Weniger Autos, mehr globale Gerechtigkeit - Warum wir die Mobilitäts- und Rohstoffwende zusammendenken müssen - Brot für die Welt
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Weniger Autos, mehr globale Gerechtigkeit Warum wir die Mobilitäts- und Rohstoffwende zusammendenken müssen
Weniger Autos, mehr globale Gerechtigkeit Warum wir die Mobilitäts- und Rohstoffwende zusammendenken müssen
Impressum Weniger Autos, mehr globale Gerechtigkeit Herausgeber: Brot für die Welt Bischöfliches Hilfswerk PowerShift – Verein für eine Evangelisches Werk für Diako- MISEREOR e. V. ökologisch-solidarische nie und Entwicklung e. V. Mozartstraße 9, Energie- & Weltwirtschaft e. V. Caroline-Michaelis-Str. 1, 52064 Aachen Greifswalder Str. 4, 10115 Berlin +49 (0)241 442 0 10405 Berlin +49 (0)30 65 21 10 info@misereor.de +49 (0)30 428 054 79 www.brot-fuer-die-welt.de www.misereor.de info@power-shift.de https://power-shift.de Autor*innen: Merle Groneweg (PowerShift) Constantin Bittner (MISEREOR): Kapitel 3.2.1 und 3.2.3 Teresa Hoffmann (Brot für die Welt): Kapitel 3.2.4 Vincent Neussl (MISEREOR) und Axel Müller (FAKT e.V.): Kapitel 3.2.5 Armin Paasch (MISEREOR): Kapitel 3.3.1 Michael Reckordt (PowerShift): Kapitel 3.2.2 und 3.2.6 Klaus Schilder (MISEREOR): Kapitel 3.2.7 Mattes Tempelmann (MISEREOR): Kapitel 3.2.3 Redaktion: Merle Groneweg, Michael Reckordt (PowerShift), Sven Hilbig (Brot für die Welt), Armin Paasch (MISEREOR) Bildredaktion: Tilla Balzer, Michael Reckordt, Elisa Thomaset Titelbilder: nextbike, Unsplash und Clemens Kreuer Layout, Satz / Reinzeichnung: Tilla Balzer I buk.design Berlin, September 2021 © PowerShift e. V. Alle Links in den Fußnoten wurden am 16.07.2021 auf Gültigkeit überprüft. PowerShift – Verein für eine ökologisch-solidarische Energie- & Weltwirtschaft e. V. Unser Ziel ist eine ökologisch und sozial gerechtere Weltwirtschaft. Dafür setzen wir unsere Expertise in Handels‐, Rohstoff‐ und Klimapolitik ein: Mit umfassenden Recherchen durch- leuchten wir politische Prozesse, benennen die Probleme eines ungerechten globalen Wirtschafssystems und entwickeln Handlungsalternativen. Um unsere Ziele zu erreichen, formulieren wir politische Forderungen, betreiben I nformations‐ und Bildungsarbeit und schmieden starke Bündnisse – mit a nderen O rganisationen, sozialen B ewegungen und Bürger*innen. Gemeinsam mischen wir uns ein! Wenn Sie über unsere Arbeit auf dem Laufenden bleiben wollen, dann abonnieren Sie unseren Newsletter: https://power-shift.de/newsletter-bestellen Gefördert durch ENGAGEMENT GLOBAL mit Mitteln des Für den Inhalt dieser Publikation sind die Herausgeber verantwortlich; die hier dargestellten Positionen geben nicht den Standpunkt von Engagement Global oder des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wieder.
Inhalt Glossar 7 Herkunft der deutschen Rohstoffimporte 8 1. Einleitung 10 2. Autoland Deutschland – Zahlen und Fakten 12 2.1 Politische Unterstützung für Automobilität 13 Infokasten: Die Autoindustrie bremst den Klimaschutz aus 13 2.2 Gegenwärtige Umwelt- und Gesundheitskosten 14 2.2.1 Treibhausgase 14 2.2.2 Stickoxide 14 2.2.3 Feinstaub 15 2.2.4 Flächenverbrauch, Lärm und Verlust von Lebensqualität 15 Infokasten: Die Verkehrswende von unten: Bewegung für A lternativen 16 2.3 Eine dringende Notwendigkeit: Der Verbrennerausstieg 17 3. Menschenrechtlich, sozial & ö kologisch ein Problem: Der Bedarf an metallischen Rohstoffen für Automobilität und Elektroautos 19 3.1 Der Rohstoffverbrauch der deutschen Autoindustrie 19 3.1.1 Rohstoffe für die Akkus von Elektro-Autos 21 3.1.2 Der industriepolitische Diskurs der Versorgungssicherheit 21 3.2 Die fatalen Folgen des Rohstoffabbaus 23 3.2.1 Dammbrüche in Brasilien: Verbrechen mit Ansage im Eisenerzabbau 23 Infokasten: Staudammbrüche in Brasilien 24 3.2.2 Bauxit in Guinea 25 3.2.3 Zwischen Dammbrüchen und der Verteidigung indigener Territorien: Kupferabbau in L ateinamerika 26 3.2.4 Wasserstress im Lithiumdreieck – Chile im Fokus 28 3.2.5 Kobalt-Konflikte: Industrieller und artisanaler Bergbau in der DRK 29 3.2.6 Nickelabbau: Umweltbelastungen für die lokalen G emeinden 31 3.2.7 Mineralien aus der Tiefsee für die Elektromobiliät 32 3.3 Auf dem Weg zur gesetzlichen Unternehmensverantwortung? 33 3.3.1 Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – erster w ichtiger Schritt zur verbindlichen Unternehmensverantwortung 33 3.3.2 Bergbauspezifische R egulierung auf EU-Ebene: Konfliktmineralien und Batterierohstoffe 35 3.3.3 Was machen BMW, Daimler und VW zur Achtung der Menschenrechte? 36
4. Eine klima- und ressourcengerechte Verkehrswende ist nötig 39 4.1 Ein zügiges Ende des V erbrennungsmotors und ein deutlicher Rückgang vom motorisierten Individualverkehr 39 4.2 Eine absolute Senkung des Verbrauchs von Primärrohstoffen durch eine drastische Reduktion der Zahl und Größe der Autos in Deutschland sowie durch konsequentes Recycling 40 4.3 Die Einführung gesetzlich verpflichtender menschenrechtlicher, sozialer und umweltbezogener Sorgfaltspflichten für den Import von Rohstoffen 40 Endnoten 42
Glossar ASI Aluminium Stewardship Initiative BAFA Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle BDI Bundesverband der Deutschen Industrie BGR Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe BMAS Bundesministerium für Arbeit und Soziales BMWi Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie BMZ Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung CBG Compagnie des Bauxites Guinée CO2 Kohlenstoffdioxid dB(A) Geräuschpegel (Dezibel) DFA Dodd-Frank Wall Street Reform and Consumer Protection Act DR Kongo Demokratische Republik Kongo DWS Deutsche Asset Management ECCHR European Center for Constitutional and Human Rights ERM Energie- und Rohstoffkapitel in Handelsabkommen EU Europäische Union FPIC Recht indigener Völker auf freie, vorherige und informierte Zustimmung (Free Prior and Informed Consent) ICC International Chamber of Commerce IEA Internationale Energieagentur 7 IFC International Finance Corporation ILO Internationale Arbeitsorganisation IRMA Initiative for Responsible Mining Assurance MERCOSUR Gemeinsamer Markt Südamerikas NAP Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) NO2 Stickstoffdioxid NOX Stickstoffoxide OECD Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OEFA Peruanische staatliche Umweltkontrollbehörde ÖPNV Öffentlicher Personennahverkehr PKW Personenkraftwagen PM Particulate Matter (Feinstaub) PS Pferdestärken (Maßeinheit zur Messung von Maschinenleistung) RMI Raw Materials Initiative (europäische Rohstoffinitiative) RSI Responsible Steel Initiative SDG Ziele für eine nachhaltige Entwicklung ((Sustainable Development Goals) SUV Sport Utility Vehicle UBA Umweltbundesamt UFK Ungebundene Finanzkredite UK United Kingdom / Vereinigtes Königreich UNCTAD Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung UNEP Umweltprogram der Vereinten Nationen USD US-amerikanischer Dollar UVEAS Mexikanische Einheit zur Überwachung von Krankheiten und Umwelt VDA Verbands der Automobilindustrie
Herkunft der deutschen Rohstoffimporte Kanada 17,6% Eisenerz USA 35,7% Kobalt* Bauxit 8 Kupfer Lithium Frz.-Guyana Guinea 5% 93,1% Nickel * Zahlen beziehen sich auf die EU-Importe Peru 29,3% Brasilien 44,8% 23,5% Chile 80,1% 17,4% Bauxit Eisenerz Kobalt Kupfer Lithium Nickel Guinea 24,7 Australien 27,8 DRK 50,7 Chile 23 Bolivien 24,4 Indonesien 22,3 Australien 17 Brasilien 18,9 Australien 19,7 Peru 10,6 Argentinien 22,4 Australien 21,3 Vorkommen (% Welt) Vietnam 12,3 Russland 13,9 Kuba 7 Australien 10,1 Chile 11,2 Brasilien 17 Brasilien 9 China 11,1 Philippinen 3,7 Russland 7 Australien 7,4 Russland 7,3 Jamaika 6,7 Ukraine 3,6 Russland 3,5 Mexiko 6,1 China 5,9 Kuba 5,9 Sonstige 30,3 Sonstige 24,7 Sonstige 15,4 Sonstige 43,2 Sonstige 28,7 Sonstige 26,2
Finnland 14% Japan 11,3% 9 Malaysia 19,2% DR Kongo 68% Südafrika 20,7% Bauxit Eisenerz Kobalt Kupfer Lithium Nickel Australien 29,3 Australien 37,5 DRK 69,4 Chile 28,4 Australien 52,3 Indonesien 32,7 China 19,6 Brasilien 16,5 Russland 4,4 Peru 10,8 Chile 22,4 Philippinen 12,4 Produktion Guinea 18,7 China 14,3 Australien 4 China 8,2 China 12,6 Russland 10,7 (WPA %) Brasilien 9,5 Indien 9,7 Philippinen 3,5 DRK 6,3 Argentinien 7,3 Frankreich/ 8 Neukaledonien Indien 6,4 Russland 4 Kuba 2,6 USA 6,2 Brasilien 2,8 Kanada 6,9 Sonstige 16,5 Sonstige 18 Sonstige 16,1 Brasilien 1,8 Sonstige 2,6 Australien 6,1 Sonstige 38,3 Sonstige 2,6 Sonstige 23,2
1. Einleitung 10 Ein großer Teil der Rohstoffe für deutsche Autos wird in Minen im Globalen Süden abgebaut, wie im „Reichen Hügel“ (Cerro Rico). So heißt diese Silber- und Zinkmine in Bolivien. Photo: Tobias A. Müller, Unsplash Global wie lokal betrachtet leiden vor allem Lebensgrundlagen beschädigt oder zerstört. jene Menschen unter den Folgen der Klima Der vielfältige Protest dagegen ist bereits katastrophe, die am wenigsten dazu beitra- heute geprägt von der Notwendigkeit, zu gen. Die Mehrheit der Menschen, die stark überleben – und wird oft von Indigenen Ge- von den Folgen der Erderhitzung betroffen meinden, Bäuer*innen und von anderen länd- sind, leben auf dem afrikanischen Kontinent, lichen Gemeinschaften getragen, die für ihr im südost- und südasiatischen Raum, im Recht auf Selbstbestimmung kämpfen. Pazifik und in Lateinamerika. Dort sind Kli- ma- und Umweltkrisen keine in der Zukunft Auch im Globalen Norden intensivieren sich liegende Bedrohung, sondern vielfach bereits die Proteste der Klimagerechtigkeitsbewe- bittere Realität: Dürre verschärft Hungerkatas- gung, die nicht ohne Grund diesen Titel trägt: trophen, Überschwemmungen und Stürme Der Schutz von Klima und Umwelt ist stets zerstören Lebensgemeinschaften und Wohn- auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. orte. Die Konsequenzen der Erderhitzung So weisen Fridays for Future mit ihren Pro- sind weitreichend. Während der Temperatur- testen immer wieder darauf hin, dass die anstieg in einigen Regionen so drastisch sein gegenwärtige Politik zulasten jüngerer Ge- wird, dass sie bereits in wenigen Jahrzehnten nerationen geht. Wer emittiert eigentlich für Menschen als nicht mehr bewohnbar gel- auf wessen Kosten CO 2? Der Verkehrssektor – ten, werden andere Orte aufgrund des stei- Fliegen, Autofahren, Gütertransport – spielt genden Meeresspiegels gänzlich untergehen. für diese Frage eine zentrale Rolle und bietet Trotzdem werden Jahr für Jahr immer mehr relevante Hebelpunkte für strukturelle wie in- Treibhausgase ausgestoßen. Für groß ange- dividuelle Veränderungen. Global wie auch in legte Bergbau-, Industrie- und Infrastruktur- Deutschland verursacht der Verkehrssektor projekte werden Ökosysteme und damit auch jeweils rund ein Fünftel der CO 2 -Emissionen
und trägt somit maßgeblich zur Erderhit- Bordelektronik eines jeden Autos – also auch zung bei.1 In Deutschland ist der überwie- jenen mit Verbrennungsmotor – bereits jetzt gende Anteil dieser Treibhausgasemissionen in hohen Mengen verarbeitet. auf Autos mit Verbrennungsmotoren zurück- zuführen. Inzwischen bezeichnet auch die Bundes- regierung die Automobilindustrie als „men- Doch aus Umwelt- und Klimagerechtig- schenrechtlich relevante Risikobranche“. 5 Die keitsperspektive gilt es, neben den direkten deutschen Autokonzerne profitieren von weit CO 2 -Emissionen von Pkws noch viele weite- verzweigten Produktionsnetzwerken, die die re Faktoren zu berücksichtigen. Dazu zählen Auslagerung zahlreicher Bestandteile der unter anderem der hohe Flächenverbrauch Produktion ermöglichen. An der ersten Stufe sowie die Feinstaub- und Lärmbelastung im ihrer lukrativen Wertschöpfungskette steht Verkehrssektor. Vor allem aber basiert die dabei stets der Abbau von Rohstoffen. Auto- gegenwärtige Automobilität nicht nur auf konzerne und ihre Zulieferer beanspruchen der Verbrennung von Erdöl, sondern auch auf einen großen Teil der in Deutschland ver- dem Abbau und der Weiterverarbeitung zahl- arbeiteten Rohstoffe, die großteils importiert reicher Rohstoffe. In jedem Pkw stecken zum werden. Dabei handelt es sich um beachtli- Beispiel mehrere Hundert Kilogramm Alumi- che Mengen, schließlich ist der Industriestaat nium und Stahl. Diese beiden Metalle machen Deutschland der fünfgrößte Verbraucher von den mit Abstand größten Anteil des Volumens Metallen weltweit. an den so genannten Konstruktionswerkstof- fen aus. Ihre Herstellung aus den Erzen Eisen Nach wie vor bleiben in der verkehrspoliti- und Bauxit ist äußerst energieintensiv. So schen Debatte vor allem die sozialen, ökologi- hat die weltweite Stahlproduktion von 1900 schen und menschenrechtlichen Kosten des bis 2015 schätzungsweise neun Prozent aller Rohstoffabbaus für die Automobilität außen globalen Treibhausgasemissionen in diesem vor. Mit dieser Studie möchten wir einen Bei- Zeitraum verursacht. 2 Der Aluminiumsektor trag dazu leisten, jene ausgelagerten und un- ist für rund zwei Prozent aller Treibhausgas- sichtbar gemachten Kosten aufzuzeigen. In emissionen verantwortlich. 3 Entsprechend Kapitel zwei geben wir einen Überblick zur Au- verursachen die beiden Metalle auch einen er- tomobilität in Deutschland und werfen einen 11 heblichen Anteil der CO 2 -Emissionen entlang Blick auf die verkehrspolitische Agenda politi- der gesamten Wertschöpfungskette eines scher Verantwortlicher und Akteur*innen der Autos, nämlich ca. 60 Prozent.4 Zugleich geht Industrie, bevor wir die Auswirkungen des Au- der Abbau der Erze – die nach Deutschland toverkehrs in Deutschland auf Klima, Umwelt vor allem aus Brasilien und Guinea importiert und Gesundheit aufzeigen und darstellen. werden – häufig mit gravierenden Menschen- Wir skizzieren, warum einerseits Elektroautos rechtsverletzungen und Umweltverschmut- trotz der negativen Begleiterscheinungen die zung einher. Die Produktion ist häufig dort notwendige Alternative zum Verbrennungs- am günstigsten, wo die menschenrechtlichen, motor darstellen und andererseits insbeson- sozialen und ökologischen Standards am dere Mobilitätsformen jenseits des Pkws im niedrigsten sind. Die in diesem Zusammen- Privatbesitz gefördert werden müssen. Im hang entstehenden Risiken – ebenso wie ähn- dritten Kapitel untersuchen wir, welche me- liche Effekte bei der Erdölförderung – sind seit tallischen Rohstoffe in Autos stecken und mit langem bekannt. welchen Folgen ihr Abbau in verschiedenen Staaten verbunden ist. Wir zeigen auf, dass Allerdings hat die Relevanz von verant- die Rohstoffbeschaffung deutscher Indus wor tungsvollem Rohstof fbezug durch trien politisch unterstützt wird und weisen auf Autokonzerne erst in Verbindung mit der An- gesetzgeberische Prozesse zur Regulierung triebswende mehr Aufmerksamkeit erfahren. der menschenrechtlichen und umweltbezo- Die mit der Elektromobilität massiv steigende genen Sorgfaltspflicht von Unternehmen hin. Nachfrage nach Metallen wie Lithium, Kobalt, Daran anknüpfend stellen wir in Kapitel vier Graphit und Nickel hat die menschenrecht- Politikempfehlungen für eine global gerechte lichen, sozialen und ökologischen Probleme und zukunftsfähige Mobilitäts- und Rohstoff- beim Abbau dieser Rohstoffe in den Fokus wende in Deutschland und Europa vor. gerückt. In Argentinien, Bolivien und Chile, der Demokratischen Republik Kongo und Sambia, China und Russland, Indonesien und den Philippinen geht die Rohstoffextraktion mit zahlreichen Konflikten einher – Lebens- grundlagen werden für Profite zerstört, die andernorts angehäuft werden. Aber metal- lische Rohstoffe werden nicht nur für die Akkus von E-Autos, sondern auch für Karos- serie, Gehäuse, Motor, Abgassysteme und
2. Autoland Deutschland – Zahlen und Fakten 12 Knapp 50 Millionen Autos stehen an einem durchscnittlichen Tag 23 Stunden still. Photo: Ivana Cajina, Unsplash Mehr als 48 Millionen Autos sind in Deutsch- verdoppelt. Im selben Zeitraum ist die Nut- land derzeit zugelassen. 6 135 Jahre nach zung des Umweltverbunds – Fuß, Rad, Bahn Erfindung des Automobils prägt der mo- und Bus – von 24 Prozent auf 20 Prozent zu- torisierte Individual- und Güterverkehr das rückgegangen.7 Erscheinungsbild hiesiger Städte und Land- schaften. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde Doch nicht nur die Zahl der mit den Autos ge- die städtische Infrastruktur – häufig orientiert fahrenen Kilometer wächst stetig, sondern am Vorbild US-amerikanischer Städte mit auch ihre Größe, Gewicht und Motorleistung. ihren suburbs, in denen die weiße Mittelklas- Laut einer Studie des CAR-Instituts an der Uni- se lebte – auf das Auto ausgerichtet. Mit dem versität Duisburg-Essen hatten die 2020 neu Pkw konnten die häufig nicht geringen Ent- zugelassenen Pkw im Schnitt 158 PS – und da- fernungen zwischen Wohn- und Arbeitsort mit fünf PS mehr als im Vorjahr. Treiber dieses bewältigt und den Anforderungen der Lohn- „Wettrüstens“ ist der Trend zu „Sport Utility und Sorgearbeit gerecht werden. Während Vehicles“ (SUV) und Plug-In-Hybrid-Antrieben, der Besitz eines Autos für viele Menschen dessen PS-Zahl um neun Prozent über dem schlicht eine Notwendigkeit ist, um den Alltag Durchschnitts-Neuwagen lag.8 Größere Autos zu meistern, ist er für andere – insbesonde- mit mehr Leistung benötigen jedoch auch re für Männer – ein begehrtes Statussymbol. mehr Kraftstoff und stoßen somit wiederum Heute besitzen 77 Prozent der Haushalte in mehr CO 2 aus. Laut Berechnungen der Inter- Deutschland mindestens einen Pkw, in jedem nationalen Energieagentur (IEA) haben SUV vierten Haushalt sind sogar zwei oder mehr nach dem Energiesektor am meisten zum Autos vorhanden. Konkret bedeutet das: Auf Anstieg der globalen CO 2 -Emissionen seit 1.000 Einwohner*innen kommen 574 Pkw. 2010 beigetragen.9 Umso bedenklicher ist der Und diese Fahrzeuge werden für immer mehr kontinuierliche Trend steigender SUV-Verkäu- Strecken genutzt: Zwischen den Jahren 1976 fe, der in Deutschland zu beobachten ist: Im und 2018 hat sich die Zahl der jährlich im Jahr 2017 wurden erstmals mehr SUV und Ge- Schnitt zurückgelegten Kilometer pro Person ländewagen neu zugelassen als Kleinwagen.
Die Autoindustrie bremst den Klimaschutz aus Die deutsche Autoindustrie ist und bleibt zahlen sich unter anderem aus, wenn es eine der politisch einflussreichsten Branchen bei den so genannten „Autogipfeln“ um die in Deutschland: Sie erzielt ein gutes Fünftel Anliegen der Autohersteller geht. Hingegen des Gesamtumsatzes der deutschen Indust- sind Akteur*innen mit Expertise im Bereich rie und beschäftigt rund 800.000 Menschen. Klima- oder Verbraucherschutz nicht ein- Diese enorme Wirtschaftskraft verleiht den geladen. Autokonzernen eine starke politische Macht. Sie ist durch zahlreiche Kontakte, Netzwerke Freilich sind die Autokonzerne in Berlin sehr und Seitenwechsler*innen aufs Engste mit präsent – doch wie viele Lobbyist*innen aus der Politik verzahnt. Sinnbild dafür war lange der Branche dort aktiv sind, lässt sich nicht Zeit Matthias Wissmann, langjähriger Chef genau sagen. In Deutschland gibt es bislang des mächtigen Verbands der Automobilin- kein Lobbyregister, das solche Zahlen erfasst. dustrie (VDA). Vor seiner Zeit als Autolobbyist Das wird sich allerdings bald ändern: war Wissmann als Verkehrsminister Kabi- Im März 2021 hat der Bundestag nach lang- nettskollege der damaligen Umweltministe- jährigem Ringen und zahlreichen Lobbys- rin Angela Merkel und galt auch danach als kandalen endlich ein Lobbyregister-Gesetz ihr enger Vertrauter. Mittlerweile gibt Hilde- verabschiedet. Auf europäischer Ebene gard Müller als Cheflobbyistin des VDA den erfasst das Brüsseler Transparenzregister die Ton an. Auch sie kann bei ihrer Lobbyarbeit Anzahl der Autolobbyist*innen schon heute. auf beste Kontakte in die höchsten Ebenen Hier zeigt sich zum Beispiel, wie stark gegen der Politik zurückgreifen, da sie von 2005 bis die Reform der EU-Abgasnorm und schär- 2008 Staatsministerin im Kanzleramt war. fere CO2 -Grenzwerte lobbyiert wird. Klima- Weitere Seitenwechsler*innen stammen und Umweltschutzmaßnahmen werden von ebenfalls aus dem Umfeld der ehemaligen den Autoherstellern immer wieder erfolg- 13 Bundeskanzlerin: Ihr einstiger Büroleiter reich als „Belastung“ dargestellt. Und das Michael Jansen leitet heute die Hauptstadt- durchaus mit Wirkung: So stellen amtieren- präsenz von VW und der frühere stellver- de Politiker*innen häufig die Interessen der tretende Regierungssprecher Thomas Steg Autoindustrie vor den Klima- und Umwelt- arbeitet dort als Cheflobbyist. Eckart von schutz. Klaeden wechselte 2013 von seiner Tätig- keit als Staatsminister im Kanzleramt zum Ein Gastbeitrag von Christina Deckwirth, Daimler-Konzern. Die exklusiven Kontakte LobbyControl. 2020 war jeder fünfte neu zugelassene Pkw bewusst zu bewerben, setzen die deutschen in Deutschland ein SUV. Gemeinsam mit dem Autokonzerne in den nächsten Jahren noch Segment der Geländewagen (10,5 Prozent), auf die schweren Spritschlucker. Die ökolo- das im Wesentlichen auch SUV umfasst, ma- gischen Kosten sind dabei nicht eingepreist. chen die großen Autos inzwischen rund ein Zugleich wird das Autofahren auf vielfältige Drittel aller Neuzulassungen aus.10 Weise politisch gefördert – etwa durch Sub- ventionen und eine auf das Auto ausgerich- Die deutsche Autoindustrie macht mit den tete Infrastruktur. Dies liegt nicht zuletzt schweren, großen und PS-starken Premium aufgrund des politischen Einflusses der Auto- autos gute Geschäfte. Denn je teurer das industrie, die eng mit den politischen Ent- Auto, umso größer ist in der Regel auch die scheidungsträger*innen verflochten ist. Gewinnmarge. So produzierten die deut- schen Hersteller 2020 weltweit 5,2 Millionen 2.1 Politische Unterstützung für Geländewagen oder SUV – was mehr als Automobilität einem Drittel der Produktion von 13,3 Mil- lionen Pkw gleichkommt. Doch sie wollen Zahlreiche steuerliche Anreize sind so gestal- noch mehr: Im Jahr 2025 soll der SUV-Anteil tet, dass sie das Kaufen und Fahren von (gro- an den verkauften Fahrzeugen laut Wunsch ßen) Autos anstelle der Alternativen fördern. des Volkswagen-Konzerns bei mehr als 50 So lässt die so genannte Pendlerpauschale die Prozent liegen. Die durch die Antriebswende Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsort möglichen Fortschritte bei der CO 2 -Einspa- steuerlich absetzbar machen und trägt damit rung werden durch die SUV-Verkäufe damit zur Zersiedelung bei. Zwar gilt diese Pauscha- sehr wahrscheinlich wieder zunichte ge- le für alle Verkehrsmittel, doch in der Mehrheit macht. Anstatt frühzeitig in zukunftsfähige der Fälle fällt die Wahl auf das Auto – eine öko- Geschäftsmodelle zu investieren und diese logische Priorisierung der Verkehrsmittel ist
nicht vorgesehen. Zudem ist die Pauschale Treibhausgasemissionen. Davon entfielen sozial ungerecht: Denn wer aufgrund seines 94 Prozent auf den Straßenverkehr. Für den niedrigen Einkommens keine oder nur wenig Großteil dieser Emissionen waren wieder- Steuern zahlt, kann die Pauschale nicht steu- um mit 59 Prozent Benzin- und Diesel-Pkw erlich geltend machen. verantwortlich.14 Entgegen nationaler und internationaler Klimaschutzziele sind die Sozial ungerecht ist auch das Dienstwagen- CO 2 -Emissionen aus dem Verkehrssektor in privileg: Je höher das Gehalt, desto größer ist Deutschland im Vergleich zum Referenzjahr die Wahrscheinlichkeit, einen Dienstw agen 1990 nicht gesunken, sondern gestiegen. In (inklusive Tankkarte) zu bekommen. Zugleich allen anderen Sektoren sind die CO 2 -Emis- hat das Dienstwagenprivileg Auswirkun- sionen seit 1990 zurückgegangen. Dabei gen auf den gesamten Fahrzeugbestand in sind Pkw heute tatsächlich klima- und um- Deutschland: Mehr als 60 Prozent aller Neuzu- weltverträglicher unterwegs als vor einigen lassungen sind gewerblich, wovon wiederum Jahrzehnten. Dies liegt unter anderem an ein großer Teil auf das gehobene Fahrzeug- den stufenweise verschärften Abgasvor- segment entfällt. Die meisten Unternehmen schriften für neu zugelassene Pkw, die dazu leasen ihre Autos nur für zwei oder drei Jahre, führten, dass die Autohersteller immer ef- bevor sie auf dem Gebrauchtmarkt landen. fizientere Motoren und Abgastechnik ent- Für Unternehmen fällt die Wahl dabei häu- wickeln mussten. So sind die spezifischen fig auf große, schwere und damit rohstoff- Emissionen nicht nur des Treibhausgases intensive sowie verbrauchsstarke Modelle. Je CO 2 , sondern auch anderer Schadstoffe pro teurer das Auto, desto mehr Betriebskosten – Verkehrsaufwand (Personenkilometer) zwi- einschließlich Versicherung, Reparaturen schen 1995 und 2018 um rund neun Prozent und Spritverbrauch – können die Firmen von gesunken. Doch im gleichen Zeitraum sind der Steuer absetzen. Während die Kaufent- die gesamten Kohlendioxid-Emissionen des scheidungen der Unternehmen maßgeblich Pkw-Verkehrs um 3,7 Prozent gestiegen.15 den Fahrzeugbestand in Deutschland prä- Der Grund ist simpel: Die Zahl der gefahre- gen, entgehen dem Fiskus bis zu 12 Milliarden nen Personenkilometer mit dem Auto steigt Euro.11 Jahr für Jahr. Hinzu kommt, dass es nicht 14 nur immer mehr Pkws in Deutschland gibt, Neben „Dienstwagen“ wird der Kauf von Die- sondern diese immer größer, schwerer und selfahrzeugen subventioniert: Zwischen 2008 leistungss tärker werden. und 2019 stieg der Bestand der Diesel-Pkw um etwa 50 Prozent. 2020 fuhren rund 28 Dieser Rebound-Effekt lässt sich ebenfalls Prozent aller neuzugelassenen Autos mit Die- für die Energieeffizienz bei der Autoproduk- sel.12 Auch wenn diese energieeffizienter als tion selbst beobachten. So räumt beispiels- Benzin-Pkw sind, emittieren sie pro Kilome- weise VW freimütig ein: „Seit dem Jahr 2010 ter mehr Stickstoffoxide – was wiederum in ist unser Gesamtenergieverbrauch durch die vielen Städten die Luftqualität stark mindert. kontinuierliche Steigerung der Produktions- Im Juni 2021 hat der Europäische Gerichtshof menge gestiegen. Gleichzeitig konnten wir Deutschland verurteilt, weil die Grenzwerte den Energieverbrauch pro Fahrzeug seit 2010 für Stickstoffdioxid (NO 2) in vielen Städten jah- reduzieren.“ 16 Allein der Volkswagen Kon- relang überschritten worden sind. Bereits vier zern produziert weltweit pro Arbeitstag rund Jahre zuvor hatte der Bundesrechnungshof 36.000 Fahrzeuge. Die Produkte des Konzerns die Abschaffung des vergünstigten Steuer- (Pkw und leichte Nutzfahrzeuge) sind „über satzes für Dieseltreibstoff gefordert, weil dem ihren gesamten Lebenszyklus gerechnet für Staat dadurch jährlich mehrere Milliarden ungefähr ein Prozent der gesamten auf der Euro an Einnahmen entgehen. Gleichzeitig Welt entstehenden CO 2 -Emissionen verant- verursacht der Autoverkehr hohe Kosten. Das wortlich“, so die Angaben von VW.17 Umweltbundesamt geht davon aus, dass sich die durch den Straßenverkehr verursachten 2.2.2 Stickoxide Umweltkosten im Jahr 2014 auf über 50 Mil- liarden Euro beliefen.13 Der Straßenverkehr verursacht knapp die Hälfte der Stickstoffoxidemissionen (NOx) in 2.2 Gegenwärtige Umwelt- und Deutschland.18 Zu den Stickstoffoxiden (NOx) zählen Stickstoffmonoxid (NO) und Stickstoff- Gesundheitskosten dioxid (NO 2). Sie entstehen als unerwünschtes Nebenprodukt von Verbrennungsprozessen 2.2.1 Treibhausgase unter anderem in Feuerungsanlagen für Koh- Ein Fünftel der deutschen CO 2 -Emissio- le, Öl, Gas, Holz und Abfälle sowie in den Ver- nen stammte im Jahr 2019 aus dem Ver- brennungsmotoren von Fahrzeugen. In kehrssektor. Damit ist der Verkehrssektor Ballungsgebieten verursacht der Straßenver- nach der Energiewirtschaft und der In- kehr am meisten NOx, wovon der Großteil dustrie der drittgrößte Verursacher von auf Diesel-Pkw zurückgeht, deren Motoren
unter anderem aufgrund höherer Verbren- Thromboseneigung oder Veränderungen der nungstemperaturen mehr Stickstoffoxide Regulierungsfunktion des vegetativen Ner- produzieren. Im Zuge des Dieselskandals vensystems (Herzfrequenzvariabilität). 20 Laut wurde bekannt, dass die tatsächlichen Stick- Berechnungen der Europäischen Umwelt- oxid-Emissionen zahlreicher Pkw-Modelle im agentur gab es in Deutschland allein im Jahr realen Fahrbetrieb weit über den auf dem 2018 aufgrund der zu hohen PM2,5-Belastung Prüfstand ermittelten Werten liegen. ca. 63.100 vorzeitige Todesfälle. 21 Die Aufnahme von Stickstoffdioxid über die 2.2.4 Flächenverbrauch, Lärm Atmung schädigt das Schleimhautgewebe und Verlust von Lebensqualität der Atmungsorgane unmittelbar, so dass Hustenreiz und Atembeschwerden auftreten können. Dies kann zu Atemnot, Husten, Bron- Flächenverbrauch chitis aber auch chronischen Atemwegs- und 14,4 Prozent der gesamten Bodenfläche in Lungenerkrankungen führen. Eine Zunah- Deutschland werden nach Angaben des me von Herz- und Kreislauferkrankungen Statistischen Bundesamtes für Siedlungen steht ebenfalls im Zusammenhang mit Stick- und Verkehr genutzt. Jeden Tag kommen im stoffoxiden. Laut der Europäischen Umwelt- Schnitt 52 Hektar an Siedlungs- und Verkehrs- agentur gibt es in der EU jährlich 400.000 flächen – einer Größe von circa 73 Fußball- vorzeitige Todesfälle als Folge der hohen Luft- feldern – neu hinzu. 22 Über ein Drittel dieser verschmutzung. Doch Stickstoffoxide schä- Flächen entfallen auf den Verkehr. Dabei fällt digen nicht nur die menschliche Gesundheit, der Flächenverbrauch für die verschiedenen sondern auch Ökosysteme. Durch ihre über- Verkehrsmittel sehr unterschiedlich aus. Wäh- düngende und versauernde Wirkung belas- rend ein Pkw im Stillstand innerorts etwa ten sie Gewässer, Grundwasser und Boden. 14 m2 Fläche beansprucht, entfallen auf ein Um die Emissionen zu begrenzen, sind 2010 Fahrrad lediglich 1,2 m2. Ähnlich eklatant fällt mit der 39. Verordnung zum Bundes-Immis- der Unterschied aus, wenn man die Flächen- sionsschutzgesetz (39.BImSchV) die EU-weit inanspruchnahme eines mit 1,4 Personen be- geltenden Grenzwerte für Stickstoffdioxid setzten Autos bei einer Fahrtgeschwindigkeit (NO 2) zum Schutz der menschlichen Gesund- von 50 km / h mit der einer zu 20 Prozent be- 15 heit sowie Stickstoffoxide (NOx) zum Schutz setzten Straßenbahn vergleicht: Während für der Vegetation in Kraft getreten. Im Juni 2021 die Tram pro Kopf lediglich 9 m2 notwendig hat der Europäische Gerichtshof Deutschland sind, beansprucht ein Auto mit 140 m2 mehr verurteilt, weil „in 26 Gebieten und Ballungs- als zehnmal so viel Fläche. 23 Nicht nur der räumen systematisch und anhaltend gegen Straßenbau, sondern auch die oft kostenlos die Grenzwerte für Stickstoffdioxid verstoßen“ oder günstig zur Verfügung gestellten Park- wurde.19 plätze benötigen Raum, der insbesondere in dicht besiedelten Gebieten, wie zum Beispiel 2.2.3 Feinstaub Innenstädten, für Alternativen – Platz für Kin- der zum Spielen, kleine Grünflächen oder Sitz- Auch für Feinstaubemissionen in Ballungs- plätze für Cafés und Restaurants – dann nicht gebieten ist der Straßenverkehr die Haupt- mehr zur Verfügung steht. ursache. Diese entstehen in erster Linie beim Verbrennen fossiler Kraftstoffe in Motoren, Aus ökologischer Sicht ist der Flächen- aber auch durch den Abrieb von Reifen und verbrauch problematisch, weil dadurch Bremsen sowie das Aufwirbeln von Staub. wertvolle Ackerböden vernichtet, der Grund- Diesel-betriebene Fahrzeuge emittieren da- wasserspiegel negativ beeinflusst wird und bei in der Regel deutlich mehr Feinstaub als unzerschnittene Landschaftsräume verloren- Benziner. Dabei wird Feinstaub, der aus einem gehen, die wichtig für den Erhalt der Arten- komplexen Gemisch fester und flüssiger Parti- vielfalt sind. 24 Die Versiegelung von Böden ist kel besteht, abhängig von der Größe letzterer ein starker Eingriff in die Natur, der sich an- unterschieden: PM10 (PM, particulate matter) schließend durch Entsiegelung nicht mehr mit einem maximalen Durchmesser von zehn rückgängig machen lässt: Die vorherige Bo- Mikrometer (µm), PM2,5 und ultrafeine Parti- denfruchtbarkeit lässt sich kaum wieder her- kel mit einem Durchmesser von weniger als stellen. Die Bundesregierung hat sich selbst 0,1 µm. PM10 kann beim Menschen in die Na- das Ziel gesetzt, den Flächenverbrauch bis senhöhle, PM2,5 bis in die Bronchien und Lun- zum Jahr 2030 auf unter 30 Hektar pro Tag genbläschen und ultrafeine Partikel bis in das zu verringern und bis 2050 sogar das Flä- Lungengewebe und sogar in den Blutkreislauf chenverbrauchsziel Netto-Null (Flächen- eindringen. Die gesundheitlichen Auswirkun- kreislaufwirtschaft) anzustreben, was einer gen reichen von Schleimhautreizungen und Zielsetzung der Europäischen Kommission Entzündungen in Luftröhre, Bronchien oder entspricht. 25 Eine Reduzierung des Pkw-Ver- Lungenalveolen bis zu verstärkter Plaque- kehrs sowie ein Moratorium des Straßenneu- bildung in den Blutgefäßen, einer erhöhten baus können hier einen Beitrag leisten.
Die Verkehrswende von unten: Bewegung für Alternativen „Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten.“ Diese des Kfz-Verkehrs und der Parkplätze, mehr alte Weisheit aus mobilitätspolitischen Geld für den Umweltverbund sowie eine Debatten fand sich im Juni 2021 auf einem menschenfreundliche, zukunftsgerechte großen Banner wieder, den Aktivist*innen Stadtplanung. Darüber hinaus gründen sich an einer Baustelle der A100 in Berlin auf- in Berlin zahlreiche so genannte „Kiez- gehängt hatten. Neben den Blockaden von block“-Initiativen, die aus einer Vielzahl von Autobahnbaustellen haben mehr als 70 engagierten Bürger*innen bestehen und im weitere Aktionen – darunter Fahrraddemos, wahrsten Sinne des Wortes vor der eigenen Infostände, Transpi-Aktionen und Parkplatz- Haustür für eine andere Politik kämpfen, besetzungen – gezeigt, wie vielfältig und nämlich für verkehrsberuhigte Kieze. Der breit der Protest für eine soziale und klima- „Volksentscheid Berlin autofrei“ geht noch gerechte Mobilitätswende ist. Inzwischen ist einen Schritt weiter und sammelt Unter- die Auseinandersetzung um Verkehrspolitik schriften für eine weitestgehend autofreie zu einem neuen Schwerpunkt der Klima- Zone innerhalb des S-Bahn-Rings. Im April gerechtigkeitsbewegung avanciert. Für wen 2021 begannen die Aktivist*innen ihre Unter- wird in wessen Namen welche Infrastruktur schriftensammlung auf der sechsspurigen ausgebaut? Wer profitiert von welcher Form Leipziger Straße – ein Symbol für die auto der Mobilität? gerechte Stadt der 1960er und 1970er, die nicht einmal Platz für Radwege lässt. Berlin ist ein Beispiel für die „Verkehrswende von unten“. Der 2015 gestartete „Volksent- Die fehlende Infrastruktur für Fahrrad- scheid Fahrrad“ sammelte in Windeseile fahrer*innen wird nun immer lauter ein- 16 mehr als 100.000 Unterschriften und einigte gefordert. Inzwischen kann man regelrecht sich schließlich gemeinsam mit anderen von einer „Radentscheidbewegung“ spre- Umwelt- und Radvertreter*innen in Ver- chen: Mindestens 46 Radentscheide in handlungen mit dem Berliner Senat auf das ganz Deutschland nutzen das Mittel des bundesweit erste Radverkehrs- und Mobili- kommunalen Bürgerbegehrens, um sich tätsgesetz. Das Gesetz sieht unter anderem für eine klimagerechte, fahrradfreundliche zwei Meter breite, sichere Radwege an allen und die Lebensqualität erhöhende Stadt- Straßen Berlins vor. Mehr und bessere Park- und Mobilitätspolitik einzusetzen. Sind sie möglichkeiten für Räder an U- und S-Bahn- erfolgreich, so entspricht der Rat einer Stadt Stationen sind ebenso geplant wie grüne dem Begehren – das heißt, die Kommune Wellen für Fahrradfahrer*innen. Das Bündnis verpflichtet sich verbindlich dazu, die im „Berliner Straßen für alle“ fordert inzwischen Bürgerbegehren enthaltenen Forderungen Nachbesserungen des Gesetzes und macht umzusetzen. Radentscheide sind in grö- Druck für eine schnellere Umsetzung. Das ßeren wie kleineren Städten erfolgreich: In Bündnis zeigt, dass ein Zusammenschluss Aachen haben beispielsweise 20 Prozent der unterschiedlicher Akteure aus Umwelt-, Fuß- Kommunalwahlberechtigten für das Bürger- und Radverbänden, die sich alle für eine begehren Radentscheid gestimmt. Das ist Mobilitätswende einsetzen, möglich ist. Zu mehr als die damals stärkste Fraktion bei den Forderungen gehören die Reduzierung den Kommunalwahlen erhalten hatte. Straßenverkehrslärm mit Pegeln von mindestens 65 dB(A) tags Nach Angaben des Umweltbundesamtes ha- beziehungsweise 55 dB(A) nachts belastet. ben die Beeinträchtigungen durch Lärm in Straßenverkehrslärm entsteht zum einen den letzten zehn Jahren „nur unwesentlich durch das Motorengeräusch, zum anderen abgenommen“: Drei Viertel aller Menschen durch das Reifen-Fahrbahn-Geräusch. Ab in Deutschland fühlen sich durch Straßen- einer Geschwindigkeit von etwa 30km / h ist verkehrslärm gestört oder belästigt. 26 Dieser das Reifen-Fahrbahn-Geräusch die primäre gilt seit langem als die dominierende Lärm- Lärmquelle bei Pkw mit Verbrennungsmo- quelle in Deutschland. Das UBA geht davon tor. 27 Das führt dazu, dass Elektroautos bei aus, dass etwa die Hälfte der bundesdeut- höheren Geschwindigkeiten eine ähnliche schen Bevölkerung Straßenverkehrslärm mit Lärmbelastung verursachen wie Autos mit Mittelungspegeln von mindestens 55 dB(A) Verbrennungsmotoren. 28 Lärm ist ein Stress- tags beziehungsweise 45 dB(A) nachts aus- faktor für den menschlichen Organismus gesetzt ist. Circa 15 Prozent werden sogar und kann krank machen. Gehörschäden, aber
2030 Island 2040 Kanada 2032 Schottland 2035 Vereinigtes Königreich 2030 Schweden 2025 Norwegen 2030 Dänemark 2040 British Columbia 2030 Irland (Kanada) 2030 Niederlande 2040 Frankreich 2030 Slowenien 2040 Spanien 2035 Kalifornien (USA) 2030 Hainan (China) 2050 Costa Rica 2035 Kap Verde Ausstiegszieljahr 2025–2030 2031–2040 2050 2050 Internationale Allianz für emissionsfreie Fahrzeuge (IZEVA) Übersicht über Staaten / Regionen mit Zielvorgaben für den Ausstieg aus dem Verkauf von Autos mit Verbrennungsmotor Quelle: eig. Darstellung nach https://www.automotiveworld.com/news-releases/growing-momentum-global-overview-of- government-targets-for-phasing-out-sales-of-new-internal-combustion-engine-vehicles/ auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen können des Autos. 32 Gleichzeitig sieht der Bundesver- 17 durch Lärm verursacht werden. 29 Das Um- kehrswegeplan 2030 insgesamt 132,8 Milliar- weltbundesamt weist in diesem Zusammen- den Euro für den Ausbau des Straßennetzes hang auch darauf hin, dass armutsgefährdete vor und damit 20 Milliarden Euro mehr als Menschen „sowohl subjektiv als auch objek- für das völlig vernachlässigte Schienennetz. tiv mehr Lärm und insbesondere Straßenver- Dabei ist die Förderung von ÖPNV, Fuß- und kehrslärm im Wohnumfeld ausgesetzt [sind] Radverkehr ein wichtiger Bestandteil der Ver- als Menschen mit höherem Status.“ 30 kehrswende. Benötigt wird eine Infrastruktur, die Wege für Radfahrende und Fußgänger*in- Verlust von Lebensqualität nen fördert und ihren Schutz priorisiert. Denn Während sich die geschilderten Umwelt- und aktuell steigt der Anteil der Fußgänger*innen Gesundheitsfolgen nicht in den Kosten des und Radfahrenden an den Verkehrstoten ste- Autofahrens widerspiegeln, geht dessen politi- tig, während die Zahl der Verkehrstoten ins- sche Förderung zulasten anderer Verkehrsmit- gesamt zurückgeht. Nichtsdestotrotz kamen tel und ist damit sozial ungerecht. Ob jemand auch im Jahr 2020 nach Angaben des Sta- sich überhaupt ein Auto leisten kann, ist eine tistischen Bundesamts 2.719 Menschen bei Frage des Einkommens. Wer über nicht so viel Verkehrsunfällen ums Leben; knapp 330.000 Geld verfügt, ist auf Fuß- und Radwege, Busse wurden verletzt. 33 und Bahnen angewiesen. Und damit auf eine Infrastruktur, die sowohl in Bezug auf den ihr 2.3 Eine dringende Notwendig- zugestandenen Platz im öffentlichen Raum keit: Der Verbrennerausstieg (Stichwort „Flächengerechtigkeit“) als auch in Bezug auf die ihr zugestandene finanzielle Während sich die Kämpfe für eine autoredu- Förderung stark benachteiligt ist. Der öffent- zierte, umweltfreundliche Mobilität der Al- liche Personennahverkehr (ÖPNV) ist unterfi- ternativen intensivieren, hinkt Deutschland nanziert. Im ländlichen Raum sind Busse und hinterher, wenn es um das Ende des Ver- Bahnen häufig kaum bis gar nicht vorhanden; brennungsmotors und den Ausbau der Elek- in Städten sind sie oft zu voll und zu spät und tromobilität geht. Das Kraftfahrbundesamt dabei für viele Menschen trotzdem zu teuer. zählte Ende 2020 insgesamt 194.163 Elektro- Zwar sind alternative Verkehrsmittel in vielen Pkw, die damit nur 6,7 Prozent der Neuzu- Fällen günstiger als die Fahrt mit dem eige- lassungen ausmachten. Dabei hatte sich die nen Pkw31, doch insgesamt betrachtet sind Bundesregierung eigentlich selbst das Ziel die Preise für ÖPNV und Fernfahrten mit der gesteckt, bis zum Jahr 2020 eine Million Elek- Bahn in den vergangenen Jahren deutlich troautos auf die Straße zu bringen. Zu den stärker angestiegen als jene für die Nutzung Gründen für die geringen E-Auto-Verkäufe
gehört auch der unzulängliche Ausbau der verkaufen.40 General Motors will ab 2035 kei- Ladeinfrastruktur, der lange Zeit nur äußerst ne Verbrenner mehr produzieren. Volkswagen schleppend vorankommt. Vor allem aber und BMW nennen bisher kein konkretes Aus- mangelt es am politischen Willen, ein Ende stiegsdatum, bis 2030 sollen aber 50 Prozent der Zulassung von Autos mit Verbrennungs- der verkauften Autos elektrisch sein.41 motor zu benennen. Immer mehr staatliche und lokale Regierungen haben inzwischen E-Autos als Alternative teils sehr spezifische Regulierungen bezüg- Elektroautos sind ein wichtiger Baustein für lich der Neuzulassungen von Kfz unterschied- die klimagerechte Mobilitätswende. Je hö- lichen Typs erlassen. Norwegen will bereits ab her der Ökostromanteil am geladenen Strom, 2025 nur noch emissionsfreie Pkw zulassen, desto besser die Klimabilanz. Doch bereits die Niederlande ab 2030. Größere Staaten wie beim heutigen Strommix – mit einem in Großbritannien sowie Frankreich und Spani- Deutschland recht hohen Anteil von fossilen en planen dies ab 2035 bzw. 2040. Die 17 Staa- Energieträgern wie Kohle – weisen E-Autos ten, die bisher konkrete Jahresangaben für eine bessere Klimabilanz auf als Autos mit ein Ende des Verbrennungsmotors verkündet Verbrennungsmotoren. Das liegt vor allem haben, machen circa 13 Prozent der globalen daran, dass Elektrofahrzeuge in der Nutzung Pkw-Verkäufe aus. 34 deutlich energieeffizienter sind als Autos mit Verbrennungsmotor. 42 So stößt ein durch- Nun nimmt das Thema auch auf EU-Ebene an schnittliches E-Auto in der EU aktuell circa Fahrt auf. Im März 2021 riefen neun EU-Staa- ein Drittel des CO 2 aus, wie ein vergleichba- ten (angeführt von Niederlanden und Dä- rer Pkw mit Verbrennungsmotor; 2030 könn- nemark; dabei auch Belgien, Griechenland, te es sogar nur noch ein Viertel sein – und Irland, Litauen, Luxemburg, Malta und Öster- zwar unter Berücksichtigung des gesamten reich) die Europäische Kommission auf, ein Lebenszyklus, also auch der Auto- und Bat- Datum für ein Zulassungsverbot von Autos teriezellproduktion. 43 Wie eine Studie der mit Verbrennungsmotoren zu verkünden. Sie Technischen Universität Eindhoven belegt, betonten dabei die selbst gesteckten Klima- wurden in den vergangenen Jahren deutliche ziele der EU und die notwendige Bestrebung, Fortschritte erzielt, um den CO 2 -Ausstoß bei 18 die CO 2 -Emissionen zu reduzieren. „Ehrgeizige der Batterieherstellung zu verringern. Kriti- politische Maßnahmen und Vorschriften – wie ker*innen des Elektroautos, die deren „Kli- die Festlegung eines klaren und eindeutigen marucksack“ in der Produktion hervorheben, Ausstiegsdatums für Benzin- und Dieselautos würden mit veralteten Zahlen etwa aus den und -transporter sowie strengere CO 2 -Stan- Jahren 2011 und 2014 agieren.44 dards – werden auch Vorhersehbarkeit für die Automobilbranche schaffen und den Über- Gleichzeitig wird es bei der Batterieforschung gang zur emissionsfreien Mobilität voran- und -entwicklung noch weitere Fortschritte treiben“, heißt es in der Erklärung. 35 Um den geben – beispielsweise wird die Energiedich- graduellen Übergang hin zu emissionsfreier te immer besser und die Batterien dadurch Mobilität zu beschleunigen, sollen vor allem voraussichtlich leichter. Nichtsdestotrotz gilt „die gegenwärtigen CO 2 -Emissionen-Stan- für Elektrofahrzeuge das gleiche wie für Autos dards signifikant gestärkt“ und Anreize für die mit Verbrennungsmotor: Für die Ökobilanz ist Entwicklung und Produktion neuer emissi- es sinnvoll, kleine, leichte und verbrauchsarme onsfreier Fahrzeuge geschaffen werden. 36 Tat- Autos zu bauen sowie die produzierten Fahr- sächlich kann dies auch als ein Beitrag dazu zeuge so lange und mit so vielen Menschen gelesen werden, der EU-Kommission den Rü- wie möglich zu nutzen. Je größer der Akku cken zu stärken, wenn es darum geht, Ende und somit die Reichweite eines Elektroautos des Jahres 2021 die Standards für neues Euro- ausfällt, desto energieintensiver ist in der Re- 7-Label zu veröffentlichen. Ziel der neuen gel die Herstellung – und desto schlechter die Norm ist, die EU-Klimaziele im Rahmen des Umweltbilanz. Europäischen Green Deals auch im Verkehrs- sektor zu erreichen. 37 Doch die Autohersteller Herausforderungen ergeben sich jedoch bei protestieren und versuchen, laschere Emissi- der Deckung des Rohstoff- und Energiebe- onsziele zu erreichen. Dabei konnten sie sich darfs von Elektro-Autos. Im Jahr 2019 war der in der Vergangenheit häufig gewiss sein, dass Verkehrssektor der Sektor mit dem höchsten die deutsche Bundesregierung sich auf EU- Energieverbrauch in Deutschland. 45 Dabei Ebene für die wirtschaftlichen Interessen der werden zu über 94 Prozent auf Erdöl basie- Autokonzerne einsetzt. rende Kraftstoffe eingesetzt. Strom spielt mit unter 2 Prozent Anteil bisher kaum eine Derweil kündigen einige Autohersteller das Rolle. Das veranschaulicht, welche enorme Ende der Produktion und des Verkaufs von zusätzliche Herausforderung die Umstellung Autos mit Verbrennungsmotoren an. So will des Verkehrs von fast ausschließlich fossilen zum Beispiel Jaguar ab 2025 38, Audi ab 2026 39 Energieträgern auf erneuerbare Energien und Opel ab 2028 keine Verbrenner in Europa darstellt.
3. Menschenrechtlich, sozial & ökologisch ein Problem: Der Bedarf an m etallischen Roh- stoffen für Automobilität und Elektroautos 19 In der chilenischen Atacama-Wüste befindet sich mit Chuquicamata eines der größten Kupferbergwerke der Welt. Photo: Bruna Fiscuk, Unsplash on der Karosserie über das Kabel bis hin zu V und Rohstoffe (BGR) zur Rohstoffsituation im Rücksitz verbauten Bildschirmen: Ein Auto in Deutschland zeigt auf, welche Rohstoffe verbraucht zahlreiche Rohstoffe in großen in welchem Maße verbraucht werden. Dabei wie in kleinen Mengen. Der durchschnittliche wird deutlich, dass die Autohersteller einen Neuwagen in Deutschland wiegt über 1.600 großen Teil dieser Importe beanspruchen: Kilogramm.46 Viele der neu entwickelten und Stahl, Aluminium, Kupfer, Zink und andere Me- verkauften Modelle – Stichwort SUV – sind so- talle werden in großen Mengen in deutschen gar noch schwerer. So liegt das Leergewicht Autos verarbeitet. Den größten Anteil des Vo- von in Deutschland beliebten SUVs wie bei- lumens an sogenannten Konstruktionswerk- spielsweise dem VW Tiguan oder dem Merce- stoffen machen dabei Aluminium und Stahl des GLC zwischen 1.600 und 1.900 Kilogramm. aus. BMW berichtet, dass allein Stahl und Luxus-SUVs wie der BMW X7, der VW Toua- Eisen 53 Prozent des Materialeinsatzes des reg oder der Mercedes GLS bringen gar zwi- Konzerns ausmachen; Aluminium und andere schen 2 und 2,5 Tonnen auf die Waage. Mit Nichteisenmetalle 18 Prozent.47 Die Produkti- insgesamt 4,6 Millionen im Inland produzier- on der beiden Metalle verursacht einen erheb- ten Pkw ist die Automobilindustrie als zentra- lichen Anteil der CO 2 -Emissionen entlang der le Branche des verarbeitenden Gewerbes in gesamten Wertschöpfungskette eines Autos – Deutschland einer der größten Verbraucher laut Daimler sind es circa 60 Prozent.48 metallischer Rohstoffe. Deren Abbau geht in vielen Fällen mit gravierenden Folgen für Eisenerz ist der Hauptrohstoff der Stahlher- Menschen und Umwelt einher. stellung – und Deutschland in Europa der größte, im weltweiten Vergleich der siebt- 3.1 Der Rohstoffverbrauch der größte Hersteller von Rohstahl. Stahl ist der wichtigste Werkstoff im Automobilbau und deutschen Autoindustrie wird für die Karosserie, aber auch im Fahrwerk Die deutsche Industrie ist der weltweit fünft- verarbeitet. So beanspruchte die Automobil- größte Verbraucher metallischer Rohstoffe – industrie im Jahr 2019 insgesamt 26 Prozent und dabei zu fast 100 Prozent auf Importe des in Deutschland verarbeiteten Stahls. 49 angewiesen. Der jährlich erscheinende Bericht Damit einher geht der hohe Verbrauch von der Bundesanstalt für Geowissenschaften Zink: „Etwa die Hälfte des in Deutschland
werden, die mit Bordcomputern, immer mehr Displays, sich selbst hebenden Heckklappen und anderen luxuriösen Zusatzfunktionen ausgestattet sind, benötigen sie dafür all jene metallischen Rohstoffe, deren Verbrauch im Zuge der allgemeinen Digitalisierung stark ansteigt. 52 Entsprechend steckt immer mehr Kupfer in einem Auto – das Metall befindet sich in An- lasser und Lichtmaschine, aber auch im Mo- tor und im Antriebsstrang, in Schaltern und Kontakten, und in der Verkabelung. Wurden in einem VW Golf 1 im Jahr 1980 noch Lei- tungen mit einer Gesamtlänge von 214 Me- tern verbaut, so kommt das Kabelnetz eines heutigen Golfs auf fast 1,6 Kilometer Län- ge. 53 Inzwischen geht fast ein Zehntel des in Deutschland verarbeiteten Kupfers an die Automobilindustrie. 54 Dabei handelt es sich um nicht geringe Mengen, da Deutschland Der Mangel an Ladesäulen wird politisch intensiver diskutiert als die Menschenrechtsverletzungen beim bei dem weltweiten Raffinadeverbrauch von Abbau der Rohstoffe. Photo: Michael Fousert, Unsplash Kupfer auf dem dritten Rang hinter China und den USA steht. 55 eingesetzten Zinks wird als Korrosionsschutz für die Verzinkung von Stahl genutzt, der vor Ähnliches lässt sich für Blei sagen: Deutsch- allem in der Automobil- und Bauindustrie land ist nach China, den USA , der Re- zum Einsatz kommt.“ 50 Außerdem verarbeiten publik Korea und Indien der weltweit die Automobil- und deren Zuliefererindust- fünftgrößte Bleiverbraucher. Auch hier spie- 20 rie weltweit 8,5 Prozent des Aufkommens an len die Autohersteller eine zentrale Rolle, da Edelstahl, für dessen Erzeugung weitere Me- „Blei zu 74 Prozent in Akkumulatoren für die talle benötigt werden (z.B. Chrom, Mangan, Automobilindustrie eingesetzt“ wird. 56 Eben- Molybdän, Nickel, Vanadium und Wolfram). falls eine wichtige Rolle spielt die Automobil- branche für das Edelmetall Platin: Fast die Doch einfacher Stahl – der aus der Legie- Hälfte der hierzulande eingesetzten Menge rung von Eisen und Kohlenstoff gefertigt wurde für Katalysatoren verwendet. 57 Das zu wird – hat ein hohes Gewicht. Weil Alumi- derselben Metallgruppe wie Platin gehören- nium im Vergleich zu einfachem Stahl we- de Palladium wird sogar zu mehr als 90 Pro- sentlich leichter ist, hat sich sein Einsatz für zent für Autokatalysatoren eingesetzt. Die die Karosserie in den letzten zwanzig Jahren steigende europäische Nachfrage nach dem verzehnfacht. Inzwischen stecken in einem Edelmetall verbindet die BGR explizit mit der Pkw durchschnittlich 160 Kilogramm des „Bevorzugung von Fahrzeugen mit Verbren- Leichtmetalls. Aluminium befindet sich in nungsmotoren.“ 58 der Karosserie, aber auch in Armaturen, Fel- gen, Getriebegehäuse, Kolben, Motorblöcken Die skizzierte Situation bezieht sich auf die und Stoßstangen. So geht ein großer Anteil gegenwärtige Produktion von Autos in des in Deutschland verarbeiteten Alumini- Deutschland – und verdeutlicht, dass der Be- ums an die Autohersteller: „Größter Einsatz- griff „Blechkiste“ nicht von ungefähr rührt: Ein bereich von Aluminium ist in Deutschland Auto besteht aus zahlreichen verschiedenen mit etwa 47 Prozent der Verkehrssektor mit metallischen Rohstoffen in unterschiedlichen dem Fahrzeugbau.“ 51 Medienwirksam ge- Mengen. Die Hersteller bemühen sich dar- führte Debatten um das Gesamtgewicht und um, den Materialeinsatz zu reduzieren. Doch den Materialverbrauch von Pkw fokussieren ähnlich wie bei den CO 2 -Emissionen werden sich häufig auf die Karosserie. Doch auch das die Effizienzgewinne durch den Verkauf von Fahrwerk, die Ausstattung und der Antrieb immer mehr und immer größeren Autos wie- verbrauchen Rohstoffe. Elektromotoren für der aufgefressen. So wird in der Materialbilanz die Heckklappen, elektrische Lenkradverstel- von Daimler eine Steigerung des Materialver- lung, zusätzliche Sicherheitsausstattungen brauchs deutlich. Im Jahr 2017 wurden fast und andere Extras haben das Gewicht stark eine Million Tonnen Rohstoffe mehr einge- nach oben getrieben. Die immer komplexer setzt als noch im Jahr 2016 (von 6,841 Millionen werdenden Ausstattungen basieren auf Elek- Tonnen auf 7,748 Millionen Tonnen). 59 Mediale tronik und Motorik, die nicht nur viel wiegen, Aufmerksamkeit erhielt das Thema des Roh- sondern auch spezifische Rohstoffbedarfe stoffverbrauchs von Autos jedoch insbeson- schaffen. Wenn Autos zu vernetzten Geräten dere im Zusammenhang mit Elektromobilität,
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