Als Kulturerbe anerkannt Ein Zentrum für die Region - Klima-Energie-Portal
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Magazin der Hessischen Apfelwein- und Obstwiesenroute FRÜHJAHR / SOMMER 2022 APFELWEINKULTUR Als Kulturerbe anerkannt STREUOBSTWIESEN Ein Zentrum für die Region ARTENSCHUTZ Blühende Landschaften
EDITORIAL SEITE 3 verband FrankfurtRheinMain, sich schon Das Engagement seit Jahren für dieses wichtige Kulturgut zu engagieren. Großartig ist auch, dass wir nun das der Aktiven und MainÄppelHaus Lohrberg konsequent zu einem regionalen Streuobstzentrum Ehrenamtlichen ausbauen werden. Denn wir wollen uns nicht mit dem bisher Erreichten zufrie- dengeben. Wir möchten, dass die vielen ist immer wieder Streuobst-Aktivitäten, die es überall gibt, noch besser gebündelt und vernetzt wer- den – zum Nutzen aller Akteure in der beeindruckend. Region. Dafür ist es notwendig, dass das MainÄppelHaus bei seiner tollen und wichtigen Arbeit unterstützt wird. Im Rahmen unserer Möglichkeiten werden wir alles tun, damit dies auch passiert. Darüber hinaus gibt es viele weite- re Projekte, die in dieser Ausgabe vor- Liebe Leserin, gestellt werden und die mich doch sehr zuversichtlich stimmen. Überall werden lieber Leser, die Ärmel hochgekrempelt. Das Enga- gement der vielen Aktiven und Ehren- es ist einfach großartig, dass die Apfel- amtlichen ist dabei immer wieder beein- weinkultur nun offiziell Immaterielles druckend. Es ist schön zu sehen, was be- Kulturerbe der UNESCO ist. Zu dieser wegt werden kann, wenn viele mit- Kultur – das zeigt diese Ausgabe des Ap- machen. In diesem Sinne wünsche ich Ih- felboten einmal mehr – gehört so viel: nen einen schönen Frühling und Sommer. Die Streuobstwiesen und der damit ver- bundene Einsatz für Artenvielfalt in un- serer Natur. Die Pflege der Bäume, die Ernte und das Keltern. Aber nicht zu- letzt auch der Genuss des guten Tröpf- chens, samt der traditionellen Gebräu- che und Feierlichkeiten. All das macht Rouven Kötter unsere Apfelweinkultur aus. Und all das Erster Beigeordneter sind gute Gründe für uns vom Regional- Regionalverband FrankfurtRheinMain 04 Aktuelle Meldungen 08 Regionales Streuobstzentrum 09 Forschung zu Klimawandel 10 Blühfelder und Im Zeichen des Apfels Artenschutz Von Gießen im Norden bis Rödermark im Süden: In fünf Regionen 14 Interview mit Jörg Stier Hessens haben Keltereien, Gastro-Betriebe, Direktvermarkter, im „Gerippten Museum“ Obst- und Gartenbauvereine, Naturschutzinitiativen, Baumschulen, 16 Naturpädagogik-Angebote Obsthöfe, Museen sowie Städte und Gemeinden ihre Aktivitäten 18 Sanierungsprojekt und Attraktionen zu „Regionalschleifen“ verbunden. Gemein- 20 Kolumne „Sauers Sicht“ sam bilden sie die hessische Apfelwein- und Obstwiesenroute. 21 Rezept: Apfelweintorte Unter diesem Label setzen sich rund 700 Partner für Naherholung, Naturschutz 22 Veranstaltungsübersicht und die Förderung der regionalen Wirtschaft ein. Ziel ist es, ein typisches Stück 28 Neues aus den Schleifen Hessen zu schützen und erlebbar zu machen: die Natur und Kultur des Apfels. 30 Das besondere Bild Impressum Gießen, Main-Kinzig, Stadt und Kreis Offenbach, Wetterau sowie Main/Taunus Fotos: Ralphs_Fotos/Pixabay (Titelbild); Regionalverband
SEITE 4 MELDUNGEN WÜRDIGUNG DURCH UNESCO Vor einigen Jahren stellte Barbara Völksen von der Agenda- Gruppe für Landschaftsschutz und Landschaftspflege in Friedrichs- Wie sie leibt dorf hier im „Apfelboten“ eine kühne Idee vor: Auf ihren Impuls hin hatte eine regionale Trägergemeinschaft – von Streuobstinitiati- ven über Keltereien bis zum Apfelwein-Centrum Hessen (ACH) – und lebt die Aufnahme der handwerklichen Apfelweinkultur in das „Bundes- weite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes“ beantragt. Dort werden seit 2013 besonders schützenswerte Kulturformen aufge- Ein Antrag „von hier“ machte es möglich: nommen, seien es regionale Traditionen wie die schwäbisch-ale- Die Apfelweinkultur ist in das Bundesweite mannische Fastnacht oder die Passionsspiele Oberammergau, seien Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes es bundesweite wie das Märchenerzählen oder das Köhlerhand- aufgenommen worden. werk. Das mehrstufige Verfahren ist komplex, erfordert Zeit und kostete die Beteiligten Nerven. Am 9. März dieses Jahres war es geschafft: Die UNESCO teilte mit, dass die handwerkliche Apfelwein- kultur nun offiziell zum Immateriellen Kulturerbe Deutschlands zählt. Ein riesiger Erfolg für Völksen und ihre Mitstreiter – und zu- gleich Ansporn. „Es geht ja nicht um ein museales Bewahren von etwas Vergangenem, sondern um die Pflege und Weitergabe einer gelebten Kultur. Das erfordert Engagement, auch von der Politik“, betont die Initiatorin. Ausdrücklich ist diese gelebte Kultur nicht auf die „Handwerkskunst“ des Kelterns beschränkt, sondern umfasst das komplette Spektrum: vom Genuss des Apfelweins bei Festen und in Apfelweinwirtschaften bis zur Streuobstwiesen und deren Bewirtschaftung. Denn ohne diese gibt es keine Früchte und auch keine Apfelweinkultur. Foto: bear_productions/shutterstock.com
MELDUNGEN SEITE 5 TAG DER STREUOBSTWIESE Wertvoll und gesund Die Vielfalt feiern Die Idee kam 2021 in Österreich auf 3 Fragen an Steffen Kahl von der und breitet sich dieses Jahr auch in Landesgruppe Hessen des Pomologen-Vereins Deutschland und anderen Ländern aus: Am letzten Freitag im April findet international der Tag der Streuobst- wiese statt – in diesem Jahr am 29. April. „In ganz Europa feiern wir die Wiesen, das Obst, die Köstlichkeiten, die Vielfalt!“ heißt es auf der eigens eingerichteten Kampagnen-Webseite www.streuobstueberall.de. Noch konzentriert sich das Geschehen, das in Deutschland von dem Verein Hoch- stamm Deutschland organisiert wird, hierzulande auf Süddeutschland. Doch die Idee ist so gut, dass sie sich lang- sam auch in Hessen verbreitet. Eine Übersicht über geplante Aktionen und Was macht alte hessische Apfelsorten so erhaltenswert? damit auch Anregungen für eigene Neben der kulturhistorischen Bedeutung sind alte Sorten meist Initiativen findet sich auf der Webseite. sehr robust und bieten ein breites Spektrum an Geschmackser- Und hier lassen sich auch kurzfristig lebnissen und Verarbeitungsmöglichkeiten. Hierbei spielen die noch Veranstaltungen einstellen. als sekundäre Pflanzenstoffe bekannten Polyphenole eine wichtige Rolle. In einer vier Jahre dauernden Untersuchung von rund 50 Sorten aus ganz Hessen hat unsere Landesgruppe he- rausgefunden, dass die alten Sorten von heimischen Streuobst- wiesen drei- bis viermal so viele wertgebende Inhaltsstoffe WEISHEIT besitzen wie handelsübliche Apfelsorten. Sie sind also auch ge- sünder – und für „Apfelallergiker“ meist verträglicher. Was tut die Landesgruppe, um alte Sorten zu erhalten? Auf Apfeltagen, Kelterfesten und Sortenausstellungen präsentie- Die beste Zeit, einen ren wir die genetische Vielfalt an alten Obstsorten. Und jedes Jahr – aktuell zum 20. Mal – rücken wir durch die Kür der „Hessischen Baum zu pflanzen, war Lokalsorte des Jahres“ eine Sorte besonders in den Fokus. Einige Sorten konnten so vor dem Aussterben bewahrt werden. Da- neben unterstützen wir die Pflege von Altbeständen, schnei- vor zwanzig Jahren. den Edelreiser für die Anzucht und werben für deren Erhalt. Die nächstbeste Zeit Zur Lokalsorte 2022 wurde der Friedberger Bohnapfel gekürt. Was ist das für ein Apfel? ist jetzt. Die Sorte wurde früh als „Massenträger für Mostzwecke“ emp- fohlen: Ertrag und Saftausbeute sind hoch. In Hessen ist sie vor allem in der Wetterau, dem Taunus und dem nördlichen Oden- wald verbreitet. Es ist eine der vitalsten Streuobstsorten für die Woher diese Weisheit stammt? Mal wird Saft- und Apfelweinherstellung. es als chinesisches, mal als ugandisches Sprichwort bezeichnet. Und immer wieder Mehr Infos unter www.pomologen-verein.de. Für Neupflanzungen ist der wird es auch einem russischen Adligen aus „Friedberger Bohnapfel“ in den Baumschulen Rinn in Gießen und Köhler dem 18. Jahrhundert in den Mund gelegt. Pflanzen in Bruchköbel zu beziehen. Vielleicht ist es einfach um die Welt gereist. Denn wahr ist es hier wie dort. Foto: Privat
SEITE 6 MELDUNGEN WISSENSWERTES Apfel-Allerlei Pestizidbelastung. Von allen Anbaukul- turen in Deutschland ist der Apfelbau der Pestizid-intensivste: Die Bäume werden im konventionellen Erwerbsan- bau zwischen 20 bis 30 Mal pro Saison gespritzt. Der „Behandlungsindex“ liegt damit deutlich höher als beim Weinbau und zum Beispiel 14 Mal so hoch wie beim Mais. So steht es im „Pestizidatlas 2022“, u. a. von der Heinrich-Böll-Stiftung und dem BUND herausgegeben. Die gute Nachricht: Auf der Streuobstwiese werden keine Pestizide eingesetzt. Grün, gelb und rot. Was gibt dem Apfel die Farbe? Unreif sind alle Äpfel grün. Das liegt am Farbstoff Chlorophyll, dank dem die Früchte Zucker und somit Energie herstellen. Beim Heranreifen WETTBEWERB wird das Chlorophyll langsam abgebaut und andere Farbstoffe treten hervor: Gelb werden sie durch Carotin. In roten Äpfeln werden Anthocyane gebildet. Neues Jahr, neue Chance Diese Farbstoffe können Schäden durch Der Regionalverband FrankfurtRheinMain zeichnet wieder Sonneneinstrahlung vorbeugen. Je vorbildliche „Streuobstkommunen“ aus. Jetzt bewerben! stärker eine Stelle der Sonne ausgesetzt ist, umso röter wird sie. Die meisten Im vergangenen Jahr hat der Regionalverband FrankfurtRheinMain Apfelsorten enthalten eine Mischung erstmals den Wettbewerb unter seinen Mitgliedskommunen von allen drei Farbstoffen. ausgelobt: Die Auszeichnungen „Streuobstkommune des Jahres“ honorieren vorbildliches Engagement zum Schutz dieser Kultur- Apfelblüte. Wenn die Apfelbäume landschaften. Und weil dieser Impuls auf viel Resonanz gestoßen ist blühen, beginnt der Vollfrühling. Wann und die Preisträger-Kommunen 2021 Langen, Maintal und Reichels- aber blüht es wo und wie verändert heim (siehe Seite 28) keineswegs die einzigen auszeichnungswür- sich der Blühverlauf in Deutschland? All digen gewesen sind, können sich Kommunen aus dem Verbands- das dokumentiert die Redaktion Wissen gebiet auch in diesem Jahr wieder bewerben. des SWR, indem sie Daten sammelt Die Auszeichnung gibt einer Kommune die Möglichkeit, bzw. sammeln lässt. Tatsächlich kann öffentlichkeitswirksam ihr Engagement für den Erhalt dieser die jede und jeder die Apfelblüte vor der Region prägenden und ökologisch wertvollen Kulturlandschaft eigenen Haustür melden. Wie das darzustellen. Neben einer Urkunde bekommen die Gewinnerkom- geht, erklärt die Website www.swr.de/ munen als Anerkennung Besuch von der mobilen Kelterei des wissen/apfelbluete. Dort werden auch MainÄppelHauses und einen Gutschein für eine kostenlose Fortbil- die Ergebnisse seit 2006 gezeigt und dung beim Streuobstexperten Josef Weimer. die Entfaltung der Apfelblüte anschau- lich erklärt. Und wer ganz nah dran Kommunen können eine formlose Bewerbung an den regionalen Streuobst- sein will, kann sogar den „Apfelblüten- beauftragten Bastian Sauer (E-Mail: sauer@region-frankfurt.de) senden, in der Liveticker 2022“ verfolgen. sie begründen, warum sie „Streuobstkommune des Jahres 2022“ sein sollten. Foto: Berthold Werkmann
MELDUNGEN WIESENVIELFALT APFELWEINMESSE Mehr Wildobst wagen Zurück auf Eine neue Broschüre stellt 26 Arten ausführlich vor, der Bühne darunter echtes „heimisches Superfood“. Nach der Pandemie-Pause ist die Cider World wieder ein echter Treffpunkt. Vom 3. bis 12. Juni 2022 wird Frankfurt zum Nabel der großen weiten Apfel- weinwelt. Dann nämlich findet die internationale Leitmesse zu allem rund um Apfelwein, Cider, Cidre, Most, Sidra & Co statt. Die Expo – der Marktplatz des Ganzen – wird am 11. Juni wieder im Gesellschaftshaus des Palmengarten stattfinden. Erwartet werden mehr als 80 Aussteller aus 15 Ländern, als Gast- land ist Norwegen dabei, eine der jüng- sten Cider-Regionen der Welt. Unter prächtigen Kronleuchtern hat ab 13 Uhr das Fachpublikum Gelegenheit für Ver- kostungen und Gespräche. Ab 15 Uhr ist die Expo dann für alle Besucher ge- öffnet. Zudem können Interessierte die internationale Welt des Apfelweins den ganzen Tag lang vor dem Gesell- schaftshaus im Rahmen des Cider World Markets kennenlernen. An dem Wett- bewerb Cider World Awards nehmen Von Els- und Maulbeere über Mispel und Felsenbirne (im Bild oben) neben internationalen Herstellern auch bis zu diversen Wildäpfeln: Überall in den hessischen Landschaften wieder hessische Keltereien teil. Die be- wachsen wilde oder züchterisch wenig bearbeitete Obstarten. Bis gehrten Auszeichnungen in sieben Kate- vor wenigen Jahrzehnten wurden vor allem die schmackhaften gorien – von „Cider still“ bis „Brandy“ Arten in Bauerngärten und Feldrainen kultiviert, gerieten danach – werden am 10. Juni um 12 Uhr in der aber mehr und mehr in Vergessenheit. Doch es gibt sie noch. Wie Astor Film Lounge MyZeil verliehen. man die Sorten erkennt, welche Standorte sie mögen und was man Und flankiert wird das Ganze durch Ver- mit ihren Früchten alles machen kann – hierüber informiert eine kostungen und Events, die vom 3. bis vom Landschaftspflegeverband Main-Kinzig-Kreis herausgegebene 12. Juni in Locations in Frankfurt statt- Broschüre in 26 ausführlichen Artenporträts samt Pflegehinweisen. finden (siehe Seite 24). Zudem werden Bezugsquellen genannt. Denn die Broschüre will nicht nur dazu befähigen, wilde Sorten in der Landschaft zu ent- www.cider-world.de decken und wertzuschätzen. Sie soll auch zur Anpflanzung auf Streuobstwiesen ermuntern, schließlich trägt das „Urobst“ zur ökologischen Vielfalt bei. Zudem ist es kulinarisch interessant: Viele Fruchtsorten sind schmackhaft und gelten als „heimisches Superfood“. Hinzu kommt: Die Gehölze sind pflegeleichter und robuster als gezüchtete Kulturobstbäume. Auch angesichts des Klima- wandels hat es Wildobst verdient, wiederentdeckt zu werden. Die Broschüre „WildOBST … mehr Vielfalt auf Streuobstwiesen“ wurde vom Landschaftspflegeverband Main-Kinzig-Kreis herausgegeben und kann auch dort angefordert werden – per E-Mail an info@lpv-mkk.de oder unter T 06059 906688. Für Eilige: Unter www.lpv-mkk.de kann man sie auch herunterladen. Fotos: Lopatin Anton/shutterstock.com
SEITE 8 THEMEN NEUE KOOPERATION Volle Schubkraft Es ist ein wegweisender Schritt: Dank der Unterstützung durch den Regional- verband wird das MainÄppelHaus Lohrberg zum Regionalen Streuobstzentrum. Davon soll die gesamte Verbandskulisse profitieren. Am Tisch besiegeln Rouven Kötter vom Regionalverband (re.) und der Vorsitzende des MainÄppelHauses Gerhard Weinrich die Vereinbarung. Mit dabei sind auch dessen Stellvertreter Peter Selig (3. v. re.), der Regionale Streuobstbeauftragte Bastian Sauer (3. v. li.) und Mitarbeitende des MÄH. Das auf dem Lohrberg im Frankfurter schen Kulturlandschaft beitragen“, er- initiativen Keltereien oder Kommunen Nordosten gelegene MainÄppelHaus klärt der Erste Beigeordnete Rouven – noch besser miteinander zu vernetzen. hat sich zur über die Stadtgrenzen hin- Kötter die dauerhafte Kooperation. Daneben soll zum Beispiel die Vermark- aus bekannten Informations- und Be- „Und hierbei ist das MainÄppelHaus mit tung von Streuobstprodukten gestärkt gegnungsstätte rund um das Thema seiner Erfahrung und Anerkennung der und das Angebot an Streuobst-Schulun- Streuobst entwickelt. Die Aktivitäten ideale Partner.“ gen für Zielgruppen mit unterschiedli- des „MÄH“ – von Veranstaltungen, Kur- Zu diesem Zweck unterstützt der chen Wissensständen ausgebaut werden. sen, Festen für Groß und Klein über die Regionalverband das MainÄppelHaus Die Förderung durch den Regional- Pflege des Naturerlebnisgartens bis zu jährlich mit 20.000 Euro. Im Gegenzug verband ermöglicht vieles. Dauerhaft zahlreichen Landschaftsprojekten – sind nimmt dieses eigenverantwortlich koor- wird sie aber nicht reichen. Daher setzen schon jetzt vielfältig. Nun bekommt das dinierende und impulsgebende Aufga- beide Projektpartner darauf, dass mittel- Ganze aber zusätzlichen Schub: Unter- ben war. Dessen Vorsitzender Gerhard fristig das Land Hessen einsteigen wird – stützt und beauftragt vom Regionalver- Weinrich betont: „Das Regionale Streu- zum Wohle des Lebensraums Streuobst- band FrankfurtRheinMain wird das Main- obstzentrum wird allen Akteuren der wiese und der regionalen Apfelkultur. ÄppelHaus Lohrberg zum „Regionalen Region von Nutzen sein.“ So liegt denn Streuobstzentrum“ für die Region Süd- auch eine der wichtigsten Aufgaben da- hessen weiterentwickelt. „Wir wollen rin, die verschiedenen Akteure – seien es Mehr Infos unter www.streuobst-frm.de noch stärker zum Schutz unserer heimi- Streuobstwiesenliebhaber, Naturschutz- und www.mainaeppelhauslohrberg.de Foto: Regionalverband/Michael Schmidt
THEMEN SEITE 9 FORSCHUNGSPROJEKT forschung zwar für die Bäume im Wald seit einiger Zeit betrieben werde, nicht Neue Ideen für jedoch für die Bäume auf der Streuobst- wiese. Und noch etwas anderes nahm Helling aus dem Gespräch mit: „Uns gesunde Bäume wurde deutlich gemacht, dass es nicht ausreicht, nur auf alte, vermeintlich widerstandskräftigere Sorten zu setzen.“ Der Klimawandel setzt auch Apfelbäumen zu. Nun wird erforscht, ob eine Der Landschaftspflegeverband fass- andere Pflanzmethode die Bäume widerstandsfähiger machen kann. te den Beschluss, selbst nach Lösungen zu suchen. Und dank einer Förderung Die Auswirkungen des Klimawandels obstwiesen mit steigenden Temperatu- des Bundeslandwirtschaftsministeriums auf Streuobstwiesen ist für viele mit den ren und abnehmendem Niederschlag gab es nun auch die finanziellen Mittel, drei Hitzesommern 2018, 2019 und 2020 unter „großen Klimastress“, so Helling. um das Forschungsprojekt zu starten. zum Thema geworden. Nicht so für „Dabei geht es nicht nur um den Som- Die Idee: Vielleicht wären junge Bäume Barbara Helling. Denn die Geschäftsfüh- mer. Wenn die Bäume im Frühling aus- widerstandsfähiger, wenn man die tra- rerin des Landschaftspflegeverbands treiben und dann – wie in diesem Jahr ditionell übliche Pflanzmethode ändern „Main-Taunus Naturlandschaft und schon wieder – der Regen ausbleibt, ist würde, bei der Bäume gepflanzt wer- Streuobst“ und Mitgründerin der ersten das mindestens genauso schlimm.“ den, die zuvor in der Baumschule vere- Apfelwein- und Obstwiesenroute hat Während sich ältere Bäume mit delt wurden. Deshalb pflanzte man im schon seit dem Jahrhundertsommer dem Klimawandel häufig noch einiger- vergangenen Herbst in einem kleinen 2003 den Eindruck, dass mit den Bäu- maßen arrangieren, gehen Jungbäume Feldversuch versuchsweise lediglich die men etwas nicht mehr stimmt. So traten unter diesen Bedingungen reihenweise Unterlagen, also das Wurzelwerk mit ei- vermehrt Krankheiten auf, und auch ein. Was also tun? Auch ein vom Land- nem Stück Stamm. Die Veredelung, also Schädlinge setzten ihnen in vorher un- schaftspflegeverband organisiertes Ex- die Verbindung mit einem Trieb der ge- gekannter Zahl zu. Gerade in der pertengespräch brachte keine Lösung – wünschten Apfelsorte, erfolgte ein hal- Rhein-Main-Region geraten die Streu- nur die Erkenntnis, dass Klimafolgen- bes Jahr später direkt auf der Streuobst- wiese. „Wir versprechen uns davon, dass sich die Bäume ganz anders mit dem Standort verbinden“, erklärt Helling. Schließlich habe ein Baum in der Baum- schule paradiesische Verhältnisse – Was- ser, Dünger, angenehme Temperaturen – und würde dann im „richtigen Leben“ oft einen Pflanzschock erfahren. Wie es sich für einen Feldversuch gehört, werden natürlich noch andere Dinge untersucht. So wurden die insge- samt 107 „Babybäume“ (Helling) an zehn Standorten mit möglichst unter- schiedlicher Bodenbeschaffenheit ge- pflanzt. Zudem wurden verschiedene Pflanzmethoden und Arten der Boden- verbesserung ausprobiert, um zu sehen, was am Ende den Unterschied macht. Wissenschaftlich begleitet wird das Pro- jekt von jungen Agrarwissenschaftlern des Unternehmens „Triebwerk“ aus Witzenhausen. Der Abschlussbericht soll im Herbst kommenden Jahres vorliegen. „Ob wir das Problem mit der neuen Pflanzmethode in den Griff bekommen, weiß ich nicht“, sagt Barbara Helling, Bei einem Forschungsprojekt im Main-Taunus-Kreis werden noch unveredelte Unterlagen „aber es ist wenigstens ein Versuch – gepflanzt. Das soll die Bäume robuster und widerstandfähiger machen. viel mehr Optionen haben wir nicht.“ Foto: Streuobst-MTK
STORY SEITE 11 Der Begriff „Streuobstwiese“ setzt sich nicht umsonst aus „Streuobst“ und „Wiese“ zusammen. Denn genauso wichtig wie die Obstbäume ist das, was darunter wächst – zumindest für den Natur- und Artenschutz. Die Menge der Früchte, die im vergangenen Jahr Was also tun? Für Felix Heller war klar, dass man an den Bäumen hing, war vergleichsweise mau. vor der eigenen Haustür anfangen muss. 2020 Gerade die Apfelernte brach mancherorts im handelte er mit dem städtischen Grünflächenamt Vergleich zum Vorjahr um bis zu 75 Prozent ein. einen Patenschaftsvertrag aus, um im Höchster Schuld war diesmal nicht die Hitze, sondern der Stadtpark eine Wildblumenwiese anlegen zu späte Frost. Ein Ärgernis, gerade für Keltereien. können. Seitdem kamen zwei Streuobstwiesen im Anderen dagegen ist das eher egal: „Uns geht es Naturschutzgebiet Schwanheimer Düne hinzu, nicht vorrangig um die Ernte“, sagt Felix Heller. sodass von den Vereinsmitgliedern heute rund Selbstverständlich würden sie die Äpfel, Birnen ein Hektar Land bewirtschaftet wird. „Die eine und Pflaumen, die ihre beiden Streuobstwiesen Wiese war mehr ein Brombeergestrüpp als eine im Frankfurter Westen hervorbrächten, gerne Obstwiese“, lacht Heller, der eigentlich Manager „mitnehmen“. Auch das gemeinsame Keltern im in einem Höchster Großkonzern ist. In einer ge- vergangenen Herbst sei eine „große Show“ ge- meinsamen Kraftanstrengung wurde aus dem wesen. Trotzdem, betont der 1. Vorsitzende und Grundstück wieder eine richtige Streuobstwiese. Gründer des Vereins „Wildwiesen“, ist das Diese besteht aber eben nicht nur aus den alten Hauptziel der derzeit 30 Aktiven die Maximie- Bäumen, sondern auch aus dem, was darunter rung der Artenvielfalt und wächst. „Wir wollen mög- nicht die des Ertrags. lichst viel Artenvielfalt in der Angefangen hat alles Flora“, sagt Heller, „die Ar- mit den Graswüsten im Höchster Stadtpark, erzählt Vielfalt in der tenvielfalt in der Fauna folgt dann ganz automatisch.“ Heller. Ein Ort, der für Menschen geeignet ist, um Flora bringt Vielfalt Denn gerade Wildblumen wie Hahnenfuß, Margerite, in der Sonne zu liegen, zu picknicken oder Federball in der Fauna Gewöhnlicher Hornklee oder Moschus-Malve sorgen für zu spielen, aber eben ein ein reichhaltiges Buffet für trostloser Ort für alle ande- Bienen und Insekten, die ren Arten. Früher mag sich manch Zweibeiner dann wiederum die Nahrungsgrundlage für Vö- darüber gefreut haben, dass er die „Natur“ für gel und kleinere Säugetiere sind. sich allein hatte: Kein lästiges Krabbeln, Sum- Ganz so einfach ist das Anlegen von arten- men und eben vielleicht auch mal Piksen und reichem und blühendem Lebensraum allerdings Stechen. Heute hat sich jedoch herumgespro- nicht. Wiesenblumen brauchen zum Beispiel chen, dass es nicht nur problematisch ist, wenn Licht. Doch selbst wenn die Bäume im ausrei- Eisbären oder Orang-Utans vom Aussterben be- chenden Abstand stehen, wächst auf vielen droht sind, sondern auch, wenn es künftig kei- Streuobstwiesen das Gras so stark, dass Blumen ne Hirschkäfer und Aurorafalter oder gar Bie- regelrecht überwuchert werden. Denn gerade nen mehr gäbe. Dabei ist der Rückgang der die dauerhaften Wildblumenarten bilden im ers- Insekten schon jetzt dramatisch. Der Bestand ten Jahr nur ein kleines Pflänzchen aus und sind ist in den vergangenen Jahren und Jahrzehn- der Konkurrenz durch Gräser und Unkräuter ten regelrecht eingebrochen, je nach Studie nicht gewachsen. Viele Wiesen sind zudem über- um 60 bis 80 Prozent. Und die Situation spitzt düngt und damit zu nährstoffreich für die Wild- sich weiter zu. So sind laut neuesten Zahlen des blumen, die es gerne „mager“ haben. Nährstoff- Bundesamts für Naturschutz mehr als ein Vier- haltige Böden entstehen nicht nur dadurch, dass tel der neu bewerteten Insektenarten in ihrem man selbst aktiv düngt. Zum einen rieseln mit Bestand gefährdet. Regen und Staub große Mengen Stickstoff aus
SEITE 12 STORY als er 2019 gemeinsam mit Freunden die „Blüh- feld-Initiative Hirzbach“ gründete. Ihr Ziel ist der Erhalt der Lebensräume für Bienen und Insekten durch sogenannte Blühfeld-Patenschaften. Da- für wurden auf ehemaligem Ackerland mehrere Blumenwiesen mit einer Gesamtfläche von in- zwischen rund fünf Hektar angelegt. Für 20 Euro kann die Patenschaft über 20 Quadratmeter blü- hendes Land erworben werden, die dann profes- sionell von einem Landwirt bewirtschaftet wer- den. Die Aussaaten sind so konzipiert, dass stets ein gleichmäßiges Nahrungsangebot vorhanden ist: Sobald eine frühe Pflanzenart abgeblüht ist, treten andere Pflanzenarten an deren Stelle. Und so findet man in den Blühfeldern auch nach der Apfelblüte bis in den Frühherbst hinein noch immer Bienen und Insekten. Noch größer angelegt als die Blühfeld-Ini- tiative ist das Projekt „Main.Kinzig.Blüht.Netz“ vom Main-Kinzig-Kreis und dem dazugehörigen Landschaftspflegeverband – gefördert vom Bun- desprogramm Biologische Vielfalt. Im Rahmen des Projekts werden mindestens 500 Flächen in insektenfreundliche Lebensräume umgewan- delt. Darüber hinaus soll mehr Naturbewusstsein sowie Akzeptanz für „wildere Flächen“ in der In solchen Baumhöhlensimulationen der Bienenbotschafter Bevölkerung aufgebaut und ehrenamtliche leben die Honigsammlerinnen „wesengemäß“. „Blühbotschafterinnen und Blühbotschafter für die Insektenvielfalt“ ausgebildet werden. Diese Hausheizungen, Automotoren und Industriean- sollen anschließend als Multiplikatoren und An- lagen auf die Wiesen. Zum anderen werden die sprechpersonen zum Thema biologische Vielfalt Nährstoffe aus dem Mähgut wieder in den Bo- vor Ort zur Verfügung stehen. Unter dem Motto den eingetragen, sofern dieses nicht abtranspor- „Insektenfreundlich, regional, naturnah!“ wird tiert wird, sondern auf der Wiese verbleibt. zudem am 11. und 12. Juni im Kurpark von Bad Wenn man eine Wiese nicht komplett neu Soden-Salmünster ein großes Fest der biologi- anlegen kann oder will, hat sich zudem bewährt, schen Vielfalt veranstaltet. „Die Kernbotschaft den Rasen zu „impfen“. Dabei wird der Rasen der Festveranstaltung lautet: Arten-, Insekten- punktuell entfernt, und die offenen Stellen wer- und Naturschutz beginnt vor der eigenen Haus- den anschließend mit einer Wildblumensaat be- tür“, erläutert Projektleiterin Mascha Wiegand. streut. Allerdings gilt es davor erst einmal, „Denn jede und jeder kann einen Betrag leisten Saatgut zu beschaffen, das zur Lage und Boden- und muss dazu nur einige wenige Tipps beherzi- beschaffenheiten passt. Blühmischungen aus gen: im eigenen Garten insektenfreundliche, dem Baumarkt mit bunten oder exotischen Blu- heimische Gewächse pflanzen, ökologische Pfle- men sind dafür denkbar ungeeignet. Sie beste- gemaßnahmen beachten und auf Nachhaltigkeit hen häufig aus nicht gebietsheimischen, exoti- und Regionalität statt auf kurzlebige Garten- schen Pflanzen oder zuweilen sogar sterilen trends setzen.“ Zuchtsorten, die den Insekten kaum Nahrung Und wofür das alles? Die Bienenbotschafter bieten. Regionale Saatguthersteller verkaufen Antonio Gurliaccio und Moses M. Mrohs haben dagegen häufig autochthone Samenmischun- darauf eine eindeutige Antwort, denn sie sind – MEHR INFOS UNTER: gen, die in hiesigen Naturräumen zuhause sind wie sie sagen – im Auftrag ihrer Majestät unter- www.wildwiesen.de und daher hier auch besser keimen und wachsen. wegs: der Bienenkönigin. Das Engagement der www.bluehfeld.de Das wäre indes für einen anderen Verein inzwischen als gemeinnützige GmbH organisier- www.mainkinzig- ein wenig praktikabler Weg gewesen. Denn der ten Botschafter hat sich im Laufe der letzten bluehtnetz.de Landwirt Friedrich Bellgardt aus Hammersbach fünf Jahre in der gesamten Region ausgebreitet: www.bienenbotschafter.de in der Wetterau hatte gleich Größeres im Sinn, im Rapp’s Natur-Erlebnis-Garten in Karben, auf Foto: BIENENBOTSCHAFT.DE/natural habeetat *tree®
STORY SEITE 13 der Streuobstwiese im Frankfurter Zoo und an vielen Orten mehr. Überall stehen oder hängen mittlerweile die sogenannten „natural habeetat trees“ der Bienenbotschafter. Diese aufwändig hergestellten Baumhöhlensimulationen unter- scheiden sich von handelsüblichen Bienenstö- Die „Goldenen Regeln“ für cken darin, dass die Tiere in ihnen artgerecht und wesensgemäß gehalten werden, erklärt artenreiche Streuobstwiesen: Botschafter Mrohs. Vor allem jedoch kommt nicht ständig ein Imker vorbei, um den Honig zu • Nur regionale Samenmischungen benutzen „klauen“ und die Bienen anzutreiben, immer • Obstbäume möglichst gar nicht, allenfalls mehr von dem süßen Gold zu produzieren. Das sparsam und nur unter der Kronentraufe Ergebnis: weniger gestresste, gesündere und düngen weniger krankheitsanfällige Tiere. • Nicht zu früh mähen, je nach Standort im Hier schließt sich der Kreis zu Felix Heller Juni/Juli vom Verein „Wildwiesen“, bei dem nicht die • Nicht zu oft mähen, je nach Standort ein- bis Obsternte, sondern der Naturschutz und der Er- dreimal pro Jahr mit Pausen von mindestens halt der Biodiversität im Vordergrund steht. anderthalb Monaten Denn auch bei Gurliaccio und Mrohs dreht sich • Abschnitts- bzw. parzellenweise unterschied- nicht alles um den Honigertrag. „Auf Streuobst- liche Mahdzeitpunkte wählen wiesen gibt es so viele Bienenstöcke, weil durch • Mähgut nicht auf der Wiese belassen, die Bienen die Apfelblüten bestäubt werden, sondern abräumen eine klassische Win-Win-Situation“, erklärt Mrohs. • Hochstämmige Bäume mit ausreichend „Wir finden diese Win-Win-Situation auch super. Abstand pflanzen und diese regelmäßig Allerdings soll dabei die Biene gewinnen und beschneiden. nicht der Imker.“ RZ.REGIO_Anz_Apfelbote_2022_185x114_V1.qxp_Layout 1 14.03.22 12:32 Seite 1 FOTO: STEFAN COP REGIONAL PARK REGION AL RHEINMAIN PARK EN TOURE GUID FREIRAUM ZUM LOSLASSEN UND LOSLEGEN Planen Sie ihren nächsten Ausflug auf 550 km Regionalpark Routen mit unserem Tourenguide, unserer Homepage www.regionalpark-rheinmain.de und den kostenlosen Freizeitkarten. Jeder Ort hat etwas Besonderes – erleben Sie es selbst!
SEITE 14 INTERVIEW APFELWEINKULTUR Für ein Glas Rotwein bezahlen die Leu- te gerne sieben Euro. Wenn man drei Regionalität, Euro für einen guten Schoppen ver- langt, wird man aus dem Dorf gejagt. Es gibt also noch viel zu tun. Aber wir die berührt arbeiten daran. Dazu passt die zweite Nachricht: In Ha- nau ist mit dem „Gerippten Museum“ Für Keltermeister a.D. Jörg Stier haben sich der lang ersehnte Raum für Apfelwein- kultur fertiggestellt. gleich zwei große Apfelwein-Wünsche erfüllt. In der Tat! Die feierliche Eröffnung, den Start der Veranstaltungen und Vermie- Mit dem Verein Apfelwein-Centrum Wie groß ist Ihrer Meinung nach denn tungen haben wir wegen der Corona- Hessen haben Sie sich für die Anerken- der „Nachholbedarf“? Einschränkungen ins nächste Jahr ver- nung der Apfelweinkultur als Immateri- Wenn ich sehe, wie viele Streuobstwie- schoben. Aber man kann das Museum elles Kulturerbe eingesetzt (siehe S. 4). sen nicht bewirtschaftet werden, dass jetzt schon besuchen. In ihm wollen wir Was bedeutet es für Sie, dass dies im die Äpfel unter den Bäumen verfaulen den Apfelwein als vielschichtiges Ge- März tatsächlich geklappt hat? und immer mehr Keltereien schließen, tränk erlebbar machen. Auf jeder Obst- Oh, das ist wunderbar und die Resonanz, kann ich nur sagen: sehr groß. Die Pan- wiese finden wir eine einzigartige die wir erhalten, ist überwältigend. Man- demie hat der Gastronomie und den Auswahl hessischer Kelteräpfel. Die che wollen laut gejubelt haben, als die Keltereien zugesetzt. Aber das Prob- Herstellungstraditionen unterscheiden Nachricht im Radio kam. Wir hoffen sehr, lem ist grundlegender. Trotz der wirk- sich von Ort zu Ort, jeder Keltermeister dass diese Würdigung durch die UNESCO lich vielen positiven Ansätze hat der pflegt im Ausbau Besonderheiten und einen Beitrag dazu leistet, den Menschen Äbbelwoi noch immer ein Imageprob- hütet sein „Keltergeheimnis“. All das der Region die Bedeutung der Apfel- lem: Er gilt – völlig zu Unrecht – als ein- trägt zu der großen Pracht an Ge- weinkultur wieder näherzubringen. faches Getränk für niedere Ansprüche. schmackserlebnissen bei. Fotos: Christian Sälzer
INTERVIEW SEITE 15 In der Ausstellung werden an vielen Bembel und Geripptes haben die Stellen Unwahrheiten über den Apfel- Zeit überdauert. Ein eigenes „Deckel- JÖRG STIER wein ausgeräumt. Warum? che“ hingegen haben nur noch echte Den Betrieb der Familien-Kelterei Stier in Das ist unser Einsatz gegen Fake News! Enthusiasten. Maintal-Bischofsheim hat Jörg Stier inzwischen Tatsächlich kursiert so einiges, was man Das stimmt – leider. Unsere Ausstellung an die Söhne übergeben. Da der Schoppen- als rufschädigend für unser hessisches zeigt, dass Deckel nie nur zweckmäßig Pionier die Apfelweinkultur aber weiterhin im Nationalgetränk ansehen kann. Da ist waren, um Insekten oder Blattwerk im Herzen und auf der Zunge trägt, engagiert zum Beispiel die Mär, der Apfelwein Freien oder die feuchte Aussprache des er sich als Vorsitzender des Vereins Apfelwein- habe sich hier nur deshalb durchgesetzt, Nachbarn im Gedränge der Wirtschaft Centrum Hessen, als Kurator im neuen Museum weil die Reblaus den Weinanbau rui- fernzuhalten. Deckel dienten immer und als Moderator mit seinen Apfelwein- niert hat. Das tut ihn als „Notalkohol“ auch der Zierde. Münzen, Medaillen Geschichten bei Veranstaltungen in der Region. ab. Die Reblaus-Plage schlug jedoch erst oder aufwendige Schnitzereien auf der www.kelterei-stier.de in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhun- Oberseite repräsentierten den sozialen derts richtig zu. Die ersten Frankfurter Status und zeigen Gruppenzugehörig- DER VEREIN Großkeltereien wurden lange davor ge- keiten an. Auf einem der Exponate ist Die ehrenamtlichen Mitglieder des Apfelwein- gründet, die Gebrüder Freyeisen zum zum Beispiel ein Fisch abgebildet – sein Centrum Hessen e.V. verstehen sich als Repräsen- Beispiel 1817. Was stimmt ist, dass Ap- Besitzer war ein „Sachsenhäuser Maa- tanten einer bunten Apfelweinkultur. Um diese felwein nie eine Angelegenheit elitärer fischer“. Deckel waren Erbstücke und zu fördern, unterstützt der Verein zahlreiche Gruppen war. Während Weinbau an- Prestigeobjekte. So, wie Leute heute Projekte und betreibt das „Gerippte Museum“. fangs nur von Klöstern und später auch ihre Smartphones oder Autoschlüssel www.apfelwein-centrum-hessen.de von Fürsten betrieben wurde, hatten auf den Tisch legen, kam damals eben mit dem Obstanbau immer alle zu tun. ein Deckelche aufs Glas. DAS MUSEUM Apfelwein war stets das Getränk der Der Weg ins „Gerippte Museum“ führt durch Menschen vor Ort und wurde „quer durch Was kann das Wissen um solche Tradi- das Geschäft „Main Genuss Laden“ im die Bank“ getrunken – von den einfachen tionen für die Zukunft der Apfelwein- Heumarkt 6 in Hanau (Di bis Fr 11 bis 18 Uhr; Leuten bis zu den Honoratioren. kultur bewirken? Sa 10 bis 16 Uhr). Der Eintritt ist kostenfrei. Ich glaube, dass kleine Geschichten mit Gefördert wird das Museum von dem Main- Zum Klischee des Einfach-Derben passt ihrer ganz eigenen Regionalität etwas Kinzig-Kreis, der Stadt Hanau, dem Regional- auch, dass Apfelweingläser angeblich Intimes und Berührendes haben und da- verband FrankfurtRheinMain, dem Verein deshalb gerippt sind, damit sie griffiger mit Heimat schenken können. Wir ha- FrankfurtRheinMain, dem Verein Hessische sind und den Trinkern nicht aus den fet- ben hier den größten Bembel der Welt Apfelwein- und Obstwiesenroute Regional- tigen Fingern rutschen. Richtig? stehen, weil unglaublich viele Menschen schleife Main-Kinzig und einer Vielzahl weiterer Auch das ist dummes Zeug. Die Rauten ihren Teil dazu beigetragen haben. Das Apfelweinfreunde: Firmen, Institutionen, lösen ein Farbproblem. Helle Apfelwei- zeigt, was möglich ist, wenn die Region Vereine, Verbände und Einzelpersonen. ne sehen nämlich im Wasserglas nicht zusammenarbeitet. In den vergangenen www.geripptes-museum.de unbedingt schön aus. Im gerippten Glas zwei Jahrzehnten haben sich viele Leute lassen stete Lichtbrechungen ihn dann mit neuen Ideen für unsere Apfelwein- golden funkeln. kultur eingesetzt – Streuobstinitiativen, pfiffige Gastronomen und junge Kelter- Der zentrale Raum der Ausstellung ist meister. Das stimmt mich zuversichtlich. komplett der hessischen „Trinkzeremo- Und das Gerippte Museum soll Einhei- nie“ gewidmet. mischen eine neue Sichtweise auf ihr Ja, denn unsere „Dreifaltigkeit“ von Nationalgetränk ermöglichen und Neu- Bembel, Deckel und Geripptes ist tat- bürger sowie Gäste die Apfelweinkultur sächlich einzigartig, das gibt es nirgend- als eine stete Einladung zum Mittun er- wo sonst. Und jedes Element hat dabei leben lassen. Wie hat ein großer Philo- eine praktische und eine symbolische soph einmal gesagt: „Wir müssen nur Bedeutung. Der Bembel eignet sich zum flexibel sein, dann trinkt die Welt auch Beispiel wunderbar als Krug, weil Form Apfelwein.“ und Material den Äbbelwoi optimal temperieren. Er steht aber eben auch Lassen Sie mich raten: Heinz Schenk? für das Gesellig-Einladende der Apfel- Nicht ganz. Es war der Urbayer Otti weinkultur. Wie heißt es doch? Mit ei- Fischer in einem U-Boot-Sketch von nem Bembel auf dem Tisch ist noch nie- Badesalz, gebabbelt in lupenreinem Einst wahre Prestigeobjekte: Das Museum zeigt mand lange alleine geblieben! Hessisch. viele historische „Deckelche“.
SEITE 16 THEMA UMWELTPÄDAGOGIK Mit allen Sinnen Auf der Streuobstwiese können Kinder vieles lernen – von natürlichem Geschmack über ökologische Vielfalt bis Natur- schutz. Eine Auswahl an Bildungsangeboten aus der Region. Frankfurt. Der außerschulische Bildungs- Frankfurt. Am MainÄppelHaus Lohrberg sorgt ein sechsköpfiges träger „Umweltlernen in Frankfurt“ Team dafür, dass Kinder ab dem Vorschulalter am Beispiel der hat das Modul „Apfel erleben im Grün- Streuobstwiese die Natur näher kennenlernen können. Mit man- Gürtel“ für Kindergruppen und Schul- chen Angeboten kommen die ausgebildeten Umweltpädagogin- klassen von 4 bis 12 Jahren auf dem nen in Kita und Schule, das meiste findet aber vor Ort statt. Beim Heiligenstock in seinem Programm. Ent- Grundkurs „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“ können Kinder- sprechende Arbeitsmaterialien stehen gartengruppen, Schulklassen und Behindertengruppen an drei auch online zur Verfügung, sodass Terminen das Biotop Streuobstwiese im Jahresverlauf mit allen Familien die Streuobstwiese auf eigene Sinnen erkunden. Neben Exkursionen wie „Spurenlesen auf der Faust erforschen können. Streuobstwiese“ gibt es auch Kindergeburtstagsprogramme wie www.umweltlernen-frankfurt.de/natur „Nisthilfenbau für Insekten“ oder im Herbst „Keltern“ und viele weitere Naturerlebnisangebote. www.mainaeppelhauslohrberg.de
THEMA SEITE 17 Gießen. Ende letzten Jahres haben mehrere Heuchel- heimer Grundschulklassen auf dem neuen Kinder- und Jugendbauernhof Hardtgärten tatkräftig Obst- baum-Hochstämme von der Baumschule Rinn ge- pflanzt. Auf dem Gelände mit Obstbau, Bauerngar- ten, Kleintierzucht, Imkerei und vielem mehr organi- siert die IJB Gießen (Gesellschaft für Integration, Jugend und Berufsbildung) zusammen mit Partnern eine große Auswahl an Naturschutz- und Mit- mach-Projekten auch für Kinder, Schulen und Kitas. www.hardtgaerten.de Wiesenpädagogik Fragen an Britta Hirt, Leiterin des „Bildungsteams Natur“ des MainÄppel- Hauses Lohberg Karben. Von Mai bis September sind vor allem Kinder jeden Sonntag von 14 Warum eignen sich Streuobstwiesen für bis 17 Uhr eingeladen, mit fachkundi- Umweltpädagogik mit Kindern so gut? ger Begleitung den Rapp’s Natur-Erleb- Die Wiese ist ein Freiraum und schafft nis-Garten der Stadt Karben und der eine entspannte und aktive Lernatmo- Rapp's Kelterei zu durchstreifen. Dieser sphäre. Die Kinder können herumren- macht auf 4.000m² die Lebensräume nen und auch mal hinfallen. Das zweite heimischer Pflanzen- und Tierarten ist: Obwohl man es nicht sofort sieht, erlebbar. Zu den Höhepunkten zählen ist die Wiese voller Leben. Kinder sind eine Vogelbeobachtungsstation, ein oft erstaunt, wie viele Pflanzen und Wunderwelt-Teich und natürlich die Tierarten hier zuhause sind. Spielerisch Streuobstwiese mit Nisthilfen. bringen wir sie dazu, sich der Natur Karben, Brunnenstraße 2, Am Jugend- langsamer zu nähern und aufmerksam Kultur-Zentrum Selzerbrunnenhof zu sein. Dann entdecken sie auch ge- tarnte oder versteckte Insekten. Welche Rolle spielt dabei das Obst? Eine große. Manche Kinder sind zwar Dreieich-Sprendlingen. Der Lehr- und Kräutergarten erst einmal enttäuscht, dass an den Dreieich in den Baierhansenwiesen, zu dem auch Bäumen keine Bananen oder Mangos eine Streuobstwiese gehört, ist festes Ausflugsziel von wachsen. Sie erleben dann aber, wie Schulklassen und Kindergärten. Hinzu kommen an heimisches Obst schmeckt und wie manchen Donnerstagnachmittagen Workshops für groß die Vielfalt jenseits des Supermarkt- Kinder zu Themen wie Nistkastenbau, Naturapotheke angebots ist. Es geht auch darum, ein oder Kräutersäckchen. Gefühl für den Jahreszeitlauf zu ver- www.kraeutergarten-dreieich.de mitteln: Im Frühling können wir eben keinen Apfelsaft keltern, im Herbst schon. Das sensibilisiert für das Wachsen und Reifen und macht deutlich, dass Geduld und Sorgfalt zum Ziel führen. Main-Kinzig. Nach Fertigstellung der neuen Schulungs- räume bietet das BWMK (Behinderten-Werk Main-Kin- Sie vermitteln Umweltschutz indirekt? zig e.V.) auf dem Hofgut Marjoß künftig auch Schul- Nur was man kennt, kann man auch klassen, Familien und Kindern vielfältige Möglichkei- lieben und erhalten. Insofern sind erste ten, Natur und Landwirtschaft zu erleben – und das Kenntnisse von Tieren und Pflanzen ein inklusiv „von allen für alle“. Bei Erlebnistagen und Baustein für den nachhaltigen Schutz Workshops auf dem Bio-Bauernhof können Erwachse- der Natur. Und auf der Streuobstwiese ne und Kinder zum Beispiel Apfelsaft herstellen oder entwickeln Kinder und Jugendliche das Leben der Honig-Biene kennenlernen (siehe S. 24) ein Gespür dafür, wie stark Mensch und www.hofgut-marjoss.de Natur zusammengehören. Foto: Christian Sälzer
SEITE 18 THEMA Oberhalb von Hochstadt: Links blüht der Schlehdorn, rechts rauben Misteln dem Obstbaum die Lebenskraft. BAUMSANIERUNG UND ENTBUSCHUNG es auf den Punkt: „Streuobstwiesen sind zwar Natur pur, aber eben auch Kulturlandschaften, die gepflegt werden müssen.“ Umfassende Werden sie es nicht, ist es mit dem Obstanbau vorbei und sie verlieren ihre hohe ökologische Wertigkeit. Damit das nicht passiert, hat der Verband gemeinsam mit dem Arbeitskreis Starthilfe Streuobst Maintal vor zwei Jahren das Großprojekt „Lebens- raum Streuobst Maintal“ gestartet. Es geht um nichts we- niger, als den vermutlich größten zusammenhängenden Was im ausgedehnten Streuobstgürtel rund um Maintal Streuobstgürtel in ganz Hessen großflächig zu sanieren und passiert, ist so nötig wie vorbildlich: Im großen Stil werden wiederzubeleben. verwilderte Flächen instand gesetzt und Pächter vermittelt. Der Start erfolgte im Jahr 2020 mit einer umfassenden Kartierung. „Wir haben 900 Flächen mit rund 6.300 Bäumen in Es ist eine prächtige Kulisse: Vom Distelberg oberhalb von Augenschein genommen und den Zustand dokumentiert“, er- Maintal-Hochstadt aus schweift der Blick über eine weitläufi- klärt Mascha Werth, die das Projekt leitet. Der Befund: Mehr ge Streuobstlandschaft. Die Frankfurter Skyline im Westen als die Hälfte der Altbäume war nicht gepflegt. Damit konnte und die markanten Kühltürme des Kraftwerks in Großkrot- Phase 2 starten. Der Verband schrieb die Eigentümerinnen zenburg im Osten wirken weit weg. Doch auch auf diesen le- und Eigentümer der „Problemflächen“ an. Viele sind in einem gendären Hochstädter Wiesen hat auf vielen Flächen jahre- fortgeschrittenen Alter und schaffen es nicht mehr, sich um lang der Wildwuchs dominiert: Junge Bäume sind vertrocknet, die Pflege der Bäume zu kümmern. Also bot der LPV gleich mittelalte Bäume „verstrubbelt“, alte Bäume abgestorben, zweierlei an: Sie konnten zustimmen, dass der Verband die auf den Wiesen darunter haben Schlehen- und Brombee- Wiese saniert; und sie konnten einwilligen, dass der LPV neue ren-Dickichte das Kommando übernommen. Mascha Werth Pächter sucht. Der Rücklauf war hoch und die Zustimmung vom Landschaftspflegeverband (LPV) Main-Kinzig-Kreis bringt ebenso: 160 Flächen wurden zur Sanierung freigegeben. Foto: Christian Sälzer
THEMA SEITE 19 Auf den Maintaler Wiesen finden sich viele Steinkauz- und Gartenrotschwanzbruten. Um diese auf drei Jahre angelegte Mammutaufgabe in An- griff nehmen zu können, beantragte der LPV Fördergelder. Und tatsächlich wurden aus dem vom Bund-Länder-Programm „Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz“, kurz GAK, 380.000 Euro bewilligt. Seit Anfang dieses Jahres wird nun „Hand angelegt“. Zwei Fachfirmen beseitigten zu- nächst den Wildwuchs auf den Wiesen und in 300 Bäumen oberhalb von Hochstadt und Bischofsheim. Im nächsten Win- ter geht es in Hochstadt-West und Bischofsheim-Nord weiter. Parallel wird noch ein Problem angegangen: Unzählige Bäu- me sind von Misteln befallen. Auch diese Halbschmarotzer werden im Zuge der Sanierung entfernt. Und im Herbst ste- hen Neupflanzungen von hochstämmigen Obstbäumen auf dem Programm. Mit der Aktion ermöglicht der Verband einen Neuan- fang. Die Mühe wert ist das allerdings nur, wenn die Flächen künftig bewirtschaftet werden. Glücklicherweise haben allein die Anfragen einige Eigentümer dazu gebracht, die Wiesen innerhalb der Familie an die nächste Generation zu überge- ben. Und für vakante Grundstücke sucht der Verband neue Pächter – nicht zuletzt mit engagierter Presse- und Öffentlich- keitsarbeit. Das Ganze zeigt Wirkung, und auch jüngere Leu- te melden sich. „Erst kürzlich haben wir mit einer Gruppe In- teressierter eine Ortbegehung gemacht“, erzählt Werth. „Man sollte allerdings wissen, dass eine Streuobstwiese etwas anderes ist als ein Garten. Man darf zum Beispiel keine Beete anlegen oder die Parzelle einzäunen.“ Dank der Vermittlung durch den Verband stehen hier und da nun auch Neulinge auf „ihrer“ Streuobstwiese. Damit sie ebenfalls wissen, wie man Bäume schneidet oder pflanzt und mit dem Unterwuchs umgeht, haben Werth und eine Kol- legin die Modulreihe „Streuobst für Einsteiger:innen“ gestar- tet. Dabei geht es auch um Naturschutzthemen. „Wir erklären zum Beispiel, dass man absterbende Bäume und Totholz auf der Wiese belassen soll, weil sie vielen Tierarten Nahrung und Lebensraum bieten.“ Wo nötig und machbar, leistet der Ver- band auch Unterstützung bei der Bewirtschaftung. So stellt er Kontakte zu Schäfern für die Beweidung der Wiesen her. Und er sucht nach Lösungen, um Pächter angesichts der zuneh- menden Trockenheit beim Gießen zu unterstützen. Es ist ein Projekt mit Pilotcharakter. Warum sie und ihre Kolleginnen das alles und immer wieder auch über Dienst- schluss hinaus zu tun? Mascha Werth muss nicht lange überle- gen: „Die Zeit drängt. Wir müssen es jetzt schaffen, die Wie- sen in neue und kompetente Hände zu geben. Und es ist toll, wenn es klappt, Menschen dafür zu begeistern.“ Mehr Infos unter www.lpv-mkk.de und www.streuobst-maintal.de Foto: clarst5/shutterstock.com
SEITE 20 KOLUMNE Sauers Sicht Der Kulturerbe-Status von Streuobstwiese und Apfelweinkultur ist eine Chance. Die Anerkennung ist da. Binnen weni- se eingeführt worden, der nun jedes terstützung einzufordern. Das heißt ger Monate sind Streuobstwiesen und Jahr am letzten Freitag im April zele- konkret: Die Fördermöglichkeiten von Apfelweinkultur in die „Bundesweite briert wird. In vielen Verbandskommu- Streuobstprojekten müssen bekannter Liste des Immateriellen Kulturerbes“ nen und Landkreisen ist das Thema und vor allem unbürokratischer wer- von Deutschland aufgenommen wor- Streuobstwiese zuletzt wieder in den den. Behörden sollten mit Augenmaß den – und damit jene zwei Kulturen, die Fokus gerückt. So haben der Wetterau- agieren und die Streuobstpflege er- in unserer Region immer schon zusam- kreis und die Stadt Rosbach vor der leichtern statt erschweren. Das Land mengehören. Man könnte es so sagen: Höhe – diese nach Befragung der Bürger- Hessen könnte in die Unterstützung In zwei Schritten hat die UNESCO unsere schaft – jeweils Streuobstkonzepte erar- des Regionalen Streuobstzentrums ein- Hessische Apfelwein- und Obstwiesen- beitet. In Groß-Gerau und Offenbach steigen. Es gibt also viele Möglichkei- route als Ganzes gewürdigt. Das kommt werden Landschaftspflegeverbände ge- ten, mit denen die Politik der Apfel- zur rechten Zeit. Denn unsere Streuobst- gründet. Mit der Förderung eines Regi- wein- und Obstwiesenkultur helfen wiesen leiden an Überalterung, Pflege- kann. „Leben“ kann sie sie allerdings notstand und den Auswirkungen der nicht. Das müssen „wir“ tun: Als Streu- Klimakrise. Auch die Apfelweinkultur obstwiesenbesitzer, indem wir unsere leidet, vor allem weil zwei Jahre Pande- mie Gaststätten und Keltereien zuge- Die Politik kann der Parzellen nicht sich selbst überlassen. Als Pächter, indem wir uns schlau ma- setzt haben. Natürlich bringt es mate- riell niemandem etwas, immateriell Kutur helfen. „Leben” chen, was die Wiesen brauchen. Als Ak- tive in Vereinen und Initiativen, indem wertvoll zu sein. Es ist Symbolpolitik, nicht mehr, aber – und das muss betont müssen wir sie. wir uns weiter engagieren und andere dazu einladen. Als Kelterer und Gastro- werden – eben auch nicht weniger. Denn nomen, indem wir Traditionen nicht erstens haben die Streuobstwiese und nur bewahren, sondern auch erneuern. die Apfelweinkultur bei der UNESCO onalen Streuobstzentrums (siehe Seite 8) Und wir als Konsumenten, indem wir überzeugt, was keineswegs jedem An- hat auch der Regionalverband Frank- zum Beispiel im Hofladen heimische trag gelingt. Zweitens sind die Titel furtRheinMain sein Bekenntnis für diese Äpfel kaufen oder in der Wirtschaft auch eine Wertschätzung all derjeniger, Kulturlandschaften noch einmal unter- nebenan einen lokalen Apfelwein trin- die diese Kultur(en) leben und pflegen strichen. Und in Hanau ist mit dem Ge- ken. Das tut gut und Gutes: Es hält un- – und damit Ermutigung sowie Ansporn. rippten Museum ein Raum für die heimi- serer hessische Apfelwein- und Obst- Drittens haben die Würdigungen Auf- sche Apfelweinkultur eröffnet worden. wiesenkultur lebendig. merksamkeit erzeugt und Interesse ge- All das sind Entwicklungen, die sich ge- weckt. Das gilt es zu nutzen, zumal eini- genseitig verstärken. Genau um diese Bastian Sauer ist beim Regionalverband ges in Bewegung ist. Dynamiken geht es. FrankfurtRheinMain als Regionaler Streuobst- Kurz nach der UNESCO-Auszeich- Die Kulturerbe-Titel sind zusätzli- beauftragter tätig. Ihre Meinung zum Thema? nung 2021 ist der Tag der Streuobstwie- che starke Argumente, um weitere Un- Schreiben Sie an sauer@region-frankfurt.de
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