Weniger Autos, mehr globale Gerechtigkeit - Warum wir die Mobilitäts- und Rohstoffwende zusammendenken müssen - Brot für die Welt

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Weniger Autos, mehr globale Gerechtigkeit - Warum wir die Mobilitäts- und Rohstoffwende zusammendenken müssen - Brot für die Welt
Weniger Autos,
mehr globale Gerechtigkeit
     Warum wir die Mobilitäts- und Rohstoffwende
                      zusammendenken müssen
Weniger Autos, mehr globale Gerechtigkeit - Warum wir die Mobilitäts- und Rohstoffwende zusammendenken müssen - Brot für die Welt
Weniger Autos, mehr globale Gerechtigkeit - Warum wir die Mobilitäts- und Rohstoffwende zusammendenken müssen - Brot für die Welt
Weniger Autos,
mehr globale Gerechtigkeit
     Warum wir die Mobilitäts- und Rohstoffwende
                      zusammendenken müssen
Weniger Autos, mehr globale Gerechtigkeit - Warum wir die Mobilitäts- und Rohstoffwende zusammendenken müssen - Brot für die Welt
Impressum

Weniger Autos, mehr globale Gerechtigkeit

Herausgeber:

Brot für die Welt               Bischöfliches Hilfswerk          PowerShift – Verein für eine
Evangelisches Werk für Diako-   MISEREOR e. V.                   ökologisch-solidarische
nie und Entwicklung e. V.       Mozartstraße 9,                  ­Energie- & Weltwirtschaft e. V.
Caroline-Michaelis-Str. 1,      52064 Aachen                      Greifswalder Str. 4,
10115 Berlin                    +49 (0)241 442 0                  10405 Berlin
+49 (0)30 65 21 10              info@misereor.de                  +49 (0)30 428 054 79
www.brot-fuer-die-welt.de       www.misereor.de                   info@power-shift.de
                                                                  https://power-shift.de

Autor*innen:
Merle Groneweg (PowerShift)

Constantin Bittner (MISEREOR): Kapitel 3.2.1 und 3.2.3
Teresa Hoffmann (Brot für die Welt): Kapitel 3.2.4
Vincent Neussl (MISEREOR) und Axel Müller (FAKT e.V.): Kapitel 3.2.5
Armin Paasch (MISEREOR): Kapitel 3.3.1
Michael Reckordt (PowerShift): Kapitel 3.2.2 und 3.2.6
Klaus Schilder (MISEREOR): Kapitel 3.2.7
Mattes Tempelmann (MISEREOR): Kapitel 3.2.3

Redaktion: Merle Groneweg, Michael Reckordt (PowerShift),
Sven Hilbig (Brot für die Welt), Armin Paasch (MISEREOR)
Bildredaktion: Tilla Balzer, Michael Reckordt, Elisa Thomaset
Titelbilder: nextbike, Unsplash und Clemens Kreuer
Layout, Satz / Reinzeichnung: Tilla Balzer I buk.design

Berlin, September 2021
© PowerShift e. V.

Alle Links in den Fußnoten wurden am 16.07.2021 auf Gültigkeit überprüft.

 PowerShift – Verein für eine ökologisch-solidarische Energie- & Weltwirtschaft e. V.
 Unser Ziel ist eine ökologisch und sozial gerechtere Weltwirtschaft. Dafür setzen wir unsere
 Expertise in Handels‐, Rohstoff‐ und Klimapolitik ein: Mit umfassenden ­Recherchen durch-
 leuchten wir politische Prozesse, benennen die ­Probleme eines un­gerechten globalen
 Wirtschafs­systems und entwickeln Handlungsalternativen. Um unsere Ziele zu erreichen,
 ­formulieren wir politische Forderungen, ­betreiben I­ nformations‐ und Bildungsarbeit und
 schmieden starke Bündnisse – mit a  ­ nderen O
                                              ­ rganisationen, sozialen B
                                                                        ­ ewegungen und
­Bürger*innen. Gemeinsam mischen wir uns ein!

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Gefördert durch ENGAGEMENT GLOBAL mit Mitteln des

Für den Inhalt dieser Publikation sind die Herausgeber verantwortlich; die hier
­dargestellten Positionen geben nicht den Standpunkt von Engagement Global oder des
 ­Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wieder.
Weniger Autos, mehr globale Gerechtigkeit - Warum wir die Mobilitäts- und Rohstoffwende zusammendenken müssen - Brot für die Welt
Inhalt

Glossar				                                                                      7

Herkunft der deutschen Rohstoffimporte			                                        8

1.    Einleitung 				                                                            10

2.    Autoland Deutschland – Zahlen und Fakten			                                12

2.1   Politische Unterstützung für Automobilität                                 13
      Infokasten: Die Autoindustrie bremst den Klimaschutz aus                   13
2.2   Gegenwärtige Umwelt- und Gesundheitskosten                                 14
      2.2.1 Treibhausgase                                                        14
      2.2.2 Stickoxide                                                           14
      2.2.3 Feinstaub                                                            15
      2.2.4 Flächenverbrauch, Lärm und Verlust von Lebensqualität                15
      Infokasten: Die Verkehrswende von unten: Bewegung für A
                                                            ­ lternativen        16
2.3   Eine dringende Notwendigkeit: Der Verbrennerausstieg                       17

3.	Menschenrechtlich, sozial & ö
                                ­ kologisch ein Problem:
    Der Bedarf an ­metallischen Rohstoffen für Automobilität und Elektroautos    19

3.1   Der Rohstoffverbrauch der deutschen Autoindustrie                          19
      3.1.1 Rohstoffe für die Akkus von Elektro-Autos                            21
      3.1.2 Der industriepolitische ­Diskurs der Versorgungs­sicherheit          21
3.2   Die fatalen Folgen des ­Rohstoffabbaus                                     23
      3.2.1 Dammbrüche in Brasilien: Verbrechen mit Ansage im Eisenerzabbau      23
      Infokasten: Staudammbrüche in Brasilien				                                24
      3.2.2 Bauxit in Guinea                                                     25
	3.2.3 Zwischen Dammbrüchen und der Verteidigung i­ndigener Territorien:
  Kupferabbau in L
                 ­ ateinamerika                                                  26
      3.2.4 Wasserstress im Lithiumdreieck – Chile im Fokus                      28
      3.2.5 Kobalt-Konflikte: Industrieller und artisanaler Bergbau in der DRK   29
      3.2.6 Nickelabbau: Umweltbelastungen für die ­lokalen G
                                                            ­ emeinden           31
      3.2.7 Mineralien aus der Tiefsee für die Elektromobiliät                   32
3.3   Auf dem Weg zur gesetz­lichen Unternehmens­verantwortung?                  33
	3.3.1 Das Lieferkettensorgfalts­pflichtengesetz – erster w
                                                           ­ ichtiger Schritt
  zur verbindlichen Unternehmensverantwortung                                    33
	3.3.2 Bergbauspezifische R
                           ­ egulierung auf EU-Ebene: Konfliktmineralien und
  ­Batterierohstoffe                                                             35
      3.3.3 Was machen BMW, Daimler und VW zur Achtung der Menschenrechte?       36
Weniger Autos, mehr globale Gerechtigkeit - Warum wir die Mobilitäts- und Rohstoffwende zusammendenken müssen - Brot für die Welt
4. Eine klima- und ressourcengerechte ­Verkehrswende ist nötig                        39

4.1	Ein zügiges Ende des V­ erbrennungsmotors und ein deutlicher Rückgang
     vom motorisierten ­Individualverkehr                                             39
4.2	Eine absolute Senkung des Verbrauchs von Primärrohstoffen durch eine
     drastische Reduktion der Zahl und Größe der Autos in Deutschland sowie durch ­
     konsequentes Recycling                                                           40
4.3	Die Einführung gesetzlich verpflichtender menschenrechtlicher, sozialer und
     umwelt­bezogener Sorgfaltspflichten für den Import von Rohstoffen                40

Endnoten				                                                                          42
Weniger Autos, mehr globale Gerechtigkeit - Warum wir die Mobilitäts- und Rohstoffwende zusammendenken müssen - Brot für die Welt
Glossar

      ASI   Aluminium Stewardship Initiative
    BAFA    Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle
      BDI   Bundesverband der Deutschen Industrie
     BGR    Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe
    BMAS    Bundesministerium für Arbeit und Soziales
    BMWi    Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie
     BMZ    Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
     CBG    Compagnie des Bauxites Guinée
      CO2   Kohlenstoffdioxid
    dB(A)   Geräuschpegel (Dezibel)
     DFA    Dodd-Frank Wall Street Reform and Consumer Protection Act
 DR Kongo   Demokratische Republik Kongo
     DWS    Deutsche Asset Management
   ECCHR    European Center for Constitutional and Human Rights
     ERM    Energie- und Rohstoffkapitel in Handelsabkommen
      EU    Europäische Union
     FPIC	Recht indigener Völker auf freie, vorherige und informierte Zustimmung
            (Free Prior and Informed Consent)
      ICC   International Chamber of Commerce
      IEA   Internationale Energieagentur                                             7
      IFC   International Finance Corporation
      ILO   Internationale Arbeitsorganisation
    IRMA    Initiative for Responsible Mining Assurance
MERCOSUR    Gemeinsamer Markt Südamerikas
     NAP    Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte (NAP)
     NO2    Stickstoffdioxid
     NOX    Stickstoffoxide
    OECD    Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
    OEFA    Peruanische staatliche Umweltkontrollbehörde
    ÖPNV    Öffentlicher Personennahverkehr
    PKW     Personenkraftwagen
      PM    Particulate Matter (Feinstaub)
       PS   Pferdestärken (Maßeinheit zur Messung von Maschinenleistung)
     RMI    Raw Materials Initiative (europäische Rohstoffinitiative)
      RSI   Responsible Steel Initiative
     SDG    Ziele für eine nachhaltige Entwicklung ((Sustainable Development Goals)
     SUV    Sport Utility Vehicle
     UBA    Umweltbundesamt
     UFK    Ungebundene Finanzkredite
      UK    United Kingdom / Vereinigtes Königreich
  UNCTAD    Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung
    UNEP    Umweltprogram der Vereinten Nationen
     USD    US-amerikanischer Dollar
   UVEAS    Mexikanische Einheit zur Überwachung von Krankheiten und Umwelt
     VDA    Verbands der Automobilindustrie
Weniger Autos, mehr globale Gerechtigkeit - Warum wir die Mobilitäts- und Rohstoffwende zusammendenken müssen - Brot für die Welt
Herkunft der deutschen Rohstoffimporte

                                            Kanada
                                             17,6%

                                  Eisenerz                                                             USA
                                                                                                      35,7%
                                  Kobalt*
                                  Bauxit
8                                 Kupfer
                                  Lithium                                                                     Frz.-Guyana
                                                                                                                                Guinea
                                                                                                                   5%
                                                                                                                                 93,1%
                                  Nickel

                             * Zahlen beziehen sich
                             auf die EU-Importe
                                                                                  Peru
                                                                                  29,3%
                                                                                                                             Brasilien
                                                                                                                              44,8%
                                                                                                                              23,5%
                                                                                    Chile
                                                                                    80,1%
                                                                                    17,4%

                    Bauxit                 Eisenerz               Kobalt            Kupfer                 Lithium              Nickel

                   Guinea     24,7     Australien     27,8         DRK     50,7        Chile   23         Bolivien    24,4   Indonesien    22,3

                Australien    17         Brasilien    18,9    Australien   19,7        Peru    10,6    Argentinien    22,4   Australien    21,3
    Vorkommen
     (% Welt)

                 Vietnam      12,3      Russland      13,9         Kuba    7      Australien   10,1           Chile   11,2     Brasilien   17

                 Brasilien    9             China     11,1   Philippinen   3,7     Russland    7        Australien    7,4     Russland     7,3

                 Jamaika      6,7          Ukraine    3,6      Russland    3,5       Mexiko    6,1            China   5,9         Kuba     5,9

                 Sonstige     30,3      Sonstige      24,7     Sonstige    15,4    Sonstige    43,2      Sonstige     28,7     Sonstige    26,2
Weniger Autos, mehr globale Gerechtigkeit - Warum wir die Mobilitäts- und Rohstoffwende zusammendenken müssen - Brot für die Welt
Finnland
   14%

                                                                                       Japan
                                                                                        11,3%

                                                                                                                                           9
                                                                           Malaysia
                                                                            19,2%
                  DR Kongo
                    68%

      Südafrika
       20,7%

                 Bauxit             Eisenerz               Kobalt          Kupfer                  Lithium               Nickel

              Australien   29,3   Australien   37,5         DRK     69,4      Chile    28,4     Australien   52,3    Indonesien     32,7

                  China    19,6    Brasilien   16,5     Russland    4,4        Peru    10,8          Chile   22,4    Philippinen    12,4
 Produktion

                 Guinea    18,7       China    14,3    Australien   4         China    8,2          China    12,6      Russland     10,7
  (WPA %)

               Brasilien   9,5       Indien    9,7    Philippinen   3,5        DRK     6,3    Argentinien    7,3     Frankreich/    8
                                                                                                                    Neukaledonien

                 Indien    6,4     Russland    4            Kuba    2,6        USA     6,2       Brasilien   2,8         Kanada     6,9

               Sonstige    16,5    Sonstige    18       Sonstige    16,1   Brasilien   1,8       Sonstige    2,6      Australien    6,1

                                                                           Sonstige    38,3      Sonstige    2,6        Sonstige    23,2
Weniger Autos, mehr globale Gerechtigkeit - Warum wir die Mobilitäts- und Rohstoffwende zusammendenken müssen - Brot für die Welt
1. Einleitung

10

     Ein großer Teil der Rohstoffe für deutsche Autos wird in Minen im Globalen Süden abgebaut, wie im „Reichen Hügel“
     (Cerro Rico). So heißt diese Silber- und Zinkmine in Bolivien. Photo: Tobias A. Müller, Unsplash

     Global wie lokal betrachtet leiden vor allem               Lebensgrundlagen beschädigt oder zerstört.
     jene Menschen unter den Folgen der Klima­                  Der vielfältige Protest dagegen ist bereits
     katastrophe, die am wenigsten dazu beitra-                 heute geprägt von der Notwendigkeit, zu
     gen. Die Mehrheit der Menschen, die stark                  überleben – und wird oft von Indigenen Ge-
     von den Folgen der Erderhitzung betroffen                  meinden, Bäuer*innen und von anderen länd-
     sind, leben auf dem afrikanischen Kontinent,               lichen Gemeinschaften getragen, die für ihr
     im südost- und südasiatischen Raum, im                     Recht auf Selbstbestimmung kämpfen.
     Pazifik und in Lateinamerika. Dort sind Kli-
     ma- und Umweltkrisen keine in der Zukunft                  Auch im Globalen Norden intensivieren sich
     liegende Bedrohung, sondern vielfach bereits               die Proteste der Klimagerechtigkeitsbewe-
     bittere Realität: Dürre verschärft Hungerkatas-            gung, die nicht ohne Grund diesen Titel trägt:
     trophen, Überschwemmungen und Stürme                       Der Schutz von Klima und Umwelt ist stets
     zerstören Lebensgemeinschaften und Wohn-                   auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit.
     orte. Die Konsequenzen der Erderhitzung                    So weisen Fridays for Future mit ihren Pro-
     sind weitreichend. Während der Temperatur-                 testen immer wieder darauf hin, dass die
     anstieg in einigen Regionen so drastisch sein              gegenwärtige Politik zulasten jüngerer Ge-
     wird, dass sie bereits in wenigen Jahrzehnten              nerationen geht. Wer emittiert eigentlich
     für Menschen als nicht mehr bewohnbar gel-                 auf wessen Kosten CO 2? Der Verkehrssektor –
     ten, werden andere Orte aufgrund des stei-                 Fliegen, Autofahren, Gütertransport – spielt
     genden Meeresspiegels gänzlich untergehen.                 für diese Frage eine zentrale Rolle und bietet
     Trotzdem werden Jahr für Jahr immer mehr                   relevante Hebelpunkte für strukturelle wie in-
     Treibhausgase ausgestoßen. Für groß ange-                  dividuelle Veränderungen. Global wie auch in
     legte Bergbau-, Industrie- und Infrastruktur-              Deutschland verursacht der Verkehrssektor
     projekte werden Ökosysteme und damit auch                  jeweils rund ein Fünftel der CO 2 -Emissionen
und trägt somit maßgeblich zur Erderhit-           Bordelektronik eines jeden Autos – also auch
zung bei.1 In Deutschland ist der überwie-         jenen mit Verbrennungsmotor – bereits jetzt
gende Anteil dieser Treibhausgasemissionen         in hohen Mengen verarbeitet.
auf Autos mit Verbrennungsmotoren zurück-
zuführen.                                          Inzwischen bezeichnet auch die Bundes-
                                                   regierung die Automobilindustrie als „men-
Doch aus Umwelt- und Klimagerechtig-               schenrechtlich relevante Risikobranche“. 5 Die
keitsperspektive gilt es, neben den direkten       deutschen Autokonzerne profitieren von weit
CO 2 -Emissionen von Pkws noch viele weite-        verzweigten Produktionsnetzwerken, die die
re Faktoren zu berücksichtigen. Dazu zählen        Auslagerung zahlreicher Bestandteile der
unter anderem der hohe Flächenverbrauch            Produktion ermöglichen. An der ersten Stufe
sowie die Feinstaub- und Lärmbelastung im          ihrer lukrativen Wertschöpfungskette steht
Verkehrssektor. Vor allem aber basiert die         dabei stets der Abbau von Rohstoffen. Auto-
gegenwärtige Automobilität nicht nur auf           konzerne und ihre Zulieferer beanspruchen
der Verbrennung von Erdöl, sondern auch auf        einen großen Teil der in Deutschland ver-
dem Abbau und der Weiterverarbeitung zahl-         arbeiteten Rohstoffe, die großteils importiert
reicher Rohstoffe. In jedem Pkw stecken zum        werden. Dabei handelt es sich um beachtli-
Beispiel mehrere Hundert Kilogramm Alumi-          che Mengen, schließlich ist der Industriestaat
nium und Stahl. Diese beiden Metalle machen        Deutschland der fünfgrößte Verbraucher von
den mit Abstand größten Anteil des Volumens        Metallen weltweit.
an den so genannten Konstruktionswerkstof-
fen aus. Ihre Herstellung aus den Erzen Eisen      Nach wie vor bleiben in der verkehrspoliti-
und Bauxit ist äußerst energieintensiv. So         schen Debatte vor allem die sozialen, ökologi-
hat die weltweite Stahlproduktion von 1900         schen und menschenrechtlichen Kosten des
bis 2015 schätzungsweise neun Prozent aller        Rohstoffabbaus für die Automobilität außen
globalen Treibhausgasemissionen in diesem          vor. Mit dieser Studie möchten wir einen Bei-
Zeitraum verursacht. 2 Der Aluminiumsektor         trag dazu leisten, jene ausgelagerten und un-
ist für rund zwei Prozent aller Treibhausgas-      sichtbar gemachten Kosten aufzuzeigen. In
emissionen verantwortlich. 3 Entsprechend          Kapitel zwei geben wir einen Überblick zur Au-
verursachen die beiden Metalle auch einen er-      tomobilität in Deutschland und werfen einen       11
heblichen Anteil der CO 2 -Emissionen entlang      Blick auf die verkehrspolitische Agenda politi-
der gesamten Wertschöpfungskette eines             scher Verantwortlicher und Akteur*innen der
Autos, nämlich ca. 60 Prozent.4 Zugleich geht      Industrie, bevor wir die Auswirkungen des Au-
der Abbau der Erze – die nach Deutschland          toverkehrs in Deutschland auf Klima, Umwelt
vor allem aus Brasilien und Guinea importiert      und Gesundheit aufzeigen und darstellen.
werden – häufig mit gravierenden Menschen-         Wir skizzieren, warum einerseits Elektroautos
rechtsverletzungen und Umweltverschmut-            trotz der negativen Begleiterscheinungen die
zung einher. Die Produktion ist häufig dort        notwendige Alternative zum Verbrennungs-
am günstigsten, wo die menschenrechtlichen,        motor darstellen und andererseits insbeson-
sozialen und ökologischen Standards am             dere Mobilitätsformen jenseits des Pkws im
niedrigsten sind. Die in diesem Zusammen-          Privatbesitz gefördert werden müssen. Im
hang entstehenden Risiken – ebenso wie ähn-        dritten Kapitel untersuchen wir, welche me-
liche Effekte bei der Erdölförderung – sind seit   tallischen Rohstoffe in Autos stecken und mit
langem bekannt.                                    welchen Folgen ihr Abbau in verschiedenen
                                                   Staaten verbunden ist. Wir zeigen auf, dass
Allerdings hat die Relevanz von verant-            die Rohstoffbeschaffung deutscher Indus­
wor tungsvollem Rohstof fbezug durch               trien politisch unterstützt wird und weisen auf
Autokonzerne erst in Verbindung mit der An-        gesetzgeberische Prozesse zur Regulierung
triebswende mehr Aufmerksamkeit erfahren.          der menschenrechtlichen und umweltbezo-
Die mit der Elektromobilität massiv steigende      genen Sorgfaltspflicht von Unternehmen hin.
Nachfrage nach Metallen wie Lithium, Kobalt,       Daran anknüpfend stellen wir in Kapitel vier
Graphit und Nickel hat die menschenrecht-          Politikempfehlungen für eine global gerechte
lichen, sozialen und ökologischen Probleme         und zukunftsfähige Mobilitäts- und Rohstoff-
beim Abbau dieser Rohstoffe in den Fokus           wende in Deutschland und Europa vor.
gerückt. In Argentinien, Bolivien und Chile,
der Demokratischen Republik Kongo und
Sambia, China und Russland, Indonesien und
den Philippinen geht die Rohstoffextraktion
mit zahlreichen Konflikten einher – Lebens-
grundlagen werden für Profite zerstört, die
andernorts angehäuft werden. Aber metal-
lische Rohstoffe werden nicht nur für die
Akkus von E-Autos, sondern auch für Karos-
serie, Gehäuse, Motor, Abgassysteme und
2. Autoland Deutschland – Zahlen
     und Fakten

12

     Knapp 50 Millionen Autos stehen an einem durchscnittlichen Tag 23 Stunden still.
     Photo: Ivana Cajina, Unsplash

     Mehr als 48 Millionen Autos sind in Deutsch- verdoppelt. Im selben Zeitraum ist die Nut-
     land derzeit zugelassen. 6 135 Jahre nach        zung des Umweltverbunds – Fuß, Rad, Bahn
     Erfindung des Automobils prägt der mo- und Bus – von 24 Prozent auf 20 Prozent zu-
     torisierte Individual- und Güterverkehr das      rückgegangen.7
     Erscheinungsbild hiesiger Städte und Land-
     schaften. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde       Doch nicht nur die Zahl der mit den Autos ge-
     die städtische Infrastruktur – häufig orientiert fahrenen Kilometer wächst stetig, sondern
     am Vorbild US-amerikanischer Städte mit          auch ihre Größe, Gewicht und Motorleistung.
     ihren suburbs, in denen die weiße Mittelklas- Laut einer Studie des CAR-Instituts an der Uni-
     se lebte – auf das Auto ausgerichtet. Mit dem    versität Duisburg-Essen hatten die 2020 neu
     Pkw konnten die häufig nicht geringen Ent- zugelassenen Pkw im Schnitt 158 PS – und da-
     fernungen zwischen Wohn- und Arbeitsort          mit fünf PS mehr als im Vorjahr. Treiber dieses
     bewältigt und den Anforderungen der Lohn- „Wettrüstens“ ist der Trend zu „Sport Utility
     und Sorgearbeit gerecht werden. Während          Vehicles“ (SUV) und Plug-In-Hybrid-Antrieben,
     der Besitz eines Autos für viele Menschen        dessen PS-Zahl um neun Prozent über dem
     schlicht eine Notwendigkeit ist, um den Alltag   Durchschnitts-Neuwagen lag.8 Größere Autos
     zu meistern, ist er für andere – insbesonde- mit mehr Leistung benötigen jedoch auch
     re für Männer – ein begehrtes Statussymbol. mehr Kraftstoff und stoßen somit wiederum
     Heute besitzen 77 Prozent der Haushalte in       mehr CO 2 aus. Laut Berechnungen der Inter-
     Deutschland mindestens einen Pkw, in jedem       nationalen Energieagentur (IEA) haben SUV
     vierten Haushalt sind sogar zwei oder mehr       nach dem Energiesektor am meisten zum
     Autos vorhanden. Konkret bedeutet das: Auf       Anstieg der globalen CO 2 -Emissionen seit
     1.000 Einwohner*innen kommen 574 Pkw. 2010 beigetragen.9 Umso bedenklicher ist der
     Und diese Fahrzeuge werden für immer mehr        kontinuierliche Trend steigender SUV-Verkäu-
     Strecken genutzt: Zwischen den Jahren 1976       fe, der in Deutschland zu beobachten ist: Im
     und 2018 hat sich die Zahl der jährlich im       Jahr 2017 wurden erstmals mehr SUV und Ge-
     Schnitt zurückgelegten Kilometer pro Person      ländewagen neu zugelassen als Kleinwagen.
Die Autoindustrie bremst den Klimaschutz aus
   Die deutsche Autoindustrie ist und bleibt         zahlen sich unter anderem aus, wenn es
   eine der politisch einflussreichsten Branchen     bei den so genannten „Autogipfeln“ um die
   in Deutschland: Sie erzielt ein gutes Fünftel     Anliegen der Autohersteller geht. Hingegen
   des Gesamtumsatzes der deutschen Indust-          sind Akteur*innen mit Expertise im Bereich
   rie und beschäftigt rund 800.000 Menschen.        Klima- oder Verbraucherschutz nicht ein-
   Diese enorme Wirtschaftskraft verleiht den        geladen.
   Autokonzernen eine starke politische Macht.
   Sie ist durch zahlreiche Kontakte, Netzwerke      Freilich sind die Autokonzerne in Berlin sehr
   und Seitenwechsler*innen aufs Engste mit          präsent – doch wie viele Lobbyist*innen aus
   der Politik verzahnt. Sinnbild dafür war lange    der Branche dort aktiv sind, lässt sich nicht
   Zeit Matthias Wissmann, langjähriger Chef         genau sagen. In Deutschland gibt es bislang
   des mächtigen Verbands der Automobilin-           kein Lobbyregister, das solche Zahlen erfasst.
   dustrie (VDA). Vor seiner Zeit als Autolobbyist   Das wird sich allerdings bald ändern:
   war Wissmann als Verkehrsminister Kabi-           Im März 2021 hat der Bundestag nach lang-
   nettskollege der damaligen Umweltministe-         jährigem Ringen und zahlreichen Lobbys-
   rin Angela Merkel und galt auch danach als        kandalen endlich ein Lobbyregister-Gesetz
   ihr enger Vertrauter. Mittlerweile gibt Hilde-    verabschiedet. Auf europäischer Ebene
   gard Müller als Cheflobbyistin des VDA den        erfasst das Brüsseler Transparenzregister die
   Ton an. Auch sie kann bei ihrer Lobbyarbeit       Anzahl der Autolobbyist*innen schon heute.
   auf beste Kontakte in die höchsten Ebenen         Hier zeigt sich zum Beispiel, wie stark gegen
   der Politik zurückgreifen, da sie von 2005 bis    die Reform der EU-Abgasnorm und schär-
   2008 Staatsministerin im Kanzleramt war.          fere CO2 -Grenzwerte lobbyiert wird. Klima-
   Weitere Seitenwechsler*innen stammen              und Umweltschutzmaßnahmen werden von
   ebenfalls aus dem Umfeld der ehemaligen           den Autoherstellern immer wieder erfolg-

                                                                                                         13
   Bundeskanzlerin: Ihr einstiger Büroleiter         reich als „Belastung“ dargestellt. Und das
   Michael Jansen leitet heute die Hauptstadt-       durchaus mit Wirkung: So stellen amtieren-
   präsenz von VW und der frühere stellver-          de Politiker*innen häufig die Interessen der
   tretende Regierungssprecher Thomas Steg           Autoindustrie vor den Klima- und Umwelt-
   arbeitet dort als Cheflobbyist. Eckart von        schutz.
   Klaeden wechselte 2013 von seiner Tätig-
   keit als Staatsminister im Kanzleramt zum         Ein Gastbeitrag von Christina Deckwirth,
   Daimler-­Konzern. Die exklusiven Kontakte         LobbyControl.

2020 war jeder fünfte neu zugelassene Pkw            bewusst zu bewerben, setzen die deutschen
in Deutschland ein SUV. Gemeinsam mit dem            Autokonzerne in den nächsten Jahren noch
Segment der Geländewagen (10,5 Prozent),             auf die schweren Spritschlucker. Die ökolo-
das im Wesentlichen auch SUV umfasst, ma-            gischen Kosten sind dabei nicht eingepreist.
chen die großen Autos inzwischen rund ein            Zugleich wird das Autofahren auf vielfältige
Drittel aller Neuzulassungen aus.10                  Weise politisch gefördert – etwa durch Sub-
                                                     ventionen und eine auf das Auto ausgerich-
Die deutsche Autoindustrie macht mit den             tete Infrastruktur. Dies liegt nicht zuletzt
schweren, großen und PS-starken Premium­             aufgrund des politischen Einflusses der Auto-
autos gute Geschäfte. Denn je teurer das             industrie, die eng mit den politischen Ent-
Auto, umso größer ist in der Regel auch die          scheidungsträger*innen verflochten ist.
Gewinnmarge. So produzierten die deut-
schen Hersteller 2020 weltweit 5,2 Millionen         2.1 Politische Unterstützung für
Geländewagen oder SUV – was mehr als
                                                     Automobilität
einem Drittel der Produktion von 13,3 Mil-
lionen Pkw gleichkommt. Doch sie wollen              Zahlreiche steuerliche Anreize sind so gestal-
noch mehr: Im Jahr 2025 soll der SUV-Anteil          tet, dass sie das Kaufen und Fahren von (gro-
an den verkauften Fahrzeugen laut Wunsch             ßen) Autos anstelle der Alternativen fördern.
des Volkswagen-Konzerns bei mehr als 50              So lässt die so genannte Pendlerpauschale die
Prozent liegen. Die durch die Antriebswende          Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsort
möglichen Fortschritte bei der CO 2 -Einspa-         steuerlich absetzbar machen und trägt damit
rung werden durch die SUV-Verkäufe damit             zur Zersiedelung bei. Zwar gilt diese Pauscha-
sehr wahrscheinlich wieder zunichte ge-              le für alle Verkehrsmittel, doch in der Mehrheit
macht. Anstatt frühzeitig in zukunftsfähige          der Fälle fällt die Wahl auf das Auto – eine öko-
Geschäftsmodelle zu investieren und diese            logische Priorisierung der Verkehrsmittel ist
nicht vorgesehen. Zudem ist die Pauschale            Treibhausgasemissionen. Davon entfielen
     sozial ungerecht: Denn wer aufgrund seines           94 Prozent auf den Straßenverkehr. Für den
     niedrigen Einkommens keine oder nur wenig            Großteil dieser Emissionen waren wieder-
     Steuern zahlt, kann die Pauschale nicht steu-        um mit 59 Prozent Benzin- und Diesel-Pkw
     erlich geltend machen.                               verantwortlich.14 Entgegen nationaler und
                                                          internationaler Klimaschutzziele sind die
     Sozial ungerecht ist auch das Dienstwagen-           CO 2 -Emissionen aus dem Verkehrssektor in
     privileg: Je höher das Gehalt, desto größer ist      Deutschland im Vergleich zum Referenzjahr
     die Wahrscheinlichkeit, einen Dienst­w agen          1990 nicht gesunken, sondern gestiegen. In
     (inklusive Tankkarte) zu bekommen. Zugleich          allen anderen Sektoren sind die CO 2 -Emis-
     hat das Dienstwagenprivileg Auswirkun-               sionen seit 1990 zurückgegangen. Dabei
     gen auf den gesamten Fahrzeugbestand in              sind Pkw heute tatsächlich klima- und um-
     Deutschland: Mehr als 60 Prozent aller Neuzu-        weltverträglicher unterwegs als vor einigen
     lassungen sind gewerblich, wovon wiederum            Jahrzehnten. Dies liegt unter anderem an
     ein großer Teil auf das gehobene Fahrzeug-           den stufenweise verschärften Abgasvor-
     segment entfällt. Die meisten Unternehmen            schriften für neu zugelassene Pkw, die dazu
     leasen ihre Autos nur für zwei oder drei Jahre,      führten, dass die Autohersteller immer ef-
     bevor sie auf dem Gebrauchtmarkt landen.             fizientere Motoren und Abgastechnik ent-
     Für Unternehmen fällt die Wahl dabei häu-            wickeln mussten. So sind die spezifischen
     fig auf große, schwere und damit rohstoff-           Emissionen nicht nur des Treibhausgases
     intensive sowie verbrauchsstarke Modelle. Je         CO 2 , sondern auch anderer Schadstoffe pro
     teurer das Auto, desto mehr Betriebskosten –         Verkehrsaufwand (Personenkilometer) zwi-
     einschließlich Versicherung, Reparaturen             schen 1995 und 2018 um rund neun Prozent
     und Spritverbrauch – können die Firmen von           gesunken. Doch im gleichen Zeitraum sind
     der Steuer absetzen. Während die Kaufent-            die gesamten Kohlendioxid-Emissionen des
     scheidungen der Unternehmen maßgeblich               Pkw-Verkehrs um 3,7 Prozent gestiegen.15
     den Fahrzeugbestand in Deutschland prä-              Der Grund ist simpel: Die Zahl der gefahre-
     gen, entgehen dem Fiskus bis zu 12 Milliarden        nen Personenkilometer mit dem Auto steigt
     Euro.11                                              Jahr für Jahr. Hinzu kommt, dass es nicht
14                                                        nur immer mehr Pkws in Deutschland gibt,
     Neben „Dienstwagen“ wird der Kauf von Die-           sondern diese immer größer, schwerer und
     selfahrzeugen subventioniert: Zwischen 2008          leistungs­s tärker werden.
     und 2019 stieg der Bestand der Diesel-Pkw
     um etwa 50 Prozent. 2020 fuhren rund 28              Dieser Rebound-Effekt lässt sich ebenfalls
     Prozent aller neuzugelassenen Autos mit Die-         für die Energieeffizienz bei der Autoproduk-
     sel.12 Auch wenn diese energieeffizienter als        tion selbst beobachten. So räumt beispiels-
     Benzin-Pkw sind, emittieren sie pro Kilome-          weise VW freimütig ein: „Seit dem Jahr 2010
     ter mehr Stickstoffoxide – was wiederum in           ist unser Gesamtenergieverbrauch durch die
     vielen Städten die Luftqualität stark mindert.       kontinuierliche Steigerung der Produktions-
     Im Juni 2021 hat der Europäische Gerichtshof         menge gestiegen. Gleichzeitig konnten wir
     Deutschland verurteilt, weil die Grenzwerte          den Energieverbrauch pro Fahrzeug seit 2010
     für Stickstoffdioxid (NO 2) in vielen Städten jah-   reduzieren.“ 16 Allein der Volkswagen Kon-
     relang überschritten worden sind. Bereits vier       zern produziert weltweit pro Arbeitstag rund
     Jahre zuvor hatte der Bundesrechnungshof             36.000 Fahrzeuge. Die Produkte des Konzerns
     die Abschaffung des vergünstigten Steuer-            (Pkw und leichte Nutzfahrzeuge) sind „über
     satzes für Dieseltreibstoff gefordert, weil dem      ihren gesamten Lebenszyklus gerechnet für
     Staat dadurch jährlich mehrere Milliarden            ungefähr ein Prozent der gesamten auf der
     Euro an Einnahmen entgehen. Gleich­zeitig            Welt entstehenden CO 2 -Emissionen verant-
     verursacht der Autoverkehr hohe Kosten. Das          wortlich“, so die Angaben von VW.17
     Umweltbundesamt geht davon aus, dass sich
     die durch den Straßenverkehr verursachten            2.2.2 Stickoxide
     Umweltkosten im Jahr 2014 auf über 50 Mil-
     liarden Euro beliefen.13                             Der Straßenverkehr verursacht knapp die
                                                          Hälfte der Stickstoffoxidemissionen (NOx) in
     2.2 Gegenwärtige Umwelt- und                         Deutschland.18 Zu den Stickstoffoxiden (NOx)
                                                          zählen Stickstoffmonoxid (NO) und Stickstoff-
     Gesundheitskosten
                                                          dioxid (NO 2). Sie entstehen als unerwünschtes
                                                          Nebenprodukt von Verbrennungsprozessen
     2.2.1 Treibhausgase                                  unter anderem in Feuerungsanlagen für Koh-
     Ein Fünftel der deutschen CO 2 -Emissio-             le, Öl, Gas, Holz und Abfälle sowie in den Ver-
     nen stammte im Jahr 2019 aus dem Ver-                brennungsmotoren von Fahrzeugen. In
     kehrssektor. Damit ist der Verkehrssektor            Ballungsgebieten verursacht der Straßenver-
     nach der Energiewirtschaft und der In-               kehr am meisten NOx, wovon der Großteil
     dustrie der drittgrößte Verursacher von              auf Diesel-Pkw zurückgeht, deren Motoren
unter anderem aufgrund höherer Verbren-           Thromboseneigung oder Veränderungen der
nungstemperaturen mehr Stickstoffoxide            Regulierungsfunktion des vegetativen Ner-
produzieren. Im Zuge des Dieselskandals           vensystems (Herzfrequenzvariabilität). 20 Laut
wurde bekannt, dass die tatsächlichen Stick-      Berechnungen der Europäischen Umwelt-
oxid-Emissionen zahlreicher Pkw-Modelle im        agentur gab es in Deutschland allein im Jahr
realen Fahrbetrieb weit über den auf dem          2018 aufgrund der zu hohen PM2,5-Belastung
Prüfstand ermittelten Werten liegen.              ca. 63.100 vorzeitige Todesfälle. 21

Die Aufnahme von Stickstoffdioxid über die        2.2.4 Flächenverbrauch, Lärm
Atmung schädigt das Schleimhautgewebe
                                                  und Verlust von Lebensqualität
der Atmungsorgane unmittelbar, so dass
Hustenreiz und Atembeschwerden auftreten
können. Dies kann zu Atemnot, Husten, Bron-       Flächenverbrauch
chitis aber auch chronischen Atemwegs- und        14,4 Prozent der gesamten Bodenfläche in
Lungenerkrankungen führen. Eine Zunah-            Deutschland werden nach Angaben des
me von Herz- und Kreislauferkrankungen            Statistischen Bundesamtes für Siedlungen
steht ebenfalls im Zusammenhang mit Stick-        und Verkehr genutzt. Jeden Tag kommen im
stoffoxiden. Laut der Europäischen Umwelt-        Schnitt 52 Hektar an Siedlungs- und Verkehrs-
agentur gibt es in der EU jährlich 400.000        flächen – einer Größe von circa 73 Fußball-
vorzeitige Todesfälle als Folge der hohen Luft-   feldern – neu hinzu. 22 Über ein Drittel dieser
verschmutzung. Doch Stickstoffoxide schä-         Flächen entfallen auf den Verkehr. Dabei fällt
digen nicht nur die menschliche Gesundheit,       der Flächenverbrauch für die verschiedenen
sondern auch Ökosysteme. Durch ihre über-         Verkehrsmittel sehr unterschiedlich aus. Wäh-
düngende und versauernde Wirkung belas-           rend ein Pkw im Stillstand innerorts etwa
ten sie Gewässer, Grundwasser und Boden.          14 m2 Fläche beansprucht, entfallen auf ein
Um die Emissionen zu begrenzen, sind 2010         Fahrrad lediglich 1,2 m2. Ähnlich eklatant fällt
mit der 39. Verordnung zum Bundes-Immis-          der Unterschied aus, wenn man die Flächen-
sionsschutzgesetz (39.BImSchV) die EU-weit        inanspruchnahme eines mit 1,4 Personen be-
geltenden Grenzwerte für Stickstoffdioxid         setzten Autos bei einer Fahrtgeschwindigkeit
(NO 2) zum Schutz der menschlichen Gesund-        von 50 km / h mit der einer zu 20 Prozent be-      15
heit sowie Stickstoffoxide (NOx) zum Schutz       setzten Straßenbahn vergleicht: Während für
der Vegetation in Kraft getreten. Im Juni 2021    die Tram pro Kopf lediglich 9 m2 notwendig
hat der Europäische Gerichtshof Deutschland       sind, beansprucht ein Auto mit 140 m2 mehr
verurteilt, weil „in 26 Gebieten und Ballungs-    als zehnmal so viel Fläche. 23 Nicht nur der
räumen systematisch und anhaltend gegen           Straßenbau, sondern auch die oft kostenlos
die Grenz­werte für Stickstoffdioxid verstoßen“   oder günstig zur Verfügung gestellten Park-
wurde.19                                          plätze benötigen Raum, der insbesondere in
                                                  dicht besiedelten Gebieten, wie zum Beispiel
2.2.3 Feinstaub                                   Innenstädten, für Alternativen – Platz für Kin-
                                                  der zum Spielen, kleine Grünflächen oder Sitz-
Auch für Feinstaubemissionen in Ballungs-         plätze für Cafés und Restaurants – dann nicht
gebieten ist der Straßenverkehr die Haupt-        mehr zur Verfügung steht.
ursache. Diese entstehen in erster Linie beim
Verbrennen fossiler Kraftstoffe in Motoren,       Aus ökologischer Sicht ist der Flächen-
aber auch durch den Abrieb von Reifen und         verbrauch problematisch, weil dadurch
Bremsen sowie das Aufwirbeln von Staub.           wertvolle Ackerböden vernichtet, der Grund-
Diesel-betriebene Fahrzeuge emittieren da-        wasserspiegel negativ beeinflusst wird und
bei in der Regel deutlich mehr Feinstaub als      unzerschnittene Landschaftsräume verloren-
Benziner. Dabei wird Feinstaub, der aus einem     gehen, die wichtig für den Erhalt der Arten-
komplexen Gemisch fester und flüssiger Parti-     vielfalt sind. 24 Die Versiegelung von Böden ist
kel besteht, abhängig von der Größe letzterer     ein starker Eingriff in die Natur, der sich an-
unterschieden: PM10 (PM, particulate matter)      schließend durch Entsiegelung nicht mehr
mit einem maximalen Durchmesser von zehn          rückgängig machen lässt: Die vorherige Bo-
Mikrometer (µm), PM2,5 und ultrafeine Parti-      denfruchtbarkeit lässt sich kaum wieder her-
kel mit einem Durchmesser von weniger als         stellen. Die Bundesregierung hat sich selbst
0,1 µm. PM10 kann beim Menschen in die Na-        das Ziel gesetzt, den Flächenverbrauch bis
senhöhle, PM2,5 bis in die Bronchien und Lun-     zum Jahr 2030 auf unter 30 Hektar pro Tag
genbläschen und ultrafeine Partikel bis in das    zu verringern und bis 2050 sogar das Flä-
Lungengewebe und sogar in den Blutkreislauf       chenverbrauchsziel Netto-Null (Flächen-
eindringen. Die gesundheitlichen Auswirkun-       kreislaufwirtschaft) anzustreben, was einer
gen reichen von Schleimhautreizungen und          Zielsetzung der Europäischen Kommission
Entzündungen in Luftröhre, Bronchien oder         entspricht. 25 Eine Reduzierung des Pkw-Ver-
Lungenalveolen bis zu verstärkter Plaque-         kehrs sowie ein Moratorium des Straßenneu-
bildung in den Blutgefäßen, einer erhöhten        baus können hier einen Beitrag leisten.
Die Verkehrswende von unten: Bewegung für
        ­Alternativen
        „Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten.“ Diese      des Kfz-Verkehrs und der Parkplätze, mehr
         alte Weisheit aus mobilitätspolitischen           Geld für den Umweltverbund sowie eine
         Debatten fand sich im Juni 2021 auf einem         menschenfreundliche, zukunftsgerechte
         großen Banner wieder, den Aktivist*innen          Stadtplanung. Darüber hinaus gründen sich
         an einer Baustelle der A100 in Berlin auf-        in Berlin zahlreiche so genannte „Kiez-
         gehängt hatten. Neben den Blockaden von           block“-Initiativen, die aus einer Vielzahl von
        Autobahnbaustellen haben mehr als 70               engagierten Bürger*innen bestehen und im
         weitere Aktionen – darunter Fahrraddemos,         wahrsten Sinne des Wortes vor der eigenen
         Infostände, Transpi-Aktionen und Parkplatz-       Haustür für eine andere Politik kämpfen,
         besetzungen – gezeigt, wie vielfältig und         nämlich für verkehrsberuhigte Kieze. Der
         breit der Protest für eine soziale und klima-    „Volksentscheid Berlin autofrei“ geht noch
         gerechte Mobilitätswende ist. Inzwischen ist      einen Schritt weiter und sammelt Unter-
         die Auseinandersetzung um Verkehrspolitik         schriften für eine weitestgehend autofreie
         zu einem neuen Schwerpunkt der Klima-             Zone innerhalb des S-Bahn-Rings. Im April
         gerechtigkeitsbewegung avanciert. Für wen         2021 begannen die Aktivist*innen ihre Unter-
         wird in wessen Namen welche Infrastruktur         schriftensammlung auf der sechs­spurigen
         ausgebaut? Wer profitiert von welcher Form        Leipziger Straße – ein Symbol für die auto­
         der Mobilität?                                    gerechte Stadt der 1960er und 1970er, die
                                                           nicht einmal Platz für Radwege lässt.
         Berlin ist ein Beispiel für die „Verkehrswende
         von unten“. Der 2015 gestartete „Volksent-       Die fehlende Infrastruktur für Fahrrad-
         scheid Fahrrad“ sammelte in Windeseile           fahrer*innen wird nun immer lauter ein-

16
         mehr als 100.000 Unterschriften und einigte      gefordert. Inzwischen kann man regelrecht
         sich schließlich gemeinsam mit anderen           von einer „Radentscheidbewegung“ spre-
         Umwelt- und Radvertreter*innen in Ver-           chen: Mindestens 46 Radentscheide in
         handlungen mit dem Berliner Senat auf das        ganz Deutschland nutzen das Mittel des
         bundesweit erste Radverkehrs- und Mobili-        kommunalen Bürgerbegehrens, um sich
         tätsgesetz. Das Gesetz sieht unter anderem       für eine klimagerechte, fahrradfreundliche
         zwei Meter breite, sichere Radwege an allen      und die Lebensqualität erhöhende Stadt-
         Straßen Berlins vor. Mehr und bessere Park-      und Mobilitätspolitik einzusetzen. Sind sie
         möglichkeiten für Räder an U- und S-Bahn-        erfolgreich, so entspricht der Rat einer Stadt
         Stationen sind ebenso geplant wie grüne          dem Begehren – das heißt, die Kommune
         Wellen für Fahrradfahrer*innen. Das Bündnis      verpflichtet sich verbindlich dazu, die im
        „Berliner Straßen für alle“ fordert inzwischen    Bürgerbegehren enthaltenen Forderungen
         Nachbesserungen des Gesetzes und macht           umzusetzen. Radentscheide sind in grö-
         Druck für eine schnellere Umsetzung. Das         ßeren wie kleineren Städten erfolgreich: In
         Bündnis zeigt, dass ein Zusammenschluss          Aachen haben beispielsweise 20 Prozent der
         unterschiedlicher Akteure aus Umwelt-, Fuß-      Kommunalwahlberechtigten für das Bürger-
         und Radverbänden, die sich alle für eine         begehren Radentscheid gestimmt. Das ist
         Mobilitätswende einsetzen, möglich ist. Zu       mehr als die damals stärkste Fraktion bei
         den Forderungen gehören die Reduzierung          den Kommunalwahlen erhalten hatte.

     Straßenverkehrslärm                                  mit Pegeln von mindestens 65 dB(A) tags
     Nach Angaben des Umweltbundesamtes ha-               beziehungsweise 55 dB(A) nachts belastet.
     ben die Beeinträchtigungen durch Lärm in             Straßenverkehrslärm entsteht zum einen
     den letzten zehn Jahren „nur unwesentlich            durch das Motorengeräusch, zum anderen
     abgenommen“: Drei Viertel aller Menschen             durch das Reifen-Fahrbahn-Geräusch. Ab
     in Deutschland fühlen sich durch Straßen-            einer Geschwindigkeit von etwa 30km / h ist
     verkehrslärm gestört oder belästigt. 26 Dieser       das Reifen-Fahrbahn-Geräusch die primäre
     gilt seit langem als die dominierende Lärm-          Lärmquelle bei Pkw mit Verbrennungsmo-
     quelle in Deutschland. Das UBA geht davon            tor. 27 Das führt dazu, dass Elektroautos bei
     aus, dass etwa die Hälfte der bundesdeut-            höheren Geschwindigkeiten eine ähnliche
     schen Bevölkerung Straßenverkehrslärm mit            Lärmbelastung verursachen wie Autos mit
     Mittelungspegeln von mindestens 55 dB(A)             Verbrennungsmotoren. 28 Lärm ist ein Stress-
     tags beziehungsweise 45 dB(A) nachts aus-            faktor für den menschlichen Organismus
     gesetzt ist. Circa 15 Prozent werden sogar           und kann krank machen. Gehörschäden, aber
2030 Island
2040 Kanada                                                   2032 Schottland
                                                              2035 Vereinigtes Königreich

                                                                                2030 Schweden
                                                                                2025 Norwegen
                                                                                2030 Dänemark
2040 British ­Columbia                          2030 Irland
(Kanada)                                                                        2030 Niederlande
                                            2040 Frankreich
                                                                                2030 Slowenien
                                              2040 Spanien
2035 Kalifornien (USA)

                                                                                    2030 Hainan (China)
                 2050 Costa Rica
                                                      2035 Kap Verde

Ausstiegszieljahr
   2025–2030
   2031–2040
   2050

   2050 Internationale Allianz für
    emissionsfreie Fahrzeuge (IZEVA)

Übersicht über Staaten / Regionen mit Zielvorgaben für den Ausstieg aus dem Verkauf von
Autos mit Verbrennungsmotor
Quelle: eig. Darstellung nach https://www.automotiveworld.com/news-releases/growing-momentum-global-overview-of-
government-targets-for-phasing-out-sales-of-new-internal-combustion-engine-vehicles/

auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen können                   des Autos. 32 Gleichzeitig sieht der Bundesver-          17
durch Lärm verursacht werden. 29 Das Um-                  kehrswegeplan 2030 insgesamt 132,8 Milliar-
weltbundesamt weist in diesem Zusammen-                   den Euro für den Ausbau des Straßennetzes
hang auch darauf hin, dass armutsgefährdete               vor und damit 20 Milliarden Euro mehr als
Menschen „sowohl subjektiv als auch objek-                für das völlig vernachlässigte Schienennetz.
tiv mehr Lärm und insbesondere Straßenver-                Dabei ist die Förderung von ÖPNV, Fuß- und
kehrslärm im Wohnumfeld ausgesetzt [sind]                 Radverkehr ein wichtiger Bestandteil der Ver-
als Menschen mit höherem Status.“ 30                      kehrswende. Benötigt wird eine Infrastruktur,
                                                          die Wege für Radfahrende und Fußgänger*in-
Verlust von Lebensqualität                                nen fördert und ihren Schutz priorisiert. Denn
Während sich die geschilderten Umwelt- und                aktuell steigt der Anteil der Fußgänger*innen
Gesundheitsfolgen nicht in den Kosten des                 und Radfahrenden an den Verkehrstoten ste-
Autofahrens widerspiegeln, geht dessen politi-            tig, während die Zahl der Verkehrstoten ins-
sche Förderung zulasten anderer Verkehrsmit-              gesamt zurückgeht. Nichtsdestotrotz kamen
tel und ist damit sozial ungerecht. Ob jemand             auch im Jahr 2020 nach Angaben des Sta-
sich überhaupt ein Auto leisten kann, ist eine            tistischen Bundesamts 2.719 Menschen bei
Frage des Einkommens. Wer über nicht so viel              Verkehrsunfällen ums Leben; knapp 330.000
Geld verfügt, ist auf Fuß- und Radwege, Busse             wurden verletzt. 33
und Bahnen angewiesen. Und damit auf eine
Infrastruktur, die sowohl in Bezug auf den ihr            2.3 Eine dringende Notwendig-
zugestandenen Platz im öffentlichen Raum
                                                          keit: Der Verbrennerausstieg
(Stichwort „Flächengerechtigkeit“) als auch
in Bezug auf die ihr zugestandene finanzielle             Während sich die Kämpfe für eine autoredu-
Förderung stark benachteiligt ist. Der öffent-            zierte, umweltfreundliche Mobilität der Al-
liche Personennahverkehr (ÖPNV) ist unterfi-              ternativen intensivieren, hinkt Deutschland
nanziert. Im ländlichen Raum sind Busse und               hinterher, wenn es um das Ende des Ver-
Bahnen häufig kaum bis gar nicht vorhanden;               brennungsmotors und den Ausbau der Elek-
in Städten sind sie oft zu voll und zu spät und           tromobilität geht. Das Kraftfahrbundesamt
dabei für viele Menschen trotzdem zu teuer.               zählte Ende 2020 insgesamt 194.163 Elektro-
Zwar sind alternative Verkehrsmittel in vielen            Pkw, die damit nur 6,7 Prozent der Neuzu-
Fällen günstiger als die Fahrt mit dem eige-              lassungen ausmachten. Dabei hatte sich die
nen Pkw31, doch insgesamt betrachtet sind                 Bundes­regierung eigentlich selbst das Ziel
die Preise für ÖPNV und Fernfahrten mit der               gesteckt, bis zum Jahr 2020 eine Million Elek-
Bahn in den vergangenen Jahren deutlich                   troautos auf die Straße zu bringen. Zu den
stärker angestiegen als jene für die Nutzung              Gründen für die geringen E-Auto-Verkäufe
gehört auch der unzulängliche Ausbau der         verkaufen.40 General Motors will ab 2035 kei-
     Ladeinfrastruktur, der lange Zeit nur äußerst    ne Verbrenner mehr produzieren. Volkswagen
     schleppend vorankommt. Vor allem aber            und BMW nennen bisher kein konkretes Aus-
     mangelt es am politischen Willen, ein Ende       stiegsdatum, bis 2030 sollen aber 50 Prozent
     der Zulassung von Autos mit Verbrennungs-        der verkauften Autos elektrisch sein.41
     motor zu benennen. Immer mehr staatliche
     und lokale Regierungen haben inzwischen          E-Autos als Alternative
     teils sehr spezifische Regulierungen bezüg-      Elektroautos sind ein wichtiger Baustein für
     lich der Neuzulassungen von Kfz unterschied-     die klimagerechte Mobilitätswende. Je hö-
     lichen Typs erlassen. Norwegen will bereits ab   her der Ökostromanteil am geladenen Strom,
     2025 nur noch emissionsfreie Pkw zulassen,       desto besser die Klimabilanz. Doch bereits
     die Niederlande ab 2030. Größere Staaten wie     beim heutigen Strommix – mit einem in
     Großbritannien sowie Frankreich und Spani-       Deutschland recht hohen Anteil von fossilen
     en planen dies ab 2035 bzw. 2040. Die 17 Staa-   Energieträgern wie Kohle – weisen E-Autos
     ten, die bisher konkrete Jahresangaben für       eine bessere Klimabilanz auf als Autos mit
     ein Ende des Verbrennungsmotors verkündet        Verbrennungsmotoren. Das liegt vor allem
     haben, machen circa 13 Prozent der globalen      daran, dass Elektrofahrzeuge in der Nutzung
     Pkw-Verkäufe aus. 34                             deutlich energieeffizienter sind als Autos mit
                                                      Verbrennungsmotor. 42 So stößt ein durch-
      Nun nimmt das Thema auch auf EU-Ebene an        schnittliches E-Auto in der EU aktuell circa
      Fahrt auf. Im März 2021 riefen neun EU-Staa-    ein Drittel des CO 2 aus, wie ein vergleichba-
      ten (angeführt von Niederlanden und Dä-         rer Pkw mit Verbrennungsmotor; 2030 könn-
      nemark; dabei auch Belgien, Griechenland,       te es sogar nur noch ein Viertel sein – und
      Irland, Litauen, Luxemburg, Malta und Öster-    zwar unter Berücksichtigung des gesamten
      reich) die Europäische Kommission auf, ein      Lebenszyklus, also auch der Auto- und Bat-
      Datum für ein Zulassungsverbot von Autos        teriezellproduktion. 43 Wie eine Studie der
      mit Verbrennungsmotoren zu verkünden. Sie       Technischen Universität Eindhoven belegt,
      betonten dabei die selbst gesteckten Klima-     wurden in den vergangenen Jahren deutliche
      ziele der EU und die notwendige Bestrebung,     Fortschritte erzielt, um den CO 2 -Ausstoß bei
18    die CO 2 -Emissionen zu reduzieren. „Ehrgeizige der Batterieherstellung zu verringern. Kriti-
      politische Maßnahmen und Vorschriften – wie     ker*innen des Elektroautos, die deren „Kli-
      die Festlegung eines klaren und eindeutigen     marucksack“ in der Produktion hervorheben,
     Ausstiegsdatums für Benzin- und Dieselautos      würden mit veralteten Zahlen etwa aus den
      und -transporter sowie strengere CO 2 -Stan-    Jahren 2011 und 2014 agieren.44
      dards – werden auch Vorhersehbarkeit für die
     Automobilbranche schaffen und den Über- Gleichzeitig wird es bei der Batterieforschung
      gang zur emissionsfreien Mobilität voran- und -entwicklung noch weitere Fortschritte
      treiben“, heißt es in der Erklärung. 35 Um den  geben – beispielsweise wird die Energiedich-
      graduellen Übergang hin zu emissionsfreier      te immer besser und die Batterien dadurch
      Mobilität zu beschleunigen, sollen vor allem    voraussichtlich leichter. Nichtsdestotrotz gilt
     „die gegenwärtigen CO 2 -Emissionen-Stan- für Elektrofahrzeuge das gleiche wie für Autos
      dards signifikant gestärkt“ und Anreize für die mit Verbrennungsmotor: Für die Ökobilanz ist
      Entwicklung und Produktion neuer emissi- es sinnvoll, kleine, leichte und verbrauchsarme
      onsfreier Fahrzeuge geschaffen werden. 36 Tat- Autos zu bauen sowie die produzierten Fahr-
      sächlich kann dies auch als ein Beitrag dazu    zeuge so lange und mit so vielen Menschen
      gelesen werden, der EU-Kommission den Rü- wie möglich zu nutzen. Je größer der Akku
      cken zu stärken, wenn es darum geht, Ende       und somit die Reichweite eines Elektroautos
      des Jahres 2021 die Standards für neues Euro-­ ausfällt, desto energieintensiver ist in der Re-
      7-Label zu veröffentlichen. Ziel der neuen      gel die Herstellung – und desto schlechter die
      Norm ist, die EU-Klimaziele im Rahmen des       Umweltbilanz.
      Europäischen Green Deals auch im Verkehrs-
      sektor zu erreichen. 37 Doch die Autohersteller Herausforderungen ergeben sich jedoch bei
      protestieren und versuchen, laschere Emissi- der Deckung des Rohstoff- und Energiebe-
      onsziele zu erreichen. Dabei konnten sie sich   darfs von Elektro-Autos. Im Jahr 2019 war der
      in der Vergangenheit häufig gewiss sein, dass   Verkehrssektor der Sektor mit dem höchsten
      die deutsche Bundesregierung sich auf EU- Energieverbrauch in Deutschland. 45 Dabei
      Ebene für die wirtschaftlichen Interessen der   werden zu über 94 Prozent auf Erdöl basie-
     Autokonzerne einsetzt.                           rende Kraftstoffe eingesetzt. Strom spielt
                                                      mit unter 2 Prozent Anteil bisher kaum eine
      Derweil kündigen einige Autohersteller das      Rolle. Das veranschaulicht, welche enorme
      Ende der Produktion und des Verkaufs von        zusätzliche Herausforderung die Umstellung
     Autos mit Verbrennungsmotoren an. So will        des Verkehrs von fast ausschließlich fossilen
      zum Beispiel Jaguar ab 2025 38, Audi ab 2026 39 Energieträgern auf erneuerbare Energien
      und Opel ab 2028 keine Verbrenner in Europa     darstellt.
3. Menschenrechtlich, sozial & ­ökologisch ein
Problem: Der Bedarf an m­ etallischen Roh-
stoffen für Automobilität und Elektroautos

                                                                                                               19
In der chilenischen Atacama-Wüste befindet sich mit Chuquicamata eines der größten Kupferbergwerke der Welt.
Photo: Bruna Fiscuk, Unsplash

­ on der Karosserie über das Kabel bis hin zu
V                                                        und Rohstoffe (BGR) zur Rohstoffsituation
im Rücksitz verbauten Bildschirmen: Ein Auto             in Deutschland zeigt auf, welche Rohstoffe
verbraucht zahlreiche Rohstoffe in großen                in welchem Maße verbraucht werden. Dabei
wie in kleinen Mengen. Der durchschnittliche             wird deutlich, dass die Autohersteller einen
Neuwagen in Deutschland wiegt über 1.600                 großen Teil dieser Importe beanspruchen:
Kilogramm.46 Viele der neu entwickelten und              Stahl, Aluminium, Kupfer, Zink und andere Me-
verkauften Modelle – Stichwort SUV – sind so-            talle werden in großen Mengen in deutschen
gar noch schwerer. So liegt das Leergewicht              Autos verarbeitet. Den größten Anteil des Vo-
von in Deutschland beliebten SUVs wie bei-               lumens an sogenannten Konstruktionswerk-
spielsweise dem VW Tiguan oder dem Merce-                stoffen machen dabei Aluminium und Stahl
des GLC zwischen 1.600 und 1.900 Kilogramm.              aus. BMW berichtet, dass allein Stahl und
Luxus-SUVs wie der BMW X7, der VW Toua-                  Eisen 53 Prozent des Materialeinsatzes des
reg oder der Mercedes GLS bringen gar zwi-               Konzerns ausmachen; Aluminium und andere
schen 2 und 2,5 Tonnen auf die Waage. Mit                Nichteisenmetalle 18 Prozent.47 Die Produkti-
insgesamt 4,6 Millionen im Inland produzier-             on der beiden Metalle verursacht einen erheb-
ten Pkw ist die Automobilindustrie als zentra-           lichen Anteil der CO 2 -Emissionen entlang der
le Branche des verarbeitenden Gewerbes in                gesamten Wertschöpfungskette eines Autos –
Deutschland einer der größten Verbraucher                laut Daimler sind es circa 60 Prozent.48
metallischer Rohstoffe. Deren Abbau geht
in vielen Fällen mit gravierenden Folgen für             Eisenerz ist der Hauptrohstoff der Stahlher-
Menschen und Umwelt einher.                              stellung – und Deutschland in Europa der
                                                         größte, im weltweiten Vergleich der siebt-
3.1 Der Rohstoffverbrauch der                            größte Hersteller von Rohstahl. Stahl ist der
                                                         wichtigste Werkstoff im Automobilbau und
deutschen Autoindustrie
                                                         wird für die Karosserie, aber auch im Fahrwerk
Die deutsche Industrie ist der weltweit fünft-           verarbeitet. So beanspruchte die Automobil-
größte Verbraucher metallischer Rohstoffe –              industrie im Jahr 2019 insgesamt 26 Prozent
und dabei zu fast 100 Prozent auf Importe                des in Deutschland verarbeiteten Stahls. 49
angewiesen. Der jährlich erscheinende Bericht            Damit einher geht der hohe Verbrauch von
der Bundesanstalt für Geowissenschaften                  Zink: „Etwa die Hälfte des in Deutschland
werden, die mit Bordcomputern, immer mehr
                                                              Displays, sich selbst hebenden Heckklappen
                                                              und anderen luxuriösen Zusatzfunktionen
                                                              ausgestattet sind, benötigen sie dafür all jene
                                                              metallischen Rohstoffe, deren Verbrauch im
                                                              Zuge der allgemeinen Digitalisierung stark
                                                              ansteigt. 52

                                                              Entsprechend steckt immer mehr Kupfer in
                                                              einem Auto – das Metall befindet sich in An-
                                                              lasser und Lichtmaschine, aber auch im Mo-
                                                              tor und im Antriebsstrang, in Schaltern und
                                                              Kontakten, und in der Verkabelung. Wurden
                                                              in einem VW Golf 1 im Jahr 1980 noch Lei-
                                                              tungen mit einer Gesamtlänge von 214 Me-
                                                              tern verbaut, so kommt das Kabelnetz eines
                                                              heutigen Golfs auf fast 1,6 Kilometer Län-
                                                              ge. 53 Inzwischen geht fast ein Zehntel des
                                                              in Deutschland verarbeiteten Kupfers an die
                                                              Automobilindustrie. 54 Dabei handelt es sich
                                                              um nicht geringe Mengen, da Deutschland
      Der Mangel an Ladesäulen wird politisch intensiver
      ­diskutiert als die Menschenrechtsverletzungen beim
                                                              bei dem weltweiten Raffinadeverbrauch von
     ­Abbau der Rohstoffe. Photo: Michael Fousert, Unsplash   Kupfer auf dem dritten Rang hinter China
                                                              und den USA steht. 55
     eingesetzten Zinks wird als Korrosionsschutz
     für die Verzinkung von Stahl genutzt, der vor            Ähnliches lässt sich für Blei sagen: Deutsch-
     allem in der Automobil- und Bauindustrie                  land ist nach China, den USA , der Re-
     zum Einsatz kommt.“ 50 Außerdem verarbeiten               publik Korea und Indien der weltweit
     die Automobil- und deren Zuliefererindust-                fünftgrößte Bleiverbraucher. Auch hier spie-
20   rie weltweit 8,5 Prozent des Aufkommens an                len die Autohersteller eine zentrale Rolle, da
     Edelstahl, für dessen Erzeugung weitere Me-              „Blei zu 74 Prozent in Akkumulatoren für die
     talle benötigt werden (z.B. Chrom, Mangan,               Automobilindustrie eingesetzt“ wird. 56 Eben-
     Molybdän, Nickel, Vanadium und Wolfram).                  falls eine wichtige Rolle spielt die Automobil-
                                                               branche für das Edelmetall Platin: Fast die
     Doch einfacher Stahl – der aus der Legie-                 Hälfte der hierzulande eingesetzten Menge
     rung von Eisen und Kohlenstoff gefertigt                  wurde für Katalysatoren verwendet. 57 Das zu
     wird – hat ein hohes Gewicht. Weil Alumi-                 derselben Metallgruppe wie Platin gehören-
     nium im Vergleich zu einfachem Stahl we-                  de Palladium wird sogar zu mehr als 90 Pro-
     sentlich leichter ist, hat sich sein Einsatz für          zent für Autokatalysatoren eingesetzt. Die
     die Karosserie in den letzten zwanzig Jahren              steigende europäische Nachfrage nach dem
     verzehnfacht. Inzwischen stecken in einem                 Edelmetall verbindet die BGR explizit mit der
     Pkw durchschnittlich 160 Kilogramm des                   „Bevor­zugung von Fahrzeugen mit Verbren-
     Leichtmetalls. Aluminium befindet sich in                 nungsmotoren.“ 58
     der Karosserie, aber auch in Armaturen, Fel-
     gen, Getriebegehäuse, Kolben, Motorblöcken               Die skizzierte Situation bezieht sich auf die
     und Stoßstangen. So geht ein großer Anteil               gegenwärtige Produktion von Autos in
     des in Deutschland verarbeiteten Alumini-                Deutschland – und verdeutlicht, dass der Be-
     ums an die Autohersteller: „Größter Einsatz-             griff „Blechkiste“ nicht von ungefähr rührt: Ein
     bereich von Aluminium ist in Deutschland                 Auto besteht aus zahlreichen verschiedenen
     mit etwa 47 Prozent der Verkehrssektor mit               metallischen Rohstoffen in unterschiedlichen
     dem Fahrzeugbau.“ 51 Medienwirksam ge-                   Mengen. Die Hersteller bemühen sich dar-
     führte Debatten um das Gesamtgewicht und                 um, den Materialeinsatz zu reduzieren. Doch
     den Materialverbrauch von Pkw fokussieren                ähnlich wie bei den CO 2 -Emissionen werden
     sich häufig auf die Karosserie. Doch auch das            die Effizienzgewinne durch den Verkauf von
     Fahrwerk, die Ausstattung und der Antrieb                immer mehr und immer größeren Autos wie-
     verbrauchen Rohstoffe. Elektromotoren für                der aufgefressen. So wird in der Materialbilanz
     die Heckklappen, elektrische Lenkradverstel-             von Daimler eine Steigerung des Materialver-
     lung, zusätzliche Sicherheitsausstattungen               brauchs deutlich. Im Jahr 2017 wurden fast
     und andere Extras haben das Gewicht stark                eine Million Tonnen Rohstoffe mehr einge-
     nach oben getrieben. Die immer komplexer                 setzt als noch im Jahr 2016 (von 6,841 Millionen
     werdenden Ausstattungen basieren auf Elek-               Tonnen auf 7,748 Millionen Tonnen). 59 Mediale
     tronik und Motorik, die nicht nur viel wiegen,           Aufmerksamkeit erhielt das Thema des Roh-
     sondern auch spezifische Rohstoffbedarfe                 stoffverbrauchs von Autos jedoch insbeson-
     schaffen. Wenn Autos zu vernetzten Geräten               dere im Zusammenhang mit Elektromobilität,
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