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Oktober 2010 Auswirkungen des Strukturwandels und der demografischen Entwicklung auf die Gleichstellung in Mecklenburg-Vorpommern und abzuleitende Optionen für die Landespolitik Arbeitsmaterialien der Friedrich-Ebert-Stiftung Mecklenburg-Vorpommern
Studie im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung Landesbüro Mecklenburg-Vorpommern Auswirkungen des Strukturwandels und der demografischen Entwicklung auf die Gleichstellung in Mecklenburg-Vorpommern und abzuleitende Optionen für die Landespolitik Conchita Hübner-Oberndörfer
Friedrich-Ebert-Stiftung Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis 4 Vorbemerkung 5 1. Ausgangssituation für Frauen 1990 – Emanzipation made in GDR 7 1.1 Emanzipationsverständnis ostdeutscher Frauen 7 1.2 Stand der Gleichstellung der Geschlechter in der DDR 8 1.3 Von der friedlichen Revolution zur deutschen Einheit – Erwartungen ostdeutscher Frauen 9 2. Systemtransformation – Folgen des Beitritts zum Geltungsbereich des Grundgesetzes 11 2.1 Rechtliche Rahmenbedingungen des Transformationsprozesses 11 2.2 Arbeitsmarkt und soziale Lage 12 3. Institutionalisierung der Frauen- und Gleichstellungspolitik in Mecklenburg- Vorpommern 15 3.1 Rechtlicher Rahmen für die Implementierung von Frauen- und Gleichstellungspolitik in MV 15 3.2 Die Institutionalisierung der Frauen- und Gleichstellungspolitik auf Landes- und kommunaler Ebene in MV 15 3.3 Konzeption des Landes MV zur Gleichstellung von Frauen und Männern 18 4. Die Entstehung von Institutionen und Verbänden von und für Frauen in Mecklenburg-Vorpommern 21 4.1 Frauen helfen Frauen e.V., Die Beginen e.V., FrauenTechnikZentrum 21 4.2 Landesfrauenrat MV e.V. 22 4.3 Frauen in die Wirtschaft e.V. 23 4.4 Frauenbildungsnetz Mecklenburg-Vorpommern e.V. 23 4.4.1 GM-CONSULT MV 23 4.4.2 Berufe haben (k)ein Geschlecht 24 4.4.3 „Die Kunst von der Kunst zu leben“ 24 4.5 Fazit 25 Dieses Arbeitsmaterial wird von dem Landesbüro Mecklenburg-Vorpommern der Abteilung Dialog Ostdeutschland der Friedrich-Ebert-Stiftung veröffentlicht. Die Ausführungen und Schlussfolgerungen sind von den Autoren in eigener Verantwortung vorgenommen worden. Impressum: © Friedrich-Ebert-Stiftung Herausgeber: Abteilung Dialog Ostdeutschland der Friedrich-Ebert-Stiftung Landesbüro Mecklenburg-Vorpommern Arsenalsstraße 8 19053 Schwerin Tel.: 0385 512596 www.fes-mv.de Fotos: Harry Hardenberg (Umschlagrück- seite), Simone Herbst (S.37) fotolia.de: © Claude Beaubien, © artaxx, © Brigitte Wegner, © Naturfreund, © Ralf Gosch, © Gina Sanders (alle Umschlagvorderseite) Gestaltung: Adebor 2 Verlag Druck: Altstadt-Druck Rostock ISBN: 978-3-86872-370-0 Gefördert durch die Landeszentrale für Politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern
Landesbüro Mecklenburg-Vorpommern 5. Einflüsse der demografischen Entwicklung und des Strukturwandels in Mecklenburg- Vorpommern auf die Gleichstellung von Frauen und Männern 26 5.1 Bevölkerungsentwicklung und Strukturwandel in Mecklenburg-Vorpommern 26 5.2 Gleichstellung von Frauen und Männern unter den demografischen und strukturellen Gegebenheiten in Mecklenburg-Vorpommern 27 5.2.1 Gemeinsamer Arbeitskreis Frauengesundheit MV (GAF-MV) 27 5.2.2 Kompetenzzentrum Vereinbarkeit Leben in MV 29 6. Ergebnisse von 20 Jahren Frauen- und Gleichstellungspolitik in MV 32 6.1. Von der patriarchalen Frauen- und Familienpolitik der SED zur Gleichstellung von Frauen und Männern in Mecklenburg-Vorpommern 32 6.1.1 Situation auf dem Arbeitsmarkt 32 6.1.2 Eigenständige Interessenvertretung 33 6.2 Fortschritte bei der Gleichstellung von Frauen und Männern im öffentlichen Dienst 34 7 Akteurinnen und Akteure 37 7.1 Dr. Margret Seemann (Parlamentarische Staatssekretärin für Frauen und Gleichstellung in der Landesregierung MV) 39 7.2 Karla Staszak (Parlamentarische Staatssekretärin für Frauen und Gleichstellung in der Landesregierung MV a.D.) 41 7.3 Brigitte Thielk (Gleichstellungsbeauftragte der Hansestadt Rostock) 42 7.4 Dr. Renate Hill (Geschäftsführerin des Landesfrauenrates e.V. MV) 44 7.5 Marion Richter (Geschäftsführerin des Frauenbildungsnetzes MV e.V) 45 7.6 Christiane Luipold (von 1998 bis 2009 Beauftragte für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt in der Agentur für Arbeit Rostock, seit 2009 Leiterin des Stabes Chancengleichheit am Arbeitsmarkt bei der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg) 47 7.7 Yvonne Griep / Dirk Siebernik (Gender Fachstelle MV) 49 7.8 Fazit 50 8. Ausblick – neue Herausforderungen 51 8.1 Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie 51 8.2 Maßnahmen gegen die Abwanderung von Fachkräften 51 8.3 Bewältigung der Folgen der Alterung der Bevölkerung 53 8.4 Eröffnung von Karrierechancen für Frauen 54 8.5 Entwicklung des ländlichen Raumes 54 8.6 Geschlechtergerechtigkeit als Querschnittsaufgabe der Politik 55 Literatur- und Quellenverzeichnis 56 Namensverzeichnis 60 Die Autorin 62 3
Friedrich-Ebert-Stiftung Abkürzungsverzeichnis ASP Arbeitsmarkt- und Strukturentwicklungsprogramm BVMW Bundesverband mittelständische Wirtschaft CDU Christlich Demokratische Union DDR Deutsche Demokratische Republik EU Europäische Union FAR FRAU und ARBEIT REGIONAL FBN MV e.V. Frauenbildungsnetz Mecklenburg-Vorpommern FDP Freie Demokratische Partei GAF-MV Gemeinsamer Arbeitskreis Frauengesundheit Mecklenburg-Vorpommern GG Grundgesetz GVOBl. Gesetz- und Verordnungsblatt HWK Handwerkskammer IHK Industrie- und Handelskammer KVL.MV Kompetenzzentrum Vereinbarkeit Leben in Mecklenburg-Vorpommern LAG Landesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Frauenbeauftragten Mecklenburg-Vorpommern LaKoF Landeskonferenz der Gleichstellungsbeauftragten der Hochschulen LFR Landesfrauenrat MV Mecklenburg-Vorpommern SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands UFV Unabhängiger Frauenverband VdU Verband deutscher Unternehmerinnen WHO Weltgesundheitsorganisation 4
Landesbüro Mecklenburg-Vorpommern Vorbemerkung Am 3.Oktober 1990 vollzog sich mit dem Bei- 1958 konnte sich die Politik auf das Gleichstel- tritt der Deutschen Demokratischen Republik zur lungsgesetz einigen. Bis dahin benötigte eine Bundesrepublik Deutschland die deutsche Ein- Ehefrau das Einverständnis ihres Ehemannes, heit. Über 40 Jahre lebten die Menschen beider- XP HLQHU EHUXÀLFKHQ 7lWLJNHLW QDFKJHKHQ RGHU seits der innerdeutschen Grenze in grundverschie- über ihr selbst verdientes Geld frei verfügen zu denen gesellschaftspolitischen Systemen. Dabei können. Dabei blieb es bis 1977, als das neue entwickelten sich in vielen Lebensbereichen un- Familien- und Scheidungsrecht gegen den erbit- terschiedliche Sichtweisen der ostdeutschen und terten Widerstand der Konservativen beschlossen der westdeutschen Bürgerinnen und Bürger. werden konnte. In der Folge kam es zu weiteren Dies betraf auch das Emanzipationsverständ- notwendigen gesetzlichen Reformen des Abtrei- nis der Frauen und Männer in Ost und West. So bungsrechts, der strafrechtlichen Gleichstellung war die Integration der Frauen in das Berufsle- der ehelichen und außerehelichen Vergewaltigung ben für die DDR-Regierung eine ideologische und der Namensrechtsreform. Notwendigkeit, während sich die westdeutschen Nach der Wiedervereinigung musste auch Frauen erst nach zähem Kampf das Recht auf be- die Gleichstellungspolitik vereinheitlicht werden. UXÀLFKH 6HOEVWYHUZLUNOLFKXQJ HUNlPSIHQ NRQQ- Wie auch in allen anderen sozialen, gesellschaftli- ten. Das konservative Gedankengut war lange chen, wirtschaftlichen und politischen Bereichen Zeit tief im Familienbild der Bundesbürger ver- war das keine leichte Aufgabe und auch keine, die ankert. Zusätzlich wirkte sich der Kampf der Sys- über Nacht gelöst werden könnte. In dieser Studie teme negativ auf die Gleichstellungsbemühungen versucht Frau Dr. Conchita Hübner-Oberndörfer XQGGLHEHUXÀLFKH,QWHJUDWLRQGHU)UDXHQDXV die bisher erzielten Erfolge, aber auch die noch War also die Situation der Frauen in der ehe- dringend benötigten Fortschritte in der Gleich- maligen DDR wirklich besser als in der BRD? stellungspolitik am Beispiel von Mecklenburg- Die vorliegende Studie geht dieser Frage nach. Vorpommern aufzuzeigen. Sie bezieht sich dabei 6LH ]HLJW HLQH YRQ REHQ DQJHRUGQHWH EHUXÀLFKH auch auf die Erfahrungen und Erkenntnisse in der Gleichstellung der Frauen. Sie beschreibt die Gleichstellungspolitik aktiver Politikerinnen und unbestreitbaren Erfolge der Gleichstellung bei Vertreterinnen der Zivilgesellschaft. GHUVFKXOLVFKHQXQGEHUXÀLFKHQ$XVELOGXQJ(U- Die Friedrich-Ebert-Stiftung hofft, mit die- folgreich waren auch die staatlichen Bemühun- ser Studie einen Beitrag für weitere Fortschritte gen, jungen Müttern die Doppelrolle als Mutter in der Gleichstellungsdebatte – und das nicht nur und Berufstätige zu erleichtern. Klar wird jedoch in Mecklenburg-Vorpommern – zu leisten. auch, dass sich das Rollenverständnis in den Köp- fen der Menschen nicht so leicht ändern lässt. Wenn die Doppelrolle zur Doppelbelastung wird, Jürgen Peters ändert sich nichts grundsätzlich. Dies zeigt sich Leiter des Landesbüros auch darin, dass zwar die überwiegende Mehrheit Mecklenburg-Vorpommern der Frauen berufstätig war, die Führungspositio- der Friedrich-Ebert-Stiftung nen in Wirtschaft und Politik aber weiterhin den Männern vorbehalten waren. In der alten Bundesrepublik verlief der Gleichstellungsprozess wesentlich zäher. Erst 5
Friedrich-Ebert-Stiftung 6
Landesbüro Mecklenburg-Vorpommern 1. Ausgangssituation für Frauen 1990 – Emanzipation made in GDR 1.1 Emanzipationsverständnis en das richtige, proletarische Bewusstsein entwi- ostdeutscher Frauen ckeln können und gemeinsam mit den Männern den Weg in eine lichte, klassenlose Zukunft ge- Das Emanzipationsverständnis von Frauen in der hen. Neben diesen ideologischen Motiven gab DDR wurde durch zwei Faktoren geprägt. Zum es praktische Notwendigkeiten für die Orientie- rung der SED auf Einbeziehung von Frauen in einen wollten sie berufstätig sein, zum anderen das Erwerbsleben. Die Wirtschaft der DDR litt wünschten sie sich Kinder und eine Familie. Im SHUPDQHQW XQWHU HLQHP 0DQJHO DQ TXDOL¿]LHU- Jahr 1989 waren in der DDR mehr als 90% aller ten) Arbeitskräften, dem durch die Erhöhung der Frauen und Mädchen im Alter zwischen 16 und weiblichen Erwerbsquote begegnet werden sollte. 60 Jahren erwerbstätig bzw. in Aus- und Wei- Frauen in der DDR nahmen die Berufsarbeit terbildung. Bis zu ihrem 25. Lebensjahr hatten jedoch nicht primär als politisch-ideologischen 75% der Frauen wenigstens ein Kind zur Welt Zwang wahr, sondern sie wurde zunehmend zu gebracht, bis zum 30. Lebensjahr waren es sogar einem unverzichtbaren Element ihrer Lebenspla- 90%.1 Generell kann festgestellt werden, dass im nung. Sie bedeutete Selbstbestätigung und Le- Falle einer Mutterschaft bzw. einer Familiengrün- EHQVVLQQVRZLH¿QDQ]LHOOH8QDEKlQJLJNHLWYRP dung die Aufgabe der Berufstätigkeit für die in Mann und die Chance, die eigene Lebensform frei der DDR geborenen und aufgewachsenen Mäd- wählen zu können. Erwerbsarbeit war für Frauen chen- und Frauengenerationen keine Alternative LQGHU''5QLFKWQXUXQWHU¿QDQ]LHOOHQ(UZlJXQ- darstellte. So gaben bei einer Familienbefragung gen wichtig. Für viele von ihnen war sie zu ei- im Jahre 1982 über 60% der Zwanzig- bis Vier- nem Bedürfnis geworden. Die Arbeit verschaffte zigjährigen an, dass beide Lebensbereiche für sie ihnen soziale Kontakte und Kommunikation – ein gleichermaßen bedeutsam seien.2 Anspruch, der in den tagsüber verwaisten Wohn- Dieses Emanzipationsverständnis war nicht komplexen ganz und gar nicht befriedigt werden nur ein Ergebnis der Frauen- und Familienpolitik konnte. der SED, sondern entsprach auch den Vorstellun- Im Zuge der Entwicklung der DDR war also gen der meisten DDR-Frauen. aus der Doppelbelastung des weiblichen Ge- Leitgedanke der SED-Frauenpolitik war die schlechts ein Doppelanspruch geworden. Kaum Überzeugung gewesen, dass die Frauenfrage Teil eine Frau wollte ausschließlich Hausfrau sein der sozialen Frage sei und nur mit dieser gelöst oder für einen längeren Zeitraum aus dem Er- werden könne. Nach der marxistisch-leninistisch- werbsprozess ausscheiden.3 en Theorie konnte sich die Emanzipation der Frau allein durch deren Integration in die Berufsarbeit realisieren lassen. Auf diese Weise würden Frau- 1 Vgl. Kinder, Jugend und Familie, in: Sozialpolitik kon- kret, Institut für Soziologie und Sozialpolitik der Akademie für Wissenschaften der DDR, Berlin 1990, S. 28. 2 Vgl. Gysi, Jutta, Meyer, Dagmar, Leitbild: berufstätige 3 Vgl. Hübner, Conchita, Auswirkungen des Transforma- Mutter – DDR-Frauen in Familie, Partnerschaft und Ehe, in: tionsprozesses auf Frauen in Mecklenburg-Vorpommern, Hellwig, Gisela, Nickel, Hildegard Maria (Hg.), Frauen in Rostock 1997, Rostocker Hefte zur Politik und Verwaltung, Deutschland 1945 – 1992, Berlin 1992, S.141. Heft 8, S. 9f.. 7
Friedrich-Ebert-Stiftung 1.2 Stand der Gleichstellung der Kindern in bestimmte Positionen einzustellen, Geschlechter in der DDR weil diese „ineffektiv arbeiteten“, „ihre Privilegi- en missbrauchten“, „ständig krank feierten“ und Die Doppelorientierung der DDR-Frauen auf Be- „zu keiner Versammlung kämen“.7 ruf und Familie sagt allerdings wenig aus über Geht man allein vom formalen Bildungsab- ihre qualitativen Vorstellungen von Erwerbstätig- schluss aus, so waren gegen Ende der DDR Frau- keit. In den 70er Jahren ging es den meisten Frau- en bis etwa zum 45. Lebensjahr im Durchschnitt en nicht um eine Arbeit an sich, sondern immer genauso hoch gebildet wie gleichaltrige Männer. auch um ein möglichst angenehmes Arbeitsklima 99% der weiblichen und männlichen Jugendlichen und vor allem bei jungen Erwerbstätigen ohne begannen nach dem Abschluss der Schule eine Kind auch um interessante Arbeitsinhalte. Lehre oder wechselten an die zum Abitur führen- de Erweiterte Oberschule bzw. in eine Berufsaus- In dieser Zeit kam es zu einer Neuorien- bildung mit Abitur. Etwa 84% der Schüler/innen tierung in der Frauen- und Familienpolitik der nahmen eine Lehre auf, wobei Mädchen sich häu- SED. Sie war diesmal primär an arbeitsmarkt- ¿JHU IU IUDXHQW\SLVFKH )DFKVFKXODXVELOGXQJHQ politischen und demographischen Erfordernis- entschieden, besonders für pädagogische Berufe sen ausgerichtet. Frauen sollten nun nicht mehr und Medizin. Real wurden Männer in einigen at- schlechthin berufstätig sein, sondern sich auch traktiven Bildungsgängen bevorzugt. Auch waren TXDOL¿]LHUHQ6SlWHVWHQVVHLW0LWWHGHUHU-DKUH Frauen für traditionelle Männerberufe nicht genü- ]HLJWHVLFKDQHLQLJHQVLJQL¿NDQWHQ6\PSWRPHQ gend sozialisiert. Während der 70er Jahre war das dass diese Politik nicht die erwünschten Resulta- Berufswahlfeld für Mädchen vor allem hinsicht- te gebracht hatten.4 Die Geburtenrate sank rapide, lich technischer Berufe stark erweitert worden. die Zahl der Ehescheidungen nahm zu und immer Seit Beginn der 80er Jahre beschränkte es sich mehr verheiratete Frauen und Mütter bemühten jedoch im Wesentlichen wieder auf traditionelle sich um Teilzeitarbeit. Zum Ende der DDR wa- Frauenberufe.8 Dies geschah u.a. als Reaktion auf UHQGHU)UDXHQYHUNU]WEHUXÀLFKWlWLJ,KUH die hohen Ausfallquoten weiblicher Beschäftigter Zahl wäre noch weitaus höher gewesen, wenn in infolge der nur auf Frauen fokussierten sozialen den Betrieben mehr Teilzeitbeschäftigungen an- Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und geboten worden wären. Die Betriebsleiter hatten %HUXI %DE\MDKU)UHLVWHOOXQJ]XU3ÀHJHHUNUDQN- jedoch die Order, die Teilzeitwünsche der Frauen ter Kinder etc.). Ferner wurden Frauen in ihrer nicht ‚ausufern‘ zu lassen.5 sozialen Stellung, d.h. hinsichtlich ihrer Kompe- Die Ursachen für die o.g. Entwicklung wa- WHQ]HQ XQG (LQÀXVVEHUHLFKH EHQDFKWHLOLJW 'DV ren vielfältig, eine war jedoch allen drei Erschei- YHUVFKlUIWH VLFK GXUFK KlX¿JH =XZHLVXQJ YRQ QXQJHQJHPHLQVDP%HUXÀLFKHJHVHOOVFKDIWOLFKH zweitrangigen Arbeitsplätzen im erlernten Beruf, und häusliche Aufgaben zu vereinbaren, blieb ein ZHLO)UDXHQGXUFKGLHJHVFKOHFKWVVSH]L¿VFKH$U- Problem, das Frauen weitgehend allein zu lösen beitsteilung gegenüber Männern eine geringere hatten. Flexibilität und Verfügbarkeit aufwiesen. Wurden $XFK ZHQQ LQ GHQ RI¿]LHOOHQ 9HUODXWED- Frauen als berufstätige Mütter hoch gepriesen, rungen der „Mythos von der bereits erfolgreich so waren sie real und vor allem im Erwerbsle- abgeschlossenen Emanzipation der Frau“6 ver- ben gerade wegen ihrer Mutterschaft immer zu- breitet wurde, gab es in der Realität zunehmend gleich auch in eine „natürliche“ Zweitrangigkeit frauenfeindliche Praktiken. So weigerte sich das gestellt.9 Die in den 80er Jahren vorgenommene Leitungspersonal in den Betrieben, Frauen mit 7 Vgl. ebenda. 4 Gysi, Meyer, S. 142f. 8 Vgl. dazu auch Nickel, Hildegard Maria „Mitgestal- 5 Hellwig, S.15. terinnen des Sozialismus“ – Frauenarbeit in der DDR, in: Frauen in Deutschland 1945 - 1992, S. 239. 6 Behrendt, Hanna, Frauenemanzipation made in GDR, in: EigenArtige Ostfrauen, Bielefeldt 1994, S. 40. 9 Nickel, S.234. 8
Landesbüro Mecklenburg-Vorpommern Konzentration der Frauenpolitik auf das Verein- sitionen vertreten13, so dass sich insgesamt ein barkeitsproblem (Haushalt, Kinder, Familie, Be- deutliches Lohngefälle zuungunsten der Frauen ruf) wirkte sich auf die Frauen sehr negativ aus. HUJDE 'DV JDOW DXFK EHL JOHLFKHU 4XDOL¿NDWLRQ Sie stützte das Klischee von der Hauptverantwor- von Frauen und Männern. So verdienten männ- tung der Mutter, weil die Adressaten dieser Leis- liche Hoch- und Fachschulabsolventen im Jahr tungen ausschließlich Frauen waren.10 1988 im Schnitt fast 20% mehr als ihre weiblich- Die patriarchale Gleichstellungspolitik war en Pendants.14 die strukturelle Grundlage dafür, dass Frauen und Männer in der DDR im Erwerbsleben sozial Un- gleiche blieben. So war z.B. „Gleicher Lohn für 1.3 Von der friedlichen Revolution gleiche Leistung“ eine viel zitierte Formel. In der zur deutschen Einheit – Erwartungen Realität vollzog sich die Einkommensentwick- ostdeutscher Frauen lung jedoch nach Wirtschaftszweigen und Berufs- gruppen differenziert und umgekehrt proportional Die Unterordnung der Frauenfrage unter die so- zum Frauenanteil in den jeweiligen Bereichen. ziale Frage hatte zur Konsequenz, dass wichtige Lag das durchschnittliche Monatseinkommen in Probleme der Frauen in der DDR nicht behandelt der DDR im Jahr 1989 bei 1 136 Mark (Netto), so wurden. So spielten Themen wie Gewalt gegen verdienten die Beschäftigten im Handel mit 1 004 Mädchen und Frauen, die Konsequenzen der Mark und im Post- und Fernmeldewesen mit 1 weiblichen Mehrfachbelastung, Diskriminierung 040 Mark deutlich weniger, während die Einkünf- am Arbeitsplatz oder mangelnde Aufstiegschan- te im Bereich Verkehr mit 1 234 Mark deutlich cen sowie Unterrepräsentation in politischen und über dem Durchschnitt lagen.11 Im Handel waren wirtschaftlichen Entscheidungsgremien kaum 71,9% der Erwerbstätigen Frauen, im Post- und eine Rolle. Die Nichtexistenz politisch relevanter Fernmeldewesen 69,0%.12 (Vgl. Tab. 1) Frauenorganisationen führte zur Nichtartikulati- Darüber hinaus waren Frauen unterdurch- on von Fraueninteressen. Frauen wurden in der schnittlich in den besser dotierten Leitungspo- DDR eher als Objekt denn als Subjekt von der Politik wahrgenommen. Daran änderte auch die 10 Hildebrand, Karin, Historischer Exkurs zur Frauenpoli- Mitgliedschaft einer (!) Frau, Inge Lange, im Po- tik der SED, in: EigenArtige Ostfrauen, S.27. 11 Vgl. Frauenreport `90, Berlin 1990, S.87. 13 Vgl. ebenda, Tab. 1, S.236. 12 Vgl. Nickel, S.241. 14 Vgl. dazu auch Frauenreport `90, S.93. Tabelle 1 Durchschnittliche monatliche Arbeitseinkommen der vollbeschäftigten Arbeiter und Angestell- ten in volkseigenen Betrieben nach Wirtschaftsbereichen (in Mark) Frauenanteil (in %) nach Wirtschaftsbereichen (Stand: 1989) Insgesamt Industrie Bau- Land- und Verkehr Post- und Handel industrie Forstwirt- Fernmel- schaftft dewesen Brutto 1.311 1.324 1.310 1.242 1.436 1.206 1.168 Netto 1.136 1.150 1.135 1.090 1.234 1.040 1.004 Frauenanteil 48,9 41,0 17,2 37,4 26,4 69,0 71,9 Quelle: Frauenreport ´90, S.87 und S.66. 9
Friedrich-Ebert-Stiftung litbüro der SED nichts. Auch unter den politisch können. Prioritär war für die meisten Frauen der eher zweitrangigen Ministern gab es zum Ende Wunsch, die „Errungenschaften des Sozialismus“ der DDR lediglich eine Frau, Margot Honecker, zu erhalten. Dabei ging es u.a. um die Beibehal- die Gattin von Erich Honecker, des SED-Gene- tung der Regelungen zum Schwangerschaftsab- ralsekretärs und Vorsitzenden des Staats- und Na- bruch, die Aufrechterhaltung der Kinderbetreu- tionalen Verteidigungsrates. Kein Kombinat, kein XQJGLH)UHLVWHOOXQJ]XU3ÀHJHHUNUDQNWHU.LQGHU Großbetrieb wurde Ende der 80er Jahre in der und den monatlichen Haushaltstag. Anders ge- DDR von einer Frau geleitet. Sieht man also von sagt, die überwiegende Mehrheit der DDR-Frauen GHU HUUHLFKWHQ ZLUWVFKDIWOLFKHQ XQG ¿QDQ]LHOOHQ hielt an ihrer Vorstellung von Emanzipation fest. Unabhängigkeit der Frauen ab, kann nicht davon Sie wollten berufstätig sein und Kinder haben. gesprochen werden, dass die Frauenfrage in der Der Staat sollte auch weiterhin die notwendigen DDR gelöst wurde. Rahmenbedingungen dafür garantieren. Als im Oktober 1989 hunderttausende DDR- Der Anteil der zwischen Beruf und Familie Bürgerinnen und Bürger auf den Strassen gegen „vereinbarungsorientierten“ Frauen hat nach der die Politik der SED protestierten, wurde sichtbar, Vereinigung nicht ab – sondern weiter zugenom- GDVVIUDXHQVSH]L¿VFKH,QWHUHVVHQQXUVHOWHQRIIHQ men. Im Jahre 1992 sprachen sich in einer Fa- artikuliert wurden. Es gab in dieser Zeit kaum Or- milienbefragung 76% aller bis zu 40 Jahre alten ganisationen, die sich Frauen-Themen explizit auf Frauen für eine Gleichgewichtigkeit zwischen die Fahnen geschrieben hatten. Eine Ausnahme Erwerbsarbeit und Familie mit Kindern aus. Im bildete der Unabhängige Frauenverband (UFV), Jahr 1996 waren es sogar 81%.18 Die Zahl der zu dessen Gründerinnen im Dezember 1989 in familienorientierten Frauen – also der Frauen, Berlin Pat Wunderlich15 und in Mecklenburg-Vor- für die in der Hierarchie die Familie den ersten pommern (Frühjahr 1990) u.a. Anette Niemeyer Rang einnahm – reduzierte sich von 38% (1982 und Marion Richter16 gehörten. 17 Allerdings blieb und 1988) auf 13 % (1996).19 Die Gruppe der vorrangig berufsorientierten Frauen stieg dage- die Unterstützung für ihn eher marginal. gen nur um ein Prozent auf nunmehr 2%.20 Auf In der Konsequenz versäumten es die ostdeut- der anderen Seite hielten jedoch auch nur 5% der schen Frauen in der Phase der friedlichen Revo- ostdeutschen Frauen das Hausfrauendasein für lution, ihre Probleme, Forderungen und Wünsche erstrebenswert.21 offen zu artikulieren und politisch durchzusetzen. Hier machte es sich bemerkbar, dass die patriar- chale Frauenpolitik, die von der einzigen Frau- enorganisation der DDR, dem Demokratischen Frauenbund, unkritisch mitgetragen und exeku- tiert wurde, dazu geführt hatten, dass viele ost- deutsche Frauen es nicht für nötig hielten, sich aktiv für ihre eigenen Interessen einzusetzen. Spekulativ bleibt die Frage, ob sie ihre Aus- gangspositionen in der Phase des endgültigen Zusammenbruchs der DDR und der einsetzenden Orientierung auf die Herstellung der deutschen Einheit dadurch hätten wesentlich verbessern 18 Frauen wollen Arbeit und Kinder, in: Norddeutsche Neueste Nachrichten (NNN),27.03.1996. 15 Sie leitet heute in Rostock eine Reiseagentur, die Bil- dungsreisen speziell für Frauen organisiert. (http://wunderli- 19 Ebenda. che-frauenreisen.de/). 20 Vgl. Gysi, Meyer, S.142. 16 Sie wird in Kapitel 7.5 porträtiert. 21 Vgl. dazu Hübner, Conchita, Gerdes, Johannes, Gen- 17 Vgl. dazu Unabhängiger Frauenverband, http://www. schow, Barbara, Lebensplanung von Mädchen und jungen ddr89.de/ddr89/ufv/UFV.html (05.03.2010). Frauen in Mecklenburg-Vorpommern, Rostock 1998, S. 5. 10
Landesbüro Mecklenburg-Vorpommern 2. Systemtransformation – Folgen des Beitritts zum Geltungsbereich des Grundgesetzes Das Ergebnis der Wahlen zur Volkskammer der UHQ$QVFKXE¿QDQ]LHUXQJZXUGHYRQGHU%XQGHV- DDR im März 1990 war zugleich ein Votum der republik übernommen.23 Mehrheit der DDR-Bürgerinnen und Bürger für Der 2. Staatsvertrag, der Vertrag zwischen der den Weg zur deutschen Einheit nach Artikel 23 Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen des Grundgesetzes der Bundesrepublik.22 Bis Demokratischen Republik über die Herstellung zum Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des der Einheit Deutschlands, wurde am 31. August Grundgesetzes am 3. Oktober 1990 galt es zu- 1990 unterzeichnet und am 20. September 1990 nächst die notwendigen Anpassungsmaßnahmen zeitgleich von der DDR-Volkskammer und dem LPUHFKWOLFKHQZLUWVFKDIWOLFKHQ¿QDQ]LHOOHQXQG Deutschen Bundestag jeweils mit 2/3-Mehrheit sozialen Bereich vorzunehmen. UDWL¿]LHUW24 Er enthielt verschiedene Übergangs- und Anpassungsmaßnahmen. Besonders relevant für ostdeutsche Frauen war Kapitel VII Artikel 31 2.1 Rechtliche Rahmenbedingungen des „Familie und Frauen“. Darin wurde festgelegt, Transformationsprozesses dass der gesamtdeutsche Gesetzgeber, die Auf- gabe habe, die „Gesetzgebung zur Gleichberech- Die wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbe- tigung zwischen Männern und Frauen weiterzu- dingungen änderten sich bereits mit dem in Kraft entwickeln.“ Darüber hinaus sollte er, angesichts Treten des 1. Staatsvertrages (Wirtschafts-, Wäh- unterschiedlicher rechtlicher und institutioneller UXQJVXQG6R]LDOXQLRQ DP-XOLVLJQL¿- Ausgangssituationen bei der Erwerbstätigkeit kant. Mit der Schaffung eines einheitlichen Wäh- von Müttern und Vätern, die „Rechtslage unter rungsgebietes – der Einführung der D-Mark – kam dem Gesichtspunkt der Vereinbarkeit von Fami- die Regierung der Bundesrepublik Deutschland lie und Beruf (…) gestalten.“ Um die Weiterfüh- den Wünschen vieler DDR-Bürgerinnen und rung der Einrichtungen zur Tagesbetreuung von Bürger entgegen, die seit dem Fall der Berliner Kindern im Beitrittsgebiet zu gewährleisten, war Mauer im November 1989 kaum noch an die ei- der Bund bereit, sich für eine Übergangszeit bis genständige Weiterexistenz der DDR glaubten. zum 30. Juni 1991 an den Kosten dieser Einrich- Gleichzeitig wurden die Voraussetzungen für die tungen zu beteiligen. Darüber hinaus wurde der Umwandlung der (zusammenbrechenden) sozi- gesamtdeutsche Gesetzgeber beauftragt, „spätes- alistischen Planwirtschaft in eine soziale Markt- tens bis zum 31. Dezember 1992 eine Regelung wirtschaft geschaffen und nicht zuletzt begann zu treffen, die den Schutz vorgeburtlichen Le- die letzte DDR-Regierung im sozialen Bereich bens und die verfassungskonforme Bewältigung mit der Gründung von Institutionen, die kom- YRQ.RQÀLNWVLWXDWLRQHQVFKZDQJHUHU)UDXHQYRU patibel zu den entsprechenden bundesdeutschen allem durch rechtlich gesicherte Ansprüche für Einrichtungen waren, wie z. B. der Renten-, der Frauen, insbesondere auf Beratung und soziale Kranken- und der Arbeitslosenversicherung. De- Hilfen besser gewährleistet, als dies in beiden Teilen Deutschlands derzeit der Fall ist“. Zur Ver- 22 Den Weg zur deutschen Einheit über Artikel 23 GG präferierten die Allianz für Deutschland (CDU, DA, DSU) 23 Vgl. Korte, Die Chance genutzt?, S. 182. – 47,8% der Wählerstimmen – sowie der Bund freier De- mokraten (LDP, Deutsche Forumspartei, Ost-FDP) – 5,3 % 24 Vgl. dazu Handbuch zur deutschen Einheit 1949-1989- der Wählerstimmen. Vgl. Korte, Karl-Rudolf, Die Chance 1999, (Hg.) Weidenfeld, Werner, Korte, Karl-Rudolf, Frank- genutzt?, Frankfurt am Main / New York 1994, S. 120 ff. furt am Main 1999, S. 783ff. 11
Friedrich-Ebert-Stiftung wirklichung dieser Ziele sollte im Beitrittsgebiet war die Freisetzung einer großen Zahl von Ar- VRIRUWGDPLWEHJRQQHQZHUGHQPLWÄ¿QDQ]LHOOHU beitskräften.26 +LOIHGHV%XQGHVHLQÀlFKHQGHFNHQGHV1HW]YRQ Ostdeutsche Frauen besaßen zu Beginn des Beratungsstellen verschiedener Träger“ aufzu- Transformationsprozesses die eindeutig schlechte- bauen. Die Beratungsstellen sollten personell und ren Ausgangspositionen als ostdeutsche Männer. ¿QDQ]LHOO VR DXVJHVWDWWHW ZHUGHQ GDVV VLH LKUHU Erste „Opfer“ des Untergangs der DDR und der Aufgabe gerecht werden konnten, „schwangere Umgestaltung der DDR-Wirtschaft waren neben Frauen zu beraten und ihnen notwendige Hilfen dem Staatsapparat, den Ministerien und den ge- – auch über den Zeitpunkt der Geburt hinaus – zu sellschaftlichen Organisationen vor allem Unter- leisten“.25 nehmen und Betriebe in der Nahrungsgüterwirt- Durch diesen Vertrag wurden die Grundzüge schaft und der Textil- und Bekleidungsindustrie, der künftigen Entwicklung in den durch Volks- die unter den marktwirtschaftlichen Bedingungen kammerbeschluss vom 20. Juli 1990 wieder ein- nicht mehr konkurrenzfähig waren. In Rostock geführten ostdeutschen Ländern Brandenburg, wurde z.B. als einer der ersten großen Betriebe Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen- ein Unternehmen geschlossen, in dem Bekleidung Anhalt und Thüringen präjudiziert. für Jugendliche produziert worden war. Betroffen In der Folgezeit kam es zu einem massiven waren in allen Bereichen überwiegend Frauen. Institutionentransfer nach bundesdeutschem Mus- Aber nicht nur in diesen frauentypischen Berei- ter. Viele Gesetze und Verordnungen mussten den chen wurden Frauen in größerem Umfang entlas- veränderten Gegebenheiten angepasst werden. sen. Auch in anderen Zweigen waren sie oft die Beim Aufbau der neuen Strukturen erhielten die ersten, die gehen mussten, verrichteten sie doch ostdeutschen Länder umfassende personelle Un- KlX¿J 7lWLJNHLWHQ GLH ZHJUDWLRQDOLVLHUW ZHUGHQ terstützung aus den „alten“ Ländern. konnten oder automatisiert wurden. Eine weitere Ursache für die rasch ansteigende Zahl arbeitslo- ser Frauen war der bereits kurz nach der Verei- 2.2 Arbeitsmarkt und soziale Lage nigung einsetzende Verdrängungswettbewerb in den Bereichen, die bis dahin frauendominiert wa- Bereits der 1. Staatsvertrag vom 1. Juli 1990 führ- ren, wie Handel, Banken und Versicherungen.27 WH ]X VLJQL¿NDQWHQ bQGHUXQJHQ GHU ([LVWHQ]EH- Hier wurden frei werdende oder neu geschaffe- dingungen in der DDR. Die Ökonomie war von QH6WHOOHQLPPHUKlX¿JHUGXUFK0lQQHUEHVHW]W einem Tag auf den anderen dem Konkurrenz- (Vgl. Tab. 2) druck des internationalen Wettbewerbs ausge- Im September 1993 lag die Arbeitslosenquote setzt. Wirtschaft und Gesellschaft erlebten einen in den neuen Bundesländern bei Frauen mit 22% schwer verkraftbaren Modernisierungsschock. So doppelt so hoch wie die der Männer (11%).28 ¿HOHQLQYLHOHQ%HUHLFKHQGHU:LUWVFKDIWVWDDWOL- Die niedrigen Einkommen, die Frauen in der che Subventionen weg. Die Preise orientierten DDR hatten, führten dazu, dass sie im Falle von sich an Angebot und Nachfrage und weite Tei- Arbeitslosigkeit weniger Geld als Männer erhiel- le der Industrie und Landwirtschaft waren nicht ten. Vor allem für allein erziehende Mütter (in der mehr konkurrenzfähig. Im Industriesektor sank DDR gab es 1989 ca. 340 00029) und geschiedene im 2. Halbjahr 1990 die Produktion um die Hälfte Frauen war damit der Weg in die Armut vorge- und in der Landwirtschaft wurden in 12 Monaten 26 Vgl. Korte, Karl-Rudolf, Die Chance genutzt?, S.181f. so viele landwirtschaftliche Flächen stillgelegt wie in der Europäischen Gemeinschaft innerhalb 27 Vgl. Hellwig, Nickel, S. 247 - 254. von fünf Jahren. Konsequenz dieser Entwicklung 28 Engelbrecht, Gabriele, Frauenerwerbslosigkeit in den neuen Bundesländern, Folgen und Auswege, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (ApuZ), Beilage zur Wochenzeitung Das 25 Vgl. Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland Parlament, B 6/1994, S.22. und der Deutschen Demokratischen Republik über die Her- stellung der deutschen Einheit, Kap VII, Artikel 31. 29 Frauenreport `90, S. 112f. 12
Landesbüro Mecklenburg-Vorpommern Tabelle 2 Frauenanteil an den Beschäftigten nach Wirtschaftsbereichen (in %) in den neuen Bundesländern November November November Differenz 1990 1991 1992 90-92 Landwirtschaft 40,6 42,5 36,0 - 4,6 Bergbau, Energiegewinnung 31,4 32,5 23,0 - 8,1 Bauwirtschaft 19,1 16,8 11,0 - 8,1 Metall-, Elektrobranche 30,4 24,9 19,0 - 11,4 übriges verarbeitendes Gewerbe 49,0 43,0 36,0 - 13,0 Handel 70,0 64,8 58,0 - 22,0 Verkehr, Bahn, Post 34,1 32.2 28,0 - 6,1 Banken, Versicherungen 83,6 74,1 71,0 - 12,6 andere Dienstleistungen 69,5 70,9 67,0 - 2,5 Gesamt 48,5 48,0 43,0 - 5,5 Datenbasis: Arbeitsmarkt-Monitor30 zeichnet. Während erstere in der DDR ohnehin deutsche Frauen nicht in ihr Schicksal, sondern schon über geringe Haushaltseinkommen verfüg- HQWZLFNHOWHQ 6WUDWHJLHQ XP LKUH ¿QDQ]LHOOH XQG ten, wurde ihre Situation durch den Wegfall sub- ökonomische Unabhängigkeit zu erhalten. Der ventionierter Waren (z. B. Kinderbekleidung) und neuen Situation begegneten sie zunächst mit ei- sozialpolitischer Maßnahmen, wie Freistellung nem „Gebärstreik“, d.h. allein bis 1994 nahm bei der Erkrankung des Kindes oder des Haus- die Zahl der Geburten z. B. in Mecklenburg- haltstags, deutlich erschwert. Steigende Preise Vorpommern um ca. 75% ab. Wurden 1990 noch für die Kinderbetreuung und die Unsicherheit auf 23.503 Babys geboren, so waren es 1994 nur dem Arbeitsmarkt führten dazu, dass viele von ih- noch 8.934.32 Zum anderen entwickelten Frauen nen, einmal aus den Unternehmen verdrängt, nur in MV eine hohe Mobilität, d.h. sie waren bereit schwer wieder Arbeit fanden.30 GDV/DQG]XYHUODVVHQXP$UEHLW]X¿QGHQ6HLW Frauen avancierten in dieser Zeit sehr schnell 1990 wanderten deutlich mehr (junge) Frauen aus Mecklenburg-Vorpommern ab als zu.33 zu den „Verliererinnen“ der Einheit. Geht man von der Zentralität von Erwerbsarbeit im Leben Ute, Ostdeutsche Frauen im Transformationsprozeß, in: Aus ostdeutscher Frauen aus, so ist diese Beschrei- Politik und Zeitgeschichte (APuZ), B 20/95, S. 31 - 42. bung zutreffend.31 Andererseits ergaben sich ost- 32 Kück, Ursula, Fischer, Hartmut, Karpinski, Jan, Bevöl- kerung in Mecklenburg-Vorpommern: Bilanz nach 15 Jahren 30 Vgl. Ungleichheit und Sozialpolitik, Berichte der und Ausblick, http://www.wiwi.uni-rostock.de/~stat/sonsti- Kommission zur Erforschung des sozialen und politischen ge/MH_01-2006.pdf (03.03.2010). Wandels in den neuen Bundesländern e.V., Opladen 1996, 33 Von 1990 bis 1996 ergab sich bei Frauen ein Wande- S.328. rungssaldo in Höhe von Minus 46.200 und bei Männern von 31 Immerhin bezeichneten sich 35% der ostdeutschen Frau- Minus 30.700. Vgl. Frauen in Mecklenburg-Vorpommern en selbst als Verliererinnen der Einheit. Vgl. dazu Schröter, im Spiegel der Zahlen, Statistische Sonderhefte, 7. Jahrgang 13
Friedrich-Ebert-Stiftung Dieser Entwicklung versuchten sowohl die Bundesregierung als auch die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns durch verschiedene Maßnahmen zu begegnen. Seitens des Bundes ZXUGHQ ¿QDQ]LHOOH 0LWWHO IU DUEHLWVPDUNWSROLWL- sche Maßnahmen (ABM etc.) zur Verfügung ge- VWHOOW ,Q 0HFNOHQEXUJ9RUSRPPHUQ SUR¿WLHUWHQ vor allem Frauen davon.34 Nachteilig wirkte es sich jedoch aus, dass in den Jahren unmittelbar nach dem Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes weder Institutionen, wie Frauen- und Gleichstel- lungsbeauftragte, noch Vereine, die sich um die Artikulation und Durchsetzung von frauenspezi- ¿VFKHQ$QOLHJHQJHNPPHUWKlWWHQH[LVWLHUWHQ 1997, Heft 8, Schwerin, S. 11. 34 Ebenda, S. 54. 14
Landesbüro Mecklenburg-Vorpommern 3. Institutionalisierung der Frauen- und Gleichstellungspolitik in Mecklenburg-Vorpommern Zunächst kam es darauf an, die rechtlichen und sächlichen Gleichstellung von Frauen und Män- strukturellen Grundlagen für die Etablierung der nern ist Aufgabe des Landes, der Gemeinden und Frauen- und Gleichstellungspolitik in MV zu Kreise sowie der anderen Träger der öffentlichen schaffen. Verwaltung. Dies gilt insbesondere für die Beset- zung von öffentlich-rechtlichen Beratungs- und Beschlussorganen.“35 3.1 Rechtlicher Rahmen für die Implementierung von Frauen- und Gleichstellungspolitik in MV 3.2 Die Institutionalisierung der Frauen- und Gleichstellungspolitik auf Neben den o.g. Übergangs- bzw. Anpassungs- Landes- und kommunaler Ebene in gesetzen (Kap. 2.1) bildete das Grundgesetz mit Mecklenburg-Vorpommern dem Beitritt der DDR zu seinem Geltungsbereich die verfassungsrechtliche Grundlage auch für die Die erste Regierungskoalition (Oktober 1990 künftige Gleichstellungspolitik in den ostdeut- - Oktober 1994) in Mecklenburg-Vorpommern schen Ländern. Dabei war vor allem Artikel 3 GG wurde gemeinsam von CDU und FDP gebildet. ausschlaggebend. Darin heißt es: An der Spitze stand zunächst Prof. Dr. Alfred (1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Gomolka, der im Zuge der Werftenkrise 1992 zu- (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. rücktrat und von Dr. Berndt Seite (CDU) ersetzt Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung wurde. der Gleichberechtigung von Frauen und Männern Seitens der SPD-Landtagsfraktion wurde und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nach- schon auf der 1. Sitzung des Landtages am 26. teile hin. November 1990 ein Antrag mit dem Ziel einge- (3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, sei- bracht, eine Landesbeauftragte für Frauenfragen ner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, zu ernennen. In der Begründung des Antrages seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, hieß es: “Vierzig Jahre verfehlte sogenannte so- seiner religiösen oder politischen Anschauungen zialistische Politik, vierzig Jahre Diktatur und benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand Planwirtschaft einer Partei haben für die Stellung darf wegen seiner Behinderung benachteiligt der Frau und die Rolle der Familie in der Gesell- werden. schaft in besonderem Maße negative Folgen. Das Insbesondere Absatz 2 des Artikels erforder- Wort „Gleichberechtigung“ wurde zwar in Geset- te auch von den Ländern und Kommunen aktive zen festgeschrieben und in der Agitation immer Maßnahmen, um die Gleichstellung von Männern wieder verbal gebraucht. Die Wahrheit in den und Frauen zu realisieren. neuen Bundesländern und auch in Mecklenburg- Das Land Mecklenburg-Vorpommern nahm Vorpommern ist jedoch anders. eine entsprechende Formulierung in seine Verfas- In der gleichberechtigten Stellung der Frau sung vom 23. Mai 1993 auf. Kapitel III (Staats- in der Gesellschaft gibt es ebenso wie in der ]LHOH $UWLNHO HQWKLHOW GLH 9HUSÀLFKWXQJ GLH Behandlung von wesentlichen Fragen der Fa- Gleichstellung von Frauen und Männern zu för- dern. Konkret hieß es: „Die Förderung der tat- 35 GVOBl. MV 1993, S. 372. 15
Friedrich-Ebert-Stiftung milienpolitik einen ganz beträchtlichen Rück- Kultusministerium fungieren. Sie sollte eine Rei- stand gegenüber den alten Bundesländern. Hinzu he Kompetenzen erhalten, wie z.B. das Recht kommt, daß gerade die Fragen der Frauen- und zur Teilnahme an Kabinettssitzungen sowie die Familienpolitik von sozialen Problemen berührt Möglichkeit, selbst Kabinettsvorlagen einbringen und bestimmt werden, die gegenwärtig und vor- und einsehen zu können. Sie sollte dazu befugt aussehbar für längere Zeiträume die besondere sein, Stellungnahmen abzugeben, mit allen Res- Aufmerksamkeit verdienen.“36 sorts auf allen Ebenen zusammenzuarbeiten und Bereits wenige Tage später, am 30. Novem- an ressortübergreifenden Arbeitsgruppen (auch ber 1990, verkündete Alfred Gomolka in seiner federführend) teilzunehmen.39 Regierungserklärung vor dem Landtag, dass im Nicht übernommen wurde die Forderung der Sozialministerium eine Abteilung Frauen und Fa- SPD-Fraktion, der Landesbeauftragten auch die milie eingerichtet werde solle, „von der die Belan- Aufgabe zu übertragen, an der „Weiterentwick- ge der Frauen aufgegriffen und wahrgenommen lung der Gesetzgebung zu Gleichstellung zwi- werden. Die Abteilungsleiterin soll Frauenbeauf- schen Männern und Frauen“ mitzuwirken und in tragte der Landesregierung werden.“37 Die Positi- GLHVHP6LQQH(LQÀXVVDXIGLH5HJLHUXQJVSROLWLN on wurde mit Dr. Gabriele Kriese besetzt. zu nehmen. Auch das Recht auf Einspruch und Die SPD-Landtagsfraktion begrüßte einer- Vertagung – wie im SPD-Antrag gefordert – wur- seits die Einrichtung einer solchen Stelle, kriti- de ihr nicht eingeräumt.40 sierte jedoch deren eingeschränkte Kompetenzen Obwohl das Parlament am 8. Januar 1991 und Befugnisse. einstimmig beschloss, zum 1. April 1991 eine Der Ausschuss für Arbeit, Gesundheit, So- Landesbeauftragte für Frauenfragen, die dem Mi- ziales und Familie, an den der o.g. SPD-Antrag nisterpräsidenten direkt unterstellt sein sollte, zu zur Beratung überwiesen worden war, forderte ernennen41 und in den Landeshaushalt 1991 ein die Landesregierung im Januar 1991 auf, „ent- entsprechender Posten42 eingestellt worden war, sprechend der Zielsetzung des Artikels 31 des kam es in der 1. Legislaturperiode weder zur Er- Einigungsvertrages eine Landesbeauftragte für weiterung der Kompetenzen der Landesbeauf- Frauenfragen zu ernennen und sie mit folgenden tragten noch zur politischen Aufwertung ihrer Kompetenzen zu betrauen: Position innerhalb der Landesregierung.43 Vertretung der besonderen sozialen Interessen der Als im Jahr 1994 die CDU den Koalitions- Familie und Frauen; partner wechselte und gemeinsam mit der SPD Verantwortung für speziell gefährdete Gruppen; eine Große Koalition bildete, fand ein Paradig- menwechsel statt. Karla Staszak44 wurde im Entwicklung von Beispielprojekten für die Lö- November 1994 zur ersten Parlamentarischen sung wichtiger sozialer Probleme im Bereich Staatssekretärin für Frauen und Gleichstellung der Familie und Frauen; der Landesregierung in Mecklenburg-Vorpom- Zusammenarbeit mit den Gleichstellungsbeauf- tragten in den Kommunen des Landes Meck- 39 Vgl. ebenda. lenburg-Vorpommern.“38 40 Vgl. Landtag Mecklenburg-Vorpommern, 1. Wahlperio- Darüber hinaus sollte die Landesbeauftragte als de, Drucksache 1/10 (neu), 16.10.1990. Verbindungsperson zwischen dem Ministerium 41 Vgl. die kleine Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. für Arbeit, Gesundheit und Soziales sowie dem Tschirch, Drucksache 1/451. 42 Vgl. Beschlussfassung des Finanzausschusses, Druck- 36 Landtag Mecklenburg-Vorpommern, 1. Wahlperiode, sache 1/243. Drucksache 1/10 (neu), 16.10.1990. 43 Vgl. Antwort der Landesregierung auf die kleine Anfra- 37 Regierungserklärung Ministerpräsident Plenarprotokoll ge der Abgeordneten Frau Dr. Tschirch, Drucksache 1/510. 1/5 30.11.1990. 44 Sie war zuvor Kommunale Gleichstellungsbeauftragte 38 Landtag Mecklenburg-Vorpommern, 1. Wahlperiode, der Hansestadt Rostock. In Kapitel 7.2 wird sie näher vorge- Drucksache1/98, 04.01.1991. stellt. 16
Landesbüro Mecklenburg-Vorpommern mern ernannt. Sie hatte das Amt bis 2002 inne. im öffentlichen Dienst“ gegeben werden. Dazu Ihre Nachfolgerin wurde Dr. Margret Seemann. sollte „sechs Monate vor Abgabe des Berichtes Wichtigstes Anliegen der Frauen- und Gleichstel- beim Landtag eine Analyse der Beschäftigten- lungsbeauftragten der Landesregierung war zu- struktur“ der öffentlichen Einrichtungen einge- nächst die Erarbeitung eines Gesetzes zur Gleich- reicht werden. Sie sollte u.a. Daten zur Zahl der stellung von Frauen und Männern im öffentlichen beschäftigten Männer und Frauen getrennt nach Dienst. Bereits in der 1. Legislaturperiode hatte Lohn-, Vergütungs – und Gehaltsgruppe enthal- die SPD-Landtagsfraktion einen entsprechenden ten sowie zur Zahl der höher gruppierten Män- Entwurf vorgelegt45, der im Innenausschuss dis- ner und Frauen und zur Gremienmitgliedschaft.50 kutiert, überarbeitet, ergänzt und schließlich 1994 Wichtigstes Instrument zur Umsetzung dieses vom Landtag angenommen wurde.46 Durch die- Gesetzes war der Gleichstellungsförderplan51, zu ses Gesetz sollte, wie es in § 2 Absatz 1 hieß, die dem es in § 3 hieß: „Im Gleichstellungsförderplan „Verwirklichung der Gleichstellung von Frauen ist mindestens festzulegen, in welcher Zeit und und Männern im öffentlichen Dienst des Lan- mit welchen personellen, organisatorischen und des Mecklenburg-Vorpommern (…) gefördert“ fortbildenden Maßnahmen die Gleichstellungs- werden. In Absatz 2 wurden die öffentlichen YHUSÀLFKWXQJ QDFK LQQHUKDOE GHU MHZHLOLJHQ Einrichtungen47 GD]X YHUSÀLFKWHW ÄDNWLY DXI GLH Einrichtung gefördert werden kann. Es sind für Gleichstellung von Frauen und Männern in der jeweils zwei Jahre Vorgaben zur Erhöhung des Beschäftigung und auf die Beseitigung bestehen- Frauenanteils je Besoldungs-, Vergütungs- oder der Unterrepräsentanzen hinzuwirken“. Die Ver- Lohngruppe der einzelnen Laufbahn- oder Be- antwortung für die Erfüllung dieser Aufgabe lag rufsfachrichtungen festzulegen. Bei der Festle- in den Händen der Beschäftigten in Leitungsposi- gung der Zielvorgaben ist davon auszugehen, wie tionen.48 Um den Fortschritt bei der Gleichstellung viele Stellen frei werden, wie viele in der Dienst- von Frauen und Männern zu dokumentieren, wur- stelle beschäftigte Frauen die zur Ausfüllung der de in § 15 Absatz 1 geregelt, dass die Landesregie- 6WHOOH HUIRUGHUOLFKH 4XDOL¿NDWLRQ EHUHLWV KDEHQ rung „dem Landtag im Abstand von zwei Jahren erwerben werden oder erwerben können und in über die Durchführung dieses Gesetzes“ Bericht welchem Umfang voraussichtlich Außenbewer- erstattet.49 In ihm sollte laut Absatz 2 „Auskunft berinnen für die Besetzung freiwerdender Stellen über die bisherigen und geplanten Maßnahmen gewonnen werden können. Es ist weiter zu prog- zur Durchführung dieses Gesetzes, insbesondere nostizieren, wieviele Frauen an konkreten Qua- über die Entwicklung des Frauenanteils in den OL¿NDWLRQVPDQDKPHQWHLOQHKPHQN|QQHQ³52 Die Besoldungs-, Vergütungs- und Lohngruppen der nach § 11 in jeder „Dienststelle, in der eine Perso- einzelnen Besoldungs- und Berufsfachgruppen nalvertretung oder ein Richterrat zu wählen ist“, von den weiblichen Beschäftigten zu wählende 45 Gesetzentwurf der Fraktion der SPD, Drucksache Gleichstellungsbeauftragte war nach Absatz 5 an 1/2336 vom 25.09.1992. „der Erstellung von Gleichstellungsförderplänen 46 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses nach § 3 und bei allen Vorlagen, Berichten und (2. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Fraktion der SPD – Stellungnahmen zu Fragen der Frauenförderung Drucksache 1/2336 -, Drucksache 1/3996 vom 19.01.1994. zu beteiligen.“ Darüber hinaus war sie von der 47 Landesverwaltung, landesunmittelbare öffentlich-recht- jeweiligen Dienststellenleitung rechtzeitig über liche Körperschaften, Anstalten und Stiftungen, der Präsi- dent des Landtages, der Landesdatenschutzbeauftragte, der Landesrechnungshof sowie die Gerichte des Landes MV. 50 Vgl. Anlage zur Drucksache 1/3996 vom 19.01.1994. Vgl. ebenda. 51 In der Fassung der Bekanntmachung des GlG MV vom 48 Vgl. ebenda. 27. Juli 1998 wurde der Begriff Gleichstellungsförderplan durch den Begriff Frauenförderplan ersetzt. Vgl. GVOBl. 49 Im Jahr 2006 einigte man sich auf einen fünfjährigen MV 1998, S. 697. Berichtszeitraum. Vgl. Bericht über die Umsetzung des Ge- setzes zur Gleichstellung von Frau und Mann im öffentlichen 52 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses Dienst des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Drucksache (2. Ausschuß) zu dem Gesetzentwurf der Fraktion der SPD – 4/2290, 14.06.2006, S. 2. Drucksache 1/2336 -, Drucksache 1/3996 vom 19.01.1994. 17
Friedrich-Ebert-Stiftung alle wesentlichen mit ihren Aufgaben in Zusam- zwölf Landkreisen und in 24 Städten und Ge- menhang stehenden Angelegenheiten zu unter- meinden Mecklenburg-Vorpommerns Gleich- richten, insbesondere vor einer abschließenden stellungsbeauftragte berufen. Die kommunalen Entscheidung.53 Die öffentlichen Einrichtungen Gleichstellungsbeauftragten schlossen sich zu ZXUGHQ YHUSÀLFKWHW GLH Ä*OHLFKVWHOOXQJVEHDXI- einer Landesarbeitsgemeinschaft zusammen, die tragte (…) mit den zur Erfüllung ihrer Aufgaben Mitglied in der Bundesarbeitsgemeinschaft der notwendigen räumlichen und sächlichen Mitteln kommunalen Gleichstellungsbeauftragten wurde. auszustatten“.54 1998 wurden weitere wichtige Sprecherinnen sind derzeit (2010) die Gleichstel- Regelungen in das Gesetz aufgenommen. Dabei lungsbeauftragten der Hansestadt Rostock (Bri- ging es vor allem darum, den Frauenförderplänen gitte Thielk57), des Landkreises Müritz (Cornelia eine größere Verbindlichkeit zu geben. So wurde Grosch), des Landkreises Vorpommern (Christel der o.g. § 3 durch die Absätze (5) und (6) ergänzt. Langschwager) und der Stadt Schwerin (Petra Darin wurde u.a. festgelegt, dass im Falle der Willert).58 Nichtumsetzung der Vorgaben des Frauenförder- plans, die Gründe dafür bei der Aufstellung des nächsten Frauenförderplans darzulegen und der 3.3 Konzeption des Landes Mecklenburg- vorgesetzten Dienststelle zu melden seien. Sollten die Vorgaben bezüglich der Einstellung und Be- Vorpommern zur Gleichstellung von förderung von Frauen in Beschäftigungsgruppen, Frauen und Männern in denen sie unterrepräsentiert waren, innerhalb des vorgegebenen Zeitraumes nicht erfüllt wor- Um die Gleichstellung von Frauen und Männern den sein, musste bei jeder weiteren Einstellung auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen oder Beförderung eines Mannes die Zustimmung voranzutreiben, beschloss der Landtag Mecklen- der vorgesetzten Dienststelle eingeholt werden.55 burg-Vorpommern am 3. März 1999 auf Antrag Mit diesem Gesetz wurde die Gleichstel- der damals regierenden SPD/PDS-Koalition die lungspolitik in Mecklenburg-Vorpommern zu- Erarbeitung einer Konzeption zur Umsetzung mindest im Bereich des öffentlichen Dienstes auf der Gleichstellung von Frau und Mann für das ein tragfähiges Fundament gestellt. Land Mecklenburg-Vorpommern. Sie sollte „ne- ,QGHU)ROJHZXUGHQLQDOOHQGD]XYHUSÀLFK- ben grundsätzlichen Aussagen zur Umsetzung teten öffentlichen Institutionen Gleichstellungs- der Chancengleichheit Maßnahmen zur Verbes- beauftragte gewählt. serung der Gleichstellung in allen politischen Auf der kommunalen Ebene wurde mit der Bereichen enthalten“.59 Ziel war die Umsetzung Verabschiedung der Kommunalverfassung im von Gender Mainstreaming, einem Konzept, Jahr 1994 geregelt, dass alle hauptamtlich ver- das im Jahr 1996 Einzug in die Politik der Eu- walteten Gemeinden und Landkreise mit mehr ropäischen Union gehalten hatte. Danach sollten als 10.000 Einwohnerinnen und Einwohnern bereits im „Vorfeld der Implementierung neuer hauptamtliche Gleichstellungsbeauftragte zu be- Politiken diese auf ihre Auswirkungen hinsicht- stellen haben.56 In der Folgezeit wurden in den lich der Gleichstellung von Frauen und Männern systematisch überprüft und ggf. entsprechend an- 53 Vgl. ebenda § 11 (6). 54 Vgl. Ebenda § 11 (7). 57 Sie wird in Kap. 7.6 noch genauer vorgestellt. 55 Gesetz zur Gleichstellung von Frau und Mann im öf- 58 Kommunale Gleichstellungsbeauftragte des Landes fentlichen Dienst des Landes Mecklenburg-Vorpommern Mecklenburg-Vorpommern, unter: http://www.regierung-- (Gleichstellungsgesetz – GlG MV) In der Fassung der Be- mv.de/cms2/Regierungsportal_prod/Regierungsportal/de/ kanntmachung vom 27. Juli 1998, GVOBl. MV 1998, S. fg/_Service/Gleichstellungsbeauftragte_in_MV/index.jsp 697. (12.03.2010). 56 Kommunalverfassung für das Land MV (Kommunal- 59 Gleichstellungskonzeption der Landesregierung Meck- verfassung – KV MV) in der Fassung der Bekanntmachung lenburg-Vorpommern, Drucksache 3/1443, 28.07. 2000, vom 8. Juni 2004, GVOBl. MV 2004, S. 205. S.3. 18
Landesbüro Mecklenburg-Vorpommern gepasst werden. Eine derartige Überprüfung hat chenland Mecklenburg-Vorpommern viele Orte auch bei der Durchführung, Überwachung, sowie nur noch mit dem Auto erreichbar. Ziel des FAR Evaluation aller Politiken auf allen Ebenen zu Projektes war es, einerseits bereits vorhandene erfolgen.“60 Für die Bundesrepublik Deutschland Strukturen stärker zu vernetzen und andererseits und für MV gewann das Konzept im Jahr 1997 in Zusammenarbeit mit regionalen Aktionsbünd- an Relevanz. Damals forderte das Europäische nissen gegen Arbeitslosigkeit Synergieeffekte zu Parlament alle Mitgliedsstaaten per Beschluss erzielen, um den Landfrauen den Zugang zum Ar- dazu auf, „Maßnahmen im Sinne des Gender beitsmarkt zu erleichtern.65 Mainstreaming Konzepts in der Politik sowohl Daneben war vorgesehen, das bereits seit auf lokaler, regionaler als auch nationaler Ebene 1996 existierende Existenzgründerinnenpro- zu implementieren“61. In der Konsequenz kam es gramm „mit verbesserter Qualität im Rahmen des zur Erarbeitung des Gleichstellungskonzeptes für Beteiligungsprogramms der mittelständischen MV. Nunmehr ging es darum, „auch bisher als Beteiligungsgesellschaften“66 fortzusetzen, um scheinbar geschlechtsneutral geltende Entschei- Frauen den Weg in die Selbstständigkeit zu er- dungen zu hinterfragen“.62 Dabei sollte nicht die leichtern. Durchführung von Einzel- oder Sondermaßnah- Zur Weiterentwicklung der Chancengleich- men für Frauen zum Maßstab gemacht werden, heit in den Betrieben sollte der in einem zwei- sondern es ging darum, alle Entscheidungen, MlKULJHQ 5K\WKPXV VWDWW¿QGHQGH :HWWEHZHUE Programme, Beschlüsse der Landesregierung „Frauenfreundlicher Betrieb“ als Bestandteil des LQ %H]XJ DXI LKUH JHVFKOHFKWVVSH]L¿VFKHQ $XV- europäischen best practice Projektes fortgeführt wirkungen zu überprüfen.63 Gleichstellung wur- werden. Hier wurden Betriebe ausgezeichnet, die de damit zur Querschnittsaufgabe. In insgesamt Hürden und Schranken abgebaut und Frauen ge- fördert hatten. Der Wettbewerb war ein wichtiger zehn Themenbereichen64 wurde Handlungsbe- öffentlichkeitswirksamer Anreiz, um mehr Unter- darf festgestellt und entsprechende Maßnahmen nehmer zu einem Umdenken zu bewegen.67 vorgeschlagen. So sollte z.B. das Modellprojekt Darüber hinaus sollte zur besseren Umset- „FRAU und ARBEIT REGIONAL“ (FAR) zur zung des Gleichstellungsgesetzes innerhalb der Verbesserung der Erwerbssituation von Frauen Landesverwaltung allen Personen, die Führungs- im ländlichen Raum beitragen. Landfrauen haben positionen innehatten oder Personalverantwor- EHVRQGHUH6FKZLHULJNHLWHQ$UEHLW]X¿QGHQRGHU tung trugen, die Möglichkeit eingeräumt wer- an Umschulungs- bzw. Weiterbildungsmaßnah- den, an Fortbildungsveranstaltungen zum Thema men teilzunehmen. Sie leben oft isoliert und in Gleichstellung bzw. Gleichstellungsgesetz teil- ökonomischer Abhängigkeit von ihren erwerbstä- zunehmen, die von der Fachhochschule Güstrow tigen Partnern. Ihre Situation wird durch mang- und anderen Bildungsträgern68, wie z. B. dem elnde Mobilität erschwert. Heute sind im Flä- 1996 gegründeten Frauenbildungsnetz Mecklen- burg-Vorpommern e.V.69, angeboten wurden. 60 Gender Fachstelle MV, unter: http://www.gender-mv. Als erste Landesregierung in der Bundes- de/historie.html (10.03.2010); Mitteilung der Europäischen Kommission Einbindung der Chancengleichheit im sämt- republik fasste die Mecklenburg-Vorpommerns liche politischen Konzepte und Maßnahmen der Gemein- im November 2001 den Beschluss, im Rahmen schaft, Brüssel 1996, KOM(96) 67, (10.03.2010). des Arbeitsmarkt- und Strukturentwicklungspro- 61 Vgl. Gender Fachstelle MV, unter: http://www.gender- mv.de/historie.html (10.03.2010). 65 Gleichstellungskonzeption der Landesregierung Meck- 62 Gleichstellungskonzeption der Landesregierung Meck- lenburg-Vorpommern, S. 9. lenburg-Vorpommern, Drucksache 3/1443, 28.07. 2000, 66 Ebenda. S. 11. S.3. 67 Vgl. ebenda. 63 Ebenda. 68 Vgl. ebenda, S. 25. 64 Arbeitsmarkt, Wirtschaft, Ländlicher Raum, Bildung, Gleichgeschlechtliche Lebensweisen, Sozialer Bereich, Be- 69 Vgl. http://www.frauenbildungsnetz.de/startseite.html reich Inneres, Umwelt, Kultur, Gewalt. Vgl. ebenda. (11.03.2010). 19
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