Mobil in die Zukunft - Druck 02 / 2017 Förderverein Schulbiologiezentrum Hamburg e. V - Förderverein Schulbiologiezentrum ...

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Förderverein Schulbiologiezentrum Hamburg e. V.

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Mobil in die Zukunft

   Mit freundlicher Unterstützung der Behörde für Umwelt und Energie
Mobil in die Zukunft - Druck 02 / 2017 Förderverein Schulbiologiezentrum Hamburg e. V - Förderverein Schulbiologiezentrum ...
INHALT

Vorwort                                                                                      4

Wer Rad fährt, bleibt auch geistig in Bewegung!                                              5

Do Cities Matter?                                                                            9

Lebenswerte Städte und Mobilität – ein Dilemma?                                             11

Für eine bewegte Kindheit und Jugend – Mobilitätsbildung in der Schule                      19

Schulische Aktivitäten und Angebote                                                         23
      Radtouren mit Geflüchteten – die Berufliche Schule BS 18 wird aktiv                   23
      Elterntaxi oder zu Fuß zur Schule?                                                    26
      Oben rum und unten durch …                                                            29
      Wir fahren mit dem HVV                                                                30
      Paint-Bus-Wettbewerb                                                                  31
      MobilitätsKULTUR                                                                      32
      Das verkehrspädagogische Engagement der HVV-Schulberatung
      im Elementarbereich                                                                   34
      Freiwilliges ökologisches Jahr in der HVV-Schulberatung                               36
      Mobilitätstag an der Stadtteilschule Walddörfer                                       37
      Der ADFC Hamburg – Aktivitäten und Angebote                                           40
      Umweltverträglicher Verkehr – ein Schulprojekt                                        42

Literatur- und Linkhinweise, Buchvorstellungen                                              49
      Ausgewählte Medien zum Thema „Umweltverträgliche Mobilität in Hamburg“                49
      Mobilität und Verkehr – Informationen im Netz                                         53
      Buchvorstellung: Rund um Hamburg                                                      58
      App-Vorstellung: Kulturpunkte Hamburg                                                 58

Aktuelles 		                                                                                59
      Die GemüseAckerdemie – ackern statt pauken                                            59
      Neu – im Schulgarten des ZSU                                                          60
      Neue Koordinatorin des Familienprogramms                                              62
      Natur erleben mit Kindern – Familien- und Geburtstagsprogramm,
      Bienenprogramm des FSH 2. Halbjahr 2017                                               63
      Freiwilliges Ökologisches Jahr im ZSU-Wasserlabor 2016/17: Der doppelte Erwin         65
      Zwölf Särge und kein Toter                                                            67
      50 sagenhafte Naturdenkmale der Metropolregion Hamburg                                68
      Blitzlicht einmal anders                                                              69

ZSU Lageplan                                                                                70

FSH-Aufnahmeantrag                                                                          71

Impressum                                                                                   72

                                                                                 Lynx 02/2017 3
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VORWORT

                         Foto: Markus Scholz

       Regina Marek

Liebe Leserinnen und Leser,

wie viele Stunden haben Sie schon im Stau gestan-         selbständigen Mobilität ist ein grundlegendes Lern-
den? Jährlich verbringen deutsche Autofahrer ca. 38       ziel in den Bildungsplänen.
Stunden im Stau. Vor den Schulen gibt es Staus, wenn        Dieser Lynx versucht Alternativen zum Autoverkehr
Eltern ihre Kinder mit dem Auto zur Schule bringen.       aufzuzeigen, einmal wieder mit der U- oder S-Bahn
Gerade hier ist ein Umdenken möglich. Der Fußweg          zu fahren, das Fahrrad zu benutzen oder zu Fuß zu
zur Schule kann ein Erlebnisweg und eine Erholung         gehen. Probieren Sie es auch mit Ihren Schülern oder
nach dem Unterricht für Schüler sein. Wenn Eltern es      mit der Familie aus!
ihren Kindern nicht zutrauen, in Gruppen zur Schule
zu gehen, könnten Eltern Begleitgemeinschaften bil-       Ihre
den und sich ablösen. Langfristig können die Schüler
den Weg dann allein gehen.
  Mobilität ist heute ein selbstverständlicher Bestand-
teil unseres Lebens und eine wichtige Basis unserer
Wirtschaft. Der damit verbundene Verkehr, insbeson-
dere der motorisierte Straßenverkehr, belastet jedoch                        Regina Marek
Umwelt und Gesundheit in vielfältiger Weise. Ziel ei-                    1. Vorsitzende des FSH
ner Bildung zu einer nachhaltigen Mobilität ist es, die
umweltfreundlichen Verkehrsmittel, wie das Rad, den
Roller, die Füße oder Bus und Bahn, an der Schule ge-
sellschaftsfähig zu machen. Schüler sollen entdecken,
dass eine selbständige, umweltfreundliche Mobilität
Spaß macht. Sie können ihre Verantwortung bei der
Verkehrsmittelwahl erkennen und ihre Mitgestal-
tungsmöglichkeiten für ein nachhaltiges Mobilitäts-
system der Zukunft erfahren. Die Entwicklung einer

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weibli-
cher Sprachformen meist verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für alle Ge-
schlechtsformen.

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WER RAD FÄHRT, BLEIBT AUCH GEISTIG IN BEWEGUNG!

    Jürgen Forkel-Schubert

    Wer Rad fährt, bleibt auch
    geistig in Bewegung!
                                                               Abb. 1: Fahrräder. Foto: Wikimedia Commons, Silar, CC BY-SA 4.0

Das schöne Wetter lockt, und viele Menschen holen         gungsrecht ein Grundrecht, aber wir müssen es mit
ihr Rad wieder aus dem Keller. Schon beginnen die         vielen anderen Menschen teilen.
Probleme: Was mache ich, wenn ich einen Platten
habe? Welche Fahrradstrecke nehme ich ohne gro-           Hamburg auf dem Weg zur Fahrradstadt
ße Hauptstraßen überqueren zu müssen? Wie und             Ortswechsel: Ich besuche eine Veranstaltung der
wo schließe ich mein Rad sicher an? Und dann: Ist es      Hamburger Klimaschutzstiftung im Gut Karlshöhe.
denn nicht zu gefährlich auf unseren Straßen? Wer-        Sie heißt „Fahrradstadt Hamburg – Mobilität neu ge-
den nicht immer wieder Radfahrer durch abbiegende         stalten“ und stellt das Konzept einer Fahrradstadt in
Lastwagen sogar getötet?!                                 den Mittelpunkt der Debatte.
  Es stimmt schon: Der Verteilungskampf auf unseren         Im Jahr 2008 wurden nur 12 % aller Wege in Ham-
Straßen nimmt zu. Rund 4.000 km Straßen hat Ham-          burg mit dem Fahrrad zurückgelegt. Seitdem steigt die
burg und jedes Jahr werden mehr als 10.000 PKWs           Zahl der Radfahrer stetig an. Damit Rad fahren noch
neu zugelassen. Inzwischen gibt es insgesamt rund         beliebter wird, hat Hamburgs Erster Bürgermeister
771.000 Autos in der Hansestadt – das heißt, fast jeder   Olaf Scholz mit den Bezirksamtsleitern und den Be-
zweite Mensch hat ein Auto!                               zirksversammlungen im letzten Jahr ein Bündnis für
  Doch alle Verkehrsexperten, Stadtplaner und Poli-       den Radverkehr geschlossen. Ziel des Senats ist es, in
tiker wissen inzwischen: Die autogerechte Stadt von       den 2020er Jahren den Radverkehrsanteil an allen
früher hat als Leitidee längst ausgedient. Heute gilt     in Hamburg zurückgelegten Wegen auf 25 % des Ge-
die Maxime, die Stadt muss von den privaten Pkws          samtverkehrsaufkommens zu steigern. Erreicht wer-
befreit werden! Es ist unverkennbar: Hamburg hat ein      den soll dies u. a. mit mehr Radstreifen an Straßen,
Autoproblem!                                              neuen Velo-Routen, mehr Rad-Stellplätzen vor U- und
  Dabei ist kein anderes Verkehrsmittel in der Stadt      S-Bahnhöfen sowie vielfältigen Service- und Infor-
so schnell, so flexibel und so preiswert wie das Fahr-    mationsangeboten. Klingt gut, doch die Umsetzung
rad. Es erzeugt kaum Lärm und keine Abgase, braucht       braucht viel Zeit und die Menschen müssen es wollen!
keinen großen Parkplatz und schont das Klima. Es ist        Das Publikum in Karlshöhe besteht fast ausschließ-
einfach zu bedienen, hält körperlich und geistig fit      lich aus raderprobten Herren in mittlerem bis höhe-
und macht Spaß bis ins hohe Alter.                        rem Alter und wenigen Frauen. Jüngere sind nicht zu
  Doch mit dem Rad durch die Stadt zu fahren, will        sehen. Das Podium ist bunt gemischt – von Martin
gelernt sein. Unser Mobilitätsverhalten ist uns eben      Bill, dem Verkehrsexperten der Grünen, über Kirsten
nicht angeboren, es wird uns vielmehr anerzogen. Es       Pfaue, der Radverkehrskoordinatorin der Stadt Ham-
ist ein Ausdruck unserer Werte und Lebenseinstellung      burg, bis zu Fachleuten vom Fahrradverein ADFC und
– und unserer Bildung. Verkehrserziehung gehört in-       dem Automobilclub ADAC. Letzterer bringt es immer-
zwischen genauso zum gesetzlichen Bildungsauftrag         hin auf rund eine Million (!) Mitglieder in der Metro-
wie Schreiben und Lesen. Zwar ist unser freies Bewe-      polregion Hamburg.

                                                                                                       Lynx 02/2017 5
WER RAD FÄHRT, BLEIBT AUCH GEISTIG IN BEWEGUNG!

                                                              haltensweisen, nicht nur unser Mobilitätsverhalten,
                                                              sind nicht zukunftsfähig und nicht nachhaltig.
                                                                Beispiel Ernährung: Laut einer Untersuchung der
                                                              Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit
                                                              enthalten Bioprodukte deutlich weniger Pestizid-
                                                              spuren als konventionelle Lebensmittel. Doch leider
                                                              führen solche Informationen nur in den seltensten
                                                              Fällen unmittelbar dazu, die Ernährung umzustel-
                                                              len. Zu komplex ist unser Ernährungsverhalten und
                                                              ein nebulöses, aber tief verankertes Vorurteil gegen
                                                              Bioprodukte lässt viele Menschen argumentieren,
                                                              dass Öko-Essen „auch nicht besser“ sei – ergo sind sie
                                                              nicht bereit, umzusteigen.
                                                                Beispiel Fair Trade: In fast allen Supermärkten gibt
                                                              es heute faire Produkte zu kaufen. Hamburg ist seit
                                                              vielen Jahren eine mehrfach ausgezeichnete „Fair-
                                                              Trade-Stadt“. Viele Betriebe, Vereine und auch die
                                                              Stadtverwaltung schenken ihren Gästen beispielswei-
                                                              se nur noch fair gehandelten Kaffee ein. In Umfragen
                                                              geben zwar viele Menschen an, dass sie beim Einkauf
                                                              faire Produkte bevorzugen würden – dennoch liegt
Abb. 2: T-Shirt aus Amsterdam. Foto: Jürgen Forkel-Schubert   der reale Anteil von fairem Kaffee bei nur rund vier
                                                              Prozent.
                                                                Was können wir also tun, damit unsere Kinder (und
Am Ende sind sich alle einig: Es geht nicht gegenein-         wir Erwachsenen auch) nicht nur etwas über Nach-
ander, sondern nur miteinander!                               haltigkeit lernen, sondern auch nachhaltig leben?
  Das klingt gut, aber ist vielen Anwesenden zu lang-           Die freie Entscheidung des Einzelnen ist ein wichti-
sam. Wir müssen noch mehr Menschen dazu brin-                 ges Grundrecht in unserer Gesellschaft. Es gilt nicht
gen, das Auto stehen zu lassen und Bahn und Busse             nur für das individuelle Handeln, sondern auch in
zu nutzen. Und wieso eigentlich kaufen trotz „Diesel-         der Bildung. Besonders junge Menschen sind anfäl-
gate“ immer noch Menschen einen Diesel-PKW oder               lig gegenüber radikalen Lösungen und wären leicht
gar ein SUV und verschmutzen unsere bereits schon             zu beeinflussen. Unsere Vergangenheit – insbesonde-
viel zu dreckige Luft noch weiter?                            re die Nazizeit und die DDR – hat gezeigt, dass man
  Fehlt uns vielleicht einfach nur die Fantasie? Ein          Schülern keine Meinung aufzwingen darf. Man darf
gutes Beispiel ist Kopenhagen, wo die Verwaltung              Schüler nicht indoktrinieren, sondern muss sie in die
Dinge umsetzt, die kein Vermögen kosten – dies aber           Lage versetzen, sich mit Hilfe des Unterrichts eine ei-
kontinuierlich tut! In der Hauptstadt Dänemark wur-           gene Meinung bilden zu können. Dieses „Überwälti-
den über einen Zeitraum von 20 Jahren jedes Jahr              gungsverbot“ ist seit 1976 im sogenannten Beutelsba-
zwei bis drei Prozent der Parkplätze gestrichen und           cher Konsens festgeschrieben.
daraus Cafés, Spielplätze sowie Platz für Fußgänger             Wie soll man denn unser Bildungssystem umgestal-
und Radfahrer geschaffen. Zeitgleich wurden die               ten, damit aus unseren Kindern einmal verantwor-
Parkplatzgebühren erhöht, damit mehr Menschen                 tungsbewusste, nachhaltig handelnde und mündige
aufs Rad oder den ÖPNV umsteigen. Könnte man das              Bürger werden?
nicht auch bei uns ...                                          Eine Erkenntnis ist, dass das Thema Nachhaltigkeit
                                                              insgesamt noch nicht in den Bildungseinrichtungen
Warum unser Verhalten ein wichtiges Thema für                 und bei den Menschen angekommen ist. Nachhaltig-
die Bildung ist                                               keit wird als Begriff inflationär und häufig falsch im
Wir alle wissen, dass unser Verhalten nicht immer             Sinne von „lang nachwirkend“ verwendet. Nachhal-
von logischen Überlegungen gesteuert wird. Dafür              tigkeitsansätze sind jedoch sehr komplex und bein-
gibt es viele Gründe, beispielsweise spontane Kauf-           halten meist zu viele Abwägungsprozesse, um daraus
entscheidungen, fehlende Angebote, Beeinflussung              unmittelbar Grundsätze für unser Verhalten ableiten
durch die Peergroup, liebgewonnene Gewohnheiten               zu können. Fachleute diskutieren bereits Strategien
oder mangelhafte Informationen. Viele unserer Ver-            zur Lösung wichtiger Zukunftsprobleme: „Effizienz“

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WER RAD FÄHRT, BLEIBT AUCH GEISTIG IN BEWEGUNG!

zur Lösung des Ressourcenproblems, „Suffizienz“ für
unser Konsumverhalten, „Konsistenz“ für die Natur-
verträglichkeit und „Permanenz“ für die Nutzungs-
dauer – doch damit können nur die wenigsten Men-
schen etwas anfangen, geschweige denn, dies auf ihr
Individualverhalten übertragen.
  Unser derzeitiges Bildungssystem muss also weiter-
entwickelt werden, um uns Antworten auf unsere Zu-
kunftsfragen geben zu können – oder anders gesagt:
wir brauchen andere Schwerpunkte in der Bildung.
Wir brauchen mehr Bildung für nachhaltige Entwick-
lung – abgekürzt BNE – und das in allen Bildungsbe-
reichen. BNE kann den Schülern die Kompetenzen
vermitteln, die sie brauchen, damit sie die Zukunft
meistern können. BNE soll die Menschen befähigen
zu erkennen, dass ihr Handeln Konsequenzen hat –
nicht nur für sie selbst, sondern auch für ihr Umfeld
und für andere. Jeder kann dazu beitragen, die Welt
ein Stück zu verbessern.
  Dabei geht es nicht darum, neue Projekte zu starten,
die nach einer gewissen Zeit beendet und vergessen
sind. Nein, wir brauchen neue Strukturen, die BNE
fest verankert – in Kindergärten, Schulen, Betrieben
und Berufsschulen, Hochschulen, der Weiterbildung
und in der außerschulischen Bildung.

Hamburg lernt Nachhaltigkeit
2015 fiel der Startschuss für das UNESCO-Weltakti-
onsprogramm Bildung für nachhaltige Entwicklung
(WAP BNE). Das fünfjährige Programm (2015–2019)
zielt darauf ab, langfristig eine systemische Verän-
derung des Bildungssystems zu bewirken und Bil-
dung für nachhaltige Entwicklung vom Projekt in
die Struktur zu bringen. In einer „Roadmap“ werden
fünf Aktionsfelder benannt, denen besondere Priori-
tät eingeräumt wird: der Integration von BNE in die
Bildungs- und Nachhaltigkeitspolititk, der ganzheit-
lichen Transformation von Lern- und Lehrumgebun-
gen, der Kompetenzentwicklung bei Lehrenden und
Multiplikatoren, der Stärkung und Mobilisierung der
Jugend und der Förderung nachhaltiger Entwicklung
auf lokaler Ebene durch Bildung.
  Die Bundesregierung hat zur Umsetzung des Welt-
aktionsprogramms eine Nationale Plattform gegrün-
det und als begleitende Gremien sechs Fachforen
zu den unterschiedlichen Bildungsbereichen sowie
mehrere Partnernetzwerke eingerichtet. Gemeinsam
wurden Handlungsfelder und Ziele für einen „Nati-
onalen Aktionsplan BNE“ erarbeitet, der im Sommer
dieses Jahres veröffentlicht werden soll.
  Der Hamburger Senat hat das Programm der
UNESCO ebenfalls aufgegriffen und im September                    Abb. 3: Hans Gabanyi, WAP-Konferenz in Hamburg.
2016 in einer Drucksache an die Bürgerschaft be-                                        Foto: Jürgen Forkel-Schubert

                                                                                             Lynx 02/2017 7
WER RAD FÄHRT, BLEIBT AUCH GEISTIG IN BEWEGUNG!

schlossen, einen „Masterplan“ für die Implementie-       aufzeigen. BNE kann gute Beispiele propagieren und
rung dieses neuen Bildungsansatzes in der Hansestadt     – wo möglich – auch einüben, damit wir aus dem Teu-
zu entwickeln. Als Ziele werden darin genannt: die       felskreis der nicht-nachhaltigen Verhaltensweisen he-
Stärkung der nachhaltigen Entwicklung Hamburgs           rauskommen. Gemeinwohlorientierung und globale
durch BNE, die Umsetzung des WAP in Hamburg, Mit-        Gerechtigkeit müssen dabei Hand in Hand gehen.
wirkung in nationalen und internationalen Gremi-           Zurück zur Diskussion im Gut Karlshöhe. Auf die
en zum WAP und in entsprechenden Bildungsforen,          Frage, was jeder von uns denn konkret tun könne,
Entwicklung eines Aktionsplans BNE für Hamburg           damit Hamburg wirklich zu einer Fahrradstadt wird,
und Stärkung der Beteiligung interessierter Akteure      antwortete die Fahrradbeauftragte Kirsten Pfaue:
(Drucksache 21/5468 „Hamburgs Beitrag zum Welt-          1. Aktiv sein und Spaß daran haben
aktionsprogramm Bildung für nachhaltige Entwick-         2. Vorbild sein und Regeln einhalten
lung“, 02.08.2016, Bezug: www.buergerschaft-hh.de/       3. Sich mit anderen austauschen und offen für neue
ParlDok/vorgang/49207).                                  Ideen sein
  Die Initiative „Hamburg lernt Nachhaltigkeit“          Es ist also gar nicht so schwer mit dem richtigen Ver-
(HLN) wurde mit der Umsetzung beauftragt. Dar-           halten – man muss nur damit anfangen!
in arbeiten unter der Federführung der Behörde für
Umwelt und Energie alle für Bildung relevanten Be-
hörden zusammen. Sie sollen in einem partizipa-
tiven Ansatz mit allen gesellschaftlichen Akteuren
den Aktionsplan BNE für Hamburg gemeinsam ent-
wickeln. In einem ersten Schritt hat die Geschäfts-
stelle der Initiative HLN fünf Arbeitsguppen zu den
Bereichen Kita, Schule, Berufsbildung, Hochschu-
le, Außerschulische Bildung und Bezirke gegrün-
det. Auf Grundlage der Texte des Nationalen Akti-
onsplans sollen spezielle auf Hamburg angepasste
Handlungsfelder und Ziele entwickelt werden. Alle
                                                                 Abb. 4: Jürgen Forkel-Schubert. Foto: Jürgen Forkel-Schubert
Interessierten sind eingeladen mitzuarbeiten. Termi-
ne und Kontakte der AGs können bei der Geschäfts-
stelle HLN erfragt werden (Kontakt: Elke Rödig, BUE,
elke.roedig@bue.hamburg.de).

Global denken – lokal handeln
Als fachliche Grundlage für die Arbeit gelten die im
September 2015 von den Vereinten Nationen verab-
schiedeten 17 Ziele der Agenda 2030, die sogenann-
ten „Sustainable Development Goals“ – kurz SDGs.
Dieser Ansatz soll bis zum Jahr 2030 weltweit Armut
und Hunger reduzieren, Gesundheit verbessern,
Gleichberechtigung ermöglichen, die Umwelt schüt-
zen und vieles mehr.
  Auch der Hamburger Senat hat einen Prozess zur
Umsetzung der SDGs gestartet, bei dem Bildung eine
große Rolle spielt. Wiederum hat die Behörde für Um-
welt und Energie hier die Federführung übernommen
und dabei auch die Initiative „Hamburg lernt Nach-
haltigkeit“ mit einbezogen.
  Zweifelsohne kann Bildung bei den Menschen das
Bewusstsein dafür steigern, dass die Agenda 2030 ein
wichtiges und richtiges Konzept ist. Zugleich kann
BNE verdeutlichen, dass wir alle zugleich Täter, Opfer
und Retter sind. BNE muss den Bezug zwischen den
globalen Problemen und dem Handeln des Einzelnen

8   Lynx 02/2017
DO CITIES MATTER?

    Prof. Dr. Stephan Rammler

    Do Cities Matter?
    Gedanken zur Gestaltbarkeit urbaner Mobilität

Abb.: Frau auf Fahrrad in Berlin. Foto: Wikimedia Commons, Sascha Kohlmann, CC BY-SA 2.0

Heute lebt mehr als die Hälfte der Menschheit in Städ-                  vor ist die Luftqualität in deutschen Großstädten mi-
ten, mit weiter steigender Tendenz. Mit Blick auf die                   serabel und den Fähigkeiten eines in aller Welt bewun-
Zukunft der Mobilität sind sie allein deswegen schon                    derten Hochtechnologielandes in keiner Weise ange-
der Hauptschauplatz vielfältiger und einflussrei-                       messen. Die Emissionen steigen sogar, einige Städte
cher Entwicklungen, die sich in ihnen bündeln und                       stehen kurz davor, vor dem europäischen Gerichtshof
überschneiden wie in einem großen urbanen Labor:                        verklagt zu werden. Gesundheitswissenschaftler er-
Bevölkerungswachstum, urbane Verdichtung und                            warten, dass die durchschnittliche Lebenserwartung
Raumknappheit, Engpässe für den fließenden und ru-                      in Europa wegen der Emissionsbelastungen in den
henden Verkehr, mangelnde Verkehrssicherheit und                        Städten zunächst einmal stagnieren wird. Prominen-
die riesigen Emissionsprobleme in den Ballungsräu-                      testes Beispiel ist Stuttgart, wo sowohl die Feinstaub-
men erzwingen vor allem auf den Wachstumsmärk-                          belastung als auch die Stickoxidwerte an vielen Tagen
ten der Mobilität in Asien, Afrika und Lateinamerika                    des Jahres weit über den von den Gesundheitsbehör-
neue Mobilitätskonzepte.                                                den als akzeptabel angesehenen Grenzwerten liegen.
  Aber auch in Deutschland sind die mit dem Verkehr                     Hinzu kommt das Klimathema: Wenn Deutschland
verbundenen Probleme keinesfalls gelöst: Nach wie                       an dem in Paris beschlossenen Stabilisierungs-Ziel des

                                                                                                            Lynx 02/2017 9
DO CITIES MATTER?

Weltklimas auf 1,5 Grad Celsius ernsthaft mitarbeiten       „Seamless mobility“, einem System, in dem die ein-
will, braucht es dazu den sofortigen Start in eine kon-     zelnen Komponenten nahtlos ineinandergreifen. In
sequente Decarbonisierung unserer Gesellschaft. Vor         diesem Szenario spielen allerdings auch ganz traditio-
allem der Verkehrssektor ist jedoch bislang gegenüber       nelle Nutzungskonzepte weiterhin eine sehr wichtige
allen Eingrenzungsversuchen resistent gewesen und           Rolle, wie zum Beispiel das Zweirad im Privatbesitz.
heute eine der Hauptquellen des klimaschädlichen              Meiner Meinung nach könnten gut vernetzte öffent-
Treibhausgases CO2. Dieses sogar mit ansteigender           liche Verkehrssysteme zusammen mit einer moder-
Tendenz.                                                    nen, wo nötig elektrisch unterstützten, Zweiradkultur
  Um vor diesem Hintergrund die Antwort auf die ti-         schon heute eine zentrale Rolle dabei spielen, urbane
telgebende Frage zu geben: Ja, Städte können in dieser      Verkehrsmärkte nachhaltiger zu gestalten. Wird die
Situation einen Unterschied machen. Mit den Worten          Infrastruktur – also Radwege, Stellwege, Ladestatio-
des UN-Generalsekretärs Ban Ki-Moon: „Our struggle          nen oder Carsharing-Parkplätze – deutlich verbessert,
for Global Sustainability will be won or lost in cities“.   steigert das die Qualität des Angebots und somit die
Städte sind die Bühne, auf der der Abgesang von der         Nachfrage. Das ist die eine Seite der Medaille, der
Automobilität inszeniert wird. Ob dieser am Ende als        Pull-Faktor. Die andere Seite ist der Push-Faktor: Die
Drama oder als Lustspiel aufgeführt wird, ist eine offe-    traditionelle Automobilität verursacht enorme exter-
ne Frage. Sicher ist jedoch, dass nach einhundert Jah-      ne Kosten und muss deshalb ordnungs- und fiskal-
ren Automobilisierungsgeschichte, während der sich          politisch reguliert werden. Wenn Autofahren nicht
das „Volk in den Wagen“ gesetzt hat, heute der Ein-         eingeschränkt und gleichzeitig teurer wird, kann die
stieg in den Ausstieg aus der Automobilität zu beob-        urbane Verkehrswende nicht gelingen.
achten ist. Das „Volk ohne Wagen“ wird dabei nicht            Um noch einmal auf die Ausgangsfrage zurückzu-
gänzlich auf Automobile verzichten, nur werden die-         kommen: Ja, Städte können einen gewaltigen Unter-
se Fahrzeuge in Zukunft nicht mehr im altbekannten          schied machen bei der Umsetzung nachhaltiger urba-
Modus des massenhaften Privatbesitzes betrieben,            ner Mobilitätsstrategien. Dafür brauchen sie mutige
sondern als automobile Dienstleistungen. Das Motto          Politiker mit klaren Zielvorstellungen, die die Bürger
heißt „pay per use“ statt „pay and use“. Grob gesagt        und Konsumenten von vorneherein in die Umset-
treten dabei gerade drei zentrale Zukunftsstrategien        zung politischer Strategien einbeziehen. Das können
gegeneinander an.                                           wir in Deutschland von Städten wie Kopenhagen,
  Erstens eine High-Tech-Strategie des automatisier-        Amsterdam oder Wien lernen.
ten Fahrens. Dieser Ansatz wird vor allem von den
kapitalstarken IT-Firmen aus dem Silicon-Valley vo-         Stephan Rammler ist Professor für Transportation
rangetrieben. Dabei werden Besitz und Fahrbetrieb           Design & Social Sciences an der Hochschule für Bil-
entkoppelt, automatisiert und elektrifiziert. Die Visi-     dende Künste in Braunschweig und Gründer des Ins-
onen der digitalen Branche gehen dabei so weit, mit         tituts für Transportation Design. Seine Arbeitsschwer-
automatisierten und hochvernetzten Fahrzeugflotten          punkte sind die Mobilitäts- und Zukunftsforschung.
auch weite Bereiche des heutigen öffentlichen Trans-        2016 erhielt er den Zeit-Wissen-Preis „Mut zur Nach-
portangebots des Bus- und Schienenverkehrs in urba-         haltigkeit“. Sein Buch „Schubumkehr – Die Zukunft
nen, suburbanen und ländlichen Regionen zu über-            der Mobilität“ ist im Fischer Verlag 2014 erschienen,
nehmen.                                                     dies ist auch als E-Book erhältlich.
  Auch Strategie Nummer zwei setzt auf High-Tech,
indem sie alle Verkehrsträger digital verknüpft. Die
urbane Verkehrsnachfrage der Zukunft richtet sich
hier also auf den Verbund aller Verkehrsmittel. Das
Auto ist in diesem Verbund nicht mehr als ein „Bau-
stein“ intelligenter Verkehrsmittelkombinationen,
der durchaus in einigen Regionen als automatisierter
Transport angeboten werden könnte.
  Eine Low-Tech-Variante ist hingegen jene Strate-
gie, die gut ausgebaute öffentliche Verkehrssysteme
mit Individualverkehrsmitteln wie Zweirad, Seg-
way, Scooter oder Dreirädern kombiniert. Auch hier
ermöglichen digitale Verknüpfungstechnologien
das Teilen und Vernetzen dieser Verkehrsmittel zur

10   Lynx 02/2017
LEBENSWERTE STÄDTE UND MOBILITÄT – EIN DILEMMA?

    Christine Stecker

    Lebenswerte Städte
    und Mobilität –
    ein Dilemma?
Die Zukunft liegt in den Städten: Im Jahr 2008 lebten    Wo stehen deutsche Städte derzeit?
erstmals mehr Menschen weltweit in Städten als auf       Viele deutsche Städte sind heute noch dem autoge-
dem Land. Bis zum Jahr 2050 sollen es laut UN welt-      rechten Leitbild vergangener Jahrzehnte verhaftet.
weit zwei Drittel sein. Bereits jetzt leben 82 Prozent   Die „autogerechte Stadt“, wie sie seit den 50er Jahren
der Nordamerikaner in Städten, in Lateinamerika          von Architekten propagiert wird, orientiert sich
sind es 80, in Europa 73 Prozent. Insbesondere Asien     zuvorderst an den Bedürfnissen des motorisierten
und Afrika werden in den nächsten Jahren enorm auf-      Individualverkehrs (MIV) und sollte dazu dienen,
holen. Weltweit gab es 2016 31 Megacities mit mehr       Verkehrsströme zu entmischen und Straßenräume
                                                         großzügig dem MIV zur Verfügung zu stellen. Dass
als 10 Millionen Einwohnern, bis zum Jahr 2030 sol-
                                                         dieses Konzept heute nicht mehr tragfähig ist, zeigt
len es 41 sein (UN, 2016).
                                                         sich an verschiedenen Facetten.
  Entsprechend sind es die Städte, in denen immense
Chancen und Herausforderungen gleichermaßen lie-
gen. Städte setzen weltweit einen Großteil der Treib-    Herausforderung Klimaschutz
hausgasemissionen frei. Ein Viertel davon wird dem       Städte als Treiber des Klimawandels stehen in der Ver-
Verkehrssektor zugerechnet. Damit werden die Zu-         pflichtung, einen eklatanten Beitrag zur Reduzierung
kunft der Mobilität und die Lebensqualität für den       der Treibhausgase zu leisten. Im Jahr 2016 wurden in
Großteil der Menschheit ebenfalls in den Städten ent-    Deutschland fast 906 Millionen Tonnen Treibhaus-
schieden werden müssen. Das Umdenken hat bereits         gase freigesetzt – etwa 4 Mio. Tonnen mehr als 2015.
begonnen. Der nachfolgende Beitrag wirft einen ers-      Den stärksten Anstieg verzeichnet dabei der Verkehrs-
ten Blick auf den urbanen Umbruch.                       sektor mit einem Plus von 3,4 Prozent, so die ernüch-

                                                                  Abb. 1: Kuala-Lumpur. Foto: Pixabay, Cassandra Duval, CC0

                                                                                                  Lynx 02/2017 11
LEBENSWERTE STÄDTE UND MOBILITÄT – EIN DILEMMA?

ternde Bilanz des Umweltbundesamtes. Moment mal                           Bestand in Hamburg kontinuierlich an: Zum 1. Januar
– hatte sich Deutschland nicht vorgenommen, Vor-                          2017 gab es 771.573 PKW – gut zehn Prozent mehr als
reiter in Sachen Umweltschutz und Energiewende zu                         2005 (Statistisches Bundesamt, 04/2017).
sein? Das Umweltbundesamt formulierte 2016 eher
seicht: „Um die Treibhausgasemissionen bis 2050 um                        Herausforderung Gesundheit
80 bis 95 Prozent gegenüber dem Vergleichsjahr 1990                       Die Europäische Umweltagentur warnt, dass jedes
zu senken, muss der Verkehrssektor einen angemes-                         Jahr 35.000 Menschen in Deutschland an Feinstaub,
senen Beitrag leisten.“ Im Grunde genommen heißt                          auch bedingt durch den Verkehr sterben. „Allein die
das nichts anderes, als dass der Verkehrssektor es bis                    überhöhten Stickoxid-Abgase aus den Auspufftöp-
zum Jahr 2050 geschafft haben muss, weitestgehend                         fen führen hierzulande zu 11.000 zusätzlichen To-
emissionsfrei zu sein!                                                    desfällen pro Jahr.“ In Kombination mit den aktuel-
                                                                          len Dieselskandalen und den Überschreitungen der
Herausforderung Sicherheit                                                Schadstoffgrenzwerte innerorts bleibt ein dumpfes
Sicherheit auf den Straßen ergibt ein gutes Gefühl.                       Unbehagen, wie lebenswert die Stadt in den Quartie-
Die positive Nachricht: In Deutschland sinkt die Zahl                     ren außerhalb der Grüngürtel tatsächlich ist.
der bei Verkehrsunfällen innerorts getöteten Men-
schen seit dem Jahr 2000. Die schlechte: Es sind im-                      Herausforderung Hamburg
mer noch gut 1.000 Menschen zu viel (BAST, 2016).                         Hamburg ist eine lebenswerte Metropole – jedenfalls
In Hamburg ist der Trend darüber hinaus gegenläufig:                      dann, wenn man sich weit entfernt von Straßen auf-
Vom März 2016 bis Februar 2017 starben 63 Prozent                         hält, was jedoch schwerfällt. Es gibt nur eine über-
mehr Menschen auf Hamburgs Straßen als im Vor-                            schaubare Anzahl an Fußgängerzonen in der City
jahreszeitraum (Statistisches Amt für Hamburg und                         oder in Quartierszentren, der Autoverkehr dominiert
Schleswig-Holstein, 2017). Gleichzeitig steigt der KFZ-                   fahrend und ruhend allerorts das Stadtbild.

Abb. 2: Jähes Ende für den Radverkehr. Foto: Pixabay, 50975, Folker Schnaebele, CC0

12    Lynx 02/2017
LEBENSWERTE STÄDTE UND MOBILITÄT – EIN DILEMMA?

Während sich internationale Metropolen auf den          ökologische und ökonomische sowie teilweise auch
Weg machen, ihre Innenstädte komplett autofrei          soziale Fragen. Besonders gehäuft treten diese Folgen
umzugestalten, scheint Hamburg davon weiterhin          in Städten und Ballungsräumen auf. Infolge der Ver-
weit entfernt. Auf der Verkehrsministerkonferenz,       dichtungsprozesse sind die Auswirkungen hier mehr
die sich im April 2017 in Hamburg traf, betonte Wirt-   als die Summe der oben genannten Belastungen, da
schafts- und Verkehrssenator Horch seine Ablehnung      sie die Lebensqualität der Anwohner bestimmter Ver-
gegenüber Dieselverboten in der Innenstadt. Es blieb    kehrswege determinieren können.“ Zu diesem Fazit
lediglich bei einem Appell an die Industrie. In der     kam das Bundesumweltministerium bereits im Jahr
Pressemitteilung zum nun vorgelegten neuen Luft-        2008 (BMU, 2008).
reinhalteplan für Hamburg heißt es: „Auch künftig
wird mit jedem Fahrzeug jedes Ziel in der Stadt er-     Was macht eine Stadt lebenswert?
reichbar sein.“ (BUE, 2. Mai 2017). Das Dilemma für     „Eine Innenstadt ohne lautes Hupen, ohne stinkende Ab-
Hamburg liegt auf der Hand: Das Ziel der „verkehrli-    gase und ohne hektischen Streit um die Vorfahrt? Eine In-
chen Erreichbarkeit in der Stadt“ wird abgewogen mit    nenstadt mit viel Platz für spielende Kinder, flanierende
dem hohen Schutzniveau für die menschliche Ge-          Spaziergänger und duftende Blumenbeete? Wäre das keine
sundheit. Dabei wird Verkehr weiterhin autogerecht      attraktive, lebenswertere Stadt?“ (taz 2012)
gedacht – Verkehrsteilnehmer sind jedoch wesentlich       Der Mensch ist zuvorderst soziales interagieren-
mehr als Fahrzeugführer.                                des Wesen. Die Stadt als Lebensraum ist weit mehr
  Vor dem Hintergrund, dass der Bedarf an Mobili-       als nur ein Durchfahrgebiet zu halten. Lebensstile
tät in den sich verdichtenden Städten weiter steigt,    ändern sich, junge Generationen sehen im Verzicht
braucht es ein anderes Denken. „Die positiven und       auf das eigene Auto in der Stadt den Zugewinn an Le-
negativen Auswirkungen des Verkehrs tangieren wie       bensqualität und Zeit.
in kaum einem anderen Politikbereich gleichzeitig

                                                                Abb. 3: „Und wo spielen Ihre Kinder?“. Foto: Christine Stecker

                                                                                                    Lynx 02/2017 13
LEBENSWERTE STÄDTE UND MOBILITÄT – EIN DILEMMA?

Abb. 4: Menschen. Foto: Pixabay, 890962, Antranias, CC0

Wie kein anderer steht Architekt und Stadtplaner Jan       7. Sehenswürdiges (u. a. freie Sichtachsen, interes-
Gehl für die Umgestaltung von Städten nach mensch-             sante Ausblicke)
lichem Maßstab. Sein wichtigster Grundsatz: „Der           8. Orte für Kommunikation
Stadtraum muss – statt aus einem fahrenden Auto heraus     9. Orte für Spiel und Sport
oder von oben herab – mit der Geschwindigkeit eines Fuß-   10. Größenverhältnisse nach menschlichem Maß
gängers erlebt werden.“ Die lebenswerte Stadt ordnet die       (Bauten und Räume)
Prioritäten neu: Die Achtung der Menschen, Würde,          11. Angenehme klimatische Verhältnisse
Lebensfreude und die Stadt als Ort der Begegnung ste-      12. Positive Sinneseindrücke (z. B. gutes Design,
hen im Vordergrund.                                            schöne Aussichten, Grünanlagen, Wasser)

Die Stadt auf Augenhöhe                                    Mobilitätswende macht Städte attraktiv
Öffentliche Stadträume, die auf Basis von beobach-         „Die Mobilitätswende hat in den Städten bereits begon-
tenden Analysen als die schönsten und meistgenutz-         nen“, so lautet eine von 12 Thesen der Agora Verkehrs-
ten Räume weltweit gelten, weisen nach Gehl zwölf          wende, einem Think Tank, auf Initiative der Stiftung
Qualitätskriterien auf (Gehl 2015):                        Mercator und der European Climate Foundation. Ziel
                                                           von Agora ist es, den Umbau zu einem klimafreund-
1. Schutz vor Verkehr und Unfällen – Sicherheits-          lichen und nachhaltigen Verkehrssystem zu fördern.
   gefühl                                                  Die These wird wie folgt konkretisiert:
2. Schutz vor Verbrechen – Sicherheitsgefühl
3. Schutz vor unangenehmen Sinneswahrnehmun-               • Attraktive Städte sind nicht autogerecht.
   gen (z. B. Staub, Lärm, Wind)                           • Mit dem Auto wird der Umweltverbund zum Mo-
4. Angebote für Fußgänger                                    bilitätsverbund. (Auto meint dabei eCarsharing,
5. Aufenthaltsgelegenheiten                                  Anm. d. Autorin)
6. Sitzgelegenheiten

14    Lynx 02/2017
LEBENSWERTE STÄDTE UND MOBILITÄT – EIN DILEMMA?

                                                                  Abb. 5: Hand in Hand. Foto: Pixabay, 255223, Sh1ra, CC0

• Fuß- und Radverkehr sind ein Gewinn für die           pole klimaneutral sein. Das Konzept dazu lautet „Wal-
  Städte.                                               kable City Stockholm“. Im Fokus steht ein holistischer
• Weniger private Autos schaffen wertvollen öffent-     Ansatz, der auf Vernetzung städtischer Randgebiete,
  lichen Raum.                                          aktive Mobilität und öffentlichen Nahverkehr ausge-
• Der Wirtschaftsverkehr funktioniert auch kli-         richtet ist. Klimaschutz und Resilienz werden ebenso
  maneutral.                                            wie die Gesunderhaltung der Stockholmer ernst ge-
• Städte brauchen mehr Unterstützung.                   nommen: Investitionen von 122 Millionen US-Dollar
                                                        fließen bis zum Jahr 2018 in die Förderung der Fahr-
Städte machen sich weltweit auf den Weg –               radnutzung, um Gesundheitskosten durch mehr Be-
zukunftsweisende urbane Mobilitätskonzepte              wegung zu reduzieren.
Beispielstädte, die sich als Zukunftslaboratorien für
die Stadt von morgen verstehen, gibt es ebenso wie      Oslo hat sich vorgenommen, ab 2019 keine Privatau-
Projekte und Start-ups, die Mut machen. Wie kann        tos mehr in der Innenstadt zu erlauben. Stattdessen
es gelingen, in den wachsenden Metropolen Lebens-       ist der Umweltverbund zu nutzen.
qualität zu erhöhen und gleichzeitig die urbane Mo-
bilität der Menschen sicherzustellen? Bekannt sind      Malmö: In der fahrradfreundlichsten Metropole
Amsterdam und Kopenhagen für die gelungene Um-          Schwedens entsteht mit dem zentral gelegenen Cy-
gestaltung. Doch es gibt weitere, nachfolgend nur ein   kelhuset Ohboy Schwedens erstes siebengeschossi-
kleiner Ausschnitt:                                     ges Gebäude, das sich an einem fahrradorientierten
                                                        Lebensstil ausrichtet. Für die 55 Wohnungen und 33
Stockholm gehört zu den am schnellsten wachsenden       Motelzimmer gibt es nur einen Behindertenstellplatz.
Metropolen in Europa. In der Stadtplanungspolitik       Mit einem umfassenden Mobilitätskonzept konnte
steht die nachhaltige Entwicklung im Vordergrund:       der Stellplatzschlüssel für PKW aufgehoben werden.
Bis zum Jahr 2030 will die 300.000-Einwohner-Metro-     Dazu gehört u. a., dass Bewohner mit einem Lasten-

                                                                                                Lynx 02/2017 15
LEBENSWERTE STÄDTE UND MOBILITÄT – EIN DILEMMA?

rad bis zu ihrer Wohnung per Aufzug fahren können,                  • Berücksichtigung der Personenbeförderungs-
um Einkäufe bequem in der Wohnung auszuladen.                         kapazität
Mieter sind Mitglieder im Carsharing-System und er-                 • Mehr Koexistenz statt Verkehrstrennung
halten Monatskarten des ÖPNV. Fahrradabstellanla-                   • Konsequente Abstimmung von Siedlungs-
gen inkl. Fahrradhalterungen im Appartement, eine                     und Mobilitätsentwicklung
Fahrradwerkstatt und viele weitere Annehmlichkei-                   • Schaffen und Nutzen einer Stadt der kurzen
ten machen den Verzicht auf das eigene Auto einfach.                  Wege
(http://www.ingenieur.de/Themen/Architektur/In-Mal-                 • Mobilitätsmanagement als Ergänzung zur Infra-
moe-entstehen-Wohnungen-fuer-Fahrradfahrer)                           strukturplanung
                                                                    • Optimierung der Gesamtverkehrsabwicklung
Wien hat als Zielorientierung der Mobilitätspolitik „80             • Förderung der verkehrsmittel- und stadtübergrei-
zu 20“ definiert. Bis zum Jahr 2025 sollen die Wienerin-              fenden Vernetzung
nen und Wiener 80 Prozent der Wege mit dem öffent-
lichen Verkehr auf dem Rad oder zu Fuß zurücklegen.                 Vision Zero Action Plan: New Yorks regierender Bür-
                                                                    germeister Bill de Blasio verkündet zwei Wochen nach
Zürich gilt als internationales Vorbild für seine lang-             seinem Amtsantritt den „Vision Zero Action Plan“
jährigen Anstrengungen in der Verkehrspolitik. Autos                nach schwedischem Vorbild. Schrittweise soll die
werden konsequent aus dem Stadtbild verbannt, Park-                 Zahl schwerwiegender Verkehrsunfälle auf Null ge-
plätze unterirdisch verlegt. Zu den Zielsetzungen in                senkt werden. Verkehrssicherheit ordnet er als öffent-
Zürich gehören:                                                     liches Gesundheitsproblem ein und weitet damit die
                                                                    Verantwortlichkeiten aus. Damit soll New York City
• Angebots- statt nachfrageorientierter Verkehrs-                   zur sichersten Stadt weltweit werden. Und die Statis-
  planung                                                           tik gibt ihm Recht. Die Vision Zero haben zahlreiche

Abb. 6: Opernplatz in Zürich. Foto: Pixabay, 221373, 4997826, CC0

16    Lynx 02/2017
LEBENSWERTE STÄDTE UND MOBILITÄT – EIN DILEMMA?

weitere US-amerikanische Städte aufgegriffen, u. a. Se-   Gesetzgebung, die meist noch aus den goldenen Au-
attle. Die Liste ließe sich problemlos fortführen ...     tozeiten stammt, ist dringend anzupassen. Geschwin-
                                                          digkeitsreduzierungen, wie sie durch die novellierte
Die Zeit ist reif                                         Straßenverkehrsordnung (StVO) zumindest an Schu-
Eine aktuelle Umfrage zum Umweltbewusstsein der           len und Kindergärten leichter umgesetzt werden kön-
Deutschen ergibt: 91 Prozent der Deutschen stim-          nen, sind nur ein allererster Anfang. Ein Weiter so
men zu, dass „weniger Autos in Städten und Gemein-        wie bisher bringt die Städte über den Rand des Ver-
den“ einen Beitrag zum guten Leben leistet. Knapp         kehrskollapses hinaus – auf Kosten der Lebensquali-
80 Prozent wünschen sich weniger Autos in der ei-         tät ihrer Bewohner.
genen Gemeinde. In Städten mit über 100.000 Ein-            Für Hamburg bleiben die Fragen, die sich lebens-
wohnern ist die Bereitschaft besonders groß, vom          werte Städte bei der Umgestaltung stellen, weitestge-
eigenen Auto auf andere Verkehrsmittel inklusive Zu-      hend offen: Wie kann an den Menschen zuallererst
fußgehen zu wechseln (BMU/UBA 2016). Autofahren           gedacht werden? Wem gehört der öffentliche Stadt-
macht in der Stadt nicht nur keinen Spaß mehr, son-       raum und wie kann dieser zukünftig gerechter und
dern auch keinen Sinn. Dazu bedarf es der Stadt der       lebensfreundlicher aufgeteilt werden? Wie wird die
kurzen Wege.                                              Stadt für die Menschen, die in ihr leben, sicher, ge-
  Die Bürgerinnen und Bürger selbst sind es, denen        sund, umweltfreundlich und einladend?
es nicht nur „stinkt“, sondern die sich aktiv für ei-
nen lebenswerteren Wohnort in der Stadt einsetzen.        Stadtplanung ist Zukunftsgestaltung
In Berlin ist ein Radgesetz aus der Initiative „Volks-    Stadtplanern und kommunalen Entscheidern kommt
entscheid Fahrrad“ auf den Weg gebracht und soll          eine aktive Gestaltungsverantwortung zu. Eine ver-
bis Herbst 2017 umgesetzt sein. Damit wäre Berlin         stopfte Straße weiter auszubauen, führt über kurz
das erste Bundesland mit eigenem Radgesetz zur            oder lang zu einer ausgebauten verstopften Straße.
Förderung des Radverkehrs. Gleichfalls Novum: Das         Wenn der Verkehr nicht fließt, liegt dies nicht an zu
Gesetz wurde im Dialogprozess zwischen den Initia-        wenigen oder zu kleinen Straßen – es ist vielmehr Zei-
toren des Volksentscheids, Senatsverwaltung, Koaliti-     chen fehlgeleiteter Verkehrspolitik, der Mangel an at-
onsfraktionen, ADFC-Berlin und BUND erarbeitet.           traktiven Alternativen.
  Darüber hinaus finden in zahlreichen deutschen            Das „Sustainable Development Goal“ Nr. 11 der
Städten jährlich Fahrrad-Sternfahrten statt. Die          Vereinten Nationen fordert Städte auf, inklusiv, si-
weltweiten Critical Mass Aktionen, die 1992 in San        cher, resilient und nachhaltig zu werden. Städte
Francisco ihren Auftakt nahmen, rufen monatlich           können aufgrund ihrer Siedlungsdichte und Größe
zu spontanen gemeinsamen Fahrradfahrten durch             Infrastrukturen besser und kostengünstiger zur Verfü-
Innenstädte auf. Mehr als 15 Radfahrer dürfen nach        gung stellen. Dabei hinterlässt keine andere Art der
§ 27 StVO einen geschlossenen Verband bilden, der         Fortbewegung so wenig Spuren in der Umwelt wie der
allerdings als solcher für andere Verkehrsteilnehmer      Fuß- und Fahrradverkehr, die sogenannte „aktive Mo-
deutlich erkennbar sein muss. Im April 2017 radel-        bilität“. Viele Städte weltweit zeigen, dass es anders
ten ca. 5.000 Hamburgerinnen und Hamburger mit.           gehen kann und die Städte um ein Vielfaches gewin-
Beide Aktionsformate setzen sich für die Rechte von       nen. In Deutschland sind die Ansätze noch verhalten.
unmotorisierten Verkehrsteilnehmern und die Ver-          Fahrradverkehr ordnet sich häufig noch dem Autover-
kehrswende ein.                                           kehr unter. Die fußgängergerechte Stadt der kurzen
                                                          Wege wird bei den Zielen, Fahrradstadt zu werden, oft
Von der Energie- zur Mobilitätswende                      vergessen. Neue Formen urbaner Mobilität und die
Die Energiewende hängt unmittelbar mit der Ver-           Lebensqualität in den Städten können Hand in Hand
kehrswende zusammen. Für die Stadt von morgen ist         gehen. Die Chancen liegen in den Städten – man
nichts gewonnen, wenn der Status quo auf Elektro-         muss sie nur nutzen.
mobilität umgestellt wird. Ein Weniger an Fahrzeugen
ist zwingend nötig, um unsere Städte lebenswert(er)       Literaturquellen:
zu machen. Der Stadtraum ist begrenzt. Umso wichti-       Agora Verkehrswende, 12 Thesen: https://www.agora-
ger, Freiräume für Menschen zurückzugewinnen und          verkehrswende.de/12-thesen/die-mobilitaetswende-hat-in-
Klimaschutz ernst zu nehmen. Dafür ist nicht nur po-      den-staedten-bereits-begonnen/
litischer Wille nötig; auch die verhindernde deutsche

                                                                                             Lynx 02/2017 17
LEBENSWERTE STÄDTE UND MOBILITÄT – EIN DILEMMA?

BAST, Bundesamt für Straßenwesen, 2016: Ver-               Weiterführende Links
kehrs- und Unfalldaten – Kurzzusammenstellung              BMBF, 2017: Agendaprozess nachhaltige urbane Mo-
der Entwicklung in Deutschland: http://www.bast.de/        bilität: http://www.fona.de/de/agendaprozess-nachhaltige-
DE/Publikationen/Medien/VU-Daten/VU-Daten.pdf?__           urbane-mobilitaet-21913.html
blob=publicationFile&v=3
                                                           Bundesweiter Umwelt- und Verkehrskongress,
Berlin, Radgesetz: https://volksentscheid-fahrrad.de       März 2017, Wuppertal (BUVKO), Ergebnisse: http://
                                                           www.buvko.de/ergebnisse-2017.html
BMU, 2008: http://www.bmub.bund.de/themen/luft-
laerm-verkehr/verkehr/nachhaltige-mobilitaet/              Europäische Mobilitätswoche: https://www.umwelt-
                                                           bundesamt.de/europaeische-mobilitaetswoche
BMU/UBA, 2016: Umweltbewusstsein in Deutsch-
land 2016 – Ergebnisse einer repräsentativen Bevöl-        FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland:
kerungsumfrage: https://www.umweltbundesamt.de/            http://www.fuss-ev.de/
sites/default/files/medien/1968/publikationen/umweltbe-
wusstsein_in_deutschland_2016_barrierefrei.pdf             Globalrichtlinie „Notwendige Stellplätze und not-
                                                           wendige Fahrradplätze“, Hamburg (2002): http://
BUE, 2. Mai 2017: „Senat legt neuen Luftreinhal-           www.hamburg.de/contentblob/85612/050d8d0d185bf57c
teplan vor“: http://www.hamburg.de/pressearchiv-           e24a84e3f7190de6/data/stellplaetze.pdf
fhh/8675696/2017-04-26-bue-luftreinhalteplan/
                                                           Greenpeace 2016 in Zusammenarbeit mit Gehl
Gehl, Jan, 2015: Städte für Menschen, jovis Verlag         Urban Quality Consultants: Rollenwechsel – Kon-
                                                           zept für eine neue Mobilität in Städten: http://www.
Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Hol-           greenpeace.de/sites/www.greenpeace.de/files/publications/
stein, 02/2017: Straßenverkehrsunfälle in Hamburg          screen_s01851_ds_studie_de_mobi_22_06_16.pdf
Februar 2017 – Vorläufige Ergebnisse – https://www.
statistik-nord.de/fileadmin/Dokumente/Statistische_Be-     Hamburger Petition „KURS FAHHRADSTADT“ von
richte/verkehr_umwelt_und_energie/H_I_1_m_H/H_I_1-         Kai Ammer: https://kursfahrradstadt.wordpress.com/
m1702_HH.pdf
                                                           Hamburger Petition „Anwohnerparken kosten-
Statistisches Bundesamt, 04/2017: Verkehr, Fachse-         pflichtig – weniger Autos – mehr Lebensqualität“
rie 8 Reihe 1.1: https://www.destatis.de/DE/Publikatio-    von Fabian Hanneforth: https://www.change.org/p/
nen/Thematisch/TransportVerkehr/Querschnitt/Verkehr-       machen-sie-alle-%C3%B6ffentlichen-parkpl%C3%A4tze-
AktuellPDF_2080110.pdf?__blob=publicationFile              kostenpflichtig-weniger-autos-mehr-lebensqualit%C3%A4t

Taz, 2012: http://www.taz.de/Streit-der-Wo-                Nationaler Radverkehrsplan: https://nationaler-rad-
che/!5097997/                                              verkehrsplan.de/

UN, 2016: The World’s Cities in 2016: Data Booklet:        Sustainable Development Goals (SDG), Ziel 11:
http://www.un.org/en/development/desa/population/pu-       https://sustainabledevelopment.un.org/sdg11
blications/pdf/urbanization/the_worlds_cities_in_2016_
data_booklet.pdf
                                                           Videotipps
Vision Zero: http://www.visionzeroview.nyc                 Jan Gehl Talk: https://vimeo.com/179779809

Zürich: Zukunft Mobilität: http://www.zukunft-mobi-        Exploring the streets of Stockholm: https://vimeo.
litaet.net/88783/urbane-mobilitaet/vorbild-verkehrspoli-   com/122483608
tik-zuerich-oeffentlicher-verkehr/
                                                           Zurich: Where People are Welcome and Cars are
                                                           Not: https://vimeo.com/108884155

18   Lynx 02/2017
FÜR EINE BEWEGTE KINDHEIT UND JUGEND – MOBILITÄTSBILDUNG IN DER SCHULE

                                                                  Anika Meenken
                                                                  Verkehrsclub Deutschland, VCD

                                                                  Für eine bewegte
                                                                  Kindheit und
                                                                  Jugend –
                                                                  Mobilitätsbildung
                                                                  in der Schule
Abb. 1: Radrennen. Foto: Wikimedia Commons, Man vyi, gemeinfrei

Bedeutung der Mobilität von Kindern und Ju-                       vor Verkehrsunfällen plus die »Verinselung« der kind-
gendlichen und ihre IST-Situation                                 lichen Aufenthaltsorte sorgen dafür, dass Kinder auf
Die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen ist                   einer Vielzahl ihrer Wege von Erwachsenen begleitet
heute stark von Prozessen der »Verhäuslichung« und                werden4. Besonders deutlich wird diese Veränderung,
»Verinselung« geprägt1. Spiel, Austausch mit Freun-               schaut man sich die Schulwege an: Die Altersgruppe
den und Bewegung finden nicht mehr hauptsächlich                  der Fünf- bis Neunjährigen wird deutlich weniger al-
im Straßenraum, sondern vermehrt in institutiona-                 leine auf die Straße gelassen, als dies früher der Fall
lisierten Strukturen wie Kindertagesstätten, Schulen,             war5. So gingen 1970 noch 91 Prozent der Erstklässler
Sportvereinen oder auch zu Hause statt2. Für die sozia-           ohne Begleitung zur Schule, im Jahr 2000 hingegen
le, kognitive und physische Entwicklung von Kindern               nur noch 17 Prozent6. Selbst 17-Jährige legen noch
kommt dem Spiel auf der Straße und dem selbststän-                fast ein Viertel ihrer Wege in Begleitung eines Eltern-
digen Entdecken des Straßenraumes jedoch eine gro-                teils zurück7.
ße Bedeutung zu3. Straßenspiele fördern, im Gegen-                  Begleitet heißt dabei oft, auf dem Rücksitz des Au-
satz zum Spielen auf dem Spielplatz, die Kreativität,             tos hin- und hergefahren werden, statt zu Fuß oder
weil sie keine Themen vorgeben. Darüber hinaus kön-               mit dem Rad unterwegs zu sein. Bei Kindern unter
nen sich Kinder, die lernen selbstständig unterwegs               neun Jahren geschieht dies auf dem Schulweg zu 60
zu sein, besser orientieren, identifizieren sich stärker          Prozent. Bei den 10- bis 13-Jährigen werden sogar 80
mit ihrem Wohnumfeld und bauen andere soziale                     Prozent der begleiteten Schulwege mit dem Auto zu-
Bindungen zu Nachbarn auf als Kinder, die von den                 rückgelegt8.
Eltern oder Großeltern auf den Spielplatz begleitet                 Die Folgen: Durch die Verhäuslichung und den stei-
werden. Soweit die wissenschaftlichen Fakten.                     genden Anteil an Autofahrten bewegen sich Kinder
   Schaut man auf die Welt von Kindern und Jugend-                zunehmend weniger. Laut der Weltgesundheitsorga-
lichen heute wird deutlich, die Freizeit ist viel stär-           nisation sollten sich Kinder und Jugendliche aber täg-
ker als früher organisiert: Sportverein, Musikschule,             lich mindestens 60 Minuten lang moderat bis intensiv
Nachhilfe. Die Orte, an denen sich Kinder und Ju-                 bewegen9. Außerdem werden Kinder und Jugendliche
gendliche aufhalten sind stark über den Raum verteilt.            unsicherer im Straßenverkehr. Ihnen fehlt die Übung.
Die Wege dorthin können oder dürfen die Kinder oft                Verkehrserziehung im klassischen Sinn, z. B. die Fahr-
nicht selbstständig bewältigen. Die Angst der Eltern              radprüfung in Klasse 3 und 4 mit Übungsblatt und

                                                                                                     Lynx 02/2017 19
FÜR EINE BEWEGTE KINDHEIT UND JUGEND – MOBILITÄTSBILDUNG IN DER SCHULE

Proberunde auf dem Übungsplatz, kann die mangeln-         dern auch eines, das einen besonders guten Zugang
de Erfahrung auf Alltagswegen nicht ausgleichen. Die      zum komplexen Ansatz der Bildung für Nachhaltig-
selbstständige Mobilität ist für die gesunde Entwick-     keit (BNE) bietet. Denn Mobilitätsbildung ist praxis-
lung von Kindern und Jugendlichen entscheidend.           nah, sie bietet die Möglichkeit zum individuellen
Sie steht somit in engem Zusammenhang mit der             Handeln, sie ermöglicht komplexe Zusammenhänge
Verkehrssicherheit.                                       an konkreten Alltagssituationen zu begreifen, sie lässt
  Es muss also heißen: wieder raus aus den Autos und      Erfahrungen auf verschiedenen Sinnesebenen zu und
gemeinsam bewegen, Erfahrungen sammeln und ver-           arbeitet mit vielfältigen Methoden.
tiefen. Das vermeintlich sichere Auto ist längst nicht      Der VCD engagiert sich deshalb seit Jahren für eine
so sicher, wie es vielen scheint: 40 Prozent der Kinder   nachhaltige Mobilitätsbildung vom Kindergarten bis
im Alter unter 15 Jahren verunglückten als Autoinsas-     zur beruflichen Aus- und Weiterbildung. Im Sinne
se, bei den Kindern unter 6 Jahren sind es sogar weit     eines lebenslangen Lernens bieten wir gestufte Bil-
über die Hälfte10. Zudem sorgen die sogenannten           dungsangebote mit unterschiedlichen Lerninhalten
Elterntaxis vor vielen Schulen für große Sicherheits-     und Lernzielen für alle Altersgruppen. Mit dem VCD-
probleme. Denn die Kinder werden zwischen den             Bildungsservice (https://bildungsservice.vcd.org) bieten
parkenden Autos und in der morgendlichen Hektik           wir Erzieherinnen, Lehrern und Ausbilderinnen ge-
schlichtweg übersehen.                                    bündelt Unterstützung und Ideen. Des Weiteren bie-
                                                          tet der VCD verschiedene Mitmach-Angebote für alle
Vorteile eigenständiger Mobilität                         Schulformen an:
Der ökologische Verkehrsclub VCD empfiehlt für den
Schulweg, das Elterntaxi stehen zu lassen und statt-      Für Grundschulen
dessen zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu kommen.             • Der Laufbus
Denn für Kinder ist es ungemein wichtig, sich zu be-      Ziel ist, dass Kinder gemeinsam ihren Schulweg zu
wegen, soziale Kontakte zu knüpfen, ihr Wohnumfeld        Fuß zurücklegen. Durch die Bildung des Laufbusses
kennen zu lernen und eigenständig mobil zu sein.          können sich Eltern abwechseln und müssen ihre Kin-
All das können sie im Auto nicht lernen. Wer zu Fuß       der nicht jeden Tag bringen und holen. Die Strecke
oder mit dem Fahrrad zur Schule kommt, ist außer-         muss natürlich sicher und für alle gut erreichbar sein.
dem wach und kann sich besser konzentrieren11. Mit        Wenn die Route steht, werden zentrale „Haltestellen“
Freunden zusammen zu laufen oder Rad zu fahren,           vereinbart, an denen Kinder dazukommen oder sich
vermittelt gerade Grundschulkindern ein Gefühl von        verabschieden können. So gelangen die Kids zu Fuß
Freiheit und unterstützt dabei, in der Klasse Freunde     sicher zur Schule. Um die Organisation eines Lauf-
zu finden.                                                busses so einfach wie möglich zu machen, haben
  Der VCD macht sich deshalb auch dafür stark,            wir eine Vielzahl von Informationen, Vorlagen und
Kindern die Möglichkeit zu geben, selbstständig           Downloads zusammengestellt: www.vcd.org/organisati-
und sicher unterwegs zu sein. Sei es über politische      on-laufbus.html.
Lobbyarbeit oder die Entwicklung von Spiel- und
Unterrichtsideen, die Spaß machen. Darüber hin-           • Aktionstage „Zu Fuß zur Schule und zum Kinder-
aus möchten wir, dass Kinder und Jugendliche ihre         garten“
Verantwortung bei der Verkehrsmittelwahl und ihre         Gemeinsam mit dem Deutschen Kinderhilfswerk regt
Mitgestaltungsmöglichkeiten erkennen. Nachhalti-          der VCD jährlich Grundschulen an, Aktionen zur ei-
ge Mobilität ist auf den ersten Blick ein Begriff, der    genständigen Mobilität durchzuführen – und zwar
schwer zu fassen ist. Der Verkehr verursacht nicht        rund um den internationalen „Zu-Fuß-zur-Schule-
nur knapp 20 Prozent der deutschen CO2-Gesam-             Tag“. Wer besonders gute Ideen hat und darüber
temissionen12. Er ist auch der Sektor, in dem die         rechtzeitig berichtet, kann Sachpreise gewinnen.
Emissionen bisher am langsamsten gesunken sind.           Jährlich ab März sind Anmeldungen unter www.zu-
Seit 1990 gerade einmal um 2 Prozent, während der         fuss-zur-schule.de möglich.
CO2-Austoß insgesamt im gleichen Zeitraum um fast
20 Prozent zurückging13. Dazu kommen Lärm, Flä-           Für weiterführende Schulen
chenzerschneidung, Ressourcenverbrauch und Ver-           • FahrRad!Fürs Klima auf Tour
siegelung, um nur die wichtigsten Umweltbelange           Schulklassen mit Jugendlichen im Alter von 10 bis
zu nennen.                                                18 Jahren sind fortlaufend von März bis Ende August
  Bei genauerer Betrachtung ist nachhaltige Mobilität     aufgerufen, in die Pedale zu treten und so Kilometer
aber nicht nur ein spannendes Bildungsthema, son-         zu sammeln. Die erradelten Kilometer werden auf

20   Lynx 02/2017
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