Ausgabe 1/2019 - MERS: Deutsches Primatenzentrum
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
MERS: Caspar Schwiedrzik DPZ bei der Gefahr aus der Wüste im Interview Nacht des Wissens Ausgabe 1/2019
Editorial Liebe Leserinnen und Leser, Inhalt Winterzeit gleich Virenzeit – Highlights aus der Forschung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 das gilt zumindest bei uns, wo vor allem in der dunklen Wissenschaftspolitik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Jahreshälfte virale Infekte Veranstaltungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 grassieren. Zwar steckt man Im Interview. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 sich leicht an, schon die nächste Türklinke kann zum Verhängnis werden, diese Infekte sind zum Glück aber DPZ intern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 meist harmlos. Anders sieht es aus bei Krankheiten wie Abschlüsse und Publikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 MERS oder Ebola, wo knapp 40 Prozent der Infizierten an der Krankheit sterben. Jedoch bislang weit weg von Aus der Leibniz-Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 uns. MERS kursiert vor allem auf der Arabischen Halb- Termine. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 insel und wird von Dromedaren auf den Menschen übertragen, Ebola tritt meist in Zentralafrika auf, die Ansteckung erfolgt wahrscheinlich über Flughunde und Fledermäuse. Sogenannte zoonotische Viren kur- sieren in Tieren, bei denen sie keinen großen Schaden anrichten. Werden sie jedoch auf den Menschen über- tragen, so können die Folgen fatal sein. Reist dann ein Infizierter um die Welt, so kann er viele weitere Perso- nen anstecken, insbesondere wenn das Virus mutiert und ansteckender wird. Wie die Infektionsforscher am DPZ dazu beitragen wollen, das Pandemie-Potential von MERS-Viren einzuschätzen und wieso ein Protein ein vielversprechender Ansatzpunkt für eine Ebola- Therapie sein kann, lesen Sie in dieser Ausgabe. Dass Wissenschaft nicht nur wahnsinnig interessant ist, sondern auch Spaß machen kann, haben knapp 7.000 Besucher erfahren, die die Stände des DPZ bei der Nacht des Wissens besucht haben. So konnte man im Steckspiel sein Wissen über Zoonosen testen, selbst zum Forscher werden und mit Pipette und Mikroskop arbeiten sowie in mehreren Experimenten erleben, Am 26. Januar 2019 präsentierte sich das DPZ wie Neurowissenschaftler unsere Sinne und die Infor- bei der vierten Nacht des Wissens in Göttingen. mationsverarbeitung im Gehirn und Verhaltensbiolo- Rund 7.000 Besucher informierten sich über In- gen die kognitiven Fähigkeiten von Affen erforschen. fektionsforschung, Neurowissenschaften und Impressionen von der für Besucher und Wissenschaft- Primatenbiologie. Das Nachzeichnen eines ler gleichermaßen anregenden Nacht finden Sie hier Sterns mit der Umkehrbrille war für viele Gäste im Heft. eine Herausforderung. On January 26, 2019, the German Primate Center presented itself at Außerdem stellen wir Ihnen zwei vielversprechende the fourth „Nacht des Wissens“ in Göttingen. Neuzugänge vor: Caspar Schwiedrzik, der herausfin- About 7,000 visitors came to the stations of the den will, was die Grundlage von intelligentem Verhal- DPZ and learned in a playful way about infection ten ist, und Philipp Schwedhelm, der untersuchen will, research, neurosciences and primate biology. To wie der Sehprozess im Gehirn funktioniert. trace a star while wearing reversing goggles posed a challenge for several visitors. Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre. Photo: Susanne Diederich Ihre Susanne Diederich
Highlights aus der Forschung Bei Dromedaren führt die MERS-Infektion nur zu harmlosen Erkältungssymptomen, während Menschen schwer erkranken. In dromedary camels, MERS infection only leads to harmless cold symptoms. In humans, it can lead to a serious illness. Photo: Katiekk, Shutterstock.com Gefahr aus der Wüste Mutationen machen MERS-Virus resistenter gegen die Abwehrkräfte des Immunsystems Was bei Dromedaren nur einen harmlosen Schnupfen Das MERS-Virus gehört, ebenso wie das gefürch- hervorruft, kann für den Menschen tödlich enden: eine tete SARS-Virus und mehrere meist harmlose Er- Infektion mit MERS-Viren. Zwar ist seit der Entdeckung kältungsviren, zu den Coronaviren. Einige Corona- des Virus im Jahr 2012 erst bei rund 2.000 Patienten viren infizieren verschiedene Spezies und können eine Infektion nachgewiesen worden, allerdings haben von Tieren auf den Menschen übertragen werden. 36 Prozent die schwere Lungenkrankheit MERS nicht Das MERS-Virus führt bei Dromedaren nur zu ei- überlebt. Bislang haben sich die Patienten meist bei ner milden Erkältung. Menschen, die sich mit dem Dromedaren auf der Arabischen Halbinsel angesteckt, MERS-Virus infizieren, entwickeln dagegen eine eine Übertragung von Mensch zu Mensch kam eher gefährliche Atemwegserkrankung: das Middle East selten vor. Dies könnte sich jedoch ändern, da das Virus Respiratory Syndrome, kurz MERS, das häufig zum mutiert. Ein Wissenschaftlerteam um Stefan Pöhlmann, Tod führt. Die Erkrankung tritt vor allem auf der Hannah Kleine-Weber und Markus Hoffmann vom DPZ Arabischen Halbinsel auf, wo sich Menschen bei hat Virus-Mutationen untersucht und festgestellt, dass Dromedaren anstecken, die zur Nahrungsgewin- sie das Virus resistenter gegen die Abwehrkräfte der Pa- nung und für den Rennsport gehalten werden. Das tienten machen. Die Untersuchung von Mutationen ist Potenzial des Virus, sich weltweit auszubreiten, essentiell, um die Gefahr einer weltweiten Ausbreitung wurde im Jahr 2015 deutlich. Die Einreise einer mit (Pandemie) einer neuen Virus-Variante einschätzen zu dem MERS-Virus infizierten Person nach Südkorea, können. Damit dient das MERS-Virus als Blaupause für die zuvor die Arabische Halbinsel bereist hatte, andere zoonotische Viren, die von Tieren auf den Men- führte zu 186 Folgeinfektionen, 38 infizierte Perso- schen übertragen werden können. nen verstarben. DPZ aktuell, Februar 2019 3
Highlights aus der Forschung Virus-Mutationen auf die Übertragbarkeit des Virus hat, also ob ein er- höhtes pandemisches Potential vorliegt“, sagt Markus Beim MERS-Ausbruch in Südkorea wurde eine zuvor Hoffmann. Es geht beim MERS-Virus ebenso wie bei unbekannte Virus-Mutation entdeckt, die dazu führt, anderen Viren mit Pandemie-Potential um eine Risiko- dass das Virus schlechter in Wirtszellen eindringen abschätzung. „Unsere Studie wurde in dem vom BMBF kann. Dieser Prozess ist jedoch für die Vermehrung geförderten Forschungsverbund RAPID durchgeführt, des Virus im Körper notwendig, die Mutation also ver- bei dem es darum geht, das Gefährdungspotential von meintlich negativ für das Virus. Eine Mutation hätte neuen MERS-Virus-Varianten abzuschätzen und Emp- sich aber nicht durchsetzen können, wenn sie nicht fehlungen abzugeben in Bezug auf Diagnostik, Impf- auch positive Effekte für das Virus beinhalten würde. stoffe und Verhaltensweisen“, sagt Stefan Pöhlmann, Stefan Pöhlmann, Hannah Kleine-Weber und Markus Leiter der Abteilung Infektionsbiologie am DPZ. Hoffmann haben sich auf die Suche nach diesem Ef- fekt gemacht. Sie haben herausgefunden, dass die Mutation das MERS-Virus resistenter gegen Antikör- Danger in the Desert per macht, welche vom Körper infolge der MERS-In- fektion gebildet werden. „In Südkorea ist eine mutier- Mutations of the MERS virus contribute to its resistance te MERS-Variante aufgetreten, die einen verstärken against the defenses of the immune system Schutz gegen die Antikörperantwort aufweist. Dieser Befund zeigt, dass der geplante Einsatz von Antikör- What causes only a harmless cold in camels can be fa- pern zur MERS-Therapie zur Entstehung von resisten- tal for humans: an infection with the MERS virus. Since ten Viren führen könnte“, sagt Hannah Kleine-Weber, its discovery in 2012, the virus was detected in approxi- die Hauptautorin der Studie. mately 2,000 patients and 36 percent of them have not survived the severe lung disease known as MERS. Until Pandemie-Potential now, humans are mainly infected through contact with camels in the Arabian Peninsula and human-to-human MERS-Viren mutieren und eine der nächsten Verände- transmissions are rare. However, this could change due rungen könnte dazu führen, dass die Viren leichter von to the virus acquiring mutations. A team of scientists Mensch zu Mensch übertragen werden. Ein infizierter headed by Stefan Pöhlmann, Hannah Kleine-Weber Reisender könnte dann eine Infektionskette auslösen, and Markus Hoffmann from the German Primate Cen- die zu einer Pandemie führt. „Wir müssen Systeme ter investigated virus mutations and found that certain entwickeln, mit deren Hilfe wir vorhersagen können, mutations made the virus more resistant against the ob eine neu auftretende Mutation eine Auswirkung human immune system. The analysis of mutations is essential for predicting the risk of a pandemic. Moreover, the MERS virus may serve as a blue- print for other zoonotic viruses that can be transmitted from animals to humans. Just like the dreaded SARS vi- rus, the MERS virus and several usually harmless common cold viruses belong to the coronavi- ruses. Some coronaviruses can be transmitted from animals to humans. The MERS virus infec- tion in dromedary camels causes only a mild cold. In contrast, Dr. Markus Hoffmann, Hannah Kleine-Weber und Prof. Stefan Pöhlmann, Abteilung human infection can lead to a Infektionsbiologie (von links nach rechts). Dr. Markus Hoffmann, Hannah-Kleine-Weber severe respiratory disease, Mid- and Prof. Stefan Pöhlmann, Infection Biology Unit (from left to right). Photo: Karin Tilch dle East Respiratory Syndrome 4 DPZ aktuell, Februar 2019
Highlights aus der Forschung Sollte die Übertragung von Mensch zu Mensch durch Mutationen des Virus effizienter werden, droht eine MERS-Pandemie. A more efficient human-to-human transmission due to mutations of the MERS virus could cause an imminent pandemic. Illustration: Markus Hoffmann (MERS), which is often fatal. The disease is most preva- Pandemic potential lent in the Arabian Peninsula where people are infected by dromedary camels that are kept for food and racing. The MERS virus is mutating and one of the next The virus’s potential to spread worldwide became ap- changes could make it easier for the virus to spread parent in 2015 when an infected person who had previ- from person to person. An infected traveler could ously visited the Arabian Peninsula travelled to South trigger a chain of infections that could potentially Korea and transmitted the virus to others, resulting in lead to a pandemic. “We must develop systems that 186 infections and 38 fatal MERS cases. help us to predict whether a new mutation will have an impact on the transmissibility of the virus, i.e. Virus mutations whether there is an increased pandemic potential,” says Markus Hoffmann. As with any other viruses The MERS outbreak in South Korea was associated with with a pandemic potential, it is important to as- the emergence of a previously unknown viral muta- sess the risk of the MERS virus. “Our study was con- tion that reduces the ability of the virus to enter host ducted in the BMBF funded research network RAPID cells. As this process is necessary for the multiplication that aims to predict the potential risk of new MERS of the virus in the body, the mutation is supposedly not virus variants and to make recommendations regard- beneficial for the virus. However, a mutation would ing diagnostics, vaccines and behaviors,” says Stefan not have prevailed if it would not be associated with Pöhlmann, head of the Infection Biology Unit at the an advantage for the virus. Stefan Pöhlmann, Hannah German Primate Center. Kleine-Weber and Markus Hoffmann searched for this effect. They found that the mutation makes the MERS Original publication virus more resistant to antibodies produced by the body as a result of the infection. “In South Korea, a mutant of Kleine-Weber H, Elzayat MT, Wang L, Graham BS, Müller the MERS virus arose that showed increased resistance MA, Drosten C, Pöhlmann S, Hoffmann M (2019): Mu- against the antibody response. This finding shows that tations in the spike protein of Middle East respiratory the planned use of antibodies for MERS therapy could syndrome coronavirus transmitted in Korea increase lead to the development of resistant viruses,” says Han- resistance to antibody-mediated neutralization. J Virol nah Kleine-Weber, the lead author of the study. 93:e01381-18. DPZ aktuell, Februar 2019 5
Highlights aus der Forschung Eine Gruppe von Guineapavianen (Papio papio) an der DPZ-Feldstation Simenti im Senegal. A group of Guinea baboons (Papio papio) at the DPZ field station Simenti in Senegal. Photo: Matthias Klapproth Wie neue Arten entstehen Internationales Forscherteam rekonstruiert die Evolutionsgeschichte von Pavianen Das Leben auf der Erde ist komplex und vielfältig. die neue Spezies hervorbringen. Da sich die Paviane Im Laufe der Evolution sind immer neue Arten ent- etwa zur gleichen Zeit und im gleichen Lebensraum standen, die an eine sich stetig verändernde Umwelt wie der Mensch entwickelt haben, ermöglichen die angepasst sind. Mit modernen genetischen Analysen Ergebnisse der Studie auch Rückschlüsse auf die Ent- können Forscher heute die Erbinformation von Or- wicklungsgeschichte früher Menschenarten. ganismen vollständig entschlüsseln, um deren Ent- wicklungsgeschichten und Anpassungen besser zu Paviane gehören zur Gruppe der Altweltaffen. Es gibt verstehen. Ein internationales Forscherteam, dem sechs verschiedene Arten, die in Afrika südlich der auch Wissenschaftler des DPZ angehören, hat unter Sahara weit verbreitet sind. Sie sind hinsichtlich ih- der Leitung des Human Genome Sequencing Center res Aussehens, Verhaltens und ihrer Lebensweise gut am Baylor College of Medicine, USA, den Stamm- untersucht. Bislang war jedoch wenig über ihre ge- baum der sechs in Afrika lebenden Pavianarten re- netische Anpassung und ihre Evolutionsgeschichte konstruiert. Die Erbinformationen der Paviane lie- bekannt. ferten deutliche Hinweise darauf, dass es zwischen den Arten zum Austausch von Genen kam, die Arten Um diese Fragen im Detail zu untersuchen, entschlüs- sich also gekreuzt haben. Die Arbeit wirft ein neues selten die Forscher die vollständige Erbinformation (das Licht auf die grundlegenden biologischen Prozesse, Genom) der sechs Arten. Durch Vergleiche der Geno- 6 DPZ aktuell, Februar 2019
Highlights aus der Forschung me und durch die Anwendung verschiedener Stamm- ren haben bereits gezeigt, dass der moderne Mensch baummodelle fanden die Wissenschaftler heraus, dass mit anderen Arten wie Neandertaler oder Denisova- es neben der Artbildung durch Aufspaltung von Linien, Mensch hybridisierte“, fasst Dietmar Zinner, Wissen- auch Artbildung durch Hybridisierung und damit ein- schaftler in der Abteilung Kognitive Ethologie am DPZ hergehenden Genaustausch gegeben hat. und ebenfalls einer der Autoren, zusammen. „Im Ge- gensatz zum Menschen, deren Schwesterarten aus- „Die Kindapaviane, eine im südlichen Afrika behei- gestorben sind, ist die Kreuzung und der genetische matete Pavianart, sind sehr wahrscheinlich durch Austausch unter den Pavianarten auch heute noch Verschmelzung von zwei ursprünglichen Pavianlini- direkt zu beobachten. Studien zur Hybridisierung bei en entstanden“, erklärt Christian Roos, Wissenschaft- Pavianen ermöglichen uns ein besseres Verständnis ler in der Abteilung Primatengenetik und einer der der Evolution unserer eigenen Art.“ Autoren der Studie. „Darüber hinaus konnten wir auch genetische Merkmale identifizieren, die keiner Paviane stellen aber nicht nur ein Modell für Hybridi- der heute lebenden Pavianarten mehr zugeordnet sierungsstudien dar. Sie dienen Forschern darüber hi- werden können und auf Genfluss von einer ausge- naus auch als ausgezeichnetes Vergleichsmodell, um storbenen Pavianlinie, einer sogenannten ‚ghost Einflüsse von historischen Klima- und Umweltverän- line‘, hinweisen.“ derungen auf die Evolution von Savannenprimaten, einschließlich des Menschen, zu untersuchen. Hybridisierung zwischen verschiedenen Pavianarten ist auch heute noch in Gebieten zu beobachten, wo die Verbreitungsgebiete von Arten aneinandergrenzen. How new species emerge Da sich die Paviane genau wie der Mensch vor rund zwei Millionen Jahren in den gleichen Lebensräumen International research team reconstructs the evolution- südlich der Sahara entwickelten, sind sie ein ausge- ary history of baboons zeichnetes Modell, um die evolutionäre Entwicklung der Gattung Homo nachzuvollziehen, von der der mo- Life on earth is complex and diverse. In the course of derne Mensch als einzige Art überlebt hat. evolution, more and more new species have emerged that are adapted to constantly changing environ- „Unsere Kollegen vom Max-Planck-Institut für evolu- ments. Using modern genetic analyses, researchers tionäre Anthropologie in Leipzig und in anderen Labo- can now fully decipher the genetic information of or- ganisms in order to better understand their evolutionary histories and adap- tations. Under the leadership of the Human Genome Sequencing Center at Baylor College of Medicine, USA, an in- ternational team of researchers, includ- ing scientists from the German Primate Center (DPZ) has reconstructed the phy- logenetic tree of the six African baboon species. The genetic information of baboons provided clear indications that genes were exchanged between the species, i.e. that the species hybrid- ized. The work sheds new light on the fundamental biological processes that produce new species. Since the baboons evolved at about the same time and in the same habitats as humans, the results of the study also allow conclu- Verbreitung der sechs Pavianarten in Afrika. Distribution of the six species of ba- sions about the evolutionary history of boons in Africa. Graphic: Luzie Almenräder, baboon drawings: Stephen Nash early human species. DPZ aktuell, Februar 2019 7
Highlights aus der Forschung Dr. Dietmar Zinner ist Wis- PD Dr. Christian Roos ist Wis- senschaftler in der Abteilung senschaftler in der Abteilung Kognitive Ethologie am DPZ. Primatengenetik am DPZ. Dr. Dietmar Zinner is a sci- PD Dr. Christian Roos is a entist in the Cognitive Etho- scientist in the Primate Gene- logy Laboratory at the Ger- tics Laboratory at the German man Primate Center. Primate Center. Photo: Karin Tilch Photo: Karin Tilch Baboons are Old World monkeys and the six species Roos, a scientist in the Primate Genetics Laboratory at are widespread in sub-Saharan Africa. They are well the German Primate Center and one of the authors of studied for their morphology, behavior and ecology. the study. “We were also able to identify genetic traits So far, however, little has been known about their ge- that could not be assigned to any of the baboon species netic adaptations and evolutionary history. living today, indicating that gene flow from an extinct baboon lineage, a so-called ghost line occurred.” To investigate these questions in detail, the researchers sequenced the complete genomes of the six species. By Hybridization between baboon species can still be ob- comparing the genomes and applying different phy- served today in areas where species’ ranges meet. Since logenetic tree models, the scientists detected that, in baboons evolved in the same sub-Saharan habitats as addition to speciation by lineage splitting, speciation humans about two million years ago, they provide an by hybridization and associated gene exchange also excellent analogous model for the evolutionary history occurred. of the genus Homo, of which modern humans are the only species which has survived. “The Kinda baboon, a species of baboon endemic to southern Africa, is most likely a product of the fusion “Our colleagues at the Max Planck Institute for Evo- of two ancestral baboon lineages,” explains Christian lutionary Anthropology in Leipzig and in other labo- ratories have already shown that modern humans hybridized with other species such as Neanderthals or Denisovans,” summarizes Dietmar Zinner, scientist in the Cognitive Ethology Laboratory at the DPZ and also one of the authors. “In contrast to humans, whose sister species are now extinct, hybridization and ge- netic exchange among baboon species can still be studied today. This gives us a better understanding of the evolution of our own species”. Baboons are not only a model for hybridization studies. They also serve as an excellent comparative model for studies of the impact of historical climate and environ- mental changes on the evolution of savannah primates, including humans. Original publication Weiblicher (links) und männlicher (rechts) Mantelpavian (Papio hamadryas) in der Küstenwüste Eritreas. Hamadryas baboons Rogers J. et al. (2019): The comparative genomics and (Papio hamadryas), male (right) and female (left), in the coastal complex population history of Papio baboons. Sci Adv desert of Eritrea. Photo: Dietmar Zinner 5: eaau6947. 8 DPZ aktuell, Februar 2019
Highlights aus der Forschung Weiblicher Zwergschimpanse (Pan paniscus) mit Jungtier in freier Wildbahn. Foto: Gudkov Andrey, Shutterstock.com Molekulare Detektivarbeit Wissenschaftler der Abteilung Infektionsbiologie weisen Papillomvirus- Infektion bei einem Zwergschimpansen nach Papillomviren sind kleine, membranlose Viren, die über Affen, Vögel und Reptilien. Im Jahr 1987 kam es im direkten Hautkontakt und Geschlechtsverkehr übertra- Antwerpener Zoo innerhalb einer Zwergschimpan- gen werden. Eine Infektion kann zur Bildung von Warzen senkolonie (Pan paniscus) zu einem Ausbruch einer bis hin zur Entstehung von Krebs führen. Man unterteilt fokalen epithelialen Hyperplasie, kurz FEH. Bei die- die Papillomviren des Menschen (humane Papillomvi- ser Erkrankung bilden sich warzenartige Papeln an ren, HPVs) daher auch in Niedrigrisiko- und Hochrisiko- der Lippen- und Mundschleimhaut. FEH war zuvor Viren. Eine Infektion mit Niedrigrisiko-Viren (zum Bei- bereits bei Eskimos und Indianern in Mittelamerika spiel HPV6 und HPV11) führt in der Regel zu gutartigen beobachtet wurden und es war bekannt, dass HPV13 Hautveränderungen, während Hochrisiko-Viren (zum für die Erkrankung verantwortlich ist. Bei dem Ant- Beispiel HPV16 und HPV18) bösartige Geschwüre, wie werpener FEH-Ausbruch wurde ein dem HPV13- beispielsweise Gebärmutterhalskrebs, auslösen kön- verwandtes Virus mit 85 Prozent Genomähnlichkeit nen. Der deutsche Forscher Harald zur Hausen hat eine entdeckt, welches aufgrund seines Vorkommens in Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs entwickelt und Zwergschimpansen als Pan paniscus-Papillomvirus 1 wurde dafür 2008 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. (PpPV1) bezeichnet wurde. Neben den vielen Papillomviren des Menschen exis- Im Winter 2017 erhielt das diagnostische Labor der tieren auch solche, die Tiere infizieren, darunter Abteilung Infektionsbiologie am DPZ vom Zoo Leipzig DPZ aktuell, Februar 2019 9
Highlights aus der Forschung Biopsiematerial aus der Mundhöhle eines männli- chen Zwergschimpansen zur Abklärung einer viralen Infektion. Das Tier hatte Probleme bei der Nahrungs- aufnahme und der Tierarzt des Zoos hatte geschwür- artige Veränderungen an der Mundschleimhaut fest- gestellt. „Nach Rücksprache mit dem Kollegen am Zoo Leipzig und Sichtung von Bildmaterial hatten wir den Anfangsverdacht, dass es sich hier um eine Papillomvirus-Infektion handelt“, sagt Artur Kaul, Leiter des diagnostischen Labors der Abteilung Infek- tionsbiologie. Die Infektionsforscher begannen mit der Suche nach dem Erreger und die molekularbio- logische Detektivarbeit führte rasch zu einem Ergeb- nis. „Mittels einer Polymerasekettenreaktion (PCR), die für den spezifischen Nachweis der genetischen Information von Papillomviren konzipiert wurde, Dr. Artur Kaul, Leiter des diagnostischen Labors der Abteilung konnten wir einen Papillomvirus im Biopsiematerial Infektionsbiologie. Foto: Karin Tilch nachweisen“, bestätigt der Infektionsbiologe Markus Hoffmann. Jahre nach der initialen Infektion noch nachgewiesen werden konnte und FEH diagnostiziert wurde, lässt Zwar war der Erreger damit identifiziert, doch die In- darauf schließen, dass sich in einigen Tieren die Krank- fektionsbiologen waren noch lange nicht fertig. „Ob- heit auch nach langen Zeiträumen nicht zurückbildet“, wohl unsere Arbeit als Diagnostiker erledigt war, war sagt Stefan Pöhlmann, Leiter der Abteilung Infektions- unser Interesse als Wissenschaftler nun geweckt und biologie am DPZ und führt weiter aus: „Die gefunde- wir wollten genau wissen, mit welchem Papillomvirus nen Sequenzunterschiede der PpPV1-Genome von wir es hier zu tun hatten“, ergänzt Markus Hoffmann. 1987 und 2017 können zudem ein Zeichen dafür sein, Mit molekularbiologischen Methoden analysierten dass das betroffene Tier mindestens zwei Infektionen die Wissenschaftler das komplette Virusgenom. Sie mit unterschiedlichen Varianten von PpPV1 durchge- fanden heraus, dass die Erbinformation des diagnos- macht hat. Alternativ dazu ist es möglich, dass der tizierten Virus zu einem hohen Grad mit dem Genom initiale Erreger innerhalb der letzten 30 Jahre seine des PpPV1 aus dem Antwerpener FEH-Ausbruch über- genetische Information mit einer für Papillomviren einstimmte. Nach Rücksprache mit den Verantwortli- untypisch hohen Rate verändert hat.“ chen vom Zoo Leipzig stellte sich zudem heraus, dass das betroffene Tier aus dem Bestand des Antwerpener Markus Hoffmann, Artur Kaul, Stefan Pöhlmann Zoos stammte und Teil der Gruppe war, bei der es in den späten 1980ern Originalpublikation zum FEH-Ausbruch kam. Hoffmann M, Schütze E, Bernhard A, Schlaphoff L, Kaul A, Schöniger S, Pöhlmann S (2019): Disease Ma- Vor diesem Hinter- nifestation and Viral Sequences in a Bonobo More grund war es überra- Than 30 Years after Papillomavirus Infection. Patho- schend, dass die Ge- gens 8(1): 13. nome der zwei Viren an insgesamt 23 Posi- tionen Unterschiede aufwiesen, da sich das Genom von Papillom- Für fokale epitheliale Hyperpla- sie typische Wucherungen in der viren typischerweise Mundschleimhaut. kaum verändert. „Die Foto: Andreas Bernhard, Zoo Tatsache, dass PpPV1 Leipzig. in diesem Tier über 30 10 DPZ aktuell, Februar 2019
Highlights aus der Forschung Nahaufnahme eines Nilflughundes (Rousettus aegyptiacus). Foto: Seregraff/Shutterstock.com Fang mich doch! Wie das Protein Tetherin zur Bekämpfung von hochpathogenen Viren beitragen kann Das Ebola-Virus löst eine schwere und oftmals tödlich weise werden diese Tiere nicht krank und Forscher ver- verlaufende Krankheit aus. Ausbrüche wurden über muten, dass die angeborene Immunantwort der Tiere Jahrzehnte ausschließlich in abgelegenen Regionen besonders potent ist und daher hochpathogene Viren in Zentralafrika beobachtet. Dieses Bild änderte sich kontrollieren kann. Dazu gehört neben dem Ebola- schlagartig, als es zwischen 2013 und 2016 zu einer Virus und dem eng verwandten Marburg-Virus auch Ebola-Epidemie in Westafrika kam. Dabei waren zum das Nipah-Virus, das eine Entzündung des Gehirns ersten Mal dicht besiedelte Städte betroffen und es auslöst und in Südostasien verkommt. wurden fast 30.000 Infektionen und über 11.000 Todesfälle gezählt. Aufgrund der Schwere der Erkran- Das Interferon (IFN)-System ist eine wichtige Kompo- kung, der hohen Übertragbarkeit sowie dem Fehlen nente der angeborenen Immunantwort. Sensoren des von Impfstoffen und Medikamenten stellt das Ebola- IFN-Systems erkennen eindringende Erreger und ver- Virus ein hohes Gefährdungspotential für die Bevöl- anlassen die Bildung von Proteinen, die die Ausbrei- kerung vieler afrikanischer Länder dar. Neben dem tung der Erreger bekämpfen. Eines dieser Proteine ist Menschen sind auch nicht-menschliche Primaten von Tetherin. „Aufgrund seiner einzigartigen Struktur kann Ebola betroffen. So haben Ausbrüche der Krankheit in Tetherin sich sowohl in der Wirtszellmembran als auch der Vergangenheit viele Schimpansen- und Gorillabe- in der Virushülle verankern und somit Viren an der Zell- stände dramatisch reduziert. oberfläche festhalten“, erklärt Markus Hoffmann, Wis- senschaftler in der Abteilung Infektionsbiologie am Es wird angenommen, dass das Ebola-Virus von afri- DPZ. Die Wissenschaftler um Markus Hoffmann haben kanischen Flughunden und Fledermäusen (Fledertie- daher untersucht, ob Tetherin zur Kontrolle der Ebola- re) auf den Menschen übertragen wird. Erstaunlicher- Virus-Infektion in Fledertieren beitragen kann. DPZ aktuell, Februar 2019 11
Highlights aus der Forschung Ihre Arbeit, die im Journal of Virology erschien, zeigt, dass Antikörper gegen das Ebola-Virus ihre Wirkung dass Tetherin von Fledertieren eine starke antivirale verlieren und gleichzeitig Makrophagen, wichtige Aktivität aufweist und im Vergleich zum Tetherin des Immunzellen, in ihrer Arbeit gestört werden. Die Frei- Menschen nicht wirksam durch das Glykoprotein des setzung dieser Partikel wird jedoch durch Tetherin blo- Ebola-Virus gehemmt werden kann. Trägt Tetherin also ckiert, so dass Tetherin indirekt zur Bekämpfung der zur Kontrolle der Virus-Ausbreitung in Zellen von Fleder- Ebola-Virus-Infektion beiträgt. „Die zusammen mit tieren bei? Versuche in einem Hochsicherheitslabor, die den Tübinger Kollegen durchgeführten Arbeiten zei- von Kollegen an der Universität Marburg durchgeführt gen, dass Tetherin sowohl die Freisetzung von Viren als wurden, zeigten, dass Tetherin nur einen moderaten auch von Täuschkörpern blockieren und daher die Vi- Beitrag zur Kontrolle der Ebola-Virus-Ausbreitung durch rus-Infektion auf mehreren Wegen bekämpfen kann. das IFN-System leistet. Im Gegensatz dazu war Tetherin Tetherin von Fledertieren war dabei besonders gut in für die Kontrolle der Nipah-Virus-Ausbreitung durch IFN der Lage, die Freisetzung der Täuschkörper zu verhin- essentiell. „Unsere Forschungen liefern Hinweise da- dern und könnte auf diese Weise dazu beitragen, dass rauf, dass Tetherin zur Kontrolle von hochpathogenen Fledertiere nicht erkranken“, sagt Stefan Pöhlmann. Viren in Fledertieren, dem vermutlichen natürlichem Reservoir, wesentlich beitragen kann, indem es die Frei- Markus Hoffmann, Stefan Pöhlmann setzung von Viren aus infizierten Zellen hemmt. Seine Wirkung ist jedoch Virus-spezifisch“, erklärt Stefan Pöh- Originalpublikationen lmann, Leiter der Abteilung Infektionsbiologie. Hoffmann M, Nehlmeier I, Brinkmann C, Krähling V, Zusammen mit dem Labor von Michael Schindler, Behner L, Moldenhauer AS, Krüger N, Nehls J, Schindler Universitätsklinikum Tübingen, haben die Infektions- M, Hoenen T, Maisner A, Becker S, Pöhlmann S (2019): biologen außerdem untersucht, ob Tetherin die Ebola- Tetherin Inhibits Nipah Virus but Not Ebola Virus Repli- Virus-Infektion auf andere Weise beeinflussen kann, cation in Fruit Bat Cells. J Virol 93(3): e01821-18. ohne direkt mit der Freisetzung neuer Viren zu inter- ferieren. Die gemeinsamen Arbeiten, die im Journal Nehls N, Businger R, Hoffmann M, Brinkmann C, Feh- Cell Reports publiziert wurden, demonstrieren, dass renbacher B, Schaller M, Maurer B, Schönfeld C, Kra- dies der Fall ist: Die Forscher fanden heraus, dass das mer D, Hailfinger S, Pöhlmann S, Schindler M (in press): Ebola-Virus-Glykoprotein in nicht-infektiöse Virus-Par- Release of Immunomodulatory Ebola Virus Glycopro- tikel eingebaut wird, die als virusähnliche Täuschkör- tein-Containing Microvesicles Is Suppressed by Tethe- per für das Immunsystem fungieren und dazu führen, rin in a Species-Specific Manner. Cell Reports Nipah-Virus Ebola-Virus Tetherin (orange) hemmt effizient die Freisetzung des Nipah-Virus, aber nicht des Ebola-Virus aus infizierten Zellen. Abbildung: Markus Hoffmann 12 DPZ aktuell, Februar 2019
Wissenschaftspolitik Prof. Rainer Nobiling, Universität Heidelberg, (links) und Prof. Stefan Treue, DPZ, bei der Pressekonferenz zur Veröffentlichung der Ver- suchstierzahlen 2017 am 21. Dezember 2018 in Berlin. Foto: Martin Schleinhege Forschung mit Tieren wird effizienter DPZ-Direktor Stefan Treue erläuterte aktuelle Versuchstierzahlen Die Initiative „Tierversuche verstehen“ hatte am 21. teil an Versuchstieren.“ So stiegen etwa allein die Aus- Dezember 2018 zu einer Pressekonferenz im Berliner gaben des Bundes für die Gesundheitsforschung seit Wissenschaftsforum eingeladen, um über die vom dem Jahr 2010 jedes Jahr um durchschnittlich rund Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft sechs Prozent, zuletzt auf 2,42 Milliarden Euro im Jahr (BMEL) veröffentlichten Versuchstierzahlen 2017 zu 2017, so Treue. Stabile Zahlen von Versuchstieren sei- diskutieren. Ihre Einschätzung zu den Zahlen gaben en auch international zu beobachten. Die Trends sei- Stefan Treue, Direktor des DPZ und Sprecher der Initia- en in der ganzen EU ähnlich, machte Rainer Nobiling, tive, und Rainer Nobiling, Physiologe und langjähriger Universität Heidelberg, deutlich. Tierschutzbeauftragter der Universität Heidelberg. Zu wenig Bemühen um Transparenz Als „positive Entwicklung“ wertete Treue die aktuel- len Versuchstierzahlen. Sie waren 2017 leicht um 1,7 Zugleich bedauerte Treue den Zeitpunkt der Veröffent- Prozent auf 2.807.297 Tiere zurückgegangen, im Jahr lichung der Versuchstierzahlen kurz vor Weihnachten. 2016 waren es noch 2.854.586 Tiere. Treue hob bei „Viele Zahlen sind schwer verständlich, wenn sie nicht der Pressekonferenz hervor, dass die Zahlen der Ver- erläutert werden. Daraus entstehen viele Missverständ- suchstiere seit Jahren stagnieren, obwohl der Umfang nisse, wie man an der Berichterstattung in der Presse der biomedizinischen Forschung in Deutschland kon- sehen konnte“, sagte Treue. Die bisher letzte Pressekon- tinuierlich ansteigt. „Die biomedizinische Forschung ferenz seitens des zuständigen Ministeriums im Jahr geht immer sparsamer mit Versuchstieren um“, sagte 2003 liege nun 15 Jahre zurück. Bis auf die Pressekonfe- Stefan Treue. „Sie leistet ihren Beitrag zu einem stetig renz der Initiative „Tierversuche verstehen“, habe es ak- wachsenden Forschungsfeld mit einem sinkenden An- tuell kein Bemühen gegeben, für mehr Transparenz zu DPZ aktuell, Februar 2019 13
Wissenschaftspolitik Zahl der Versuchstiere 2017 leicht gesunken In Deutschland wurden im Jahr Mäuse, Ratten und Fische sind Belastungen verbunden (2016: 63 2017 geringfügig weniger Ver- mit einem Anteil von insgesamt Prozent), während etwa 27 Prozent suchstiere eingesetzt als im Jahr 90 Prozent weiterhin die mit Ab- der Tierversuche mit mittlerer oder zuvor. Ihre Zahl sank um 1,7 Pro- stand am häufigsten eingesetzten schwerer Belastung (sechs Prozent) zent auf 2.807.297 Tiere. Im Jahr Versuchstiere. Mit einer Gesamt- einhergingen. Rund neun Prozent 2016 waren noch 2.854.586 Tiere zahl von 3.513 Tieren ist die Ver- der Tiere wurden unter Vollnarkose in Versuchen eingesetzt worden. wendung von Affen 2017 im Ver- getötet, zum Beispiel zur Organ- In den veröffentlichten Zahlen ein- gleich zum Vorjahr (2.462) zwar und Gewebeentnahme, auch für geschlossen sind 2.068.813 Tiere, gestiegen, aber diese Schwankung Zellkulturen, also die Entwicklung die in Tierversuchen verwendet liegt in der Bandbreite der Abwei- und Nutzung von Alternativme- wurden, und 738.484 Tiere, die chungen in der Vergangenheit. Sie thoden. ohne Versuchseingriffe für wis- kommt zustande durch den Ein- senschaftliche Zwecke getötet satz von Primaten für gesetzlich Für das Jahr 2017 sollen noch zu- wurden, zum Beispiel zur Entnah- vorgeschriebene Sicherheitsprü- sätzlich die Zahlen für Tiere ver- me von Organen. Der Anteil der fungen von potentiellen Medika- öffentlicht werden, die gezüchtet Versuchstiere, die der Grundlagen- menten und anderen Substan- und in Forschungseinrichtungen forschung zugerechnet werden, zen. Primaten machten 2017 nur gehalten, aber nicht in Tierversu- betrug gut eine Million Tiere (37 0,13 Prozent aller Tierversuche chen eingesetzt wurden. Diese An- Prozent). Ein Fünftel (20 Prozent) aus. Weiter rückläufig ist Zahl von gaben werden ab 2018 dann alle der Tiere wurde für gesetzlich vor- Hunden und Katzen mit 0,1 Pro- fünf Jahre veröffentlicht. Institute geschriebene Sicherheitstests von zent. und Einrichtungen, die Tierversu- Chemikalien oder neuen Medika- che durchführen, haben die Zahlen menten eingesetzt, zum Beispiel Auf dem Niveau der Vorjahre blie- für Zucht und Haltung nach dem gegen Volkskrankheiten wie Dia- ben auch die Belastungen der Ver- deutschen Tierschutzgesetz bereits betes, Krebs, Demenz, Herz-Kreis- suchstiere, die durch die Tests her- in der Vergangenheit erhoben. Sie lauf-Erkrankungen, Infektionen vorgerufen wurden. 2017 waren 59 wurden bisher allerdings nicht amt- und Immunerkrankungen. Prozent der Versuche mit geringen lich erfasst. Anzahl der in der Forschung verwendeten Versuchstiere von 2001 bis 2017. Grafik: Tierversuche verstehen. 14 DPZ aktuell, Februar 2019
Wissenschaftspolitik Prozentualer Anteil der in der Forschung verwendeten Tierarten im Jahr 2017. Quelle: Versuchstierzahlen 2017 – Statistik des Bundes- amtes für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), Grafik: Tierversuche verstehen sorgen, hob Treue hervor. Aber nur mit Erläuterungen der Wissenschaft meistens themenzentriert an For- ließen sich die Zahlen interpretieren. Nur so werde der schungsfragen und nicht methodenzentriert geforscht langjährige kontinuierliche Rückgang der Versuchstier- werde. Die Entwicklung neuer Methoden geschehe zahlen bei Katzen und Hunden sichtbar und verständ- häufig während des Bearbeitens von Forschungsfra- lich. Auch der Anstieg des Anteils genetisch veränderter gen und baue auf Erkenntnissen der Grundlagenfor- Tiere müsse erläutert werden, ebenso wie die jährli- schung auf. Dies zeige etwa das Beispiel der induzier- chen Schwankungen bei den insgesamt sehr niedrigen ten pluripotenten Stammzellen (iPSC), die heute für Zahlen der Primaten in der Forschung. verschiedene Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Einsatz kommen. Wie lassen sich die Zahlen reduzieren? Beide Forscher waren sich einig, dass Maßnahmen, die Auf die Frage, ob mehr finanzielle Mittel für die Ent- eine reine Senkung der Gesamtzahl der verwendeten wicklung von Alternativmethoden die Zahl der Ver- Tiere als oberste Maxime hätten, weder der Forschung suchstiere verringern könnte, sagte der Forscher, dass noch dem Tierschutz zu Gute kämen, da die Forschung neue wissenschaftliche Methoden üblicherweise im dann in andere Länder verlagert werden müsste. Dem Rahmen von Grundlagenforschung erarbeitet werden, Tierschutz sei am besten gedient, wenn das 3R-Prinzip ohne dass es für die Methodenentwicklung eine expli- konsequent umgesetzt wird. „Die Zahlen zeigen, dass zite Förderung gebe. Zum Beispiel würden inzwischen das 3R-Prinzip spürbar greift“, betonte Treue. „Es wird bildgebende Verfahren als Alternativ- und Ergänzungs- in der Wissenschaft täglich gelebt. Das schlägt sich methoden zum Tierversuch vielfältig eingesetzt, ohne auch in den stabilen Versuchstierzahlen bei wachsen- dass es für deren Entwicklung in nennenswertem Um- dem Forschungsumfang nieder.“ fang spezielle Förderprogramme gegeben hätte, be- richtete Treue. Da dies für die Methodenentwicklung insgesamt gälte, verkenne eine pauschale Kritik an zu geringer Förderung für Alternativmethoden zu Tierver- suchen diese Zusammenhänge, sagte Treue. Bundes- weit bestehen verschiedene Förderungsmöglichkeiten zur Entwicklung von Alternativmethoden. Das BMEL hat nach eigenen Angaben innerhalb der letzten 30 Jahre über 500 Forschungsprojekte mit rund 170 Mil- lionen Euro finanziert und schreibt seit 2001 jährlich einen Tierschutzforschungspreis aus. Auch die meisten Bundesländer bieten eine Förderung für Alternativ- methoden und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) vergibt den Ursula M. Händel-Tierschutzpreis, Vergleich der Versuchstierzahlen und der Ausgaben des Bundes um die Entwicklung von alternativen Verfahren zu för- für Gesundheitsforschung von 2009 bis 2017. dern. Der Physiologe Rainer Nobiling ergänzte, dass in Grafik.: Tierversuche verstehen DPZ aktuell, Februar 2019 15
Veranstaltungen Großen Andrang gab es bei der Nacht des Wissens 2019 an den Stationen des DPZ. Hier probieren Besucher gerade den elektro- magnetischen Datenhandschuh aus. Foto: Karin Tilch DPZ erfolgreich bei der vierten Nacht des Wissens Rund 7.000 Besucher informierten sich über die Primatenforschung Am 26. Januar 2019 stand Göttingen einmal wieder Am Stand der Infektionsforscher probierten die Besu- ganz im Zeichen der Wissenschaft. Die Universität und cher echte Sicherheitskleidung an, übten das richtige alle wissenschaftlichen Einrichtungen der Stadt hatten Umgehen mit der Pipette und staunten beim Anblick die Öffentlichkeit zur vierten Nacht des Wissens ein- von Zellen unterm Mikroskop. Der Nies-O-Mat veran- geladen. Sieben Stunden, von 17 Uhr bis Mitternacht, schaulichte, wie viele Keime so ein einfacher Nieser in konnten die wissbegierigen Besucher durch Mikrosko- die Welt schleudert: Auf die Gummihandschuhe der pe schauen, Virtual-Reality-Brillen ausprobieren oder Testbenutzer sprühten DPZ-Mitarbeiter eine „Nieser- sich von der Physik-Show begeistern lassen. Auch das Ersatzflüssigkeit“. Scheinbar blieben die Handschuhe DPZ war wieder mit dabei. Das Institut präsentierte im normalen Tageslicht sauber. Im Schwarzlicht des sich wie bereits 2017 im Zentralen Hörsaalgebäude am Nies-O-Mat allerdings sah man sofort, wie schmutzig Platz der Göttinger Sieben und wurde von der großen die Handschuhe tatsächlich waren. Nebenbei lernten Anzahl interessierter Besucher schier überwältigt. die kleinen und großen Besucher mit einem Steckspiel, welche Krankheitserreger verschiedene Wirtstiere oder Die einzelnen DPZ-Stationen boten viele Mitmachakti- Menschen befallen und erfuhren, wie die DPZ-Infekti- onen und Vorführungen für Groß und Klein. Mit einem onsforscher den Eintritt von Viren in die Zellen verhin- Forscherpass konnten zahlreiche „Jungforscher“ auf dern wollen. Entdeckungsreise durch Infektionsforschung, Neuro- wissenschaften und Primatenbiologie gehen. Zu je- Die Verhaltensforscher luden die Besucher zu einem dem der drei Themenbereiche gab es eine Quizfrage, Rundgang durch die Forschungsstation Simenti im Se- deren richtige Beantwortung mit einem Stempel be- negal ein. Über eine interaktive Multimediaplattform lohnt wurde. Mit vollständig ausgefülltem Forscher- konnten sie sich durch Fotos und Videos klicken und da- pass konnte dann in der Fotobox ein Erinnerungsfoto bei Guineapaviane in der senegalesischen Savanne be- gemacht werden. obachten und den Forschern bei ihrer Arbeit im Freiland 16 DPZ aktuell, Februar 2019
Veranstaltungen über die Schulter schauen. Neben der Freilandforschung Wie Magnetresonanztomografie funktioniert und wie präsentierten die Wissenschaftler den Besuchern auch man damit die Funktion von Organen untersuchen ihre Forschung zur Kognition bei Affen. Ein interaktiver kann, lernten die Besucher am Stand der Funktionel- Selbsttest veranschaulichte, welche Rolle die Form der len Bildgebung. Die Forschungsplattform Degenera- Konkurrenz bei unseren Handlungen spielt und wie so- tive Erkrankungen erklärte, was Stammzellen alles ziale Vergleiche bei Javaneraffen untersucht werden. können und wie man sie zur Züchtung von Herzmus- kelzellen einsetzen kann. Großer Andrang herrschte auch an den Stationen der Neurowissenschaftler. Wer wissen wollte, wie sich un- „Die Nacht des Wissens ist eine tolle Möglichkeit, un- ser Gehirn an neue Situationen anpasst, konnte das mit ser Institut und unsere Arbeit der Öffentlichkeit vor- Prismenbrillen spielerisch testen. Mit einer Brille, die zustellen“, fasst DPZ-Direktor Stefan Treue zusammen. das Sichtfeld um 30 Grad nach rechts versetzte, durften „Das Interesse und die Diskussionsfreudigkeit der vie- die Besucher versuchen, eine Dartscheibe zu treffen. len Besucher haben uns sehr gefreut und motiviert. Nach einigen missglückten Versuchen, passte sich das Wir hatten alle viel Spaß und auch bei den Gästen war Gehirn an die Situation an und die Pfeile trafen wieder. die Stimmung toll.“ In einem zweiten Versuch kam eine Brille zum Einsatz, die das Sichtfeld umkehrte. Das Nachzeichnen eines Eine Bildergalerie mit Impressionen Sterns mit der Brille klappte nur noch mäßig. Die Wis- der Nacht des Wissens finden Sie hier. senschaftler zeigten so den Besuchern, wo die Adapta- tion unseres Gehirns ihre Grenzen hat. Mit einem elek- tromagnetischen Datenhandschuh, der alle Finger- und Greifbewegungen am Computer aufzeichnet, konnten Einen Zusammenschnitt der schöns- die Besucher „Montagsmaler“ spielen und nebenbei ten Momente finden Sie auch in unse- herausfinden, wie verschiedene Grifftypen analysiert rem Youtube-Video. werden und wie eine Hand im virtuellen Raum reagiert. Verstärkt Konkurrenz die eigene Leistung? Beim interaktiven Was gibt es da zu sehen? Um einen Blick durchs Mikroskop zu Selbstest konnten die Besucher, ähnlich wie die Javaneraffen in erhaschen, war für die Kleinen kein Hindernis zu groß. den Kognitionstests, gegeneinander antreten. Foto: Karin Tilch Foto: Susanne Diederich Bei diesem Computer-basierten Test, muss man sich für die ge- Bitte lächeln! Für die Jungforscher gab es ein Foto in der Foto- naue Richtung einer Bewegung entscheiden. Foto: Stafan Treue box. Foto: Karin Tilch DPZ aktuell, Februar 2019 17
Veranstaltungen DPZ-Geschäftsführer Michael Lankeit, Dr. Pooja Viswanathan, Prof. Eberhard Fuchs, Vorsitzender des DPZ-Förderkreises, Prof. Rabea Hin- kel, DPZ-Direktor Prof. Stefan Treue, Bürgermeisterin Helmi Bebehani und Dr. Dr. Gerhard Steif, Präsident der Stiftung Tierärztliche Hoch- schule Hannover (von links). Foto: Karin Tilch Herzinsuffizienz und Zahlenverständnis Antrittsvorlesung von Rabea Hinkel und Verleihung des DPZ-Förderpreises 2018 Am späten Nachmittag des 19. November 2018 war häufigsten Todesursachen in Deutschland, beson- es voll im DPZ-Hörsaal, viele Mitarbeiterinnen und ders betroffen sind Menschen mit hohem Blutdruck Mitarbeiter sowie Gäste waren gekommen, um eine oder Diabetes. Doppelveranstaltung zu erleben: Rabea Hinkel be- richtete in ihrer Antrittsvorlesung darüber, wie sie „Neue Therapieansätze für Risikogruppen“ der Herzinsuffizienz den Schrecken nehmen will und Pooja Viswanathan erläuterte ihre Erkenntnisse über Hinkel will herausfinden, wie diese Risikofaktoren die das Zahlenverständnis von Primaten, die ihr den DPZ- gefährliche Herzschwäche beeinflussen und auf die- Förderpreis 2018 beschert hatten. ser Basis neue Therapien entwickeln, auch durch Stu- dien an Primaten. „Mit meiner Forschung möchte ich Die Veranstaltung begann mit einem Vortrag von präventiv eingreifen und neue Therapieansätze für Rabea Hinkel. Die Tierärztin mit kardiologischem Risikogruppen entwickeln“, sagte Rabea Hinkel. „Da- Schwerpunkt ist seit Juli 2018 Professorin für Ver- für möchte ich in den nächsten Jahren ein Modell für suchstierkunde, gemeinsam berufen von der Tier- die Herzinsuffizienz an nicht-menschlichen Primaten ärztlichen Hochschule Hannover (TiHo) und dem etablieren.“ Affen eignen sich dafür besonders gut, Deutschen Primatenzentrum, wo sie die gleichna- da ihr Herz-Kreislaufsystem dem menschlichen sehr mige Abteilung leitet. Rabea Hinkel hat sich große ähnlich ist. Gemeinsam mit ihrem derzeit neunköpfi- Ziele gesetzt, sie will mit ihrer Forschung dazu bei- gen Team will Hinkel ein funktionierendes Therapie- tragen, neue Behandlungsansätze für Herzkrank- modell entwickeln und in die präklinische Forschung heiten zu entwickeln. Ein relevantes Thema, Herzin- bringen, damit es letztendlich beim Patienten einge- suffizienz ist laut Statistischem Bundesamt eine der setzt werden kann. 18 DPZ aktuell, Februar 2019
Veranstaltungen „Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch dert. Die Auszeichnung ist mit einem sechsmonati- erforschen“ gen Stipendium an einem Forschungsinstitut eigener Wahl und einem Geldbetrag in Höhe von 1000 Euro An der TiHo Hannover wird die Weiterentwicklung verbunden, der von der Firma Euroimmun, Lübeck, und Verbesserung von tierexperimenteller Forschung gestiftet wird. im Mittelpunkt von Hinkels Arbeit stehen. „Wir wer- den schwerpunktmäßig Ersatz- und Ergänzungsme- Wie der Sinn für Zahlen funktioniert thoden zum Tierversuch erforschen“, sagte sie. „Da- bei werden wir in vitro-Versuche nicht nur anwenden, Wenn wir uns eine Schale mit Äpfeln anschauen, sondern auch weiterentwickeln. Mein Ziel ist es, die haben wir ein Gefühl dafür, wie viele Früchte wir Belastungen für die Tiere so weit wie möglich zu re- sehen, ohne dass wir sie vorher zählen. Dieser Zah- duzieren und die Versuche zunehmend mit Alterna- lensinn erlaubt es bereits kleinen Kindern und auch tivmethoden zu ersetzen.“ Tieren, Anzahlen intuitiv einzuschätzen. Wie dieser Prozess auf der Ebene der Nervenzellen im Gehirn Im Anschluss an die Antrittsvorlesung wurde Pooja umgesetzt wird, hat Pooja Viswanathan an Rhesus- Viswanathan mit dem DPZ-Förderpreis 2018 ausge- affen untersucht. Sie fand heraus, dass Primaten zeichnet. Die indische Neurowissenschaftlerin hat einen früh entwickelten Zahlensinn besitzen, der ihre Promotion in der Abteilung Neurobiologie an nicht erlernt werden muss. Er ist jedoch nicht starr, der Universität Tübingen angefertigt. Dabei ging die Nervennetzwerke des Zahlensinns können durch es um das Zahlenverständnis von Primaten. „Frau Lernen und Erfahrung verbessert werden. Viswanathan hat eine exzellente wissenschaftli- che Arbeit angefertigt, die ein ungewöhnlich brei- Seit Juni 2018 arbeitet Pooja Viswanathan als tes Methodenspektrum zeigt und dazu beiträgt, die Postdoktorandin im Laboratory of Neural Systems Verarbeitungsprozesse des Gehirns im Bereich des an der New Yorker Rockefeller University. „Der För- Zahlensinns besser zu verstehen“, begründete der derpreis des DPZ unterstützt meine derzeitige Wissenschaftliche Beirat des DPZ seine Wahl. Der Forschung im Bereich des sozialen Gedächtnisses“, DPZ-Förderpreis ist einer der höchstdotierten Preise sagte Viswanathan. für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissen- schaftler in Deutschland. Er wird vom Förderkreis des Nach den beeindruckenden Vorträgen gab es beim DPZ verliehen, einem gemeinnützigen Verein, der die anschließenden Empfang noch ausreichend Gelegen- Forschung über und mit Primaten unterstützt und heit, um mit den beiden Wissenschaftlerinnen über junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler för- ihre Arbeit und ihre Zukunftspläne zu diskutieren. DPZ aktuell, Februar 2019 19
Veranstaltungen Prof. Lutz Walter referiert zum Thema „Immungenetik“ bei der Lehrerfortbildung 2018. Foto: Karin Tilch Über neue Arten und böse Gene Lehrerfortbildung am DPZ gibt Einblicke in Evolution und Verhalten Anfang November 2018 trafen sich 60 forschungs- „Eine bestimmte Konstellation von Genen in unserem interessierte Lehrerinnen und Lehrer, um sich bei Erbgut kann die Wahrscheinlichkeit einiger Erkrankun- der alljährlichen Lehrerfortbildung am DPZ über gen erhöhen. Das heißt aber nicht, dass wir zwangs- neueste wissenschaftliche Ergebnisse und Fort- läufig erkranken müssen.“ Dieses Fazit zog Lutz Wal- schritte zu informieren. Das Thema „Evolution und ter in seinem anspruchsvollen Vortrag zur „Evolution Verhalten“ wurde von den Wissenschaftlern der des Immunsystems: Viele Wege führen nach Rom und Abteilungen Kognitive Ethologie und Primatenge- kein Stillstand“. Gespannt lauschten die Zuhörenden netik referiert. den neuesten Forschungsergebnissen zur Funktion von Natürlichen Killerzellen sowie MHC-Klasse-1-Pro- „Können Sie das nicht mal denen im Ministerium er- teinen im Immunkomplex des Menschen und wel- klären, die für Schulbücher und Prüfungsfragen ver- che Rolle Evolution und genetische Variabilität dabei antwortlich sind?“, fragte eine der teilnehmenden spielen. Denn eines ist sicher: auch die Evolution der Lehrerinnen, nachdem Dietmar Zinner in seinem Krankheitserreger steht nicht still. Vortrag „Phylogenie und Artkonzept“ erklärt hatte, warum das biologische Artkonzept, das eine Art als Über Konflikte, die im menschlichen Miteinander Fortpflanzungsgemeinschaft definiert, nach heuti- entstehen und gelegentlich auch zu Aggressionen gen wissenschaftlichen Erkenntnissen problematisch führen, haben Lehrer sicherlich einiges zu erzählen. ist. Erstaunt erfuhren die Zuhörenden, dass es über Wie die Kosten-Nutzen-Bilanz von aggressivem Ver- 25 verschiedene Artkonzepte gibt. Durch genetische halten aussieht, das heißt in welchen Situationen Untersuchungen konnte nachgewiesen werden, dass sich Aggression auch lohnen kann, legte Dietmar Kreuzungen, sogenannte Hybridisierungen, zwischen Zinner in seinem Vortrag „Aggressionsverhalten“ Arten viel häufiger vorkommen als bislang angenom- dar. Was Aggression mit Genetik zu tun hat und wie men. Die Diversität, also die Anzahl der Arten, ist in Konfliktmanagement bei Primaten aussieht sind nur vielen taxonomischen Gruppen höher als erwartet zwei der vielen Aspekte, die in dem umfangreichen und es zeigten sich neue, überraschende stammesge- Vortrag präsentiert wurden. Der Veranstaltungsteil schichtliche Beziehungen zwischen Arten. endete friedlich mit den Strategien, die auch uns 20 DPZ aktuell, Februar 2019
Veranstaltungen Menschen in der Konfliktlösung auszeichnen: Ver- und Videoanalyse („Solomon Coder“) präsentiert, die söhnung und Kooperation. auch in der Schule problemlos eingesetzt werden können. Zum Schluß lernten die Zuhörenden noch Das romantische Bild vom Feldforscher, der mit No- moderne Techniken der Verhaltensforschung, wie Fo- tizblock und Bleistift aufschreibt, was er so an Ver- tofallen, GPS-Halsbänder und Gesichtserkennungs- halten bei seinen Studienobjekten beobachtet, wur- software kennen. de von Kurt Hammerschmidt mit seinem Vortrag „Methoden der Verhaltensforschung: Erfassung Nach einem anstrengenden Tag mit viel wissenschaft- von Tierverhalten mit Computer und Smartphone“ lichem Input fiel das Feedback der Teilnehmerinnen endgültig zerstört. Die praxisorientierte Einführung und Teilnehmer ausgesprochen positiv aus. Viele freu- zeigte zunächst die Grundsätze und Planung einer ten sich schon auf weitere Lehrerfortbildungsveran- systematischen Erhebung von Verhaltensdaten auf. staltungen des DPZ. Dann wurden den Lehrerinnen und Lehrern zwei Softwarelösungen für Datenerhebung („Pendragon“) Stefanie Heiduck Buchtipp: Der Mensch im Tier „Wir Menschen sind den Tieren beigetragen, gleichzeitig hat sie Norbert Sachser: Der Mensch im näher gerückt; es steckt sehr aber auch gezeigt, dass viele ty- Tier – Warum Tiere uns im Den- viel mehr Mensch im Tier, als wir pisch „menschliche“ Eigenschaf- ken, Fühlen und Verhalten oft so uns vor wenigen Jahren noch ten ebenso bei anderen Tierarten ähnlich sind. Rowohlt, 2018. ISBN haben vorstellen können.“ Das zu beobachten sind. Sachser ver- 978-3-498-06090-9 ist die Kernaussage des Buches anschaulicht dies durch wohl- „Der Mensch im Tier“ von Nor- dosierte Beispiele aus Stressfor- Stefanie Heiduck bert Sachser und das Resümee schung, Kognitionsforschung seiner lebenslangen Forschung und Studien zu genetischen zum Verhalten von Tieren, ins- Grundlagen des Verhaltens. Die besondere Säugetieren. Der Sprache ist dabei einfach und Autor nimmt den Leser mit auf klar, auch für Laien verständlich eine Reise durch die Verhaltens- und nachvollziehbar. Bei aller forschung der letzten 100 Jahre Sachlichkeit der Darstellung wird und erklärt eindrucksvoll, wie jedoch ebenso klar, dass mit der die Forschung unser Verständnis wachsenden Erkenntnis über von Tieren und damit auch unse- die Fähigkeiten und Bedürfnisse re Einstellung zu ihnen verändert von Tieren, diesen in der Tierhal- hat. Wurden Tiere noch vor hun- tung Rechnung getragen wer- dert Jahren als seelenlose Wesen den muss. Sachsers Fazit lautet betrachtet, deren Verhalten ge- daher: „Ein tiergerechtes Leben netisch programmiert reflexartig in menschlicher Obhut bedeutet abläuft, weiß man heute, dass mehr als gesund und fortpflan- Tiere Emotionen haben, dass sie zungsfähig zu sein.“ Ein Buch, denken können und Persönlich- das jeder Tierhalter gelesen ha- keit entwickeln. Die Forschung ben sollte! an Tieren hat viel zum Verständ- nis menschlichen Verhaltens © Rowohlt-Verlag DPZ aktuell, Februar 2019 21
Sie können auch lesen