-    vorgeschlagene «Interdisziplinarität» somit weniger eine
                    cher Krankenhäuser seit den 1990er-Jahren auch stärker      Emanzipation nichtärztlicher Berufsgruppen von der
                    «verbetrieblicht» zu haben. Anstelle der vormals klaren     Ärzteschaft beinhalten. Vielmehr ist zu erwarten, dass
                    Trennungslinie zwischen den beiden Berufsgruppen ge-        die Berufspraxis nichtärztlicher Berufsgruppen verstärkt
                    wannen vermehrt betriebswirtschaftliche Kriterien an        durch betriebswirtschaftliche Prinzipien geprägt wird.
                    Gewicht. Dies beförderte auch berufsgruppeninterne          Das Programm scheint in erster Linie den Einfluss der Spi-
                                                                                talverwaltung und der Krankenkassen auf die stationäre

10   Hebamme.ch • Sage-femme.ch 9  2016
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Gesundheitsversorgung zu vergrössern. Auch die Kran-
kenkassen sehen in «Interprofessionalität» ein Mittel,
um «Geld (zu) sparen» (Witte, 2012), wie die Vertreterin
                                                                     Lachen stärkt
einer Krankenkasse an einer von der Schweizerischen
Ärztezeitung organisierten Podiumsdiskussion vor eini-
gen Jahren unverhohlen (und wohl unfreiwillig mehr-
                                                                     den Beckenboden!
deutig) einräumte.
«Interprofessionalität» ist ein Allgemeinplatz, der von              BeBo® – Ihr Beckenbodenspezialist seit 20 Jahren
Protagonisten der Diskussion entsprechend ihrer Inte­
ressen mit einer Bedeutung versehen wird. Die behörd­                20 Jahre Erfahrung! Grund genug zum Feiern und
liche Auslegung des Begriffs zielt darauf ab, die Gesund-            zum Lachen, denn das BeBo®-Training ist erfolgreich
heitsleistungen zu reduzieren und die Beschäftigten im               und überzeugt immer mehr von seinem Nutzen. Die
Gesundheitswesen vermehrt als Kostenfaktor aufzu­                    Hintergrundinformationen zum Thema Beckenboden,
fassen. Die Ärzteschaft hat darauf bislang vor allem mit             Inkontinenz sowie die Zusammenhänge mit Haltung,
Besitzstandeswahrung reagiert und möchte die «Inter-
                                                                     Atmung und Sexualität und die bewusste Alltags­
professionalität» besonders in der Ausbildung verwirk-
                                                                     integration zeichnen das Konzept aus.
lich haben, wobei für sie in der zwischenberuflichen
Kooperation «der Lead (…) in ärztliche Hände (gehört)»
(Strohmeier et al, 2016). Wem «Interprofessionalität» in             Wussten Sie, dass Lachen ein wirksames Rezept für
diesem Kontext in welcher Form zu dienen vermag,                     den Stressabbau, für eine tiefe Atmung und somit
dürfte nicht unwesentlich davon abhängen, wie die                    Organmassage sowie für eine gesunde Beckenboden­
nichtärztlichen Berufsgruppen die ärztliche Dominanz                 aktivität ist? Kurzum und zweifelsohne: Lachen ist
und betriebswirtschaftliche Logiken zurückweisen; Logi-
                                                                     gesund! Die schnellen rhythmischen Kontraktionen,
ken, welche die Bedingungen für qualitativ hoch ste-
                                                                     die bei starkem und andauerndem Lachen erfolgen,
hende Arbeit nachweislich untergraben.
                                                                     haben einen Einfluss auf den Beckenboden – er ent-
                                                                     spannt sich! Doch keine Sorge, ein fitter Beckenboden
                                                                     steht im Gleichgewicht von Anspannung und Los­
Literatur                                                            lassen, und es entsteht keine Beckenbodenschwäche
Blum, K. et al. (2008) Krankenhaus Barometer. Neuordnung             durch zu viel Lachen.
pflegerischer und ärztlicher Aufgaben gehört zusammen.
«Die Schwester Der Pfleger»; 47: 1140–1145.
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Bode, I. und Vogd, W. (2016) Mutationen des Krankenhauses:
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theoretischer Perspektive. Wiesbaden: Springer.                      nisvoll und lernfähig Ihr Beckenbodenmuskel ist,
Flecker, J. et al. (Hrsg) (2014) Im Dienste öffentlicher Güter:      wie differenziert Sie ihn wahrnehmen können, und
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Gemperle, M. (2014) «Noch nicht genug» oder «zu viel des
Guten»?: Die Veränderung der Beziehung zwischen Ärzteschaft          bildung zum/zur BeBo®-Trainer/-in an. Diese baut auf
und Pflege aus der Sicht eines leitenden Arztes und einer Pflege-    der Grundausbildung auf und vertieft das Wissen
dienstleiterin. In: Schultheis, F. et al. (Hrsg), Im öffentlichen    im train­i ngsbezogenen Kontext sowie im sportlichen
Dienst; 207–222. Bielefeld: transcript.                              und bewegungsfreudigen Alltag.
Gemperle, M. und Pfeuffer, A. (2013) Die Ökonomien der Doku-
mentationskritik. In: Estermann, J. et al. (Hrsg), Alte und neue
Gesundheitsberufe. Soziologische und gesundheitswissenschaft­        Informationen und Anmeldemöglichkeiten unter
liche Beiträge zum Kongress «Gesundheitsberufe im Wandel»,           www.beckenboden.com oder info@beckenboden.com
Winterthur 2012; 74 –94. Münster/Luzern: Lit Verlag/orlux.
Manzei, A. und Schmiede, R. (2014) 20 Jahre Wettbewerb im
Gesundheitswesen: theoretische und empirische Analysen zur
Ökonomisierung von Medizin und Pflege. Wiesbaden: Springer.

                                                                        20
Martin, J. S. et al. (2010). Interprofessional collaboration among
nurses and physicians: making a difference in patient outcome.
«Swiss Medical Weekly», 140, w13062.
Schultheis, F. et al. (Hrsg) (2014) Im öffentlichen Dienst: Kon­       Jahre Erfahrung
trastive Stimmen aus einer Arbeitswelt im Wandel. Bielefeld:
transcript.
Strohmeier, P. et al. (2016) Interprofessionalität – ein Thema für
Hausärzte? «Schweizerische Ärztezeitung»; 97(8):298 –299.
Witte, F. (2012) Mehr kooperieren statt delegieren. «Schweize­
rische Ärztezeitung»; 93(22), 809 –11.                               BeBo® Verlag & Training GmbH
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                                                                     info@beckenboden.com
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