Archivmagazin - Stadt Pforzheim
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Archivmagazin Neues aus dem Stadtarchiv Pforzheim Sonderheft zum Tag der Archive 2020: Nr. 2020/1 Kommunikation. Von der Depesche bis zum Tweet Aus dem Inhalt: Wilhelm Reble Textplakate Zeitungsgeschichte Geschichte des Post- wesens Brieftauben im Ersten Weltkrieg Briefkultur gestern und heute Stadtarchiv Pforzheim Mitteilungen für die Mitglieder Institut für Stadtgeschichte ♦ Nr. 39/März 2020
Förderverein Grußwort des Vorsitzenden Die Verleihung des Preises findet am Montag, 30.3.2020 im Vortragsaal des Stadtarchivs statt. Liebe Mitglieder des Fördervereins, Wir freuen uns auf ein Grußwort von Bürgermeis- terin Sybille Schüssler. Direkt im Anschluss an die mit dem neuen Jahr kommen auch viele interes- Preisverleihung werden wir die jährliche Mitglie- sante Veranstaltungen auf die Freunde des Stadt- derversammlung unseres Fördervereins abhalten. archivs zu. In meinem letzten Vorwort bin ich auf Als Vereinsmitglieder gehen Ihnen Einladung und die besondere Bedeutung des Simler- und des Tagesordnung gesondert zu. Gothein-Preises eingegangen, da die entscheiden- de Jury-Sitzung bevorstand. Mittlerweile wurden Auch die Preisträgerin des Georg-Simler-Preises die Preistragerinnen und Preisträger durch die die Schülerin Annsophie Schmidt hat mit ihrem Juroren der Reuchlin-Gesellschaft, der Löblichen Werk „Spurensuche“ eine detailreiche und über- Singer und des Fördervereins für das Stadtarchiv zeugende Arbeit zum Schicksal der jüdischen ausgewählt. Schülerinnen der Hilda-Schule in der Zeit des Na- tionalsozialismus vorgelegt. Dabei wurde sie von Besonders erfreulich ist die Tatsache, dass es eine ihrem Lehrer Martin Rühl unterstützt. Die Verlei- Vielzahl von Einsendungen und Vorschlägen für hung des Georg-Simler-Preises findet im Rahmen beide Preise gab. Zeigt dies doch beim Simler- des Tages der Archive am Sonntag, 8.3.2020 um Preis, dass lokale Geschichte ein waches Interes- 11 Uhr im Stadtarchiv Pforzheim mit Oberbür- se von jungen Menschen erfährt und sich gerade germeister Peter Boch statt. Durch seine Anwe- Schülerinnen und Schüler jenseits von historisie- senheit wird nicht nur die Bedeutung des Preises render Heimattümelei ernsthaft mit der Geschich- herausgestellt, sondern auch das Stadtarchiv in te ihrer Heimatstadt auseinandersetzen. Gleiches den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Dieser gilt es für die wissenschaftliche Auseinanderset- Tag unter dem bundesweiten Motto „Kommunika- zung mit lokalgeschichtlichen Themen. Auch die tion. Von der Depesche bis zum Tweet“ markiert Beiträge, die für den Eberhardt-Gothein-Preis in einen weiteren Höhepunkt für alle Freunde des Frage kamen, waren zahlreich und von bemer- Stadtarchivs. So findet im Anschluss an die Preis- kenswerter Qualität und thematischer Vielfalt. verleihung eine Präsentation und Lesung zum Thema Briefkultur statt. Hier warten auf die Be- Dennoch fiel die Entscheidung für Vergabe bei- sucherinnen und Besucher einige überraschende der Preise eindeutig und einhellig aus, da es bei Zeugnisse. Danach gibt es eine Führung durch die beiden Preisen herausragende Vorschläge gab. Ausstellung im Lesesaal „Wilhelm Reble. Kriegs- So geht der Eberhardt-Gothein-Preis in diesem tage in Wort und Bild“. Der Tag wird durch eine Jahr an den ehemaligen langjährigen Leiter des Präsentation historischer Zeitungsausgaben, eine Stadtarchivs Pforzheim Prof. Dr. Hans-Peter Becht. Textplakate-Ausstellung sowie eine Archivführung Sein Werk „Führer befiehl …“ Das nationalsozia- abgerundet. Während des Tages präsentiert sich listische Pforzheim 1933-1945, Heidelberg 2016 auch unser Verein. Gerne können Sie dies durch schließt mit beeindruckender Materialfülle und einen regen Besuch unterstützen. bedrückender Klarheit eine wesentliche Lücke in der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit unserer Unsere Jahresexkursion am Sonntag, 26.4.2020, Stadt. rückt ebenfalls immer näher. In Kooperation mit den Löblichen Singern geht es diesmal auf Spu- rensuche nach den Waldensern in unserer Regi- II Archivmagazin 2020/1
Förderverein on. Das kleine Museum „Waldenserstüble“ und „Montagabend im Archiv“ • Programm 2020 die älteste Waldenserkirche in Pinache sind mor- gens die ersten Ziele. Nach der Mittagspause im „Lamm“ in Ötisheim-Schönenberg geht es zum In Kooperation mit der Löblichen Henri-Arnaud-Haus und der Waldenserkirche. Ich Singergesellschaft von 1501 Pforz- danke Günter Beck für die Planung und Vorberei- heim. tung unseres Ausflugs und freue mich auf eine rege Beteiligung. Die nächsten Termine: Ihr Kai Adam Vorsitzender des Fördervereins 11. Mai, 19 Uhr für das Stadtarchiv Pforzheim e. V. Dr. Christoph Timm Die bunte Siedlung am Wartberg. Mit der repu- blikanischen Demokratie startete vor 100 Jahren der Wohnungsbau in kommunaler Verantwor- tung In Zusammenarbeit mit dem Bürgerverein Nord- stadt e. V. und der Löblichen Singergesellschaft von 1501 Pforzheim Es gab nicht nur das Bauhaus … Auch die Siedlung am Wartberg in Pforzheim, deren Bau 1920 be- Förderverein für das Stadtarchiv Pforzheim e. V. gann, galt als soziales Experiment und Vorzeige- projekt. Wer waren die Initiatoren? Was hatte es Kronprinzenstr. 28 mit der Farbigkeit auf sich, die von den Zeitzeu- 75177 Pforzheim gen hervorgehoben wurde? Welche Erinnerungen Foerderverein.Stadtarchiv@pforzheim.de sind mit dem Leben in der Siedlung verbunden? 07231/39-1836 Aus Anlass des 100-jährigen Jubiläums erläu- tert der Städtische Denkmalpfleger Dr. Christoph Bankverbindungen: Timm, warum die Wartbergsiedlung ins kollektive Gedächtnis der Stadt eingeschrieben gehört. Hap- Sparkasse Pforzheim Calw py Birthday zum runden Geburtstag! IBAN DE68666500850007619197 BIC PZHSDE66XXX Dr. Christoph Timm, Studium der Kunstgeschichte sowie Mittleren und Neuen Geschichte, ist Autor Volksbank Pforzheim zahlreicher Veröffentlichungen zur Baukunst des IBAN DE65666900000003178470 20. Jahrhunderts und seit 1988 Städtischer Denk- BIC VBPFDE66XXX malpfleger in Pforzheim. Archivmagazin 2020/1 III
Tag der Archive 2020 Tag der Archive am 8. März 2020: Kommunikation. Von der Depesche bis zum Tweet Dr. Klara Deecke Am Sonntag, den 8. März 2020, findet der 10. Tag der Archive im Stadtarchiv Pforzheim statt. An die- sem bundesweiten Aktionstag stellen sich Archive aus ganz Deutschland der Öffentlichkeit vor. Mot- to diesmal ist „Kommunikation. Von der Depesche bis zum Tweet“. Auch das Stadtarchiv Pforzheim öffnet von 11 Uhr bis 15 Uhr seine Pforten und präsentiert ein vielseitiges Programm. Fast alle Dokumente, die im Stadtarchiv archiviert werden, dienten einst der Kommunikation; die Akte mit amtlichen Schreiben ebenso wie die Post- karte oder das Plakat. Und wenn heute Archivnut- zer ihre Fragestellungen an das Archivgut richten, dann ist dies Kommunikation mit der Vergangen- heit. Der Fundus, aus dem das Programm das dies- jährigen Tags der Archive zusammengestellt wer- den konnte, ist also ein nahezu unerschöpflicher – und es wurde Spannendes, Kurioses, Neues und Bedeutendes aus den im Stadtarchiv verwahrten Quellen rund um das Thema Kommunikation aus- gewählt. Die Besucherinnen und Besucher erwar- ten Ausstellungen, Präsentationen und Magazin- führungen, u. a. zu historischen Zeitungen und Textplakaten, zur Briefkultur und zum Pforzheimer Mit der vorliegenden Sonderausgabe des ‚Ar- Künstler Wilhelm Reble. chivmagazins‘ zum Tag der Archive 2020 werden einige Aspekte rund um das Rahmenthema Kom- Zum Auftakt um 11 Uhr findet die Verleihung des munikation vertieft, die bei diesem Aktionstag Georg-Simler-Preises für stadtgeschichtliche Ar- präsentiert werden. beiten an Schulen mit Oberbürgermeister Peter Boch statt. Ausgezeichnet wird das Buchprojekt „Spurensuche“ des Hilda-Gymnasiums Pforzheim. Der Preis wird vergeben vom Förderverein für das Stadtarchiv Pforzheim e. V., der Löblichen Singer- gesellschaft von 1501 Pforzheim und der Reuch- lingesellschaft Pforzheim. Im Anschluss laden die drei preisstiftenden Vereine zu einem kleinen Stehempfang ein. 4 Archivmagazin 2020/1
Tag der Archive 2020 Wie geht es dir? Mir geht es gut. Briefkultur durch die Übernahme privater Nachlässe in die Be- gestern und heute stände gelangen, und die am Tag der Archive dem Andrea Binz-Rudek und Annette Nußbaum geneigten Publikum in einer kleinen Ausstellung dargeboten werden. Besondere Highlights stellen Was verstehen wir eigentlich unter einem Brief? dabei die Liebesbriefe dar, in denen die Geliebte/ Ein umgangssprachlich verfasstes Schreiben, das der Geliebte mit beredten, teils barock anmuten- mit der Post transportiert wurde? Was könnte den Liebesbeteuerungen bedacht wird. Besonders „die Kultur“ in dieser Verbindung sein? Etwa nur ans Herz gehen auch die zahlreich überlieferten Briefe großer Dichter wie Goethe und Schiller? Als Feldpostbriefe und Trauerbriefe. Brief wird eine schriftliche Mitteilung mit einem persönlichen Inhalt definiert, gewechselt zwi- Ein besonders fleißiger Briefeschreiber war Hans schen Partnern, die in einer rein persönlichen – Erpf, der jüngste Sohn des Pforzheimer Gaswerk- also nicht in einer amtlichen oder geschäftlichen direktors Albert Erpf, der 1894 in Pforzheim ge- – Beziehung zueinander stehen. Die Korrespon- boren wurde und dessen Liebes- und Kriegsbriefe denzpartner sind also losgelöst von dem Amt, das im Nachlass N108 überliefert sind. Nach erfolg- sie eventuell anderweitig bekleiden, zu betrach- reichem Abitur an der Großherzoglichen Oberre- ten. Briefe müssen Formalien erfüllen: Datum, An- alschule in Pforzheim im Juli 1913 begann er im rede, Grußformel und Unterschrift. Ferner haben Wintersemester 1913/14 ein Studium der Ingeni- sie den Zweck, die räumliche Trennung zwischen eurswissenschaften an der Badischen Technischen Absender und Empfänger zu überwinden und ein Hochschule Fridericiana in Karlsruhe, das er aller- Gespräch zu ersetzten. dings bereits im August 1914 aufgrund seiner Ein- berufung unterbrechen musste. Seit die Babylonier begannen, Nachrichten in Tontafeln zu ritzen, die Ägypter Papyri beschrie- Im Ersten Weltkrieg kämpfte er von April 1915 bis ben und in Griechenland und Rom mit Wachs Juni 1917 an der Westfront, u. a. in der Schlacht beschichtete Holztafeln bekritzelt wurden, wur- an der Somme. Anschließend wurde er in den den Gelehrtenbriefe, Fürstenbriefe, Liebesbriefe, Orient versetzt, wo er im heutigen Nordirak und Abschiedsbriefe und Trauerbriefe, Glückwunsch- im heutigen Nordsyrien diente. Beim endgültigen schreiben, Feldpostbriefe und viele andere mehr Rückzug der deutschen Truppen im Dezember verfasst. Viele berühmte Briefe wie die des Apos- 1918 gelangte er schließlich über Bulgarien bis tels Paulus sind leider nur als Abschriften überlie- nach Ungarn. Seine erhaltenen Feldpostbriefe, in fert. Deshalb ist es ein Glücksfall, wenn Briefe den denen er sich auch nicht scheute, ungeniert an der Weg in ein Archiv finden und somit der Nachwelt Obersten Heeresleitung Kritik zu üben, zeichnen erhalten bleiben. Wie schnell sind Briefe weg- ein komplettes Panorama des Ersten Weltkrieges. geworfen oder zerstört. Doch Jahre später wird Nach seiner Rückkehr setzte Hans Erpf seine Stu- ein normaler Brief ein Zeugnis seiner Zeit, der dien allerdings nicht mehr in den Ingenieurswis- die Empfindungen vielleicht längst verstorbener senschaften fort, sondern begann im Januar 1919 Vorfahren widerspiegelt. Welche anderen histo- ein Studium am Lehrerseminar in Karlsruhe, das rischen Quellen geben schon Auskunft über die er bereits im Juni 1919 erfolgreich beendete. Über Gefühle, die wir anderen gegenüber offenbaren? die Gründe hierfür kann nur spekuliert werden, vermutlich spielten sein fortgeschrittenes Alter Auch das Stadtarchiv Pforzheim verfügt über ei- und die prekärer werdende finanzielle Situation nen reichen Schatz an Briefen, die insbesondere seiner Familie die Hauptrolle. Nach diversen kurz- Archivmagazin 2020/1 5
Tag der Archive 2020 fristigen Lehrerstellen erhielt er seine erste feste Im Dezember 1947 trat er schließlich seine letzte Stelle im Oktober 1920 in Weinheim. Auf diese Stelle in Legelshurst an, die er bis zu seiner Pensio- folgte im Mai 1924 eine Stelle in Gengenbach. nierung 1957 innehatte. Hans Erpf verstarb 1967. Abb. 2: Anrede des Bräutigams Hans an seine Braut Luise in einem Brief, geschrieben wenige Tage vor der Hochzeit (Sig- natur: N108-68) Ein weiterer anrührender Briefnachlass befindet sich in N89 der Familie Müller/Finkbeiner. Darin finden sich zahlreiche Liebesbriefe verschiedener Verehrer an Erna Finkbeiner, die 1889 in Pforz- heim geboren wurde. Nach einem Besuch ihres Bruders in Argentinien lernte die Haustochter auf dem Schiff den Amerikaner Tom Hall kennen. Er entflammte in großen Liebe zu ihr, die er unter anderem in Englisch auf seiner Hemdmanschette verewigte. Ihren Vornamen verwendete er nicht, sondern bedachte sie mit dem Kosenamen “My Schwartzwald“. Liebe und Trauer liegen oft nah beieinander. So verwahrt das Stadtarchiv im Nachlass der Fami- lie Bürger (Signatur: N 96-37) Briefe der Mutter Abb. 1: Geburtstagsglückwünsche von Hans Erpf an seine Elisabeth Wolf an den Sohn aus erster Ehe, Erich Braut Luise Koch (Signatur: N108-68) Bürger. Die Familie wurde ausgebombt – sie ge- Dann endlich war Hans Erpfs finanzielle Situation hörte zu den ersten Pforzheimer Ausgebombten so gesichert, dass er 1926 seine große Liebe Lui- im Oktober 1944. Das Ehepaar Wolf konnte an- se Koch heiraten konnte. Während der gesamten schließend eine neue, möblierte Wohnung bezie- langen Wartezeit schrieben sich die Verlobten be- hen. Hoch erfreut über diesen Umstand war aber wegende Liebesbriefe. Besonders wertvoll ist der der (vermisste) Sohn im Felde ihre größte Sorge. Nachlass dieser Briefe dadurch, dass auch die Ant- Der zum damaligen Zeitpunkt 1944 neunzehnjäh- wortschreiben überliefert sind, was äußerst selten rige Sohn, der nach dem Notabitur im Jahr 1943 vorkommt. Nach einer weiteren Versetzung im in den Krieg zog, kam nicht mehr nach Pforzheim April 1929 nach Diersburg erfolgte von Januar bis zurück und wurde im Jahr 1967 für tot erklärt. August 1941 Hans Erpfs Abordnung an Volksschu- In N96-35 findet sich ein Brief von Erich Bürger len im besetzten Elsass. Aufgrund seiner Mitglied- vom 02.07.1944 mit einfachen Abschiedsworten: schaft im NS-Lehrerbund und in der NSDAP wurde „Meine lieben Eltern und Großeltern! Zum letzten er 1945 im französischen Militärgefängnis in Karls- Mal sag ich Euch Lebewohl. Ich wusste schon im- ruhe inhaftiert und nach seiner Entnazifizierung mer, dass ich nicht mehr zu Euch zurückkommen im September 1946 nach Wolfach strafversetzt. durfte. Grüßt Doris, Helmut und alle Verwandten 6 Archivmagazin 2020/1
Tag der Archive 2020 Abb. 4: Briefumschlag eines nicht zugestellten Briefes an Erich Bürger, der mit dem Vermerk „Vermißt“ zurück an die Mutter ging (Signatur: N96-37) geblieben. Schon allein an diesen Briefen lässt sich der Schrecken des Krieges erahnen. Solch schreckliche Abschiedsbriefe mussten Ju- gendliche der letzten 75 Jahre glücklicherweise nicht mehr verfassen. Auch Liebesbriefe kennen bzw. schreiben die heutigen Teens und Twens wahrscheinlich nicht mehr. Heutzutage sind Ab- kürzungen wie HASE (Habe Sehnsucht), ILD (Ich liebe dich), TABU (Tausend Bussis), die über die Messenger-Medien verbreitet werden, Gefühls- bekundung genug. Doch leider geht so auch eine lange Tradition an Briefkultur zu Ende ... Literatur: • Friedrich Beck/Eckart Henning (Hrsg.): Die archivalischen Quellen. Mit einer Einführung in die Historischen Hilfs- wissenschaften, 3. Aufl., Köln u.a. 2003 • Peter Rückert/Nicole Bickhoff/Mark Mer- siowsky (Hrsg.): Briefe Abb. 3: Liebesbrief des Amerikaners Tom Hall an Erna Fink- aus dem Spätmittelal- beiner (My Schwartzwald), geschrieben während der Über- fahrt von Argentinien nach Europa auf eine Hemdmanschete ter: Herrschaftliche Kor- im Jahre 1924 (Signatur: N89-122) respondenz im deut- schen Südwesten, und Bekannte von mir zum allerletzten Mal Euer Stuttgart 2015 Erich“. Der Umschlag, versehen mit der Aufschrift Abb. 5: Screenshot eines Chat- „Nach meinem Tode zu öffnen“, ist auch erhalten Verlaufs 2020 Archivmagazin 2020/1 7
Tag der Archive 2020 Das Postwesen in Pforzheim bis 1946 und 26 Kreuzer für einen „Postritt und Botenlohn“ Marco Tänzer auf. Dieser Betrag war früher wie bereits ausge- führt der Metzgerzunft zu zahlen. Zu Zeiten von Smartphone, Computer, Internet & Co gibt es zunehmend seltener Zeiten, an de- Neben der regelmäßigen Postbeförderung im nen man Post in klassischer Papierform erhält, Jahre 1683 durch Botenpost wird 1684 noch eine und wenn diese doch bei uns eintrifft, wird sie „Straßburger Landkutsche“ erwähnt, die wöchent- gewöhnlich an der Haustür vom Postboten über- lich einmal nach Stuttgart fuhr. Dies scheint die reicht oder von ihm in den Briefkasten geworfen. erste regelmäßige Postfuhrgelegenheit gewesen Dies war jedoch nicht immer so. In längst vergan- zu sein, die Pforzheim berührte. Im 18. Jahrhun- genen Zeiten war das sogenannte Postreiten ein dert fuhr einmal in der Woche eine sogenannte altes Dienstrecht und exklusiv der Metzgerzunft Personenpost und die Briefpost wurde durch ei- vorbehalten.1 Die einzelnen Meister der Metzge- nen reitenden Postillion täglich bis nach Illingen reien mussten dieser Pflicht mit eigenen Pferden beziehungsweise nach Wilferdingen befördert. nachkommen, doch im Jahre 1761 bat die Metz- gerzunft um die Befreiung von dieser Pflicht. Sie war ihnen zu lästig und brachte fast gar keine Ent- schädigung. Eine zusätzliche Belastung hatten die Metzger zu Kriegszeiten: Sie kannten besser als andere Bürger die Wege und mussten vermehrt Wacht- und Postritte ausüben. Die Bitte führte zwar dazu, dass die Postritte nun besser vergü- tet wurden, aber die Metzgerzunft war trotzdem noch weiterhin zuständig für die Postbeförderung. Bezüglich des Postwesens in Pforzheim gibt es vor dem 17. Jahrhundert nur sehr spärliche Anhalts- punkte. Mit der Römerstadt am Enzübergang war anscheinend eine Poststation verbunden. Darauf lässt unter anderen der Umstand schließen, dass die Römerstraßen, die über Pforzheim führten, in den 1960er Jahren noch „alte Poststraßen“ genannt wurden. Erst aus dem 17. Jahrhundert gibt es Mitteilungen über das Postwesen der da- Abb. 1: Nach dem Großbrand im Jahre 1840, der als Post- mals markgräflich Baden-Durlach´schen Residenz brand in die Geschichte Pforzheims einging, befand sich die Pforzheim. Eine Bürgermeisterrechnung aus dem Posthalterei am Leopoldplatz (Abb. aus: Karl Müller: Aus der Jahr 1683 weist eine Ausgabe von acht Gulden Postgeschichte der Stadt Pforzheim. In: Postgeschichtliche Blätter. Hrsg. Bezirksgruppe Karlsruhe der Gesellschaft für Deutsche Postgeschichte e.V. in Verbindung mit der Ober- 1 Vgl. Karl Müller: Aus der Postgeschichte der Stadt Pforz- postdirektion Karlsruhe. Heft 1/1961, S. 12-14, hier S. 12) heim. In: Postgeschichtliche Blätter. Hrsg. Bezirksgruppe Karlsruhe der Gesellschaft für Deutsche Postgeschichte e.V. Ab dem 01.08.1811 übernahm dann der badische in Verbindung mit der Oberpostdirektion Karlsruhe. Heft Staat selbst die Leitung des Postdienstes, die Be- 1/1961, S. 12-14, enthalten in StadtA PF, B1-1719. amten und Unterbeamten wurden aus Staatsmit- 8 Archivmagazin 2020/1
Tag der Archive 2020 teln angestellt und die Einnahmen flossen unge- waren die Räume im Bahnhof zu klein und in der teilt in die Postkasse. Bevor der badische Staat die Luisenstraße in der Nähe des Bahnhofs wurde ein Zügel in die Hand nahm, gab es mehrere wech- reichseigenes Gebäude erstellt (Baubeginn 1877, selnde Posthalter. Sie führten die Posthalterei und bezogen 1879). In dieses Gebäude wurde auch die den Postdienst auf eigene Rechnung und Gefahr. Telegraphenbetriebsstelle verlegt, welche sich da- Die Inhaber waren verpflichtet, die Gehilfen aus vor in angemieteten Räumen der Östlichen Karl- eigenen Mitteln zu besolden und bezogen von den Friedrich-Straße befand. Zu jener Zeit dauerte es Einnahmen des Postdiensts ein Fünfzehntel der volle acht Tage, bis ein Paket, das über Karlsruhe Fahrpost- und ein Zehntel der Briefposteinnah- oder Frankfurt abging, in Leipzig eintraf. Ebenso men. Am 2. Mai 1840 zerstörte ein großer Brand lange brauchten Pakete von Pforzheim nach Nürn- das Stadtviertel, in welchem die Posthalterei lag. berg, die über Stuttgart versandt wurden. Dieser Großbrand ging als Postbrand in die Ge- schichte ein. Danach befanden sich die Posthalte- rei und das Postdienstlokal bis 1861 am Leopold- platz. Am 3. Juli 1861 wurde die Poststelle in das neu errichtete Post- und Eisenbahnamt verlegt, für den Postdienst wurden in dem neuen Bahnhofs- gebäude sechs Zimmer benutzt. Doch nach kaum mehr als zehn Jahre wurden die Bahn und die Post wieder voneinander getrennt: Ab dem 01. Janu- ar 1872 ging die Verwaltung der badischen Post an das Deutsche Reich über. Im Jahre 1875 wur- de dem Postamt eine Telegraphenbetriebsstelle angegliedert, diese wurde dazu genutzt, telegra- fische Depeschen zu übertragen. Später ersetzte der Ausdruck „Telegramm“ den Begriff Depesche. Die Übertragung der Nachrichten geschah durch das Vermitteln eines Codes mithilfe eines Fern- Abb. 2: Die neu errichtete Poststelle bis 1945 und vor der Zer- schreibers2 an eine Poststelle in der Nähe des störung Pforzheims (Abb. aus: Karl Müller: Aus der Postge- Empfängers. Die Nachricht wurde dort aufge- schichte der Stadt Pforzheim. In: Postgeschichtliche Blätter. Hrsg. Bezirksgruppe Karlsruhe der Gesellschaft für Deutsche schrieben und per Bote an den Empfänger zuge- Postgeschichte e.V. in Verbindung mit der Oberpostdirektion stellt. Ein Telegramm konnte in den meisten Fällen Karlsruhe. Heft 1/1961, S. 12-14, hier S. 13) bereits nach zwei Stunden der Aufgabe des Tele- gramms zugestellt werden. Im Jahre 1885 wurde Ein Zeitungsartikel aus dem Jahre 1939 gibt Auf- die Nachrichtenübertragung mit der Einführung schluss darüber, dass in Pforzheim einschließlich des Fernsprechers3 noch weiter beschleunigt. Bald dem Postbezirk Dillweißenstein die Posterledi- gung fortan motorisiert wird. So heißt es in dem 2 Ein Fernschreiber ähnelt vom Aussehen sehr stark einer Zeitungsartikel: „Schneller geht´s vorläufig nim- Schreibmaschine. mer!“ 3 Im Laufe der Zeit veränderte sich der Begriff Fernsprecher zu Telefon. Archivmagazin 2020/1 9
Tag der Archive 2020 Dienststellen (Rundfunk-, Zeitungs-, Postscheck- und Postsparkassendienst) teils mit und teils ohne Einschränkungen ihre Arbeit wieder auf. Auch ein bescheidener Kraftpostverkehr setzte wieder ein. Damit konnte man zum einen die Personenbeför- derung wieder aufnehmen und zum anderen die Zuführung der Post zu den dem Postamt zugeteil- ten 27 Amtsstellen. Abb. 3: Schließlich ab 1939 konnten sich die Pferde, jedenfalls was die Postbeförderung anging, ebenfalls wie die Metzger in den „Ruhestand“ verabschieden (Abb. aus: Pforzheimer Rundschau Nr. 157 vom 8.7.1939) Doch was sich so stetig aufgebaut hatte, wurde während des 2. Weltkriegs im Zuge des Luftan- griffs auf Pforzheim am 23. Februar 1945 vollstän- dig zerstört. Die Gebäude des Hauptpostamtes, des Wähl- und Fernamts fielen dem Flammen- meer zum Opfer, lediglich der Kraftposthof in der Zeppelinstraße wurde teilweise verschont. Um die Postversorgung einigermaßen aufrecht zu erhal- ten, wurde das Hauptpostamt nach dieser Kata- strophe in einem Kurhotel in Pforzheim-Dillstein angesiedelt und in den Randgebieten der Süd-, Nord- und Oststadt und in Brötzingen wurden Postausgabestellen eingerichtet. Im Juni 1945 wur- de bereits wieder eine kleine Fernsprechvermitt- lung in einem Keller in der Nordstadt eingerich- tet. Für den wechselseitigen Nachrichtenverkehr wurde ein Kurierdienst eingesetzt. Einige Wochen später wurden auch die Briefzustellung und der Briefabgang wieder aufgenommen, danach folg- te die Wiederaufnahme des Paketdiensts. Anfang des Jahres 1946 nahmen die früher betriebenen 10 Archivmagazin 2020/1
Tag der Archive 2020 Geflügelte Boten unter Spionageverdacht: Der nisterium des Innern die Ortspolizeibehörden am Einsatz von Brieftauben zur Nachrichtenüber- 29. Oktober 1914 auffordert, „alsbald alle Tauben- mittlung im Ersten Weltkrieg schläge einer Kontrolle daraufhin zu unterziehen, Dr. Sonja Hillerich ob sich nicht fremde oder deutsche Brieftauben“ darin befinden, über deren Herkunft die Besitzer des Taubenschlags keinen Nachweise erbringen können. Zu erkennen seien die Tauben an Fußrin- gen und Stempeln, die auf den Handschwingen aufgebracht wurden. Das Ergebnis dieser Unter- suchung sollte über das Bezirksamt Pforzheim an das stellvertretende Generalkommando in Karls- ruhe übermittelt werden – überliefert ist es aber nicht. Hintergrund dieser Erhebung war die Bedeutung der Taubenpost für die Kriegskommunikation, die sich nicht allein über Feldpost, Telegrafen- und Fernsprechapparate bewältigen ließ. Die Brieftau- ben waren unschlagbar schnell und konnten sich ihre Routen frei suchen, ohne dass vorher eine aufwändige Infrastruktur eingerichtet werden musste. Diesen Vorteil hatte auch Paul Julius Reu- ter, der kurz Zeit später in London die berühmte Nachrichtenagentur gründete, zu nutzen gewusst, indem er die Lücke im Telegraphennetz durch eine Taubenpost überbrückte und auf diese Weise Zei- tungs- und Wirtschaftsnachrichten früher als an- dere Dienste übermitteln konnte.2 Schon in der Antike hatten Tauben in der Nachrichtenübermitt- lung eine Rolle gespielt, im neuzeitlichen Europa behielten sie eine gewisse Bedeutung vor allem im Militärwesen. Während des deutsch-französi- Abb. 1: Der Schutz der Brieftauben galt bis zum Ende des Zwei- ten Weltkriegs als militärische Angelegenheit, wie der Akten- schen Kriegs 1870/71 konnten aus dem belager- deckel der Gemeinde Huchenfeld zeigt (Signatur: C6-426) ten Paris mittels Ballons und Tauben immer wieder Nachrichten am Belagerungsring vorbeigeschleust Im Archivgut der Gemeinde Huchenfeld, das im werden.3 Das deutsche Militär reagierte darauf Stadtarchiv Pforzheim überliefert ist, findet sich unter den „Militär- und Kriegssachen“ auch ein 2 Winfried Schulz: Nachricht. In: Elisabeth Noelle-Neumann, Band „Den Schutz der Brieftauben betr.“1 Aus die- Winfried Schulz, Jürgen Wilke (Hgg.): Fischer-Lexikon Publi- ser Akte erfährt man, dass das großherzogliche Mi- zistik, Massenkommunikation. Frankfurt a.M. 2004, S. 328- 362. 1 Akte Den Schutz der Brieftauben betreffend, StadtA PF C6- 3 Hannah Zindel: Belagerung von Paris. In: Lars Nowak (Hg.): 426. Medien – Krieg – Raum. Paderborn 2018, S. 141-160. Archivmagazin 2020/1 11
Tag der Archive 2020 mit der Einrichtung von eigenen Taubenschlägen.4 über 200 Brieftauben an das Heer, und auch einige Im Mai 1894 wurde sogar ein Gesetz „betreffend Taubenzüchter selbst wurden als Experten an den den Schutz der Brieftauben und den Brieftauben- mobilen Taubenschlägen im Feld eingesetzt.8 verkehr im Kriege“ erlassen.5 Es ist denkbar, dass auch die Gründung der Pforzheimer Brieftauben- vereine „Gut Flug“ 1909 in Huchenfeld und „Heim- kehr“ 1906 in Dillweißenstein6 im Kontext der mi- litärischen Relevanz des Taubensports und dem zu jener Zeit verbreiteten Militarismus zu sehen ist. Entsprechend wurden auch im Ersten Weltkrieg die Brieftauben von Anfang an in die Übermittlung militärischer Nachrichten einbezogen – allerdings nicht in dem Umfang, wie erwartet: „Die Pforzhei- mer Züchter schickten nach Kriegsausbruch ihre auf Reisen erprobten Tauben nach Köln, erhielten Abb. 3: Ein mobiler Taubenschlag (Abb. aus: Weber, Pforz- sie aber Ende September wieder zurück“, weil sie heim im Weltkrieg, S. 547) nicht gebraucht wurden.7 Nicht nur der eigene Brieftaubenbestand sollte er- fasst werden, die im Oktober 1914 angeordnete Kontrolle der Taubenschläge im Bezirksamt Pforz- heim hatte auch den Zweck, verirrte Heeresbrief- tauben oder sogar ausländische Brieftauben zu er- fassen. Trugen die Tauben eine Nachricht bei sich, durfte diese keinesfalls geöffnet werden. Taube wie Depesche mussten umgehend der Ortspolizei- Abb. 2: Briefkopf eines Schreibens des Großherzoglichen Be- zirksamts Pforzheim an die Bürgermeisterämter des Bezirks, behörde übergeben werden, die sie dann dem Kö- den Schutz der Brieftauben und den Brieftaubenverkehr im niglichen Bezirkskommando in Pforzheim auszu- Kriege betreffend, 13.7.1916 (Signatur: C6-426) händigen hatte. Über Flügelstempel und Fußringe konnten die Brieftaubenexperten des Heeres die Erst ab 1916 wurden Brieftauben aus Pforzheim Herkunft der Tauben zuordnen und so einen Hin- „eingezogen“, die Vereine „Luftpost Schwarz- weis auf die gegnerische Kommunikationsstruk- wald“, „Eile“ und „Heimkehr“ lieferten insgesamt tur erhalten. Noch 1922 interessierte sich das Innenministerium sehr dafür, „in welchem Maße 4 H. von Löbell, Jahresberichte über die Veränderungen und Brieftauben für die Übermittlung von Nachrichten Fortschritte im Militairwesen. Berlin 1878, S. 44. aus Deutschland nach dem Ausland benutzt und 5 RGBl. 1894, Nr. 27, S. 463-464. welche Flüge eingeübt werden“, um so „wertvolle 6 Informationen zur Geschichte der Vereine finden sich in Schlüsse über die Organisation des ausländischen den Zeitungsausschnitte zu den Brieftaubenzüchterverei- Brieftaubendienstes“ ziehen zu können.9 Ob ein nen, StadtA Pf, S2-1931. geflügelter Spion ergriffen wurde, ist in der Akte 7 Donatus Weber: Pforzheim im Weltkrieg, seine Söhne und Helden. Ein Gedenkbuch mit Ehrentafeln der Opfer und des 8 Weber, Pforzheim im Weltkrieg, S. 547. Anteils der Stadt Pforzheim im Weltkrieg. Pforzheim 1920, 9 Schreiben des Bezirksamt Pforzheim an die Gemeinde Hu- S. 546. chenfeld, 5.4.1922, StadtA Pf, C6-426. 12 Archivmagazin 2020/1
Tag der Archive 2020 nicht überliefert, das Schreiben verdeutlicht je- Zum Kriegsende hin taucht in der Akte zum doch, dass die Brieftaube auch in der Zwischen- „Schutz der Brieftauben“ noch ein ganz anderer kriegszeit ihren Wert als Nachrichtenübermitt- Aspekt auf: „trotz des Verbots“, so schreibt am 4. ler behielt. Selbst im Zweiten Weltkrieg wurden April 1918 das stellvertretende Generalkomman- Brieftauben von allen Kriegsparteien eingesetzt, do in Karlsruhe, sei „ein vermehrter Abschuß von und so ist es kein Wunder, dass die Taubenhaltung Brieftauben beobachtet worden“.11 Man darf mit während der Besatzungszeit in Pforzheim verbo- Fug vermuten, dass dies zum Zweck des Verspei- ten war.10 sens der geflügelten Briefträger geschah, denn schon in Zedlers großem Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste, das zwischen 1731 und 1754 veröffentlicht wurde, folgt unter dem Lemma „Taube“ auf die Schilderung der verschie- denen Taubenarten und ihrer Nutzung nebst einer Beschreibung zur Vorbereitung einer Taubenpost- sendung eine Sammlung von Rezepten zur Zube- reitung von Tauben.12 11 Schreiben des stellvertretenden Generalkommandos Karlsruhe an das Bezirksamt Pforzheim, 4.4.1918, StadtA PF, C6-426. 12 Johann Heinrich Zedler: Grosses vollständiges Universal- Lexicon aller Wissenschafften und Künste. Halle, Leipzig 1731‑1754, Bd. 43, Spalten 153-170, online unter: https:// www.zedler-lexikon.de/. Abb. 4: Ernst Göhlers Mosaik „Brieftauben eine stilisierte Weltkugel umfliegend“ stellt statt der militärischen Nutzung der Taubenpost eher den verbindenden Gedanken von Kom- munikation in den Vordergrund (Signatur: S1-26-6-22-V-1, Foto: Egon Augenstein) 10 Pforzheimer Zeitung vom 18.10.1973 zum fünfzigsten Ju- biläum des Brötzinger Brieftaubenvereins „Wiederkehr“, StadtA PF, S2-1931. Archivmagazin 2020/1 13
Tag der Archive 2020 Wilhelm Reble. Kriegstage in Wort und Bild Im Jahr 2019 hat das Stadtarchiv Pforzheim den Feldpostbriefe und Zeichnungen eines Pforzhei- Nachlass des Künstlers Wilhelm Reble in seine Be- mer Soldaten und Künstlers aus dem Zweiten stände aufgenommen (Signatur N197). In diesem Weltkrieg befinden sich neben persönlichen Unterlagen und Sonja Anžič-Kemper Zeichnungen auch Feldpostbriefe. Die nachgelas- senen Zeichnungen werden zum Teil in der Kunst- sammlung der Stadt Pforzheim verwahrt. Wilhelm Reble wurde am 28. Januar 1905 in Pforz- heim geboren. Zusammen mit seinen Eltern, dem Bruder Karl und der Schwester Liesel wohnte er in der Waldstraße (heute Irmengardstraße), Haus- nummer 5. Nach dem Besuch der Kunstgewerbe- schule in Pforzheim (von 1922 bis 1927) war er als Schmuckdesigner tätig, bis in den Jahren von 1929 bis 1932 ein Aufenthalt in Paris folgte, wo er die Académie de la Grande Chaumiѐre besuchte. 1933 folgten Kunstwanderungen in Frankreich und Ita- lien. Der begabte Künstler und Zeichner beteiligte sich im Jahr 1934 an einem Wettbewerb der Stadt Pforzheim für die Gestaltung einer Plakette mit Symbolen der Stadt und wurde mit dem ersten Preis ausgezeichnet. Nach der Rückkehr aus dem Ausland war er weiterhin als Schmuckdesigner tä- tig. Im Jahr 1940 folgte er dem Einberufungsbe- Abb. 1: Selbstporträt als Soldat mit Heft und Bleistift (Zeich- fehl und wurde Soldat. nung von Wilhelm Reble, Kunstsammlung Stadt Pforzheim) Mit den Feldpostbriefen von Wilhelm Reble wird Feldpost bzw. Kriegsbriefe stellen nur einen klei- im Folgenden die Kommunikationswelt zwischen nen, aber äußerst bedeutsamen Bereich auf dem ihm und seiner Familie in der Zeit des Zweiten Gebiet der schriftlichen Kommunikation dar. Es Weltkrieges beleuchtet. handelt sich hier um Privatkorrespondenz, die aber bezüglich der Briefeschreiber, der Soldaten, Der erste überlieferte Brief ist auf den 14. Dezem- mit einigen Einschränkungen versehen war, was ber 1941 datiert. Reble schrieb an seine Familie: vor allem den Inhalt der Briefe betraf. Die Solda- „Meine Lieben! Bin wieder gut hier in der Stellung ten durften in den Briefen z. B. nicht über ihren angekommen, u. habe noch alles im alten Zustand Aufenthaltsort berichten, über militärische Ziele angetroffen. Es waren 2 Päckchen für mich da, […] oder über Namen von Kameraden und Vorgesetz- Es ist Sonntag nachmittag u. draussen ist trübes ten. Trotz dieser Einschränkungen ist aber genau naßkaltes Wetter, aber in unserem Bunker ist es diese Korrespondenz eine unersetzliche Quelle, warm u. gemütlich. Ich habe schon wieder viel Ar- um den Alltag der Soldaten aus ganz unterschied- beit vorgefunden, Karten u. Pläne zeichnen. […]“1 lichen Blickwinkeln kennen zu lernen. 1 StadtA PF, N197-6-1, Brief vom 14.12.1941. 14 Archivmagazin 2020/1
Tag der Archive 2020 Thema in fast jedem Brief. Wilhelm wollte, obschon er nicht selbst anwesend sein konnte, über vieles informiert bleiben bzw. auch mit- bestimmen. Abb. 2: Umschlag des Feldpostbriefes von Wilhelm Reble, ge- Im Juli 1942 zog die Familie in die obere Wohnung stempelt 15.12.1941 (Signatur: N197-6-1) des Hauses um. Wilhelm Reble schrieb an seine Seine Briefe sind „an die Familie Karl Reble“ (den Schwester Liesel, wie sie mit den wertvollsten Sa- Vater) adressiert. Es war Wilhelm wichtig, die In- chen umgehen solle. Er dachte weiter an die Zu- formationen über seine gute Ankunft und sein kunft: „[…] Viel schöner wäre es natürlich gewe- Wohlergehen mitzuteilen. Bald folgte sein zweiter Brief, in dem er sich Sor- gen um die Familie machte: „Meine Lieben! […] Weihnachten steht unmittelbar vor der Tür, u. Ihr werdet nicht genug Wein haben um all die vie- len Wünsche zu befriedigen, laßt Euch nicht aus der Fassung bringen, wenn Ihr nichts mehr habt könnt Ihr nichts mehr verkaufen. Bei Uns in der Stellung werden auch schon Vorbereitungen zum Fest getroffen, es wird bestimmt nett werden aber jeder hat doch nur den einen Wunsch, daß es die- ses Jahr endgültig das letztenmal sein wird, wir Abb. 3: Unterkunft von Soldaten (Zeichnung von Wilhelm wollen uns keine Hoffnungen machen, denn es Reble, Kunstsammlung Stadt Pforzheim) kommt ja immer anders als Wir es Uns wünschen, u. dieser Kampf wie er heute entbrannt ist, kann sen, wenn man das Haus u. die Waldstraße ganz ja nicht von heute auf morgen beendet werden. hätte verlassen können u. draußen irgendwo sich […] Und nun wünsche ich Euch Allen, da Wir ja hätte einrichten können, damit auch die Eltern nicht beisammen sein können auf diesem Wege auf Ihre alten Tage aus diesen öden Steinmauern ein recht frohes gesegnetes Weihnachtsfest, ein- herauskämen u. sich noch etwas des Lebens er- mal werden Wir ja auch wieder beisammen sein freuen könnten, ohne dabei immer von häßlichen können. […]“2 Mauern u. Höfen umgeben zu sein. […]“3 Trotz der schwierigen Zeiten gab er die Hoffnung nicht auf. Rebles Vater Karl war Küfer und Weinhändler. Im In der Mitte des nächsten Jahres schrieb er: „Mei- Hof des Hauses befand sich ein Nebengebäude, ne Lieben! Habe heute Euren Brief erhalten u. in welchem er seine Tätigkeit ausübte. Die Sorge, danke Euch herzlich dafür, besonders auch für wie es der Familie und den Bekannten ginge und Mutters Zeilen. Bin erstaunt, daß Ihr meinen Brief wie es mit dem Geschäft liefe, blieb ein wichtiges 2 StadtA PF, N197-6-1, Brief vom 21.12.1941. 3 StadtA PF, N197-6-1, Brief vom 14.7.1942. Archivmagazin 2020/1 15
Tag der Archive 2020 nicht bekommen habt […].“4 Die Zustellung der Donnerstag auf Freitag dort mit erlebt u. stehe Post war immer wieder unregelmäßig, so dass noch ganz unter dem Eindruck der furchtbaren Er- dies auf beiden Seiten zu Ungewissheit und Unru- eignisse. Der Schwerpunkt des Angriffs war unmit- he führte. Im zitierten Brief schrieb er weiter: „[…] telbar über dem Stadtgebiet wo ich in der Nacht ein Trauerspiel furchtbarsten Ausmaßes ist über war, u. wir sind nochmal um Haaresbreite davon dieses arme Land hereingebrochen. Die Stadt gekommen, einige Schritte von unserem Luft- Köln war am Montag nacht wieder das Opfer ei- schutzraum schlugen 2 schwere Volltreffer ein u. ner furchtbaren Katastrophe, Ihr werdet ja davon die betreffenden Häuser sind abgebrannt, die gan- gehört u. gelesen haben, u. doch könnt Ihr Euch ze Umgebung war ein Feuermeer u. noch während von dem Ausmaß eines solchen Unglücks keine das ganzen folgenden Tages wüteten die Brände in Vorstellung machen, sowas muß man mit eige- der Stadt u. in den Vororten. Wer die Stadt früher nen Augen gesehen haben, erfuhr heute mittag, gesehen, wird sie heute nicht wieder erkennen ich daß alles was in der Innenstadt vom letztjährigen war entsetzt über das Ausmaß der Zerstörungen Angriff noch stand jetzt auch zerstört sei, ich wer- die ganze Stadt zwischen der großen Ringstraße de wohl nächste Woche Gelegenheit haben nach u. dem Rhein ist ein einziges Ruinenfeld, die Stra- dort zu fahren, dann kann ich Euch aus eigener ßen sind zum großen Teil nicht mehr zu begehen, Anschauung berichten. [...]“ sie sind versperrt durch wahre Schuttgebirge, ein undurchdringlicher Rauch u. Qualm liegt über der Eine wichtige Rolle in den Briefen spielte der Aus- ganzen Stadt, in der die Feuerwehren aus ganz tausch von Informationen über das militärische Westdeutschland eingesetzt sind, es ist ein Prob- Geschehen, welches die Briefpartner selbst er- lem von einen Stadtteil zum anderen zu kommen, lebten oder aus Zeitungen und dem Radio erfuh- denn es fahren natürl. keine Straßenbahnen mehr, ren. Es kam aber immer öfter zur Betonung des u. viele Straßenzüge sind gesperrt, wegen Ein- Wichtigsten: Leben und Gesundheit. Reble been- sturzgefahr u. weil noch massenhaft Blindgänger dete diesen Brief: „[…] Plagt Euch nicht so sehr, u. herumliegen. Omnibusse aus dem ganzen Reichs- genießt die paar schönen Tage des Sommers, wer gebiet vermitteln einen notdürftigen Verkehr u. weiß was Uns diese böse Zeit noch alles beschert, schaffen die obdachlose Zivilbevölkerung aus der u. die Sorgen mit den Fässern der Leute u. der Kel- Stadt. Der Hauptbahnhof u. die wichtigsten Vor- terei sind gar nicht so wichtig, die Leute sollen sich ortbahnhöfe sind ausgefallen u. ich mußte Kilome- gedulden u. verständig sein, wie wäre es, wenn terweit aus der Stadt laufen um wieder nach hier Ihr mal eines Morgens vor einem Trümmerhaufen zurückzukommen. Ihr müßtet Gelegenheit haben, stündet wie dies hier Zehntausende ihr Schicksal dieses namenlose Elend mal mit eigenen Augen ist, dann müßte das Leben ja auch weitergehen! anzusehen, es läßt sich in Worten nicht schildern, [...]“ selbst Soldaten aus Rußland sind erschüttert u. sa- gen, daß es im Osten auch nicht schlimmer wäre, Einen neuen Luftangriff auf Köln erlebte er selbst im Gegenteil dort gibt es keine Städte mit so viel im Juli desselben Jahres. Unmittelbar nach seiner Einwohnern u. so wertwollen Bauten u. Einrich- Rückkehr aus Köln schrieb er im Brief vom 11. Juli tungen wie hier im Westen. Nach all dem was ich 1943 sehr illustrativ: „[…] Heute nacht bin ich nach in diesen 3 Tagen gesehen habe ist die Stadt Köln 3 Tagen wieder von Köln zurück gekommen, habe weiterhin nicht mehr lebensfähig, die Zerstörun- den letzten schweren Angriff in der Nacht von gen sind zu umfangreich, ich habe von den vielen Kirchen keine mehr heil gesehen, auch der Dom ist 4 StadtA PF, N197-6-1, Brief vom 1.7.1943. schwer getroffen, kaum noch ein Gasthaus oder 16 Archivmagazin 2020/1
Tag der Archive 2020 ein Cafe ist unversehrt, auch Kinos, Schauspiel- wieder über sich ergehen lassen müssen u. die oft haus, die Hauptpost, die großen Bankhäuser, das in einer Nacht, ihre Angehörigen, ihr Hab u. Gut gewaltige Hochhaus ein schöner moderner Bau 18 u. noch ihren Arbeitsplatz verlieren. Seid darum Stockwerke hoch, alles ist restlos ausgebrannt, die dankbar, daß ein gütiges Geschick dies alles Euch Zahl der Opfer kann man bis jetzt nur schätzen, es noch erspart hat, es ist alles unwichtig, wenn man müssen Tausende sein. Und dies ist ja noch nicht in dieser bösen Zeit nur seine Gesundheit u. sein das Ende, weiterhin gehen alle Nacht die Sirenen, Dach über dem Kopf behält. […]“5 u. seit vorgestern ist unser Gebiet wieder an der Reihe. Man muß Respekt haben vor diesen Leuten In den Briefen bis zum August 1943 geht es zu- die dies nun schon seit Monaten u. Jahren immer meist um den Austausch von Informationen über die Luftangriffe auf andere Städte, und auch um oft wiederholte Bemerkungen über Schwierigkeiten bei der Kommunikation, wie im Brief vom 16. Juli: „[…] denn nach so einen furchtbaren Angriff ist es ja nicht möglich zu telegraphieren, zu telefonieren od. einen Brief abzusenden, alle Verbindungen sind ja nach einem solchen Angriff zerstört u. es ist nicht möglich die dringendsten Nachrichten zu befördern, tausende Menschen stehen an um ein Telegramm od. ein Ferngespräch zu führen, […]“6; oder im Brief vom 23. Juli: „[…] daher ist es auch zu verstehen daß viel Post verloren ging oder mit großer Verspätungen ankam, denn kaum eines der vielen Postämter ist ja unversehrt geblieben […]“7. Ebenso finden sich Überlegungen über die lange Kriegszeit: „[…] was nicht möglich ist geht eben nicht, sie [die Leute, d. Verf.] sollen daran denken daß Wir bald im 5. Kriegsjahr stehen, u. daß ihre Sorgen u. Wünsche ,lächerlich‘ und unbedeutend sind, gemessen mit den Problemen u. Lasten die der Krieg hier in unserm Gebiet täglich neu auf- wirft. Da schätzen sich die glücklich, die überhaupt nur noch ein Dach über sich haben, u. die keines ihrer Angehörigen verloren haben, alles übrige ist belanglos. […]“, wie er im Brief vom 14. August schrieb.8 Im selben Brief machte er sich Sorgen, was noch kommen könnte: „[…] wer weiß was noch alles daraus wird, denn noch nie war unsere 5 StadtA PF, N197-6-1, Brief vom 11.7.1943. 6 StadtA PF, N197-6-1, Brief vom 16.7.1943. Abb. 4: Feldpostbrief vom Wilhelm Reble vom 11. Juli 1943 7 StadtA PF, N197-6-1, Brief vom 23.7.1943. (Signatur: N197-6-1) 8 StadtA PF, N197-6-1, Brief vom 14.8.1943. Archivmagazin 2020/1 17
Tag der Archive 2020 Glaubt Ihr, daß Karl [sein Bruder, d. Verf.] wohl auch kommen könnte […].“9 Reble verfügte über Informationen bezüglich der zahlreichen Luftangriffe auf verschiedene Städte, weswegen er in seinen Briefen stets wiederholte, dass die Familie und die anderen Leute zufrieden sein sollten, ein Dach über dem Kopf zu haben. Wann genau ihm Urlaub bewilligt wurde, lässt sich aus den Briefen nicht ablesen. Zu vermuten ist, dass dies nicht im März war, sondern erst später, als es zu einem schrecklichen Ereignis kam. Am 1. April 1944 wurde bei einem Luftangriff auf Pforz- Abb. 5: Zeichnerische Aufmerksamkeit auf das Detail (Zeich- heim sein Elternhaus getroffen. Seine Mutter und nung von Wilhelm Reble, Kunstsammlung Stadt Pforzheim) Schwester kamen dabei ums Leben. Sein Vater, der sich in dieser Zeit bei der Arbeit im Neben- Zukunft so düster u. aussichtslos wie gegenwärtig. gebäude befand, überlebte. Das Haus war nicht […].“ Neben der unregelmäßigen Post kam es in mehr bewohnbar und der Vater wohnte daraufhin dieser Zeit auch zu Schwierigkeiten bei den Ur- bei einer Familie Weber in der Kreuzstraße 14. laubsgenehmigungen. In einer solchen Situation bildete die Kommunikation durch Feldpostbriefe Die Inhalte der nächsten erhaltenen Briefe (vom ein noch unverzichtbareres Hilfsmittel. 16. August und 3. Dezember) beschränkten sich auf die Sorgen bezüglich des Vaters; hinzu kam der In dem nächsten Brief vom 12. März 1944 ging es Wunsch, dem Vater bei den Schadenserklärungen um den „besorgniserregenden Gesundheitszu- oder Vordrucken für Listen, was bei dem Angriff stand“ der Mutter. „[…] Ich habe heute bei mei- verloren gegangen war, zu helfen. Der Postversand nem Vorgesetzten gefragt, ob es nicht möglich ist, wurde noch schwieriger. Am 3. Dezember schrieb daß ich im Rahmen meines Kurzurlaubs, den ich er seinem Vater: „[…] es ist schon lange her, seit alle 2 Monate bekomme, nach Hause fahren kann, ich das letzte Lebenszeichen von Dir erhalten man hat mir versprochen das möglichste zu tun, habe, ich bin schon direct beunruhigt, über das so daß ich evt. gegen Ende des Monats allerdings lange Ausbleiben von Nachrichten von Dir, habe nur auf 1 Tag zu Euch kommen könnte. Da Wir Dir inzwischen schon 4 oder 5 Briefe geschrieben, hier beim Stab nur noch ganz wenig Leute sind, aber vergeblich warte ich täglich auf Antwort. Nun können die einzelnen Leute nur sehr schwer ent- ist ja durch die vielen Angriffe auf das hiesige Ge- behrt werden, u. außerdem sind auch seit letzter biet, die Postzustellung sehr ins Stocken geraten Zeit sehr strenge Urlaubsbestimmungen in Kraft, u. ich bin ja nicht allein, der so lange auf Nachricht es muß jeder einzelne Mann nach oben gemel- wartet, aber trotzdem, nach 2 Monaten könnte det werden, wäre dies nicht, so hätte man mich doch schon ein Brief durchgedrungen sein […]“ 10 vielt. gleich fahren lassen. So hoffe ich, daß Wir Aus dem Brief vom 8. Dezember erfährt man, dass Uns bald wieder sehen können, u. Wir wollen von er doch noch einen Brief vom Vater erhalten hat. Herzen wünschen, daß es Mutter inzwischen wie- der besser geht, ein Glück, daß Ihr wenigstens bis- 9 StadtA PF, N197-6-1, Brief vom 12.3.1944. her von Fliegerangriffen verschont geblieben seid. 10 StadtA PF, N197-6-1, Brief vom 3.12.1944. 18 Archivmagazin 2020/1
Tag der Archive 2020 setzen ist, besonders jetzt bei der Kälte empfindet man den Mangel an Fenstern u. Türen besonders schmerzlich, konnten sie wenigstens das Notwen- digste wieder herrichten? Auch daß Onkel Hölle so schnell entschlafen ist hat mich sehr überrascht u. betroffen, so geht einer um den Andern dahin, aber sie verlassen eine schlimme Welt u. brauchen das Elend unserer Tage nicht mehr mit ansehen und erleben! […] So haben Wir denn nun genug Schicksalsgenossen bekommen u. dieses Oster u. Weihnachtsfest 1944 wird uns zeitlebens denken! […]“12 Der Vater fand in Eutingen bei der Familie Wilhelm Zorn eine Unterkunft. Abb. 6: Die Ruhepausen der Soldaten wurden u. a. für das Die Inhalte der Briefe beschränkten sich immer Schreiben von Briefen genutzt (Zeichnung von Wilhelm Reb- mehr auf traurige Nachrichten. Die Hoffnung le, Kunstsammlung Stadt Pforzheim) schwand, Unruhe machte sich breit. Am 15. Janu- In diesem Brief schrieb er ihm: „[…] Wenn diese ar 1945 schrieb er: „[…] im Stillen hatte ich immer Zeilen zu Dir kommen ist vielleicht schon Weih- gehofft, daß die Stadt nicht mehr angegriffen wür- nachten vorbei u. es fällt einem schwer in diesem de u. daß man später evtl. wieder bald zu einem furchtbaren Jahr seinen Nächsten ein frohes Fest Heim kommen könnte, diese Hoffnung muß man zu wünschen, im Gegenteil, wird uns an diesen Ta- nun begraben, angesichts der neuen schweren gen unser schwerer Verlust ganz besonders hart Angriffe die die Stadt betroffen haben. […]“13 Aus zum Bewußtsein kommen! mögest Du die Festta- den Wehrmachtsberichten erfuhr er über erneute ge in Ruhe u. in stillen Gedenken an unsere Lieben Angriffe auf die Stadt und machte sich viele Sor- verbringen, meine herzlichsten Wünsche sind bei gen um den Vater: „[…] wo warst denn Du um die- Dir, wie gerne würde ich an diesen Tagen bei Dir se Zeit? hoffentlich nicht in der Stadt, Du kannst sein, aber leider ist an Urlaub in dieser gespann- Dir denken in welcher Unruhe ich lebe! u. wie lan- ten Zeit gar nicht zu denken, vielleicht kann Karl ge wird es dauern bis ich Nachricht von Dir erhal- es möglich machen in nächster Zeit nach Haus te! […]“, so schrieb er ihm am 24. Januar 1945.14 zu kommen, es würde mich sehr freuen für Dich Der letzte im Nachlass überlieferte Feldpostbrief [...].“11 von Wilhelm Reble datiert vom 26. Februar 1945. Er wusste über den Luftangriff am 23. Februar Be- Er erhielt die Briefe vom Vater bis Ende des Jah- scheid, aber seine Folgen kannte er nicht: „[…] In- res mit großer Verspätung. Unter anderem er- zwischen hat sich nun am Freitag 23. II. ein neuer fuhr er von diesem im Januar 1945, dass bei dem furchtbarer Angriff auf unsere Heimatstadt ereig- Luftangriff am Weihnachtsabend auch das Haus net u. neues Unheil u. Elend hat sich zum alten der Familie Weber, wo der Vater untergekom- gesellt, es ist schon schlimm genug was Du [der men war, betroffen war. Am 10. Januar schrieb Vater, d. Verf.] mir vom letzten Angriff berichtet er: „[…] wenigstens hat es keine Opfer gekostet, wenn auch der Schaden heute sehr schwer zu er- 12 StadtA PF, N197-6-1, Brief vom 10.1.1945. 13 StadtA PF, N197-6-1, Brief vom 15.1.1945. 11 StadtA PF, N197-6-1, Brief vom 8.12.1944. 14 StadtA PF, N197-6-1, Brief vom 24.1.1945. Archivmagazin 2020/1 19
Tag der Archive 2020 se zu kommen. Diese Hoffnung schwand freilich, zum Ende des Krieges und angesichts der Zerstö- rungen und Ungewissheiten wechseln sich Unru- he, Trauer und das Gefühl der Ausweglosigkeit ab. Obwohl nicht alle Briefe von Reble heute noch er- halten sind, sind sie doch ein eindrückliches Zeug- nis für die damalige Situation, zumal der Autor ein auch stilistisch guter Schreiber war. Feldpostbriefe sind eine wichtige Quellengattung aus schwierigen und gewalttätigen Zeiten. Ihre Darstellung des Kriegsgeschehens ist zugleich eine Mahnung an heutige Leser. Kriegsereignisse müssen/sollten verarbeitet werden, damit die Be- troffenen damit weiterleben können. Der Künstler Wilhelm Reble hat seine eigene Kriegserfahrung nicht vergessen oder verdrängt, sondern künstle- risch durch seine Zeichnungen aufgearbeitet. Er zeichnete in der Folgezeit nach 1945 eine Chronik seiner Heimatstadt und trat mit seinen Zeichnun- gen für Frieden und Versöhnung ein. Er warnte vor der Gefahr neuer Kriege und vor der totalen Ver- nichtung der Menschheit. Quellen und Literatur: • Stadtarchiv Pforzheim, Nachlass Wilhelm Reb- le, Signatur: N197 • Kunstsammlung Stadt Pforzheim • Clemens Schwender/Jens Ebert: Feldpost im Abb. 7: Das Ende (Zeichnung von Wilhelm Reble, Kunstsamm- Zweiten Weltkrieg. Quod non est in actis, non lung Stadt Pforzheim) est in mundo. In: Das Archiv. Magazin für Post- und Telekommunikationsgeschichte, Heft hast, manches hatte ich schon durch Fam. Bohlin- 4/2009, S. 86-105 ger erfahren, doch war mir auch noch vieles unbe- kannt [...].“15 Die Feldpostbriefe Wilhelm Rebles zeigen die Situ- ation eines Soldaten im Zweiten Weltkrieg. Sicher ist das Schicksal bei zahlreichen anderen Soldaten und deren Familien ein ähnliches gewesen. Zu Be- ginn stand die Hoffnung, schnell wieder nach Hau- 15 StadtA PF, N197-6-1, Brief vom 26.2.1945. 20 Archivmagazin 2020/1
Tag der Archive 2020 Abb. 8: Schafft den Krieg aus der Welt (Zeichnung von Wilhelm Reble, Kunstsammlung Stadt Pforzheim) Archivmagazin 2020/1 21
Tag der Archive 2020 Kommunikationsmittel Textplakate Plakatähnliche öffentliche Anschläge mit Nach- Martin Zierer richten, Erlassen, Aufrufen, Propaganda, Rekla- me, Veranstaltungshinweisen usw. an zentralen Zu den bedeutendsten Medien der einseitigen und gut sichtbaren Plätzen oder an Geschäften Massenkommunikation gehören Plakate. Dabei gab es bereits in der Antike (z.B. Codex Hammu- handelt es sich meist um größere, mit Botschaf- rabi, Asoka-Säulenedikt, die rotierenden axones ten aller Art bedruckte Bögen aus Papier, Stoff der Griechen, Maueraufschriften von Pompeji), oder Plastik. Bekannte über den Inhalt definierte ebenso heutigen Graffiti ähnliche Botschaften von Plakattypen sind beispielsweise Film-, Wahl- und eher persönlicher Natur. Die Erfindung von Papier, Werbeplakate. Eine Sonderform der Plakate sind Buchdruck und Lithographie sind die Grundlagen Textplakate, also nur mit Textbotschaften be- des modernen Plakats und ebenso des modernen druckte oder beschriftete Plakate. Flugblatts. Erste Plakate sind aus England bekannt (1477), wurden dann aber schnell zu einer Mas- Plakate als solche reihen sich ein in eine hohe Zahl senware und zu einem Propagandamittel, so dass verschiedenster visueller Kommunikationsmittel, bereits ab dem 16. Jahrhundert Regeln für den die den öffentlichen Raum oft dominieren. Die Plakatanschlag entstanden. Gleichzeitig nahm der Übergänge zu ähnlichen Medien, Aushängen, Dru- graphische Anteil gegenüber dem Textanteil zu. cken etc. (digitale Plakate, Graphikplakate, Schil- der und Transparente bei Demonstrationen, Weg- Die „Plakatflut“ des 19. Jahrhunderts führte zu weiser, Lichtreklamen, Ticker, Poster, Flugblätter, festen Anschlagsäulen. 1855 erhielt Ernst Litfaß Zeitungen, Propagandapostkarten, Graffiti, Bü- in Berlin die Genehmigung zur Aufstellung der cher, Briefe etc.) sind fließend. Die vor allem durch von ihm entworfenen runden Plakatsäulen. Heute Kriegsparteien und Besatzungsmächte während haben digitale Medieninhalte beispielsweise via der Kriege 1870/71, 1914/18 und 1939/45 sowie Twitter, Instagram und YouTube in gewisser Weise in den Nachkriegszeiten eingesetzten Textplakate eine vielen (Text-)Plakaten vergleichbare Funktion. wurden zeitgenössisch teils „Maueranschläge“ ge- nannt. Das Wort „Plakat“ geht auf das niederländische Wort plakken (an- oder aufkleben) zurück und ver- In Deutschland wurden Textplakate beispielswei- weist auf die Plakkaaten in den Niederlanden des se nach dem Zweiten Weltkrieg von den Besat- 16. bis 18. Jahrhunderts. Dabei handelte es sich zungsmächten eingesetzt, um etwa Proklamatio- um obrigkeitliche, teils mit Stempeln oder Siegeln nen, Nachrichten und Bekanntmachungen, aber versehene Verordnungen und Urkunden. Schnell auch Gesetze und Befehle zu kommunizieren. So wurden nicht nur die mit den Verordnungstex- enthält das im Stadtarchiv Pforzheim überlieferte ten bedruckten und im öffentlichen Raum ange- Archivgut der Pforzheimer bzw. Eutinger Drucke- brachten Papierbögen, sondern die Verordnungen rei Klingel (Bestand U15 des Stadtarchivs Pforz- selbst Plakkaaten genannt. heim) unter anderem Textplakate, die das Unter- nehmen für die etwa zweieinhalb Monate tätige Literatur: französische Militärregierung Pforzheim (Gouver- • Josef und Shizuko Müller-Brockmann: Ge- nement Militaire de Pforzheim, ca. 18.04.1945 – schichte des Plakats, Berlin 2004 (Nachdruck 06./08.07.1945) herstellte. der Erstausgabe Zürich 1971), S. 21 – 29 22 Archivmagazin 2020/1
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