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Mitgliederinformation Naturschutz in der Agrarlandschaft Hessische Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz e.V. Lindenstraße 5, 61209 Echzell www.hgon.de
2 HGON Mitgliederinfo – Juni 2016 Die Samen der Vergangenheit sind die Früchte der Zukunft! (Buddhistische Weisheit) Impressum Hessische Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz e. V. Lindenstraße 5, 61209 Echzell Telefon 06008 - 1803, Telefax 06008 - 7578 E-Mail: info@hgon..de Internet: www.hgon.de Titelseite: Feldhamster (Cricetus cricetus) Foto: Leopold Kanzler Spendenkonto: Sparkasse Oberhessen IBAN: DE07 5185 0079 0085 0026 94 BIC: HELADEF1FRI
Sonderheft: Naturschutz in der Agrarlandschaft 3 Liebe Freundinnen, liebe Freunde, heute gibt es in Hessen weniger Feldhamster als Pandabä- zu verpachtender Domänen und Bewirtschaftungs- ren in der Welt. Der Bestandsrückgang des Rebhuhns ist auflagen für den domänenfiskalischen Streubesitz. ähnlich dramatisch wie der des Blauwals zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts. Die Diskussion um ein Ende ■■ Und schließlich brauchen wir ein Umdenken und Um- der Bejagung von Feldhase und Rebhuhn, um die Zulas- lenken auf großer Fläche, Verbesserungen beim soge- sung von Glyphosat oder die Wirkung von Neonicotinoi- nannten Greening und effektiven Einsatz der Agrar- den hat den alarmierenden Zustand der Tierwelt des Of- umweltmaßnahmen insbesondere auf Ackerflächen. fenlandes in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. All das muss schnell kommen. Es bedarf eines entschlossenen Die Ursachen liegen ganz unabhängig von einzelnen Fakto- Einsatzes von personellen Ressourcen, zusätzliche Mittel für ren auf der Hand: die massive Zunahme von Winteransaaten attraktive Vertragsnaturschutzangebote in Gunstlagen des und die gleichzeitige enorme Steigerung der Erträge je Hek- Ackerbaus und einen strengeren ordnungsrechtlichen Rahmen. tar. Binnen einer Generation hat sich der Hektarertrag fast vervierfacht. Auf so bewirtschafteten Flächen ist kein Leben Der Diskussionsprozess mit der Landwirtschaft ist nicht ein- mehr möglich, weder für konkurrierende Blütenpflanzen noch fach, aber unumgänglich. Auch der Verbraucher ist gefragt. für Insekten. Es bleibt auch kein Korn für diejenigen mehr lie- Mit unserer unbestechlichen Datengrundlage haben wir den gen, die den Winter in unseren Breiten überleben müssen. Handlungsbedarf deutlich gemacht. Wir haben uns auch de- taillierte Vorschläge zur Verbesserung der Situation vorge- Deswegen muss jetzt rasch und entschlossen gehandelt werden: legt. Und niemand sollte darauf hoffen, dass wir im Kampf für Feldhamster und Feldlerche nachlassen werden. Letztlich ■■ Die Vorkommen der Wiesenvögel sind inzwi- führen wir diesen Kampf auch für jene, die sicher sein wollen, schen beschränkt auf wenige Naturschutzgebie- dass die Lebensmittel, die sie täglich auf den Tisch bekom- te. Hier muss der Artenschutz uneingeschränkten men, gesund sind und Vielfalt fördern statt sie zu vernichten. Vorrang vor Nutzungsinteressen bekommen. Wo möglich müssen die Gebiete ausgedehnt werden. Mit herzlichen Grüßen ■■ In den wenigen Gebieten, in denen die Tierarten der Ackerlebensräume noch vorkommen oder ihre höchsten Dichten haben, müssen Agrarumweltmaßnahmen kon- zentriert angeboten werden. Dazu ist der Einsatz speziell ausgebildeter, ökologisch versierter Berater unerlässlich. ■■ Das Land Hessen muss mit gutem Beispiel vorange- hen. Das betrifft die eigenbewirtschaftete Domäne Beberbeck, die Kriterien für die Ausschreibung neu
4 HGON Mitgliederinfo – Juni 2016 Foto: Julian Rad 14 18 16 Foto: Klaus Schürmann Foto: Stefan Pfützke Sonderheft: Naturschutz in der Agrarlandschaft Inhalt LandWIRTSCHAFT - hocheffiziente Produktionsstätte Seite 6 Weder Nachtigall noch Lerche – Situation Vögel Seite 10 Katastrophale Verluste bei Insekten und Amphibien Seite 12 Staatsdomänen in Hessen Seite 13 Einer macht sich vom Acker – der Feldhamster Seite 14 Der Feldhase in Hessen Seite 16 Steht die Erde vor einem massenhaften Aussterben von Tier- und Pflanzenarten? Seite 18 Zur Bedeutung des Ökologischen Landbaus für die Artenvielfalt in der Feldflur Seite 23 HALM – Hessisches Programm für Agrarumwelt- und Landschaftspflegemaßnahmen Seite 26 Schutzmaßnahmen für Feldvögel im Vogelschutzgebiet Hellwegbörde (NRW) Seite 28 Landwirtschaft und Biodiversität – die Positionen der HGON e.V. Seite 30 Biodiversität in Agrarlandschaften ohne Ackerwildkräuter? Seite 34 Anbau von Energiepflanzen in der Agrarlandschaft: Mehr Fluch als Segen? Seite 36 Luzerneanbau und Ernteverzicht im Feldhamsterschutz Seite 38
Sonderheft: Naturschutz in der Agrarlandschaft 5 Otto Diehl zum 90. Geburtstag Diese Mitgliederinformationen sind der Tierwelt der Agrarlandschaft gewidmet, die in den zurückliegenden fünf Jahrzehnten unter massiven Bestandsrückgängen zu leiden hatte. Otto Diehl gehört zu den Chronisten dieser Entwicklung seit der ersten Stunde, zu ihren schärfsten Kritikern und zu den engagiertesten Natur- schützer im Offenland. In diesem Jahr feierte Otto Diehl seinen 90. Geburtstag. Die HGON gratuliert ihrem langjährigen Mitglied, Vorstands- und Ehrenmitglied! Otto Diehl hat erlebt, wie sich die Landschaft seiner Heimat veränderte. Chlorier- te Kohlenwasserstoffe, die als DDT zur Insektenvernichtung in der Landwirtschaft eingesetzt wurden, brachten die Wanderfalken seiner Heimat unmittelbar an den Rand der Ausrottung. Otto Diehl ruhte nicht, bis DDT verboten, Brutfelsen ge- schützt und die Wanderfalken wieder zurückgekehrt waren. Otto Diehl musste mitansehen, wie Brachvogel und Kiebitz aus den Wiesen sei- ner Heimat verschwanden. Er hat alles daran gesetzt, weite Auenbereiche unter Schutz zu stellen, in das Eigentum den Naturschutzes zu überführen und für die Wiesenvögel optimal zu pflegen. Otto Diehl war einer der ersten Mahner, der sich gegen die Rodung der Streuobst- wiesen stemmte. Er hat um jeden alten Hochstamm gekämpft und Baum für Baum neu gepflanzt, damit Gartenrotschwanz und Steinkauz auch in Zukunft Raum zum Leben haben. Kurzum: Otto Diehl verkörpert mit seiner langen Lebensleistung die ganz Dramatik der Entwicklung in der Agrarlandschaft, aber auch die Chancen, die konsequenter, nachhaltiger Naturschutz mit langem Atem auch im Offenland hat.
6 HGON Mitgliederinfo – Juni 2016 LandWIRTSCHAFT Die Feldflur ist heute eine hocheffiziente Produktions- stätte für Nahrungsmittel, in der kein Platz mehr ist für Leben. Ihre Bewohner, der Naturschutz und seine Inst- rumente haben sich diesem Wandel nicht angepasst. ▲ W int e ran b a u ( gr ü n ) vs . S omm e ran b a u ( orang e ) Heute wird auf 64 % der Anbaufläche Wintergetreide oder Winterraps angebaut, Nicht jede gravierende Umweltzerstörung Lebensraum waren. In erster Linie ist Land- grad steigt und ebenso die Maschinengrö- ist so offensichtlich wie die Rodung des wirtschaft der Kampf gegen die Natur, ße. Das hat nicht nur größere Ackerschlä- Amazonas-Regenwaldes, das Abtorfen zunächst gegen den Wald, später gegen ge zur Folge. Auch die Bearbeitungsbreite eines Hochmoores oder die Überbauung unliebsame Kräuter und vermeintliche wächst und mit ihr verringert sich die Zahl einer Streuobstwiese. Aber auch subtile, tierische Schädlinge. Landwirtschaft ist - der Fahrspuren. Die Fahrspuren bilden oft auf den ersten Blick kaum wahrnehmbare wie der Name sagt - Wirtschaft. Und wie die einzige Möglichkeit, sich innerhalb Lebensraumveränderungen vor unser' al- in der Industrie gilt auch in der Landwirt- des Feldes auf dem Boden zu bewegen. ler Augen können gravierende Folgen ha- schaft, dass allgemeiner Wohlstand und Das gilt für Vogelarten wie Prädatoren ben. Die Äcker unserer Jugend sind auch Wachstum bei starken demographischen gleichermaßen. Der Saatreihenabstand heute noch Ackerflächen. Es wird dort kein Veränderungen eine Steigerung der Pro- ist dramatisch gesunken, sodass das Licht DDT mehr gespritzt, der Düngemittelab- duktivität erfordern. Vereinfacht gesagt, den Boden nicht mehr erreicht und Tiere satz ging seither zurück und der Anteil des muss heute in allen Wirtschaftszweigen sich im Getreidefeld nicht mehr bewegen Ökolandbaus ist stetig gestiegen. Aber die bei geringerem Arbeitskräfteeinsatz mehr können. Mit der Größe der Maschinen ist Tiere, die wir in unserer Jugend dort ge- produziert werden, wofür nicht selten auch die Geschwindigkeit rasant gestie- sehen haben, die gibt es nicht mehr. Der auch noch weniger gezahlt wird. Für die gen, mit der ganze Landstriche innerhalb Himmel ist nicht mehr erfüllt vom Feldler- Landwirtschaft heißt das konkret: 1971 weniger Stunden abgeerntet werden, für chen-Gesang. Und Rebhühner sind binnen waren in der Landwirtschaft noch 12 Ar- alle Tiere ein katastrophaler Eingriff in weniger Jahre zur Ausnahmeerscheinung beitskräfte auf 100 ha tätig, heute sind es den Lebensraum. Die Weiterentwicklung geworden. Was also ist passiert? noch drei. Gleichzeitig hat sich der Ertrag der Landmaschinen hat auch eine erheb- ja Hektar Ackerfläche seit Kriegsende bei liche Steigerung der Ernteeffektivität zur Der Schlüssel zum Verständnis vielen Feldfrüchten mehr als verdreifacht. Folge: kaum ein Körnchen bleibt übrig als Herbst- oder Winternahrung. Der Schlüssel zum Verständnis des Nie- Kennzeichen der Entwicklung dergangs der Tierwelt der Feldflur ist die Sortenarmut erzeugt Artenarmut Einsicht, dass Äcker nur für die Dauer ei- Eine solche Produktivitätssteigerung geht nes Wimpernschlags der Erdgeschichte auf der Ackerfläche einher mit zahlreichen Sortenvielfalt hatte über einen gewissen mehr oder minder unbeabsichtigt auch Veränderungen. Der Mechanisierungs- Zeitraum einen Teil der negativen Folgen
Sonderheft: Naturschutz in der Agrarlandschaft 7 ▲ Etrags e ntwic k l u ng Die - atemberaubende - Entwicklung der Winterweizenerträge in Dezitonnen je Hektar der Mechanisierung mildern können. Der Anbau von Kartoffeln werden in Hessen täglich 3,5 ha Fläche überbaut, ein Großteil oder Zuckerrüben bot Rückzugsräume in begrenztem Maße. davon Ackerfläche. Die Ackerfläche ist von 650.000 ha in den Aber der Anteil dieser sogenannten Hackfrüchte am Ackerbau Nachkriegsjahren auf aktuell unter 500.000 ha gesunken. in Hessen ist von über 20 % auf unter vier Prozent gesunken. Der sterile Maisanbau wird nach einem Zwischentief um die Südhessen unter Folie Jahrtausendwende heute wieder auf 10 % der Ackerfläche an- Wie stark wir alle mit unserem Einkaufsverhalten zur Verände- gebaut, eine Folge der Biogasproduktion. rung der Landschaft beitragen, zeigt sich am Anbau von Spar- gel. Um besonders früh (und damit teuer) und lange Spargel Der Verlust des Frühjahrs anbieten zu können, werden heute rund 70 % unter Folie ange- Die großen Gewinner unter den Feldfrüchten sind Winter- baut. Die Folie dient dazu, die Erwärmung des Bodens zu steu- weizen und Winterraps. Ihre Anbaufläche hat sich seit dem ern und so eine Verfrühung der Spargelernte um zwei bis drei zweiten Weltkrieg verdreifacht und macht heute nahezu zwei Wochen zu erzielen. Für Vögel sind die überspannten Flächen Drittel der Ackerfläche aus. Sommergetreide hat sich parallel ausgerechnet zur Brutzeit wertlos. Das Phänomen betrifft vor dazu von der dominierenden Anbauform zum Nischenprodukt allem die südhessischen Kreise Groß-Gerau, Bergstraße und entwickelt haben. Das hat fatale Folgen für die Ackerbiozöno- Darmstadt-Dieburg und dort etwa 5 % der Ackerfläche. se: durch die zeitliche Vorverlegung der Bewirtschaftung fällt die Erstbrut der Feldlerche komplett aus und die wenigen Feld- Viele Jäger ... hamster stehen just kurz vor dem Winterschlaf vor dem Nichts. Und als ob das alles noch nicht genug wäre, wehrt sich der Lan- desjagdverband gegen die ganzjährige Verschonung von Reb- Ackerflächen - Opfer ungebremster Bauwut huhn und Feldhase. Mit der neuen hessischen Jagdverordnung Ackerflächen in Hessen sind über die bewirtschaftungsbeding- ist für diese gebeutelten Arten nun zumindest vorübergehend ten Einschränkungen hinaus von der Überbauung am stärks- Ruhe erzielt. Aber viele Arten des Offenlandes sind in ausge- ten betroffen. Nachdem die Siedlungserweiterungen zunächst räumten Landschaften mit monotonen großen Ackerschlägen noch die Streuobstwiesen betrafen, findet Siedlungserweite- ihren Fraßfeinden schutzlos ausgeliefert, was die geschrumpf- rung heute hauptsächlich in Ackerflächen statt. Nach wie vor ten Restbestände weiter belastet.
8 HGON Mitgliederinfo – Juni 2016 ▲ R ü c k gang d e r A c k e rf l ä ch e Kein wirksames Schutzinstrument logischen Landbau. Der Ökolandbau ist al- auch nicht mehr Engagement erwarten als lerdings vor allem abseits der hessischen von einem Industriebetrieb. Umgekehrt Die Mütter und Väter des Naturschutz- Ackerbauregionen verbreitet, weswegen bedeutet das aber auch, dass die Privilegie- rechts konnten oder wollten die Ent- seine Förderung momentan nicht zum rung der Landwirtschaft im Naturschutz-, wicklung der Landwirtschaft nicht Schutz der Ackerbiozönose in deren Dich- Bau- und Steuerrecht beendet werden vorhersehen. Die Instrumente des Na- tezentren beiträgt. Ein weiterer großer muss. Sie sind Relikte aus einer Zeit, als turschutzrechts sind gegen die Katast- Teil der Agrarumweltmaßnahmen dient der Landwirt auch Landschaftspfleger war. rophe auf dem Feld nicht gemacht. Na- der Grünlandextensivierung und trägt Diese Zeiten sind zumindest in den Acker- turschutzgebiete, die Rückzugsorte der nicht zum Bremsen der Artenerosion auf baugebieten vorbei. Dort müssen für die Natur, greifen in der Feldflur nicht. Im Ackerflächen bei, ebenso wie Maßnah- Landwirtschaft die Regeln gelten, die auch Gegenteil, Ackerflächen sind konsequent men der Weinbauförderung oder Boden- für andere Gewerbetreibende gelten: Sub- aus den Naturschutzgebieten ausgenom- verbesserung. Nur ein verschwindend ventionen nur gegen Gemeinwohlleistun- men. geringer Teil der Maßnahmen findet auf gen, Abschaffung der Privilegierung des Ackerflächen statt. Bauens im Außenbereich, Abschaffung der Keine Strategie gegen den Flächenver- Landwirtschaftsklausel im Naturschutz- brauch Rettung beginnt mit dem Abschied von recht. Nur wenn beide Seiten die Ehrlich- Der Flächenverbrauch in Hessen geht Illusionen keit aufbringen, die Landwirtschaft realis- trotz starker Bevölkerungsverschiebungen tisch als Teil der Nahrungsmittelindustrie Um dem Artenschwund auf Ackerflächen ungebremst weiter. Eine wirksame Stra- einzuordnen und entsprechend zu behan- wirkungsvoll zu begegnen, müssen Natur- tegie gegen den Flächenverbrauch gibt es deln, werden bescheidene Fortschritte zu schützer zunächst anerkennen, dass der nicht. Kommunale Egoismen bestimmen erzielen sein. Die Rettung von Feldlerche, Landwirt Landwirtschaft macht. Landwirte die Raumplanung. Fehlanreize bei der Ge- Feldhamster und Feldhase beginnt mit sind ökonomisch hochgradig erfolgreiche meindefinanzierung und im Steuerrecht dem Abschied von der romantischen Vor- Produzenten von Nahrungsmitteln. Nah- fördern den Neubau und die ruinöse Kon- stellung vom Bauern, der im Märzen die rungsmittel, die der Verbraucher, auch der kurrenz um Einwohner und Gewerbean- Rößlein einspannt. Von dieser Vorstellung naturschützende Verbraucher, zu sehr ge- siedlung. Leidtragende sind die Tiere und müssen sich Landwirte und Naturschützer ringen Preisen angeboten bekommt. Der Pflanzen der Ackerlebensräume. gleichermaßen lösen. Langfristig bedarf es Landwirt hat zunächst keine höhere Ver- aber vor allem einer Neubewertung von Le- pflichtung zum Schutz der Natur als ein In- Wirkungslose Agrarumweltmaßnahmen bensmitteln und eines radikalen Wandels dustriebetrieb, zumindest solange er keine des Verbraucherverhaltens, auf den wir alle Von den Mitteln für Agrarumweltmaß- staatlichen Privilegien genießt oder Sub- hinarbeiten müssen. nahmen fließt ein großer Teil in den öko- ventionen erhält. Und man kann von ihm Oliver Conz
Sonderheft: Naturschutz in der Agrarlandschaft 9 Foto: R.W. Wagner, pixelio Foto: Erwin Wodicka Foto: Mathias Schaef Foto: Christian Beuschel, pixelio Innerhalb einer Generation hat sich das Bild der Agrarlandschaft gewandelt vom Lebensraum, in dem auch Lebensmittel produziert wurden, zur lebensfeindlichen Produktionsstätte.
10 HGON Mitgliederinfo – Juni 2016 Situation Tierwelt Vögel: Weder Nachtigall noch Lerche Exemplarisch für den Zustand der Fauna zent. Betrachtet man die einzelnen Pro- zurückgegangen, eine Besserung ist nir- in der Agrarlandschaft steht die beson- beflächen, so dominieren Rückgänge in gends erkennbar. Das Verbreitungsgebiet ders gut untersuchte Feldlerche. Im Jahr 38 Flächen gegenüber gleichbleibenden der nahe verwandten Grauammer ist zwi- 1998, also schon vor knapp 20 Jahren, war Beständen in acht Gebieten sehr deutlich. schen den Jahren um 1980 und 2010 sogar die Feldlerche Gegenstand einer landes- Nur in zwei Gebieten war eine Zunahme um etwa 80 Prozent zurückgegangen, die weiten Kartierung der HGON auf Probe- festzustellen. In zwei Gebieten war die Art Art kommt in Hessen nur noch mit knapp flächen, da sie in diesem Jahr zum „Vogel sogar ganz verschwunden. Diese alarmie- 300 Paaren vor. des Jahres“ ernannt worden war. renden Befunde stimmen genau mit den Ergebnissen des Monitorings häufiger Noch langfristigere Bestandsangaben lie- Der Grund: der bundesweite Bestand war Brutvogelarten des DDA überein, das von gen nur für das Rebhuhn vor, von dem in seit 1978 um mehr als 20 Prozent zurück- der HGON organisiert zwischen 1994 und den 1950er und 1960er Jahren in Hessen gegangen, in einigen Regionen betrug der 2013 in Hessen einen kontinuierlichen noch Jagdstrecken von oft mehr als 50.000, Rückgang in diesem Zeitraum sogar mehr Rückgang von annähernd 60 Prozent be- im Jahr 1959 sogar von mehr als 100.000 als 50 Prozent. Dokumentierte Abnahmen legen. Tieren erzielt wurden. In Anbetracht der somit seit fast 40 Jahren und unüber- Bejagungsmethoden sind diese Zahlen mit sehbare Alarmsignale schon vor gut 20 Alarmierender Rückgang bei den Hecken- einem Bestand von 500.000 bis einer Mil- Jahren – Zeit genug für Initiativen zum brütern lion Rebhühnern in Hessen gleichzusetzen! Schutz der Art und der Agrarökosysteme. Heute ist von etwa 4.000 Revieren auszu- Eine erneute Kartierung der schon 1998 Bei den Heckenbrütern herrschen eben- gehen, was selbst in einem Jahr mit gutem erfassten Flächen in Hessen zeigt aber falls gravierende Abnahmen vor, obwohl Bruterfolg wie 2015, als im Durchschnitt keinerlei Verbesserung der Situation oder seit den 1980er und 1990er Jahren vieler- von 160 Beobachtungen pro Kette 7,6 Tiere zumindest einen Stopp der Abnahme. Im orts gezielt Hecken und Gebüsche zum gemeldet wurden, einem Herbstbestand Gegenteil, eine annähernde weitere Hal- Schutz dieser Arten angepflanzt wurden, von höchstens 30.000 Rebhühnern ent- bierung des Bestandes! In besonders dicht gleichermaßen durch haupt- wie ehren- spricht. Gegenüber den 1950er und 1960er von Menschen besiedelten Gebieten, wie amtlichen Naturschutz und auch Jagd- Jahren ist somit von einem Rückgang um den Kreisen Offenbach und Main-Taunus, pächter. Trotzdem ist das Vorkommen der 94 bis 97 Prozent auszugehen. lag der Rückgang sogar bei etwa 60 Pro- Goldammer seit 1994 um etwa 40 Prozent ▲ Gesamtzahl der Feldlerchen-Reviere auf 2600 ha: Auf der sowohl im Jahr 1998 als auch 2015 mit gleicher Methode erfassten, identischen Fläche von 2.600 ha ist ein Rückgang der Zahl der Feldlerchen von 930 auf 517 Reviere und damit um 44,4 Prozent festzustellen.
Sonderheft: Naturschutz in der Agrarlandschaft 11 ▲ FELDLERCHE (Alauda arvensis). Foto: Maren Reinecke, www.reinecke-naturfotografie.de Im Vergleich mit den zahlreichen Acker- land-Vogelarten mit oft gravierenden Bestandsrückgängen nehmen nur zwei Arten in diesem Lebensraum zu: Wiesen- schafstelze und Dorngrasmücke. Die po- sitiven Entwicklungen der beiden Arten sind allerdings artspezifisch begründet und somit kein Hoffnungsschimmer für in Teilen erfolgreiche Schutzmaßnahmen der Fauna der Ackerstandorte. Während die Dorngrasmücke sich noch immer von einem gravierenden Bestandseinbruch infolge gewaltiger Verluste im Winter- quartier während der Saheldürre Ende der 1960er Jahre erholt, kann die Schafstelze als einzige Art durch sehr weite Nah- rungsflüge von oft mehr als 1.000 m Nah- rungsmangel im Brutgebiet ausgleichen. ▲ Bestandsentwicklung der Feldlerche in Hessen nach den Ergebnissen des Monitorings häufiger Arten; der Stefan Stübing prozentual angegebene Rückgang liegt zwischen 1994 und 2013 bei knapp 60 Prozent.
12 HGON Mitgliederinfo – Juni 2016 Situation Tierwelt Katastrophale Verluste bei Insekten und Amphibien! Ähnlich wie bei vielen Vogelarten oder Dramatischer Verlust selbst der Insekten- Diese Ergebnisse stimmen gut mit der sogar stärker als bei diesen waren viele vorkommen Erfahrung älterer Autofahrer überein: Amphibienvorkommen in den 1960er bis mussten vor 30 Jahren auf längeren Fah- 1980er Jahren besonders stark durch Tro- Untersuchungen in den Ackergebieten ren noch regelmäßige Stopps eingelegt ckenlegungen und Verfüllung von Gewäs- der Wetterau haben gezeigt, dass dort werden, um die Frontscheibe von der Ver- sern betroffen. Bestände dieser Arten- über viele Quadratkilometer kaum noch schmutzung durch kollidierte Fluginsek- gruppe, dies es geschafft hatten, sich bis Heuschrecken zu finden sind. Selbst an ten zu reinigen, tritt eine solche Situation in die 1990er Jahre zu retten (oder denen grasigen Feldwegen gibt es oft keine re- selbst nach tausenden Kilometern Auto- durch gezielte Schutzmaßnahmen und produzierenden Populationen selbst der bahnfahrten heute trotz der viel höheren den Bau von Amphibienleiteinrichtungen häufigsten Arten dieser typischen Offen- Geschwindigkeiten nicht mehr auf. an Straßen geholfen wurde), sollten hin- landgruppe mehr. Dies gilt auch für Tag- gegen von den auch heute noch aktuellen falter – zwar ist der eine oder andere Kohl- Diese verbreitete Erfahrung spiegelt sich hohen Naturschutzstandards profitieren weißling, Admiral oder Kleine Fuchs auch in einer Untersuchung des Entomologi- und eine zumindest gleichbleibende oder in der ausgeräumten Agrarlandschaft zu schen Vereins in Krefeld wider, der in den auch deutlich zunehmende Bestandssitu- sehen, doch handelt es sich dabei fast im- letzten 20 Jahren einen Rückgang des In- ation aufweisen. Vielerorts und für gezielt mer um umherwandernde Tiere. sektenaufkommens bei Fallenfängen um geförderte Arten wie den Laubfrosch trifft etwa 80 Prozent dokumentierte. das auch zu. Die Situation der Arten, die Die Reproduktion, die im Sommer nur in Ackerlebensräumen vorkommen oder wenige Wochen benötigt, ist hingegen Fazit all dieser Daten: es fand und findet zumindest während der Laichwanderung aufgrund fehlender Nektarpflanzen für ein dramatischer Rückgang der Flora und solche Bereiche durchqueren, hat sich in die Imagines und Futterpflanzen für die Fauna in Hessen statt, der besonders dra- den 20 Jahren seither jedoch weiter mas- Raupen nicht mehr möglich. Und sollten matisch in den Ackergebieten zu einem siv verschlechtert. So zeigen die Fanger- die Futterpflanzen noch stellenweise zu stummen Frühling führt. gebnisse an fünf Amphibienzäunen in Of- finden sein - infolge der regelmäßigen Stefan Stübing fenlandbereichen im Wetteraukreis allein Mahdvorgänge entlang der Feldwege in den Jahren ab 2005 einen Rückgang wären auch hier Reproduktionsversuche von 85 Prozent. (s. Abb. unten) erfolglos. ▲ Bestandsentwicklung aller Amphibienarten an fünf Fangzäunen im Wetteraukreis seit 2005
Sonderheft: Naturschutz in der Agrarlandschaft 13 Eine Chance für die Natur: Staatsdomänen in Hessen ▲ Eine naturschutzfreundlicher Bewirtschaftung der Staatsdomänen könnte zu mehr Biodiversität führen. Foto: Matthias Korn Staatsdomänen sind im Eigentum des sowie im Umweltbereich, die Belange der Die Frage, ob vorrangig an Betriebe ver- Landes stehende größere landwirtschaft- Landwirtschaft und unterstützen mit ihrer geben werden soll, die nach den Kriterien liche Besitzungen. Gemäß Angaben des Tätigkeit Forschung, Lehre und Beratung.“ des Ökologischen Landbaus wirtschaften, Hessischen Ministeriums für Umwelt, wird verneint, dies soll nicht vorgeschrie- Von den 50 Domänen und ehemaligen Klimaschutz, Landwirtschaft und Ver- ben werden. Domänen (jetzt Pachtobjekte) werden 13 braucherschutz verfügt das Land Hessen nach Kriterien des Ökologischen Land- Derzeit steht nach Angaben der HLG kei- über rund fünfzig Staatsdomänen und baus bewirtschaftet, 2 davon sind den Ag- ne Verpachtung auf dem Weg der öffent- Pachtobjekte mit einer Gesamtfläche rarfakultäten der Uni Kassel und Gießen lichen Ausbietung an. von rund 8.600 ha. Weitere rund 6.200 angegliedert als Lehr-, Forschungs- und ha sind domänenfiskalische Einzelgrund- Gemäß o.g. Landtagsdrucksache stehen Transferzentren, bzw. Versuchs-betrieb. stücke (Streubesitz), die überwiegend an in dieser Legislaturperiode noch einige landwirtschaftliche Betriebe verpachtet Bei endenden Pachtverträgen hat der bis- Neuverpachtungen an, z.B. Staatsdomäne werden. herige Pächter nach der bisher geübten Netze im Landkreis Waldeck-Frankenberg Praxis die Möglichkeit, erneut zu pachten. (2018), Nonnenhof im Wetteraukreis Die Verwaltungsaufgaben für das domä- Nur, wenn dies nicht der Fall ist, werden (2017), Rüdigheimer Hof im Main-Kinzig- nenfiskalische Grundvermögen werden Staatsdomänen öffentlich ausgeboten. In Kreis (2017). Daneben wird die Domäne seit 2003 von der Hessischen Landge- der o.g. Landtagsdrucksache heißt es: Beberbeck vom Land in Eigenregie bewirt- sellschaft mbH (HLG) in Kassel wahrge- schaftet und der Eichhof vom Landwirt- nommen. Die HLG sieht in diesen Aufga- „Beantragt der bisherige Domänenpäch- schaftszentrum des LLH. ben nicht nur ökonomische Sicherung, ter zur Erhaltung seiner auf die Pachtung sondern auch Funktionen als positiver gründenden Existenz die Weiterpacht der Bei entsprechend deutlichem politischen Beispielgeber (www.hlg.org): „Durch Domäne, wird dem regelmäßig entspro- Willen könnten hier Chancen liegen, auf standortgerechte, umweltschonende und chen, wenn eine naturschutzfreundliche und die Bio- nachhaltige Wirtschaftsweise geben sie diversität der Arten erhöhende Bewirt- - eine anderweitige Verwendung der (die die Domänen bewirtschaftende Be- schaftung um zu stellen und beispielge- Domäne seitens des Verpächters triebe) der Landwirtschaft Beispiel- und bend für andere Landwirtschaftbetriebe nicht vorgesehen ist, Orientierungshilfe. zu wirtschaften. - der Pächter den Pachtvertrag bisher Außerdem fördern Domänen durch die Barbara Fiselius ordnungsgemäß erfüllt und insbeson- Übernahme von Sonderaufgaben in dere die Domäne vorbildlich bewirt- Acker- und Pflanzenbau, in der Tierzucht schaftet hat, …..“
14 HGON Mitgliederinfo – Juni 2016 Situation Tierwelt Einer macht sich vom Acker - der Feldhamster Der Feldhamster gehört zu den am stärks- Der versteckt lebende Feldhamster ist, als Verbreitung, erschreckende Rückgänge ten gefährdeten Säugetieren Deutsch- typisches Beutetier für Raubsäuger wie erlitten. Während er zwischen 1900 und lands. In den letzten Jahren sind seine Fuchs und Steinmarder sowie für Greifvö- 1998 noch in 228 Messtischblattvierteln Bestände deutschlandweit um 75% zu- gel, auf gute Deckung durch die Vegeta- (TK 4tel) zu finden war, sind heute nach sammengebrochen. Innerhalb seiner his- tion angewiesen. Im Frühjahr und Herbst aktueller Kenntnis nur noch 31 dieser TK torischen Verbreitung ist er bereits aus ist diese Ressource für den hauptsäch- 4tel besetzt: Ein Rückgang der besetzten Brandenburg verschwunden, in Nord- lich in Getreidefeldern siedelnden Nager Gebiete um 86% innerhalb der letzten 100 rhein-Westfalen steht die letzte Popula- knapp, was sich in hohen Mortalitätsra- Jahre. Heute beschränkt sich die hessische tion vor dem Aus und in Rheinland-Pfalz, ten durch Prädation wiederspiegelt. Der Verbreitung der Art auf den Agrargürtel so titelt aktuell die Zeitung Die Welt, wird Ausgleich der Verluste durch guten Re- von Langgöns über die Wetterau bis nach das Aussterben des Feldhamsters in den produktionserfolg kann heute nicht mehr Frankfurt a.M., das Rhein-Main-Gebiet so- nächsten 12 Jahren erwartet, sollten keine gewährleistet werden, da frühe Getreide- wie Inselvorkommen bei Limburg und in ernstgemeinten Schutzanstrengungen Südhessen. ernte und fehlende Rückzugsmöglichkei- unternommen werden. Nach dem die ten zum Ausbleiben bzw. zum Verlust des Das Bundesmonitoring des Feldhamsters Tierbestände unserer Nachbarländern zweiten, populationserhaltenden Wurfes im Rahmen der FFH-Berichtspflicht be- Frankreich, Belgien und den Niederlanden führen. scheinigt den hessischen Feldhamsterbe- und zukünftig auch NRW nur noch durch ständen, die in 9 Stichprobenflächen er- Hinzu kommt, dass sich die Anzahl der Nachzucht, Auswilderung und aufwendi- fasst werden, durchweg den schlechtesten geborenen Jungtiere gegenüber histo- ge Wiederherstellung des Lebensraumes Erhaltungszustand C. rischen Werten deutlich verringert hat, aufrechterhalten werden können, tragen was vermutlich als Folge von geringer Rheinland-Pfalz und Hessen als aktuell Die Gründe für den Bestandsrückgang genetischer Variabilität (Inzucht) auftritt. westlichster, natürlicher Verbreitungs- sind multikausal, jedoch kristallisiert sich Darüber hinaus schaffen es viele Tiere im schwerpunkt der Art, eine besonders gro-die intensive und technisierte Landwirt- Nacherntezeitraum nicht, sich einen ge- ße Verantwortung. schaft mit reduziertem Fruchtartenspek- eigneten und ausreichenden großen Fut- trum, frühen Ernteterminen und wenigen Jedoch hat der Feldhamster auch in Hes- tervorrat für den Winter anzulegen. Viele Zusatzstrukturen als treibende Kraft für sen, verglichen mit seiner historischen Feldhamster verhungern über die Winter- diesen Negativ-Trend heraus. monate in ihrem Bau. Die ungünstigen Deckungsverhältnisse und die unzureichende Nahrungsverfüg- barkeit sollen in Hessen durch Feldhams- terschutzmaßnahmen, die im landeswei- ten Arthilfskonzepts für den Feldhamster von 2007 festgelegt wurden und durch das Agrar-Umweltprogramm HALM fi- nanziert werden, kompensiert werden. Jährlich werden in Absprache mit Land- wirten auf Getreideschlägen sogenannte „Nacherntestreifen“ oder „Hamster-Mut- terzellen“, der partiellen Ernteverzicht von Getreide, geplant (siehe auch auf S. 38). Jährliche Kontrollen zeigen, dass die Maßnahmen zum Teil in hohen Dichten besiedelt werden. Gleichzeitig gehen die Erfolgskontrollen Auskunft über den Po- pulationstrend. ▲ FELDHAMSTER (Cricetus cricetus) in seinem Bau, tief unter der Erde. Foto: Manfred Sattler
Sonderheft: Naturschutz in der Agrarlandschaft 15 ▲ Nach der Ernte sind Feldhamster ihren Feinden schutzlos ausgeliefert. Foto: Manfred Sattler In den letzten Jahren stellt sich dabei deutlich heraus, dass der Maßnahmenerfolg deutlich höher ist, wo die Arbeitsgemein- schaft Feldhamsterschutz (AGF) die Bestände durch regelmä- ßige und intensive Kartierungen erfasst und auf Basis der Er- gebnisse und in zahlreichen Gesprächen mit den Landwirten Schutzmaßnahmen plant. In den Projektgebieten Langgöns, im Main-Kinzig-Kreis und in Frankfurt a.M. West sind die Bestände u.a. auch durch die fortwährende Erhöhung der Maßnahmen- anzahl seit mehreren Jahren stabil. Neben der landwirtschaftlichen Praxis spielt eine ganz we- sentliche Rolle beim Rückgang der Bestände die Verinselung der Populationen durch Verkehrswege, Siedlung- und Gewer- bebau. Die Verkleinerung des effektiven Lebensraumes und die Verhinderung des Populationsaustausches fördern Inzucht und machen kleine Populationen anfällig gegenüber Extremer- eignissen. Besonders im Rhein-Main-Gebiet sind die ohnehin räumlich bereits stark zurückgedrängten Populationen durch Bauprojekte bedroht. Erfahrungsgemäß rückt der vom Aussterben bedrohte Feld- hamster oft nur im Rahmen der Bauplanung in den Fokus der betroffenen Kommunen. Proaktiver Feldhamsterschutz von Seiten der behördlichen Akteure ist unterrepräsentiert. Die Er- fassungen durch das FFH-Monitoring und die Erfolgskontrollen war und sind auch zukünftig nicht ausreichend um den Feld- hamster effektiv mit Schutzmaßnahmen zu versorgen. Ebenso wenig sind die Kenntnisse zum Vorkommen der Art ausrei- chend als Planungsgrundlage für Bauvorhaben. Für den Erhalt des Feldhamsters in Hessen ist es umso wichtiger, dass das eh- renamtliche Engagement im Feldhamsterschutz gestärkt und zum Zweck der Bestanderfassungen auch finanziell gefördert wird. Darüber hinaus sollten das Land und die Kommunen vor allem bei der Planung verstärkt auf die ehrenamtliche Expertise zurückgreifen. AG Feldhamsterschutz
16 HGON Mitgliederinfo – Juni 2016 Situation Tierwelt Meister Lampe – Wettlauf verloren? Jedes Kind kennt den Osterhasen. Millionen davon tummeln die Höhe der Hasenpopulation. Hasen, die damals nicht auf sich jedes Jahr in den Regalen der Supermärkte. In der freien den herbstlichen Treibjagden erlegt wurden, verhungerten im Natur sind Hasen dagegen selten geworden. Gemeinsam mit Winter oder erlagen Krankheiten und Prädatoren. Im folgenden seinen Nachbarn Feldhamster und Feldlerche machen dem Sommer stellte die hohe Reproduktionsrate und vor allem eine Feldhasen die Veränderung der Lebensräume durch die in den niedrige (Junghasen-) Mortalität wieder einen hohen Herbst- letzten Jahrzehnten gestiegene Mechanisierung und Intensi- besatz sicher. Diesen Zusammenhang beschreibt der Begriff vierung der Landwirtschaft zu schaffen. „kompensatorische Sterblichkeit“. Sind Zahlen immer Fakten? Typisch für diese Zeit waren auch jahrweise starke Schwankun- gen, die wohl vor allem auf ungünstige Witterungsbedingun- Die besten historischen Daten zu Feldhasenvorkommen in gen zur Fortpflanzungszeit zurückzuführen waren. Die Jagd- Hessen entstammen der Jagdstrecke. Darin werden jährlich strecke war wohl bis in die 1980er Jahre ein direktes Abbild der die auf der Jagd geschossenen oder anderweitig tot aufgefun- Hasendichte und dokumentiert bis in diese Zeit deren starken denen (sogenanntes Fallwild) Hasen aufgelistet. In den 1960er Rückgang, der so ähnlich auch in anderen europäischen Län- und 1970er Jahren wurden in Hessen noch regelmäßig über dern zu beobachten war. Seither werden Hasen auf freiwilliger 100.000 Hasen pro Jahr erlegt. Trotz dieser hohen Zahl hatte Basis weniger intensiv und lokal überhaupt nicht mehr bejagt. die Bejagung damals großflächig wohl kaum einen Einfluss auf Daher lassen sich die Zahlen heute nicht mehr mit denen aus früheren Jahrzehnten vergleichen und es können aus der Jagd- strecke keine Schlüsse mehr auf die Populationsentwicklung gezogen werden. Feldhasen im Rampenlicht Für die Erfassung und das Monitoring von Feldhasen gibt es seit langem eine praktikable Methode. Im Frühling und Herbst wer- den dazu Felder und Wiesen aus dem Auto heraus mit starken Scheinwerfern abgeleuchtet. Hasen können so auf über 100m Entfernung entdeckt und gezählt werden. Viele Jäger nutzen die dabei gewonnenen Ergebnisse, um die Jagd im Herbst zu planen oder bei zu geringen Besatzdichten auf eine Bejagung zu verzichten. Seit kurzem fordert die neue hessische Jagdver- ordnung eine solche Vorgehensweise als Grundlage für eine Bejagung. Seit dem Jahr 2001 wird der Feldhase im Wildtier- Informationssystem der Länder Deutschlands (kurz: WILD) er- fasst, das deutschlandweit Daten zu jagdbaren Arten sammelt und auswertet. WILD ist eine Initiative des Deutschen Jagd- verbandes und seiner Landesjagdverbände. Auf der aktuellen Ergebniskarte erkennt man die guten Hasengebiete am Rhein und in Norddeutschland. Für Hessen fällt vor allem auf, dass sich bisher nur wenige Re- viere am Monitoring beteiligt haben. Unabhängig davon ist aber bekannt, dass es in Südhessen und in der Wetterau die höchsten Hasendichten in Hessen gibt. In den waldreichen Mit- telgebirgsregionen sind Hasen schon immer seltener gewesen als im Tiefland.
Sonderheft: Naturschutz in der Agrarlandschaft 17 Gründe für den Rückgang Dort erreichen sie sehr unterschiedliche Dichten von weniger als einem Hasen pro km² in intensiv genutzten Ackerbauge- bieten Ostdeutschlands und bis zu über ▲ FELDHASE (Lepus europaeus). Foto: Leopold Kanzler 100 Hasen pro km² in manchen Gebieten Westdeutschlands und in Niederöster- Schutzmaßnahmen reich. Die Unterschiede in der Popula- tionsdichte vor allem durch das Klima Vor dem geschildeten Hintergrund wird die Gefährdungsursachen vor allem auf und die vorherrschende Bodenart und immer wieder ein Bejagungsverzicht eine Erhöhung der (Kultur-)Artendiver- der damit verbundenen Landnutzung zum Schutz des Feldhasen gefordert. Aus sität und der Strukturvielfalt sowie eine bestimmt. Dies äußert sich u.a. in den populationsbiologischer Sicht ist jedoch Extensivierung der Bewirtschaftung. Ob Dichteunterschieden zwischen Ackerbau- eine Bejagung solange unschädlich, so- sich diese unter dem Kostendruck in der und Grünlandgebieten. Der Feldhase ist lange sie sich im Bereich der kompensa- modernen Landwirtschaft auf größerer ein typischer r-Stratege, der sich unter torischen Sterblichkeit bewegt. Dies liegtFläche umsetzen lassen, hängt von der Si- anderem durch eine hohe Reprodukti- auch im Interesse der Jagd, die langfristig tuation vor Ort ab. Welche Rolle dabei Ag- onsleistung und eine geringe Überlebens- nutzbare Hasenvorkommen sicherstellen rarumweltmaßnahmen spielen können, rate auszeichnet. Die Sterblichkeit von will. Das in Hessen geplante Monitoring ist noch nicht vollständig klar. Gute Daten Junghasen ist den Althasen gegenüber soll die notwendigen Daten dafür sicher- liegen zur positiven Wirkung des Öko- deutlich höher. Schätzungen gehen da- stellen. landbaus auf die Situation des Feldhasen von aus, dass 50-95% aller Junghasen ihr vor. Die hohe Nahrungsverfügbarkeit, die erstes Lebensjahr nicht überleben. Neben Damit steigt auch der Anreiz für die Wie- der dort oft praktizierte Feldfutterbau er- der hohen Reproduktionsrate charakte- derherstellung geeigneter Lebensräume zeugt, schmeckt dem Feldhasen auf jeden risieren auch seine Anatomie, Physiolo- als konsequenteste Hilfsmaßnahme für Fall. gie und das Verhalten den Feldhasen als den Feldhasen und weitere bedrohte Beutetier. Am eindrücklichsten zeigt sich Tiere der offenen Agrarlandschaft. Maß- Johannes Lang, Arbeitskreis Wildbiologie letzteres im Mutter-Kind-Verhalten: Hä- nahmenvorschläge zielen im Hinblick auf an der Justus-Liebig-Universität Gießen e.V. sinnen säugen ihre Jungen nur einmal am Tag etwa eine Stunde nach Sonnenunter- gang für wenige Minuten, um Prädatoren nicht auf das Versteck der Junghasen hin- zuweisen. Allerdings nutzen diese Strate- gien unter den Bedingungen der heutigen Agrarlandschaft nicht viel. Zumindest lo- kal können Prädatoren wie der Fuchs in der ausgeräumten Agrarlandschaft einen negativen Einfluss auf die Populations- dichte des Feldhasen haben. Die Haupt- ursache für den europaweiten Rückgang bleibt jedoch die Verschlechterung der Lebensräume durch die Intensivierung der Landwirtschaft. Der Verlust an Pflan- zenartendiversität durch Verarmung der Fruchtfolge und vermehrten Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln scheint dabei ein wesentlicher Faktor zu sein. ▲ Historische Daten zu Feldhamstervorkommen entstammen der Jagdstrecke .
18 HGON Mitgliederinfo – Juni 2016 Steht die Erde vor einem massenhaften Aussterben von Tier- und Pflanzenarten? Wissenschaftler warnen davor seit langem. Fünf Mal gab es das in der Erdgeschichte bisher. Jedes Mal gingen 75 bis 96 Prozent der Arten verloren. Droht nun die sechste Katastrophe? Anders als früher sind es keine natürlichen Faktoren, die den Zu diesem Zeitpunkt aber war der Großteil der Vielfalt bereits erwarteten Schub auslösen, sondern der Mensch wird für die- verschwunden. Beispiele wie der Niedergang von Agrarvögeln sen Kollaps verantwortlich sein. Nach Schätzungen des Ameri- wie dem Rebhuhn und der Grauammer belegen, dass weit can Museum of Natural History werden vor dem Hintergrund mehr Individuen verloren gingen, als dies die offizielle Dar- menschlichen Tuns in den nächsten 30 Jahren 20 bis 50 Pro- stellung Glauben machen will. Das bedeutet: Die europäische zent aller Tierarten aussterben. und deutsche Naturschutz- und Agrarpolitik versagen sogar bei vergleichsweise harmlosen Zielen, wenn sie sich darauf be- Wer der Frage auf den Grund geht, warum das so ist, wird sehr schränkt, einen Zustand anzustreben, der an sich bereits mit rasch auf eine Hauptursache stoßen. Denn in fast allen Fällen, Vielfalt nicht sehr viel gemein hat. wenn es um Verluste von Lebensräumen, von Arten, vor allem von Artendichte und Individuenzahlen geht, hat die konventio- Düstere Aussichten für Ackervögel nelle Landwirtschaft etwas damit zu tun. Moderne Techniken, Im Naturschutz läuft etwas grundschief: Wir hätscheln zwar Mäh- und Erntemethoden wie Erntezeiträume, Pestizide und unsere flagshipspecies – ob sie Kranich und Seeadler heißen Stickstoffdünger nehmen keine Rücksicht mehr auf die Natur. oder Uhu und Wanderfalke, den ersten großen Opfern des in- Hier ist der Schlüssel für den Verlust unserer Vielfalt zu finden, tensivierten Pestizid-Einsatzes, dessen Folgen erst mit einem hier aber auch kann die Menschheit ansetzen, um den drama- riesigen Aufwand wieder geheilt werden konnten. Den Vorzei- tischen Trend umzukehren. gearten geht es oft sehr gut – daneben aber sieht es düster aus, Dabei liegt das Problem weit tiefer und der Schaden hat einen vor allem auf dem Acker. Gerade an der Frage, wie die Land- größeren Umfang als oftmals angenommen: So erkennt die eu- wirtschaft mit ihrer Umwelt umgeht, kristallisiert sich aber der ropäische Politik zwar das Problem Biodiversitätsverlust. Doch Zustand unserer Natur heraus. Zudem hat das Stockholm Res- sie scheitert nicht nur bei der avisierten Trendumkehr. Sie geht ilience Center unlängst klar gemacht, dass die planetarischen darüber hinaus von falschen Basisdaten aus, wenn sie für ihre Grenzen beim Biodiversitätsverlust viel eher erreicht sind als Ziele die Artenfülle der frühen 1990er Jahre annimmt. beim Klimawandel. Dem steht eine EU-Agrarpolitik gegenüber, die ernsthafte Ant- worten scheut. Das ist in der Wissenschaft längst angekom- men, nur bei der Politik nicht. So hat der Leiter des Instituts für Naturschutzforschung am Leipziger Helmholtz Zentrum für Umweltforschung, Klaus Henle, kürzlich knapp geurteilt: „Die EU hat im Prinzip relativ ehrgeizige Biodiversitätsziele - den Verlust an Biodiversität zu verringern, möglichst zu stop- pen bis 2020. Mit den jetzigen GAP-Maßnahmen wird das mit Sicherheit verfehlt werden.“ Greening nur ein grünes Deckmäntelchen? Die Naturschutzverbände sahen sich, als der damalige EU-Ag- rarkommissar Dacian Ciolos 2010 mit einem Bündel von Vor- schlägen die europäische Agrarpolitik grüner gestalten wollte, was als Greening in die Geschichte der europäischen Landwirt- schaftspolitik eingegangen ist, bereits als die Sieger. „Das kann nur besser werden“, jubelten viele und sahen die von der Flur abhängigen Arten durch die Agrarreform 2014 gerettet. Ein Trugschluss. Nur wenige Jahre später zeigt sich: Dieser Versuch ist gescheitert. Die EU-Agrarpolitik ist nur um ein Quentchen verändert worden, da, unter anderem, selbst in den ohnehin ▲ KIEBITZ (Vanellus vanellus). Foto: Herbert Zettl viel zu klein bemessenen ökologischen Vorrangflächen sogar
Sonderheft: Naturschutz in der Agrarlandschaft 19 ▲ WIESENSCHAFSTELZE (Motacilla flava). Foto: Stephan Börnecke Pestizide eingesetzt werden dürfen. So dass bis 2020 möglichst viele landwirt- sern – nicht aber die Biodiversität. Auch lässt sich Biodiversität nicht bewahren. schaftlich genutzte Flächen (Grünland, der Soester Biologe Ralf Joest folgert: Sie- Daran haben bislang weder die Nationa- Anbauflächen und Dauerkulturen) unter ben Prozent Greening wären „eine tolle le Strategie zur biologischen Vielfalt noch biodiversitätsbezogene Maßnahmen ein- Sache“. Doch solange Verrechnungsfak- das „Greening“ im Zuge der neuen EU-Ag- bezogen werden.“ Dieses Ziel, heißt es toren gelten, wonach wie zehn Hektar rarförderung etwas ändern können. trocken in einem Beitrag des Magazins Anbau von Zwischenfrüchten drei Hekt- Science vom 6.Juni 2014, „erfüllt die GAP- ar gesparte Vorrangflächen ausgleichen So bringt die Ökologisierung der europä- Reform nicht“. Der Beitrag einer Wissen- können, sei kein Artenschutzeffekt zu er- ischen Agrarpolitik für den Artenschutz schaftlergruppe um den Ökologen Guy zielen: „Das bringt nichts für die Natur“. viel weniger als gedacht. Das hat aus- Pe’er vom Leipziger Helmholtz Zentrum gerechnet das bundeseigene Thünen- für Umweltforschung gipfelt in dem Re- EU-Kommission räumt Unzulänglichkeit ein Institut für ländliche Räume festgestellt. sümee: „Die EU hat die Chance verpasst, In ihrer zuletzt 2011 modifizierten Bio-di- Teilweise kann die Artenvielfalt sogar ab- bessere Leitlinien zu formulieren, um die verstätsstrategie räumt die EU-Kommis- nehmen. Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft zu sion diese Unzulänglichkeit indirekt selbst verbessern.“ Die Gründe: Statt der von ein: Denn nur 17 Prozent der EU-rechtlich Zwar sollen Landwirte fünf Prozent ihrer der Wissenschaft vorgeschlagenen min- geschützten Lebensräume und Arten so- Äcker („Vorrangflächen“) so bewirtschaf- destens sieben, besser zehn Prozent Öko- wie gerade 11 Prozent der wichtigsten EU- ten, dass sie die Artenvielfalt fördern. In Vorrangflächen einigte sich die EU auf rechtlich geschützten Ökosysteme sind einem Kommentar schreiben die Thünen- gerade fünf Prozent, die in einigen Regi- in einem günstigen Zustand, „und dies Wissenschaftler: „Das Greening ist im onen, wenn die Länder das wünschen, auf trotz aller Maßnahmen, die insbesondere Laufe der Verhandlungen zu einem grü- 2,5 Prozent verkleinert werden können. seit der im Jahr 2001 erfolgten Festlegung nen Deckmäntelchen mutiert.“ Außerdem gelten die Vorgaben nur für des Biodiversitätsziels der EU für 2010 zur Kein Wunder, denn für die Verbesserung Betriebe mit mehr als 15 Hektar. Bekämpfung des Biodiversitätsverlustes der Artenvielfalt bringen die fünf Prozent getroffen wurden“. ökologische Vorrangflächen, auf denen Damit aber, so die Wissenschaftler, gelten zum Teil sogar Pestizide ausgebracht wer- die Vorgaben für 88 Prozent der Betriebe So dürfte der weitere Rückgang der Arten den dürfen, wenig. Im Gegenteil: Schöp- gar nicht, die wiederum 48 Prozent des ungebremst weitergehen: Beispielsweise fen die Bauern alle Möglichkeiten der Landes beackern. Im Klartext: Die ökolo- hätten sich die Bestände von 15 der 20 EU-Agrarpolitik aus, dann könnten sogar gischen Vorrangflächen werden auf der typischen Brutvögel in landwirtschaftlich ökologisch wertvolle Wiesen und Äcker Hälfte der landwirtschaftlichen Flächen genutzten Lebensräumen kontinuierlich umgepflügt werden. ignoriert werden. Andere Instrumente reduziert, bei drei Arten habe sich der Be- In der 2011 verabschiedeten EU-Biodiver- wie der Anbau von Stickstoff- produzie- stand seit 1980 sogar mehr als halbiert. sitäts-Strategie 2020 heißt es unter Ziel renden Pflanzen, von Zwischenfrüchten Genauso stelle sich die Situation der Blü- 3, die Instrumente der Gemeinsamen Ag- oder von Kurzumtriebsplantagen mögen tenpflanzen der Agrarlebensräume dar: rarpolitik (GAP) „müssen dazu beitragen, zwar Erosion und Wasserqualität verbes- „Einzelne Arten haben seit den 1950er
20 HGON Mitgliederinfo – Juni 2016 um den Artenschwund zu stoppen. 11,2 Prozent der Landesflä- che Deutschlands zum Beispiel sind heute Vogelschutzgebiete. Doch zum anderen fehlen dem europäischen Schutzgebiets- system Natura 2000 sowie den Nationalparks und selbst den Naturschutzgebieten, eigentlich das zentrale Instrument zur Bewahrung der Vielfalt, ein entscheidender Faktor: Sie liegen weit weg von den Ackerflächen. Die Vorboten des massenhaften Artenverlustes sind seit lan- gem spürbar, wenngleich nur von Biologen in Umfang und Fol- genabschätzung auch tatsächlich begriffen. Tatsächlich spielt sich die Katastrophe derzeit nur schleichend, kaum merklich ab und ist damit nur für Spezialisten erfahrbar. Die Knackpunkte der technisierten und Chemie-basierten Landwirtschaft lauten: ◼◼ Es entkoppelten sich Mähzeitpunkt- und Häufigkeit der Mahd im Grünland von den Rhythmen der Tier- und Pflan- zenwelt. ◼◼ Die Fruchtfolge wurde vereinfacht und der Maisanbau nahm zu. ◼◼ Brachflächen und weitgehend naturbelassene Feldraine verschwanden. ◼◼ Eine hohe Saatgutreinigung reduzierte die Vielfalt ◼◼ Trockenlegung und Nivellierung des Wasserhauhaltes zer- ▲ WIESENPIEPER (Anthus pratensis). Foto: Stephan Börnecke störten Biotope und Habitate. Jahren mehr als 99 Prozent ihres Bestands eingebüßt“, heißt es ◼◼ Schließlich setzte durch den Einsatz von Dünger (Kalkstick- in einer im Auftrag des Umweltbundesamtes erstellten aktu- stoff wirkt wie ein Herbizid; Stickstoff verschiebt die Konkur- ellen Bestandsaufnahme des Naturschutzbunds Deutschlands renzverhältnisse zu Gunsten der wenigen Stickstoff-affinen Nabu, und des Instituts für Agrarökologie und Biodiversität. Arten, verdrängt andere) und das vermehrte Aufkommen Demnach ist die Fläche des artenreichen mittelfeuchten Grün- der Pestizide eine direkte Vertreibung und Vernichtung von lands und des Feuchtgrünlands in Norddeutschland seit 1950 Insekten und Kräutern und damit das Verschwinden der um rund 85 Prozent zurückgegangen. Die Ursache hierfür sei von ihnen abhängigen Vogelarten ein. vor allem die Umwandlung in Intensiv-Grünland gewesen. Im ◼◼ Mit der Hybridzüchtung, aber auch mit der Gentechnik und Ackerland habe sich die potenziell für Ackerwildkräuter (Sege- ihr verwandter Zuchtverfahren kommt dann die nächste talflora) besiedelbare Fläche um etwa 95 Prozent verringert. Beschleunigungsstufe, weil nun die Kulturpflanze mit allen Selbst eine stärkere Anlage von extensiv genutzten Ackerrand- günstigen und ungünstigen Eigenschaften immer schneller streifen werde daher nicht ausreichen, um die Restbestände verändert wird. der Ackerwildkräuter dauerhaft zu schützen, so das Fazit der Wissenschaftler. Verschärft wird die Situation der „modernen“ Landwirtschaft durch einen simplen, aber fatalen Effekt bei der Chemie-basier- Tatsächlich hat die EU mit ihrem aus Fauna-Flora-Habitat ten Schädlingsbekämpfung. Ihn beschreiben Wissenschaftler (FFH)- und Vogelschutzgebieten bestehenden Netzwerk Natura des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung so: Mit den 2000 zwar durchaus einen hoffnungsvollen Ansatz gefunden, Schädlingen werden in vielen Fällen auch die Nützlinge besei-
Sonderheft: Naturschutz in der Agrarlandschaft 21 tigt, also die natürlichen Gegenspieler. Die Vernichtung der Nützlinge aber hat einen Effekt, der erst später sichtbar wird. Denn in der nächsten Generation entwi- ckeln sich die Schädlinge und ihre Nach- kommen schneller, weil ihre natürlichen Feinde nur in geringer Zahl vorkommen oder gar völlig fehlen. Die Forscher: „Am Ende sind die Probleme durch den Pesti- zideinsatz größer als zu Beginn.“ Damit ist klar: Der „saubere Acker“, auf dem nur lebt, was dem kurzfristigen Pro- fit nützt, ist für die Biodiversität ein fa- tales Leitbild der Landwirtschaft, weil es unmittelbar das Lebensrecht aller Nicht- Kulturarten in Frage stellt und damit zur Destabilisierung des immer Arten ver- armteren Öko-Systems beiträgt. Wenn es keine Vielfalt der Arten mehr auf dem ▲ UFERSCHNEPFE (Limosa limosa). Foto: Stephan Börnecke Feld gibt, außer den hochgezüchteten Hy- brid-Weizen- oder Weidegrastypen, dann als noch vor 30 Jahren. Rund 90 Prozent in den achtziger Jahren des vergangenen kann jede Krankheit und jeder Schadorga- dieser horrenden Verluste betreffen die Jahrhunderts bei vielleicht 20 Prozent des nismus nur noch mit künstlichen Metho- 36 häufigsten Vogelarten, darunter Haus- Werts gelegen haben, der noch in den den und Mitteln behandelt werden. Die sperling, Star und Feldlerche. Letzterer 50er Jahren angetroffen wurde und bei Funktionalität eines so eingeengten Öko- Vogel, Indikatorart für eine intakte Land- zehn Prozent, zieht man die Bestände von Sytems erinnert fatal an einen Menschen, wirtschaft, deutet es an: Das Gros der Ver- vor 80 Jahren heran. Ergo: Lebten in einer der künstlich ernährt und aufwendig ge- luste betrifft die agrarischen Arten. Denn Gemarkung 1955 noch 100 Rebhühner, gen Krankheiten geschützt wird, weil er allein in der Agrarlandschaft gingen in der waren es 1980 noch 20 - und heute sind seine natürlichen Abwehrmechanismen EU seit 1980 rund 300 Millionen Brutpaa- noch ein oder zwei übrig geblieben. Das nicht gefördert hat. Wir alle wissen, um re und damit jeder zweite Vogel verloren. ist das Ergebnis einer Landwirtschaft, die die schnelle Endlichkeit dieser klinischen mit Chemie, mit Herbziden und Insektizi- Lebenserhaltung. Die Individuenzahlen der 39 Feldvogelar- den, mit engen Fruchtfolgen, hoher Tech- ten gingen in den vergangenen 30 Jahren nisierung und überzogener Düngung das Monitoring häufiger Brutvögel zeigt Rück- um mehr als 50 Prozent zurück, bestätigt einstige Leben vom Acker vetrieb. gänge auf auch eine Analyse der britischen Univer- So haben Untersuchungen des Ornitho- Dass viele Rückgänge kein regionales sität Exeter, der Vogelschutzorganisation logen Ralf Joest von der Arbeitsgemein- Problem sind, sondern international in RSPB sowie dem Paneuropäischen Moni- schaft Biologischer Umweltschutz / Bio- Erscheinung treten, zeigen die Ergebnisse toring-Programm für häufige Arten. logische Station Soest gezeigt, dass von des europaweiten Monitorings häufiger Wenn Ornithologen heute beklagen, dass einst 1800 singenden Grauammern so gut Brutvögel, in das auch die Daten des bun- in den letzten 35 Jahren die Zahl der Reb- wie keine mehr übrig geblieben ist: Die Art desweiten Brutvogelmonitorings einflie- hühner um mehr als 90 Prozent zurück- sei in der Kulturlandschaft der Hellweg- ßen. Von den 111 beobachteten und auch gegangen ist, dann unterschlägt diese börde am Südostrand der westfälischen bei uns vorkommenden Arten nahmen in Aussage stets den Ausgangswert. Bucht in Nordrhein-Westfalen „praktisch Europa seit den 1980er Jahren mehr als 40 ausgestorben“. Und das, obwohl doch vor Prozent in ihrem Bestand ab. Heute gibt Der, darauf weist HGON-Vizevorsitzender zehn Jahren extra ein Schutzprogramm es in Europa 421 Millionen weniger Vögel Stefan Stübing hin, dürfte nämlich bereits aufgelegt wurde.
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