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13 2010 ifo Schnelldienst 63. Jg., 27.–28. KW, 15. Juli 2010 Zur Diskussion gestellt Andre Horovitz, Martin Schütte, Barbara Hendricks, Sigrid Müller, Max Otte Q Ist ein Verbot von Wertpapier-Leerverkäufen bzw. ungedeckten Credit Default Swaps sinnvoll? Kommentar Hans Willgerodt Q Nach der Krise? ifo Jahresversammlung Martin Zeil Q Haushaltskonsolidierung und Steuerpolitik Forschungsergebnisse Eckart Bomsdorf und Kristian Dicke Q Modellrechnungen zur Bevölkerungsentwicklung in Dänemark Daten und Prognosen Joachim Gürtler und Arno Städtler Q Ausrüstungsinvestitionen: Nur zögerliche Erholung Im Blickpunkt Jutta Albrecht und Jana Lippelt Q Kurz zum Klima: Sackgasse fossile Energie Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München
ifo Schnelldienst ISSN 0018-974 X Herausgeber: ifo Institut für Wirtschaftsforschung e.V., Poschingerstraße 5, 81679 München, Postfach 86 04 60, 81631 München, Telefon (089) 92 24-0, Telefax (089) 98 53 69, E-Mail: ifo@ifo.de. Redaktion: Dr. Marga Jennewein. Redaktionskomitee: Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Werner Sinn, Dr. Christa Hainz, Annette Marquardt, Dr. Chang Woon Nam, Dr. Gernot Nerb, Dr. Wolfgang Ochel. Vertrieb: ifo Institut für Wirtschaftsforschung e.V. Erscheinungsweise: zweimal monatlich. Bezugspreis jährlich: Institutionen EUR 225,– Einzelpersonen EUR 96,– Studenten EUR 48,– Preis des Einzelheftes: EUR 10,– jeweils zuzüglich Versandkosten. Layout: Pro Design. Satz: ifo Institut für Wirtschaftsforschung. Druck: Majer & Finckh, Stockdorf. Nachdruck und sonstige Verbreitung (auch auszugsweise): nur mit Quellenangabe und gegen Einsendung eines Belegexemplars.
ifo Schnelldienst 13/2010 Zur Diskussion gestellt Ist das Verbot von Wertpapier-Leerverkäufen bzw. ungedeckten Credit Default Swaps sinnvoll? 3 Sind die so genannten Leerverkäufe Mitverursacher der Finanzkrise und sollten deshalb Wetten auf sinkende Kurse verboten werden? Andre Horovitz, Financial Risk Fitness GmbH, verdeutlicht in seinem Beitrag, dass auch Leerverkäufe und »leer geschlossene« CDS für Unternehmen sinnvoll sein können, ohne eine »Zo- ckerabsicht« unterstellen zu müssen, spricht sich aber für eine nötige Regulierung der Finanzbranche aus. Martin Schütte, Universität München, weist darauf hin, dass das unkontrollierte Wachstum der Märkte für spekulative Finanzprodukte vor knapp zwei Jahren das Weltfinanzsystem beinahe zum Einsturz gebracht habe. Nun drohe sich dasselbe zu wiederholen. Um das zu verhindern, müsse auch ein Verbot besonders gefährlicher Produkte erwogen werden. Für Barbara Hendricks, SPD-Bundestagsfraktion, ist ein Verbot von Wertpapier-Leerverkäufen und unge- deckten Credit Default Swaps im Hinblick auf die notwendige Regulierung ein sinnvolles, allerdings unzureichendes Instrument. Sigrid Müller, Humboldt-Univer- sität zu Berlin, dagegen meint, dass Leerverkaufsverbote als Schutz vor Kurs- stürzen untauglich sind. Sie wirkten eher krisenverstärkend. Zudem reduzierten sie die Liquidität und führten zu einem Verlust an Informationseffizienz. Als Regu- lierungsalternative schlägt sie Meldepflichten vor. Max Otte, Fachhochschule Worms, hält ein Verbot von Wertpapier-Leerverkäufen bzw. ungedeckten Credit Default Swaps für einen sinnvollen Baustein einer umfassenden Finanzmarktregu- lierung, die zusätzlich sinnvolle Eigenkapitalregeln, die Besteuerung von Finanz- transaktionen und die Regulierung von Geschäftsmodellen und Produkten umfas- sen sollte. Kommentar Nach der Krise? 19 Hans Willgerodt In seinem Kommentar setzt sich Hans Willgerodt, ehemals Universität zu Köln, kri- tisch mit der Griechenlandhilfe der Euroländer auseinander, hinterfragt den Erfolg der Maßnahmen und analysiert die damit verbundenen Wirkungen. ifo Jahresversammlung Haushaltskonsolidierung und Steuerpolitik 23 Martin Zeil In seiner Festrede anlässlich der 61. ifo Jahresversammlung setzte sich Martin Zeil, Bayerischer Staatsminister für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Techno- logie, mit der Haushaltskonsolidierung und der Steuerpolitik auseinander. Zu Be- ginn seines Vortrags betonte Zeil die Notwendigkeit, finanzpolitische Disziplin in ganz Europa durchzusetzen und das Abdriften Europas in eine Transferunion zu verhindern. Die Hauskonsolidierung habe höchste Priorität und sollte bei der Aus- gabenseite beginnen. Die zweite Aufgabe, vor der Deutschland jetzt stehe, sei die Schaffung der Grundlagen für ein nachhaltiges Wachstum. Und drittens müsse das Steuersystem transparenter und gerechter gestaltet werden.
Forschungsergebnisse Modellrechnungen zur Bevölkerungsentwicklung in kleineren Ländern der EU bis 2050 – das Beispiel Dänemark 28 Eckart Bomsdorf und Kristian Dicke Bei der Präsentation von Bevölkerungsvorausberechnungen stehen häufig be- völkerungsreiche Länder im Vordergrund. Im Bereich der EU gibt es aber eine Reihe von Ländern, die jeweils weniger als 10 Mill. Einwohner haben und deren Bevölkerungsentwicklung dennoch für die Europäische Union von großer Be- deutung ist. Eckart Bomsdorf, Universität zu Köln, und Kristian Dicke, Cologne Graduate School in Management, Economics and Social Sciences, beschäftigen sich mit dem demographischen Wandel in Dänemark. Die Autoren betrachten die Entwicklung des Umfangs und der Altersstruktur der Bevölkerung Dänemarks sowie die Bedeutung der einzelnen Komponenten der Bevölkerungsbewegung. Nach ihren Berechnungen steigt der Bevölkerungsumfang in der mittleren und hohen Variante deutlich an, von 5,5 Millionen 2010 auf 6,2 bzw. 7,2 Mill. Einwoh- ner 2050. Lediglich in der niedrigen Variante sinkt er leicht, auf 5,3 Mill. Einwoh- ner. Bei der Altersstruktur findet in allen Varianten eine Verschiebung von der Be- völkerung vor allem mittleren Alters zu den 65-Jährigen und Älteren und zu den Unter-20-Jährigen statt. Und in allen drei Varianten ist das Minimum des Anteils der 20- bis Unter-65-Jährigen um das Jahr 2040 zu finden. Die demographi- schen Belastungen, zum Beispiel für das staatliche Renten- und Krankenversi- cherungssystem, werden bis zum Jahr 2040 ansteigen, bevor wieder ein Rück- gang eintritt. Daten und Prognosen Ausrüstungsinvestitionen fassen nur zögerlich Tritt – Geschäftslage verlässt nur mühsam das tiefe Konjunkturtal 36 Joachim Gürtler und Arno Städtler Das ifo Geschäftsklima in der Leasingbranche bewegt sich seit Anfang dieses Jahres wieder im positiven Bereich, der Wert liegt aber immer noch weit unter sei- nem langjährigen Durchschnitt. Der vom ifo Institut gemeinsam mit dem Bundes- verband Deutscher Leasing-Unternehmen ermittelte Investitionsindikator lässt für 2010 noch keine nachhaltige Belebung der Investitionstätigkeit erkennen. Im Blickpunkt Kurz zum Klima: Sackgasse fossile Energie 41 Jutta Albrecht und Jana Lippelt Rund 80% der weltweiten Energienachfrage werden derzeit aus Erdöl, Kohle und Erdgas gedeckt. Der Anteil nichtfossiler Energieträger – die Summe aus erneuer- baren Energien und der Atomkraft – am Gesamtenergieverbrauch von 135 Län- dern ist immer noch gering. Im Jahr 2007 deckten nur 22 Länder ihren Energie- bedarf zu 20% oder mehr aus nichtfossilen Energieträgern, weitere 18 zu 10 bis 20%. Der Beitrag stellt einige Alternativen der Energieversorgung vor.
Ist ein Verbot von Wertpapier-Leerverkäufen bzw. ungedeckten Credit Default Swaps sinnvoll? 3 Sind die so genannten Leerverkäufe Mitverursacher der Finanzkrise und sollten deshalb Wetten auf sinkende Kurse verboten werden? Oder lassen sich Kursstürze abfedern? Erlaubnis mit Es ist verständlich, dass einige Aufsichts- Einschränkungen behörden und Politiker die Spekulations- blase mit solchen Geschäften verbinden In vielen Regierungskreisen und auf- und an neuen »Spielregeln« der Kapital- sichtsrechtlichen Behörden gibt es märkte arbeiten, die solche Geschäfte in Überlegungen, eine schärfere Regulie- dieser Form nicht mehr erlauben. rung der Finanzmärkte einzuführen. Ziel ist die zukünftige Vermeidung von Fi- Zuerst ein paar Sätze zu der Rolle der nanzkrisen. »Spekulanten« – darunter viele Hedge- fonds: Diese Fonds setzen privates Ka- Es besteht kein Zweifel daran, dass die pital in Erwartung außerordentlicher Ren- Überkomplexität vieler Finanzinnovatio- diten aufs Spiel. Wenn diese Marktteilneh- nen der letzten 10 bis 15 Jahren und die mer vom Markt verschwinden würden, unbeaufsichtigte Nutzung solcher Produk- würden Risikotransfermechanismen nicht Andre Horovitz* te seitens der Finanzinvestoren zu kata- mehr effizient funktionieren, was eine Bremse der wirtschaftlichen Geldvermeh- strophalen Verlusten geführt haben. Kon- rung bedeuten würde. strukte wie ungedeckte CDO oder CPDO (»Constant Proportional Debt Obligati- Die Fähigkeit, Kredite zu verbriefen, in ons«) lassen sich selbst erfahrenen Fi- Tranchen zu zerlegen und je nach Inves- nanzprofis schwer erklären. Ich kenne ei- toren Risikoappetit als Wertpapiere zu nige hochkarätige »Finanzingenieure«, die vertreiben, hat es den Banken über lan- mir 2005 und 2006 bestätigt haben, dass ge Zeit erlaubt, risikobehaftete Aktiva zu sie nicht wussten, wie solche Produkte zu platzieren, um der Realwirtschaft mehr modellieren sind, und sich erstaunt frag- Kapital zur Verfügung stellen zu können. ten, wie Investoren – die mit Sicherheit Zahlreiche Projekte wurden in den ver- keine geeignete Bewertungsmodelle hat- gangenen 20 Jahren mit Fremdkapital ten – sich trauen konnten, Geld in solche durchgeführt, welches ohne die Verbrie- Produkte zu investieren. fung von Forderungen und der entspre- chenden Entlastung des Risikokapitals Die Kunst der Investmentbanken, komplex der Banken nicht verfügbar gewesen strukturierte Kreditprodukte zu vertreiben, wäre. Ohne die Abnehmer der »Junior«- um die hohen Renditeerwartungen der In- oder »Equity«-Tranchen (so bezeichnet vestoren (verglichen mit Anleihen der glei- wegen deren nachrangigen Position ge- chen Bonitätsklassen) zu erfüllen, führte genüber den anderen Tranchen in den in den neunziger Jahren und noch mehr CDO-Strukturen) hätten diese Transak- Anfang des Jahrtausends zu gigantischen tionen nicht abgeschlossen werden Summen, die in ABS oder ABS-gedeckte können. CDOs angelegt wurden – oft mittels hoch gehebelter Engagements. Dies war eine Übertreibung, die vielseitig kommentiert Leerverkäufe von Wertpapier- und zu Recht kritisiert wurde. beständen Da vor der Finanzkrise ungedeckte Leer- Betrachten wir einen Anbieter (»Market verkäufe von Wertpapieren (meist von Maker«) von Wandelanleihen, eine Form, Hedgefonds initiiert) eingegangen, aber die im Handel der Banken üblich ist. Eine auch Wetten auf Bonitätsabstufungen oder Wandelanleihe ist ein Hybridinstrument, Ausfälle von Emittenten mittels Credit Default Swaps in erheblichem Maße ge- * Andre Horovitz ist Geschäftsführer der financial risk schlossen wurden, sind diese Art von Ge- fitness GmbH, ein Unternehmen, das auf Schulun- schäften auch sehr in die Kritik geraten. gen von Finanzmanagern spezialisiert ist. 63. Jahrgang – ifo Schnelldienst 13/2010
4 Zur Diskussion gestellt das einer festverzinslichen Anleihe ähnelt, mit dem Unter- Sicher ist, dass die realisierten Verluste auf dem »Sub- schied, dass der Investor die Option besitzt, die Anleihe in prime«-Hypothekenmarkt in den letzten Jahren, die Ge- eine bestimmte Anzahl von Aktien des Emittenten zu kon- samtsumme der ausgeliehenen Hypotheken überstiegen vertieren. Dies ist dann für den Investor sinnvoll, wenn der haben. Somit wird behauptet, dass die »leer geschlosse- Verkehrswert der Aktie einen bestimmten Wert übersteigt. nen« CDS-Kontrakte einen Multiplikationseffekt ausgeübt Da der Investor zusätzlich zur Anleiherendite noch ein Par- haben. tizipationsrecht bei einer Steigerung des Aktienwerts be- kommt, ist eine Wandelanleihe in der Regel billiger für den Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass viele Aufsichtsbe- Emittenten als eine normale festverzinsliche Anleihe (der Ku- hörden dazu neigen, in Zukunft solche »leer geschlossenen« pon ist geringer gesetzt). CDS zu verbieten, mit der Begründung, dass sie dadurch Spekulanten aus den Märkten verdrängen, die damit Profi- Der Marktanbieter muss einen Bestand solcher Wandelan- te erzielen, aber auch Unternehmen (oder, wie neulich ge- leihen im Handelsbuch halten (weil in der Regel Kunden mehr sehen, sogar Länder) in der Ruin treiben. Käufe als Verkäufe ausüben), um den Kaufaufträgen der Kunden gerecht zu werden. Auf den ersten Blick, eine sinnvolle Schlussfolgerung. Weil diese Wandelanleihen im Handelsbuch gehalten wer- Anhand von zwei Beispielen wird hier gezeigt, dass diese den, werden sie täglich neu bewertet. Die Wertveränderun- These dennoch nicht unbedingt richtig ist. gen werden gemäß IFRS-Vorschriften (auch US GAAP) di- rekt in die Gewinn- und Verlust-Rechnung übertragen, was Betrachten wir einen deutschen Exporteur, der Maschinen zu einer ungewollten GuV-Volatilität führen kann. in afrikanische Länder vertreibt. In der Regel werden solche Verträge in US-Dollar oder sogar in Euro geschlossen, und Entsprechend ist der Händler (der Marktanbieter) bestens die Käufer sind staatliche Unternehmen. Somit hat der deut- beraten, die Wertveränderungen der Wandelanleihen so sche Exporteur weder ein Wechselkurs- noch ein Unterneh- gut wie möglich abzusichern (»hedgen«). Die zwei we- mensausfallsrisiko. Das Risiko, dass das Land innerhalb der sentlichen Parameter, die die Wertentwicklung der Wan- Zahlungsperiode ausfällt, bleibt jedoch bestehen. delanleihen bestimmen, sind die Zinsstrukturkurve und der Aktienkurs des Emittenten. Die meisten Händler si- Um dieses Risiko abzusichern, muss der deutsche Ex- chern sich gegen Zinsschwankungen mit Zins-Swaps porteur ein CDS abschließen, so dass er entschädigt wird, ab (sie transformieren die feste Kupons der Anleihen in wenn das Land zahlungsunfähig wird. Damit akzeptiert der variable Kupons, die vom einem Zinsindex abhängig sind, Exporteur zwar das Kontrahentenausfallsrisiko der Bank, wie LIBOR – London Interbank Offer Rate, der für jeweils mit der er den Vertrag schließt, aber dieses Risiko ist oft 3,6 oder zwölf Monate fixiert ist). Bleibt das Risiko einer viel geringer als das Länderrisiko, gegen welches er sich Veränderung des Aktienkurses. Wenn die Aktie des Emit- absichert. tenten steigt, steigt auch der Wert der Anleihe, weil die Ausübungswahrscheinlichkeit höher wird und vice versa. Diese durchaus sinnvolle Transaktion widerlegt die These, Um sich gegen solche Wertveränderungen zu »hedgen«, dass abgeschlossene CDS ohne den Besitz des Basisins- muss der Händler eine bestimmte Anzahl von Aktien leer truments automatisch eine Spekulation ist. verkaufen (»short«). Die Anzahl der Aktien, die der Händ- ler »leer verkauft«, hängt mit der Bewertung der Aus- Betrachten wir im zweiten Beispiel einen privaten Pensi- übungsoption (Konvertierungsoption) zusammen. Ohne onsfonds, der die erwarteten zukünftigen Zahlungsströme diese Möglichkeit, »Short«-Aktienpositionen einzugehen, (aus den Rentenverpflichtungen) damit erwirtschaftet, dass kann der Händler seinen Bestand von Wandelanleihen er in Wertpapiere von südamerikanischen Firmen investiert. nicht absichern. Das Risiko eines möglichen Ausfalls eines Wertpapieremit- tenten wird vom Pensionsfonds in Kauf genommen. Die andere Gefahr ist, dass die südamerikanischen Regierun- Credit Default Swaps (CDS) – eine kontroverse gen, den Unternehmen einen Fremdwährungszahlungsstopp Diskussion zu diesem Thema anordnen und zum gleichen Zeitpunkt die Heimwährung ihre Konvertierbarkeit in den Euro verliert. Das stellt ein Ri- Es ist mittlerweile bewiesen, dass die Wucht der Finanzkri- siko der Zahlungsunfähigkeit dar, gegen welches sich der se der letzten zwei Jahre unmittelbar mit den gigantischen Fonds absichern möchte. Summen von CDS auf hypothekenkreditbesicherten ABS (Asset Backed Securities) zusammenhängt. Nicht wenige Um solche Situationen abzusichern, wird der Pensionsfonds Experten bezeichnen diese CDS-Kontrakte sogar als Ver- »leere CDS« auf Staatsanleihen der jeweiligen Länder schlie- ursacher der Krise. ßen, auch ein Beispiel einer Absicherungsstrategie. ifo Schnelldienst 13/2010 – 63. Jahrgang
Zur Diskussion gestellt 5 Zum Dritten, betrachten wir eine Versicherungsfirma, die – bedeutet, dass die Hedgefonds die »bank-ähnliche ähnlich wie der oben erwähnte Pensionsfonds – die Versi- Geschäfte« betreiben, auch wie Banken zu überwa- cherungsprämien in Anleihen investiert. Um Ausfälle zu ver- chen sind. meiden, auch wie in dem oben erwähnten Beispiel, schließt 4. Limitierung der Hebelfaktoren in den Bankbilanzen. Die die Versicherung CDS-Kontrakte auf diese Anleihen mit Ban- Risiken, die damit eingegangen werden, sind umso hö- ken, mit dem Unterschied, dass jetzt die CDS nicht her, je mehr die »Spieler« die Hebelwirkungen ausnützen. »leer«sind, sondern die Versicherung die Anleihen tatsäch- Mit einer Limitierung würden sich nicht nur gewisse Spe- lich besitzt. Da mittels der CDS ein Ausfallrisiko der Banken kulationsstrategien nicht mehr rechnen, sondern auch (Vertragspartner) eingekauft wurde, würde sich eine risiko- Kapital der Banken, das ansonsten für etwas mehr Ren- scheue Versicherungsgesellschaft auch gegen dieses Risi- dite den Hedgefonds geliehen würde1, in die »reale Wirt- ko absichern wollen, indem sie entweder »leere« CDS auf schaft« fließen. Unternehmensanleihen der Banken kauft (z.B. mit staatli- chen Banken auf der Gegenseite) oder gleich »Short«-Po- sitionen (Leerverkäufe) der Bankenaktien eingeht. Eine an- dere Absicherungsstrategie – jedoch wieder mit Kontrahen- tenrisiken verbunden – wäre auch die Absicherung mittels eines »total rate of return Swaps« (TRS). Diese drei Beispiele zeigen, dass auch »leer geschlossene« CDS für Unternehmen sinnvoll sein können, ohne eine »Zo- ckerabsicht« unterstellen zu müssen. Werden nun aber sowohl Leerverkäufe als auch »basislose (leere) CDS« weiter erlaubt, sollte dann alles weiterhin so sein wie bisher? Dieser Vorschlag würde wahrscheinlich nicht einmal bei den Hedgefonds auf Verständnis stoßen, geschweige denn bei der Bevölkerung, die weltweit auf eine umfangreiche Reform der Finanzaufsicht drängt. Ich glaube, dass die Regulierung der Finanzbranche tatsäch- lich ambitionierte Ziele verfolgen muss. Einige meines Erachtens wichtige Veränderungen wären: 1. Vermeidung der »Regulatory-Arbitrage«-Geschäfte, bei denen sich Finanzarbitrageurs die laxesten regulatori- schen Rahmenbedingungen aussuchen, um Geschäfte profitabel durchzuführen. Es ist kein Wunder, dass sich viele Hedgefonds auf den karibischen oder den Ärmel- kanalinseln niedergelassen haben. Eine internationale Kooperation der Finanzbehörden würde viel zur Trans- parenz in diesem Sektor beitragen und regulatorische Schlupflöcher schließen. 2. Etablierung von effektiven »Clearing-Stellen« für die Ab- schließung von CDS – ähnlich wie Terminbörsen, ein Schritt, der bereits begonnen wurde. Somit wird die Transparenz bei den Kontrakten besser hergestellt und die damit verbundenen Ausfallrisiken der Gegenpartei (siehe Beispiel 3) offengelegt. Es gibt hierfür noch einige 1 Banken verleihen gerne an Hedgefonds, weil sie sich zum einen Wertpa- operative Hürden, aber ich bin überzeugt, dass diese pierabwicklungsgeschäfte davon versprechen und zum anderen, die Si- überwunden werden. cherheiten, die von Hedgefonds vorlegt werden – in der Regel hoch liqui- de Wertpapiere –, leichter in Barmittel zu verwandeln sind als die Sicher- 3. Limitierung der »Schattenbanken«, indem die gleichen heiten, die Industrieunternehmen bieten – in der Regel Immobilien, Maschi- Spielregeln für alle partizipierenden Spieler gelten. Das nen, etc. 63. Jahrgang – ifo Schnelldienst 13/2010
6 Zur Diskussion gestellt wältigen. Trotz umfassender Meldevorschriften haben sie al- lein aufgrund des Volumens der zu verarbeitenden Infor- mationen offensichtlich keine Transparenz, die die Voraus- setzung für wirksame Maßnahmen ist. Vorschläge für notwendige Maßnahmen Inzwischen sind eine Fülle von Maßnahmen vorgeschlagen worden, wie eine überfällige Regulierung und Eindämmung des außer Kontrolle geratenen Marktes für spekulative Fi- nanzprodukte aussehen könnte. Dazu gehören: Martin Schütte* 1. Börsenzwang. Die Einrichtung von regulierten Börsen für alle Finanzprodukte ist eine sinnvolle Maßnahme. Ein ge- nereller Börsenzwang ist allerdings nicht zu empfehlen, genauso wenig wie bei Aktien, Festverzinslichen, Devi- Ist ein Verbot von »nackten« sen oder anderen heute auch außerhalb der Börsen han- Spekulationsgeschäften sinnvoll? delbaren Produkten. 2. Meldepflichten. Zwingend dagegen erscheint die Ein- Situation richtung von unabhängigen Institutionen/Behörden min- destens auf EU-Ebene, an die alle Transaktionen von Fi- Die ins Schussfeld geratenen spekulativen Finanzprodukte nanzgeschäften gemeldet werden müssen. Das wäre sind zum Teil seit Jahrzehnten übliche Geschäfte, wie z.B. zusammen mit der Schaffung zusätzlicher Börsen der Leerverkäufe, oder durchaus sinnvolle und nützliche Inno- entscheidende Schritt für die Gewährleistung von Markt- vationen, wie die Credit Default Swaps (CDS) zur Absiche- transparenz. rung von Kreditausfallrisiken. Doch das unkontrollierte 3. Eigenkapitalunterlegung. Eine generelle und substan- Wachstum der Märkte für diese und andere hochspekula- tielle Verpflichtung, alle Risikopositionen mit Eigenkapi- tive Finanzprodukte hat vor knapp zwei Jahren das Weltfi- tal zu unterlegen bzw. Eigenanteile zu behalten, ist zwin- nanzsystem beinahe zum Einsturz gebracht und droht zur- gende Voraussetzung für die notwendige Begrenzung zeit, dasselbe zu wiederholen. Um das zu verhindern, muss der außer Kontrolle geratenen Risikoausweitung. Die auch ein Verbot besonders gefährlicher Produkte erwogen Quoten sind anhand der Erfahrungen der Krise festzu- werden. legen und gelten auch für Sicherungsgeschäfte zur Ab- deckung des Kontrahentenrisikos. Der Hauptgrund für diese Krisen ist, dass der Markt für die- 4. Ermöglichen einer Insolvenz. Ein zentrales Problem ist se Produkte keinem regulierenden Ordnungsrahmen un- das Fehlen des Insolvenzrisikos für die »systemrele- terworfen ist, der für alle anderen Markteilnehmer, insbeson- vanten« Finanzinstitute (»too big to fail«), wobei we- dere auch die klassischen Banken und Versicherungen, gilt. gen der endlosen Verflechtungen der Institute unterein- Das führte zu das Gesamtsystem gefährdenden Verwer- ander dies schon für relativ kleine Institute gilt. Damit fungen wie einer unkontrollierten Risikoexplosion, fehlender werden die schärfste Waffe zur Risikobegrenzung und Haftung der Unternehmen für die produzierten Risiken, gleichzeitig ein zentrales Instrument für das Funktio- Marktbeherrschung durch wenige global agierende Unter- nieren einer Marktwirtschaft für diese Unternehmen nehmen mit allen negativen Folgen und einer erschrecken- ausgeschaltet. Deswegen muss die Insolvenz auch von den Mentalität und Kultur der Verantwortungslosigkeit, des »systemrelevanten« Instituten ermöglicht werden. Ei- Egoismus und der Skrupellosigkeit bis hin zu schlicht krimi- gentlich müsste dafür das bestehende Insolvenzrecht nellem Handeln. ausreichen. Da der Staat ohnehin im Falle der fakti- schen Insolvenz das Weiterbestehen und die Funk- Ein weiterer Grund ist die Überforderung der Aufsichtsbe- tionsfähigkeit der Institute unabhängig von ihrer Grö- hörden, die von den Ressourcen her den zu Beaufsichtigen- ße sicherstellen und garantieren wird, muss es mög- den materiell und qualitativ hoffnungslos unterlegen sind. lich sein, die Institute juristisch durch eine Insolvenz Auch die Komplexität der Märkte ist von ihnen nicht zu be- gehen zu lassen, und sie aus der Insolvenz heraus zu stützen und weiterzuführen. Wenn nicht, muss diese Möglichkeit umgehend geschaffen werden. Damit wür- * Prof. Dr. Martin Schütte, München, ist Lehrbeauftragter am Institut für In- formation, Organisation und Management an der Ludwig-Maximilians-Uni- de der entscheidende Schritt gegen eine unverantwort- versität München. liche Risikoausweitung gemacht. ifo Schnelldienst 13/2010 – 63. Jahrgang
Zur Diskussion gestellt 7 5. Entflechtung. Die Entflechtung der Finanzinstitute, z.B. manente Umstrukturierung zu immer komplexeren Pro- in Geschäfts-, Investmentbanken und Hedgefonds, ist dukten haben dazu geführt, dass sie von außen in ih- notwendig wegen der nicht mehr beherrschbaren Kom- rem Risikogehalt nicht mehr zu beurteilen sind. Damit plexität der Großinstitute, der unterschiedlichen Regu- laden sie ein zu Missbrauch und Betrug, was in großem lierungsanforderungen und gefährlicher Compliance- Stil ja auch geschehen ist. Das legt einen Zwang zur Zer- Probleme. Zusätzlich erforderlich ist die Trennung der tifizierung aller Finanzprodukte durch eine unabhängige Transaktionsplattformen von den selber handelnden Institution/Behörde nahe. Wichtiger ist jedoch die Ein- Banken. Denn die Technisierung und Mechanisierung führung strenger Anlagevorschriften für Geschäftsban- des Handels über hochkomplexe Computersysteme ken bzw. alle Finanzinstitute, die Kundeneinlagen halten. (»Algotrading«) hat zu einer Monopolisierung des Mark- Sie sind auf einen Positivkatalog von Produkten zu be- tes geführt mit allen schädlichen Folgen. Der extrem schränken. hohe Investitionsaufwand für diese Systeme und die extreme Verarbeitungs- und Entscheidungsgeschwin- digkeit führt zu praktisch unüberwindbaren Eintrittsbar- Verbot von Produkten, z.B. Leerverkäufen und rieren für außen stehende Marktteilnehmer und einem ungedeckten Risikopapieren systemischen Informationsvorsprung dieser marktfüh- renden Unternehmen. Da diese auch auf eigene Rech- Sind direkte gesetzliche Verbote von Produkten und Ge- nung handeln, ergibt sich ein permanenter Interessen- schäften neben diesen Maßnahmen überhaupt noch nötig und Insiderkonflikt. Ihre Doppelrolle als Dienstleister und sinnvoll? Dazu folgende Gesichtspunkte: für Kunden und gleichzeitig Händler im Eigeninteresse provoziert systematischen Insiderhandel. Böse Zungen 1. Grundsätzlich sollte ein Verbot von Produkten oder sprechen vom »Geschäftssystem Insiderhandel«. Das Dienstleistungen nur die wirkliche Ultima Ratio sein, da muss entflochten werden. es einen erheblichen Eingriff in die Vertragsfreiheit be- 6. Verfolgung von unerlaubter Marktbeeinflussung. Die deutet, der nur in Ausnahmefällen gerechtfertig ist. Bewertung von Risiken ist weltweit letztlich auf drei 2. Ein Verbot von klassischen Leerverkäufen ist nicht zu Ratingagenturen und die Einschätzungen der weltweit empfehlen. Da es um den Verkauf von konkreten Pro- größten vier bis fünf Banken/Investmentbanken kon- dukten, z.B. Aktien, zwischen zwei Partnern geht, ist das zentriert. Deren Urteile führen aufgrund der Hektik und Produkt- und Partnerrisiko konkret einzuschätzen. Da des Herdenverhaltens an den Märkten zu sofortigen zum Termin auch physisch geliefert werden muss, ist das und häufig übertriebenen Aktionen. Da die weltwei- Risiko auch real und ein ausreichender Schutz vor ex- ten Marktführer, wie z.B. Goldman Sachs und Deut- zessiver Ausdehnung. sche Bank, selber maßgebliche Händler sind, Analy- 3. Anders sind ungedeckte CDS (credit default swaps) zu sen und Bewertungen erstellen und veröffentlichen beurteilen. Wegen der extremen Hebelwirkung, der leich- und gleichzeitig Schuldner beraten, sind Interessen- ten Veräußerbarkeit und Möglichkeit zum Verpacken und konflikte vorprogrammiert. Beispiel Deutsche Bank Umstrukturieren sind sie extrem gefährlich und ein we- und das Konfliktpotential, das darin liegt, dass die sentlicher Auslöser der Finanzkrise. Sie sollten untersagt Bank die griechische Regierung maßgeblich beraten werden. Auf ein Verbot könnte nur verzichtet werden, hat bei der Verschleierung ihres tatsächlichen Schul- wenn eindeutige Vorschriften zur Unterlegung dieser Pro- denstandes, gleichzeitig Eigenhandel in griechischen dukte mit Eigenkapital erlassen und vor allem auch kon- Anleihen betreibt und dann ihr Chef, Josef Ackermann, sequent durchgesetzt würden. Wahlmöglichkeiten oder öffentlich Zweifel daran äußert, dass Griechenland das Auslegungsspielräume, z.B. zwischen Anlage- und Han- Sanierungspaket, das unter seiner beratenden Mitwir- delsbuch, müssten beseitigt werden. kung entwickelt wurde, verkraften wird. Denn seine 4. Dasselbe gilt für strukturierte Risikopapiere (z.B. credit Äußerungen haben unmittelbar kursbeeinflussende default obligations, CDO), d.h. Papiere, die ihrerseits aus Wirkung. Die Strafvorschriften für Insiderhandel sind der Bündelung von CDS oder anderen Risikoderivaten deshalb wesentlich zu verschärfen und schlagkräfti- bestehen. Sie sind ebenfalls extrem gefährlich, da ihr ge Behörden/Institutionen zu schaffen, die automa- Risikogehalt von Außenstehenden, selbst wohl auch in- tisch in solchen Situationen das Handelsgeschehen stitutionellen Kunden, praktisch nicht zu beurteilen ist. nachträglich auf Insiderverhalten untersuchen und ahn- Das gilt ganz besonders bei den üblichen Mehrfachver- den können. packungen. Außerdem sind alle Vorschriften zu streichen, die es Ban- 5. Speziell Geschäftsbanken, die Kundeneinlagen verwal- ken noch erlauben, sich auf die Bewertung externer Drit- ten, sollte ebenfalls die Investition in hochspekulative Pro- ter zu verlassen (Basel II). dukte untersagt werden, indem sie auf den oben be- 7. Produktzertifizierung. Die Loslösung der Produkte von ih- schriebenen Positivkatalog von Anlageprodukten be- rem zugrunde liegenden Kundenbedarf und ihre per- schränkt werden. 63. Jahrgang – ifo Schnelldienst 13/2010
8 Zur Diskussion gestellt Selbstreinigung der Branche 1. Der Markt ist der objektivste und beste Regulator, Ein- griffe verzerren das Geschehen. Nach dem Desaster, das Auf Verbote könnte wohl verzichtet werden, wenn davon die Verabsolutierung dieser marktradikalen Auffassung auszugehen wäre, dass die Branche aufgrund der Erfahrun- angerichtet hat, sollte es sich selbst erledigt haben. gen aus der Krise zu einer Selbstbeschränkung und Selbst- 2. Eingriffe gefährden die wichtige Innovationskraft der Bran- heilung bereit und in der Lage wäre. Davon ist leider nicht che. Es ist unbestritten, dass die Branche eine Vielzahl auszugehen. Denn mit ihrem Verhalten nach der Krise hat von nützlichen Innovationen geschaffen hat, die von gro- sie alle Ansätze einer notwendigen Korrektur desavouiert ßem Wert für die Unternehmen und die Wirtschaft insge- und das Vertrauen in die Branche restlos verspielt. samt sind. Allerdings haben das Selbstverständnis der Branche und die unübersehbare Flut von Produkten, die 1. Unmittelbar nach Ausbruch der Krise wurde zwar von ganz überwiegend im ausschließlichen Eigeninteresse führenden Vertretern zaghafte Einsicht in eine gewisse entwickelt wurden, zu einer nicht mehr beherrschbaren Mitverantwortung geäußert, das Wort Demut machte die Komplexität und insgesamt zu der Krise geführt. In der Runde. In dem Augenblick aber, in dem sichtbar wurde, Summe haben wir zuviel und nicht zu wenig Innovation. dass es kurzfristig zu keinen einschneidenden Regulie- 3. Die Effektivität der Märkte wird beeinträchtigt. Hier ist zu rungsmaßnahmen kommen werde, wurde nahtlos ange- fragen, was darunter verstanden wird: z.B. effektive Preis- knüpft an das Verhalten vor der Krise und in nur 18 Mo- bildung und Bewertung von Risiken? Optimale Befriedi- naten die zweite Krise auf noch höherem Niveau, näm- gung von Kundenbedürfnissen in der Realwirtschaft? lich dem der Staaten, provoziert. Transparenz und Förderung eines fairen Wettbewerbs? 2. Das Selbstverständnis der Branche ist unverändert die Die Antworten fallen keineswegs positiv aus, sobald man totale Konzentration auf die Maximierung von Rendite Effektivität konkretisiert. ohne Rücksicht auf die Belange von Kunden oder Ge- 4. Speziell die Derivate und Risikoprodukte fördern die Li- sellschaft. Die permanenten Meldungen über massive In- quidität und schaffen einen wichtigen Sekundärmarkt. teressenkonflikte, die zu Lasten der Kunden »gelöst« wur- Durch das unkontrollierte, explosionshafte Wachstum den, und die zum Teil zu strafrechtlichen Ermittlungen dieses Marktes ist der Sekundärmarkt längst zum in- führen, belegen das im Wochenrhythmus. transparenten und unkontrollierbaren Primärmarkt ge- 3. Dasselbe gilt für die Mentalität der erklärten Amoral und worden. des fehlenden Unrechtsbewusstseins bis hin zu den blas- 5. Spekulanten sind nicht die Ursache der Probleme, son- phemischen Äußerungen des Goldman-Sachs-Chefs, dern decken lediglich durch kühle und schonungslose dass er lediglich »Gottes Werk verrichte«. Die vielen Äu- Analyse bestehende Probleme auf. Sie sind die Über- ßerungen von Aussteigern aus der Branche und Aussa- bringer schlechter Nachrichten, die gerne von den Be- gen, die in den laufenden Ermittlungsverfahren hochkom- teiligten verdrängt werden. Das ist richtig und die klas- men, bestätigen immer wieder das erschreckende Bild. sische Funktion des Marktes, hier des Finanz- und Ka- 4. Die Gehaltsexzesse, die ohne Zweifel die Basis für die pitalmarktes. Das Problem liegt nur in der Bündelung und Mentalität der Gier, Maßlosigkeit und Skrupellosigkeit Monopolisierung der Informations-, Kompetenz- und Fi- sind, werden unvermindert weiter geführt und sogar noch nanzmacht in den Händen weniger marktbeherrschen- gesteigert. der Unternehmen. Das reizt zwangsläufig zu abgespro- 5. Schlussendlich zeigt die Griechenlandkrise, dass es inzwi- chenem und konzentriertem Einsatz dieser Macht und schen um einen regelrechten Machtkampf zwischen den führt zu einer unnötigen und gefährlichen Zuspitzung und Regierungen und den Finanz»eliten« geht um die Gestal- Beschleunigung krisenhafter Entwicklungen (»Brandbe- tungshoheit eminent politischer Fragen. Konkret: wer ent- schleuniger«), die die Verantwortlichen zwingen, existen- scheidet darüber, ob Griechenland in der EU, Kalifornien tielle Entscheidungen unter extremen Zeitdruck zu fällen. in den USA oder z.B. Berlin oder das Saarland in der Bun- Beispiel: Nacht-und-Nebel-Aktion der EU-Regierungs- desrepublik bleiben? Eine handvoll Finanzmanager, die chefs, durch die die Rolle der EZB massiv umdefiniert ausschließlich nach dem Gesichtspunkt der größtmögli- wurde. chen Gewinnerzielung entscheiden oder die gewählten Regierungen nach politischen Zielen wie Stabilität, Sicher- heit, Wohlstand, sozialem Ausgleich, geschichtlicher/kul- Fazit tureller Identität oder anderen Gemeinschaftszielen? Als Ergebnis ist festzuhalten: Argumente gegen eine strenge Regulierung • Ein Verbot von Leerverkäufen ist nicht erforderlich. Wie sind die Argumente gegen eine Regulierung der Bran- • Ungedeckte CDS sollten untersagt werden, solange kei- che zu bewerten, die von den führenden Vertretern der Bran- ne effektiven Vorschriften zur risikogerechten Unterle- che ins Feld geführt werden? gung mit Eigenkapital umgesetzt worden sind. ifo Schnelldienst 13/2010 – 63. Jahrgang
Zur Diskussion gestellt 9 • Dasselbe gilt für strukturierte Produkte, die aus unge- deckten Risikopapieren bestehen. • Geschäftsbanken sollte die Investition in hoch spekula- tive Risikopapiere untersagt werden durch die Aufstel- lung eines Positivkatalogs als Anlagerichtlinien. • Bei krisenhaften Entwicklungen und Überhitzung der Märkte (s. »Flash Crash« am 6 Mai 2010 in New York) sollte ein zeitweises, befristetes Verbot auch anderer spe- kulativer Papiere ausgesprochen werden, ebenso wie die zeitlich begrenzte Unterbrechung des Handels betroffe- ner Börsen. Barbara Hendricks* Das Verbot von Leerverkäufen ist nur ein erster Schritt auf dem Weg einer Finanzmarktregulierung Vor kurzem noch löste diese Frage starke Kontroversen aus, unter Wirtschaftswissenschaftlern wie Politikern. Mittlerwei- le sind die Befürworter uneingeschränkter Finanzspekulatio- nen leiser geworden – sei es aus Einsicht oder aus Gründen der Anpassung. Meine Position war und ist, dass es keine schrankenlose Marktmacht geben darf. Dies ist nicht mehr und nicht weniger als ein Gebot des Grundgesetzes und gilt auch für den Finanzmarkt. Ziel jeglicher Marktregulierung ist die Sicherung der Funktionsfähigkeit unserer sozialen Markt- wirtschaft. Diese Sicherheit war nicht zuletzt bedroht durch sich selbst verstärkende, von der Realwirtschaft weitgehend abgekoppelte Spekulationsgeschäfte. Das Verbot von Wert- papier-Leerverkäufen und ungedeckten Credit Default Swaps ist im Hinblick auf die notwendige Regulierung ein sinnvol- les, allerdings unzureichendes Instrument. Bereits im September 2008 hatte die Bundesanstalt für Fi- nanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) erstmals so genannte Leerverkäufe mit Aktien von elf Unternehmen der Finanz- branche verboten. Im Februar 2010 ließ sie das Verbot nach mehrmaliger Verlängerung auslaufen und die Bundesregie- rung beurteilte diese Entscheidung auf meine Nachfrage hin als sachgerecht. Diese Fehleinschätzung wurde allerdings mit Beginn der systematischen Währungsspekulationen of- fensichtlich und die BaFin hat sie folgerichtig am 18. Mai 2010 mit ihrem Verbot von ungedeckten Leerverkäufen von Aktien der zehn führenden deutschen Finanzinstitute sowie von Staatsanleihen der Länder der Eurozone und ungedeck- ten Credit Default Swaps korrigiert. Das Verbot war notwendig, ist wegweisend, bleibt aber un- zureichend, wie die Anhörung zum Gesetzentwurf zur Vor- * Dr. Barbara Hendricks ist Mitglied des Deutschen Bundestags und Schatz- meisterin der SPD. 63. Jahrgang – ifo Schnelldienst 13/2010
10 Zur Diskussion gestellt beugung gegen missbräuchliche Wertpapier- und Deriva- gulierung der Finanzmärkte angemahnt. Allerdings konn- tegeschäfte vom 17. Juni 2010 im Deutschen Bundestag ten wir erst im Jahr 2007, als Deutschland den Vorsitz deutlich gezeigt hat. Denn ausgenommen davon bleiben un- der G 8 hatte, mit Finanzminister Steinbrück die Weichen gedeckte Leerverkäufe im außerbörslichen Handel, die ein dahin gehend stellen, dass bei der Zusammenkunft der viel größeres Volumen ausmachen. Auch die geringere Markt- Staats- und Regierungschefs der G 8 in Heiligendamm transparenz macht eine Einbeziehung des außerbörslichen über die Regulierung der Finanzmärkte zumindest gespro- Handels in das Verbot unbedingt erforderlich. Das Verbot chen wurde; schließlich hatte Deutschland die Hoheit über von destabilisierenden Finanzmarktgeschäften muss zudem die Tagesordnung. Aber es wurden gleichwohl noch kei- flankiert werden durch die angemessene Beteiligung des Fi- ne bindenden Beschlüsse gefasst – unsere angelsächsi- nanzsektors an den Kosten der Krise und durch ein sinn- schen Freunde waren noch nicht so weit –, sondern es volles Steuerungsinstrument zur Eindämmung risikoreicher wurden Prüfungsaufträge an das Financial Stability Fo- Spekulationen. rum, das mittlerweile in »Financial Stability Board« (FSB) umbenannt worden ist, erteilt. Dieses Gremium hat mitt- Noch vor drei Jahren war der Gesamthaushalt der Bun- lerweile etwas mehr Einfluss und arbeitet noch an den Prü- desrepublik Deutschland ausgeglichen, 2008 noch na- fungsaufträgen. Erst kürzlich hat der Präsident der Bun- hezu ausgeglichen. Heute und für die nächsten Jahre se- desbank, Herr Professor Weber, öffentlich gesagt, Ende hen wir uns mit einem wachsenden Staatsdefizit konfron- dieses Jahres werde man Vorschläge machen können und tiert. Für das laufende Jahr 2010 prognostiziert das Bun- er hoffe, sie 2012 implementieren zu können. Der Vorsit- desministerium der Finanzen (BMF) ein Defizit von – 6% zende des FSB, Mario Draghi, hat die Jahre 2010 und vom BIP. 2011 als entscheidend für die bedeutendsten Teile der globalen Reform bezeichnet. Wir wären heute zumindest Ursächlich hierfür sind Mehrausgaben und Mindereinnah- auf europäischer Ebene weiter, hätte Deutschland die Li- men des Staates aufgrund der internationalen Finanzkrise, nie konsequent verfolgt, die bereits im Februar 2009 in zu der spekulative Finanztransaktionen beigetragen haben. dem Papier »Die Finanzmärkte grundlegend neu ordnen Spätestens mit dem Bankrott des Bankhauses Lehman – Unsere Finanzmarktgrundsätze« von Frank-Walter Stein- Brothers manifestierte sich im September 2008 die größte meier und Peer Steinbrück detailliert vorgezeichnet wur- international wirksame Störung des Finanzmarktes seit dem de. Das Ergebnis des EU-Gipfels der Staats- und Regie- Börsencrash von 1929. Die Politik war seitdem permanent rungschefs in Brüssel vom 17. Juni 2010 ist mit dem Auf- und in mehrfacher Hinsicht als Feuerwehr und Nothelfer trag der »Erforschung und Entwicklung« einer Finanztrans- gefordert. aktionssteuer lediglich eine Wiederholung des Auftrags von Heiligendamm. Zunächst musste der Zusammenbruch des Finanzmark- tes durch die Wiederherstellung des Vertrauens von Kun- Derzeit kann von einer kohärenten internationalen Finanz- den und Banken verhindert werden. Allein der deutsche marktregulierung nicht die Rede sein. Deshalb ist es au- Rettungsschirm für Banken hatte einen Umfang von ßerordentlich nachteilig, dass die schwarz-gelbe Bundes- 480 Mrd. €. Nach der Stabilisierung des Bankensystems regierung ohne Kompass und ohne Führung agiert. Es musste zweitens das Übergreifen der Krise auf die Re- mangelt an fundierter Geschlossenheit von Regierung und alwirtschaft abgewehrt werden. Mit den Konjunkturpa- Regierungsparteien, ohne die es aber kaum möglich ist, keten I und II in einem Umfang von 80 Mrd. € setzte die auf europäischer oder internationaler Ebene Überzeu- Bundesregierung Maßnahmen um, die bis heute gungsarbeit und Durchsetzungskraft zu zeigen. Deutsch- erfolgreich in den Arbeitsmarkt hinein wirken. Dennoch lands Ansehen im internationalen Krisenmanagement ist befinden wir uns in der tiefsten Wirtschaftskrise seit unter Bundeskanzlerin Merkel in neuer Koalition radikal 60 Jahren. abgestürzt. Dabei war vom Ausbruch der Krise an klar, dass die Aufgabe, mittels internationaler Zusammenarbeit So mussten im Mai und Juni 2010 Gewährleistungen in bis globale Märkte stärker regulieren zu müssen, von der po- dahin ungeahntem Ausmaß auf den Weg gebracht wer- litischen Führung alles verlangt: Ziel, Strategie, Kompe- den, zunächst für Griechenland und dann in rascher Folge tenz, Kommunikationsfähigkeit, Hartnäckigkeit, Durchset- zugunsten des Vertrauens in den Euro und des entsprechen- zungsfähigkeit. den Wirtschaftsraums. Nachdem aber die schwarz-gelbe Regierung durch ihren Die eigentlich notwendige Arbeit ist aber noch nicht ge- Wackelkurs Zeit und Boden verloren hat, fällt es schwer, tan. Denn noch fehlen die Dämme für die Zukunft, das Bundesfinanzminister Schäuble im Zusammenhang mit dem heißt, noch fehlt die umfassende Neuregelung der Finanz- jüngsten Verbot von ungedeckten Leerverkäufen durch die märkte. Bundeskanzler Schröder hatte bereits auf dem BaFin sein einseitiges und international nicht abgestimmtes Weltwirtschaftsgipfel in Gleneagles im Jahr 2005 die Re- Handeln vorzuwerfen. ifo Schnelldienst 13/2010 – 63. Jahrgang
Zur Diskussion gestellt 11 Sicher, es wäre notwendig gewesen, zeitlich und inhalt- Es ist Aufgabe der Politik, den Verhaltensnormen, die unser lich abgestimmt vorzugehen. Minister Schäuble hat in Staatswesen bestimmen, auch auf dem Finanzmarkt Gel- seiner Pressekonferenz vom 2. Juni seine Enttäuschung tung zu verschaffen. Bei der Regulierung der Finanzmärkte über die zögerliche Haltung mancher EU-Kollegen auch geht es also im Kern um die Wiederherstellung der morali- sehr deutlich gemacht. Er hat das Vorgehen der Bundes- schen Rechtfertigung unserer Wirtschaftsordnung. Die vier regierung nicht als »Alleingang«, sondern als Mittel be- in dem bereits erwähnten Steinmeier-Steinbrück-Papier for- zeichnet, um »europäische Entscheidungen zu beschleu- mulierten Finanzmarktgrundsätze decken das in dieser Hin- nigen«. Dem ist zuzustimmen. Höchst bemerkenswert ist sicht notwendige Handlungsspektrum ab. Ich will sie des- zudem die Begründung des konservativen Ministers für halb zum Abschluss hier wiederholen. das »Gesetz zur Vorbeugung gegen missbräuchliche Wertpapier- und Derivategeschäfte« in der er die Finanz- I. Die Menschen – verantwortungsvoll handelnde Banker märkte als selbstreferentiell und selbstzerstörerisch ver- Im Sinne von Walter Eucken, einer der Väter der Sozia- urteilt hat. len Marktwirtschaft, müssen Erfolgsindikatoren, Anreiz- und Vergütungssysteme, Risiko und Haftung nachhal- In der Tat hat die Verselbständigung der Finanzmärkte tig gestaltet werden. durch die Potenzierung der börslich und außerbörslich II. Die Banken – nachhaltig arbeitende Finanzdienstleister gehandelten Derivate gefährliche und inakzeptable Di- Hier geht es um die notwendige Transparenz bei der Be- mensionen erreicht. Die Wirtschaftswelt würde bestens wertung, der Aufnahme und dem Management von Ri- ohne diese intransparenten Modelle zur Profitextrahie- siken, um das Verbot schädlicher Leerverkäufe, sowie rung funktionieren, ihr Beitrag zur volkswirtschaftlichen die wirkungsvolle Regulierung von Hedgefonds und Kosten-Nutzen-Rechnung ist schlicht negativ. Fest steht: Private-Equity-Fonds. Spekulationen haben dann keinerlei marktregulierende III. Die Institutionen – starke nationale und internationale Ausgleichsfunktion, wenn sie systematisch nur in einer Finanzinstitutionen Richtung funktionieren – sie sind ein perverser Anreiz- Eine starke, weltweit verzahnte Finanzmarktaufsicht mechanismus mit zerstörerischer Kraft. Darüber kann die muss alle Märkte, alle Produkte und alle Akteure beauf- Verteidigungslinie von Spekulanten auf drohenden Staats- sichtigen. Die Rolle von Internationalem Währungsfonds bankrott nicht hinwegtäuschen, die da lautet: Ist die Wet- (IWF) und Financial Stability Board (FSB) muss gestärkt, te eines Leerverkäufers auf sinkende Kurse von Staats- ihre Politikempfehlungen transparent und überprüfbar anleihen nicht durch die Realität gedeckt, verliert er sehr gemacht werden. Geschäftstätigkeit und Risikomodel- schnell sein Geld. Nein, diese Art von Spekulation deckt le von Ratingagenturen müssen der direkten Finanz- nicht nur bestehende Missstände auf, sondern sie wirkt dienstleistungsaufsicht unterstellt, eine eigene europäi- als self fulfilling prophecy. sche Ratingagentur soll errichtet werden. Europa braucht zumindest eine verpflichtende gemeinsame Handels- Um an dieser Stelle deutlich zu sagen: Es geht nicht dar- plattform. um, Spekulation und Arbitrage auf dem Finanz- oder Wa- IV. Fairness – fairer Wettbewerb auf Augenhöhe renmarkt abzuschaffen oder zu verteufeln. Ersteres wäre gar Fairer Wettbewerb bedarf klarer, trotz Globalisierung ein- nicht möglich und Letzteres hieße, ihre positive und für ein heitlich geltender Regeln für alle. Deshalb müssen Steu- möglichst reibungsloses Marktgeschehen förderliche Indi- eroasen ausgetrocknet und Steuerbetrug bekämpft wer- kator- und Ausgleichsfunktion zu verkennen. den. Der Verbraucherschutz muss gestärkt und die Las- ten des bereits eingetretenen Schadens gerecht verteilt Nein, es geht darum zu verhindern, dass die Verwalter werden. der ungeheuren globalen Kapitalströme sich in Verkennung Diese letzte Forderung nach gerechter Beteiligung des oder Geringschätzung der produktiven Leistungskraft der Finanzsektors an den von ihm verursachten Kosten Realwirtschaft sich diese selbst zur Beute machen. Statt und Lasten hat sich im Zuge der Krise zugespitzt auf die Kuh zu melken, wird sie geschlachtet – das gilt es zu die Frage Finanztransaktionssteuer (FTS) Ja oder Nein. verhindern. Die FTS ist ein gerechtes und notwendiges Instrument, um einen Teil der mäandernden monetären Ressour- Wie nahe die Weltwirtschaft diesem Punkt ist, zeigen übri- cen in sinnvolle reale Transaktionen zu lenken. Die SPD gens zunehmende Aktivitäten von Banken und Investment- ist sich darüber bereits mit ihren europäischen Schwes- fonds auf dem Rohstoffmarkt, der in Gefahr ist, von Ange- terparteien einig. Untersuchungen gehen für Deutsch- bot und Nachfrage abgekoppelt und mit Hilfe eines hyper- land von einem Aufkommen einer Finanztransaktions- trophierten Derivatehandels zur nächsten, die US-Immobi- steuer von mindestens 12 Mrd. € aus, bei einem Steu- lienblase weit hinter sich lassenden, Blase aufgepumpt zu ersatz von 0,05%. werden. Was das für das rohstoffarme, exportorientierte Es ist deshalb erfreulich, dass sich die Bundesregie- Deutschland bedeutet, kann sich jeder ausmalen. rung nach vielen Widersprüchen und langem Zögern und 63. Jahrgang – ifo Schnelldienst 13/2010
12 Zur Diskussion gestellt Zaudern endlich entschlossen hat, beim G-20-Treffen im Juni für die Finanztransaktionssteuer einzutreten. Wir for- dern, falls eine Einigung auf dieser Ebene nicht möglich sein sollte, zunächst auf EU-Ebene eine europäische Ver- einbarung zu erreichen. Diese Aufgabe könnte übrigens ein Lackmustest sein für die Bereitschaft der Eurolän- der, die Währungsunion mit der notwendigen Steuerhar- monisierung zu unterfüttern. Sigrid Müller* Regulierung von Leerverkäufen: Verbote vs. Transparenz Weltweit bestehen erhebliche Unterschiede im Hinblick auf die Regulierung von Leerverkäufen. Das Spektrum reicht von einem völligen Verbot bis zur vollständigen Freigabe. Während die deutschen Behörden bisher bei ihren Leerver- kaufsverboten im wesentlichen den Vorgaben aus ande- ren Ländern folgten, wurde am 19. Mai 2010 von der Bun- desanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) erst- mals ein Leerverkaufsverbot ausgesprochen, welches über die bisher betroffenen Finanztitel hinausging, indem es Staatsanleihen und Credit Default Swaps (CDS) umfasste. Es folgte der Entwurf der Bundesregierung für ein »Gesetz zur Vorbeugung gegen missbräuchliche Wertpapier- und Derivategeschäfte« vom 1. Juni 2010. Er sieht das Verbot ungedeckter Leerverkäufe von deutschen Aktien und von Staatschuldtiteln der Eurozone sowie Kreditderivaten (CDS) auf Staatsschuldtitel der Eurozone vor, die keinen Absi- cherungszwecken dienen. Begründet wird das Verbot mit der Finanzkrise und der »Ausweitung der Turbulenzen auf die Märkte für Staatsanleihen von Mitgliedstaaten der EU und die Volatilität des Euro«, denen mit dem Verbot »be- stimmter potentiell krisenverstärkender Transaktionen« ent- gegen getreten werden soll (vgl. Entwurf für ein Gesetz zur Vorbeugung gegen missbräuchliche Wertpapier- und Derivategeschäfte vom 1. Juni 2010, Bundesministerium der Finanzen, S.1). Welche Rolle spielen Leerverkäufe in der augenblicklichen Finanzmarktkrise? Wirken sie destabilisierend? Welche Auswirkungen haben Verbote? Lassen sich Kursstürze ab- federn oder verhindern? Leerverkäufe gibt es, seit Aktien an Börsen gehandelt werden. Hoch spekulativ, ähneln sie Wetten auf den Aktienkurs. Im einfachsten Fall, dem ei- nes gedeckten Leerverkaufs, verkauft der Leerverkäufer eine gegen Gebühr geliehene Aktie. Bei fallenden Kursen * Prof. Dr. Sigrid Müller ist Professorin für Betriebswirtschaftslehre und Di- rektorin des Instituts für Finanzierung an der Humboldt-Universität zu Berlin. ifo Schnelldienst 13/2010 – 63. Jahrgang
Zur Diskussion gestellt 13 profitiert er, da er die Aktie für die Rückgabe billiger er- Die Liquidität, d.h. ob Anleger zu angemessenen Preisen werben kann. Hingegen verliert er bei steigenden Kursen: ohne Zeitverzug kaufen oder verkaufen können, wird durch Gewinn oder Verlust bestimmen sich als Differenz aus dem Leerverkäufe positiv beeinflusst. Die für den US-amerikani- Verkaufspreis und dem späteren Kaufpreis vermindert um schen Markt und weitere 29 Länder vorliegenden empiri- die Leihgebühren. Vom Verbot betroffen sind nicht diese schen Untersuchungen (vgl. z.B. Beber und Pagano 2010; klassischen Leerverkäufe, sondern ungedeckte Leerver- Fatak et al. 2009) stellen übereinstimmend fest, dass mit käufe. Bei einem ungedeckten oder nackten Leerverkauf Leerverkäufen eine Verringerung der Geld-Brief Spanne ver- wird auf das Leihgeschäft verzichtet. In Abhängigkeit vom bunden ist. Anleger können somit zu geringeren Transak- Aktienkurs ergeben sich Gewinne und Verluste allerdings tionskosten handeln. in gleicher Weise. Im Unterschied zu gedeckten Leerver- käufen können durch ungedeckte Leerverkäufe mehr Ver- Leerverkäufe werden in Verbindung gebracht mit miss- kaufsorders als Aktien im Umlauf sein. Fotak et al. (2009) bräuchlichen Handelspraktiken, wie zum Beispiel die Kurs- schätzen, dass im amerikanischen Markt ungedeckte Leer- manipulation durch das Streuen falscher Gerüchte. Führen verkäufe bei 91% aller an der NYSE und bei 71% aller an diese falschen Gerüchte dann zu Kursstürzen, verdienen der NASDAQ gehandelten Aktien vorkommen. Wie kann Leerverkäufer. Seit dem Kursverfall der Aktie von Bear Ste- ein so einfach strukturiertes spekulatives Geschäft Märk- arns tauchen diese Vorwürfe verstärkt auf. Sie sind auch Ge- te bedrohen? genstand von Untersuchungen der amerikanischen Behör- den. Fatak et al. (2009) untersuchen diese Vorwürfe für die von der Finanzmarktkrise besonders betroffenen Finanzin- Leerverkäufe und Marktqualität stitute Bear Stearns, Lehman Brothers und American Insu- rance Group (AIG). Die Daten zu ungedeckten Leerverkäu- Die Diskussion um Leerverkäufe kreist um folgende Fra- fen geben bis auf einen möglichen Zeitpunkt im Juni 2008 gen. Gibt es verstärkt negative Kursentwicklungen? Wird für Lehman Brothers keinen Hinweis auf missbräuchliche der zugrunde liegende Basiswert volatiler? Beeinflussen Leer- Handelspraktiken. verkäufe die Liquidität? Somit verbessern Leerverkäufe die Marktqualität, indem Der Einfluss von Leerverkäufen auf die Marktqualität wur- sie die Liquidität und die Effizienz der Preisbildung erhöhen de bisher für Aktien untersucht. In den meisten Untersu- und tendenziell reduzierend auf die Volatilität wirken. chungen wird dabei nicht zwischen gedeckten und un- gedeckten Leerverkäufen unterschieden. Leerverkäufe erfüllen für die Kapitalmärkte eine wichtige Funktion. Sie Leerverkaufsbeschränkungen in der decken wertvolle, wenngleich negative Information auf Finanzmarktkrise 2008 (vgl. Miller 1977; Boehmer und Wu 2010). Bris et al. (2007) weisen nach, dass sich in Kapitalmärkten mit Leerver- Im Verlauf der Finanzkrise wurden in vielen Ländern Leer- käufen Informationen wesentlich schneller in den Aktien- verkaufsbeschränkungen erlassen. Nach einer Zeit des Ex- kursen wiederfinden als in jenen mit Leerverkaufsbe- perimentierens mit dem Verbot von ungedeckten Leer- schränkungen. Dies trifft sowohl für individuelle Aktien als verkäufen in USA im Juli und August 2008 und erhöhten auch Aktienindizes, die den gesamten Markt repräsen- Mitteilungspflichten in Großbritannien im selben Zeitraum tieren, zu. erfolgte im September 2008 in einer abgestimmten Akti- on ein vorübergehendes Verbot aller Leerverkäufe in Fi- Durch Leerverkäufe können Marktakteure Handel auf der nanzaktien in USA und Großbritannien. Am 19. Septem- Grundlage negativer Einschätzungen betreiben. Die zu- ber zogen die deutschen Behörden nach. In Abstimmung sätzliche negative Information, die über Leerverkäufe in den mit dem Finanzministerium untersagte die Bundesanstalt Markt kommt, könnte zu einem negativen Preiseffekt in der für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) Leerverkäufe von Aktie führen. Die empirischen Erkenntnisse dazu sind nicht zehn Bank-, Finanz- und Versicherungsaktien sowie den einheitlich. Während Aitken et al. (1998) für den australi- Aktien der Deutschen Börse. Im Oktober 2008 beschloss schen Markt eine negative Wirkung auf die Aktienrendite die U.S. Securities and Exchange Commission (SEC) in nachweisen, finden Fatak et al. (2009) für den US-ameri- einer befristeten Notmaßnahme ein Bündel von Maßnah- kanischen Markt keinen kurzfristigen negativen Effekt. Auch men, die den Kursverfall von Finanztiteln stoppen sollten. Beber und Pagano (2010) können keine negative Wirkung Hierzu gehörten ein Leerverkaufsverbot der Aktien von ins- feststellen bei ihrer Untersuchung weiterer 29 Aktienmärk- gesamt 799 Unternehmen des Finanzsektors, eine Mittei- te, darunter der deutsche. Für den US-amerikanischen lungspflicht für erlaubte Leerverkäufe durch bestimmte Per- Markt gelingt es Fatak et al. (2009) zu zeigen, dass unge- sonengruppen sowie erleichterte Aktienrückkäufe für Un- deckte Leerverkäufe die Volatilität der zugrunde liegen- ternehmen. Gleichzeitig wurden die Untersuchungen hin- den Aktie reduzieren. sichtlich Kursmanipulationen in Finanztiteln intensiviert. Un- 63. Jahrgang – ifo Schnelldienst 13/2010
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