Westfalen Welt Weit - Nachrichten aus Mission, Ökumene und kirchlicher Weltverantwortung - MÖWe Westfalen
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Westfalen • Welt • Weit Nachrichten aus Mission, Ökumene und kirchlicher Weltverantwortung Themenschwerpunkt: Wirtschaft & Menschenrechte 2019 | JAHRGANG 9
INHALT 04 48 WIRTSCHAFT & MENSCHENRECHTE KIRCHENTAG • Wirtschaft und Menschenrechte - eine Einführung • Kohleabbau in Südafrika und seine Folgen • Rohstoffe für unsere Handys und Autos - die Folgen im südlichen Afrika • Dr. Denis Mukwege - der Friedensnobelpreisträger in Westfalen Berichte und Impressionen vom Kirchentag, z. B. WeltGarten - GlobalGarden2019, Wege zur Nach- haltigkeit, Ökumenische Gottesdienste und Podien, Migrationskirchen, Besuch der ökumenischen Gäste • Kinderarbeit in Indien 60 BROT FÜR DIE WELT • Textilproduktion in Äthiopien • Hunger nach Gerechtigkeit - • Für Fair Play - auch bei den Zulieferern von adidas! 60 Jahre Brot für die Welt • Bayer/Monsato - ein Bericht aus Argentinien • Brot für die Welt-Botschafter*innen • Kinderarbeit in der Schokolade? • Benefizkonzert „Gitarren statt Gewehre“ • Moderne Sklavenarbeit in Europa! Migrant*innen als Erntehelfer 32 • 67 REGIONALES / AUS DEM AMT FÜR MÖWE WIRTSCHAFT & MENSCHENRECHTE Handlungsmöglichkeiten • Wie Menschen mit Behinderung in Palästina leben - Bericht von einer Besuchsreise • Frieden und Menschenrechte - VEM Summer School • Praktikant*innen berichten • Kampagne für ein Lieferkettengesetz • Divestment - auch in der westfälischen Kirche 72 • Oikocredit - fairer Wirtschaften! IMPRESSUM • Zukunft einkaufen • Für die Bildungsarbeit: Lernkoffer, finanzielle Förde- rung, Filmtipps, GloBall - Bring Werte ins Spiel! 2
EDITORIAL mut im Team. Es ist eben nicht immer gesagt, dass political correctness auch jedem/jeder schmeckt. Und dabei ist stets klar: bei allen Bemühungen bleibt unser Lerneffekt wesentlich größer als die konkret messbare Veränderung für Mensch oder Natur. Den- noch bleiben wir dran, wohl wissend, dass die persön- liche Haltung nur ein Baustein auf dem Weg zu einer Wirtschaft „im Dienst des Lebens“ ist. Ein anderer Baustein ist die Verantwortung der Unter- nehmen. Der Nationale Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP), den die Bundesregierung 2016 verabschiedet hat, versucht, deutsche Unter- nehmen zur Einführung von Nachhaltigkeitskriterien entlang ihrer Produktions- und Lieferketten zu gewin- nen. Dies geschieht auf der Basis von Freiwilligkeit. Annette Muhr-Nelson Wir halten das für nicht ausreichend. Ein Lieferketten- Leiterin des Amtes für MÖWe gesetz in Deutschland zur Durchsetzung der Men- schenrechte in der Wirtschaft wäre ein geeigneter Rahmen. Im Jahr 2020 besteht die große Möglich- Verantwortungsträger*in keit, ein solches Gesetz politisch durchzusetzen. gesucht! Deshalb beteiligen wir uns an der bundesweiten Kampagne für ein Lieferkettengesetz, die am 10. Wer ist eigentlich verantwortlich für den Hungerlohn September 2019 gestartet ist. Machen auch Sie der indonesischen Näherinnen, den Hautausschlag mit, damit Politik handelt! Mit dem Schwerpunkt der der philippinischen Müllsammler, die Wachstums- diesjährigen Ausgabe von Westfalen Welt Weit wol- störungen der Kinder, die in den Minen im Kongo len wir dazu beitragen, Verantwortungsträger*in für arbeiten? Und wer hat die Macht, daran etwas zu Menschenrechte zu finden. ändern und bessere Lebensbedingungen für die Klimaretter*in, Hoffnungsträger*in, Botschafter*in, vielen Unterprivilegierten in „aller Herren Länder“ Weltverbesserer*in und Friedensstifter*in gesucht – durchzusetzen? so hieß es auf dem Dortmunder Kirchentag an unse- Sicher ist unser Konsumverhalten ein entscheidender rem MÖWe-Stand im WeltGarten - GlobalGarden2019 Faktor. Aber reicht es aus, auf das Fair-Trade-Siegel auf dem Messegelände. Vielleicht haben Sie uns dort zu achten und sich das eine oder andere Kleidungs- besucht, Gespräche geführt, der Musik und Talkrun- stück lieber im Second-Hand-Laden zu besorgen? Im den zugehört? Aber wir waren auch an vielen anderen Amt für MÖWe haben wir uns eine Beschaffungsord- Stellen im Kirchentagsprogramm aktiv. Ein paar Ein- nung gegeben, in der es u. a. heißt: „Beschaffungs- drücke von dieser einzigartigen und unvergesslichen entscheidungen haben Einfluss auf den Ressourcen- Zeit im Juni bilden einen weiteren Schwerpunkt – ne- verbrauch, die Umweltbelastungen und die sozialen ben dem 60. Geburtstag von Brot für die Welt. Auswirkungen, die durch Produktion, Transport, Ge- Ich wünsche Ihnen eine anregende und motivierende brauch und Entsorgung der Produkte entstehen. Bei Lektüre. Denken Sie dran: Gemeinsam können wir die jeder Beschaffungsentscheidung soll daher zunächst Welt zum Besseren verändern! geprüft werden, ob die Anschaffung vermeidbar ist.“ Wenn sie nicht vermeidbar ist, prüfen wir nach ökolo- gischen, sozialen und ökonomischen Gesichtspunk- ten, welches Produkt angeschafft wird. In der Praxis ist es eine Herausforderung, sich mit der Herkunft und Produktionsweise jedes Produktes zu beschäftigen. Manchmal entsteht dadurch auch Un- 3
WIRTSCHAFT UND MENSCHENRECHTE Faire Löhne, Arbeits- und Gesundheits schutz, Versammlungsfreiheit - diese und andere Menschenrechte werden vielen Arbeiter*innen verweigert, auch den Arbeitern in einer Mine in der DR Kongo. © Julien Harneis | CC BY-SA 2.0 Wirtschaft und Menschenrechte Der lange Weg zu verbindlichen Regeln Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, dass Ar- se und Trinkwasser sind verseucht – und das obwohl beiter*innen, die unsere Kleidung, Schuhe oder Elek- eine Tochter des deutschen Unternehmens TÜV Süd trogeräte produzieren, vor Gesundheitsschäden am diesen Damm als sicher zertifiziert hatte. Arbeitsplatz geschützt sind und sie sich ohne Angst Um der Herausforderung von Menschenrechtsver- gewerkschaftlich organisieren können. Auch für den stößen durch weltweit operierende Unternehmen zu Abbau von Rohstoffen oder für Kakao-, Palmöl- oder begegnen, verabschiedete 2011 der UN-Menschen- Bananenplantagen sollten Menschen nicht von ihrem rechtsrat die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Land vertrieben werden. Zahlreiche Berichte aus Fa- Menschenrechte. Dieser Empfehlungskatalog sagt: briken, Minen oder Plantagen z. B. aus Bangladesch, Staaten sind verpflichtet, Menschen durch eine an- Indonesien oder der DR Kongo belegen jedoch das gemessene Politik, Regulierung und Rechtsprechung Gegenteil. Menschenrechtsverstöße sind keine Aus- vor Menschenrechtsverstößen durch Unternehmen nahme, sondern haben System. Ursache dafür sind zu schützen. Aber auch die Unternehmen selbst tra- die Bedingungen des harten Wettbewerbs in der glo- gen Verantwortung, ihr Möglichstes zu tun, um in balisierten Wirtschaft. ihren Lieferketten Menschenrechtsverletzungen vor- Auch deutsche Unternehmen sind immer wieder di- zubeugen, bestehende Missstände zu beheben und rekt oder indirekt an Menschenrechtsverstößen betei- Betroffenen Abhilfe und Entschädigung zu verschaf- ligt. Beim Einsturz einer Textilfabrik in Bangladesch im fen. Man spricht von der „Pflicht zur menschenrechtli- Jahr 2013 starben 1.135 Menschen. Dort ließen auch chen Sorgfalt“ von Unternehmen. KiK und Adler oder deren Zulieferer produzieren. Der Um die UN-Leitprinzipien umzusetzen waren und sind Chemie-Riese Bayer verkauft an brasilianische Land- die Staaten aufgefordert, Nationale Aktionspläne zu wirte Pestizide, die in der EU aufgrund ihrer verheeren- entwickeln. In diesen Plänen sollen die Regierungen den Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt längst u. a. beschreiben, wie sie Unternehmen ihres Lan- verboten sind. In Brasilien verlieren durch den Damm- des dazu anhalten, auch bei Auslandsgeschäften die bruch von Brumadinho 246 Menschen ihr Leben. Flüs- Menschenrechte zu achten. Deutschland hätte den 4
Nationalen Aktionsplan nutzen können, um die Sorge Zivilgesellschaftliche Organisationen fordern prinzi- für die Achtung der Menschenrechte durch deutsche piell ein Gesetz, unabhängig davon wie viel Prozent Unternehmen gesetzlich festzuschreiben. Die Bundes- der großen Unternehmen Maßnahmen zum Schutz regierung hat sich jedoch erst mal anders entschieden: der Menschenrechte ergriffen haben. Jedes Unter- Nach einem langwierigen Beratungs- und Abstim- nehmen, das in seiner Lieferkette gegen die Men- mungsprozess verabschiedete sie Ende 2016 ein eher schenrechte verstößt, ist eines zu viel. Auch der So- halbherziges Maßnahmenpaket. Dies sieht zunächst zialausschuss der Vereinten Nationen kritisierte die keine gesetzliche Regelung vor. Die Bundesregierung 50%-Regelung des deutschen Nationalen Aktions- erwartet demnach von allen Unternehmen, die Men- plans und empfahl eine gesetzliche Regelung. schenrechte auch im Auslandsgeschäft zu achten. Sie In der Bundesregierung und der Öffentlichkeit hat die hofft darauf, dass menschenrechtliche Sorgfalt freiwil- Diskussion um ein Lieferkettengesetz schon begon- lig umgesetzt wird und bietet dazu verstärkt Beratung nen. Die ungeplante Veröffentlichung eines vertrauli- an. Als Ziel wurde gesetzt, dass die Hälfte der großen chen Gesetzesvorschlags für ein Lieferkettengesetz Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten bis zum aus dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zu- Jahr 2020 menschenrechtliche Sorgfaltsprozesse ein- sammenarbeit und Entwicklung im Frühjahr 2019 geführt haben. Wird dieses Ziel nicht erreicht, dann soll löste vielfältige Reaktionen aus. Die Regierung ist eine gesetzliche Regulierung geprüft werden. Der Koa- sich hier uneins. Während Entwicklungsminister litionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD geht etwas Gerd Müller (CSU) und Arbeitsminister Hubertus weiter: Er spricht davon, dass die Bundesregierung in Heil (SPD) eine gesetzliche Regulierung befürwor- diesem Fall national gesetzlich tätig werde und sich für ten, sträubt sich Wirtschaftsminister Peter Altmaier eine EU-weite Regelung einsetzen würde. (CDU) beständig gegen jede Vorgabe für Unterneh- Und genau hier liegt eine Chance für die Menschen- men. Auch in der Wirtschaft gibt es verschiedene Po- rechte in internationalen Lieferketten: Das Thema sitionen: Die großen Industrieverbände lehnen (wie so „Lieferkettengesetz“ steht im Jahr 2020 auf der po- häufig) jede Verbindlichkeit ab. Ihnen gegenüber steht litischen Tagesordnung. Nachdem die letzten Jahr- eine wachsende Reihe von Unternehmen, beispiels- zehnte zeigten, dass Freiwilligkeit nicht reicht, besteht weise BMW, Daimler, Tchibo oder Vaude, die sich klar nun die Chance, Unternehmen endlich zu Menschen- für ein Lieferkettengesetz aussprechen. Sie wollen rechtsschutz verbindlich zu verpflichten. Unterneh- keinen Wettbewerbsnachteil haben, wenn sie ihre Ge- men, die nicht genug getan haben, um Schäden an schäftsmodelle umstellen, um die Sorgfaltspflichten Mensch und Umwelt zu verhindern, müssten die Ver- einzuhalten. Außerdem können diese Unternehmen antwortung hierfür übernehmen. gemeinsam mit anderen Unternehmen Verbesserun- Kinder werden als billige Arbeitskräfte ausgebeutet - in Steinbrüchen, aber auch auf Kakaoplantagen, in Minen oder Teppichfabriken. 5
WIRTSCHAFT UND MENSCHENRECHTE gen leichter durchsetzen, wenn beispielsweise diese rechten (UN-Treaty) befördern. An einem solchen denselben Zulieferbetrieb haben. Für Unternehmen, Abkommen wird seit 2014 gearbeitet. Ein erster Ent- die die Menschenrechte konsequent achten wollen, wurf des Abkommens wurde von Menschenrechtsex- liegen die Vorteile eines Gesetzes auf der Hand. pert*innen und Betroffenengruppen weltweit begrüßt. Klar ist: Es wird auch vom öffentlichen Druck, vom En- Die Bundesregierung aber zeigt sich nach wie vor gagement vieler einzelner abhängen, ob die Bundes- skeptisch. Ein eigenes Lieferkettengesetz würde ihr regierung weiterhin mit dem Kurs der Freiwilligkeit ein Engagement im Prozess sicher unterstützen. „Business as Usual“ befördert oder ob sie mit einem Lieferkettengesetz wirksam die Spielregeln für Unter- Eva-Maria Reinwald, Fachpromotorin für Globale Wirtschaft und Menschenrechte, SÜDWIND – Institut für Ökonomie nehmen verändert. und Ökumene e.V. Ein breites Bündnis aus Menschenrechts-, Entwick- lungs- und Umweltorganisationen, Gewerkschaften und Kirchen hat sich daher zur „Initiative Lieferketten- gesetz“ zusammengeschlossen, um sich gemeinsam für ein solches Gesetz zu engagieren (vgl. S. 32). Ein starkes Lieferkettengesetz in Deutschland würde auch Dynamik in internationale Debatten bringen, z. B. für europaweite verbindliche Regeln für Unternehmen. Zudem kann es die Verhandlungen zu einem verbind- lichen UN-Abkommen zu Wirtschaft und Menschen- Aktionspostkarte von CIR und SÜDWIND. Bestellbar unter www.ci-romero.de/publikationen Karikatur von Oliver Stenzel 6
Zerstörter Lebensraum - in Mpumalanga, dem Kohlerevier Südafrikas © Cedric Nunn / Brot für die Welt Der Himmel über der Ruhr ist noch ein Stück blauer Was bedeutet das für Südafrika? Im Dezember 2018 schloss die letzte Steinkohle weitergehen – doch was bedeutet das für Südafrika? zeche in Nordrhein-Westfalen und besiegelte damit Südafrika hat sich einer nachhaltigen Entwicklung und den bundesweiten Abschied von der Kohleförderung einer damit einhergehenden Transformation der Wirt- – der Himmel über der Ruhr ist also noch ein Stück schaft versprochen. Dennoch wird zunehmend Stahl blauer geworden. Dennoch wird in Deutschland wei- produziert, werden weitere Kohlekraftwerke gebaut, terhin Strom aus Kohle gewonnen und Stahl mit Hilfe neue Kohlelagerstätten erschlossen und Schächte ab- des fossilen Energieträgers erzeugt. Der notwendige geteuft. Das geschieht häufig in den eher ländlich ge- Rohstoff wird jetzt in anderen Teilen der Welt ans Ta- prägten Regionen. Hier leben Menschen, die bisher von geslicht gebracht und dort oftmals unter wesentlich Landwirtschaft und Viehzucht lebten. Nun werden sie schlechteren Bedingungen gefördert. Neben Kolum- zugunsten der Bergbauunternehmen vertrieben und bien, Russland und der Türkei gehört Südafrika aktu- ihre Lebensgrundlage zerstört. Traditionelle Gesetze ell zu den Staaten, die uns mit dem so in Misskredit und Vereinbarungen werden außer Kraft gesetzt. Nur geratenen „Schwarzen Gold“ beliefern. in den seltensten Fällen wird fruchtbares neues Land Südafrika steht an Nummer sieben der weltgrößten zur Verfügung gestellt oder werden Kompensationen Kohle produzierenden Länder. Neben Gold und Platin gezahlt. Außerdem schaffen die Bergwerkbetreiber gehört Steinkohle zu den wirtschaftlich bedeutends- nicht genug neue Arbeitsplätze, um den Menschen, ten Bodenschätzen. In 18 riesigen Kohlefeldern la- die dort wohnen bleiben, ausreichend Einkommen gert der Rohstoff, teilweise nur 15 Zentimeter bis zu zu bieten. Die Bedingungen, unter denen Männer und einem Meter tief unter der Erde. 84 Prozent der Er- Frauen in den Minen arbeiten, sind zudem lebensge- träge fließen in die Hände multinationaler Konzerne, fährlich, menschenunwürdig und schlecht bezahlt. Die nur der kleine Rest von 16 Prozent verbleibt bei süd- Arbeiter*innen können ohne Rücksicht entlassen wer- afrikanischen Unternehmen – davon werden über 90 den, da sie zunehmend über Leiharbeitsfirmen ange- Prozent des Energiebedarfs des Landes gedeckt. 30 stellt sind und so ihre Rechte noch weniger geschützt Jahre könnte es bei gleichbleibender Förderung so sind. Erkranken sie aufgrund der Arbeitsbedingungen 7
WIRTSCHAFT UND MENSCHENRECHTE in den Minen, sind ihre Aussichten auf Entschädigung Die zunehmend dramatische Wasserknappheit im ver- gleich null. Die Bergleute und ihre Familien leben in der gangenen Jahr in Kapstadt ist vielen noch in Erinne- Regel nahe – oftmals viel zu nah – bei den Minen in in- rung. Die Millionenmetropole am Kap der Guten Hoff- formellen Siedlungen. Das bedeutet Wellblechhütten, nung war kurz davor den Notstand auszurufen und als unbefestigte Straßen, kein Zugang zu einer regelmä- erste Metropole weltweit kein Wasser mehr zu haben, ßigen Energie- und Wasserversorgung. Wobei die feh- den „Day Zero“. Dass auch immer mehr kleinere und lende Stromversorgung fast schon makaber scheint, mittlere Kommunen von dramatischer Wasserknapp- liegt die große Energiequelle, die Kohle, nur wenige heit betroffen sind, ist uns kaum bekannt. In einigen Meter von den Dörfern entfernt. Organisationen und Provinzen wie Mpumalanga, Free State und Kwa Zulu Initiativen, die auf diese Missstände aufmerksam ma- Natal liegen die Gründe des Notstandes für die dortige chen wollen oder gar gegen die unfairen Praktiken der Bevölkerung auf der Hand. Es zeigt sich immer wieder Unternehmen und Konzerne vorgehen, leben in der deutlich, wie massiv der Abbau von Steinkohle und ständigen Sorge, dass sie für ihre Aktivitäten angegrif- anderen Bodenschätzen den Wasserhaushalt stört fen oder gar ermordet werden. und die Wasserversorgung verschlechtert. Die Minen brauchen Millionen Liter an Wasser, um die Kohle zu Ein Menschenrecht auf Wasser – waschen. Es gibt Fälle, in denen die Bevölkerung eines auch in den Minenregionen Dorfes während einer Dürrephase von der Wasserver- „Während immer mehr Regionen des Landes unter sorgung komplett abgeschnitten wurde, um den Be- der zunehmenden Dürre leiden und erste Städte trieb des Bergwerkes aufrecht halten zu können. und Dörfer gezwungen sind, die Wasserversorgung Es gibt ein Menschenrecht auf sauberes Wasser und ihrer Bewohner*innen einzustellen, werde die wert- auf freien Zugang zu Trinkwasser – auch für die Men- volle Ressource weiterhin von den Bergbaukon- schen in den Bergbauregionen Südafrikas. Ob es auf zernen in großen Mengen verschmutzt und ver- Dauer ausreicht, darüber nachzudenken, Eisberge aus schwendet.“ Das beklagten im Juli diesen Jahres der Antarktis an die Küste am Atlantik zu schleppen Vertreter*innen einer Wasserschutzinitiative aus und somit die Wasserknappheit des Landes in den Mpumalanga. Sie beriefen sich dabei auf ihren ak- Griff zu kriegen? tuellsten Report, in dem sie den Umgang mit Was- ser im Bergbau unter die Lupe nehmen vor allem in Vera Dwors, Fachstelle Südafrika / Südafrika Forum NRW im Amt für MÖWe der Provinz Mpumalanga. © Vera Dwors Blauer Himmel an der Ruhr - Schwarzer „Kohle“-Sand in Südafrika. 8
Neue Hoffnung am Kap? Südafrika nach der Wahl Im Mai 2019 wurde in der Regenbogennation ge- wählt. Dabei erzielte der ANC – der African National Congress –, dem auch Südafrikas erster Präsident und Freiheitskämpfer Nelson Mandela (1918-2013) angehörte, das schlechteste Wahlergebnis seit der Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1994. Nach ei- nem Vierteljahrhundert an der Macht erzielte die Partei der ehemaligen Befreiungsbewegung nur 57,5 Prozent. „Ein besseres Leben für alle“ war die Vision nach dem Überwinden des Apartheidregimes. Nur leider ist das Land immer noch weit davon entfernt. Vor allem eine Arbeitslosenquote von fast 40 Prozent steht einer Entwicklung zu einer vereinten Gesell- schaft frei von Armut, Ungleichheit, Diskriminierung und Gewalt im Wege. Junge Menschen in Südafrika sind davon besonders betroffen, was sie mit einer extrem niedrigen Wahlbeteiligung quittierten. Neben guten Bildungs- und Ausbildungschancen brauchen sie Jobs im Dienstleistungssektor, in der Industrie, im Handwerk oder im Tourismus. Die Betriebe und Unternehmen wiederum benötigen eine sichere, möglichst zukunftsfähige Stromversorgung, um ihre Produktion aufrecht zu erhalten. Das wird eine der großen Herausforderungen für den neuen Präsiden- ten Cyril Ramaphosa auf dem Weg zu mehr sozia- ler Sicherheit und zur Überwindung der größten Un- gleichheiten in Südafrika – den Menschen in seinem Land den Zugang zu bezahlbarer Energie zu ermögli- chen, die sowohl umwelt- als auch menschenfreund- lich produziert wird. 9
WIRTSCHAFT UND MENSCHENRECHTE Der Stoff für unsere Smartphones Dr. Claude Kabemba über die Herausforderungen des Bergbaus im südlichen Afrika Rund 60 Rohstoffe stecken in unseren Smart phones. Viele wichtige Metalle werden dafür in © Stephan Röhl / Heinrich-Böll-Stiftung | CC BY-SA 2.0 Ländern des südlichen Afrikas abgebaut. Dr. Claude Kabemba ist Direktor der Organisa- tion „Southern African Resource Watch“, die für die Rechte der Menschen in Bergbauregionen eintritt. In einem Interview berichtete er von menschenrechtlichen Auswirkungen des Berg- baus und darüber, welche Prozesse die Situation verbessern könnten. Amt für MÖWe: Ihre Organisation beobachtet den Wie wird die Bevölkerung von Ihrer Organisation Bergbau in mehreren Ländern des südlichen Afrikas. dabei unterstützt, sich gegen die negativen Auswir- Welche menschenrechtlichen Risiken stellen Sie fest? kungen des Bergbaus zu wehren? Kabemba: Bergbau ist ein äußerst komplexer und Wenn Menschen gut informiert und in der Lage vielschichtiger Bereich, der das Leben der Men- sind, diese Informationen zu nutzen, können sie schen, die in den Bergbauregionen leben, stark be- ihre Rechte einfordern. Aus diesem Grund mobili- einflusst. Es ist ein Fehler, nur den reinen Abbau zu siert „Southern African Resource Watch“ Menschen betrachten, da die gesamte Wertschöpfungskette zur Selbsthilfe. Eigentlich wäre es ja auch möglich, wichtig ist und Menschenrechtsverletzungen be- dass die Gemeinden vom Bergbau profitieren. In den reits bei den ersten Verhandlungen mit den Berg- meisten afrikanischen Ländern fließen die Steuern, baugesellschaften geschehen. Wenn zum Beispiel die die Unternehmen zahlen jedoch an die Regierung von Seiten der Regierung die Verhandlungen mit und die betroffenen Gemeinden erhalten überhaupt den Bergbauunternehmen geführt werden, ohne die kein Geld. Unsere Arbeit zielt dahin, Gemeinden da- Bewohner*innen der betreffenden Region mit ein- bei zu unterstützen, Unternehmensverantwortung zubeziehen und ihnen somit jede Möglichkeit zur einzufordern. Mitsprache genommen wird, auch wenn negative Wir suchen auch den Kontakt zu den Unterneh- Folgen für die Gemeinden drohen, ist dies ein klarer men und versuchen, Einfluss auf die Regierungen Verstoß gegen die Menschenrechte. zu nehmen. Wenn dafür gesorgt wird, dass Unter- Ein weiterer Punkt sind die Umweltverträglichkeits- nehmen Schulen und Krankenhäuser bauen und studien, die in den meisten afrikanischen Ländern für eine Verbesserung der Infrastruktur sorgen, ist nur symbolischer Natur sind. Ebenso werden kultu- das für die Gemeinden positiv. Das ist jedoch ein relle Bedenken, wie z. B. die Zerstörung von landwirt- langwieriger Prozess, da die Unternehmen kein In- schaftlichen Nutzflächen und Friedhöfen, Zwangs- teresse daran haben und häufig ganz unabhängig umsiedlung oder die Belastung von Wasser durch agieren. Man kann sagen, dass nicht der Staat die Giftstoffe außer Acht gelassen. Die Menschen, die im Unternehmen kontrolliert, sondern die Unterneh- Bergbau arbeiten, leiden häufig unter dem Staub und men den Staat. anderen Umweltbelastungen. Sie haben keine soziale Absicherung, sondern werden entlassen, wenn z. B. eine Erkrankung der Lunge droht. 10
Fluch oder Segen? Das südliche Afrika ist reich an Bodenschätzen, wie Gold, Platin, Diamanten. In einer der größten Minen weltweit, Sishen/ Südafrika, wird Eisenerz abgebaut. © Rogiro/flickr CC BY-NC-ND 2.0 Können Sie Beispiele dafür nennen, dass durch eine Menschenrechte im Bergbau ebenfalls häufig miss bessere Regierungsführung die Menschenrechte achtet werden. stärker respektiert werden? Leider muss ich sagen, dass ich keine positiven Bei- Einige Wissenschaftler sprechen vom „Ressourcen- spiele nennen kann. Selbst da, wo den Menschen zu- fluch“, was bedeutet, dass paradoxerweise die Län- nächst Hoffnung auf eine positive gesellschaftliche der, die einen großen Reichtum an Bodenschätzen Veränderung gemacht wurde, hat sich dies nicht er- haben, ein geringeres Wirtschaftswachstum haben füllt. Wir haben bereits erreicht, dass es gute Gesetze als rohstoffarme Länder. Stimmen Sie dem zu? gibt. Was wir jetzt noch benötigen ist eine gute politi- Nein, ich halte diesen Begriff für falsch. Wenn man sche Leitung, die sie durchsetzt. Dass dies möglich ist, europäische Länder wie z. B. Finnland oder Norwe- zeigt das Verhalten der Unternehmen in europäischen gen betrachtet, kann man feststellen, dass natürliche Ländern, wo dies normal ist. Das größte Problem sind Ressourcen das Wirtschaftswachstum fördern. Das also nicht die Unternehmen, es ist die Fähigkeit der kann auch in Ländern des afrikanischen Kontinents afrikanischen Staaten, dafür zu sorgen, dass die Un- passieren. Blickt man auf die letzten zehn Jahre, die ternehmen die Gesetze respektieren und sich an die einen Preisanstieg der natürlichen Bodenschätze mit Verträge halten, die sie unterzeichnet haben. sich brachten, ist zu sehen, dass in rohstoffreichen Wir wollen erreichen, dass sich Gemeinden positiv Ländern Ostafrikas Bodenschätze und Entwicklung entwickeln können. Dazu ist es notwendig, dass es miteinander in Beziehung stehen. In Botswana ste- Sanktionen für Unternehmen gibt, die sich nicht an hen Stabilität und Entwicklung im Zusammenhang die OECD Vorschriften halten und das nicht nur dort, mit Diamanten, in Südafrika mit Gold und Platin. Das wo Bergbau betrieben wird. Diese Sanktionen müs- Problem ist nicht der Überfluss an Bodenschätzen, sen auch in den Ländern durchgesetzt werden, wo sondern es sind die Regierungen. der Firmensitz ist. Was können afrikanische Länder tun, um einen hö- Glauben Sie, dass etwa das UN-Abkommen für heren Wertzuwachs durch ihre Bodenschätze zu Wirtschaft und Menschenrechte positive Verände- erlangen? Kann das durch Verarbeitung im eigenen rungen bringt? Land geschehen? Die UN-Standards sind ein sehr wichtiges Werkzeug, Quer durch die Geschichte hat sich immer wieder das zur Anwendung gebracht und von allen Beteilig- gezeigt, dass nur die Länder optimal von ihren Bo- ten anerkannt werden muss. Das gilt nicht nur für Afri- denschätzen profitieren konnten und können, die den ka, sondern auch für Lateinamerika und Asien, wo die Wert ihrer Mineralien erhöhen und das kann nie durch 11
WIRTSCHAFT UND MENSCHENRECHTE den direkten Verkauf der Rohstoffe erreicht werden. bei zu vielfältigen Verletzungen der Menschenrechte Ich glaube, dass das der Weg ist, den die afrikani- kommt. Dann muss es zu einem reduzierteren, be- schen Länder einschlagen müssen. Wertsteigerung wussten Umgang mit Handys kommen, um auf die bei den Mineralien, wo es möglich ist, wie z. B. bei der Hersteller Druck auszuüben. Wenn das Interesse Herstellung von Zement. Daneben sind auch Kupfer nicht darin liegt, dass es stets das neueste, schönste und Bauxit strategisch wichtig für die Entwicklung Handy sein muss, sondern darin, dass in der gesam- des afrikanischen Kontinents. ten Produktionskette vom Abbau der Mineralien bis zur Montage die Menschenrechte respektiert werden Was können wir Smartphone-Nutzer*innen Ihrer und es faire Arbeitsbedingungen gibt, kann dadurch Meinung nach tun, um die negativen Auswirkungen Druck auf die Unternehmen ausgeübt werden. der Digitalisierung zu stoppen? Zunächst einmal müssen die Konsument*innen wis- Organisiert vom Südafrika Forum NRW und der Handy- sen, woher die verwendeten Materialien kommen und Aktion NRW war Dr. Claude Kabemba auf Speakers Tour in NRW. Das Interview führte Johanna Schäfer. unter welchen Bedingungen sie abgebaut werden, damit ein Bewusstsein dafür entsteht, dass es da- HANDNY-NRW AKTIO Mitmachen bei der Handy-Aktion NRW Die Handy-Aktion NRW ruft zum Sammeln gebrauchter Mobiltelefone auf. Die Erlöse kommen Menschenrechtsprojekten in der DR Kongo, Südafrika und den Philippinen zugute. Verbunden ist die Aktion mit Bildungsangeboten zu den menschenrechtlichen und ökologischen Folgen der Smartphone Produktion. Mehr Infos gibt es unter www.handyaktion-nrw.de, www.facebook.com/handyaktionnrw Ansprechpartnerin für die Handy-Aktion: Johanna Schäfer | E-Mail: johanna.schaefer@moewe-westfalen.de | Tel. 0231-5409-76 12
Informelle Siedlungen vor den Industrieanlagen der Marikana-Mine: Wenn es regnet, vermischen sich Wasser und Schlamm mit Abwasser und Abfall. © Kevin Sutherland/Brot für die Welt BASF und das Marikana-Massaker in Südafrika Im August 2012 eröffnete die südafrikanische Poli- suchen und seinen Einfluss auf den Geschäftspartner zei das Feuer auf 3000 streikende Minenarbeiter. Am Lonmin nutzen, um die Verhältnisse vor Ort zu ver- Ende sind 34 Arbeiter tot. Jahre nach dem Massaker bessern. Ebenso sollte BASF die eigene Einkaufspo- gibt es immer noch keine Entschädigung für die Op- litik daraufhin prüfen, ob die gezahlten Preise für das fer-Familien, keine Strafverfolgung der Polizisten und Platin gerechte Löhne in Marikana ermöglichen. BASF die Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen beansprucht für sich, wirtschaftlichen Erfolg mit sozi- sind so schlecht wie zuvor. aler Verantwortung zu kombinieren, auch entlang der Die Forderungen der streikenden Arbeiter nach ge- Lieferkette. Dennoch wurde das Unternehmen erst rechtem Lohn und angemessenen Wohnungen sind durch massiven Druck von Brot für die Welt und an- verhallt. Sie hausen mit ihren Familien in einem Slum deren Organisationen aktiv. Was BASF tatsächlich tut, ohne Strom, fließend Wasser und Kanalisation. Dabei um die Situation in Marikana zu verbessern, ist jedoch hat der Minenbetreiber Lonmin sich bereits 2006 dazu unklar. Betroffene vor Ort hat BASF bislang nicht ge- verpflichtet, ordentliche Werkssiedlungen zu errich- sprochen und vorhandene Prüfberichte zur Situation ten, um überhaupt die Abbau-Lizenz zu erhalten. in der Mine hält das Unternehmen unter Verschluss. Das Platin aus der Mine in Marikana landet in deut- Die Langzeitverträge mit Lonmin hat BASF 2016 so- schen Autos. Das Chemie-Unternehmen BASF kauft gar erneuert – ohne Vorgabe zur Umsetzung sozialer mehr als die Hälfte von Lonmins Jahresproduktion an Maßnahmen. Platin und stellt daraus Katalysatoren für VW, Daimler und BMW her. Nach den UN-Leitprinzipien für Wirt- Quelle: Brot für die Welt schaft und Menschenrechte müsste BASF die gesam- Weitere Informationen: Brot für die Welt „Edles Metall – unwürdiger Abbau“, Analyse 75, April 2018 te Lieferkette auf Menschenrechtsverletzungen unter- 13
WIRTSCHAFT UND MENSCHENRECHTE © Dirk Johnen, Amt für MÖWe „Der Mann, der die Frauen repariert“. So wird der Friedensnobelpreisträger von 2018 bezeichnet. Dr. Denis Mukwege war auf dem Kirchentag in Dortmund. Die Evangelische Kirche von Westfalen hatte ihn eingeladen. Ein Arzt, die Frauen und die Elektromobilität Dr. Denis Mukwege ist offenbar nur Insidern bekannt. mit der Katastrophe im Ostkongo verbunden. Es ist Der berühmte Friedensnobelpreisträger aus dem Ost- gespickt mit den wichtigen Rohstoffen, die für die Her- kongo, genauer aus Panzi/Bukavu, konnte mehr oder stellung von Elektronik nötig sind. Sie sind erkauft mit weniger unbehelligt über das Gelände des Kirchenta- dem unsäglichen Leid und dem Blut der Frauen und ges in Dortmund gehen. Kaum jemand hat ihn erkannt. Kinder, zur Sklavenarbeit gezwungen, vergewaltigt und Aber wer mit ihm zu tun hatte, merkte schnell, dass da misshandelt, für den angeblichen Wohlstand. ein besonderer Gast in der westfälischen Metropole Denis Mukwege wird nicht müde, darauf immer und war. Sein erklärtes Ziel ist es, den hunderttausenden immer wieder hinzuweisen. „Natürlich brauchen wir Frauen zum Recht zu verhelfen, die noch immer unter alle ein Smartphone, das ist ein Segen“, räumt er so- der Gewalt durch Krieg und Vergewaltigung leiden. Es fort ein. „Aber warum muss ein schönes Smartpho- ist durchaus nicht nur ein symbolischer Akt, dass er ne mit dreckigen Geschäften und der Gewalt gegen diesen Frauen den wichtigsten Friedenspreis der Ge- Frauen erkauft werden?“ Warum lässt die ganze Welt genwart gewidmet hat. Und er will mehr. es zu, dass ein solcher Handel überhaupt weitergehen Er hat nur ein kleines Problem: Er kommt aus jenem kann? Die Antwort ist schlicht: Weil die Wirtschaft es Land, das noch immer den Titel „Herz der Finsternis“ mit so will. Weil der Preis für die Rohstoffe viel zu billig sich herumschleppt. Der Kongo ist Afrika, Afrika ist weit ist, weil viel zu viele Zwischenhändler daran verdie- weg, „da hauen sie sich doch nur die Köppe ein, also da nen statt die Schürferinnen und Schürfer gerecht zu kann man ja eh nichts machen“. Die Ausfälle zu Afrika, entlohnen. Ja, auch weil China mit anderen Staaten die der Aufsichtsratsvorsitzende des Fußball-Bundesli- ganz groß im Geschäft ist. China ist nicht zimperlich, gisten von Schalke 04, Clemens Tönnies, von sich gab, wenn es um Menschenrechte geht. Da lässt es sich gehen in dieselbe Richtung. Eine Haltung, die eben viel gute Geschäfte machen, wenn man nicht so genau weiter verbreitet ist als wir meinen, auch in der Kirche. hinschauen muss. Doch was so weit weg ist, tragen wir in Wirklichkeit Dazu kommt: In einem Staat wie der Demokratischen alle nahe bei uns, näher geht es fast nicht. Das Smart- Republik Kongo, in dem komplette Anarchie herrscht, phone in der Hand oder der (Hosen-)Tasche ist direkt wo es nur eine durch und durch korrupte staatliche 14
Aufsicht gibt, wo ein Präsident sich mit Gattin und nal aus, ihre gesamte digitale Infrastruktur nur noch Ministern die Erträge aus dem Reichtum der Erde mit „sauberen“ Geräten aufzubauen und umzurüs- persönlich sichert und das Volk vor die Hunde gehen ten? Wer fragt in diesem Sektor eigentlich danach? lässt, da holen sich alle, was sie brauchen, auf ihre Es geht um Sicherheit – darum wird gerade auf eine Weise. Mehr als 150 Rebellengruppen sind im Ost- „Apfelfirma“ aus Kalifornien umgestellt bei uns und kongo unterwegs, um sich das illegale Geschäft mit anderswo. Aber die Sicherheit der Frauen dort, wo den Bodenschätzen zu sichern. Dabei ist fast immer die Dinge herkommen, interessiert dabei keinen. Da und überall Gewalt im Spiel, entsetzliche Gewalt. In werden wir in Zukunft ein immer größeres Glaubwür- dieser Situation ist nun auch noch Ebola ausgebro- digkeitsproblem haben. chen, eine tödliche Krankheit, tödlich wie die Gier Weiterhin gilt es, den politischen Druck aufrecht zu er- nach Rohstoffen. Abgewandelt von einem Buchtitel halten. Die Vereinte Evangelische Mission hat gemein- über Afghanistan darf man wohl sagen: In den Kongo sam mit Brot für die Welt, Misereor, Pax Christi, Eirene geht Gott nur noch zum Weinen. und anderen Hilfsorganisationen schon vor mehr als Was ist zu tun? In der Kirche möchte man sagen: Da zehn Jahren das „Ökumenische Netz Zentralafrika“ hilft nur noch beten! In der Tat, das wäre eine Haltung, gegründet, auch Westfalen ist über das Eine Welt Zen- die vieles verändern kann. Denn Beten wird den Blick trum in Herne mit von der Partie. Natürlich kann die auf die lenken, die als Opfer dieses gesamten Desas- Frage aufkommen, was denn darüber erreicht wurde? ters täglich mit den Folgen zu kämpfen haben, die oft Immerhin gibt es inzwischen kaum eine oder einen genug daran zugrunde gehen. Damit sind wir wieder Bundestagsabgeordnete*n, die bzw. der diese wichtige nah bei den Anliegen, für die Denis Mukwege nach Anlaufstelle in Berlin nicht kennen. Oder die Fachabtei- Dortmund gekommen ist, und für die er täglich kämpft. lungen in den Ministerien. Öffentlichkeit in der Politik ist Denn es bleibt auch ein spiritueller Kampf, dieser Über- ein schwieriges Feld und braucht einen langen Atem. macht an Gewalt immer wieder entgegenzutreten. Aber es ist enorm wichtig, hier dran zu bleiben. Wie sonst kann einer das durchstehen, der 2013, nach- Und schließlich: Weltweit wird gerade viel in Elektro- dem er seine berühmte Rede vor der UNO Vollver- mobilität investiert, mit gravierenden Folgen für den sammlung gehalten hatte, nur knapp einem Attentat Kongo. Kobalt wird hier inzwischen in großen Mengen entging? Einer seiner engsten Begleiter wurde dabei abgebaut. Der Hype hat seinen Preis. Aber den will getötet. Seitdem lebt er in Quarantäne, wenn er in Bu- keiner bezahlen. Denn dieser Rohstoff hat inzwischen kavu ist. Die internationale Schutz- und Friedenstruppe einen enormen Preissprung gemacht. Der zwischen- MONUSCO, mit 17.000 Soldatinnen und Soldaten die zeitliche Preisverfall dürfte vorübergehend sein. Die größte weltweit, muss auch für seine Sicherheit und Verletzungen der Menschenrechte lassen sich nicht für die seiner Familie sorgen. mit ein paar Erklärungen aus der Welt schaffen. So- Aber noch einmal: Was ist zu tun? In aller Hilflosigkeit, lange angeblich saubere Elektromobilität mit schmut- die fast alle Beteiligten ergreift, gilt es doch, Öffentlich- zigen Geschäften bei der Rohstoffgewinnung erkauft keit herzustellen. Den andauernden Krieg nicht unter ist, bleibt sie ein Problem. Es erinnert uns daran, dass den Teppich zu kehren, sondern die Gewalttaten öf- wir z. B. das, was „Fridays for Future“ uns vor Augen fentlich zu machen und anzuprangern, das sind wich- hält, endlich ernst nehmen sollen. Es geht um nicht tige Schritte. Denn die Täter scheuen die Öffentlichkeit, weniger als um ein neues Verhältnis zur Welt, die uns die staatlichen Akteure genauso. Das System lebt von geschenkt ist. Wir dürfen sie eben nicht ungestraft der Verborgenheit, in der die Verbrechen stattfinden. ausbeuten, koste was es wolle. Die wahren Kosten Es wird auch nach wie vor viel zu wenig Druck auf sind das, was Denis Mukwege uns mit seiner Arbeit die Firmen ausgeübt, die wie selbstverständlich ihre vor Augen führt. Es wäre schön, wenn er mit seiner Ware millionenfach an uns verkaufen, die auch genau Arbeit so bekannt wird, dass er beim nächsten Kir- wissen, woher ihre Rohstoffe kommen. Gerade die chentag keinen Schritt mehr gehen kann, ohne dass Wirtschaft und der Handel wollen keine Öffentlichkeit. ihn Menschen ansprechen. Wir arbeiten schon an ei- Verbraucherinnen und Verbraucher haben sehr viel ner Einladung für 2021 in Frankfurt. Macht, wenn sie immer wieder danach fragen, mit wel- chen Mitteln ihre Produkte hergestellt sind. Martin Domke, Regionalpfarrer des Amtes für MÖWe und Warum geht nicht von unserer Kirche ein klares Sig- Leiter des Eine Welt Zentrums Herne 15
WIRTSCHAFT UND MENSCHENRECHTE Kinderarbeit im Textilsektor, Delhi. © Karin Desmarowitz / Brot für die Welt Kinderarbeit in Indien Romesh Modayil berichtet von seinen Erfahrungen Laut Angaben der Regierung gibt es zwölf Millionen Kin- Kinder sind tätig u. a. als Haushaltshilfen, in der länd- derarbeiter in Indien. Doch Hilfsorganisationen schät- lichen Arbeit z. B. im Baumwollanbau, in Schlosserei- zen, dass 45 bis 50 Millionen indischer Mädchen und en, Stickereien, in der Teppich- und Tabakindustrie, im Jungen jeden Morgen statt zur Schule in Steinbrüche Bergbau und Steinbruch, in Ziegelöfen und Teegärten. und Fabriken zur Arbeit gehen oder auf der Straße Wa- Mädchen müssen mehr Hausarbeit und Heimarbeit ren verkaufen. Das ist jedes zehnte Kind in Indien. Vor leisten, während Jungen häufiger in Lohnarbeit tätig allem die 12- bis 17-Jährigen arbeiten bis zu 16 Stunden sind. Dabei nimmt die Arbeitsbelastung und die Dau- täglich, um mit dem Lohn ihre Familien zu unterstützen. er der Arbeitszeit mit dem Alter der Kinder zu. Aber auch zehn Millionen Kinder im Alter zwischen 5 Vor 16 Jahren habe ich als Pfarrer ein kleines Projekt und 14 Jahren arbeiten. Dabei ist Arbeit von Kindern, die gestartet in Dehradun, Nordindien. Ich wollte Arbeiter, jünger als 14 Jahre alt sind, in Indien verboten. die in Slums unweit meines Hauses lebten, dazu brin- Trotz des Wirtschaftsbooms in den letzten 20 Jahren gen, ihre Kinder im Alter von drei bis fünf Jahren bei uns leben immer noch fast ein Drittel aller Inder unter der zu lassen, während sie ihre tägliche Arbeit nachgingen. Armutsgrenze. Auch die raschen Entwicklungen, z. B. Doch es war nicht einfach. Sie trauten uns „gebilde- im IT- oder Automobil-Bereich, haben diese Armut nicht ten“ und „bessergestellten“ Menschen nicht. Nach und verringert. Zwar herrscht in Indien Schulpflicht, aber nach gelang es uns jedoch, ein paar Familien davon zu Menschen aus den Slums oder ländlichen Gebieten se- überzeugen, ihre Kleinen zu uns zu schicken. Und so hen häufig keine andere Möglichkeit, als ihre Kinder aus begann unser Projekt „Little Scholars School“! den Schulen zu nehmen und arbeiten zu lassen, um die Später versuchten wir, auch ältere Kinder für unsere Familie zu ernähren. Oft aus existentieller Not werden Schule zu gewinnen, aber wir waren ziemlich erfolg- Kinder von ihren Eltern sogar auch an Kinderhändler los. Die Eltern wollten, dass diese Kinder, zwischen 8 verkauft, die die Jungen und Mädchen für einen sehr und 16 Jahre alt, lieber arbeiten gehen und etwas ver- geringen oder gar keinen Lohn arbeiten lassen. dienen, damit den Familien geholfen würde. 16
Drei Kinder – drei Schicksale nicht mehr zur Schule geht, sagte er, dass er seine El- tern und vier Geschwister unterstützen will. Der Vater ist Tagelöhner und verdient wenig. Für seine Zukunft hat er keine Pläne oder Ideen. Es geht nur ums Über- leben, so oder so! Salim Salim verbringt seinen Tag mit Müllsammlung und -trennung. Er arbeitet mit bloßen Händen von frühmor- gens bis spätabends, sieben Tage in der Woche. Salim ist intelligent und interessiert sich für Autos. Er will gerne Automechaniker werden. Aber seinen Eltern fehlen die Mittel, um ihn zur Schule und Weiterbildung zu schicken. Daher arbeitet er lieber auf der Straße um das Minimum zu verdienen. Die Familie lebt auch in ei- Maniram, 15 Jahre nem dieser Slums. Wir haben versucht, mehrmals mit alt, geht nicht zur Schule, sondern ver seinen Eltern zu sprechen und sie zu überzeugen, dass kauft jeden Tag Tee. er eine vielversprechende Zukunft haben könnte, wenn er zur Schule ginge, aber so was interessiert die Eltern nicht. Es geht um heute, nicht um die Zukunft! Maniram Krishna Maniram ist 15. Im Alter von drei Jahren war er Vor- Krishnas Mutter brachte ihn zu uns, als er erst zwei- schüler bei uns. Mit fünf Jahren wechselte er in die einhalb Jahre alt war. Sein Vater, der ein einfacher staatliche Grundschule. Seine Eltern haben ihn aus Maurer ist, nahm ihn jedoch mit sechs Jahren weg der Schule genommen und auf die Straße geschickt, von uns und ließ ihn in der Ziegelei bei sich arbeiten. um Tee jeden Tag an Autofahrer, Fußgänger und Pas- Sommer und Winter, Tag und Nacht muss Krishna santen zu verkaufen. Als wir ihn fragten, warum er seinem Vater helfen. Was kann man dagegen tun? Wir fühlen uns ziemlich fen, eine der Hauptursachen für Kinderarbeit. Die Be- hilflos angesichts dieser anscheinend unüberwindba- kämpfung von Armut und Ungleichheit ist entschei- ren Problematik! Aber nach dem Motto „Eine kleine dend, um die Kinderarbeit in Indien zu beenden. Menge reicht weit!“ versuchen wir mit einigen Familien aus den Slums zusammenzuarbeiten. Einigen Famili- Romesh Modayil, Regionalpfarrer des Amtes für MÖWE im en geben wir den Geldbetrag, den die Kinder verdient Kirchenkreis Soest-Arnsberg hätten, damit die Kinder zu uns in die Schule kommen und nicht arbeiten gehen müssen. Bei uns bekommen sie ihre Uniformen, Schuhe, Bücher, Arbeitsmateria 100 Million – lien etc. und sogar ein gesundes Mittagessen. Später Weltweite Kampagne sorgen wir auch für ihre weitere Schulbildung und ihr gegen Kinderarbeit! Wohlergehen. Wir besuchen die Eltern in den Slums und bleiben in regelmäßigem Kontakt mit ihnen. Brot für die Welt ruft zur Teilnahme an der In der Politik muss viel mehr getan werden, um Kampagne gegen Kinderarbeit auf. Ziel ist es, ausbeuterische Kinderarbeit in Indien zu stoppen: die Vernachlässigung und Ausbeutung von Die Gesetze gegen Kinderarbeit müssen weiter ver- Kindern weltweit zu beenden. Informationen, schärft und strenger durchgesetzt werden. Darüber Materialien: www.brot-fuer-die-welt.de hinaus ist es wichtig, die extreme Armut zu bekämp- 17
WIRTSCHAFT UND MENSCHENRECHTE Die Karawane zieht weiter – Aktuelle Station „Äthiopien“ Textilunternehmen suchen die „günstigsten“ Standorte – auf Kosten der Arbeiter*innen Äthiopien spielte in der Vergangenheit auf der Land- karte der Textilproduzenten keine Rolle. Inzwischen sind dort riesige Industrieparks entstanden, die im- mer weiter wachsen. Zehntausende sind in der Tex- tilindustrie beschäftigt, meist sind es junge Frauen. In Äthiopien lassen bekannte Marken wie H&M, Levis, Wrangler, Gap, Calvin Klein und Tommy Hilfiger pro- Über 30 gigantische Industrieparks sollen im duzieren, aber auch Tchibo, Aldi und Lidl. Der Grund Jahr 2025 die Welt mit Kleidung „Made in Ethiopia“ für diesen „Boom“ liegt in der Logik der globalisierten versorgen. 350.000 Jobs sollen entstehen. Wirtschaft: Es wird da produziert, wo es am billigsten 30 Mrd. Dollar (rund 27 Mrd. Euro) ist, wo die Rahmenbedingungen für die Investoren durch Exporte umgesetzt werden. „stimmen“. Äthiopien lädt die Investoren ein, will mit der Textilindustrie die Wirtschaft ankurbeln. „Anrei- ze“ für Investoren sind, dass es in Äthiopien keinen Wir gingen frühmorgens eine Stunde zu Fuß zur Fab- gesetzlichen Mindestlohn für die Bekleidungsindus- rik. Danach saß ich während der ganzen Schicht ne- trie gibt, dass Gewerkschaften streng von der Regie- ben der Näherin, konnte ihre Arbeit und den ganzen rung beobachtet werden und nicht wirklich frei agie- Produktionsprozess beobachten. Sie nähte T-Shirts ren können. für das deutsche Unternehmen KiK zusammen. Da- Dass unter diesem System die Arbeiter*innen und bei beschränkte sich ihre Arbeit auf das Nähen der ihre Familien am meisten zu leiden haben, konnte ich beiden Ärmelsäume. Die anderen Nähte besorgten vor einigen Monaten selbst erleben. Ich wohnte einige ihre Kolleg*innen. Tage bei einer neunköpfigen Familie in einem äthiopi- Die Arbeiterin verdient 55 Euro pro Monat. Für ihre schen Dorf. Sie leben in einem kleinen Gehöft mit drei Arbeit an einem T-Shirt brauchte sie ca. 50 Sekun- Zimmern, ohne Strom und ohne Wasser. Die älteste den. Pro Stunde schafft sie demnach etwa 72 Shirts. Tochter ist die einzige, die als Näherin ein festes Ein- In einem Monat sind es 14.400 T-Shirts. Ihr Lohnan- kommen hat. Andere Familienmitglieder verdienen als teil an einem T-Shirt beträgt demnach 0,38 Cent! Die Gelegenheitsarbeiter*innen etwas dazu, einige Tiere, T-Shirts werden im Doppelpack für 5,99 Euro ver- ein kleines Feld und ein Pferdewagen für Transporte kauft. Dies ist ein konkret durchgerechnetes Beispiel bringen ebenfalls kleine Einnahmen. für die in dieser Industrie gezahlten Löhne. Es sind 18
Große Katastrophen bringen die Arbeitsbedingungen im Textilbereich immer wieder in die öffentliche Wahr- nehmung. So brannte im September 2012 im pakista- nischen Karatschi die Fabrik Ali Enterprises ab. 258 Menschen beim Feuer: sie erstickten und verbrann- ten. Wenige Wochen zuvor hatte das italienische Beschäftigte der Textilindustrie in Äthiopien Prüfunternehmen RINA dieser Fabrik das Zertifikat erhalten die niedrigsten Löhne im weltweiten Vergleich. SA 8000 ausgestellt, das u. a. hohe Brandsicherheits- Der Lohn für Einsteiger*innen liegt derzeit standards beinhaltet. Oft sind es private Dienstleister, bei ca. 26 US-Dollar (rund 23 Euro) pro Monat. die diese Audits vornehmen – zu häufig im Sinne der Damit können die Arbeiter*innen Fabrikbesitzer. Die Prüfunternehmen müssten für ihre keine angemessene Unterkunft, Fehler haftbar gemacht werden können. Essen und Transport bezahlen. Hauptkunde dieser Fabrik in Karatschi war KiK. Und In Myanmar und Bangladesch liegt der zum ersten Mal wurde ein deutsches Unternehmen Monatslohn bei 95 Dollar, in Kambodscha von Überlebenden und Angehörigen wegen der Mit- bei 182 Dollar und in China bei 326 Dollar. verantwortung für das Unglück verklagt. Das Dort- Welt-Sichten, 7. Mai 2019 munder Landgericht hatte den Betroffenen Prozess- kostenhilfe zugestanden, später wurde die Klage Hungerlöhne. Ein Mensch kann davon nicht leben, wegen Verjährung abgewiesen. geschweige denn eine Familie. Der Fall zeigt, wie wichtig es ist, Unternehmensver- Diese Fabrik gehört einem Unternehmen aus antwortung gesetzlich zu regeln sowie ein verbrieftes Bangladesh. Sie lässt nun in Äthiopien produzieren, Klagerecht für Betroffene zu schaffen. Die deutsche weil es dort günstiger ist. Die Karawane der Textilin- Regierung setzt aber bisher auf freiwillige Regelungen. dustrie zieht also weiter – immer den billigsten Löh- Sie erwartet von den Unternehmen, dass sie in ihrer nen hinterher. Auch deutsche Unternehmen lassen globalen Geschäftstätigkeit Menschenrechte achten unter diesen Umständen produzieren. Dabei sind und ihre Einhaltung überprüfen. Es ist hingegen erwie- nicht nur Discounter, sondern auch hochpreisige sen, dass diese freiwilligen Maßnahmen die Missstän- Modelabels. Teure Waren sind nachweislich keine de in der Textilproduktion bisher nicht verändert haben. Garantie für bessere Löhne für die Arbeiter*innen, Es ist bemerkenswert, dass nun auch immer mehr Un- keine Garantie für eine ökologisch und sozial ver- ternehmen solche gesetzliche Maßnahmen einfordern, antwortliche Produktion. so auch KiK. Denn mit einem Gesetz hätten alle Un- Dietrich Weinbrenner beobachtet in einer äthiopischen Nähfabrik die Produktion von T-Shirts für KiK. 19
WIRTSCHAFT UND MENSCHENRECHTE häuser oder Pflegeeinrichtungen in großem Maßstab Textilien, z. B. Bettzeug und Frotteewaren oder die Ar- beitskleidung für die Mitarbeitenden. Als kirchlicher Beauftragter für nachhaltige Textilien bin ich mit solchen Einrichtungen darüber im Gespräch, wie sie beim Einkauf von Textilien ökologische und „Wir befürworten eine gesetzliche Regelung soziale Kriterien einbeziehen können. Auf Grund der zur Bestimmung unternehmerischer großen Mengen, die die Diakonie einkauft bzw. mietet, Sorgfaltspflichten.“ Textilkonzern KiK kann sie den Markt in Richtung auf mehr Nachhaltigkeit RP online, 10. April 2019 beeinflussen. Zur Größenordnung: In einem Kranken- haus mittlerer Größe werden täglich rund drei Tonnen „Wir sind der Meinung, dass Wettbewerb nicht Wäsche verbraucht. Hier hat die Diakonie Verantwor- auf Kosten von Mensch und Umwelt gehen darf tung und Chance, Vorreiterin zu sein. Bisher wird in und deshalb reguliert werden muss.“ Krankenhäusern und Pflegeheimen noch nicht danach Nanda Bergstein Direktorin bei Tchibo, zuständig für den Bereich Unternehmensverantwortung gefragt, woher Bettwäsche und Arbeitskleidung kom- im Interview mit Welt-Sichten, 8. Mai 2019. men, und wie sie produziert wurden. Übrigens gilt dies auch für Einrichtungen der Caritas, denn ein Bettlaken ist ja nicht konfessionell gebunden. Die Evangelische ternehmen die gleichen Verpflichtungen, die auch mit Kirche von Westfalen hat zu diesem Thema eine klare Kosten verbunden sind. Gegenwärtig haben nämlich Haltung, wenn sie sagt, „dass Wirtschaft dem Leben die Unternehmen einen Wettbewerbsnachteil, die auf dienen muss, dass Gesundheit und Leben von Arbeite- soziale und ökologische Belange achten. rinnen und Arbeitern absoluten Vorrang haben vor der In Frankreich ist ein entsprechendes Gesetz bereits in Gewinnmaximierung von Unternehmen“. Kraft. Es geht also, wenn der politische Wille da ist. Wo hat Kirche selbst mit Textilien zu tun? Hier nutzen Dietrich Weinbrenner, Beauftragter für nachhaltige Textilien der VEM und EKvW besonders diakonische Einrichtungen wie Kranken- Beim Einsturz der Fabrik Rana Plaza in Bangladesh starben 1136 Menschen, über 2000 erlitten oft schwere Verletzungen. 20
Für Fair Play im Sport! Aber auch bei den Zulieferern? Der Fall adidas SÜDWIND setzt sich seit vielen Jahren für die Ein- haltung von Sozialstandards und Menschenrechten entlang von Lieferketten ein – auch in der Textilin- dustrie. So hat SÜDWIND eine Beschwerde bei der OECD gegen adidas eingereicht. Ein Interview mit Dr. Sabine Ferenschild. Sie ist wis- senschaftliche Mitarbeiterin im SÜDWIND- Institut – mit dem Schwerpunkt Arbeitsbedingungen in der textilen Wertschöpfungskette. Amt für MÖWe: Warum hat SÜDWIND eine Beschwer- Februar 2012. Sie hatten versucht eine Betriebsge- de gegen adidas eingereicht? werkschaft zu gründen. Am 23. Juli 2012 wurden Ferenschild: Im Juli 2012 streikten rund 2.000 Be- 1.300 Beschäftigte entlassen, die sich an dem Streik schäftigte der Firma PT Panarub Dwikarya, Teil der beteiligt hatten. Bis März 2018 hatten mehr als 300 Panarub-Gruppe in Indonesien – ein zentraler adi- der Entlassenen (überwiegend Frauen) keine Abfin- das-Zulieferer. Sie forderten die Zahlung des seit Ja- dung erhalten. Nach dem indonesischen Arbeits- nuar 2012 geltenden Mindestlohnes, Lohnnachzah- recht steht aber jedem Entlassenen eine Abfindung lungen sowie Vereinigungsfreiheit. Vorausgegangen zu, deren Höhe sich nach der Dauer ihrer Beschäfti- war die Entlassung von mehreren Beschäftigten im gung richtet. 21
Sie können auch lesen