Ausgabe 1/2019 - MERS: Deutsches Primatenzentrum

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Ausgabe 1/2019 - MERS: Deutsches Primatenzentrum
MERS:           Caspar Schwiedrzik      DPZ bei der
Gefahr aus der Wüste      im Interview      Nacht des Wissens

                                             Ausgabe 1/2019
Ausgabe 1/2019 - MERS: Deutsches Primatenzentrum
Editorial

                         Liebe Leserinnen
                         und Leser,                        Inhalt

                          Winterzeit gleich Virenzeit –
                                                           Highlights aus der Forschung.  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 3
                          das gilt zumindest bei uns,
                          wo vor allem in der dunklen      Wissenschaftspolitik.  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 13
                          Jahreshälfte virale Infekte      Veranstaltungen.  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 16
                          grassieren. Zwar steckt man
                                                           Im Interview. .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 22
sich leicht an, schon die nächste Türklinke kann zum
Verhängnis werden, diese Infekte sind zum Glück aber       DPZ intern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
meist harmlos. Anders sieht es aus bei Krankheiten wie
                                                           Abschlüsse und Publikationen .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 32
MERS oder Ebola, wo knapp 40 Prozent der Infizierten
an der Krankheit sterben. Jedoch bislang weit weg von      Aus der Leibniz-Gemeinschaft .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 35
uns. MERS kursiert vor allem auf der Arabischen Halb-      Termine.  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 40
insel und wird von Dromedaren auf den Menschen
übertragen, Ebola tritt meist in Zentralafrika auf, die
Ansteckung erfolgt wahrscheinlich über Flughunde
und Fledermäuse. Sogenannte zoonotische Viren kur-
sieren in Tieren, bei denen sie keinen großen Schaden
anrichten. Werden sie jedoch auf den Menschen über-
tragen, so können die Folgen fatal sein. Reist dann ein
Infizierter um die Welt, so kann er viele weitere Perso-
nen anstecken, insbesondere wenn das Virus mutiert
und ansteckender wird. Wie die Infektionsforscher am
DPZ dazu beitragen wollen, das Pandemie-Potential
von MERS-Viren einzuschätzen und wieso ein Protein
ein vielversprechender Ansatzpunkt für eine Ebola-
Therapie sein kann, lesen Sie in dieser Ausgabe.

Dass Wissenschaft nicht nur wahnsinnig interessant
ist, sondern auch Spaß machen kann, haben knapp
7.000 Besucher erfahren, die die Stände des DPZ bei
der Nacht des Wissens besucht haben. So konnte man
im Steckspiel sein Wissen über Zoonosen testen, selbst
zum Forscher werden und mit Pipette und Mikroskop
arbeiten sowie in mehreren Experimenten erleben,                 Am 26. Januar 2019 präsentierte sich das DPZ
wie Neurowissenschaftler unsere Sinne und die Infor-             bei der vierten Nacht des Wissens in Göttingen.
mationsverarbeitung im Gehirn und Verhaltensbiolo-               Rund 7.000 Besucher informierten sich über In-
gen die kognitiven Fähigkeiten von Affen erforschen.             fektionsforschung, Neurowissenschaften und
Impressionen von der für Besucher und Wissenschaft-              Primatenbiologie. Das Nachzeichnen eines
ler gleichermaßen anregenden Nacht finden Sie hier               Sterns mit der Umkehrbrille war für viele Gäste
im Heft.                                                         eine Herausforderung.     On January 26, 2019,
                                                                 the German Primate Center presented itself at
Außerdem stellen wir Ihnen zwei vielversprechende                the fourth „Nacht des Wissens“ in Göttingen.
Neuzugänge vor: Caspar Schwiedrzik, der herausfin-               About 7,000 visitors came to the stations of the
den will, was die Grundlage von intelligentem Verhal-            DPZ and learned in a playful way about infection
ten ist, und Philipp Schwedhelm, der untersuchen will,           research, neurosciences and primate biology. To
wie der Sehprozess im Gehirn funktioniert.                       trace a star while wearing reversing goggles
                                                                 posed a challenge for several visitors.
Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre.                        Photo: Susanne Diederich
Ihre Susanne Diederich
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Highlights aus der Forschung

Bei Dromedaren führt die MERS-Infektion nur zu harmlosen Erkältungssymptomen, während Menschen schwer erkranken.     In
dromedary camels, MERS infection only leads to harmless cold symptoms. In humans, it can lead to a serious illness.
Photo: Katiekk, Shutterstock.com

Gefahr aus der Wüste
Mutationen machen MERS-Virus resistenter gegen die Abwehrkräfte
des Immunsystems

Was bei Dromedaren nur einen harmlosen Schnupfen             Das MERS-Virus gehört, ebenso wie das gefürch-
hervorruft, kann für den Menschen tödlich enden: eine        tete SARS-Virus und mehrere meist harmlose Er-
Infektion mit MERS-Viren. Zwar ist seit der Entdeckung       kältungsviren, zu den Coronaviren. Einige Corona-
des Virus im Jahr 2012 erst bei rund 2.000 Patienten         viren infizieren verschiedene Spezies und können
eine Infektion nachgewiesen worden, allerdings haben         von Tieren auf den Menschen übertragen werden.
36 Prozent die schwere Lungenkrankheit MERS nicht            Das MERS-Virus führt bei Dromedaren nur zu ei-
überlebt. Bislang haben sich die Patienten meist bei         ner milden Erkältung. Menschen, die sich mit dem
Dromedaren auf der Arabischen Halbinsel angesteckt,          MERS-Virus infizieren, entwickeln dagegen eine
eine Übertragung von Mensch zu Mensch kam eher               gefährliche Atemwegserkrankung: das Middle East
selten vor. Dies könnte sich jedoch ändern, da das Virus     Respiratory Syndrome, kurz MERS, das häufig zum
mutiert. Ein Wissenschaftlerteam um Stefan Pöhlmann,         Tod führt. Die Erkrankung tritt vor allem auf der
Hannah Kleine-Weber und Markus Hoffmann vom DPZ              Arabischen Halbinsel auf, wo sich Menschen bei
hat Virus-Mutationen untersucht und festgestellt, dass       Dromedaren anstecken, die zur Nahrungsgewin-
sie das Virus resistenter gegen die Abwehrkräfte der Pa-     nung und für den Rennsport gehalten werden. Das
tienten machen. Die Untersuchung von Mutationen ist          Potenzial des Virus, sich weltweit auszubreiten,
essentiell, um die Gefahr einer weltweiten Ausbreitung       wurde im Jahr 2015 deutlich. Die Einreise einer mit
(Pandemie) einer neuen Virus-Variante einschätzen zu         dem MERS-Virus infizierten Person nach Südkorea,
können. Damit dient das MERS-Virus als Blaupause für         die zuvor die Arabische Halbinsel bereist hatte,
andere zoonotische Viren, die von Tieren auf den Men-        führte zu 186 Folgeinfektionen, 38 infizierte Perso-
schen übertragen werden können.                              nen verstarben.

                                                                                            DPZ aktuell, Februar 2019     3
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Highlights aus der Forschung

    Virus-Mutationen                                                   auf die Übertragbarkeit des Virus hat, also ob ein er-
                                                                       höhtes pandemisches Potential vorliegt“, sagt Markus
    Beim MERS-Ausbruch in Südkorea wurde eine zuvor                    Hoffmann. Es geht beim MERS-Virus ebenso wie bei
    unbekannte Virus-Mutation entdeckt, die dazu führt,                anderen Viren mit Pandemie-Potential um eine Risiko-
    dass das Virus schlechter in Wirtszellen eindringen                abschätzung. „Unsere Studie wurde in dem vom BMBF
    kann. Dieser Prozess ist jedoch für die Vermehrung                 geförderten Forschungsverbund RAPID durchgeführt,
    des Virus im Körper notwendig, die Mutation also ver-              bei dem es darum geht, das Gefährdungspotential von
    meintlich negativ für das Virus. Eine Mutation hätte               neuen MERS-Virus-Varianten abzuschätzen und Emp-
    sich aber nicht durchsetzen können, wenn sie nicht                 fehlungen abzugeben in Bezug auf Diagnostik, Impf-
    auch positive Effekte für das Virus beinhalten würde.              stoffe und Verhaltensweisen“, sagt Stefan Pöhlmann,
    Stefan Pöhlmann, Hannah Kleine-Weber und Markus                    Leiter der Abteilung Infektionsbiologie am DPZ.
    Hoffmann haben sich auf die Suche nach diesem Ef-
    fekt gemacht. Sie haben herausgefunden, dass die
    Mutation das MERS-Virus resistenter gegen Antikör-                 Danger in the Desert
    per macht, welche vom Körper infolge der MERS-In-
    fektion gebildet werden. „In Südkorea ist eine mutier-             Mutations of the MERS virus contribute to its resistance
    te MERS-Variante aufgetreten, die einen verstärken                 against the defenses of the immune system
    Schutz gegen die Antikörperantwort aufweist. Dieser
    Befund zeigt, dass der geplante Einsatz von Antikör-               What causes only a harmless cold in camels can be fa-
    pern zur MERS-Therapie zur Entstehung von resisten-                tal for humans: an infection with the MERS virus. Since
    ten Viren führen könnte“, sagt Hannah Kleine-Weber,                its discovery in 2012, the virus was detected in approxi-
    die Hauptautorin der Studie.                                       mately 2,000 patients and 36 percent of them have not
                                                                       survived the severe lung disease known as MERS. Until
    Pandemie-Potential                                                 now, humans are mainly infected through contact with
                                                                       camels in the Arabian Peninsula and human-to-human
    MERS-Viren mutieren und eine der nächsten Verände-                 transmissions are rare. However, this could change due
    rungen könnte dazu führen, dass die Viren leichter von             to the virus acquiring mutations. A team of scientists
    Mensch zu Mensch übertragen werden. Ein infizierter                headed by Stefan Pöhlmann, Hannah Kleine-Weber
    Reisender könnte dann eine Infektionskette auslösen,               and Markus Hoffmann from the German Primate Cen-
    die zu einer Pandemie führt. „Wir müssen Systeme                   ter investigated virus mutations and found that certain
    entwickeln, mit deren Hilfe wir vorhersagen können,                mutations made the virus more resistant against the
    ob eine neu auftretende Mutation eine Auswirkung                   human immune system. The analysis of mutations is
                                                                                                essential for predicting the risk
                                                                                                of a pandemic. Moreover, the
                                                                                                MERS virus may serve as a blue-
                                                                                                print for other zoonotic viruses
                                                                                                that can be transmitted from
                                                                                                animals to humans.

                                                                                                 Just like the dreaded SARS vi-
                                                                                                 rus, the MERS virus and several
                                                                                                 usually harmless common cold
                                                                                                 viruses belong to the coronavi-
                                                                                                 ruses. Some coronaviruses can
                                                                                                 be transmitted from animals to
                                                                                                 humans. The MERS virus infec-
                                                                                                 tion in dromedary camels causes
                                                                                                 only a mild cold. In contrast,
    Dr. Markus Hoffmann, Hannah Kleine-Weber und Prof. Stefan Pöhlmann, Abteilung                human infection can lead to a
    Infektionsbiologie (von links nach rechts).     Dr. Markus Hoffmann, Hannah-Kleine-Weber     severe respiratory disease, Mid-
    and Prof. Stefan Pöhlmann, Infection Biology Unit (from left to right). Photo: Karin Tilch   dle East Respiratory Syndrome

4   DPZ aktuell, Februar 2019
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Highlights aus der Forschung

Sollte die Übertragung von Mensch zu Mensch durch Mutationen des Virus effizienter werden, droht eine MERS-Pandemie.
   A more efficient human-to-human transmission due to mutations of the MERS virus could cause an imminent pandemic.
Illustration: Markus Hoffmann

(MERS), which is often fatal. The disease is most preva-     Pandemic potential
lent in the Arabian Peninsula where people are infected
by dromedary camels that are kept for food and racing.       The MERS virus is mutating and one of the next
The virus’s potential to spread worldwide became ap-         changes could make it easier for the virus to spread
parent in 2015 when an infected person who had previ-        from person to person. An infected traveler could
ously visited the Arabian Peninsula travelled to South       trigger a chain of infections that could potentially
Korea and transmitted the virus to others, resulting in      lead to a pandemic. “We must develop systems that
186 infections and 38 fatal MERS cases.                      help us to predict whether a new mutation will have
                                                             an impact on the transmissibility of the virus, i.e.
Virus mutations                                              whether there is an increased pandemic potential,”
                                                             says Markus Hoffmann. As with any other viruses
The MERS outbreak in South Korea was associated with         with a pandemic potential, it is important to as-
the emergence of a previously unknown viral muta-            sess the risk of the MERS virus. “Our study was con-
tion that reduces the ability of the virus to enter host     ducted in the BMBF funded research network RAPID
cells. As this process is necessary for the multiplication   that aims to predict the potential risk of new MERS
of the virus in the body, the mutation is supposedly not     virus variants and to make recommendations regard-
beneficial for the virus. However, a mutation would          ing diagnostics, vaccines and behaviors,” says Stefan
not have prevailed if it would not be associated with        Pöhlmann, head of the Infection Biology Unit at the
an advantage for the virus. Stefan Pöhlmann, Hannah          German Primate Center.
Kleine-Weber and Markus Hoffmann searched for this
effect. They found that the mutation makes the MERS          Original publication
virus more resistant to antibodies produced by the body
as a result of the infection. “In South Korea, a mutant of   Kleine-Weber H, Elzayat MT, Wang L, Graham BS, Müller
the MERS virus arose that showed increased resistance        MA, Drosten C, Pöhlmann S, Hoffmann M (2019): Mu-
against the antibody response. This finding shows that       tations in the spike protein of Middle East respiratory
the planned use of antibodies for MERS therapy could         syndrome coronavirus transmitted in Korea increase
lead to the development of resistant viruses,” says Han-     resistance to antibody-mediated neutralization. J Virol
nah Kleine-Weber, the lead author of the study.              93:e01381-18.

                                                                                          DPZ aktuell, Februar 2019    5
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Highlights aus der Forschung

    Eine Gruppe von Guineapavianen (Papio papio) an der DPZ-Feldstation Simenti im Senegal.     A group of Guinea baboons (Papio papio)
    at the DPZ field station Simenti in Senegal. Photo: Matthias Klapproth

    Wie neue Arten entstehen
    Internationales Forscherteam rekonstruiert die Evolutionsgeschichte von Pavianen

    Das Leben auf der Erde ist komplex und vielfältig.                 die neue Spezies hervorbringen. Da sich die Paviane
    Im Laufe der Evolution sind immer neue Arten ent-                  etwa zur gleichen Zeit und im gleichen Lebensraum
    standen, die an eine sich stetig verändernde Umwelt                wie der Mensch entwickelt haben, ermöglichen die
    angepasst sind. Mit modernen genetischen Analysen                  Ergebnisse der Studie auch Rückschlüsse auf die Ent-
    können Forscher heute die Erbinformation von Or-                   wicklungsgeschichte früher Menschenarten.
    ganismen vollständig entschlüsseln, um deren Ent-
    wicklungsgeschichten und Anpassungen besser zu                     Paviane gehören zur Gruppe der Altweltaffen. Es gibt
    verstehen. Ein internationales Forscherteam, dem                   sechs verschiedene Arten, die in Afrika südlich der
    auch Wissenschaftler des DPZ angehören, hat unter                  Sahara weit verbreitet sind. Sie sind hinsichtlich ih-
    der Leitung des Human Genome Sequencing Center                     res Aussehens, Verhaltens und ihrer Lebensweise gut
    am Baylor College of Medicine, USA, den Stamm-                     untersucht. Bislang war jedoch wenig über ihre ge-
    baum der sechs in Afrika lebenden Pavianarten re-                  netische Anpassung und ihre Evolutionsgeschichte
    konstruiert. Die Erbinformationen der Paviane lie-                 bekannt.
    ferten deutliche Hinweise darauf, dass es zwischen
    den Arten zum Austausch von Genen kam, die Arten                   Um diese Fragen im Detail zu untersuchen, entschlüs-
    sich also gekreuzt haben. Die Arbeit wirft ein neues               selten die Forscher die vollständige Erbinformation (das
    Licht auf die grundlegenden biologischen Prozesse,                 Genom) der sechs Arten. Durch Vergleiche der Geno-

6   DPZ aktuell, Februar 2019
Ausgabe 1/2019 - MERS: Deutsches Primatenzentrum
Highlights aus der Forschung

me und durch die Anwendung verschiedener Stamm-                    ren haben bereits gezeigt, dass der moderne Mensch
baummodelle fanden die Wissenschaftler heraus, dass                mit anderen Arten wie Neandertaler oder Denisova-
es neben der Artbildung durch Aufspaltung von Linien,              Mensch hybridisierte“, fasst Dietmar Zinner, Wissen-
auch Artbildung durch Hybridisierung und damit ein-                schaftler in der Abteilung Kognitive Ethologie am DPZ
hergehenden Genaustausch gegeben hat.                              und ebenfalls einer der Autoren, zusammen. „Im Ge-
                                                                   gensatz zum Menschen, deren Schwesterarten aus-
„Die Kindapaviane, eine im südlichen Afrika behei-                 gestorben sind, ist die Kreuzung und der genetische
matete Pavianart, sind sehr wahrscheinlich durch                   Austausch unter den Pavianarten auch heute noch
Verschmelzung von zwei ursprünglichen Pavianlini-                  direkt zu beobachten. Studien zur Hybridisierung bei
en entstanden“, erklärt Christian Roos, Wissenschaft-              Pavianen ermöglichen uns ein besseres Verständnis
ler in der Abteilung Primatengenetik und einer der                 der Evolution unserer eigenen Art.“
Autoren der Studie. „Darüber hinaus konnten wir
auch genetische Merkmale identifizieren, die keiner                Paviane stellen aber nicht nur ein Modell für Hybridi-
der heute lebenden Pavianarten mehr zugeordnet                     sierungsstudien dar. Sie dienen Forschern darüber hi-
werden können und auf Genfluss von einer ausge-                    naus auch als ausgezeichnetes Vergleichsmodell, um
storbenen Pavianlinie, einer sogenannten ‚ghost                    Einflüsse von historischen Klima- und Umweltverän-
line‘, hinweisen.“                                                 derungen auf die Evolution von Savannenprimaten,
                                                                   einschließlich des Menschen, zu untersuchen.
Hybridisierung zwischen verschiedenen Pavianarten
ist auch heute noch in Gebieten zu beobachten, wo die
Verbreitungsgebiete von Arten aneinandergrenzen.                   How new species emerge
Da sich die Paviane genau wie der Mensch vor rund
zwei Millionen Jahren in den gleichen Lebensräumen                 International research team reconstructs the evolution-
südlich der Sahara entwickelten, sind sie ein ausge-               ary history of baboons
zeichnetes Modell, um die evolutionäre Entwicklung
der Gattung Homo nachzuvollziehen, von der der mo-                       Life on earth is complex and diverse. In the course of
derne Mensch als einzige Art überlebt hat.                               evolution, more and more new species have emerged
                                                                         that are adapted to constantly changing environ-
„Unsere Kollegen vom Max-Planck-Institut für evolu-                      ments. Using modern genetic analyses, researchers
tionäre Anthropologie in Leipzig und in anderen Labo-                    can now fully decipher the genetic information of or-
                                                                                        ganisms in order to better understand
                                                                                        their evolutionary histories and adap-
                                                                                        tations. Under the leadership of the
                                                                                        Human Genome Sequencing Center at
                                                                                        Baylor College of Medicine, USA, an in-
                                                                                        ternational team of researchers, includ-
                                                                                        ing scientists from the German Primate
                                                                                        Center (DPZ) has reconstructed the phy-
                                                                                        logenetic tree of the six African baboon
                                                                                        species. The genetic information of
                                                                                        baboons provided clear indications
                                                                                        that genes were exchanged between
                                                                                        the species, i.e. that the species hybrid-
                                                                                        ized. The work sheds new light on the
                                                                                        fundamental biological processes that
                                                                                        produce new species. Since the baboons
                                                                                        evolved at about the same time and
                                                                                        in the same habitats as humans, the
                                                                                        results of the study also allow conclu-
Verbreitung der sechs Pavianarten in Afrika.     Distribution of the six species of ba- sions about the evolutionary history of
boons in Africa. Graphic: Luzie Almenräder, baboon drawings: Stephen Nash               early human species.

                                                                                                    DPZ aktuell, Februar 2019        7
Ausgabe 1/2019 - MERS: Deutsches Primatenzentrum
Highlights aus der Forschung

                                      Dr. Dietmar Zinner ist Wis-                                     PD Dr. Christian Roos ist Wis-
                                      senschaftler in der Abteilung                                   senschaftler in der Abteilung
                                      Kognitive Ethologie am DPZ.                                     Primatengenetik am DPZ.
                                         Dr. Dietmar Zinner is a sci-                                    PD Dr. Christian Roos is a
                                      entist in the Cognitive Etho-                                   scientist in the Primate Gene-
                                      logy Laboratory at the Ger-                                     tics Laboratory at the German
                                      man Primate Center.                                             Primate Center.
                                      Photo: Karin Tilch                                              Photo: Karin Tilch

    Baboons are Old World monkeys and the six species                   Roos, a scientist in the Primate Genetics Laboratory at
    are widespread in sub-Saharan Africa. They are well                 the German Primate Center and one of the authors of
    studied for their morphology, behavior and ecology.                 the study. “We were also able to identify genetic traits
    So far, however, little has been known about their ge-              that could not be assigned to any of the baboon species
    netic adaptations and evolutionary history.                         living today, indicating that gene flow from an extinct
                                                                        baboon lineage, a so-called ghost line occurred.”
    To investigate these questions in detail, the researchers
    sequenced the complete genomes of the six species. By               Hybridization between baboon species can still be ob-
    comparing the genomes and applying different phy-                   served today in areas where species’ ranges meet. Since
    logenetic tree models, the scientists detected that, in             baboons evolved in the same sub-Saharan habitats as
    addition to speciation by lineage splitting, speciation             humans about two million years ago, they provide an
    by hybridization and associated gene exchange also                  excellent analogous model for the evolutionary history
    occurred.                                                           of the genus Homo, of which modern humans are the
                                                                        only species which has survived.
    “The Kinda baboon, a species of baboon endemic to
    southern Africa, is most likely a product of the fusion             “Our colleagues at the Max Planck Institute for Evo-
    of two ancestral baboon lineages,” explains Christian               lutionary Anthropology in Leipzig and in other labo-
                                                                        ratories have already shown that modern humans
                                                                        hybridized with other species such as Neanderthals
                                                                        or Denisovans,” summarizes Dietmar Zinner, scientist
                                                                        in the Cognitive Ethology Laboratory at the DPZ and
                                                                        also one of the authors. “In contrast to humans, whose
                                                                        sister species are now extinct, hybridization and ge-
                                                                        netic exchange among baboon species can still be
                                                                        studied today. This gives us a better understanding of
                                                                        the evolution of our own species”.

                                                                        Baboons are not only a model for hybridization studies.
                                                                        They also serve as an excellent comparative model for
                                                                        studies of the impact of historical climate and environ-
                                                                        mental changes on the evolution of savannah primates,
                                                                        including humans.

                                                                        Original publication
    Weiblicher (links) und männlicher (rechts) Mantelpavian (Papio
    hamadryas) in der Küstenwüste Eritreas.     Hamadryas baboons       Rogers J. et al. (2019): The comparative genomics and
    (Papio hamadryas), male (right) and female (left), in the coastal   complex population history of Papio baboons. Sci Adv
    desert of Eritrea. Photo: Dietmar Zinner                            5: eaau6947.

8   DPZ aktuell, Februar 2019
Ausgabe 1/2019 - MERS: Deutsches Primatenzentrum
Highlights aus der Forschung

Weiblicher Zwergschimpanse (Pan paniscus) mit Jungtier in freier Wildbahn. Foto: Gudkov Andrey, Shutterstock.com

Molekulare Detektivarbeit
Wissenschaftler der Abteilung Infektionsbiologie weisen Papillomvirus-
Infektion bei einem Zwergschimpansen nach

Papillomviren sind kleine, membranlose Viren, die über            Affen, Vögel und Reptilien. Im Jahr 1987 kam es im
direkten Hautkontakt und Geschlechtsverkehr übertra-              Antwerpener Zoo innerhalb einer Zwergschimpan-
gen werden. Eine Infektion kann zur Bildung von Warzen            senkolonie (Pan paniscus) zu einem Ausbruch einer
bis hin zur Entstehung von Krebs führen. Man unterteilt           fokalen epithelialen Hyperplasie, kurz FEH. Bei die-
die Papillomviren des Menschen (humane Papillomvi-                ser Erkrankung bilden sich warzenartige Papeln an
ren, HPVs) daher auch in Niedrigrisiko- und Hochrisiko-           der Lippen- und Mundschleimhaut. FEH war zuvor
Viren. Eine Infektion mit Niedrigrisiko-Viren (zum Bei-           bereits bei Eskimos und Indianern in Mittelamerika
spiel HPV6 und HPV11) führt in der Regel zu gutartigen            beobachtet wurden und es war bekannt, dass HPV13
Hautveränderungen, während Hochrisiko-Viren (zum                  für die Erkrankung verantwortlich ist. Bei dem Ant-
Beispiel HPV16 und HPV18) bösartige Geschwüre, wie                werpener FEH-Ausbruch wurde ein dem HPV13-
beispielsweise Gebärmutterhalskrebs, auslösen kön-                verwandtes Virus mit 85 Prozent Genomähnlichkeit
nen. Der deutsche Forscher Harald zur Hausen hat eine             entdeckt, welches aufgrund seines Vorkommens in
Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs entwickelt und                 Zwergschimpansen als Pan paniscus-Papillomvirus 1
wurde dafür 2008 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.                (PpPV1) bezeichnet wurde.

Neben den vielen Papillomviren des Menschen exis-                 Im Winter 2017 erhielt das diagnostische Labor der
tieren auch solche, die Tiere infizieren, darunter                Abteilung Infektionsbiologie am DPZ vom Zoo Leipzig

                                                                                                   DPZ aktuell, Februar 2019   9
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Highlights aus der Forschung

     Biopsiematerial aus der Mundhöhle eines männli-
     chen Zwergschimpansen zur Abklärung einer viralen
     Infektion. Das Tier hatte Probleme bei der Nahrungs-
     aufnahme und der Tierarzt des Zoos hatte geschwür-
     artige Veränderungen an der Mundschleimhaut fest-
     gestellt. „Nach Rücksprache mit dem Kollegen am
     Zoo Leipzig und Sichtung von Bildmaterial hatten
     wir den Anfangsverdacht, dass es sich hier um eine
     Papillomvirus-Infektion handelt“, sagt Artur Kaul,
     Leiter des diagnostischen Labors der Abteilung Infek-
     tionsbiologie. Die Infektionsforscher begannen mit
     der Suche nach dem Erreger und die molekularbio-
     logische Detektivarbeit führte rasch zu einem Ergeb-
     nis. „Mittels einer Polymerasekettenreaktion (PCR),
     die für den spezifischen Nachweis der genetischen
     Information von Papillomviren konzipiert wurde,             Dr. Artur Kaul, Leiter des diagnostischen Labors der Abteilung
     konnten wir einen Papillomvirus im Biopsiematerial          Infektionsbiologie. Foto: Karin Tilch
     nachweisen“, bestätigt der Infektionsbiologe Markus
     Hoffmann.                                                   Jahre nach der initialen Infektion noch nachgewiesen
                                                                 werden konnte und FEH diagnostiziert wurde, lässt
     Zwar war der Erreger damit identifiziert, doch die In-      darauf schließen, dass sich in einigen Tieren die Krank-
     fektionsbiologen waren noch lange nicht fertig. „Ob-        heit auch nach langen Zeiträumen nicht zurückbildet“,
     wohl unsere Arbeit als Diagnostiker erledigt war, war       sagt Stefan Pöhlmann, Leiter der Abteilung Infektions-
     unser Interesse als Wissenschaftler nun geweckt und         biologie am DPZ und führt weiter aus: „Die gefunde-
     wir wollten genau wissen, mit welchem Papillomvirus         nen Sequenzunterschiede der PpPV1-Genome von
     wir es hier zu tun hatten“, ergänzt Markus Hoffmann.        1987 und 2017 können zudem ein Zeichen dafür sein,
     Mit molekularbiologischen Methoden analysierten             dass das betroffene Tier mindestens zwei Infektionen
     die Wissenschaftler das komplette Virusgenom. Sie           mit unterschiedlichen Varianten von PpPV1 durchge-
     fanden heraus, dass die Erbinformation des diagnos-         macht hat. Alternativ dazu ist es möglich, dass der
     tizierten Virus zu einem hohen Grad mit dem Genom           initiale Erreger innerhalb der letzten 30 Jahre seine
     des PpPV1 aus dem Antwerpener FEH-Ausbruch über-            genetische Information mit einer für Papillomviren
     einstimmte. Nach Rücksprache mit den Verantwortli-          untypisch hohen Rate verändert hat.“
     chen vom Zoo Leipzig stellte sich zudem heraus, dass
     das betroffene Tier aus dem Bestand des Antwerpener              Markus Hoffmann, Artur Kaul, Stefan Pöhlmann
     Zoos stammte und Teil der Gruppe war, bei der es in
                                     den späten 1980ern          Originalpublikation
                                     zum     FEH-Ausbruch
                                     kam.                        Hoffmann M, Schütze E, Bernhard A, Schlaphoff L,
                                                                 Kaul A, Schöniger S, Pöhlmann S (2019): Disease Ma-
                                        Vor diesem Hinter-       nifestation and Viral Sequences in a Bonobo More
                                        grund war es überra-     Than 30 Years after Papillomavirus Infection. Patho-
                                        schend, dass die Ge-     gens 8(1): 13.
                                        nome der zwei Viren
                                        an insgesamt 23 Posi-
                                        tionen Unterschiede
                                        aufwiesen, da sich das
                                        Genom von Papillom-
     Für fokale epitheliale Hyperpla-
     sie typische Wucherungen in der
                                        viren typischerweise
     Mundschleimhaut.                   kaum verändert. „Die
     Foto: Andreas Bernhard, Zoo        Tatsache, dass PpPV1
     Leipzig.                           in diesem Tier über 30

10   DPZ aktuell, Februar 2019
Highlights aus der Forschung

Nahaufnahme eines Nilflughundes (Rousettus aegyptiacus). Foto: Seregraff/Shutterstock.com

Fang mich doch!
Wie das Protein Tetherin zur Bekämpfung von hochpathogenen Viren beitragen kann

Das Ebola-Virus löst eine schwere und oftmals tödlich            weise werden diese Tiere nicht krank und Forscher ver-
verlaufende Krankheit aus. Ausbrüche wurden über                 muten, dass die angeborene Immunantwort der Tiere
Jahrzehnte ausschließlich in abgelegenen Regionen                besonders potent ist und daher hochpathogene Viren
in Zentralafrika beobachtet. Dieses Bild änderte sich            kontrollieren kann. Dazu gehört neben dem Ebola-
schlagartig, als es zwischen 2013 und 2016 zu einer              Virus und dem eng verwandten Marburg-Virus auch
Ebola-Epidemie in Westafrika kam. Dabei waren zum                das Nipah-Virus, das eine Entzündung des Gehirns
ersten Mal dicht besiedelte Städte betroffen und es              auslöst und in Südostasien verkommt.
wurden fast 30.000 Infektionen und über 11.000
Todesfälle gezählt. Aufgrund der Schwere der Erkran-             Das Interferon (IFN)-System ist eine wichtige Kompo-
kung, der hohen Übertragbarkeit sowie dem Fehlen                 nente der angeborenen Immunantwort. Sensoren des
von Impfstoffen und Medikamenten stellt das Ebola-               IFN-Systems erkennen eindringende Erreger und ver-
Virus ein hohes Gefährdungspotential für die Bevöl-              anlassen die Bildung von Proteinen, die die Ausbrei-
kerung vieler afrikanischer Länder dar. Neben dem                tung der Erreger bekämpfen. Eines dieser Proteine ist
Menschen sind auch nicht-menschliche Primaten von                Tetherin. „Aufgrund seiner einzigartigen Struktur kann
Ebola betroffen. So haben Ausbrüche der Krankheit in             Tetherin sich sowohl in der Wirtszellmembran als auch
der Vergangenheit viele Schimpansen- und Gorillabe-              in der Virushülle verankern und somit Viren an der Zell-
stände dramatisch reduziert.                                     oberfläche festhalten“, erklärt Markus Hoffmann, Wis-
                                                                 senschaftler in der Abteilung Infektionsbiologie am
Es wird angenommen, dass das Ebola-Virus von afri-               DPZ. Die Wissenschaftler um Markus Hoffmann haben
kanischen Flughunden und Fledermäusen (Fledertie-                daher untersucht, ob Tetherin zur Kontrolle der Ebola-
re) auf den Menschen übertragen wird. Erstaunlicher-             Virus-Infektion in Fledertieren beitragen kann.

                                                                                              DPZ aktuell, Februar 2019     11
Highlights aus der Forschung

     Ihre Arbeit, die im Journal of Virology erschien, zeigt,             dass Antikörper gegen das Ebola-Virus ihre Wirkung
     dass Tetherin von Fledertieren eine starke antivirale                verlieren und gleichzeitig Makrophagen, wichtige
     Aktivität aufweist und im Vergleich zum Tetherin des                 Immunzellen, in ihrer Arbeit gestört werden. Die Frei-
     Menschen nicht wirksam durch das Glykoprotein des                    setzung dieser Partikel wird jedoch durch Tetherin blo-
     Ebola-Virus gehemmt werden kann. Trägt Tetherin also                 ckiert, so dass Tetherin indirekt zur Bekämpfung der
     zur Kontrolle der Virus-Ausbreitung in Zellen von Fleder-            Ebola-Virus-Infektion beiträgt. „Die zusammen mit
     tieren bei? Versuche in einem Hochsicherheitslabor, die              den Tübinger Kollegen durchgeführten Arbeiten zei-
     von Kollegen an der Universität Marburg durchgeführt                 gen, dass Tetherin sowohl die Freisetzung von Viren als
     wurden, zeigten, dass Tetherin nur einen moderaten                   auch von Täuschkörpern blockieren und daher die Vi-
     Beitrag zur Kontrolle der Ebola-Virus-Ausbreitung durch              rus-Infektion auf mehreren Wegen bekämpfen kann.
     das IFN-System leistet. Im Gegensatz dazu war Tetherin               Tetherin von Fledertieren war dabei besonders gut in
     für die Kontrolle der Nipah-Virus-Ausbreitung durch IFN              der Lage, die Freisetzung der Täuschkörper zu verhin-
     essentiell. „Unsere Forschungen liefern Hinweise da-                 dern und könnte auf diese Weise dazu beitragen, dass
     rauf, dass Tetherin zur Kontrolle von hochpathogenen                 Fledertiere nicht erkranken“, sagt Stefan Pöhlmann.
     Viren in Fledertieren, dem vermutlichen natürlichem
     Reservoir, wesentlich beitragen kann, indem es die Frei-                                 Markus Hoffmann, Stefan Pöhlmann
     setzung von Viren aus infizierten Zellen hemmt. Seine
     Wirkung ist jedoch Virus-spezifisch“, erklärt Stefan Pöh-            Originalpublikationen
     lmann, Leiter der Abteilung Infektionsbiologie.
                                                                          Hoffmann M, Nehlmeier I, Brinkmann C, Krähling V,
     Zusammen mit dem Labor von Michael Schindler,                        Behner L, Moldenhauer AS, Krüger N, Nehls J, Schindler
     Universitätsklinikum Tübingen, haben die Infektions-                 M, Hoenen T, Maisner A, Becker S, Pöhlmann S (2019):
     biologen außerdem untersucht, ob Tetherin die Ebola-                 Tetherin Inhibits Nipah Virus but Not Ebola Virus Repli-
     Virus-Infektion auf andere Weise beeinflussen kann,                  cation in Fruit Bat Cells. J Virol 93(3): e01821-18.
     ohne direkt mit der Freisetzung neuer Viren zu inter-
     ferieren. Die gemeinsamen Arbeiten, die im Journal                   Nehls N, Businger R, Hoffmann M, Brinkmann C, Feh-
     Cell Reports publiziert wurden, demonstrieren, dass                  renbacher B, Schaller M, Maurer B, Schönfeld C, Kra-
     dies der Fall ist: Die Forscher fanden heraus, dass das              mer D, Hailfinger S, Pöhlmann S, Schindler M (in press):
     Ebola-Virus-Glykoprotein in nicht-infektiöse Virus-Par-              Release of Immunomodulatory Ebola Virus Glycopro-
     tikel eingebaut wird, die als virusähnliche Täuschkör-               tein-Containing Microvesicles Is Suppressed by Tethe-
     per für das Immunsystem fungieren und dazu führen,                   rin in a Species-Specific Manner. Cell Reports

                          Nipah-Virus                                                           Ebola-Virus

     Tetherin (orange) hemmt effizient die Freisetzung des Nipah-Virus, aber nicht des Ebola-Virus aus infizierten Zellen.
     Abbildung: Markus Hoffmann

12   DPZ aktuell, Februar 2019
Wissenschaftspolitik

Prof. Rainer Nobiling, Universität Heidelberg, (links) und Prof. Stefan Treue, DPZ, bei der Pressekonferenz zur Veröffentlichung der Ver-
suchstierzahlen 2017 am 21. Dezember 2018 in Berlin. Foto: Martin Schleinhege

Forschung mit Tieren wird effizienter
DPZ-Direktor Stefan Treue erläuterte aktuelle Versuchstierzahlen

Die Initiative „Tierversuche verstehen“ hatte am 21.                  teil an Versuchstieren.“ So stiegen etwa allein die Aus-
Dezember 2018 zu einer Pressekonferenz im Berliner                    gaben des Bundes für die Gesundheitsforschung seit
Wissenschaftsforum eingeladen, um über die vom                        dem Jahr 2010 jedes Jahr um durchschnittlich rund
Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft                    sechs Prozent, zuletzt auf 2,42 Milliarden Euro im Jahr
(BMEL) veröffentlichten Versuchstierzahlen 2017 zu                    2017, so Treue. Stabile Zahlen von Versuchstieren sei-
diskutieren. Ihre Einschätzung zu den Zahlen gaben                    en auch international zu beobachten. Die Trends sei-
Stefan Treue, Direktor des DPZ und Sprecher der Initia-               en in der ganzen EU ähnlich, machte Rainer Nobiling,
tive, und Rainer Nobiling, Physiologe und langjähriger                Universität Heidelberg, deutlich.
Tierschutzbeauftragter der Universität Heidelberg.
                                                                      Zu wenig Bemühen um Transparenz
Als „positive Entwicklung“ wertete Treue die aktuel-
len Versuchstierzahlen. Sie waren 2017 leicht um 1,7                  Zugleich bedauerte Treue den Zeitpunkt der Veröffent-
Prozent auf 2.807.297 Tiere zurückgegangen, im Jahr                   lichung der Versuchstierzahlen kurz vor Weihnachten.
2016 waren es noch 2.854.586 Tiere. Treue hob bei                     „Viele Zahlen sind schwer verständlich, wenn sie nicht
der Pressekonferenz hervor, dass die Zahlen der Ver-                  erläutert werden. Daraus entstehen viele Missverständ-
suchstiere seit Jahren stagnieren, obwohl der Umfang                  nisse, wie man an der Berichterstattung in der Presse
der biomedizinischen Forschung in Deutschland kon-                    sehen konnte“, sagte Treue. Die bisher letzte Pressekon-
tinuierlich ansteigt. „Die biomedizinische Forschung                  ferenz seitens des zuständigen Ministeriums im Jahr
geht immer sparsamer mit Versuchstieren um“, sagte                    2003 liege nun 15 Jahre zurück. Bis auf die Pressekonfe-
Stefan Treue. „Sie leistet ihren Beitrag zu einem stetig              renz der Initiative „Tierversuche verstehen“, habe es ak-
wachsenden Forschungsfeld mit einem sinkenden An-                     tuell kein Bemühen gegeben, für mehr Transparenz zu

                                                                                                          DPZ aktuell, Februar 2019         13
Wissenschaftspolitik

       Zahl der Versuchstiere 2017 leicht gesunken

       In Deutschland wurden im Jahr             Mäuse, Ratten und Fische sind              Belastungen verbunden (2016: 63
       2017 geringfügig weniger Ver-             mit einem Anteil von insgesamt             Prozent), während etwa 27 Prozent
       suchstiere eingesetzt als im Jahr         90 Prozent weiterhin die mit Ab-           der Tierversuche mit mittlerer oder
       zuvor. Ihre Zahl sank um 1,7 Pro-         stand am häufigsten eingesetzten           schwerer Belastung (sechs Prozent)
       zent auf 2.807.297 Tiere. Im Jahr         Versuchstiere. Mit einer Gesamt-           einhergingen. Rund neun Prozent
       2016 waren noch 2.854.586 Tiere           zahl von 3.513 Tieren ist die Ver-         der Tiere wurden unter Vollnarkose
       in Versuchen eingesetzt worden.           wendung von Affen 2017 im Ver-             getötet, zum Beispiel zur Organ-
       In den veröffentlichten Zahlen ein-       gleich zum Vorjahr (2.462) zwar            und Gewebeentnahme, auch für
       geschlossen sind 2.068.813 Tiere,         gestiegen, aber diese Schwankung           Zellkulturen, also die Entwicklung
       die in Tierversuchen verwendet            liegt in der Bandbreite der Abwei-         und Nutzung von Alternativme-
       wurden, und 738.484 Tiere, die            chungen in der Vergangenheit. Sie          thoden.
       ohne Versuchseingriffe für wis-           kommt zustande durch den Ein-
       senschaftliche Zwecke getötet             satz von Primaten für gesetzlich           Für das Jahr 2017 sollen noch zu-
       wurden, zum Beispiel zur Entnah-          vorgeschriebene Sicherheitsprü-            sätzlich die Zahlen für Tiere ver-
       me von Organen. Der Anteil der            fungen von potentiellen Medika-            öffentlicht werden, die gezüchtet
       Versuchstiere, die der Grundlagen-        menten und anderen Substan-                und in Forschungseinrichtungen
       forschung zugerechnet werden,             zen. Primaten machten 2017 nur             gehalten, aber nicht in Tierversu-
       betrug gut eine Million Tiere (37         0,13 Prozent aller Tierversuche            chen eingesetzt wurden. Diese An-
       Prozent). Ein Fünftel (20 Prozent)        aus. Weiter rückläufig ist Zahl von        gaben werden ab 2018 dann alle
       der Tiere wurde für gesetzlich vor-       Hunden und Katzen mit 0,1 Pro-             fünf Jahre veröffentlicht. Institute
       geschriebene Sicherheitstests von         zent.                                      und Einrichtungen, die Tierversu-
       Chemikalien oder neuen Medika-                                                       che durchführen, haben die Zahlen
       menten eingesetzt, zum Beispiel           Auf dem Niveau der Vorjahre blie-          für Zucht und Haltung nach dem
       gegen Volkskrankheiten wie Dia-           ben auch die Belastungen der Ver-          deutschen Tierschutzgesetz bereits
       betes, Krebs, Demenz, Herz-Kreis-         suchstiere, die durch die Tests her-       in der Vergangenheit erhoben. Sie
       lauf-Erkrankungen,      Infektionen       vorgerufen wurden. 2017 waren 59           wurden bisher allerdings nicht amt-
       und Immunerkrankungen.                    Prozent der Versuche mit geringen          lich erfasst.

        Anzahl der in der Forschung verwendeten Versuchstiere von 2001 bis 2017. Grafik: Tierversuche verstehen.

14   DPZ aktuell, Februar 2019
Wissenschaftspolitik

Prozentualer Anteil der in der Forschung verwendeten Tierarten im Jahr 2017. Quelle: Versuchstierzahlen 2017 – Statistik des Bundes-
amtes für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), Grafik: Tierversuche verstehen

sorgen, hob Treue hervor. Aber nur mit Erläuterungen                der Wissenschaft meistens themenzentriert an For-
ließen sich die Zahlen interpretieren. Nur so werde der             schungsfragen und nicht methodenzentriert geforscht
langjährige kontinuierliche Rückgang der Versuchstier-              werde. Die Entwicklung neuer Methoden geschehe
zahlen bei Katzen und Hunden sichtbar und verständ-                 häufig während des Bearbeitens von Forschungsfra-
lich. Auch der Anstieg des Anteils genetisch veränderter            gen und baue auf Erkenntnissen der Grundlagenfor-
Tiere müsse erläutert werden, ebenso wie die jährli-                schung auf. Dies zeige etwa das Beispiel der induzier-
chen Schwankungen bei den insgesamt sehr niedrigen                  ten pluripotenten Stammzellen (iPSC), die heute für
Zahlen der Primaten in der Forschung.                               verschiedene Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum
                                                                    Einsatz kommen.
Wie lassen sich die Zahlen reduzieren?
                                                                    Beide Forscher waren sich einig, dass Maßnahmen, die
Auf die Frage, ob mehr finanzielle Mittel für die Ent-              eine reine Senkung der Gesamtzahl der verwendeten
wicklung von Alternativmethoden die Zahl der Ver-                   Tiere als oberste Maxime hätten, weder der Forschung
suchstiere verringern könnte, sagte der Forscher, dass              noch dem Tierschutz zu Gute kämen, da die Forschung
neue wissenschaftliche Methoden üblicherweise im                    dann in andere Länder verlagert werden müsste. Dem
Rahmen von Grundlagenforschung erarbeitet werden,                   Tierschutz sei am besten gedient, wenn das 3R-Prinzip
ohne dass es für die Methodenentwicklung eine expli-                konsequent umgesetzt wird. „Die Zahlen zeigen, dass
zite Förderung gebe. Zum Beispiel würden inzwischen                 das 3R-Prinzip spürbar greift“, betonte Treue. „Es wird
bildgebende Verfahren als Alternativ- und Ergänzungs-               in der Wissenschaft täglich gelebt. Das schlägt sich
methoden zum Tierversuch vielfältig eingesetzt, ohne                auch in den stabilen Versuchstierzahlen bei wachsen-
dass es für deren Entwicklung in nennenswertem Um-                  dem Forschungsumfang nieder.“
fang spezielle Förderprogramme gegeben hätte, be-
richtete Treue. Da dies für die Methodenentwicklung
insgesamt gälte, verkenne eine pauschale Kritik an zu
geringer Förderung für Alternativmethoden zu Tierver-
suchen diese Zusammenhänge, sagte Treue. Bundes-
weit bestehen verschiedene Förderungsmöglichkeiten
zur Entwicklung von Alternativmethoden. Das BMEL
hat nach eigenen Angaben innerhalb der letzten 30
Jahre über 500 Forschungsprojekte mit rund 170 Mil-
lionen Euro finanziert und schreibt seit 2001 jährlich
einen Tierschutzforschungspreis aus. Auch die meisten
Bundesländer bieten eine Förderung für Alternativ-
methoden und die Deutsche Forschungsgemeinschaft
(DFG) vergibt den Ursula M. Händel-Tierschutzpreis,                 Vergleich der Versuchstierzahlen und der Ausgaben des Bundes
um die Entwicklung von alternativen Verfahren zu för-               für Gesundheitsforschung von 2009 bis 2017.
dern. Der Physiologe Rainer Nobiling ergänzte, dass in              Grafik.: Tierversuche verstehen

                                                                                                      DPZ aktuell, Februar 2019        15
Veranstaltungen

     Großen Andrang gab es bei der Nacht des Wissens 2019 an den Stationen des DPZ. Hier probieren Besucher gerade den elektro-
     magnetischen Datenhandschuh aus. Foto: Karin Tilch

     DPZ erfolgreich bei der vierten
     Nacht des Wissens
     Rund 7.000 Besucher informierten sich über die Primatenforschung

     Am 26. Januar 2019 stand Göttingen einmal wieder               Am Stand der Infektionsforscher probierten die Besu-
     ganz im Zeichen der Wissenschaft. Die Universität und          cher echte Sicherheitskleidung an, übten das richtige
     alle wissenschaftlichen Einrichtungen der Stadt hatten         Umgehen mit der Pipette und staunten beim Anblick
     die Öffentlichkeit zur vierten Nacht des Wissens ein-          von Zellen unterm Mikroskop. Der Nies-O-Mat veran-
     geladen. Sieben Stunden, von 17 Uhr bis Mitternacht,           schaulichte, wie viele Keime so ein einfacher Nieser in
     konnten die wissbegierigen Besucher durch Mikrosko-            die Welt schleudert: Auf die Gummihandschuhe der
     pe schauen, Virtual-Reality-Brillen ausprobieren oder          Testbenutzer sprühten DPZ-Mitarbeiter eine „Nieser-
     sich von der Physik-Show begeistern lassen. Auch das           Ersatzflüssigkeit“. Scheinbar blieben die Handschuhe
     DPZ war wieder mit dabei. Das Institut präsentierte            im normalen Tageslicht sauber. Im Schwarzlicht des
     sich wie bereits 2017 im Zentralen Hörsaalgebäude am           Nies-O-Mat allerdings sah man sofort, wie schmutzig
     Platz der Göttinger Sieben und wurde von der großen            die Handschuhe tatsächlich waren. Nebenbei lernten
     Anzahl interessierter Besucher schier überwältigt.             die kleinen und großen Besucher mit einem Steckspiel,
                                                                    welche Krankheitserreger verschiedene Wirtstiere oder
     Die einzelnen DPZ-Stationen boten viele Mitmachakti-           Menschen befallen und erfuhren, wie die DPZ-Infekti-
     onen und Vorführungen für Groß und Klein. Mit einem            onsforscher den Eintritt von Viren in die Zellen verhin-
     Forscherpass konnten zahlreiche „Jungforscher“ auf             dern wollen.
     Entdeckungsreise durch Infektionsforschung, Neuro-
     wissenschaften und Primatenbiologie gehen. Zu je-              Die Verhaltensforscher luden die Besucher zu einem
     dem der drei Themenbereiche gab es eine Quizfrage,             Rundgang durch die Forschungsstation Simenti im Se-
     deren richtige Beantwortung mit einem Stempel be-              negal ein. Über eine interaktive Multimediaplattform
     lohnt wurde. Mit vollständig ausgefülltem Forscher-            konnten sie sich durch Fotos und Videos klicken und da-
     pass konnte dann in der Fotobox ein Erinnerungsfoto            bei Guineapaviane in der senegalesischen Savanne be-
     gemacht werden.                                                obachten und den Forschern bei ihrer Arbeit im Freiland

16   DPZ aktuell, Februar 2019
Veranstaltungen

über die Schulter schauen. Neben der Freilandforschung            Wie Magnetresonanztomografie funktioniert und wie
präsentierten die Wissenschaftler den Besuchern auch              man damit die Funktion von Organen untersuchen
ihre Forschung zur Kognition bei Affen. Ein interaktiver          kann, lernten die Besucher am Stand der Funktionel-
Selbsttest veranschaulichte, welche Rolle die Form der            len Bildgebung. Die Forschungsplattform Degenera-
Konkurrenz bei unseren Handlungen spielt und wie so-              tive Erkrankungen erklärte, was Stammzellen alles
ziale Vergleiche bei Javaneraffen untersucht werden.              können und wie man sie zur Züchtung von Herzmus-
                                                                  kelzellen einsetzen kann.
Großer Andrang herrschte auch an den Stationen der
Neurowissenschaftler. Wer wissen wollte, wie sich un-             „Die Nacht des Wissens ist eine tolle Möglichkeit, un-
ser Gehirn an neue Situationen anpasst, konnte das mit            ser Institut und unsere Arbeit der Öffentlichkeit vor-
Prismenbrillen spielerisch testen. Mit einer Brille, die          zustellen“, fasst DPZ-Direktor Stefan Treue zusammen.
das Sichtfeld um 30 Grad nach rechts versetzte, durften           „Das Interesse und die Diskussionsfreudigkeit der vie-
die Besucher versuchen, eine Dartscheibe zu treffen.              len Besucher haben uns sehr gefreut und motiviert.
Nach einigen missglückten Versuchen, passte sich das              Wir hatten alle viel Spaß und auch bei den Gästen war
Gehirn an die Situation an und die Pfeile trafen wieder.          die Stimmung toll.“
In einem zweiten Versuch kam eine Brille zum Einsatz,
die das Sichtfeld umkehrte. Das Nachzeichnen eines                Eine Bildergalerie mit Impressionen
Sterns mit der Brille klappte nur noch mäßig. Die Wis-            der Nacht des Wissens finden Sie hier.
senschaftler zeigten so den Besuchern, wo die Adapta-
tion unseres Gehirns ihre Grenzen hat. Mit einem elek-
tromagnetischen Datenhandschuh, der alle Finger- und
Greifbewegungen am Computer aufzeichnet, konnten                  Einen Zusammenschnitt der schöns-
die Besucher „Montagsmaler“ spielen und nebenbei                  ten Momente finden Sie auch in unse-
herausfinden, wie verschiedene Grifftypen analysiert              rem Youtube-Video.
werden und wie eine Hand im virtuellen Raum reagiert.

Verstärkt Konkurrenz die eigene Leistung? Beim interaktiven       Was gibt es da zu sehen? Um einen Blick durchs Mikroskop zu
Selbstest konnten die Besucher, ähnlich wie die Javaneraffen in   erhaschen, war für die Kleinen kein Hindernis zu groß.
den Kognitionstests, gegeneinander antreten.                      Foto: Karin Tilch
Foto: Susanne Diederich

Bei diesem Computer-basierten Test, muss man sich für die ge-     Bitte lächeln! Für die Jungforscher gab es ein Foto in der Foto-
naue Richtung einer Bewegung entscheiden. Foto: Stafan Treue      box. Foto: Karin Tilch

                                                                                                    DPZ aktuell, Februar 2019        17
Veranstaltungen

     DPZ-Geschäftsführer Michael Lankeit, Dr. Pooja Viswanathan, Prof. Eberhard Fuchs, Vorsitzender des DPZ-Förderkreises, Prof. Rabea Hin-
     kel, DPZ-Direktor Prof. Stefan Treue, Bürgermeisterin Helmi Bebehani und Dr. Dr. Gerhard Steif, Präsident der Stiftung Tierärztliche Hoch-
     schule Hannover (von links). Foto: Karin Tilch

     Herzinsuffizienz und Zahlenverständnis
     Antrittsvorlesung von Rabea Hinkel und Verleihung des DPZ-Förderpreises 2018

     Am späten Nachmittag des 19. November 2018 war                         häufigsten Todesursachen in Deutschland, beson-
     es voll im DPZ-Hörsaal, viele Mitarbeiterinnen und                     ders betroffen sind Menschen mit hohem Blutdruck
     Mitarbeiter sowie Gäste waren gekommen, um eine                        oder Diabetes.
     Doppelveranstaltung zu erleben: Rabea Hinkel be-
     richtete in ihrer Antrittsvorlesung darüber, wie sie                   „Neue Therapieansätze für Risikogruppen“
     der Herzinsuffizienz den Schrecken nehmen will und
     Pooja Viswanathan erläuterte ihre Erkenntnisse über                    Hinkel will herausfinden, wie diese Risikofaktoren die
     das Zahlenverständnis von Primaten, die ihr den DPZ-                   gefährliche Herzschwäche beeinflussen und auf die-
     Förderpreis 2018 beschert hatten.                                      ser Basis neue Therapien entwickeln, auch durch Stu-
                                                                            dien an Primaten. „Mit meiner Forschung möchte ich
     Die Veranstaltung begann mit einem Vortrag von                         präventiv eingreifen und neue Therapieansätze für
     Rabea Hinkel. Die Tierärztin mit kardiologischem                       Risikogruppen entwickeln“, sagte Rabea Hinkel. „Da-
     Schwerpunkt ist seit Juli 2018 Professorin für Ver-                    für möchte ich in den nächsten Jahren ein Modell für
     suchstierkunde, gemeinsam berufen von der Tier-                        die Herzinsuffizienz an nicht-menschlichen Primaten
     ärztlichen Hochschule Hannover (TiHo) und dem                          etablieren.“ Affen eignen sich dafür besonders gut,
     Deutschen Primatenzentrum, wo sie die gleichna-                        da ihr Herz-Kreislaufsystem dem menschlichen sehr
     mige Abteilung leitet. Rabea Hinkel hat sich große                     ähnlich ist. Gemeinsam mit ihrem derzeit neunköpfi-
     Ziele gesetzt, sie will mit ihrer Forschung dazu bei-                  gen Team will Hinkel ein funktionierendes Therapie-
     tragen, neue Behandlungsansätze für Herzkrank-                         modell entwickeln und in die präklinische Forschung
     heiten zu entwickeln. Ein relevantes Thema, Herzin-                    bringen, damit es letztendlich beim Patienten einge-
     suffizienz ist laut Statistischem Bundesamt eine der                   setzt werden kann.

18   DPZ aktuell, Februar 2019
Veranstaltungen

„Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch         dert. Die Auszeichnung ist mit einem sechsmonati-
erforschen“                                             gen Stipendium an einem Forschungsinstitut eigener
                                                        Wahl und einem Geldbetrag in Höhe von 1000 Euro
An der TiHo Hannover wird die Weiterentwicklung         verbunden, der von der Firma Euroimmun, Lübeck,
und Verbesserung von tierexperimenteller Forschung      gestiftet wird.
im Mittelpunkt von Hinkels Arbeit stehen. „Wir wer-
den schwerpunktmäßig Ersatz- und Ergänzungsme-          Wie der Sinn für Zahlen funktioniert
thoden zum Tierversuch erforschen“, sagte sie. „Da-
bei werden wir in vitro-Versuche nicht nur anwenden,    Wenn wir uns eine Schale mit Äpfeln anschauen,
sondern auch weiterentwickeln. Mein Ziel ist es, die    haben wir ein Gefühl dafür, wie viele Früchte wir
Belastungen für die Tiere so weit wie möglich zu re-    sehen, ohne dass wir sie vorher zählen. Dieser Zah-
duzieren und die Versuche zunehmend mit Alterna-        lensinn erlaubt es bereits kleinen Kindern und auch
tivmethoden zu ersetzen.“                               Tieren, Anzahlen intuitiv einzuschätzen. Wie dieser
                                                        Prozess auf der Ebene der Nervenzellen im Gehirn
Im Anschluss an die Antrittsvorlesung wurde Pooja       umgesetzt wird, hat Pooja Viswanathan an Rhesus-
Viswanathan mit dem DPZ-Förderpreis 2018 ausge-         affen untersucht. Sie fand heraus, dass Primaten
zeichnet. Die indische Neurowissenschaftlerin hat       einen früh entwickelten Zahlensinn besitzen, der
ihre Promotion in der Abteilung Neurobiologie an        nicht erlernt werden muss. Er ist jedoch nicht starr,
der Universität Tübingen angefertigt. Dabei ging        die Nervennetzwerke des Zahlensinns können durch
es um das Zahlenverständnis von Primaten. „Frau         Lernen und Erfahrung verbessert werden.
Viswanathan hat eine exzellente wissenschaftli-
che Arbeit angefertigt, die ein ungewöhnlich brei-      Seit Juni 2018 arbeitet Pooja Viswanathan als
tes Methodenspektrum zeigt und dazu beiträgt, die       Postdoktorandin im Laboratory of Neural Systems
Verarbeitungsprozesse des Gehirns im Bereich des        an der New Yorker Rockefeller University. „Der För-
Zahlensinns besser zu verstehen“, begründete der        derpreis des DPZ unterstützt meine derzeitige
Wissenschaftliche Beirat des DPZ seine Wahl. Der        Forschung im Bereich des sozialen Gedächtnisses“,
DPZ-Förderpreis ist einer der höchstdotierten Preise    sagte Viswanathan.
für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissen-
schaftler in Deutschland. Er wird vom Förderkreis des   Nach den beeindruckenden Vorträgen gab es beim
DPZ verliehen, einem gemeinnützigen Verein, der die     anschließenden Empfang noch ausreichend Gelegen-
Forschung über und mit Primaten unterstützt und         heit, um mit den beiden Wissenschaftlerinnen über
junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler för-     ihre Arbeit und ihre Zukunftspläne zu diskutieren.

                                                                                    DPZ aktuell, Februar 2019   19
Veranstaltungen

     Prof. Lutz Walter referiert zum Thema „Immungenetik“ bei der Lehrerfortbildung 2018. Foto: Karin Tilch

     Über neue Arten und böse Gene
     Lehrerfortbildung am DPZ gibt Einblicke in Evolution und Verhalten

     Anfang November 2018 trafen sich 60 forschungs-                    „Eine bestimmte Konstellation von Genen in unserem
     interessierte Lehrerinnen und Lehrer, um sich bei                  Erbgut kann die Wahrscheinlichkeit einiger Erkrankun-
     der alljährlichen Lehrerfortbildung am DPZ über                    gen erhöhen. Das heißt aber nicht, dass wir zwangs-
     neueste wissenschaftliche Ergebnisse und Fort-                     läufig erkranken müssen.“ Dieses Fazit zog Lutz Wal-
     schritte zu informieren. Das Thema „Evolution und                  ter in seinem anspruchsvollen Vortrag zur „Evolution
     Verhalten“ wurde von den Wissenschaftlern der                      des Immunsystems: Viele Wege führen nach Rom und
     Abteilungen Kognitive Ethologie und Primatenge-                    kein Stillstand“. Gespannt lauschten die Zuhörenden
     netik referiert.                                                   den neuesten Forschungsergebnissen zur Funktion
                                                                        von Natürlichen Killerzellen sowie MHC-Klasse-1-Pro-
     „Können Sie das nicht mal denen im Ministerium er-                 teinen im Immunkomplex des Menschen und wel-
     klären, die für Schulbücher und Prüfungsfragen ver-                che Rolle Evolution und genetische Variabilität dabei
     antwortlich sind?“, fragte eine der teilnehmenden                  spielen. Denn eines ist sicher: auch die Evolution der
     Lehrerinnen, nachdem Dietmar Zinner in seinem                      Krankheitserreger steht nicht still.
     Vortrag „Phylogenie und Artkonzept“ erklärt hatte,
     warum das biologische Artkonzept, das eine Art als                 Über Konflikte, die im menschlichen Miteinander
     Fortpflanzungsgemeinschaft definiert, nach heuti-                  entstehen und gelegentlich auch zu Aggressionen
     gen wissenschaftlichen Erkenntnissen problematisch                 führen, haben Lehrer sicherlich einiges zu erzählen.
     ist. Erstaunt erfuhren die Zuhörenden, dass es über                Wie die Kosten-Nutzen-Bilanz von aggressivem Ver-
     25 verschiedene Artkonzepte gibt. Durch genetische                 halten aussieht, das heißt in welchen Situationen
     Untersuchungen konnte nachgewiesen werden, dass                    sich Aggression auch lohnen kann, legte Dietmar
     Kreuzungen, sogenannte Hybridisierungen, zwischen                  Zinner in seinem Vortrag „Aggressionsverhalten“
     Arten viel häufiger vorkommen als bislang angenom-                 dar. Was Aggression mit Genetik zu tun hat und wie
     men. Die Diversität, also die Anzahl der Arten, ist in             Konfliktmanagement bei Primaten aussieht sind nur
     vielen taxonomischen Gruppen höher als erwartet                    zwei der vielen Aspekte, die in dem umfangreichen
     und es zeigten sich neue, überraschende stammesge-                 Vortrag präsentiert wurden. Der Veranstaltungsteil
     schichtliche Beziehungen zwischen Arten.                           endete friedlich mit den Strategien, die auch uns

20   DPZ aktuell, Februar 2019
Veranstaltungen

Menschen in der Konfliktlösung auszeichnen: Ver-        und Videoanalyse („Solomon Coder“) präsentiert, die
söhnung und Kooperation.                                auch in der Schule problemlos eingesetzt werden
                                                        können. Zum Schluß lernten die Zuhörenden noch
Das romantische Bild vom Feldforscher, der mit No-      moderne Techniken der Verhaltensforschung, wie Fo-
tizblock und Bleistift aufschreibt, was er so an Ver-   tofallen, GPS-Halsbänder und Gesichtserkennungs-
halten bei seinen Studienobjekten beobachtet, wur-      software kennen.
de von Kurt Hammerschmidt mit seinem Vortrag
„Methoden der Verhaltensforschung: Erfassung            Nach einem anstrengenden Tag mit viel wissenschaft-
von Tierverhalten mit Computer und Smartphone“          lichem Input fiel das Feedback der Teilnehmerinnen
endgültig zerstört. Die praxisorientierte Einführung    und Teilnehmer ausgesprochen positiv aus. Viele freu-
zeigte zunächst die Grundsätze und Planung einer        ten sich schon auf weitere Lehrerfortbildungsveran-
systematischen Erhebung von Verhaltensdaten auf.        staltungen des DPZ.
Dann wurden den Lehrerinnen und Lehrern zwei
Softwarelösungen für Datenerhebung („Pendragon“)                                               Stefanie Heiduck

 Buchtipp: Der Mensch im Tier

 „Wir Menschen sind den Tieren        beigetragen, gleichzeitig hat sie    Norbert Sachser: Der Mensch im
 näher gerückt; es steckt sehr        aber auch gezeigt, dass viele ty-    Tier – Warum Tiere uns im Den-
 viel mehr Mensch im Tier, als wir    pisch „menschliche“ Eigenschaf-      ken, Fühlen und Verhalten oft so
 uns vor wenigen Jahren noch          ten ebenso bei anderen Tierarten     ähnlich sind. Rowohlt, 2018. ISBN
 haben vorstellen können.“ Das        zu beobachten sind. Sachser ver-     978-3-498-06090-9
 ist die Kernaussage des Buches       anschaulicht dies durch wohl-
 „Der Mensch im Tier“ von Nor-        dosierte Beispiele aus Stressfor-                      Stefanie Heiduck
 bert Sachser und das Resümee         schung,     Kognitionsforschung
 seiner lebenslangen Forschung        und Studien zu genetischen
 zum Verhalten von Tieren, ins-       Grundlagen des Verhaltens. Die
 besondere Säugetieren. Der           Sprache ist dabei einfach und
 Autor nimmt den Leser mit auf        klar, auch für Laien verständlich
 eine Reise durch die Verhaltens-     und nachvollziehbar. Bei aller
 forschung der letzten 100 Jahre      Sachlichkeit der Darstellung wird
 und erklärt eindrucksvoll, wie       jedoch ebenso klar, dass mit der
 die Forschung unser Verständnis      wachsenden Erkenntnis über
 von Tieren und damit auch unse-      die Fähigkeiten und Bedürfnisse
 re Einstellung zu ihnen verändert    von Tieren, diesen in der Tierhal-
 hat. Wurden Tiere noch vor hun-      tung Rechnung getragen wer-
 dert Jahren als seelenlose Wesen     den muss. Sachsers Fazit lautet
 betrachtet, deren Verhalten ge-      daher: „Ein tiergerechtes Leben
 netisch programmiert reflexartig     in menschlicher Obhut bedeutet
 abläuft, weiß man heute, dass        mehr als gesund und fortpflan-
 Tiere Emotionen haben, dass sie      zungsfähig zu sein.“ Ein Buch,
 denken können und Persönlich-        das jeder Tierhalter gelesen ha-
 keit entwickeln. Die Forschung       ben sollte!
 an Tieren hat viel zum Verständ-
 nis menschlichen Verhaltens                                               © Rowohlt-Verlag

                                                                                      DPZ aktuell, Februar 2019    21
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