AUF NACH BERLIN! Großdemo #FairWandel am 29.6 - IG Metall Dresden und Riesa

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AUF NACH BERLIN! Großdemo #FairWandel am 29.6 - IG Metall Dresden und Riesa
M i t g l i e d e r z e i t u n g d e r I G M e t a l l | J a h r g a n g 7 1 | Juni 2019 | D 4 7 1 3                        metallzeitung.de

                    Großdemo #FairWandel am 29.6.

                  AUF NACH BERLIN!
Arbeitszeit       Ziehen mit dem Westen gleich:                    Gesundheit        Wie der BSH-Betriebsrat        Bezirk
Textiler im Osten erstreiten 37-Stunden-Woche                      körperliche Belastungen am Arbeitsplatz senkt.
                                    R Seite 10                                                       R Seite 17                R Seite 28
AUF NACH BERLIN! Großdemo #FairWandel am 29.6 - IG Metall Dresden und Riesa
2     metallzeitung
                                     Juni 2019

                               > INHALT
                                4 Initiative »Respekt!« Der Anfang ist gemacht: Das längste
                                  antirassistische Banner ist in Arbeit. Jeder kann mitmachen!
                                6 IG Metall-Umfrage Die überwältigende Mehrheit der Bürger
                                  unterstützt Pläne zur Einführung einer Grundrente.
                                7 Arbeitszeit in Ostdeutschland Metaller in den neuen
                                  Bundesländern machen Druck für die 35-Stunden-Woche.

                                                                                                                                            Foto: euthymia/AdobeStock
                                8 Leiharbeit Vor Beginn der Tarifverhandlungen startet eine
                                  große Befragung von Beschäftigten in Leiharbeit.

                                                                                                                                                                                                               Foto: Peter Himsel
                               10 Tarifabschluss Textiler im Osten haben die 37-Stunden-
                                  Woche durchgesetzt und ziehen bis 2017 mit dem Westen gleich.

                               Fairer Wandel gelingt nur mit uns.                                      Kfz-Tarifrunde Die Geschäfte                                     Wirtschaft Sebastian Dullien, der
                                                                                                       in den Werkstätten laufen gut. Die                               neue Chef des Instituts für Makro -
                               Darum: Auf nach Berlin!                                                 Beschäftigten dort fordern jetzt                                 ökonomie und Konjunkturforschung
                                           Unsere Industrie steht vor grundlegenden Veränderungen.     ihren gerechten Anteil. R Seite 11                               (IMK), im Interview. R Seite 18
                                TITEL
Titelfoto: Frank Rumpenhorst

                                           Den anstehenden Wandel sozial, ökologisch und demokra-

                                12         tisch zu gestalten – das ist die Herausforderung. Dafür
                                           müssen wir Druck machen. Deshalb fahren am 29. Juni
                                           Zehntausende Metallerinnen und Metaller zur Großkund-
                                           gebung nach Berlin. Einige von ihnen verraten hier warum.   > LESERBRIEFE
                                                                                                       Nicht sozial- und                                                wirtschaft aufgewachsen – mit
                               17 Arbeitsgestaltung Wie es dem BSH-Betriebsrat in Giengen              umweltverträglich                                                ständigem Kontakt zum Tier, mit
                                  gelingt, körperliche Belastungen in der Produktion zu mildern.       metallzeitung 5/2019                                             erdfeuchten Händen die Pflanzen
                                                                                                       »Autonomes und vernetztes Fahren                                 kontrollierend, mit Liebe zum
                               18 Interview Sebastian Dullien erklärt, wie sich Krisen abmildern
                                                                                                       auf dem Bauernhof 4.0«                                           Beruf bei Regen, Schnee und Hitze
                                  lassen – und was Wirtschaftspolitiker vom Fußball lernen können.
                                                                                                       Die Probleme der Landwirtschaft                                  so unecht an.
                               19 Strukturwandel meistern Transformationskurzarbeitergeld –            sind gegenwärtig der Hunger der                                  Andreas Zimmermann, Baunatal
                                  wie es funktionieren könnte und warum es eine gute Idee ist.         Landbevölkerung, die ungerechte
                               20 Transformation Wie groß die Umbrüche werden, zeigt sich              Landverteilung, die Konzentration                                Bravo, super ausgehandelt
                                                                                                       von Landflächen, Monokulturen,                                   metallzeitung 5/2019
                                  bei den Automobilzulieferern. Ein Besuch bei ZV und Voit.
                                                                                                       Bodenzerstörung, massenhafter Ein-                               »Acht Tage mehr Zeit«
                               22 Recht so Am 11. Mai 2019 ist das Gesetz für schnellere Arzt-         satz von Düngemitteln, Pestiziden,                               Bravo, das hat die IG Metall wirk-
                                  termine und bessere Versorgung in Kraft getreten. Was jetzt gilt.    Energie sowie die Abhängigkeit von                               lich super ausgehandelt! Jeder kann
                               23 Alles, was Recht ist Aktuelle Rechtsprechung zu Krankenver-          Saatgut- und Chemiekonzernen, also                               für sich selbst entscheiden, ob er
                                  sicherung, Hinterbliebenenrente und Arbeitslosengeld.                insgesamt eine rein ertrags-                                     oder sie das Zusatzgeld oder die
                                                                                                       orientierte statt sozial- und um-                                acht freien Zusatztage nimmt. Seit
                               24 Ratgeber In den Ferien die Finanzen aufbessern: Was Schüler          weltverträgliche Landwirtschaft. Di-                             1991 arbeite ich (46 Jahre) im Drei-
                                  und Studierende dabei beachten müssen.                               gitalisierung hilft nur, wenn sie                                schichtmodell bei ZF. Ich habe
                               25 Arbeiten mit Behinderung Neue DGB-Broschüre gibt Tipps               diese Tendenzen umkehrt, statt                                   mich sofort für die acht freien Tage
                                  für behinderte und von Behinderung bedrohte Beschäftigte.            unterstützt.                                                     entschieden und genieße jeden zu-
                                                                                                       Uwe Schnabel, Coswig                                             sätzlichen freien Tag.
                               26 Bildungsteilzeit Gut zu wissen in Zeiten der Transformation:                                                                          Bernhard Schmid, Hauzenberg
                                  allles Wichtige rund um die Weiterbildung für Berufstätige.          Ist doch herrlich so ein Leben als
                               27 Studium An der Global Labour University können Interessierte         Landwirt oder? Die Kühe gehen al-                                Leiharbeiter fest einstellen
                                  internationale Gewerkschaftspolitik studieren.                       lein zum Melkroboter, der Dung-                                  metallzeitung 5/2019
                                                                                                       schieber fährt alle 45 Minuten                                   »Mehr Geld für Leiharbeiter«
                               28 Aus den Bezirken                                                     durch die Gänge im Stall und der                                 Immer wieder finde ich es zutiefst
                               30 Lokales/Karikatur                                                    Trecker macht die Arbeit auf dem                                 ungerecht, wenn ich sehe, wie lan-
                                                                                                       Acker auch noch allein, das natür-                               ge manche Menschen in der Leih-
                               31 Rätsel/Impressum                                                     lich am besten als E-Traktor voll-                               arbeit verbringen müssen. Drei bis
                                                                                                       kommen autonom. Durch diese ge-                                  sechs Monate sollte meines Erach-
                                                                                                       wonnene Freizeit, da ja auch schon                               tens die maximale Einsatzzeit im
                                                                                                       der Roboterstaubsauger im Haus                                   Entleihbetrieb sein. Spätestens
                                                                                                       ist, haben die Eltern natürlich un-                              dann müssten die Leute fest einge-
                               > REDAKTIONSSCHLUSS DIESER AUSGABE:                                     endlich Zeit für ihre Kinder. Das                                stellt werden.
                                17. Mai 2019                                                           fühlt sich für mich – in der Land-                               Roland Meier, Sinzing
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                                                                                                                                                                                                                      Junil 2019
                                                                                                                                                                                                                                   3
                                                                                                                                                                   > EDITORIAL

                                                                                                                       Foto: Agnieszka Olek/Caia Image/F1online
                                         Illustration: Stephanie Brittnacher

                                                                                                                                                                                                                                         Foto: Frank Rumpenhorst
                                                                                                                                                                   Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender der IG Metall
Ratgeber Manche wollen, andere                                                 Bildungsteilzeit Was drin steckt,
müssen, fast jeder tut’s: Jobben neben                                         wer sie nutzen kann und wie Ihr sie
dem Studium. Was dabei zu beachten
ist, findet Ihr hier. R Seite 24
                                                                               richtig für Euch und Eure beruflichen
                                                                               Ziele einsetzt. R Seite 26
                                                                                                                                                                   Deshalb fahren wir nach Berlin
                                                                                                                                                                   #FairWandel Am 29. Juni zeigen wir in Berlin
                                                                                                                                                                   Flagge für eine faire Transformation. Regierung
                                                                                                                                                                   und Unternehmen müssen endlich handeln,
> FRAGE & ANTWORT                                                                                                                                                  damit es im Wandel gerecht zugeht.
Im Mai berichtete metallzeitung im Ratgeber »Arbeiten im Alter.                                                                                                    Die Uhr tickt: Das Industrieland Deutschland steht vor einem histo-
Welche Rechte habe ich?«, dass Rentner einen geringeren Kranken-                                                                                                   rischen Umbruch. Klimawandel, Globalisierung und Digitalisierung
kassenbeitrag zahlen. Viele Leserinnen und Leser hatten daraufhin                                                                                                  führen zu gewaltigen Veränderungen. In vielen Betrieben kommt
Fragen zum ermäßigten Kassenbeitrag.                                                                                                                               dieser Druck immer stärker an. Doch während Betriebsräte, Vertrau-
                                                                                                                                                                   ensleute und Gewerkschafterinnen längst anpacken, kommen Un-
Antwort: Rentner, die in der gesetz-                                           vate Renten, Lebensversicherungen                                                   ternehmen und Regierung nicht ihrer Verantwortung nach. Dabei
lichen Krankenkasse pflichtversi-                                              und sonstige beitragspflichtige Ein-                                                müsste allen klar sein: Entweder bauen wir in Deutschland die Pro-
chert sind und weiterhin arbeiten                                              nahmen. In der Regel zahlen frei-                                                   dukte der Zukunft oder Arbeitsplätze ab. Wir wollen Zukunft für die
gehen, zahlen auf das Entgelt aus der                                          willig gesetzlich krankenversicherte                                                Beschäftigten und daher gilt es, gemeinsam ein Zeichen zu setzen,
Beschäftigung auch Beiträge. Da ein                                            Rentner ihren Beitrag selbst an die                                                 das niemand im Land übersehen kann: Ohne uns geht es nicht.
weiter beschäftigter Altersrentner                                             Krankenkasse.
keinen Anspruch auf Krankengeld                                                                                                                                    Sei dabei! Wir kämpfen dafür, dass die Veränderungen nicht auf
hat, ist nur der ermäßigte Beitrags-                                                                                                                               dem Rücken der Beschäftigten ablaufen. Wir wollen aus techni-
satz zur Krankenversicherung zu                                                                                                                                    schem Fortschritt sozialen Fortschritt machen. Wir wollen, dass
                                                                                                                       Foto: Christian Ohde/imageBROKER/F1online

entrichten. Auf die Rente wird wei-                                                                                                                                die Rationalisierungsrenditen in gute Arbeit investiert werden und
terhin der allgemeine Beitragssatz                                                                                                                                 nicht die Reichen noch reicher machen. Und wir wollen den öko-
angesetzt. Bei gesetzlich kranken-                                                                                                                                 logischen Wandel so gestalten, dass er die Gesellschaft voranbringt
versicherten Rentnern führt der Ar-                                                                                                                                und nicht spaltet. Es geht um sichere Beschäftigung und um die
beitgeber die Beiträge direkt vom                                                                                                                                  Zukunft der nächsten Generationen. Dafür brauchen wir eine
Einkommen an die Kasse ab.                                                                                                                                         Energie- und Mobilitätswende mit massiven Investitionen in In-
      Freiwillig gesetzlich kranken-                                                                                                                               frastruktur, regenerative Energie und Netzinfrastruktur und den
versicherte Rentner zahlen den all-                                                                                                                                öffentlichen Nahverkehr. Wir wollen auch in Zukunft für alle be-
gemeinen Beitragssatz auf gesetzli-                                                                                                                                zahlbare Energie und Mobilität. Wir müssen die Beschäftigung in
che Renten, Versorgungsbezüge                                                  Rentnerinnen und Renter, die erwerbs-                                               allen Branchen sichern und die Mitbestimmung stärken. Und wir
und Erwerbseinkommen sowie                                                     tätig sind, zahlen Kassenbeiträge auf                                               brauchen Sicherheit am Arbeitsmarkt mit einer solidarischen und
Zinsen, Dividenden, Mieten, pri-                                               das Einkommen.                                                                      sozialen Absicherung in jedem Lebensalter. Wir verlangen ein
                                                                                                                                                                   Transformationskurzarbeitergeld, das vor Entlassung schützt und
                                                                                                                                                                   eine Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengelds. Sicher-
                                                                                                                                                                   heit im Wandel: Dieses grundlegende Versprechen muss der So-
> GEWONNEN                                                                                                                                                         zialstaat halten – gerade in der Transformation. Dafür ziehen wir
                                                                                                                                                                   am 29. Juni gemeinsam vor das Brandenburger Tor. Sei dabei und
Mai-Rätsel                                                                                                                                                         zeig Gesicht für einen fairen Wandel. Auf Dich kommt es an!
Lösungssumme: »78«
1. Preis: Sylvia Paul, Eberswalde
2. Preis: Sven Waleczek, Schönefeld
3. Preis: Timothy Swan, Ebersburg
AUF NACH BERLIN! Großdemo #FairWandel am 29.6 - IG Metall Dresden und Riesa
4   metallzeitung
    Juni 2019

                    Mit Weltrekord
                    gegen Rassismus
                    »Das längste antirassistische Banner mit
                    den meisten Mitwirkenden« soll es wer-
                    den. Die IG Metall-Initiative »Respekt! –
                    Kein Platz für Rassismus« hat das Banner
                    (Foto) bei den »Guinness World Records«
                    angemeldet. 50 Meter aus kleinen Einzel-
                    bannern von über 300 Mitwirkenden
                    wurden bereits zusammengenäht. In den
                    nächsten Monaten können IG Metall-
                    Mitglieder aus der ganzen Republik ihr
                    Einzelbanner gestalten und so zum Welt-
                    rekordversuch beitragen.
                          »Eine gemeinsame antifaschistische
                    Aktion verbindet«, erklärt Agnieszka
                    Wiatrak, die beim IG Metall-Vorstand für
                    die »Respekt!-Initiative« zuständig ist –
                    und als ausgebildete Modeschneiderin
                    auch den Job an der Nähmaschine über-
                    nimmt. »Es geht nicht nur darum, das
                    längste antirassistische Banner zu fertigen,
                    sondern auch dass möglichst viele Men-
                    schen damit deutlich machen: Wir sind
                    viele. Wir leben Solidarität. Wir lieben
                    Vielfalt!« Im Oktober soll das fertige Ban-
                    ner dann ausgerollt werden.

                    Hintergründe zum Weltrekordbanner:
                       respekt.tv
                    Fotos und Videos von Mitwirkenden am
                    Banner findet Ihr unter #zusammenhalten
                    und #banracism auf Facebook und unter
                    Ban.racism auf Tik Tok.
AUF NACH BERLIN! Großdemo #FairWandel am 29.6 - IG Metall Dresden und Riesa
metallzeitung
                   Juni 2019
                               5

IG Metall-Initiative
»Respekt!« näht
»längstes antirassistisches
Banner« zusammen.

                               Foto: To Kuehne
AUF NACH BERLIN! Großdemo #FairWandel am 29.6 - IG Metall Dresden und Riesa
6   metallzeitung
                             Juni 2019

                                                30%
                                                                                                                     EuGH stoppt
                                                                                                                    Flatrate-Arbeit
                                                                                                          Arbeitgeber in der Europäischen Union
                                                                                                          müssen die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten
                                                                                                          systematisch erfassen. Das hat der Europäi-
                                                        Arm trotz Arbeit                                  sche Gerichtshof (EuGH) entschieden. Nur
                                                                                                          so lasse sich feststellen, ob zulässige Ar-
                                             30 Prozent der Familien mit Alleinverdienern leben           beitszeiten überschritten werden. Die Auf-
                                             unterhalb der Armutsrisikoschwelle. Sie verfügen             zeichnungspflicht ergibt sich aus der
                                             über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkom-            Arbeitszeitrichtlinie und der Grundrechte-
                                             mens. 1996 lag das Armutsrisiko von Alleinverdie-            charta der EU. Die IG Metall begrüßt das
                                             ner-Familien nur bei 15 Prozent. Das zeigt eine              Urteil als wichtigen Schritt im Kampf
                                             Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsfor-           gegen ausufernde Arbeitszeiten.
                                             schung (DIW).                                                   igmetall.de/arbeitszeit

                                             Deutliche Mehrheit für die Grundrente
                                             Die Grundrente soll Ruhestand in Würde ermöglichen. Eine große Mehrheit unterstützt das Vorhaben.

                                             Altersarmut nach einem Leben voller Arbeit:           Weiteres Ergebnis der Rentenumfrage: Fast 60
                                             Damit soll Schluss sein. Arbeitsminister Huber-       Prozent der Befragten wünschen sich eine hö-
                                             tus Heil (SPD) will für Menschen, die 35 oder         here gesetzliche Rente, die den Lebensstandard
                                             mehr Jahre gearbeitet haben, eine Grundrente          im Alter annähernd sichert. Dafür wären sie
                                             einführen. Damit würden die Altersbezüge deut-        auch mit höheren Rentenbeiträgen von Arbeit-
                                             lich über der Grundsicherung liegen.                  gebern und Arbeitnehmern einverstanden.
                                                    Die überwältigende Mehrheit der Bürger           igmetall.de/rente
                                             unterstützt diese Pläne. Das zeigte eine aktuelle
                                             und repräsentative Umfrage im Auftrag der IG
                                             Metall. 81 Prozent der Befragten befürworten
                                             die Einführung einer Grundrente. Nur 17 Pro-
                                             zent lehnen sie ab.

                                                                                                                                                         Foto: Uwe Umstätter/Westend61/F1online
                                                    »Die Respektrente von Huberts Heil kann
                                             für mehr Leistungsgerechtigkeit sorgen«, sagt
                                             Hans-Jürgen Urban, der im Vorstand der IG Me-
                                             tall für Sozialpolitik zuständig ist. »Wer 35 Jahre
                                             in die Rente eingezahlt hat, muss im Alter mehr
                                             haben als die Sozialhilfe.« Eine gute Grundrente
                                             sei »steuerfinanziert und verzichtet auf bürokra-
                                             tische Bedürftigkeitsprüfungen«.

                                                                            52%
                                                            Körperlich harte Arbeit ist weit verbreitet
                                             Mehr als die Hälfte der Beschäftigten (52 Prozent)    Mai 2019 hervor. Laut Studie muss fast ein Drittel der
                                             müssen bei ihrer Arbeit sehr häufig oder oft eine     Beschäftigten (30 Prozent) sehr häufig oder oft körper-
Cartoon: Stephan Rürup

                                             ungünstige Körperhaltung einnehmen, also etwa         lich schwere Arbeit verrichten. Dieser Wert ist seit
                                             in der Hocke, im Knien oder über dem Kopf arbeiten.   vielen Jahren weitgehend konstant geblieben. Dabei
                                             Das geht aus der Sonderauswertung »Körperlich         gibt es nur einen geringfügigen Unterschied zwischen
                                             harte Arbeit« zum DGB-Index Gute Arbeit 2018 vom      Frauen (27 Prozent) und Männern (33 Prozent).
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metallzeitung
                                                                                                                                            Juni 2019
                                                                                                                                                        7
                              Fragen an
                              Maximilian
                              Schmid
   Politisch mit 19 Jahren
   Maximilian Schmid, Azubi bei
   Daimler in Gaggenau, ist für die
   IG Metall und gegen rechts aktiv.

                                                                                                                                                            Foto: Betriebsrat BMW Group, Werk Leipzig
Du engagierst Dich bereits im
ersten Ausbildungsjahr politisch in
der IG Metall. Was treibt Dich an?
Maximilian Schmid: Es gibt einiges zu tun.
Das habe ich auf einem IG Metall-Seminar
gleich am Anfang meiner Ausbildung ge-
merkt. Es ist doch nicht mehr zeitgemäß,
dass etwa unsere Tarifverträge für Auszubil-         »Roter Mittwoch« bei BMW in Leipzig. Beschäftigte demonstrieren für die 35-Stunden-Woche.
dende nicht für die dual Studierenden gel-
ten. Die Bedingungen für dual Studierende
sind in jedem Betrieb anders. Die wissen
gar nicht, woran sie sind. Das müssen wir
                                                     Ostdeutsche Metaller machen
ändern. Zudem stehe ich auch hinter den
gesellschaftspolitischen Zielen, etwa hinter
                                                     Druck für die 35-Stunden-Woche
der Initiative »Klare Kante gegen rechts«            IG Metall will schrittweise Verkürzung der Arbeitszeit von 38 auf 35 Stunden.
der IG Metall Jugend.
                                                     30 Jahre nach dem Fall der Mauer ist es höchste    Vorschlag der IG Metall sieht die schrittweise
Woher kommt Dein Interesse für                       Zeit, endlich die Arbeitsbedingungen im Osten      Verkürzung der Arbeitszeit auf 35 Stunden
Politik und Dein Engagement?                         an den Westen anzugleichen. Derzeit gilt in der    vor, mit Spielräumen für einzelne Betriebe.
Schmid: Ich beobachte schon länger mit               ostdeutschen Metall- und Elektroindustrie noch
Sorge, wie die AfD auch bei uns in Mittel-           die 38-Stunde-Woche, drei Stunden mehr als im      Aktionswoche Die Beschäftigten wollen
baden stärker wird. Wenn ich mit den Leu-            Westen.                                            endlich Gerechtigkeit. Bei einer Aktionswoche
ten rede, wird klar, dass viele die AfD nur                 Die Beschäftigten in der ostdeutschen Me-   Mitte Mai haben Tausende im ganzen Osten
aus Protest wählen – und nicht etwa, weil            tall- und Elektroindustrie machen mit Aktionen     für die Einführung der 35 Stunden demons-
sie die Inhalte der AfD gut finden. Wir              in den Betrieben Druck für die Einführung der      triert – vom Norden, etwa bei den MV Werf-
müssen diese Leute zurückholen.                      35-Stunden-Woche.                                  ten in Stralsund und bei der Neptun Werft in
                                                            Im BMW-Werk Leipzig etwa ist jeden Mitt-    Rostock, bis in den Süden, etwa bei Kaeser
Und was genau machst Du dafür?                       woch »Roter Mittwoch« (Foto). Alle Beschäftigten   Kompressoren im thüringischen Gotha und
Schmid: Ich habe gleich nach Beginn der              in der Produktion und in der Verwaltung tragen     im VW-Werk Zwickau. »Wir werden nicht
Ausbildung als Jugendvertrauensmann der              rote T-Shirts der IG Metall, mit dem Schriftzug    nachlassen«, macht Jens Köhler, Betriebsrats-
IG Metall im Betrieb kandidiert. Ich infor-          »35 reicht! Keine Zeit für neue Mauern.«           vorsitzender bei BMW in Leipzig, klar. »Die
miere die Auszubildenden und Studieren-                                                                 Arbeitszeitmauer muss endlich fallen.«
den, diskutiere mit ihnen und gewinne sie            Gespräche mit Arbeitgebern Seit einigen                                       Dirk.Erb@igmetall.de
zum Mitmachen in der IG Metall. Ich arbei-           Wochen laufen Gespräche mit den Metallarbeit-
te im Ortsjugendausschuss der IG Metall              gebern im Osten über die Angleichung der Ar-       Unterstützt die Metallerinnen und Metaller
mit – und bin jetzt auch in den Bezirks-             beitszeiten an den Westen. Die Arbeitgeber haben   im Osten. Macht mit bei unserer Fotoaktion
jugendausschuss Baden-Württemberg                    zugesagt, dass sie mit der IG Metall eine Lösung   »35 – im Osten wie im Westen«:
gewählt worden.                                      noch im ersten Halbjahr 2019 finden wollen. Der       igmetall-bbs.de/35-Aktion

                                                     Thyssen-Krupp: Hofmann fordert tragfähiges Konzept
Foto: Stephen Petrat

                                                     Nach dem Aus für die Fusion mit dem indischen Konkurrenten Tata hat die IG Metall eine Grund-
                                                     lagenvereinbarung bei Thyssen-Krupp abgeschlossen, um weitere Sicherheiten für die Beschäftigten
                                                     im Stahl zu erreichen. Außerdem wurde ein Ergänzungstarifvertrag für Stahl verhandelt, der die
                                                     Regelungen zur Standort- und Beschäftigungssicherung aus dem hart erkämpften Tarifvertrag
                                                     »Zukunft Stahl« übernimmt. Im Stahl werde es keine betriebsbedingten Kündigungen geben, be-
                         Maximilian Schmid, 19,      tonte der IG Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann. »Thyssen-Krupp ist in der Pflicht, ein tragfähiges
                        macht eine Ausbildung als    Konzept für die Zukunft nicht nur für die Stahlsparte, sondern für alle Konzernteile vorzulegen. Wir
                       Werkzeugmacher bei Daimler.   werden nicht zulassen, dass strukturelle Probleme einfach mit Personalabbau beantwortet werden.«
AUF NACH BERLIN! Großdemo #FairWandel am 29.6 - IG Metall Dresden und Riesa
8      metallzeitung
       Juni 2019

                                   Tarifbewegung in der
                                   Leiharbeit startet
                                   Die Tarifverträge laufen im Herbst aus. Die IG Metall befragt Leiharbeiter.

                                   In der Leiharbeit stehen Ende des Jahres                                             gen für Leiharbeiter. Im Oktober kommt
                                   wieder Tarifverhandlungen an. Da Leihar-                                             eine weitere Erhöhung der Entgeltgruppen
                                   beit branchenübergreifend anzutreffen ist,                                           1 und 2: auf 9,66 und 9,90 Euro im Osten
                                   sitzen die DGB-Gewerkschaften – darunter                                             sowie 9,96 und 10,60 Euro im Westen.
                                   auch die IG Metall – gemeinschaftlich den                                                   In den Industriebranchen der
                                   Leiharbeit-Arbeitgeberverbänden BAP und                                              IG Metall – in der Metall und Elektro-,
       35 Jahre                    iGZ gegenüber. Sie verhandeln über tarifli-                                          Holz- und Kunststoff- und in der Textil-
     35-Stunden-                   che Grundentgelte, die dann im Bereich der                                           industrie – kommen auf die Leiharbeits-
        Woche                      IG Metall noch einmal durch tarifliche                                               tarife dann noch mal bis zu 65 Prozent
                                   Branchenzuschläge aufgestockt werden.                                                tarifliche Branchenzuschläge obendrauf.
1984, vor 35 Jahren, streikten                                                                                                 Bei den Tarifverhandlungen ab
die Beschäftigten in der           Was ist Euch wichtig? Vor Beginn der Ver-                                            Herbst geht es um Verbesserungen der
westdeutschen Metallindu-          handlungen wollen die DGB-Gewerk-                                                    Leiharbeitstarife.
strie fast sieben Wochen lang      schaften von den Leihbeschäftigten wissen,
für die Verkürzung der Ar-         was ihnen wichtig ist: höhere Stunden-                                               Infos, Hintergründe und Videos zur Leiharbeit:
beitszeit von 40 auf 35 Stun-      löhne, mehr Urlaubs- und Weihnachtsgeld,                                                gute-arbeit-fuer-alle.de
den in der Woche. Für              mehr Urlaub, mehr Vorteile für Gewerk-
»mehr Zeit zum Leben, Lie-         schaftsmitglieder, stärkere Gleichbehand-
ben, Lachen«. Zudem will           lung mit den Stammbeschäftigten bei den
die IG Metall Arbeitsplätze        Zuschlägen – etwa für Schichten.
für die 2,5 Millionen Ar-                Außerdem wollen die Gewerkschaf-
beitslosen schaffen. Die           ten von den Leiharbeitern wissen, ob sie                                                                                                      Im Herbst
Arbeitgeber halten dagegen:        bereit sind, sich auch an Aktionen und                                                                                                        verhandeln die
»keine Minute unter 40             Streiks zu beteiligen. Die Befragung in den                                                                                                   DGB-Gewerk-
Stunden.«                          Betrieben hat begonnen. Die IG Metall-                                                                                                        schaften wieder
                                                                                                                                                                                 gemeinsam über
       Der Streik beginnt am       Vertrauensleute kommen mit Fragebögen
                                                                                                                                                                                 Tarifverträge
14. Mai 1984 im Tarifgebiet        auf Leiharbeiter zu.
                                                                                                                                                                                 in der Leiharbeit.
Nordwürttemberg/Nordba-
den, eine Woche später auch        Tariferhöhung im Oktober Bereits im
                                                                                                                                                                         © DGB

in Hessen. 57 500 Beschäftigte     Januar und im April gab es Tariferhöhun-
treten in den Streik.
       Doch dabei bleibt es
nicht. Die Arbeitgeber eska-
lieren den Arbeitskampf. Sie
sperren 500 000 Beschäftigte
ohne Lohn aus ihren Betrie-
ben aus.
       Am 26. Juni 1984 ge-
                                   VW baut Batteriezellenfabrik
lingt die Einigung. Die            Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender der IG Metall: »Wichtige und richtige Entscheidung«
35-Stunden-Woche kommt
schrittweise bis 1995.             Volkswagen steigt in die Fertigung                                             Die IG Metall fordert seit Jahren        wichtige Teile der Wertschöpfung
                                   von Batteriezellen ein. Damit be-                                              den Bau einer Batteriezellenfabrik       und vermeidet die Abhängigkeit
Top aktuell 35 Jahre danach        setzt der Wolfsburger Automobil-                                               in Deutschland. Die eigene Pro-          von asiatischen Herstellern. »Für
ist Arbeitszeit in der digitalen   konzern eine Schlüsseltechnologie                                              duktion sichert Know-how über            die Innovationskraft der deutschen
Transformation wieder top          der Elektromobilität. Die Fabrik                                                                                        Automobilindustrie ist das wesent-
aktuell. Daher hat die IG Me-      soll in Salzgitter entstehen. Knapp                                                                                     lich«, erläutert Hofmann. Die Poli-
tall letztes Jahr ein Recht auf    eine Milliarde Euro stehen dafür                                                                                        tik müsse solche Entscheidungen
                                                                           Foto: Matthias Leitzke/Volkswagen AG

Arbeitsreduzierung und auf         bereit.                                                                                                                 der Unternehmen befördern und
zusätzliche acht freie Tage in           »Volkswagen hat damit eine                                                                                        erleichtern. »Dazu gehört auch, die
der Metallindustrie durchge-       wichtige und richtige strategische                                                                                      Energiewende voranzutreiben.«
setzt. Und 30 Jahre nach dem       Entscheidung getroffen«, sagt Jörg                                                                                            Bislang sind die deutschen
Mauerfall will die IG Metall       Hofmann, Erster Vorsitzender der                                                                                        Autohersteller bei Batteriezellen auf
endlich die 35-Stunden-            IG Metall. »Die Batteriezelle ist die                                                                                   Produzenten aus Asien angewiesen.
Woche auch in der ostdeut-         zentrale Leistungskomponente im                                                                                         Konzerne aus Japan, China und
schen Metallindustrie durch-       Elektrofahrzeug, hieran entscheidet                                            Produktion von Batteriesystemen          Südkorea dominieren den Welt-
setzen (Siehe Seite 7).            sich der Wettbewerb.«                                                          im VW-Werk Braunschweig.                 markt.
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                                                                                                                                               Juni 2019
                                                                                                                                                           9

                                                                                                                                                               Foto: Dominique Schneider/Studio93
Gründungsphase gut überstanden: Beim Entwicklungsdienstleister Bertrandt gibt es jetzt an einigen Standorten Betriebsräte, wie hier in Ingolstadt.

           Aufregende Zeiten
            Endlich mit Betriebsrat Bei Bertrandt in Wolfsburg und Ingolstadt gibt es jetzt Betriebs-
            ratsgremien. Es läuft von Tag zu Tag besser. Das Management des Entwicklungsdienst-
            leisters hat seine anfängliche Skepsis abgelegt. Die Beschäftigten finden es richtig gut.

            Die Gründung von Betriebsräten bei dem         Prozess. Dort äußerten sich Betriebsräte     regende Zeit zurück. Die Geschäftsfüh-
            Entwicklungsdienstleister Bertrandt ist        von anderen Unternehmen solidarisch          rung von Bertrandt sieht die betriebliche
            »ein Meilenstein in einer stark wachsenden     mit dem Vorhaben. Das und weitere So-        Mitbestimmung inzwischen weniger kri-
            Branche«. So sieht es die Geschäftsführerin    cial-Media-Aktivitäten machten den Be-       tisch, sagt Karl Musiol, der zuständige Ge-
            der IG Metall Wolfsburg, Ricarda Bier.         schäftigten bei Bertrandt viel Mut. Regel-   werkschaftssekretär in Ingolstadt. »Es
            Viele Beschäftigte von Bertrandt sind froh     mäßige Treffen der Aktiven und der           läuft von Tag zu Tag besser.« Sein Kollege
            darüber, dass sie jetzt ein Mitbestim-         Austausch beider Standorte trugen erheb-     Kai-Martin Winter freut sich, dass es in
            mungsgremium haben. Das war nämlich            lich zur Motivation bei.                     Wolfsburg sogar schon zwei Gremien
            jahrelang nicht der Fall, wie bei vielen Un-         Mit einer hohen Wahlbeteiligung        gibt. Der Betriebsrat des Ingenieurbüros
            ternehmen dieser Branche, die dadurch          von 70 Prozent fanden Ende letzten Jahres    mit 17 und der der Bertrandt Technologie
            entstanden ist, dass Automobilhersteller       Betriebsratswahlen statt. Danach konsti-     GmbH mit 13 Mitgliedern. Beide Gre-
            Teile ihrer Entwicklungsarbeit immer häu-      tuierten sich die Betriebsratsgremien. In    mien haben schon Grundlagenschulun-
            figer an externe Entwickler ausgelagert        Wolfsburg ist die Metallerin Anke Janik      gen absolviert. Im Ingenieurbüro gibt es
            haben. Mit etwa 13 000 Beschäftigten in        die Vorsitzende, in Ingolstadt führt der     sogar schon eine Betriebsvereinbarung.
            Deutschland ist Bertrandt Marktführer bei      Metaller Jan Conrad zusammen mit dem         »Im Hinblick auf die kurze Arbeitsdauer
            der Entwicklungsdienstleistung. Die Bran-      Vorsitzenden Alexander Sieber das Be-        sind die Gremien mit der Unterstützung
            che war lange kaum organisiert, und Be-        triebsratsbüro. Inzwischen haben erste       der IG Metall Wolfsburg extrem gut vor-
            triebsräte waren fast nicht vorhanden.         Betriebsversammlungen stattgefunden.         angekommen«, sagt Winter.
                  Das ändert sich jetzt dank intensiver                                                       Die Betriebsratsgründung bei Bert-
            Bemühungen der IG Metall. Ende letzten         Es läuft gut »Entscheidend für den Er-       randt ist ein ein Vorbild auch für andere
            Jahres bildeten sich aus einem Kreis von       folg der Wahlkampagne war die Synchro-       Entwicklungsdienstleister. Starke Be-
            Aktiven bei Bertrandt Wahlvorstände in         nisierung der Prozesse an beiden Stand-      triebsräte sorgen für mehr Zufriedenheit
            Wolfsburg und Ingolstadt. Das Manage-          orten und die zeitlich parallele             unter den Mitarbeitern und stärken die
            ment von Bertrandt versuchte zwar noch         Vorbereitung der Wahlen«, erklärt das ge-    Innovationskraft im Unternehmen. Um
            gegenzusteuern, doch der Wunsch der            schäftsführende Vorstandsmitglied der        weitere Unternehmen zu erreichen, sind
            Beschäftigten nach betrieblicher Mitbe-        IG Metall Irene Schulz. Die Beschäftigten,   die Betriebsräte im EDL-Arbeitskreis der
            stimmung setzte sich durch. Ein Blog im        die mutig das Projekt Betriebsratsgrün-      IG Metall miteinander vernetzt.
            Internet begleitete von Anfang an den          dung verfolgt haben, blicken auf eine auf-                Martina.Helmerich@igmetall.de
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10       metallzeitung
         Juni 2019

37-Stunden-Woche für
                                                                                                                       IG Metall ein zentrales Ziel erreicht. Auch
                                                                                                                       die Beschäftigten sind zufrieden.
                                                                                                                              »Der Abschluss ist ein Kompromiss,
                                                                                                                       wir hätten uns gewünscht, dass es schneller

Textiler im Osten kommt                                                                                                auf 37 Stunden geht«, erklärt Kai Hölzel,
                                                                                                                       Betriebsratsvorsitzender des Tamponher-
                                                                                                                       stellers Ontex in Großpostwitz bei Bautzen
                                                                                                                       und Mitglied der Tarifkommission. »Klar,
                                                                                                                       der Arbeitgeber muss ja den Wegfall von
Tarifabschluss Textil Ost Bis 2027 sinkt die Arbeitszeit in der                                                        Arbeitszeit ausgleichen. Und Fachkräfte
ostdeutschen Textilindustrie schrittweise von 40 auf 37 Stunden.                                                       sind bei uns in der Region knapp gewor-
Los geht’s mit 39,5 Stunden ab 2020. Außerdem gibt es 6,2 Prozent                                                      den. Viele gehen lieber in Metallbetriebe,
                                                                                                                       wo die Tarife höher sind. Auf der anderen
mehr Geld über die nächsten drei Jahre.                                                                                Seite war das auch unser wichtigstes Argu-
                                                                                                                       ment, um die Arbeitgeber zu überzeugen:
                                                                                                                       Mit dem klaren Zeitplan zur 37-Stunden-
                         In der ostdeutschen Textilindustrie sinkt      675 Euro. Der Tarifabschluss gilt für 16 000   Woche haben wir jetzt einen Vorteil, um
                         die Arbeitszeit bis 2027 in sechs Schritten    Beschäftigte in der Textilindustrie Ost.       Fachkräfte zu gewinnen und zu halten.«
                         von derzeit 40 auf 37 Stunden in der                                                                 In einigen Betrieben kommt die 37 tat-
                         Woche – wie im Westen. Das hat die Tarif-      Perspektive für Jung und Alt Auszubil-         sächlich schneller – beim VW-Zulieferer
                         kommission der IG Metall in Verhandlun-        dende erhalten nach erfolgreicher Ausbil-      Adient im sächsischen Meerane etwa bereits
                         gen mit den Arbeitgebern erreicht. In der      dung eine unbefristete Stelle. Die Arbeitge-   2023. »Das haben wir in einem Ergänzungs-
                         ersten Stufe wird die Arbeitszeit ab Januar    ber hatten die unbefristete Übernahme der      tarif ausgehandelt«, sagt Heike Meyer, Tarif-
                         2020 um eine halbe auf 39,5 Stunden in der     Azubis gekündigt, trotz Fachkräfte- und        kommissionsmitglied und Leiterin der
                         Woche verkürzt. Dann geht es schrittweise      Nachwuchsmangel. Der Tarifvertrag wird         IG Metall-Vertrauensleute bei Adient. »Wir
                         weiter. Dieser Zeitplan ist erstmalig 2025     nun doch unverändert fortgeführt. Auch         liefern just-in-sequence direkt ans VW-
                         kündbar.                                       der Tarifvertrag zur Altersteilzeit, der den   Montageband. Dort wird nach Metalltarif
                                                                        früheren Altersausstieg ermöglicht, wird       nur 38 Stunden gearbeitet. Das hat mit un-
                         6,2 Prozent mehr über drei Jahre Beim          unverändert fortgeführt. Die Arbeitgeber       seren 40 nie gepasst. Und demnächst soll in
                         Geld gibt es 6,2 Prozent mehr in den nächs-    wollten ursprünglich an der Quote sparen.      der Metallindustrie Ost ja sogar schrittweise
                         ten 36 Monaten, in drei Stufen. Zunächst                                                      auch die 35-Stunden-Woche kommen.«
                         gibt es 2,6 Prozent am 1. Juni 2019. Das zu-   Angleichung an den Westen Mit der Ein-
                         sätzliche Urlaubsgeld steigt von 600 auf 625   führung der 37-Stunden-Woche auch in           Details und Hintergründe zum Tarifabschluss:
                         Euro im Jahr 2019 und bis 2021 weiter auf      der ostdeutschen Textilindustrie hat die          Textil-Tarifrunde.de

    Beschäftigte der
ostdeutschen Textil-
   industrie vor dem
  Verhandlungslokal
 der entscheidenden
Tarifverhandlung am
  30. April im sächsi-
     schen Meerane.
                                                                                                                                                                       Foto: Igor Pastierovic
metallzeitung
                                                                                                                                                                           Juni 2019
                                                                                                                                                                                       11
Kfz-Tarifrunde gestartet – Aktionstage Anfang Juni
Die Verhandlungen im Kfz-Handwerk sind gestartet. Die IG Metall fordert 5 Prozent. Anfang Juni sind bundesweite Aktionen geplant.

Die Tarifverhandlungen für das Kfz-Hand-                                                                                                       schäftigten durchgesetzt. Sie gründeten Be-
werk laufen. 5 Prozent mehr Geld fordert                                                                                                       triebsräte und machten während der Ver-
die IG Metall für die Beschäftigten in den                                                                                                     handlungen mit Aktionen Druck.
Autohäusern und Kfz-Werkstätten. Aus-                                                                                                                Vor wenigen Wochen haben sich
zubildende sollen ein Extraplus erhalten.                                                                                                      auch die 150 Beschäftigten der Daimler-
Zu Redaktionsschluss dieser metallzeitung                                                                                                      Tochter CARS im sächsischen Wiedemar
haben IG Metall und Arbeitgeber noch                                                                                                           ihre Tarifbindung erkämpft. Ihre Löhne
keine Annäherung erzielt.                                                                                                                      steigen dadurch in diesem Jahr um 10
     Die IG Metall begründet ihre Forde-                                                                                                       Prozent. Dafür haben die Beschäftigten
rungen mit einem wachsenden Werkstatt-                                                                                                         gemeinsam mit der IG Metall Druck ge-
geschäft, robusten Umsätzen und guten                                                                                                          macht – unter anderem mit einem ganz-
Renditen. Die Umsätze stiegen laut Zentral-                                                                                                    tägigen Warnstreik vor der Daimler-Kon-
verband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe                                                                                                         zernzentrale in Stuttgart.
im Jahr 2018 bundesweit um insgesamt 2,6                                                                                                             In vielen weiteren Kfz-Betrieben
Prozent, im Pkw-Neuwagengeschäft um 3,6                                                                                                        sind Beschäftigte gerade dabei, mithilfe

                                                                                                                          Foto: Thomas Range
und im Service um 5 Prozent.                                                                                                                   der IG Metall Tarifverträge durchzuset-
                                                                                                                                               zen, etwa für die Autohäuser von Neils &
Aktionstage Anfang Juni Die sogenannte                                                                                                         Kraft in Mittelhessen. Neils & Kraft ist wie
Friedenspflicht endet am 31. Mai. Danach                                                                                                       viele Kfz-Arbeitgeber in Hessen nicht
sind Warnstreiks zulässig.                      Die Geschäfte in den                                                                           mehr im Tarif. Die IG Metall-Mitglieder
     Vom 3. bis 5. Juni machen die Kfz-         Werkstätten laufen.      Tarifbindung durchgesetzt In vielen Be-                               bei Neils & Kraft haben nun eine Tarif-
Beschäftigten mit bundesweiten Aktions-         Die Beschäftigten dort   trieben ist es Beschäftigten und IG Metall                            kommission gewählt. Auch sie fordern 5
tagen Druck für ihre Forderungen. In            fordern jetzt ihren      bereits gelungen, die Tarifbindung durch-                             Prozent mehr Lohn, die Verkürzung der
allen Regionen sind Demonstrationen             gerechten Anteil.        zusetzen. Etwa für die rund 1200 Beschäf-                             Arbeitszeit von 37,5 auf 36 Stunden in der
und Autokorsos geplant.                                                  tigten in den 40 Niederlassungen des Lkw-                             Woche und die Anerkennung des hessi-
                                                                         Herstellers Scania. Seit Januar wird dort                             schen Kfz-Tarifs.
Tarifbindung erhöhen Neben mehr Geld                                     schrittweise bis 2021 der Kfz-Flächentarif
will die IG Metall erreichen, dass die Tarife                            der IG Metall eingeführt. Das bedeutet für                            Aktuelle Nachrichten, Hintergründe und
wieder für mehr Kfz-Betriebe gelten. »Viel                               viele Beschäftigte ein Plus von mehreren                              Zahlen zur Tarifrunde im Kfz-Handwerk:
zu viele Betriebe haben sich dem Flächen-                                Hundert Euro im Monat. Zudem sinkt die                                   igmetall.de/kfz-handwerk
tarifvertrag entzogen«, kritisiert IG Metall-                            Arbeitszeit bis 2022 schrittweise von vor-                            Diskutiert mit auf Facebook:
Vorstandsmitglied Ralf Kutzner. »Die Ar-                                 her 40 auf 36 Stunden in der Woche. Für                                  facebook.com/offensivehandwerk
beitgeber wollen schlicht selbst darüber                                 die Auszubildenden gilt bereits jetzt der                             Infos zu Aktionen bekommt Ihr bei Eurem
bestimmen, ob und was gezahlt wird.«                                     volle Kfz-Tarif. Das alles haben die Be-                              Betriebsrat und bei Eurer IG Metall vor Ort.

Debatte zur Holztarifrunde gestartet                                                                                                                  Meisterpflicht kommt
                                                                                                                                                         wieder zurück
Ab Ende September laufen Tarifver-       Geld. Darüber hinaus gehen sie ge-     »Unsere Beschäftigten wollen dafür                                   Der Bundestag debattiert über die
handlungen für die Holz und Kunst-       stärkt in die Tarifrunde: Die IG Me-   eine ordentliche Tariferhöhung. Und                                  Wiedereinführung der Meister-
stoff verarbeitende Industrie. Die Be-   tall hat Mitglieder in der Holz- und   sie sind bereit, dafür zu kämpfen.«                                  pflicht für alle Handwerksbetriebe.
schäftigten diskutieren derzeit über     Kunststoffindustrie dazugewonnen.            Weniger gut laufen Wohnungs-                                   Vor 15 Jahren hatte er die Meister-
Tarifforderungen. Mitte Mai trafen             Auch die wirtschaftliche Lage    möbel – jedoch mit deutlichen Unter-                                 pflicht für 53 Gewerke abgeschafft.
sich dazu die regionalen Verhand-        ist gut – wenn auch in den einzelnen   schieden von Betrieb zu Betrieb. »Wir                                Die Folgen: weniger Ausbildung,
lungskommissionen beim IG Metall-        Branchen unterschiedlich. Beson-       haben eine super Auftragslage«, be-                                  mehr Ungelernte, Billiglöhne. Die
Vorstand in Frankfurt.                   ders gut laufen Küchen, Büromöbel      tont Cornelia Miltenberger von                                       IG Metall begrüßt die Rückkehr
       Ende Juni beschließen die ge-     und Baubedarf. Die Umsätze stiegen     Rauch Möbel, Verhandlungskom-                                        zur Meisterpflicht, hält sie aber
wählten Tarifkommissionen ihre           2018 um bis zu sechs Prozent.          mission Baden-Württemberg. »Un-                                      allein nicht für ausreichend, son-
Forderung. Abschließend entschei-              »Der Laden brummt. Unsere        sere Leute müssen immer mehr leis-                                   dern will weitere Verbesserungen.
det dann der IG Metall-Vorstand.         Stundenkonten laufen über«, berich-    ten. Und sie kriegen ja mit, dass es im                              Etwa mehr Tarifbindung, alterns-
                                         tet Kerstin Kublun vom Fenster-        Metalltarif deutlich mehr gibt. Wir                                  gerechte Arbeitsbedingungen, bes-
Topthema Geld Klar ist: Die Be-          und Türenbauer HBI, Verhand-           erwarten spürbar mehr Geld.«                                         sere Aus- und Weiterbildung und
schäftigten erwarten vor allem mehr      lungskommission Niedersachsen.             holz-tarifrunde.de                                               eine Stärkung der Mitbestimmung.
12   metallzeitung
     Juni 2019

                                29. JUNI 2019

Darum fahren wir nach Berlin
        Klimafreundlich fahren, digital produzieren: Unsere Industrie steht vor grundlegenden Veränderungen.
        Dass sie erfolgreich verlaufen, ist längst nicht ausgemacht. Vieles fehlt: Zukunftsprodukte, Weiterbildung,
        Investitionen in Stromnetze, Nahverkehr oder Ladestationen für E-Autos. Den Wandel sozial, ökologisch
        und demokratisch zu gestalten – das ist die Herausforderung. Gelingen wird es nur, wenn wir Druck
        machen, unsere Stimmen erheben, gemeinsam für eine gute Zukunft kämpfen. Dafür fahren am
        29. Juni Zehntausende Metallerinnen und Metaller zur Großkundgebung nach Berlin. Wir haben sie
        nach ihren Zielen, Sorgen und Wünschen gefragt. Von Simon Che Berberich
metallzeitung
                                                                                                                                                                                                         Jun 2019
                                                                                                                                                                                                                    13
                                                                                                              » Ob ich nach Berlin fahre? Das ist doch keine Frage! Wir können nicht mehr
                                                                                                                abwarten, dass andere etwas für uns tun. Wir müssen selbst für unsere
                                                                                                                Zukunft einstehen. Ich will erreichen, dass der ökologische Umbau der
                                                                                                                 Industrie sozial abläuft. Diese Transformation braucht Zeit. Verbrennungs-
                                                                                                                motoren spielen dabei als Brückentechnologie eine wichtige Rolle.
                                                                                                                Sie dürfen nicht blind verteufelt werden. Manche Politiker sollten sich
                                                                                                                mal sachkundig machen und den Tatsachen ins Auge sehen.
                                                                                                                Es kann nicht sein, dass meine Generation ein schönes
                                                                                                                Leben hatte und unsere Kinder schauen in die Röhre. «
                                                                                                                                                                             Waltraud Fuchs,
                                                                                                                                                                             Bosch, Bamberg

                                                                                                                         »Ich fahre nach Berlin, weil:
                                                                                                                            Wenn wir jetzt schlafen und den
                                                                                                                            Trend verpassen, dann kommt
                                                                                                                            bald das böse Erwachen.«

                                                                                                                         Bamir Useini,
                                                                                                                         Opel Group
                                                                                                                         Warehousing                                                            Aktuell informiert:
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                                                                                                                                                                                                Aktuelle Informationen zur
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                                                                                                                                                                                                 unserem Online-Portal.
                                                                                                                                                                                               Dort kannst Du Dich auch für
                                                                                                                                                                                                 einen WhatsApp-Dienst
                                                                                                                                                                                               und einen E-Mail-Newsletter

                                                                                                  »Ich fahre mit nach Berlin, weil wir unsere                                                           anmelden:
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                                                                                                    Rechte einfordern wollen. Es gibt so viele
                                                                                                    Baustellen, in Deutschland und in Europa.
                                                                                                    Der Schlüssel ist: Solidarität. Wenn
                                                                                                    wir zusammenhalten und laut sind,
                                                                                                    können wir als Beschäftigte
    Fotos: Frank Rumpenhorst, Betriebsrat Bosch Bamberg, Thomas Range, Thomas Schlunck/VW Emden

                                                                                                    Großes erreichen. Wir müssen
                                                                                                    ganz viele sein. Ich bin sicher:
                                                                                                    Das wird eine richtig geile
                                                                                                    Stimmung in Berlin.    «
,

                                                                                                                     Melanie Specken,
                                                                                                                     VW, Emden
14               metallzeitung
                 Juni 2019 Jonas Becker, 19,
                           Zerspanungsmechaniker,
                           ThyssenKrupp
                           Rote Erde Lippstadt

                                                                    »Unser Betrieb produziert Sensoren für die Automobil-
                                                                         industrie und hängt stark vom Verbrenner ab. Wir brauchen
                                                                           neue Perspektiven, neue Produkte. Den Strukturwandel                                         Cornelia
                                                                            darf man nicht dem Markt überlassen. Der Markt denkt                                        Hübscher-Gellert,
                                                                             nur an die Kosten und nicht an die Menschen. Deshalb                                       Daimler, Nürnberg
                                                                                         müssen wir uns bei der Politik und
                                                                                         bei den Arbeitgebern Gehör verschaffen.
                                                                                         Es geht um unsere Arbeitsplätze.                                           «
                                                                         Michael Lemm,
                                                                         Bosch, Eisenach

Unsere Partner:                                                     »gerade
                                                                     Demonstrationen können viel bewirken. Das sieht man
                                                                            wieder an der ›Fridays for Future‹-Bewegung.
                                                                           Diese Schülerproteste sind in aller Munde und
                                                                           haben in den Köpfen der Menschen bereits viel
                                                                           bewegt. Das können wir auch. Die Botschaft
                                                                           muss sein: Wir sind viele, wir sind laut.
                                                                           Ich arbeite im Kfz-Handwerk. Da wird es heftige
Der Naturschutzbund Deutschland                                            Umbrüche geben. Elektromobilität wird den
e.V. (NABU) ist der älteste und                                            Alltag in den Werkstätten stark beeinflussen.
mitgliederstärkste Umweltverband                                           Das klassische Autohaus wird es vielleicht
Deutschlands. Er zählt rund
                                                                           bald nicht mehr geben. Viele Kolleginnen
700 000 Mitglieder und Förderer.
Der NABU kümmert sich um                                                   und Kollegen denken: Was
Arten- und Biotopschutz und setzt                                          passiert morgen mit mir?
sich für die Energiewende ein.                                             Ich will, dass sie und ihre
    nabu.de                                                                Familien Sicherheit haben.           Marcel Thoma,
                                                                                                                JAV-Vorsitzender,
                                                                           Dafür gehe ich in Berlin
                                                                           auf die Straße.              «       Automobile Hannover

Die Diakonie ist der Wohlfahrts-
verband der evangelischen Kir-
chen. Sie betreibt Altenheime,
Sozial stationen, Frauenhäuser und
viele andere soziale Einrichtungen.
Sie hat rund 525 000 hauptamt-
lich Beschäftigte, dazu kommen
700 000 Ehrenamtliche.
    diakonie.de
                                                                                            »Ich fahre nach Berlin, um
                                                                                                  Politik und Arbeitgebern
                                                                                                  deutlich zu machen:
                                                                                                  Unsere Stimme kann man
                                                                                                  nicht ignorieren! Wir werden
Der VdK ist mit knapp zwei                                                                        zu viele und zu laut sein, als
Millionen Mitgliedern der größte
Sozialverband Deutschlands.
                                                                                                  dass man unsere Botschaften
Er engagiert sich unter anderem                                                                   überhört. Regierung und
für gute Renten, faire Löhne,
Armutsbekämpfung und eine                                                                         Arbeitgeber müssen sich                                               Martin Böhmer,
starke gesetzliche Kranken-                                                                       bewegen. Stillstand war noch                                          ThyssenKrupp
und Pflegeversicherung.
    vdk.de                                                                                        nie eine Option.                             «                        Rothe Erde GmbH,
                                                                                                                                                                        Dortmund

Fotos: Antje Bittorf/le flair de l’art, Privat, Michael Löwa, Thomas Range (2), Christian von Polentz/transitfoto.de, Foto Rechtnitz Leipzig, Jan Will Fotografie
metallzeitung
                                                                                                                  Jun 2019
                                                                                                                             15
»Arbeitsplätze verändern sich oder gehen verloren.
  Die Menschen dürfen deshalb aber nicht unter die Räder
  kommen. Der Wandel muss fair gestaltet werden. Hier
  dürfen wir auch nicht unsere leistungsgeminderten oder
  schwerbehinderten Kollegen vergessen, für die Verände-
  rungen noch schwerer sind. Die Beschäftigten sollen für
  die anstehenden Veränderungen rechtzeitig qualifiziert
                                                       «
  werden. Das fordere ich. Deshalb fahre ich nach Berlin.

                                                                                                     Anmeldung/Anreise:
» Ich fahre nach Berlin, weil                                                                          Die Kundgebung findet
                                                                                                        am 29. Juni um 13 Uhr
  wir nur zusammen etwas                                                                             vor dem Brandenburger Tor

  verändern können.«
                                                                                                           in Berlin statt.
                                                                                                      Das Vorprogramm startet
                                                                                                          bereits ab 11 Uhr.

                                                                                                    Die Anmeldung zur Kundgebung
                               Julia Hoffmeier,                                                    läuft über Deine Vertrauensleute
                               Bleistahl GmbH,                                                      oder den Betriebsrat. Alternativ
                               Wetter (Ruhr)                                                          könnt Ihr Euch auch an Eure
                                                                                                  IG Metall-Geschäftsstelle wenden.

                                                                                                Eine Onlineanmeldung ist hier möglich:
                                                                                                          igmetall.de/fairwandel

             » In unserem Betrieb verändert sich unheimlich viel: neue IT,
                neue Arbeitsabläufe, neue Firmenstruktur. Dieser Wandel muss
                fair ablaufen. Es dürfen keine Arbeitsplätze vernichtet werden.
                Ich will, dass meine Tochter auch die Chance auf sichere
                und gute Arbeit hat. Dafür gehe ich in Berlin auf die Straße.
                Ich habe 1989 die großen Montagsdemos in Leipzig
                mitgemacht. Ich weiß, dass solche Demonstrationen
                viel bewirken können.       «                                                              Maik Apfelbacher,
                                                                                                           CWS-boco, Leipzig

                                                              » Wir in der Autoindustrie sind
                                                                besonders stark vom Wandel
                                                                betroffen. Die Transformation
                                                                findet bereits statt. Es geht um
                                                                unsere Arbeitsplätze. Aber bei
                                                                vielen Politikern ist das noch                                  Ker-
                                                                nicht angekommen. Deshalb                                       stin
                                                                fahre ich mit meinen Kollegen                                   Mai,
                                                                per Sonderzug nach Berlin.
                                                                Wir wollen Druck machen.
                                                                Die #FairWandel-Demonstra-
                                                                tion ist zwingend notwendig – am besten              Benjamin Maier,
                                                                mit einer sechsstelligen Teilnehmerzahl.             Daimler,
                                                                Wer nicht auf sich aufmerksam macht,                 Untertürkheim
                                                                bringt seine Interessen nicht voran.  «
16             metallzeitung
                                                        Juni 2019

                                         29.06.2019                                                                             Wir sind dabei!
                                                                                                                                Diese Künstler treten bei der #FairWandel-Kundgebung auf.
                                                    #FairWandel
                                                                                                                                »Grundpfeiler
                                                                                                                                 Es ist wichtig, dass wir für unsere Werte und

                                                                                           Illustration: greens87/iStockphoto
                                  Berlin, Brandenburger Tor                                                                                    des Zusammenlebens zusammen-
                                                                                                                                   kommen. Auf Festivals kommen Menschen
                                                                                                                                   verschiedenster Herkunft, aller Religionen, aller
                                                                                                                                   Hautfarben zusammen, um Musik zu erleben und
                                                                                                                                   gemeinsam das Leben zu feiern. Diese kleine
                                                                                                                                   Welt sollten wir auf die große Welt übertragen.
                                                                                                                                   Das ist mein Traum als Musiker.       «      Joris
                                                                                                                                                                        Nach 300 Konzerten und

                                                                                                                                                                                                                                 Foto: eyecandy
                                                                                                                                                                        drei Echos hat Joris sein
                                                                                                                                                                      zweites Album veröffentlicht.

                                                                                                                                         »Viele unterschätzen völlig, was für eine Kraft sie haben.
                                                                                                                                            Ich habe mich früher gar nicht für Politik interessiert.
                                                                                                                                            Aber ich habe gemerkt: Gerade jetzt ist es wichtig,
                                                                                                                                            aufzustehen. Auf die Straße zu gehen ist etwas ganz
                                                                                                                                                                                                 «
Foto: Christoph Köstlin

                                                                                                                                            Einfaches, kann aber viel bewirken.

                                                       Clueso
                                                   Das aktuelle Album
                                              des Erfurters kletterte an die
                                              Spitze der deutschen Charts.
                                                                               »Veränderung kann Menschen Angst
                                                                                   machen. Das ist völlig normal.
                                                                                   Veränderung kann aber auch eine
                                                                                   große Chance sein – wenn wir sie

                                                                                                                                                                                                                                                  Foto: Christian Hoppe
                                                  Videointerviews der
                                                                                   mitgestalten. Am besten ist, wenn
                                                 Künstler findet Ihr auf           sich viele zu einer Gemeinschaft
                                                metallzeitung.de                   zusammenfinden, dann kann man
                                                                                   mehr erreichen. Nur so kann eine                                                                                           Silly
                                                                                   starke Gesellschaft entstehen.                                        «                                              mit Gastsängerinnen
                                                                                                                                                                                                      Julia Neigel und AnNa R.

                                                                                                                                                        Culcha Candela
                                                                                                                                                     Sie spielen einen vielfältigen Mix
                                                                                                                                               aus verschiedenen Musikstilen und Sprachen.
                          Foto: Caren Pauli

                                                   Berlin Boom Orchestra
                                                    Die neunköpfige Band macht Reggae
                                                           mit deutschen Texten.
                                                                                                                                                                                                                                                  Foto: Leon Hahn
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                                                                                                                                                                      Juni 2019
                                                                                                                                                                                  17

                                                                                                                                                                »Nötig sind konkrete
                                                                                                                                                                Maßnahmen, um
                                                                                                                                                                Belastungen spürbar
                                                                                                                                                                zu senken«: Gundi
                                                                                                                                                                Fetzer, Betriebsrätin
                                                                                                                                                                bei BSH in Giengen
                                                                                                                                                                und Dirk-Peter Kasat.
Foto: Ingo Dumreicher

                  Belastungen wirksam reduzieren
                        Arbeitsgestaltung Die Beschäftigten von BSH in Giengen leisten körperlich harte Arbeit.
                        Der Betriebsrat hat sich zum Ziel gesetzt, die körperlichen Belastungen der Kolleginnen und
                        Kollegen in der Produktion spürbar zu senken. Das gelingt ihnen mit großem Erfolg.

                        Als sie die Liste in den Händen hielten, vor jetzt    schäftigten das Heben, Tragen und Auflegen der         alle sechs Wochen treffen, um gemeinsam über
                        beinahe zwölf Jahren, da war ihnen bewusst, dass      schweren Türen abnehmen. »Als wir uns die Liste,       geeignete Maßnahmen zu sprechen. Gerade sind
                        es eine lange Strecke werden würde. Aber Gundi        in der alle Belastungen, die auf die Beschäftigten     sie dabei, die Lärmbelastung in der Fertigung wei-
                        Fetzer war auch klar, dass sie sich auf den Weg ma-   in der Produktion wirken, angesehen haben, war         ter zu senken. Manchmal genügt es da, wenn an
                        chen mussten, gemeinsam mit dem Arbeitgeber,          uns klar, dass wir uns um die körperlich harte Ar-     einer Maschine der Riemen nachgespannt wird,
                        beharrlich und kämpferisch. Nur so konnten sie        beit verstärkt kümmern müssen.«                        manchmal ist es nötig, einen neuen Motor einzu-
                        ihr Ziel erreichen: die körperlichen Belastungen                                                             setzen, dann wieder muss eine Anlage umbaut
                        für die Kolleginnen und Kollegen vor allem in der     Klare Regelungen Kümmern – das hört sich ein-          werden, um Lärm wirksam zu reduzieren. »Es gibt
                        Produktion spürbar zu senken. »Am Ende unseres        fach und unkompliziert an, so, als würde es rei-       für fast alle Probleme mehrere Lösungen«, sagt
                        Weges sind wir noch lange nicht«, sagt Betriebs-      chen, mit dem Finger auf ein Problem zu zeigen,        Gundi Fetzer, »wichtig ist, dass man die umgesetz-
                        rätin Fetzer, »aber wir haben viel erreicht.«         und im Nu wird es abgestellt. »So einfach ist es       ten Maßnahmen zeitnah auf ihre Wirksamkeit
                              Damals, 2007, war es nicht sicher, dass das     nicht«, sagt Gundi Fetzer. Zwar gebe es bei der Ge-    überprüft.« Das tun sie in Giengen – etwa mit Ge-
                        gelingen würde – sicher war nach der Analyse          schäftsführung ein prinzipielles Einverständnis        fährdungsbeurteilungen für jeden Arbeitsplatz.
                        der Arbeitsplätze nur eins: dass die körperlichen     darüber, dass Belastungen am Arbeitsplatz gesenkt
                        Belastungen, denen die Beschäftigten bei BSH          werden müssten, und das sei sehr schön. »Nötig         Belastungen vermeiden Wichtig ist aber auch,
                        in Giengen ausgesetzt waren, zu hoch waren.           sind aber konkrete Maßnahmen.«                         schwere körperliche Belastungen möglichst zu
                        »Bei uns in Giengen arbeiten insgesamt 2900                 So wie bei BSH in Giengen ist es in vielen Be-   vermeiden oder, falls das nicht möglich ist, tech-
                        Kolleginnen und Kollegen, 1300 von ihnen sind         trieben quer durch die Republik: Körperlich harte      nische Lösungen zur Reduktion voranzutreiben.
                        in der Produktion. Sie stellen dort Kühl- und         Arbeit gehört noch immer zum Arbeitsalltag vie-        So machen sie es, wenn sie im Werk eine neue
                        Gefriergeräte her. Das ist körperlich anstren-        ler Beschäftigter. Um Belastungen spürbar zu sen-      Linie konzipieren. »Da schauen wir bereits bei der
                        gende Arbeit.«                                        ken, muss man diese im Betrieb zum Thema ma-           Planung auf Ergonomie.« Erst, wenn Belastungen
                              Belastend sind die Taktzeiten von durch-        chen, sich einmischen, konkrete Maßnahmen              sich nicht vermeiden oder mithilfe technischer
                        schnittlich 43 Sekunden, anstrengend die mono-        zum Abbau durchsetzen. Das ist viel Arbeit für         Lösungen abbauen lassen, dringt der Betriebsrat
                        tonen Bewegungsabläufe. Dazu kommt, dass die          den Betriebsrat – genau hier will die IG Metall mit    auf arbeitsorganisatorische- oder persönliche
                        Beschäftigten bei der Fertigung viele Steck- und      ihrer Initiative »Runter mit der Last« unterstützen    Maßnahmen. »Die Seitenwände der Kühlschränke
                        Einrastvorgänge durchführen müssen: Teile müs-        und Orientierung geben. »Es braucht verbindliche       etwa, die sind unhandlich, bis zu zwei Meter hoch.
                        sen angehoben, eingesetzt, eingedrückt, gehalten      Regelungen und klare Prozesse der Zusammenar-          An diesen Arbeitsplätzen haben wir für eine Mit-
                        fest montiert werden – manche Teile sind schwer.      beit«, sagt Gundi Fetzer.                              arbeiter-Rotation gesorgt.« Nein, damit sei nicht
                        »Ein Kühlschrankverdichter wiegt zwischen sie-              Das haben sie am Standort. 2007 haben sie        alles gut – aber eine spürbare Entlastung erreicht.
                        ben und neun Kilo, eine große Tür bis zu 14 Kilo«,    eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen, in der        »Wie gesagt, wir sind nicht am Ziel, der Weg führt
                        sagt Gundi Fetzer. »Das mussten Kollegen heben.«      das Ziel des kontinuierlichen Belastungsabbaus         weiter«, sagt Gundi Fetzer. »Man braucht einen
                              Heute müssen sie das nicht mehr. Heute gibt     festgeschrieben wurde. Später wurde vereinbart,        langen Atem. Den haben wir.«
                        es am Standort passende Hebehilfen, die den Be-       dass Betriebsrat und Geschäftsführung sich dazu                                 Jan.Chaberny@igmetall.de
18        metallzeitung
          Juni 2019

   »Ungleichheit führt
   zur Spaltung«
Wirtschaft Der Markt regelt
alles? Daran hat der Ökonom
Sebastian Dullien noch nie
geglaubt. Im Interview erklärt
er, wie sich Krisen abmildern
lassen – und was Wirtschafts-
politiker vom Fußball lernen
können.

Immer mehr Menschen sind der
Meinung, dass es in Deutschland
ungerecht zugeht. Gerät das Land
in eine soziale Schieflage?
Zumindest nimmt die Ungleichheit in
Deutschland zu. Die Schere zwischen Top-
und Geringverdienern öffnet sich. Das
sorgt für Unmut. Dabei geht es nicht nur
um die ungleiche Verteilung der
Einkommen, sondern auch um die unglei-
che Chancenverteilung. Hier in Berlin geht
ein wachsender Anteil der Schüler auf Pri-
vatschulen. Die haben womöglich bessere
Chancen im Wettbewerb um Ausbildungs-
und Studienplätze. Das sind natürlich Kin-
der aus den oberen Einkommensgruppen.
Die Einkommen der reichsten zehn Pro-
zent steigen besonders stark.

Mit welchen Folgen?
Die Ungleichheit führt zur Spaltung. Die
Einflussreichen werden noch einflussrei-
cher. Das schwächt den gesellschaftlichen
Zusammenhalt. Außerdem schadet Un-
gleichheit langfristig dem Wachstum. Sie
bedeutet, dass Menschen ausgeschlossen
werden, ihr Potenzial im Erwerbsleben
nicht ausschöpfen. Sie arbeiten dann viel-
leicht als Gebäudereiniger, obwohl sie
schlau genug wären, Ingenieur zu werden.
Das ist schlecht für die Wirtschaft.

Wie kann man Ungleichheit                                                      Zur Person:
eindämmen?                                                        Sebastian Dullien leitet seit 1. April das
Wir müssen darauf achten, dass überall                            Institut für Makroökonomie und Konjunktur-
gleiche Lebenschancen entstehen. Das be-                          forschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung.
                                             Foto: Peter Himsel

deutet konkret: bezahlbarer Wohnraum,                             Der 44-Jährige ist außerdem Professor für
gute Schulen, vernünftige Verkehrsanbin-                          Volkswirtschaftslehre an der Hochschule
dung, ordentliche medizinische Versor-                            für Technik und Wirtschaft in Berlin.
metallzeitung
                                                                                                                               Juni 2019
                                                                                                                                           19
gung. Der Staat muss an vielen Stellen        scheuen Unternehmen Investitionen.
stärker eingreifen und steuern.               Sollten die Risiken Realität werden, kann
                                              das zu einem wirtschaftlichen Schock
Welche Rolle spielen die                      oder sogar einer Rezession führen.
Gewerkschaften?
Die Gewerkschaften sind in Deutschland        Und dann?
eine Kraft, die der Ungleichheit entgegen-    Kluge Politik kann Konjunkturschwan-

                                                                                                                                                    Foto: Armin Weigel/BMW Group
wirkt. Aber die Tarifbindung hat abgenom-     kungen dämpfen. Das haben wir in der
men. Das hat mit gesetzlichen Rahmenbe-       Krise 2008/2009 gesehen. Damals hat die
dingungen zu tun. Die Hartz-Gesetze           Regierung entschlossen gehandelt und
haben die Verhandlungsposition der Ar-        Konjunkturpakete verabschiedet. Das hat
beitnehmer geschwächt, weil sie Angst vor     Nachfrage erzeugt und die Zukunftser-
dem Abstieg erzeugt haben. Das muss der       wartungen von Unternehmen und Kon-
Gesetzgeber korrigieren.                      sumenten stabilisiert. Dadurch hat sich       Viele Tätigkeiten werden sich verändern.
                                              die Wirtschaft unerwartet schnell erholt.
Wie?                                                                                            Kurzarbeitergeld für
Die Regierung könnte die Tarifbindung         Heute wäre das schwieriger.
stärken, indem Tarifverträge leichter für     Mit der Schuldenbremse hat sich                   die Transformation
allgemeinverbindlich erklärt werden kön-      der Staat Fesseln angelegt …
nen, damit es keine Armutslöhne gibt. Öf-     Die Schuldenbremse ist ein großer poli-       Strukturwandel Wenn Betriebe im
fentliche Aufträge könnten nur an Unter-      tischer Fehler. Wenn der Staat in Infra-
nehmen vergeben werden, die einen             struktur oder Bildung investiert, dann        Umbruch sind, brauchen Beschäftigte
Tarifvertrag haben.                           profitieren spätere Generationen davon.       Sicherheit und Perspektiven. Die
                                              Dafür kann man guten Gewissens Kredi-         IG Metall hat dazu einen Vorschlag.
  »   Der Staat muss an vielen
      Stellen stärker eingreifen
                                              te aufnehmen. Die Schuldenbremse ver-
                                              bietet das. Dadurch wird die Steuerungs-
                                              fähigkeit im Abschwung begrenzt.              Was es bedeutet, wenn wirtschaftlicher Wandel
      und steuern.     «                      Wo sollte der Staat investieren?
                                                                                            konkret wird, lässt sich zurzeit in der Autoindustrie
                                                                                            beobachten: Volkswagen steuert rasant in Richtung
                                              Stromnetze, Straßen, Schienen, öffentli-      E-Mobilität und will in der Folge Tausende Stellen
Sollte der Staat auch in der                  cher Nahverkehr, öffentlicher Woh-            streichen. Bei Dieselzulieferern bangen Beschäftigte
Industriepolitik aktiver werden?              nungsbau, Schulen. Die Liste ist lang.        um ganze Standorte. Diese Umbrüche werden sich
Auf jeden Fall. Industriemächte wie China                                                   fortsetzen. Digitalisierung, Klimaschutzmaßnah-
betreiben eine sehr strategische Industrie-   Gerade haben wir eine neues                   men, Globalisierung und Demografie treiben den
politik, fördern gezielt Schlüsseltechnolo-   EU-Parlament gewählt. Sie fordern             Wandel voran. Das hat Folgen für den Arbeits-
gien. Wir dagegen sagen: Das muss der         mehr Kompetenzen für Europa, eine             markt. Viele Tätigkeiten werden sich stark verän-
Markt richten. Wird er aber nicht. Es ist     europäische Wirtschaftsregierung.             dern. Neue Qualifikationen sind gefragt. Manche
wie beim Fußball: Eine reiche Mann-           Warum?                                        Arbeitsplätze werden verschwinden, andere neu
schaft, die sich Top-Spieler kaufen kann,     Weil der Euro auf der Kippe steht. Viele      entstehen.
spielt gegen eine mittellose Amateur-         Populisten wollen ihn abschaffen. Für die           Um diese Transformation zu bewältigen, ohne
mannschaft. Das ist kein faires Spiel.        deutsche Wirtschaft wäre ein Auseinan-        dass zahlreiche Menschen arbeitslos werden, hat die
                                              derbrechen der Eurozone katastrophal –        IG Metall einen Vorschlag: eine neue Form des
Wie geht gute Industriepolitik?               vor allem für die Metall- und Elektroin-      Kurzarbeitergelds (KuG), das Transformationskurz-
Wir müssen Zukunftstechnologien iden-         dustrie. Eine neu eingeführte D-Mark          arbeitergeld. Damit könnten Betriebe und Beschäf-
tifizieren und fördern. Die öffentliche       würde im Vergleich zum Euro massiv an         tigte unterstützt werden, die von technologischem
Hand könnte gezielt entsprechende Pro-        Wert zulegen. Damit würden unsere Ex-         oder sonstigen Strukturwandel betroffen sind.
dukte kaufen, die noch dazu aus der EU        porte im Ausland unerschwinglich. Der
stammen. Das würde eine gesicherte            Export würde einbrechen.                      Brücken bauen Das Transformationskurzarbeiter-
Nachfrage schaffen und damit Planungs-                                                      geld funktioniert so: Ein Betrieb steht vor einem
sicherheit für europäische Unternehmen.       Woher kommt die weit verbreitete Eu-          Umbauprozess. Der Umbau braucht Zeit und es
Das fördert Technologieentwicklung.           ropaskepsis?                                  kommt zunächst zu Arbeitsausfall. Auf die Beschäf-
                                              Viele Menschen haben das Gefühl, dass         tigten kommen neue und veränderte Anforderun-
Derzeit häufen sich schlechte Konjunk-        Europa seine Versprechen nicht einlöst. In    gen und Tätigkeiten zu.
turprognosen. Kommt die Rezession?            Italien sind die Einkommen heute niedri-            In solchen Lagen soll das Transformations-KuG
Es gibt Schwächesignale aus der Industrie,    ger als vor zehn Jahren. Wir brauchen In-     eine Brücke bauen. Es verhindert Entlassungen und
Maschinenbau oder Autoindustrie. Aber         vestitionen für mehr Wachstum. Länder         minimiert die Entgeltverluste der Beschäftigten wäh-
die Erwerbstätigkeit ist hoch und die         im Abschwung brauchen Unterstützung.          rend des Arbeitsausfalls. Außerdem soll die Kurzar-
Löhne steigen. Das stärkt die Inlands-        Von einer Stabilisierung Europas profitiert   beit mit Qualifizierung verbunden werden. Unter-
nachfrage und trägt derzeit noch die Kon-     kaum ein Land so wie Deutschland. Das ist     nehmen und Betriebsräte entscheiden gemeinsam,
junktur. Es gibt weiter leichtes Wachstum.    unser ureigenes wirtschaftliches Interesse    welche Fortbildung am sinnvollsten ist. Nach dem
Aber es gibt große Risiken: den Brexit, die   – gerade auch aus Sicht der Arbeitnehmer.     Transformationsprozess können die Beschäftigten
unberechenbare Handelspolitik von Do-         Das sollte uns etwas wert sein.               mit neuen Fertigkeiten weiterbeschäftigt werden.
nald Trump. In dieser Unsicherheit                        Simon.Berberich@igmetall.de          igmetall.de/fairwandel
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