Westfalen Welt Weit - Nachrichten aus Mission, Ökumene und kirchlicher Weltverantwortung - MÖWe Westfalen

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Westfalen Welt Weit - Nachrichten aus Mission, Ökumene und kirchlicher Weltverantwortung - MÖWe Westfalen
Westfalen • Welt • Weit
Nachrichten aus Mission, Ökumene und
kirchlicher Weltverantwortung

Themenschwerpunkt: Wirtschaft & Menschenrechte

2019 | JAHRGANG 9
Westfalen Welt Weit - Nachrichten aus Mission, Ökumene und kirchlicher Weltverantwortung - MÖWe Westfalen
INHALT

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WIRTSCHAFT & MENSCHENRECHTE                                    KIRCHENTAG

• Wirtschaft und Menschenrechte - eine Einführung

• Kohleabbau in Südafrika und seine Folgen

• Rohstoffe für unsere Handys und Autos -
  die Folgen im südlichen Afrika

• Dr. Denis Mukwege -
  der Friedensnobelpreisträger in Westfalen
                                                               Berichte und Impressionen vom Kirchentag, z. B.
                                                               WeltGarten - GlobalGarden2019, Wege zur Nach-
                                                               haltigkeit, Ökumenische Gottesdienste und Podien,
                                                               Migrationskirchen, Besuch der ökumenischen Gäste

• Kinderarbeit in Indien
                                                               60
                                                               BROT FÜR DIE WELT
• Textilproduktion in Äthiopien
                                                               • Hunger nach Gerechtigkeit -
• Für Fair Play - auch bei den Zulieferern von adidas!
                                                                 60 Jahre Brot für die Welt
• Bayer/Monsato - ein Bericht aus Argentinien
                                                               • Brot für die Welt-Botschafter*innen
• Kinderarbeit in der Schokolade?
                                                               • Benefizkonzert „Gitarren statt Gewehre“
• Moderne Sklavenarbeit in Europa!
  Migrant*innen als Erntehelfer

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•
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                                                               REGIONALES / AUS DEM AMT FÜR MÖWE
WIRTSCHAFT & MENSCHENRECHTE
Handlungsmöglichkeiten                                         • Wie Menschen mit Behinderung in Palästina leben -
                                                                 Bericht von einer Besuchsreise

                                                               • Frieden und Menschenrechte -
                                                                 VEM Summer School

                                                               • Praktikant*innen berichten

• Kampagne für ein Lieferkettengesetz

• Divestment - auch in der westfälischen Kirche                72
• Oikocredit - fairer Wirtschaften!                            IMPRESSUM

• Zukunft einkaufen

• Für die Bildungsarbeit: Lernkoffer, finanzielle Förde-
  rung, Filmtipps, GloBall - Bring Werte ins Spiel!

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EDITORIAL

                                                              mut im Team. Es ist eben nicht immer gesagt, dass
                                                              political correctness auch jedem/jeder schmeckt.
                                                              Und dabei ist stets klar: bei allen Bemühungen bleibt
                                                              unser Lerneffekt wesentlich größer als die konkret
                                                              messbare Veränderung für Mensch oder Natur. Den-
                                                              noch bleiben wir dran, wohl wissend, dass die persön-
                                                              liche Haltung nur ein Baustein auf dem Weg zu einer
                                                              Wirtschaft „im Dienst des Lebens“ ist.
                                                              Ein anderer Baustein ist die Verantwortung der Unter-
                                                              nehmen. Der Nationale Aktionsplan Wirtschaft und
                                                              Menschenrechte (NAP), den die Bundesregierung
                                                              2016 verabschiedet hat, versucht, deutsche Unter-
                                                              nehmen zur Einführung von Nachhaltigkeitskriterien
                                                              entlang ihrer Produktions- und Lieferketten zu gewin-
                                                              nen. Dies geschieht auf der Basis von Freiwilligkeit.
Annette Muhr-Nelson                                           Wir halten das für nicht ausreichend. Ein Lieferketten-
Leiterin des Amtes für MÖWe                                   gesetz in Deutschland zur Durchsetzung der Men-
                                                              schenrechte in der Wirtschaft wäre ein geeigneter
                                                              Rahmen. Im Jahr 2020 besteht die große Möglich-
Verantwortungsträger*in                                       keit, ein solches Gesetz politisch durchzusetzen.
gesucht!                                                      Deshalb beteiligen wir uns an der bundesweiten
                                                              Kampagne für ein Lieferkettengesetz, die am 10.
Wer ist eigentlich verantwortlich für den Hungerlohn          September 2019 gestartet ist. Machen auch Sie
der indonesischen Näherinnen, den Hautausschlag               mit, damit Politik handelt! Mit dem Schwerpunkt der
der philippinischen Müllsammler, die Wachstums-               diesjährigen Ausgabe von Westfalen Welt Weit wol-
störungen der Kinder, die in den Minen im Kongo               len wir dazu beitragen, Verantwortungsträger*in für
arbeiten? Und wer hat die Macht, daran etwas zu               Menschenrechte zu finden.
ändern und bessere Lebensbedingungen für die                  Klimaretter*in, Hoffnungsträger*in, Botschafter*in,
vielen Unterprivilegierten in „aller Herren Länder“           Weltverbesserer*in und Friedensstifter*in gesucht –
durchzusetzen?                                                so hieß es auf dem Dortmunder Kirchentag an unse-
Sicher ist unser Konsumverhalten ein entscheidender           rem MÖWe-Stand im WeltGarten - GlobalGarden2019
Faktor. Aber reicht es aus, auf das Fair-Trade-Siegel         auf dem Messegelände. Vielleicht haben Sie uns dort
zu achten und sich das eine oder andere Kleidungs-            besucht, Gespräche geführt, der Musik und Talkrun-
stück lieber im Second-Hand-Laden zu besorgen? Im             den zugehört? Aber wir waren auch an vielen anderen
Amt für MÖWe haben wir uns eine Beschaffungsord-              Stellen im Kirchentagsprogramm aktiv. Ein paar Ein-
nung gegeben, in der es u. a. heißt: „Beschaffungs-           drücke von dieser einzigartigen und unvergesslichen
entscheidungen haben Einfluss auf den Ressourcen-             Zeit im Juni bilden einen weiteren Schwerpunkt – ne-
verbrauch, die Umweltbelastungen und die sozialen             ben dem 60. Geburtstag von Brot für die Welt.
Auswirkungen, die durch Produktion, Transport, Ge-            Ich wünsche Ihnen eine anregende und motivierende
brauch und Entsorgung der Produkte entstehen. Bei             Lektüre. Denken Sie dran: Gemeinsam können wir die
jeder Beschaffungsentscheidung soll daher zunächst            Welt zum Besseren verändern!
geprüft werden, ob die Anschaffung vermeidbar ist.“
Wenn sie nicht vermeidbar ist, prüfen wir nach ökolo-
gischen, sozialen und ökonomischen Gesichtspunk-
ten, welches Produkt angeschafft wird.
In der Praxis ist es eine Herausforderung, sich mit der
Herkunft und Produktionsweise jedes Produktes zu
beschäftigen. Manchmal entsteht dadurch auch Un-

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WIRTSCHAFT UND MENSCHENRECHTE

                                                                               Faire Löhne, Arbeits- und Gesundheits­
                                                                             schutz, Versammlungsfreiheit - diese und
                                                                               andere Menschenrechte werden vielen
                                                                                  Arbeiter*innen verweigert, auch den
                                                                              Arbeitern in einer Mine in der DR Kongo.
 © Julien Harneis | CC BY-SA 2.0

Wirtschaft und Menschenrechte
Der lange Weg zu verbindlichen Regeln

Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, dass Ar-         se und Trinkwasser sind verseucht – und das obwohl
beiter*innen, die unsere Kleidung, Schuhe oder Elek-           eine Tochter des deutschen Unternehmens TÜV Süd
trogeräte produzieren, vor Gesundheitsschäden am               diesen Damm als sicher zertifiziert hatte.
Arbeitsplatz geschützt sind und sie sich ohne Angst            Um der Herausforderung von Menschenrechtsver-
gewerkschaftlich organisieren können. Auch für den             stößen durch weltweit operierende Unternehmen zu
Abbau von Rohstoffen oder für Kakao-, Palmöl- oder             begegnen, verabschiedete 2011 der UN-Menschen-
Bananenplantagen sollten Menschen nicht von ihrem              rechtsrat die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und
Land vertrieben werden. Zahlreiche Berichte aus Fa-            Menschenrechte. Dieser Empfehlungskatalog sagt:
briken, Minen oder Plantagen z. B. aus Bangladesch,            Staaten sind verpflichtet, Menschen durch eine an-
Indonesien oder der DR Kongo belegen jedoch das                gemessene Politik, Regulierung und Rechtsprechung
Gegenteil. Menschenrechtsverstöße sind keine Aus-              vor Menschenrechtsverstößen durch Unternehmen
nahme, sondern haben System. Ursache dafür sind                zu schützen. Aber auch die Unternehmen selbst tra-
die Bedingungen des harten Wettbewerbs in der glo-             gen Verantwortung, ihr Möglichstes zu tun, um in
balisierten Wirtschaft.                                        ihren Lieferketten Menschenrechtsverletzungen vor-
Auch deutsche Unternehmen sind immer wieder di-                zubeugen, bestehende Missstände zu beheben und
rekt oder indirekt an Menschenrechtsverstößen betei-           Betroffenen Abhilfe und Entschädigung zu verschaf-
ligt. Beim Einsturz einer Textilfabrik in Bangladesch im       fen. Man spricht von der „Pflicht zur menschenrechtli-
Jahr 2013 starben 1.135 Menschen. Dort ließen auch             chen Sorgfalt“ von Unternehmen.
KiK und Adler oder deren Zulieferer produzieren. Der           Um die UN-Leitprinzipien umzusetzen waren und sind
Chemie-Riese Bayer verkauft an brasilianische Land-            die Staaten aufgefordert, Nationale Aktionspläne zu
wirte Pestizide, die in der EU aufgrund ihrer verheeren-       entwickeln. In diesen Plänen sollen die Regierungen
den Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt längst              u. a. beschreiben, wie sie Unternehmen ihres Lan-
verboten sind. In Brasilien verlieren durch den Damm-          des dazu anhalten, auch bei Auslandsgeschäften die
bruch von Brumadinho 246 Menschen ihr Leben. Flüs-             Menschenrechte zu achten. Deutschland hätte den

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Nationalen Aktionsplan nutzen können, um die Sorge              Zivilgesellschaftliche Organisationen fordern prinzi-
für die Achtung der Menschenrechte durch deutsche               piell ein Gesetz, unabhängig davon wie viel Prozent
Unternehmen gesetzlich festzuschreiben. Die Bundes-             der großen Unternehmen Maßnahmen zum Schutz
regierung hat sich jedoch erst mal anders entschieden:          der Menschenrechte ergriffen haben. Jedes Unter-
Nach einem langwierigen Beratungs- und Abstim-                  nehmen, das in seiner Lieferkette gegen die Men-
mungsprozess verabschiedete sie Ende 2016 ein eher              schenrechte verstößt, ist eines zu viel. Auch der So-
halbherziges Maßnahmenpaket. Dies sieht zunächst                zialausschuss der Vereinten Nationen kritisierte die
keine gesetzliche Regelung vor. Die Bundesregierung             50%-Regelung des deutschen Nationalen Aktions-
erwartet demnach von allen Unternehmen, die Men-                plans und empfahl eine gesetzliche Regelung.
schenrechte auch im Auslandsgeschäft zu achten. Sie             In der Bundesregierung und der Öffentlichkeit hat die
hofft darauf, dass menschenrechtliche Sorgfalt freiwil-         Diskussion um ein Lieferkettengesetz schon begon-
lig umgesetzt wird und bietet dazu verstärkt Beratung           nen. Die ungeplante Veröffentlichung eines vertrauli-
an. Als Ziel wurde gesetzt, dass die Hälfte der großen          chen Gesetzesvorschlags für ein Lieferkettengesetz
Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten bis zum              aus dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zu-
Jahr 2020 menschenrechtliche Sorgfaltsprozesse ein-             sammenarbeit und Entwicklung im Frühjahr 2019
geführt haben. Wird dieses Ziel nicht erreicht, dann soll       löste vielfältige Reaktionen aus. Die Regierung ist
eine gesetzliche Regulierung geprüft werden. Der Koa-           sich hier uneins. Während Entwicklungsminister
litionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD geht etwas              Gerd Müller (CSU) und Arbeitsminister Hubertus
weiter: Er spricht davon, dass die Bundesregierung in           Heil (SPD) eine gesetzliche Regulie­­­­rung befürwor-
diesem Fall national gesetzlich tätig werde und sich für        ten, sträubt sich Wirtschaftsminister Peter Altmaier
eine EU-weite Regelung einsetzen würde.                         (CDU) beständig gegen jede Vorgabe für Unterneh-
Und genau hier liegt eine Chance für die Menschen-              men. Auch in der Wirtschaft gibt es verschiedene Po-
rechte in internationalen Lieferketten: Das Thema               sitionen: Die großen Industrieverbände lehnen (wie so
„Lieferkettengesetz“ steht im Jahr 2020 auf der po-             häufig) jede Verbindlichkeit ab. Ihnen gegenüber steht
litischen Tagesordnung. Nachdem die letzten Jahr-               eine wachsende Reihe von Unternehmen, beispiels-
zehnte zeigten, dass Freiwilligkeit nicht reicht, besteht       weise BMW, Daimler, Tchibo oder Vaude, die sich klar
nun die Chance, Unternehmen endlich zu Menschen-                für ein Lieferkettengesetz aussprechen. Sie wollen
rechtsschutz verbindlich zu verpflichten. Unterneh-             keinen Wettbewerbsnachteil haben, wenn sie ihre Ge-
men, die nicht genug getan haben, um Schäden an                 schäftsmodelle umstellen, um die Sorgfaltspflichten
Mensch und Umwelt zu verhindern, müssten die Ver-               einzuhalten. Außerdem können diese Unternehmen
antwortung hierfür übernehmen.                                  gemeinsam mit anderen Unternehmen Verbesserun-

                                                                                       Kinder werden als billige
                                                                                       Arbeitskräfte ausgebeutet -
                                                                                       in Steinbrüchen, aber auch
                                                                                       auf Kakaoplantagen, in Minen
                                                                                       oder Teppichfabriken.

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WIRTSCHAFT UND MENSCHENRECHTE

gen leichter durchsetzen, wenn beispielsweise diese            rechten (UN-Treaty) befördern. An einem solchen
denselben Zulieferbetrieb haben. Für Unternehmen,              Abkommen wird seit 2014 gearbeitet. Ein erster Ent-
die die Menschenrechte konsequent achten wollen,               wurf des Abkommens wurde von Menschenrechtsex-
liegen die Vorteile eines Gesetzes auf der Hand.               pert*innen und Betroffenengruppen weltweit begrüßt.
Klar ist: Es wird auch vom öffentlichen Druck, vom En-         Die Bundesregierung aber zeigt sich nach wie vor
gagement vieler einzelner abhängen, ob die Bundes-             skeptisch. Ein eigenes Lieferkettengesetz würde ihr
regierung weiterhin mit dem Kurs der Freiwilligkeit ein        Engagement im Prozess sicher unterstützen.
„Business as Usual“ befördert oder ob sie mit einem
Lieferkettengesetz wirksam die Spielregeln für Unter-          Eva-Maria Reinwald, Fachpromotorin für Globale Wirtschaft
                                                               und Menschenrechte, SÜDWIND – Institut für Ökonomie
nehmen verändert.
                                                               und Ökumene e.V.
Ein breites Bündnis aus Menschenrechts-, Entwick-
lungs- und Umweltorganisationen, Gewerkschaften
und Kirchen hat sich daher zur „Initiative Lieferketten-
gesetz“ zusammengeschlossen, um sich gemeinsam
für ein solches Gesetz zu engagieren (vgl. S. 32).
Ein starkes Lieferkettengesetz in Deutschland würde
auch Dynamik in internationale Debatten bringen, z. B.
für europaweite verbindliche Regeln für Unternehmen.
Zudem kann es die Verhandlungen zu einem verbind-
lichen UN-Abkommen zu Wirtschaft und Menschen-

                                                                                 Aktionspostkarte von CIR und SÜDWIND.
                                                                         Bestellbar unter www.ci-romero.de/publikationen
                                                                                                        Karikatur von Oliver Stenzel

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Zerstörter Lebensraum - in Mpumalanga,
                                                                                        dem Kohlerevier Südafrikas
© Cedric Nunn / Brot für die Welt

Der Himmel über der Ruhr ist noch ein Stück blauer
Was bedeutet das für Südafrika?

Im Dezember 2018 schloss die letzte Steinkohle­              weitergehen – doch was bedeutet das für Südafrika?
zeche in Nordrhein-Westfalen und besiegelte damit            Südafrika hat sich einer nachhaltigen Entwicklung und
den bundesweiten Abschied von der Kohleförderung             einer damit einhergehenden Transformation der Wirt-
– der Himmel über der Ruhr ist also noch ein Stück           schaft versprochen. Dennoch wird zunehmend Stahl
blauer geworden. Dennoch wird in Deutschland wei-            produziert, werden weitere Kohlekraftwerke gebaut,
terhin Strom aus Kohle gewonnen und Stahl mit Hilfe          neue Kohlelagerstätten erschlossen und Schächte ab-
des fossilen Energieträgers erzeugt. Der notwendige          geteuft. Das geschieht häufig in den eher ländlich ge-
Rohstoff wird jetzt in anderen Teilen der Welt ans Ta-       prägten Regionen. Hier leben Menschen, die bisher von
geslicht gebracht und dort oftmals unter wesentlich          Landwirtschaft und Viehzucht lebten. Nun werden sie
schlechteren Bedingungen gefördert. Neben Kolum-             zugunsten der Bergbauunternehmen vertrieben und
bien, Russland und der Türkei gehört Südafrika aktu-         ihre Lebensgrundlage zerstört. Traditionelle Gesetze
ell zu den Staaten, die uns mit dem so in Misskredit         und Vereinbarungen werden außer Kraft gesetzt. Nur
geratenen „Schwarzen Gold“ beliefern.                        in den seltensten Fällen wird fruchtbares neues Land
Südafrika steht an Nummer sieben der weltgrößten             zur Verfügung gestellt oder werden Kompensationen
Kohle produzierenden Länder. Neben Gold und Platin           gezahlt. Außerdem schaffen die Bergwerkbetreiber
gehört Steinkohle zu den wirtschaftlich bedeutends-          nicht genug neue Arbeitsplätze, um den Menschen,
ten Bodenschätzen. In 18 riesigen Kohlefeldern la-           die dort wohnen bleiben, ausreichend Einkommen
gert der Rohstoff, teilweise nur 15 Zentimeter bis zu        zu bieten. Die Bedingungen, unter denen Männer und
einem Meter tief unter der Erde. 84 Prozent der Er-          Frauen in den Minen arbeiten, sind zudem lebensge-
träge fließen in die Hände multinationaler Konzerne,         fährlich, menschenunwürdig und schlecht bezahlt. Die
nur der kleine Rest von 16 Prozent verbleibt bei süd-        Arbeiter*innen können ohne Rücksicht entlassen wer-
afrikanischen Unternehmen – davon werden über 90             den, da sie zunehmend über Leiharbeitsfirmen ange-
Prozent des Energiebedarfs des Landes gedeckt. 30            stellt sind und so ihre Rechte noch weniger geschützt
Jahre könnte es bei gleichbleibender Förderung so            sind. Erkranken sie aufgrund der Arbeitsbedingungen

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WIRTSCHAFT UND MENSCHENRECHTE

in den Minen, sind ihre Aussichten auf Entschädigung            Die zunehmend dramatische Wasserknappheit im ver-
gleich null. Die Bergleute und ihre Familien leben in der       gangenen Jahr in Kapstadt ist vielen noch in Erinne-
Regel nahe – oftmals viel zu nah – bei den Minen in in-         rung. Die Millionenmetropole am Kap der Guten Hoff-
formellen Siedlungen. Das bedeutet Wellblechhütten,             nung war kurz davor den Notstand auszurufen und als
unbefestigte Straßen, kein Zugang zu einer regelmä-             erste Metropole weltweit kein Wasser mehr zu haben,
ßigen Energie- und Wasserversorgung. Wobei die feh-             den „Day Zero“. Dass auch immer mehr kleinere und
lende Stromversorgung fast schon makaber scheint,               mittlere Kommunen von dramatischer Wasserknapp-
liegt die große Energiequelle, die Kohle, nur wenige            heit betroffen sind, ist uns kaum bekannt. In einigen
Meter von den Dörfern entfernt. Organisationen und              Provinzen wie Mpumalanga, Free State und Kwa Zulu
Initiativen, die auf diese Missstände aufmerksam ma-            Natal liegen die Gründe des Notstandes für die dortige
chen wollen oder gar gegen die unfairen Praktiken der           Bevölkerung auf der Hand. Es zeigt sich immer wieder
Unternehmen und Konzerne vorgehen, leben in der                 deutlich, wie massiv der Abbau von Steinkohle und
ständigen Sorge, dass sie für ihre Aktivitäten angegrif-        anderen Bodenschätzen den Wasserhaushalt stört
fen oder gar ermordet werden.                                   und die Wasserversorgung verschlechtert. Die Minen
                                                                brauchen Millionen Liter an Wasser, um die Kohle zu
Ein Menschenrecht auf Wasser –                                  waschen. Es gibt Fälle, in denen die Bevölkerung eines
auch in den Minenregionen                                       Dorfes während einer Dürrephase von der Wasserver-
„Während immer mehr Regionen des Landes unter                   sorgung komplett abgeschnitten wurde, um den Be-
der zunehmenden Dürre leiden und erste Städte                   trieb des Bergwerkes aufrecht halten zu können.
und Dörfer gezwungen sind, die Wasserversorgung                 Es gibt ein Menschenrecht auf sauberes Wasser und
ihrer Bewohner*innen einzustellen, werde die wert-              auf freien Zugang zu Trinkwasser – auch für die Men-
volle Ressource weiterhin von den Bergbaukon-                   schen in den Bergbauregionen Südafrikas. Ob es auf
zernen in großen Mengen verschmutzt und ver-                    Dauer ausreicht, darüber nachzudenken, Eisberge aus
schwendet.“ Das beklagten im Juli diesen Jahres                 der Antarktis an die Küste am Atlantik zu schleppen
Vertreter*innen einer Wasserschutzinitiative aus                und somit die Wasserknappheit des Landes in den
Mpumalanga. Sie beriefen sich dabei auf ihren ak-               Griff zu kriegen?
tuellsten Report, in dem sie den Umgang mit Was-
ser im Bergbau unter die Lupe nehmen vor allem in               Vera Dwors, Fachstelle Südafrika / Südafrika Forum NRW
                                                                im Amt für MÖWe
der Provinz ­Mpumalanga.
© Vera Dwors

                                                                                       Blauer Himmel an der Ruhr -
                                                                                       Schwarzer „Kohle“-Sand
                                                                                       in Südafrika.

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Neue Hoffnung am Kap?
Südafrika nach der Wahl

Im Mai 2019 wurde in der Regenbogennation ge-
wählt. Dabei erzielte der ANC – der African National
Congress –, dem auch Südafrikas erster Präsident
und Freiheitskämpfer Nelson Mandela (1918-2013)
angehörte, das schlechteste Wahlergebnis seit der
Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1994. Nach ei-
nem Vierteljahrhundert an der Macht erzielte die
Partei der ehemaligen Befreiungsbewegung nur 57,5
Prozent. „Ein besseres Leben für alle“ war die Vision
nach dem Überwinden des Apartheidregimes. Nur
leider ist das Land immer noch weit davon entfernt.
Vor allem eine Arbeitslosenquote von fast 40 Prozent
steht einer Entwicklung zu einer vereinten Gesell-
schaft frei von Armut, Ungleichheit, Diskriminierung
und Gewalt im Wege. Junge Menschen in Südafrika
sind davon besonders betroffen, was sie mit einer
extrem niedrigen Wahlbeteiligung quittierten. Neben
guten Bildungs- und Ausbildungschancen brauchen
sie Jobs im Dienstleistungssektor, in der Industrie,
im Handwerk oder im Tourismus. Die Betriebe und
Unternehmen wiederum benötigen eine sichere,
möglichst zukunftsfähige Stromversorgung, um ihre
Produktion aufrecht zu erhalten. Das wird eine der
großen Herausforderungen für den neuen Präsiden-
ten Cyril Ramaphosa auf dem Weg zu mehr sozia-
ler Sicherheit und zur Überwindung der größten Un-
gleichheiten in Südafrika – den Menschen in seinem
Land den Zugang zu bezahlbarer Energie zu ermögli-
chen, die sowohl umwelt- als auch menschenfreund-
lich produziert wird.

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WIRTSCHAFT UND MENSCHENRECHTE

Der Stoff für unsere Smartphones
Dr. Claude Kabemba über die Herausforderungen des Bergbaus
im südlichen Afrika

                                                              Rund 60 Rohstoffe stecken in unseren Smart­
                                                              phones. Viele wichtige Metalle werden dafür in
© Stephan Röhl / Heinrich-Böll-Stiftung | CC BY-SA 2.0

                                                              Ländern des südlichen Afrikas abgebaut.
                                                              Dr. Claude Kabemba ist Direktor der Organisa-
                                                              tion „Southern African Resource Watch“, die für
                                                              die Rechte der Menschen in Bergbauregionen
                                                              eintritt. In einem Interview berichtete er von
                                                              menschenrechtlichen Auswirkungen des Berg-
                                                              baus und darüber, welche Prozesse die Situation
                                                              verbessern könnten.

Amt für MÖWe: Ihre Organisation beobachtet den                Wie wird die Bevölkerung von Ihrer Organisation
Bergbau in mehreren Ländern des südlichen Afrikas.            dabei unterstützt, sich gegen die negativen Auswir-
Welche menschenrechtlichen Risiken stellen Sie fest?          kungen des Bergbaus zu wehren?
Kabemba: Bergbau ist ein äußerst komplexer und                Wenn Menschen gut informiert und in der Lage
vielschichtiger Bereich, der das Leben der Men-               sind, diese Informationen zu nutzen, können sie
schen, die in den Bergbauregionen leben, stark be-            ihre Rechte einfordern. Aus diesem Grund mobili-
einflusst. Es ist ein Fehler, nur den reinen Abbau zu         siert „Southern African Resource Watch“ Menschen
betrachten, da die gesamte Wertschöpfungskette                zur Selbsthilfe. Eigentlich wäre es ja auch möglich,
wichtig ist und Menschenrechtsverletzungen be-                dass die Gemeinden vom Bergbau profitieren. In den
reits bei den ersten Verhandlungen mit den Berg-              meisten afrikanischen Ländern fließen die Steuern,
baugesellschaften geschehen. Wenn zum Beispiel                die die Unternehmen zahlen jedoch an die Regierung
von Seiten der Regierung die Verhandlungen mit                und die betroffenen Gemeinden erhalten überhaupt
den Bergbauunternehmen geführt werden, ohne die               kein Geld. Unsere Arbeit zielt dahin, Gemeinden da-
Bewohner*innen der betreffenden Region mit ein-               bei zu unterstützen, Unternehmensverantwortung
zubeziehen und ihnen somit jede Möglichkeit zur               einzufordern.
Mitsprache genommen wird, auch wenn negative                  Wir suchen auch den Kontakt zu den Unterneh-
Folgen für die Gemeinden drohen, ist dies ein klarer          men und versuchen, Einfluss auf die Regierungen
Verstoß gegen die Menschenrechte.                             zu nehmen. Wenn dafür gesorgt wird, dass Unter-
Ein weiterer Punkt sind die Umweltverträglichkeits-           nehmen Schulen und Krankenhäuser bauen und
studien, die in den meisten afrikanischen Ländern             für eine Verbesserung der Infrastruktur sorgen, ist
nur symbolischer Natur sind. Ebenso werden kultu-             das für die Gemeinden positiv. Das ist jedoch ein
relle Bedenken, wie z. B. die Zerstörung von landwirt-        langwieriger Prozess, da die Unternehmen kein In-
schaftlichen Nutzflächen und Friedhöfen, Zwangs-              teresse daran haben und häufig ganz unabhängig
umsiedlung oder die Belastung von Wasser durch                agieren. Man kann sagen, dass nicht der Staat die
Giftstoffe außer Acht gelassen. Die Menschen, die im          Unternehmen kontrolliert, sondern die Unterneh-
Bergbau arbeiten, leiden häufig unter dem Staub und           men den Staat.
anderen Umweltbelastungen. Sie haben keine soziale
Absicherung, sondern werden entlassen, wenn z. B.
eine Erkrankung der Lunge droht.

                                                         10
Fluch oder Segen? Das südliche
         Afrika ist reich an Bodenschätzen,
       wie Gold, Platin, Diamanten. In einer
       der größten Minen weltweit, Sishen/
        Südafrika, wird Eisenerz abgebaut.

                                               © Rogiro/flickr CC BY-NC-ND 2.0

Können Sie Beispiele dafür nennen, dass durch eine                          Menschenrechte im Bergbau ebenfalls häufig miss­
bessere Regierungsführung die Menschenrechte                                achtet werden.
stärker respektiert werden?
Leider muss ich sagen, dass ich keine positiven Bei-                        Einige Wissenschaftler sprechen vom „Ressourcen-
spiele nennen kann. Selbst da, wo den Menschen zu-                          fluch“, was bedeutet, dass paradoxerweise die Län-
nächst Hoffnung auf eine positive gesellschaftliche                         der, die einen großen Reichtum an Bodenschätzen
Veränderung gemacht wurde, hat sich dies nicht er-                          haben, ein geringeres Wirtschaftswachstum haben
füllt. Wir haben bereits erreicht, dass es gute Gesetze                     als rohstoffarme Länder. Stimmen Sie dem zu?
gibt. Was wir jetzt noch benötigen ist eine gute politi-                    Nein, ich halte diesen Begriff für falsch. Wenn man
sche Leitung, die sie durchsetzt. Dass dies möglich ist,                    europäische Länder wie z. B. Finnland oder Norwe-
zeigt das Verhalten der Unternehmen in europäischen                         gen betrachtet, kann man feststellen, dass natürliche
Ländern, wo dies normal ist. Das größte Problem sind                        Ressourcen das Wirtschaftswachstum fördern. Das
also nicht die Unternehmen, es ist die Fähigkeit der                        kann auch in Ländern des afrikanischen Kontinents
afrikanischen Staaten, dafür zu sorgen, dass die Un-                        passieren. Blickt man auf die letzten zehn Jahre, die
ternehmen die Gesetze respektieren und sich an die                          einen Preisanstieg der natürlichen Bodenschätze mit
Verträge halten, die sie unterzeichnet haben.                               sich brachten, ist zu sehen, dass in rohstoffreichen
Wir wollen erreichen, dass sich Gemeinden positiv                           Ländern Ostafrikas Bodenschätze und Entwicklung
entwickeln können. Dazu ist es notwendig, dass es                           miteinander in Beziehung stehen. In Botswana ste-
Sanktionen für Unternehmen gibt, die sich nicht an                          hen Stabilität und Entwicklung im Zusammenhang
die OECD Vorschriften halten und das nicht nur dort,                        mit Diamanten, in Südafrika mit Gold und Platin. Das
wo Bergbau betrieben wird. Diese Sanktionen müs-                            Problem ist nicht der Überfluss an Bodenschätzen,
sen auch in den Ländern durchgesetzt werden, wo                             sondern es sind die Regierungen.
der Firmensitz ist.
                                                                            Was können afrikanische Länder tun, um einen hö-
Glauben Sie, dass etwa das UN-Abkommen für                                  heren Wertzuwachs durch ihre Bodenschätze zu
Wirtschaft und Menschenrechte positive Verände-                             erlangen? Kann das durch Verarbeitung im eigenen
rungen bringt?                                                              Land geschehen?
Die UN-Standards sind ein sehr wichtiges Werkzeug,                          Quer durch die Geschichte hat sich immer wieder
das zur Anwendung gebracht und von allen Beteilig-                          gezeigt, dass nur die Länder optimal von ihren Bo-
ten anerkannt werden muss. Das gilt nicht nur für Afri-                     denschätzen profitieren konnten und können, die den
ka, sondern auch für Lateinamerika und Asien, wo die                        Wert ihrer Mineralien erhöhen und das kann nie durch

                                                                      11
WIRTSCHAFT UND MENSCHENRECHTE

den direkten Verkauf der Rohstoffe erreicht werden.             bei zu vielfältigen Verletzungen der Menschenrechte
Ich glaube, dass das der Weg ist, den die afrikani-             kommt. Dann muss es zu einem reduzierteren, be-
schen Länder einschlagen müssen. Wertsteigerung                 wussten Umgang mit Handys kommen, um auf die
bei den Mineralien, wo es möglich ist, wie z. B. bei der        Hersteller Druck auszuüben. Wenn das Interesse
Herstellung von Zement. Daneben sind auch Kupfer                nicht darin liegt, dass es stets das neueste, schönste
und Bauxit strategisch wichtig für die Entwicklung              Handy sein muss, sondern darin, dass in der gesam-
des afrikanischen Kontinents.                                   ten Produktionskette vom Abbau der Mineralien bis
                                                                zur Montage die Menschenrechte respektiert werden
Was können wir Smartphone-Nutzer*innen Ihrer                    und es faire Arbeitsbedingungen gibt, kann dadurch
Meinung nach tun, um die negativen Auswirkungen                 Druck auf die Unternehmen ausgeübt werden.
der Digitalisierung zu stoppen?
Zunächst einmal müssen die Konsument*innen wis-                 Organisiert vom Südafrika Forum NRW und der Handy-
sen, woher die verwendeten Materialien kommen und               Aktion NRW war Dr. Claude Kabemba auf Speakers Tour
                                                                in NRW. Das Interview führte Johanna Schäfer.
unter welchen Bedingungen sie abgebaut werden,
damit ein Bewusstsein dafür entsteht, dass es da-

                 HANDNY-NRW
                 AKTIO
                          Mitmachen bei der Handy-Aktion NRW
                          Die Handy-Aktion NRW ruft zum Sammeln gebrauchter Mobiltelefone auf. Die Erlöse
                          kommen Menschenrechtsprojekten in der DR Kongo, Südafrika und den Philippinen
                          zugute. Verbunden ist die Aktion mit Bildungsangeboten zu den menschenrechtlichen
                          und ökologischen Folgen der Smartphone Produktion.
                          Mehr Infos gibt es unter www.handyaktion-nrw.de, www.facebook.com/handyaktionnrw

                          Ansprechpartnerin für die Handy-Aktion:
                          Johanna Schäfer | E-Mail: johanna.schaefer@moewe-westfalen.de | Tel. 0231-5409-76

                                                           12
Informelle Siedlungen vor den Industrieanlagen der
        Marikana-Mine: Wenn es regnet, vermischen sich
        Wasser und Schlamm mit Abwasser und Abfall.

 © Kevin Sutherland/Brot für die Welt

BASF und das Marikana-Massaker in Südafrika
Im August 2012 eröffnete die südafrikanische Poli-                suchen und seinen Einfluss auf den Geschäftspartner
zei das Feuer auf 3000 streikende Minenarbeiter. Am               Lonmin nutzen, um die Verhältnisse vor Ort zu ver-
Ende sind 34 Arbeiter tot. Jahre nach dem Massaker                bessern. Ebenso sollte BASF die eigene Einkaufspo-
gibt es immer noch keine Entschädigung für die Op-                litik daraufhin prüfen, ob die gezahlten Preise für das
fer-Familien, keine Strafverfolgung der Polizisten und            Platin gerechte Löhne in Marikana ermöglichen. BASF
die Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen                   beansprucht für sich, wirtschaftlichen Erfolg mit sozi-
sind so schlecht wie zuvor.                                       aler Verantwortung zu kombinieren, auch entlang der
Die Forderungen der streikenden Arbeiter nach ge-                 Lieferkette. Dennoch wurde das Unternehmen erst
rechtem Lohn und angemessenen Wohnungen sind                      durch massiven Druck von Brot für die Welt und an-
verhallt. Sie hausen mit ihren Familien in einem Slum             deren Organisationen aktiv. Was BASF tatsächlich tut,
ohne Strom, fließend Wasser und Kanalisation. Dabei               um die Situation in Marikana zu verbessern, ist jedoch
hat der Minenbetreiber Lonmin sich bereits 2006 dazu              unklar. Betroffene vor Ort hat BASF bislang nicht ge-
verpflichtet, ordentliche Werkssiedlungen zu errich-              sprochen und vorhandene Prüfberichte zur Situation
ten, um überhaupt die Abbau-Lizenz zu erhalten.                   in der Mine hält das Unternehmen unter Verschluss.
Das Platin aus der Mine in Marikana landet in deut-               Die Langzeitverträge mit Lonmin hat BASF 2016 so-
schen Autos. Das Chemie-Unternehmen BASF kauft                    gar erneuert – ohne Vorgabe zur Umsetzung sozialer
mehr als die Hälfte von Lonmins Jahresproduktion an               Maßnahmen.
Platin und stellt daraus Katalysatoren für VW, Daimler
und BMW her. Nach den UN-Leitprinzipien für Wirt-                 Quelle: Brot für die Welt
schaft und Menschenrechte müsste BASF die gesam-                  Weitere Informationen: Brot für die Welt „Edles Metall –
                                                                  unwürdiger Abbau“, Analyse 75, April 2018
te Lieferkette auf Menschenrechtsverletzungen unter-

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WIRTSCHAFT UND MENSCHENRECHTE

 © Dirk Johnen, Amt für MÖWe

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                                                                                    So wird der Friedensnobelpreisträger
                                                                                von 2018 bezeichnet. Dr. Denis Mukwege
                                                                                   war auf dem Kirchentag in Dortmund.
                                                                                             Die Evangelische Kirche von
                                                                                          Westfalen hatte ihn eingeladen.

Ein Arzt, die Frauen und die Elektromobilität
Dr. Denis Mukwege ist offenbar nur Insidern bekannt.             mit der Katastrophe im Ostkongo verbunden. Es ist
Der berühmte Friedensnobelpreisträger aus dem Ost-               gespickt mit den wichtigen Rohstoffen, die für die Her-
kongo, genauer aus Panzi/Bukavu, konnte mehr oder                stellung von Elektronik nötig sind. Sie sind erkauft mit
weniger unbehelligt über das Gelände des Kirchenta-              dem unsäglichen Leid und dem Blut der Frauen und
ges in Dortmund gehen. Kaum jemand hat ihn erkannt.              Kinder, zur Sklavenarbeit gezwungen, vergewaltigt und
Aber wer mit ihm zu tun hatte, merkte schnell, dass da           misshandelt, für den angeblichen Wohlstand.
ein besonderer Gast in der westfälischen Metropole               Denis Mukwege wird nicht müde, darauf immer und
war. Sein erklärtes Ziel ist es, den hunderttausenden            immer wieder hinzuweisen. „Natürlich brauchen wir
Frauen zum Recht zu verhelfen, die noch immer unter              alle ein Smartphone, das ist ein Segen“, räumt er so-
der Gewalt durch Krieg und Vergewaltigung leiden. Es             fort ein. „Aber warum muss ein schönes Smartpho-
ist durchaus nicht nur ein symbolischer Akt, dass er             ne mit dreckigen Geschäften und der Gewalt gegen
diesen Frauen den wichtigsten Friedenspreis der Ge-              Frauen erkauft werden?“ Warum lässt die ganze Welt
genwart gewidmet hat. Und er will mehr.                          es zu, dass ein solcher Handel überhaupt weitergehen
Er hat nur ein kleines Problem: Er kommt aus jenem               kann? Die Antwort ist schlicht: Weil die Wirtschaft es
Land, das noch immer den Titel „Herz der Finsternis“ mit         so will. Weil der Preis für die Rohstoffe viel zu billig
sich herumschleppt. Der Kongo ist Afrika, Afrika ist weit        ist, weil viel zu viele Zwischenhändler daran verdie-
weg, „da hauen sie sich doch nur die Köppe ein, also da          nen statt die Schürferinnen und Schürfer gerecht zu
kann man ja eh nichts machen“. Die Ausfälle zu Afrika,           entlohnen. Ja, auch weil China mit anderen Staaten
die der Aufsichtsratsvorsitzende des Fußball-Bundesli-           ganz groß im Geschäft ist. China ist nicht zimperlich,
gisten von Schalke 04, Clemens Tönnies, von sich gab,            wenn es um Menschenrechte geht. Da lässt es sich
gehen in dieselbe Richtung. Eine Haltung, die eben viel          gute Geschäfte machen, wenn man nicht so genau
weiter verbreitet ist als wir meinen, auch in der Kirche.        hinschauen muss.
Doch was so weit weg ist, tragen wir in Wirklichkeit             Dazu kommt: In einem Staat wie der Demokratischen
alle nahe bei uns, näher geht es fast nicht. Das Smart-          Republik Kongo, in dem komplette Anarchie herrscht,
phone in der Hand oder der (Hosen-)Tasche ist direkt             wo es nur eine durch und durch korrupte staatliche

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Aufsicht gibt, wo ein Präsident sich mit Gattin und                  nal aus, ihre gesamte digitale Infrastruktur nur noch
Ministern die Erträge aus dem Reichtum der Erde                      mit „sauberen“ Geräten aufzubauen und umzurüs-
persönlich sichert und das Volk vor die Hunde gehen                  ten? Wer fragt in diesem Sektor eigentlich danach?
lässt, da holen sich alle, was sie brauchen, auf ihre                Es geht um Sicherheit – darum wird gerade auf eine
Weise. Mehr als 150 Rebellengruppen sind im Ost-                     „Apfelfirma“ aus Kalifornien umgestellt bei uns und
kongo unterwegs, um sich das illegale Geschäft mit                   anderswo. Aber die Sicherheit der Frauen dort, wo
den Bodenschätzen zu sichern. Dabei ist fast immer                   die Dinge herkommen, interessiert dabei keinen. Da
und überall Gewalt im Spiel, entsetzliche Gewalt. In                 werden wir in Zukunft ein immer größeres Glaubwür-
dieser Situation ist nun auch noch Ebola ausgebro-                   digkeitsproblem haben.
chen, eine tödliche Krankheit, tödlich wie die Gier                  Weiterhin gilt es, den politischen Druck aufrecht zu er-
nach Rohstoffen. Abgewandelt von einem Buchtitel                     halten. Die Vereinte Evangelische Mission hat gemein-
über Afghanistan darf man wohl sagen: In den Kongo                   sam mit Brot für die Welt, Misereor, Pax Christi, Eirene
geht Gott nur noch zum Weinen.                                       und anderen Hilfsorganisationen schon vor mehr als
Was ist zu tun? In der Kirche möchte man sagen: Da                   zehn Jahren das „Ökumenische Netz Zentralafrika“
hilft nur noch beten! In der Tat, das wäre eine Haltung,             gegründet, auch Westfalen ist über das Eine Welt Zen-
die vieles verändern kann. Denn Beten wird den Blick                 trum in Herne mit von der Partie. Natürlich kann die
auf die lenken, die als Opfer dieses gesamten Desas-                 Frage aufkommen, was denn darüber erreicht wurde?
ters täglich mit den Folgen zu kämpfen haben, die oft                Immerhin gibt es inzwischen kaum eine oder einen
genug daran zugrunde gehen. Damit sind wir wieder                    Bundestagsabgeordnete*n, die bzw. der diese wichtige
nah bei den Anliegen, für die Denis Mukwege nach                     Anlaufstelle in Berlin nicht kennen. Oder die Fachabtei-
Dortmund gekommen ist, und für die er täglich kämpft.                lungen in den Ministerien. Öffentlichkeit in der Politik ist
Denn es bleibt auch ein spiritueller Kampf, dieser Über-             ein schwieriges Feld und braucht einen langen Atem.
macht an Gewalt immer wieder entgegenzutreten.                       Aber es ist enorm wichtig, hier dran zu bleiben.
Wie sonst kann einer das durchstehen, der 2013, nach-                Und schließlich: Weltweit wird gerade viel in Elektro-
dem er seine berühmte Rede vor der UNO Vollver-                      mobilität investiert, mit gravierenden Folgen für den
sammlung gehalten hatte, nur knapp einem Attentat                    Kongo. Kobalt wird hier inzwischen in großen Mengen
entging? Einer seiner engsten Begleiter wurde dabei                  abgebaut. Der Hype hat seinen Preis. Aber den will
getötet. Seitdem lebt er in Quarantäne, wenn er in Bu-               keiner bezahlen. Denn dieser Rohstoff hat inzwischen
kavu ist. Die internationale Schutz- und Friedenstruppe              einen enormen Preissprung gemacht. Der zwischen-
MONUSCO, mit 17.000 Soldatinnen und Soldaten die                     zeitliche Preisverfall dürfte vorübergehend sein. Die
größte weltweit, muss auch für seine Sicherheit und                  Verletzungen der Menschenrechte lassen sich nicht
für die seiner Familie sorgen.                                       mit ein paar Erklärungen aus der Welt schaffen. So-
Aber noch einmal: Was ist zu tun? In aller Hilflosigkeit,            lange angeblich saubere Elektromobilität mit schmut-
die fast alle Beteiligten ergreift, gilt es doch, Öffentlich-        zigen Geschäften bei der Rohstoffgewinnung erkauft
keit herzustellen. Den andauernden Krieg nicht unter                 ist, bleibt sie ein Problem. Es erinnert uns daran, dass
den Teppich zu kehren, sondern die Gewalttaten öf-                   wir z. B. das, was „Fridays for Future“ uns vor Augen
fentlich zu machen und anzuprangern, das sind wich-                  hält, endlich ernst nehmen sollen. Es geht um nicht
tige Schritte. Denn die Täter scheuen die Öffentlichkeit,            weniger als um ein neues Verhältnis zur Welt, die uns
die staatlichen Akteure genauso. Das System lebt von                 geschenkt ist. Wir dürfen sie eben nicht ungestraft
der Verborgenheit, in der die Verbrechen stattfinden.                ausbeuten, koste was es wolle. Die wahren Kosten
Es wird auch nach wie vor viel zu wenig Druck auf                    sind das, was Denis Mukwege uns mit seiner Arbeit
die Firmen ausgeübt, die wie selbstverständlich ihre                 vor Augen führt. Es wäre schön, wenn er mit seiner
Ware millionenfach an uns verkaufen, die auch genau                  Arbeit so bekannt wird, dass er beim nächsten Kir-
wissen, woher ihre Rohstoffe kommen. Gerade die                      chentag keinen Schritt mehr gehen kann, ohne dass
Wirtschaft und der Handel wollen keine Öffentlichkeit.               ihn Menschen ansprechen. Wir arbeiten schon an ei-
Verbraucherinnen und Verbraucher haben sehr viel                     ner Einladung für 2021 in Frankfurt.
Macht, wenn sie immer wieder danach fragen, mit wel-
chen Mitteln ihre Produkte hergestellt sind.                         Martin Domke, Regionalpfarrer des Amtes für MÖWe und
Warum geht nicht von unserer Kirche ein klares Sig-                  Leiter des Eine Welt Zentrums Herne

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WIRTSCHAFT UND MENSCHENRECHTE

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                                                                                                                          Textilsektor, Delhi.

                                                                                © Karin Desmarowitz / Brot für die Welt

Kinderarbeit in Indien
Romesh Modayil berichtet von seinen Erfahrungen

Laut Angaben der Regierung gibt es zwölf Millionen Kin-          Kinder sind tätig u. a. als Haushaltshilfen, in der länd-
derarbeiter in Indien. Doch Hilfsorganisationen schät-           lichen Arbeit z. B. im Baumwollanbau, in Schlosserei-
zen, dass 45 bis 50 Millionen indischer Mädchen und              en, Stickereien, in der Teppich- und Tabakindustrie, im
Jungen jeden Morgen statt zur Schule in Steinbrüche              Bergbau und Steinbruch, in Ziegelöfen und Teegärten.
und Fabriken zur Arbeit gehen oder auf der Straße Wa-            Mädchen müssen mehr Hausarbeit und Heimarbeit
ren verkaufen. Das ist jedes zehnte Kind in Indien. Vor          leisten, während Jungen häufiger in Lohnarbeit tätig
allem die 12- bis 17-Jährigen arbeiten bis zu 16 Stunden         sind. Dabei nimmt die Arbeitsbelastung und die Dau-
täglich, um mit dem Lohn ihre Familien zu unterstützen.          er der Arbeitszeit mit dem Alter der Kinder zu.
Aber auch zehn Millionen Kinder im Alter zwischen 5              Vor 16 Jahren habe ich als Pfarrer ein kleines Projekt
und 14 Jahren arbeiten. Dabei ist Arbeit von Kindern, die        gestartet in Dehradun, Nordindien. Ich wollte Arbeiter,
jünger als 14 Jahre alt sind, in Indien verboten.                die in Slums unweit meines Hauses lebten, dazu brin-
Trotz des Wirtschaftsbooms in den letzten 20 Jahren              gen, ihre Kinder im Alter von drei bis fünf Jahren bei uns
leben immer noch fast ein Drittel aller Inder unter der          zu lassen, während sie ihre tägliche Arbeit nachgingen.
Armutsgrenze. Auch die raschen Entwicklungen, z. B.              Doch es war nicht einfach. Sie trauten uns „gebilde-
im IT- oder Automobil-Bereich, haben diese Armut nicht           ten“ und „bessergestellten“ Menschen nicht. Nach und
verringert. Zwar herrscht in Indien Schulpflicht, aber           nach gelang es uns jedoch, ein paar Familien davon zu
Menschen aus den Slums oder ländlichen Gebieten se-              überzeugen, ihre Kleinen zu uns zu schicken. Und so
hen häufig keine andere Möglichkeit, als ihre Kinder aus         begann unser Projekt „Little Scholars School“!
den Schulen zu nehmen und arbeiten zu lassen, um die             Später versuchten wir, auch ältere Kinder für unsere
Familie zu ernähren. Oft aus existentieller Not werden           Schule zu gewinnen, aber wir waren ziemlich erfolg-
Kinder von ihren Eltern sogar auch an Kinderhändler              los. Die Eltern wollten, dass diese Kinder, zwischen 8
verkauft, die die Jungen und Mädchen für einen sehr              und 16 Jahre alt, lieber arbeiten gehen und etwas ver-
geringen oder gar keinen Lohn arbeiten lassen.                   dienen, damit den Familien geholfen würde.

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Drei Kinder – drei Schicksale                                 nicht mehr zur Schule geht, sagte er, dass er seine El-
                                                              tern und vier Geschwister unterstützen will. Der Vater
                                                              ist Tagelöhner und verdient wenig. Für seine Zukunft
                                                              hat er keine Pläne oder Ideen. Es geht nur ums Über-
                                                              leben, so oder so!

                                                              Salim
                                                              Salim verbringt seinen Tag mit Müllsammlung und
                                                              -trennung. Er arbeitet mit bloßen Händen von frühmor-
                                                              gens bis spätabends, sieben Tage in der Woche.
                                                              Salim ist intelligent und interessiert sich für Autos. Er
                                                              will gerne Automechaniker werden. Aber seinen Eltern
                                                              fehlen die Mittel, um ihn zur Schule und Weiterbildung
                                                              zu schicken. Daher arbeitet er lieber auf der Straße um
                                                              das Minimum zu verdienen. Die Familie lebt auch in ei-
                                 Maniram, 15 Jahre
                                                              nem dieser Slums. Wir haben versucht, mehrmals mit
                                 alt, geht nicht zur
                                 Schule, sondern ver­         seinen Eltern zu sprechen und sie zu überzeugen, dass
                                 kauft jeden Tag Tee.         er eine vielversprechende Zukunft haben könnte, wenn
                                                              er zur Schule ginge, aber so was interessiert die Eltern
                                                              nicht. Es geht um heute, nicht um die Zukunft!

Maniram                                                       Krishna
Maniram ist 15. Im Alter von drei Jahren war er Vor-          Krishnas Mutter brachte ihn zu uns, als er erst zwei-
schüler bei uns. Mit fünf Jahren wechselte er in die          einhalb Jahre alt war. Sein Vater, der ein einfacher
staatliche Grundschule. Seine Eltern haben ihn aus            Maurer ist, nahm ihn jedoch mit sechs Jahren weg
der Schule genommen und auf die Straße geschickt,             von uns und ließ ihn in der Ziegelei bei sich arbeiten.
um Tee jeden Tag an Autofahrer, Fußgänger und Pas-            Sommer und Winter, Tag und Nacht muss Krishna
santen zu verkaufen. Als wir ihn fragten, warum er            seinem Vater helfen.

Was kann man dagegen tun? Wir fühlen uns ziemlich             fen, eine der Hauptursachen für Kinderarbeit. Die Be-
hilflos angesichts dieser anscheinend unüberwindba-           kämpfung von Armut und Ungleichheit ist entschei-
ren Problematik! Aber nach dem Motto „Eine kleine             dend, um die Kinderarbeit in Indien zu beenden.
Menge reicht weit!“ versuchen wir mit einigen Familien
aus den Slums zusammenzuarbeiten. Einigen Famili-             Romesh Modayil, Regionalpfarrer des Amtes für MÖWE im
en geben wir den Geldbetrag, den die Kinder verdient          Kirchenkreis Soest-Arnsberg

hätten, damit die Kinder zu uns in die Schule kommen
und nicht arbeiten gehen müssen. Bei uns bekommen
sie ihre Uniformen, Schuhe, Bücher, Arbeitsmateria­                              100 Million –
lien etc. und sogar ein gesundes Mittagessen. Später                             Weltweite Kampagne
sorgen wir auch für ihre weitere Schulbildung und ihr                            gegen Kinderarbeit!
Wohlergehen. Wir besuchen die Eltern in den Slums
und bleiben in regelmäßigem Kontakt mit ihnen.                  Brot für die Welt ruft zur Teilnahme an der
In der Politik muss viel mehr getan werden, um                  Kampagne gegen Kinderarbeit auf. Ziel ist es,
ausbeuterische Kinderarbeit in Indien zu stoppen:               die Vernachlässigung und Ausbeutung von
Die Gesetze gegen Kinderarbeit müssen weiter ver-               Kindern weltweit zu beenden. Informationen,
schärft und strenger durchgesetzt werden. Darüber               Materialien: www.brot-fuer-die-welt.de
hinaus ist es wichtig, die extreme Armut zu bekämp-

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WIRTSCHAFT UND MENSCHENRECHTE

Die Karawane zieht weiter – Aktuelle Station „Äthiopien“
Textilunternehmen suchen die „günstigsten“ Standorte –
auf Kosten der Arbeiter*innen

Äthiopien spielte in der Vergangenheit auf der Land-
karte der Textilproduzenten keine Rolle. Inzwischen
sind dort riesige Industrieparks entstanden, die im-
mer weiter wachsen. Zehntausende sind in der Tex-
tilindustrie beschäftigt, meist sind es junge Frauen.
In Äthiopien lassen bekannte Marken wie H&M, Levis,
Wrangler, Gap, Calvin Klein und Tommy Hilfiger pro-                Über 30 gigantische Industrieparks sollen im
duzieren, aber auch Tchibo, Aldi und Lidl. Der Grund             Jahr 2025 die Welt mit Kleidung „Made in Ethiopia“
für diesen „Boom“ liegt in der Logik der globalisierten             versorgen. 350.000 Jobs sollen entstehen.
Wirtschaft: Es wird da produziert, wo es am billigsten                  30 Mrd. Dollar (rund 27 Mrd. Euro)
ist, wo die Rahmenbedingungen für die Investoren                         durch Exporte umgesetzt werden.
„stimmen“. Äthiopien lädt die Investoren ein, will mit
der Textilindustrie die Wirtschaft ankurbeln. „Anrei-
ze“ für Investoren sind, dass es in Äthiopien keinen            Wir gingen frühmorgens eine Stunde zu Fuß zur Fab-
gesetzlichen Mindestlohn für die Bekleidungsindus-              rik. Danach saß ich während der ganzen Schicht ne-
trie gibt, dass Gewerkschaften streng von der Regie-            ben der Näherin, konnte ihre Arbeit und den ganzen
rung beobachtet werden und nicht wirklich frei agie-            Produktionsprozess beobachten. Sie nähte T-Shirts
ren können.                                                     für das deutsche Unternehmen KiK zusammen. Da-
Dass unter diesem System die Arbeiter*innen und                 bei beschränkte sich ihre Arbeit auf das Nähen der
ihre Familien am meisten zu leiden haben, konnte ich            beiden Ärmelsäume. Die anderen Nähte besorgten
vor einigen Monaten selbst erleben. Ich wohnte einige           ihre Kolleg*innen.
Tage bei einer neunköpfigen Familie in einem äthiopi-           Die Arbeiterin verdient 55 Euro pro Monat. Für ihre
schen Dorf. Sie leben in einem kleinen Gehöft mit drei          Arbeit an einem T-Shirt brauchte sie ca. 50 Sekun-
Zimmern, ohne Strom und ohne Wasser. Die älteste                den. Pro Stunde schafft sie demnach etwa 72 Shirts.
Tochter ist die einzige, die als Näherin ein festes Ein-        In einem Monat sind es 14.400 T-Shirts. Ihr Lohnan-
kommen hat. Andere Familienmitglieder verdienen als             teil an einem T-Shirt beträgt demnach 0,38 Cent! Die
Gelegenheitsarbeiter*innen etwas dazu, einige Tiere,            T-Shirts werden im Doppelpack für 5,99 Euro ver-
ein kleines Feld und ein Pferdewagen für Transporte             kauft. Dies ist ein konkret durchgerechnetes Beispiel
bringen ebenfalls kleine Einnahmen.                             für die in dieser Industrie gezahlten Löhne. Es sind

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Große Katastrophen bringen die Arbeitsbedingungen
                                                               im Textilbereich immer wieder in die öffentliche Wahr-
                                                               nehmung. So brannte im September 2012 im pakista-
                                                               nischen Karatschi die Fabrik Ali Enterprises ab. 258
                                                               Menschen beim Feuer: sie erstickten und verbrann-
                                                               ten. Wenige Wochen zuvor hatte das italienische
     Beschäftigte der Textilindustrie in Äthiopien             Prüfunternehmen RINA dieser Fabrik das Zertifikat
erhalten die niedrigsten Löhne im weltweiten Vergleich.        SA 8000 ausgestellt, das u. a. hohe Brandsicherheits-
      Der Lohn für Einsteiger*innen liegt derzeit              standards beinhaltet. Oft sind es private Dienstleister,
   bei ca. 26 US-Dollar (rund 23 Euro) pro Monat.              die diese Audits vornehmen – zu häufig im Sinne der
           Damit können die Arbeiter*innen                     Fabrikbesitzer. Die Prüfunternehmen müssten für ihre
           keine angemessene Unterkunft,                       Fehler haftbar gemacht werden können.
            Essen und Transport bezahlen.                      Hauptkunde dieser Fabrik in Karatschi war KiK. Und
       In Myanmar und Bangladesch liegt der                    zum ersten Mal wurde ein deutsches Unternehmen
      Monatslohn bei 95 Dollar, in Kambodscha                  von Überlebenden und Angehörigen wegen der Mit-
      bei 182 Dollar und in China bei 326 Dollar.              verantwortung für das Unglück verklagt. Das Dort-
                Welt-Sichten, 7. Mai 2019
                                                               munder Landgericht hatte den Betroffenen Prozess-
                                                               kostenhilfe zugestanden, später wurde die Klage
Hungerlöhne. Ein Mensch kann davon nicht leben,                wegen Verjährung abgewiesen.
geschweige denn eine Familie.                                  Der Fall zeigt, wie wichtig es ist, Unternehmensver-
Diese Fabrik gehört einem Unternehmen aus                      antwortung gesetzlich zu regeln sowie ein verbrieftes
Bangladesh. Sie lässt nun in Äthiopien produzieren,            Klagerecht für Betroffene zu schaffen. Die deutsche
weil es dort günstiger ist. Die Karawane der Textilin-         Regierung setzt aber bisher auf freiwillige Regelungen.
dustrie zieht also weiter – immer den billigsten Löh-          Sie erwartet von den Unternehmen, dass sie in ihrer
nen hinterher. Auch deutsche Unternehmen lassen                globalen Geschäftstätigkeit Menschenrechte achten
unter diesen Umständen produzieren. Dabei sind                 und ihre Einhaltung überprüfen. Es ist hingegen erwie-
nicht nur Discounter, sondern auch hochpreisige                sen, dass diese freiwilligen Maßnahmen die Missstän-
Modelabels. Teure Waren sind nachweislich keine                de in der Textilproduktion bisher nicht verändert haben.
Garantie für bessere Löhne für die Arbeiter*innen,             Es ist bemerkenswert, dass nun auch immer mehr Un-
keine Garantie für eine ökologisch und sozial ver-             ternehmen solche gesetzliche Maßnahmen einfordern,
antwortliche Produktion.                                       so auch KiK. Denn mit einem Gesetz hätten alle Un-

                                                                                 Dietrich Weinbrenner beobachtet
                                                                                 in einer äthiopischen Nähfabrik
                                                                                 die Produktion von T-Shirts für KiK.

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WIRTSCHAFT UND MENSCHENRECHTE

                                                                  häuser oder Pflegeeinrichtungen in großem Maßstab
                                                                  Textilien, z. B. Bettzeug und Frotteewaren oder die Ar-
                                                                  beitskleidung für die Mitarbeitenden.
                                                                  Als kirchlicher Beauftragter für nachhaltige Textilien bin
                                                                  ich mit solchen Einrichtungen darüber im Gespräch,
                                                                  wie sie beim Einkauf von Textilien ökologische und
    „Wir befürworten eine gesetzliche Regelung                    soziale Kriterien einbeziehen können. Auf Grund der
        zur Bestimmung unternehmerischer                          großen Mengen, die die Diakonie einkauft bzw. mietet,
       Sorgfaltspflichten.“ Textilkonzern KiK                     kann sie den Markt in Richtung auf mehr Nachhaltigkeit
                  RP online, 10. April 2019
                                                                  beeinflussen. Zur Größenordnung: In einem Kranken-
                                                                  haus mittlerer Größe werden täglich rund drei Tonnen
   „Wir sind der Meinung, dass Wettbewerb nicht
                                                                  Wäsche verbraucht. Hier hat die Diakonie Verantwor-
  auf Kosten von Mensch und Umwelt gehen darf
                                                                  tung und Chance, Vorreiterin zu sein. Bisher wird in
        und deshalb reguliert werden muss.“
                                                                  Krankenhäusern und Pflegeheimen noch nicht danach
           Nanda Bergstein Direktorin bei Tchibo,
   zuständig für den Bereich Unternehmens­­­­verantwortung        gefragt, woher Bettwäsche und Arbeitskleidung kom-
         im Interview mit Welt-Sichten, 8. Mai 2019.              men, und wie sie produziert wurden. Übrigens gilt dies
                                                                  auch für Einrichtungen der Caritas, denn ein Bettlaken
                                                                  ist ja nicht konfessionell gebunden. Die Evangelische
ternehmen die gleichen Verpflichtungen, die auch mit              Kirche von Westfalen hat zu diesem Thema eine klare
Kosten verbunden sind. Gegenwärtig haben nämlich                  Haltung, wenn sie sagt, „dass Wirtschaft dem Leben
die Unternehmen einen Wettbewerbsnachteil, die auf                dienen muss, dass Gesundheit und Leben von Arbeite-
soziale und ökologische Belange achten.                           rinnen und Arbeitern absoluten Vorrang haben vor der
In Frankreich ist ein entsprechendes Gesetz bereits in            Gewinnmaximierung von Unternehmen“.
Kraft. Es geht also, wenn der politische Wille da ist.
Wo hat Kirche selbst mit Textilien zu tun? Hier nutzen            Dietrich Weinbrenner, Beauftragter für nachhaltige Textilien
                                                                  der VEM und EKvW
besonders diakonische Einrichtungen wie Kranken-

                                                                    Beim Einsturz der Fabrik Rana Plaza in Bangladesh starben
                                                                  1136 Menschen, über 2000 erlitten oft schwere Verletzungen.

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Für Fair Play im Sport! Aber auch bei den Zulieferern?
Der Fall adidas

SÜDWIND setzt sich seit vielen Jahren für die Ein-
haltung von Sozialstandards und Menschenrechten
entlang von Lieferketten ein – auch in der Textilin-
dustrie. So hat SÜDWIND eine Beschwerde bei der
OECD gegen adidas eingereicht.
Ein Interview mit Dr. Sabine Ferenschild. Sie ist wis-
senschaftliche Mitarbeiterin im SÜDWIND-­     Institut
– mit dem Schwerpunkt Arbeitsbedingungen in der
textilen Wertschöpfungskette.

Amt für MÖWe: Warum hat SÜDWIND eine Beschwer-                Februar 2012. Sie hatten versucht eine Betriebsge-
de gegen adidas eingereicht?                                  werkschaft zu gründen. Am 23. Juli 2012 wurden
Ferenschild: Im Juli 2012 streikten rund 2.000 Be-            1.300 Beschäftigte entlassen, die sich an dem Streik
schäftigte der Firma PT Panarub Dwikarya, Teil der            beteiligt hatten. Bis März 2018 hatten mehr als 300
Panarub-Gruppe in Indonesien – ein zentraler adi-             der Entlassenen (überwiegend Frauen) keine Abfin-
das-Zulieferer. Sie forderten die Zahlung des seit Ja-        dung erhalten. Nach dem indonesischen Arbeits-
nuar 2012 geltenden Mindestlohnes, Lohnnachzah-               recht steht aber jedem Entlassenen eine Abfindung
lungen sowie Vereinigungsfreiheit. Vorausgegangen             zu, deren Höhe sich nach der Dauer ihrer Beschäfti-
war die Entlassung von mehreren Beschäftigten im              gung richtet.

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