BANK SPIEGEL - Bildung und Geld - GLS Bank

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BANK SPIEGEL - Bildung und Geld - GLS Bank
BANK
                                                 Ausgabe 2/2014
                                                 Heft 221

SPIEGEL
DAS MAGAZIN DER GLS BANK

                           Bildung
                           und Geld
                              BANKSPIEGEL   2/2014   Bildung und Geld
BANK SPIEGEL - Bildung und Geld - GLS Bank
2   UNTERM STRICH                                                                                                                                                                               EDITORIAL   3

                                                15,5 %
                                                                                                                                       Liebe Leserinnen und Leser,

                                                                                                                                        was haben wir aus der Schule mitgenommen? Über die Grund-
                                                                                                                                        rechenarten, das Lesen und Schreiben hinaus: Was erscheint
                                                                                                                                        uns im Rückblick als wesentlich? Dies war neulich die Frage in
                                                                                                                                        einer unserer regelmäßigen Gesprächsrunden. Einige Antwor-
                                                                                                                                        ten wa­ren recht ernüchternd, denn Vieles wird eben doch nicht
                                                 der Befragten mit Hauptschulabschluss haben grundsätz­                                 für das Leben, sondern nur für die Prüfungen gelernt. Auch an
                                                 li­ches Vertrauen in ihre Mitmenschen — deutlich weniger                               den Hochschulen ist das so. Aber es gibt trotzdem Erinnerungen
                                                 als die 33,5 Prozent der Befragten mit Hochschulabschluss.                             an Momente, in denen man von Lehrerinnen und Lehrern oder
                                                 QUELLE: Bildung in Deutschland 2014, ALLBUS 2012
                                                                                                                                        Mitschülerinnen und Mitschülern eine besondere Wert­schätz­ung
                                                                                                                                        erfahren hat und sich dadurch wie beflügelt fühlte. Das ers­te
                                                                                                                                        Erleben der eigenen Kreativität — sei es künstlerisch, in der Be­we-

                                                                                  114 MRD.
                                                                                                                                        ­gung, im Denken oder auch im Sozialen — kann für das wei­tere
                                                                                                                                         Leben prägend sein. Oder die Erkenntnis, sich selbst ein Wis-
                                                                                                                                         senstableau erarbeitet zu haben, und das Erlebnis zu genießen,
                                                                                                                                         wie alles, was einem begegnet, sich darin sinn­v oll ein­ord­net.
                                                                                  US-Dollar für Studienkredite wurden in den USA
                                                                                                                                         Das Evidenzgefühl, wenn die Trigonometrie beim Vermes­sen
                                                                                  2013 neu aufgenommen. Die Kreditkartenschul-
                                                                                  den er­höhten sich dagegen nur um vier Milliarden      ei­nes Raumes tatsächlich funktioniert. Wesentlich für den Erfolg
                                                                                  US-Dollar. Über zehn Prozent der Bezieher von          von Bildung sind das Interesse an der Welt und auch an der
                                                                                  Studienkrediten sind notleidend.                       ei­­genen Entwicklung. Und genau diese Aspekte spielen sich oft­
                                                                                  QUELLE: THE WALL STREET JOURNAL, 18.02.2014            mals jenseits von Prüfungen und Lehrplänen ab.
                                                                                                                                              Was diese Sichtweise von Bildung mit Geld zu tun hat —
                                                            der Zuwanderer                                                               da­rum geht es in diesem Bankspiegel. Der Zugang zu qualitativ

                                                                                  DOPPELT
                                                            nach Deutschland                                                             guter Bildung hängt gerade in Deutschland in starkem Maße
       höher ist die Armuts­gefähr­dungs­                   haben einen Mei­s­                                                           vom Sta­tus der Eltern ab. Aber es gibt Projekte, die zeigen, dass
       ­quote in Deutsch­land für Menschen                  ter-, Hochschul-
                                                                                                                                         es auch anders geht. Zunehmend wird von Inklusion geredet.
                                                            oder Tech­nikerab­
        mit niedigerem Bildungsstand.                                                                                                    Doch was ist uns ein gemeinsames Lernen von Kindern und jun­-
                                                            schluss — und nur     so viele Menschen mit geringerer
       QUELLE: Statistisches Bundesamt, EU-SILC, 2014       26 Prozent der Ge­-                                                          gen Erwach­senen mit sehr unterschiedlichen Fähigkeiten wirk­-
                                                                                  Bildung schätzen ih­ren eigenen Ge­-                   lich wert? Außerdem geht es um die Frage, wie Ökonomie an
                                                            samt­be­völ­kerung.
                                                                                  sundheitszustand als schlecht ein.                     den Hochschu­­len und Schulen unterrichtet werden soll. Dass ei­­ne
                                                            QUELLE: IAB/
                                                            Bertelsmann           QUELLE: Bildung in Deutschland 2014, GEDA 2010       gute För­de­r ung selbst mit kleinen Budgets möglich ist, zeigen
                                                            Stiftung, 2013
                                                                                                                                       schließlich die Ansätze der Peer Education.
                                                                                                                                              Die Gründung der GLS Bank ist eng mit dem Aufbau der Wal-
                                                                                                                                       ­dorfschule in Bochum verbunden, aber auch mit der Überzeu­

                                       JEDE(R)
                                                                                                                                        gung, dass es unabhängig von speziellen pädagogischen Kon­zep­­­
                                                                                                                                        ten in erster Linie um die Freiheit im Bildungswesen geht. We­­
                                                                                                                                        der wirtschaftliche Interessen noch staatliche Regulatorik sollen

                                       FÜNFTE
                 %
                                                                                                                                        die Bil­dung dominieren. Im Mittelpunkt stehen die Kinder und
                                                                                                                                        Jug­end­lichen mit ihrer fast unverwüstlichen Freude am Lernen,
                                                                                                                                        beim gemeinsamen Spiel, an der Werkbank, im Garten, in der
                                       in Deutschland erlangt                                                                           Musik ­— und hoffentlich auch im Klassenzimmer.
                                       einen höheren Schulab-
                 der Schülerinnen
                                       schluss als seine Eltern.                  Prozent aller Kinder bis
                 und Schüler in
                                       In den Mitgliedsstaaten                    fünf Jahre sind hochbe-                              Mit herzlichen Grüßen
                 Deutschland be­­-
                 su­chen eine Schule   der OECD gilt dies durch-                  gabt im Bereich „unkon-
                 in freier Träger-
                                       schnittlich für mehr als                   ventionelles Denken“ —
                 schaft. In den Nie­
                                       jede(n) Dritte(n). Dies ist                und nur noch zwei Pro-
                 derlan­den sind es
                 67 Prozent.           international betrachtet                   zent der Schulabgänger.
                                                                                                                                       Falk Zientz, Redakteur
                                                                                  QUELLE: „Alphabet”, Film von Erwin
                 QUELLEN: Statis-      ein wesentlicher Kritik-                   Wagenhofer, 2013
                 tisches Bundesamt,
                 Private Schulen,      punkt am deutschen Bil-
                 2014; PISA 2006
                                       dungssystem.
                                       QUELLE: Bildung auf einen Blick,
                                       OECD-Indikatoren 2011
                                                                                            BANKSPIEGEL    2/2014   Bildung und Geld
BANK SPIEGEL - Bildung und Geld - GLS Bank
INHALT

6
Meldungen

24
Blickwinkel

26
Standpunkt

27
Netzwerk

28
Jahresversammlung                                                                     15
                                                                                      Die großen Freunde
32
                                                                                      Dass Kinder nicht nur von Lehrer­innen,
Mitgliederporträt
                                                                                      Lehrern und Eltern lernen, ist klar.
                                                                                      Vieles schauen sie sich von anderen
33                                                                                    Kindern ab. Können so auch Werte
                                                                                      und soziale Kompetenzen vermittelt
Innenansicht
                                                                                      werden? Daran arbeitet das bundes-
                                                                                      weite Netzwerk BildungsBande.
36                                                                                                                              22
Konditionsgestaltung                                                                                                            Gnadenlos einseitig
38                                                                                                                              Der Homo oeconomicus wurde noch
                                                                                                                                nie gesehen. Trotzdem präsentieren
Kreditvergabe                                                                                                                   ihn immer mehr Hochschullehrende in

                       11                                                                                                       im­­mer mehr Studiengängen als ein-

42                                                                                                                              zi­­ge Wahrheit. Dagegen formiert sich
                       Nur, wenn alle                                                                                           ein Netzwerk von Studierenden — mit
Kreditporträts
                       es wollen                                                                                                ersten Erfolgen.

44                     Inklusion wird an Schulen immer                                                                          23
Schenken und Stiften   weiter gesetzlich verankert. Vieles
                       spricht für einen gemeinsamen                                                                            Wir unterrichten
45
                       Unterricht von Kindern mit und
                       ohne Behinderung. Doch der Weg
                                                                                                                                Kinder, nicht Fächer
Klartext               dahin lässt sich nicht einfach
                                                                                                                                 Die Montessori-, Waldorf- und Alter­na­-
                       verordnen, sondern erfordert viel
                                                                                                                                ­tivschulen machen manches an­­ders,
                       Krea­tivität und Engagement.
46                                                                                                                               wobei sich zunehmend auch staatliche
                                                                                                                                 Schulen an ihnen orientieren. Dazu ein
Kalender
                                                                                                                                 kurzer Überblick.

46                                          17
Impressum                                   Jeder darf kommen
                                            Deutschland bietet auffällig schlechte
47                                          Chancen für sozial benachteiligte Kin-
Kolumne                                     der und verfügt über auffällig weni­ge
                                            Schulen in freier Trägerschaft. Span-
                                            nend wird es, wenn eine Waldorfinitia-
                                            tive ganz ge­zielt in einen sogenannten
                                            sozia­len Brennpunkt geht.

                                                                                                                                BANKSPIEGEL    2/2014   Bildung und Geld
BANK SPIEGEL - Bildung und Geld - GLS Bank
6   MELDUNGEN                                                                                                                                                                                                                           7

                                    HEUTE RETTE ICH DIE WELT
                                                                                                               NACHWUCHS FÜR SINNVOLLES
                                    Zugegeben, die Weltrettung ist ein hehres Ziel — aber auch mit kleinen     BANKING
                                    Schrit­ten, wie einem Konto bei der GLS Bank, kommt man der Verwirk­
                                    lichung ein we­nig näher. Seit Juni dieses Jahres wirbt die GLS Bank mit   Im August dieses Jahres haben vier
                                    einem Augenzwinkern dafür, unsere Welt zu einem besseren Ort zu ma-        junge Frauen und fünf junge Männer
                                    chen: auf Plakaten, in An­zeigen und vor allem in den sozialen Medien.
                                                                                                               ihre Aus­bildung bei der GLS Bank
                                        Mehr als 170 000 Menschen haben sich in den vergangenen 40 Jah­
                                                                                                               begonnen. Sie wurden aus über 100
                                    ren über die GLS Bank zu einem Netzwerk engagierter Weltretter zu­-
                                    sam­mengefunden und verbunden. Zukunftsweisende Unternehmen                Bewerberinnen und Bewerbern aus-
                                    und soziale, ökologische und kulturelle Projekte treffen auf tatkräftige   gewählt. „Uns kommt es sehr darauf
                                    Anlegerinnen und Anleger, die ihr Geld sinn­stiftend wirken lassen wol-    an, dass unsere Auszubildenden ei­
                                    len. Die GLS Bank möchte Platt­form sein für die Diskussion und Um­set-    genverant­wortlich handeln, soziale
                                    z­ung der Vorhaben und Ideen ihrer Mitglieder, Kundinnen und Kunden.
                                                                                                               Verantwortung übernehmen und
ÖKOLANDBAU UND NATURSCHUTZ              Das Besondere an der neuen Kampagne ist, dass jede und jeder
                                                                                                               bewusst mit Geld umgehen möchten“,
VERBINDEN                           aktiv mitmachen kann. Gute Ideen können unter dem Schlagwort
                                    #sharedichdrum in allen sozialen Netzwerken oder auf unserer Inter-        sagt Manuela Luka von der Mitar­-­
Die NABU-Stiftung Nationales        netseite sharedichdrum.gls.de veröffentlicht und mit anderen geteilt       bei­terentwicklung. In den ersten drei                   KONGRESS KINDERGESUNDHEIT HEUTE
Naturerbe und die BioBoden-         werden. #sharedichdrum ist dabei der Appell, sich zu engagieren und        Wo­chen haben sich die Azubis zu-
                                    gleichzeitig gute Ideen weiterzuverbreiten, damit andere sie nach­         nächst intensiv mit den besonderen                       Wie muss unsere Welt aussehen, damit alle
Gesellschaft der GLS Bank ha­ben    ahmen können. In den ersten Tagen wurden bereits über 50 Weltretter-
                                                                                                               Anliegen der GLS Bank und ihrer                          Kinder die Möglichkeit haben, sich gesund zu
im Juni 2014 den Kauf von rund      videos gepostet und mehr als eine halbe Million Menschen erreicht. Wir
                                                                                                               Kun­dinnen und Kunden auseinan­­der­                     entwickeln? Was können wir tun, um die Be­-
700 Hektar Land im Naturschutz-     freuen uns, wenn Sie Teil dieser Gemeinschaft werden und mitmachen!
                                                                                                               ge­­setzt sowie Workshops zu den                         dingungen zu verbessern? Dass dies gelingt,
gebiet Salziger See in Sachsen-     sharedichdrum.de
                                                                                                               Abläufen und Systemen absolviert.
                                                                                                                                                                        hat viel mit dem Zusammenspiel von Erziehung,
Anhalt abschließen können und                                                                                      „Dass wir den Austausch mit un-
                                                                                                                                                                        Lebensstil und familiären Strukturen zu tun.
die Fläche einem Ökobauern ver-                                                                                seren Kundinnen und Kunden mit
                                                                                                               der Frage nach dem Sinn verbinden                        Deshalb wagt der Kongress Kindergesundheit
pachtet. Ein doppelter Erfolg:
                                                                                                               können, das mo­tiviert mich sehr“,                       heute etwas ganz Neues: Ärzte, Pädagogen
Das Naturschutzgebiet samt sei-
                                                                                                               so Juliane Schuler aus dem zweiten                       und Eltern sprechen miteinander — und nicht,
ner Artenvielfalt und Böden ist
                                                                                                               Lehrjahr.                                                wie sonst üblich, übereinander. Auch Schul-
dauerhaft gesichert und die Land-                                                                                  Bereits im Januar 2014 konnten                       und Komplementärmedizin werden miteinan-
wirtschaft wird jetzt ökologisch                                                                               neun GLS Azubis ihre Ausbildung
                                                                                                                                                                        der ins Gespräch kommen. Der Anstoß ging
betrieben. Dies ist ein weiteres                                                                               er­folgreich abschließen und sind seit­-
                                                                                                                                                                        vom Dachverband Anthropo­sophische Medizin
Beispiel dafür, dass der Ökoland­                                                                              dem als Bankkaufleute für unsere
                                                                                                               Kundinnen und Kunden tätig.                              aus. Programm und Konzept wurden in enger
bau und der Naturschutz zusam-
                                                                                                                                                                        Zusammenarbeit mit dem Olgahospital und
men gestärkt werden kön­nen.
                                                                                                                                                                        der Filderklinik in Stuttgart sowie der Stadt
Mit diesem Schwerpunkt wollen
                                                                                                                                                                        Stuttgart entwickelt. Drei Leitmotive gliedern
die NABU-Stiftung und die Bio­­                                                                                SCHÜLERGENOSSENSCHAFT: WENN DIE
                                                                                                               CHEMIE STIMMT                                            die Veranstaltung: 1. Das Kind und seine Eltern,
BodenGesellschaft noch mehr
                                                                                                                                                                        2. Das Kind und die Aufmerksamkeit, 3. Das
Projekte umsetzen.                                                                                             Derzeit begleitet die GLS Bank die Gründung
                                                                                                               ei­ner Schülergenossenschaft an der Technischen          Kind und sein Schmerz. Der Kongress findet am
                                                                                                               Berufs­schule 1 in Bochum. Engagierte Schüle­­-
                                                                                                                                                                        27. und 28. September 2014 in Stuttgart statt.
                                                                                                               r­innen und Schüler, die sich zu Chemisch-techni-
                                                                                                                                                                        kindergesundheit-heute.de
                                                                                                               schen Assistentinnen und Assistenten ausbilden
                                                                                                               lassen, bieten im Rahmen ihres Schulprojektes
                                                                                                               RuhrChemAlytic für jedermann Wasser- und Bo­-
                                                                                                               denanalysen gegen Spenden an. So wird mit der
                                                                                                               Aktion Bochum bleifrei das Trinkwasser auf ge­-
                                                                                                               fährliche Bleirückstände hin untersucht. Die Schü-
                                                                                                               lerinnen und Schüler erhalten damit bereits wäh-
                                                                                                               rend ihrer Ausbildung die Möglichkeit, die Labor­
                                                                                                               arbeit unter Praxisbedingungen zu erproben.
                                                                                                                    Der Rheinisch-Westfälische Genossenschafts-
                                                                                                               verband (RWGV) unterstützt bereits mehr als 50
                                                                                                               Schülergenossenschaften in Zusammenarbeit mit
                                                                                                               Banken vor Ort, in diesem Fall mit der GLS Bank. Viel­
                                                                                                               leicht wird sogar eine bundesweite Ak­­ti­on daraus.

                                                                                                                                                                                                    BANKSPIEGEL   2/2014   Bildung und Geld
BANK SPIEGEL - Bildung und Geld - GLS Bank
SCHWERPUNKT

Bildung
und Geld
TEXTE Bastian Henrichs
FOTOS Hendrik Rauch

                      BANKSPIEGEL   2/2014   Bildung und Geld
BANK SPIEGEL - Bildung und Geld - GLS Bank
10   BILDUNG UND GELD                                                                                             11

                        Nur,
                                                        Peristera Giannikos, 53, bekommt das Lächeln nicht mehr
                                                        aus ihrem Gesicht. Sie begleitet seit vier Jahren drei „prak-
                                                        tisch bildbare“ Schülerinnen durch den Schulalltag in der
                                                        Sekundarstufe der Sophie-Scholl-Schule in Gießen. „Richtig
                                                        fit sind die“, sagt sie. Sie freut sich deswegen so sehr, weil

                        wenn
                                                        die Schüler der neunten Klasse, in die auch ihre drei Förder­
                                                        schü­lerinnen gehen, gerade ihre Prüfungsergebnisse in
                                                        Deutsch bekommen haben. Es gab nur Einsen und Zweien.
                                                        Sie ist stolz auf ihre Klasse. Die Förderschülerinnen, Kinder
                                                        mit Down-Sydrom, haben allerdings nicht teilgenommen.
                                                        Sie bekommen zwei Tage später gesonderte Aufgaben,

                        alle es
                                                        „bildungsorientierte Prüfung“ nennt sich das. In den Nach-
                                                        mittagsstunden werden sie von zwei anderen Schülern ih­-
                                                        rer Klasse darauf vor­bereitet. Davon profitieren beide Seiten:
                                                        Die Förderkinder fühlen sich wertgeschätzt und akzeptiert,
                                                        genießen das gemeinsame Lernen mit den beiden Jungen;
                                                        die wiederum übernehmen Verantwortung, erleben den
                                                        un­beschwerten Umgang mit den Inklusionsschülerinnen

                        wollen
                                                        und erweitern ihr Bewusstsein für das Zusammenleben und
                                                        -arbeiten mit sogenannten Behinderten.
                                                              Die Sophie-Scholl-Schule ist eine inklusive Grund- und
                                                        Gesamtschule. Von der ersten bis zur zehnten Klasse werden
                                                        hier sowohl behinderte Kinder sowie Förderschülerinnen und
                                                        -schüler als auch Hochbegabte gleichberechtigt in den Schul­
                                                        alltag einbezogen. Die Deutschprüfungen zeigen zwei Din­-
                                                        ge: 1. Die Leistungsfähigkeit der Regelschüler lässt durch das

                        Inklusion ist angesagt,
                                                        ge­mein­same Lernen mit schwächeren Kindern nicht nach,
                                                        sie ist in diesem Fall eher überdurchschnittlich gut. 2. Schüle-

                        Förderschulen gelten            ­­rinnen und Schüler mit Behinderung und andere lern­schwa­
                                                        che Förderkinder können immer weniger mithalten und
                        als Einrichtungen von           die gleichen Prüfungen ablegen, je weiter die Schul­laufbahn
                                                        voranschreitet.
                        gestern. Doch so einfach              Die Anzahl der Schülerinnen und Schüler mit Förderbe-

                        ist das alles nicht, wie
                                                        darf ist in den letzten Jahren weiter angestiegen. Nach dem
                                                        Willen der UN-Behindertenrechtskonvention von 2006 sol-

                        das Beispiel der GLS            len alle Kinder gemeinsam zur Schule gehen dürfen: mit und
                                                        ohne Behinderung, begabte und entwicklungsverzögerte,
                        Kundin Sophie-Scholl-           lernschwache und verhaltensauffällige. Förderschulen dage-
                                                        gen gelten als Einrichtungen von gestern. Und eine aktuelle
                        Schule zeigt.                   Studie des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungs-
                                                        wesen (IQB) meint: Kinder mit Behinderung lernen im gemein­
                                                        samen Unterricht besser als auf einer Sonderschule. Trotz-
                                                        dem löst das Thema Inklusion vielerorts Spannungen und
                                                        Ängste aus und bringt mehr Probleme als Erfolge mit sich. In
                                                        Nordrhein-Westfalen sinkt nach einer Umfrage des Verbands

                                                   In Nordrhein-Westfalen sinkt
                                                   die Zustimmung zur Inklusion.
                                                   Viele Eltern nehmen Kinder mit
                                                   erhöhtem Förderbedarf wieder
                                                   von den Regelschulen, weil diese
                                                   dort nicht mithalten können.

                                                        Bildung und Erziehung (VBE) die Zustimmung zur Inklusion.
                                                        Viele Eltern nehmen Kinder mit erhöhtem Förderbedarf wie­
                                                        der von den Regelschu­len, weil diese dort nicht mithalten
                                                        können. Dies führe zu psychischer Belastung. Auch wird deut­
                                                        lich, dass zumindest in Einzelfällen weiterhin spezielle Ein-
                                                        richtungen sinnvoll sind.

                                                                              BANKSPIEGEL     2/2014   Bildung und Geld
BANK SPIEGEL - Bildung und Geld - GLS Bank
14    BILDUNG UND GELD                                                                                                                                                                                                                   15

                                                                                                                                      Die großen
                                                                                                                                      Freunde
                                                                                                                                      Schüler lernen von Schülern.   Amina steht mit verschränkten Armen in der Tür, die Unterlippe leicht
                                                                                                                                                                     vorgeschoben, die Augenbrauen zusammengezogen. Die Siebenjährige
                                                                                                                                      Das pädagogische Konzept       soll sich den Gästen vorstellen, will aber nicht. Aylar Dehestani ruft sie
                                                                                                                                      der Peer Education soll        zu sich, nimmt sie in den Arm, macht Späße mit ihr, fragt, was sie er­lebt
                                                                                                                                                                     habe in der letzten Woche. Langsam taut Amina auf, einige Zeit später
                                                                                                                                      die nachhaltige Entwicklung    plappert sie wild drauflos. „Amina war zu Anfang ein Problem“, sagt
                                                                                                                                      fördern, Werte vermitteln      Aylar Dehestani, 29, Sozialpädagogin an der Erich Kästner-Schule in Bo­-
                                                                                                                                                                     chum. Amina war unberechenbar, sie schlug um sich, tanz­te auf den
                                                                                                                                      und der Selbstorientierung     Tischen und den Schülercoaches auf der Nase herum. Die Schülercoa-
                                                                                                                                      dienen. Die BildungsBande      ches, das sind vier Schülerinnen und Schüler aus der achten Klasse der
                                                                                                                                                                     Gesamtschule. Einmal in der Woche kommen sie an die Waldschule,
                                                                                                                                      zeigt, wie es funktioniert.    ei­­ne Grundschule in Hustadt, einem größtenteils aus Hochhäusern be­-
                                                                                                                                                                     stehenden Stadtteil von Bochum, um eineinhalb Stunden mit sieben-
                                                                                                                                                                     und achtjährigen Schülerinnen und Schülern zu verbringen. Sie opfern
                                                                                                                                                                     dafür ihre Freizeit.
                                                                                                                                                                          Peer Education nennt sich das, Schülerinnen und Schüler lernen
Entscheidend für das Gelingen von Inklusion ist immer die           Plappert, Leiter der Sekundarstufe, zurückhaltender, was die
                                                                                                                                                                     von gleichaltrigen oder wenig älteren Kindern. Zusammen mit Amina
Bereitschaft von Lehrerinnen und Lehrern, Mitschülerinnen,          Inklusion angeht. „Das darf nicht aufoktroyiert sein“, sagt er.
                                                                                                                                                                     sind Marsallah, Warsan und Ariana dabei. Sie sitzen mit den Schüler-
Mitschülern und Eltern, sich auf etwas Neues einzulassen —     ­    „Es funk­tioniert nur dann, wenn alle Beteiligten es wollen.“
                                                                                                                                                                     coaches am Tisch und malen Bilder zum Thema Liebe. Warsan, der im­-
wie an der Sophie-Scholl-Schule: In der Primarstufe werden          Und das sind in der Sekundarstufe weniger als noch in der
                                                                                                                                                                     mer überredet werden muss, bei Gruppenaufgaben mitzumachen, darf
bereits seit 1998 Förderkinder und Hochbegabte inklu­-              Pri­mar­stufe. Der Grund: Die Schülerinnen und Schüler kön-
                                                                                                                                                                     eine Gruselgeschichte erzählen. Es geht um Sprünge aus dem Fenster,
diert und im Klassenverband individuell unterrichtet. Es            nen nur einen Ab­schluss erwerben, wenn sie sich von einer
                                                                                                                                                                     Fallen stellen, Entführung und irgendwie auch um die Fußballspieler
funk­­tio­niert. Ralph Schüller, Leiter der Primarstufe, plädiert   staat­lichen Schule begleiten lassen. Außerdem decken die
                                                                                                                                                                     Franck Ribéry und Manuel Neuer. Er grinst ununterbrochen und freut
dementsprechend dafür, in den ersten vier Schuljahren För­-         öffentlichen Mittel nur etwa zwei Drittel der Kosten. Und
                                                                                                                                                                     sich über die Aufmerksamkeit der anderen, die „psst“ machen, wenn
derschulen komplett aufzulösen und dafür feste Förder­leh­          die Umsetz­ung eines pädagogischen Konzeptes wie desjeni-             Achtklässler betreuen
                                                                                                                                          Grundschüler: Beim         jemand dazwischenquatscht.
re­­­rinnen und -lehrer an den Regelschulen einzusetzen. In         gen der Sophie-Scholl-Schule ist teuer. „Inklusion ist nicht
                                                                                                                                          letzten Treffen vor den
seiner Schule hat jeder vierte Schüler erhöhten Förderbedarf.       umsonst zu haben“, sagt Plappert, der sich mehr öffentliches
                                                                                                                                          Ferien ist das Thema
Es gibt hier in der Primarstufe Lernstraßen, Zeugnisse ohne         Engagement für sein Schulkonzept wünscht. Momentan ist                die Liebe.
Noten, jahrgangs­gemischte Klassen. Der Unterricht wird             die Schule auf Spenden angewiesen. Ohne eine dauerhafte
zumeist von zwei Lehrkräften und einem Erzieher bzw. einer          Finanzierung werden lernschwache Kinder zunehmend den
Erzieherin gleich­zeitig geleitet. Nicht alle Schülerinnen und      Anschluss verlieren und viele Talente bleiben langfristig
Schüler lernen zu je­der Zeit dasselbe und zweimal in der Wo-       unterentwickelt.
che bekommen die Förderkinder individuellen Unterricht,                  Denn fest steht: Nach der Grundschule wird Inklusion
die sogenann­ten Sternstunden.                                      schwieriger. Die Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler
                                                                    ent­wickeln sich immer weiter auseinander. Dass alle in ei­-
                                                                    nem Raum unterrichtet werden, funktioniert nur noch selten.
           „Inklusion ist                                           Auch weil die Regelschülerinnen und -schüler irgendwann
           nicht umsonst                                            anerkannte Abschlüsse erreichen wollen. Fest steht aber auch:
                                                                    Wenn Lehrkräfte sowie Sonderpädagoginnen und -pädago-
           zu haben.“                                               gen eng zusammenarbeiten und sich weiterbilden, wenn
                                                                    das pä­dagogische Konzept angepasst wird, die Ressourcen
Einiges von all dem gibt es ebenfalls in der Sekundarstufe          aus­reichend sind, und wenn eine gesunde Balance gehal-
ab der fünften Klasse, die 2009 ihren Betrieb aufgenommen           ten werden kann zwischen Regel- und Förderkindern, dann
hat. Auch die Sternstunden, allerdings weitaus umfangrei-           ist Inklusion für die meisten Schüler sinnvoll. In der Sophie-
cher: Rund 40 Prozent ihres Unterrichts bekommen die För-           Scholl-Schule sind die Voraussetzungen dafür bereits erfüllt,
derkinder getrennt vom Klassenverband. So ist auch Michael          in den allermeisten anderen Schulen noch lange nicht.

                                                                                                                                                                                                     BANKSPIEGEL     2/2014   Bildung und Geld
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16   BILDUNG UND GELD                                                                                                                              RUBRIK   17

                                                                                                                  Jeder darf
                                       Beim Peer Learning geht es in diesem Fall nicht darum, Unterrichtsstoff
                                       zu wiederholen oder aufzuarbeiten, es geht um viel mehr. In der ge­-
                                       meinsamen Zeit mit ihren Schülercoaches werden den Grundschulkin­
                                       dern Werte und soziale Kompetenz vermittelt, sie orientieren sich an
                                       ihren Vorbildern, den Großen, die ihnen als Unterstützer und Vertrau­­te
                                       dienen. Sie sprechen dieselbe Sprache und bekommen schneller und

                                                                                                                  kommen
                                       auf einer anderen Ebene Zugang zu den Kindern als deren Lehrerinnen
                                       und Lehrer. „Die Kinder kommen gerne“, sagt Dehestani. „Sie sind stolz
                                       auf ihre großen Freunde und verlassen unter den Blicken ihrer Mitschü­
                                       lerinnen und Mitschüler selbstbewusst den Raum.“
                                            Und auch die Schülercoaches selber profitieren. Sie übernehmen
                                       Verantwortung und erwerben soziale und fachliche Kompetenzen.
                                       Sie lernen, Zeiteinheiten zu gestalten und vorzubereiten, Mentor zu
 „Sie sind stolz auf                   sein, Wissen weiterzugeben. Sie erfahren, dass ihr Handeln Wirkung
                                       hat, und be­kommen Bestätigung über sichtbare Erfolge. Dominique,
 ihre großen Freunde                   14, erklärt die Wandlung von Amina: „Sie war richtig fies zu Beginn, hat
 und ver­lassen unter                  uns ge­­hau­­en und getreten, wir haben uns kaum getraut, sie anzuspre-
                                       chen. Mittlerweile macht sie das nicht mehr, weil wir sie ständig be­-
den Blicken ihrer                      schäftigen. Und weil sie uns nun gut kennt und uns vertraut.“
Mitschüler­innen und                        Was sich in den USA schon längst durchgesetzt hat und auch in
                                       Österreich häufig angewendet wird, ist in Deutschland noch nicht so
Mitschüler selbst-                     weit verbreitet. Doch es bewegt sich etwas. Es gibt verschiedene Pro-
­bewusst den Raum.“                    jekte mit Lese-Peers, Sprach-Peers, Begleit-Peers oder den buddY e. V.,
                                       der ein ähnliches pädagogisches Konzept verfolgt. Auch die Bildungs-
                                       Bande, ein 2011 von der Zukunftsstiftung Bildung der GLS Treuhand ini­-
                                       tiiertes bundesweites Netzwerk, gehört in Deutschland zu den Vor-
                                       reitern bei der praktischen Umsetzung dieser pädagogischen Richtung.
                                            Entsprechend dem Konzept der BildungBande werden die Schüle-
                                       rinnen und Schüler der Bochumer Gesamtschule ausgewählt und
                                       ge­schult. Ein Jahr lang begleiten sie die Grundschulkinder, am Ende be-
                                       ­kommen sie ein Zertifikat für ihren Lebenslauf in ihrer Bewerbungs-
                                        mappe. Für die Grundschulkinder geht es um individuelle Förderung.
                                        Da­her ist die Gruppenstärke immer ausgeglichen. „Wir hätten das Ver-
                                        hältnis auch auf drei Grundschüler pro Gesamtschüler erhöhen kön-
                                        nen, aber dann würden wir niemandem gerecht“, sagt Aylar Dehestani.
                                        Und dann wäre es wohl kaum möglich, Kinder wie Amina bei ihrer
                                        Ent­wicklung wirklich zu unterstützen.

               Am Vormittag ging es
               ums Rechnen — jetzt
               in der BildungsBande
               um Grundsätzlicheres.

                                                                                                                          BANKSPIEGEL   2/2014   Bildung und Geld
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18   BILDUNG UND GELD                                                                                                                                                                                  19

                 In der interkulturellen Bildungsinitiative Stuttgart
                 (IBIS) kommen Menschen aus unterschiedlichen
                                                                                                                                                     Etwa 70 Prozent der Bewohner
                 sozialen Schichten zusammen. Insbesondere
                                                                                                                                                     hier haben einen Migrations-
                 Kindern aus sogenannten sozialen Brennpunkten
                                                                                                                                                     hintergrund, die Arbeitslosen-
                 wie Stuttgart-Hallschlag soll so der Zugang zu
                                                                                                                                                     quote liegt bei 18,3 Prozent.
                 Bildung erleichtert werden.

                                                                                                  Vor ihren geöffneten Wohnungstüren sitzen zwei ältere Frauen
                                                                                                  in langen Gewändern auf einfachen Plastikstühlen, als die Kinder
                                                                                                  vorbeirennen. Eine von ihnen trägt ein buntes Kopftuch. „Merha-
                                                                                                  ba“, begrüßen sie Frau Kilinc. „Hallo.“ Duygu Kilinc ist eine der bei-
                                                                                                  den Betreuerinnen der Kinder, ausgebildete Waldorfpädagogin,
                                                                                                  Tür­kin, aufgewachsen in Hallschlag. Man kennt sich. Es leben vie-
                                                                                                  le türkische Familien hier. Aber auch griechische, serbische, italie-
                                                                                                  nische. Menschen aus dem Iran, Kosovo, Sudan, insgesamt aus 90
                                                                                                  verschiedenen Nationen. Etwa 70 Prozent der Bewohner von Hall-
                                                                                                  schlag haben einen Migrationshintergrund, die Arbeitslosenquo-
                                                                                                  te liegt bei 18,3 Prozent. Ein Stück weiter oben, den Hügel hinauf,
                                                                                                  werden die Häuserreihen noch enger, die Wände grauer, die Grün-
                 Endlich dürfen sie losrennen. Durch die Siedlung, den Weg am                     flächen schma­ler und die Wege holpriger. Manche der kleinen Vor-
                 Sand­kasten vorbei, um die Ecke in den Hof zwischen zwei grau­-                  gärten und Balkone sind zugemüllt, viele Wohnungen sind verlas-
                 en Mehrfamilienhäusern, die mit den schmalen und niedrigen                       sen. Hallschlag ist multikulti, soziale Benachteiligung, Brennpunkt.
                 Eingangs­türen. Alle paar Meter steht eine Wäschespinne, Kinder-
                 fahrräder liegen im Weg, dazwischen einige Blumenkübel, deren
                 Pflanzen die Köpfe hängen lassen. Die Kinder bemerken das gar
                 nicht. Sie wollen auf den Spielplatz, auf den mit dem großen Klet-
                 tergerüst.

                                                                                      Hallschlag ist multikulti,
                                                                                      soziale Benachteiligung,
                                                                                      Brennpunkt.
                                                                                                                                                                      BANKSPIEGEL   2/2014   Bildung und Geld
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20   BILDUNG UND GELD                                                                                                                                                                                         21
                                                                                Der fehlende Zugang zu Bildungseinrichtungen ist ein häufig
                                                                                anzutreffendes Problem in Deutschland. Im Jahr 2012 waren
                                                                                18,1 Prozent der Ausländer in Deutschland ohne Schulabschluss,
                                                                                31,4 Prozent verfügten über einen Hauptschulabschluss. Dass
                                                                                auch die soziale Herkunft den Bildungserfolg beeinflusst, ist un-
                                                                                bestritten. Laut der aktuellen Sozialerhebung des Deutschen
                                                                                Studentenwerks nehmen von 100 Akademikerkindern 71 ein
                                                                                Hochschulstudium auf. Von 100 Kindern aus nicht akademischen
                                                                                El­ternhäusern studieren dagegen lediglich 24, obwohl doppelt
                                                                                so viele die Hochschulrei­fe erreichen. Kritiker führen das auf das
                                                                                dreigliedrige Schulsystem zurück. Auch wenn formelle Abschlüs-
                                                                                se nicht alles über die Qualität von Bildung aussagen, so ist doch
                                                                                deutlich, dass das derzeitige Bildungssystem Benachteiligun­-
                                                                                gen verstärkt. Ein Problem, dem die IBIS schon im Kindergarten-
                                                                                alter, aber auch während der Schulzeit begegnen möchte. Es gilt
                                                                                das Prinzip: Jeder wird gleich behandelt, jeder wird aufgenom-
                                                                                men. Um das zu gewährleisten, ist die IBIS allerdings auf die Un-
                                                                                terstützung der MAHLE-STIFTUNG angewiesen. Eine öffentliche
                                                                                Regelfinanzierung gibt es bislang nicht, obwohl viele Beispiele
                                                                                zeigen, dass durch eine frühe Förderung deutlich höhere Folge-
                                                                                kosten im sozialen Bereich vermieden werden können.

                                                                                                                Die Kita ist ein Paradies in
        Etwas am Rande und doch mittendrin liegt die IBIS, die interkul-                                        der Siedlungswüste Hallschlag:
        turelle Bildungsinitiative Stuttgart. Hierher kehren die neun
        Kinder, die eben noch durch die Siedlung geflitzt sind, nach einer
                                                                                                                sauber, ordentlich, neu.
        guten Stunde auf dem Spielplatz zurück. Die Kita ist ein Paradies
        in der Siedlungswüste Hallschlag: sauber, ordentlich, neu. Die
        Spielzeuge sind aus Holz oder Stoff statt aus Plastik. Es wird ge-
        sungen, getanzt, gemeinsam gekocht.
            Und die Kita ist nur der erste Schritt. Auf lange Sicht möchte
        die IBIS, ein 2009 gegründeter Verein, Bildungseinrichtungen für
        Kinder und Jugendliche von null bis 20 Jahren schaffen. Auf Grund-
        lage der Waldorfpädagogik, sozialintegrativ und interkulturell,
        von der Krippe bis zum Abitur. Kirsten Stäbler, 48, ist eine der Ver-
        einsgründer und Verfasserin des pädagogischen Konzeptes. „Es
        war klar, dass wir in den Hallschlag gehen mit der Kita“, sagt sie.
        „Hier treffen wir auf die Menschen, die wir erreichen wollen.“
            Der Anspruch wird gelebt. Mehr als die Hälfte der Kinder spricht
        zuhause eine zweite Sprache, viele der Eltern nur gebrochen                                                        „Die Herausforderung wird sein, unsere Idee von Bildungs-
        deutsch. Eylem Elasilmez-Karahan, 32, Deutsch-Türkin, erzählt,                                                     ver­mittlung so zu verankern, dass es auch in der Schule leb- und
        dass sie aufgrund ihres Namens in anderen privaten Einrich-                                                        spürbar wird“, sagt Kirsten Stäbler. Ziel sei eine „sozialintegrative
        tungen Schwierigkeiten hatte, einen Platz für ihr Kind zu bekom-                                                   Schule mit interkultureller Ausbildung“. Dazu gehöre auch, „un­
        men. Ein Segen nicht nur für sie, dass diese Kita direkt um die Ecke                                               be­schulbare“ Jugendliche zu integrieren.
        aufgemacht hat.                                                                                                        In der Kita wird das bereits umgesetzt. Der kleine Said war
                                                                                                                           zunächst in einem anderen Kindergarten — bis es dort nicht mehr
                                                                                                                           weiterging. Said und seine Zwillingsschwester Amina wurden in
                                                                                                                           der 25. Schwangerschaftswoche geboren. Der Junge bekam Hirn-
                                                                                                                           blutungen. Und obwohl er bald drei Jahre alt wird, kann er noch
                                                                                                                           nicht laufen und sprechen. Aber er macht große Fortschritte,
                                                                                                                           seit er in dieser Kita ist. Er hat eine eigene Betreuerin für die drei
„Es war klar, dass wir in                                                                                                  Stunden, die er jeden Tag hier verbringt. Seine Mutter stammt

den Hallschlag gehen mit                                                                                                   aus dem Kosovo. Sie ist Analphabetin und alleinerziehend. Jeden
                                                                                                                           Morgen bekommt sie einen Anruf aus der Kita, damit sie aufsteht
der Kita. Hier treffen wir                                                                                                 und die Kinder bringt. Nach anfänglichen Problemen klappt es

auf die Menschen, die wir                                                                                                  gut. Alle sind zufrieden. Eines Tages wird auch Said mit den ande­
                                                                                                                           r­en Kindern durch die Siedlung rennen — und später die Schule
erreichen wollen.“                                                                                                         der IBIS besuchen.

                                                                                                                                                                        BANKSPIEGEL      2/2014     Bildung und Geld
22    BILDUNG UND GELD                                                                                                                                                                                                                                               23

                                                                                                                                     Wir unterrichten
                                                                    Ist denn der Homo oeconomicus nicht mehr zeitgemäß?
                                                                        ULRIKE JACOB: Mal ehrlich: Den Homo oeconomicus,
                                                                    den ausschließlich wirtschaftlich denkenden Menschen, gibt
                                                                    es doch nicht. Diese Modelle haben nichts mit der Realität

                                                                                                                                     Kinder, nicht Fächer
                                                                    zu tun. Grundsätzlich geht es darum, das ökonomische Den­
                                                                    ken zu öffnen für andere Impulse. Langfristig versprechen
                                                                    wir uns von der Veränderung des ökonomischen Denkens
                                                                    auch eine Veränderung des ökonomischen Handelns.
                                                                        FREYDORF: In der Politik wird seit der Finanz- und der
                                                                    Staatsschuldenkrise viel um den richtigen Kurs gestritten.
                                                                    In der volkswirtschaftlichen Ausbildung gelten aber nach wie
                                                                                                                                     TEXT Raimund Witkop                                                                         Eltern auch die richtige Antwort auf
                                                                    vor die Modelle, die in die Krise geführt haben.                                                              WALDORF
                                                                                                                                                                                                                                 Schwachstellen, die in den PISA-Studien
                                                                                                                                     Wer für sein Kind Alternativen zur staat-    Nach den Ideen von Rudolf Steiner              aufgezeigt wurden.
                                                                    Gibt es Erfolge?                                                 lichen Regelschule sucht, wird zunächst      (1861–1925) arbeiten 232 Schulen in                 Zu den Zeiten der wilhelminischen
                                                                         JACOB: Das ist von Hochschule zu Hochschule sehr            einiges an Recherchearbeit auf sich neh-     Deutschland, durchweg als Gesamt-              Drillanstalten, als die reformerische Ge­-
                                                                    un­terschiedlich. Wir versuchen, die plurale Ökonomik zu in-     men müssen. Die drei annähernd flä-          schulen. Sie bieten spezielle Lernfor-         genbewegung entstand, aber auch noch
                                                                    ­stitutionalisieren, indem die Studierenden selbst Seminare      chendeckend vertretenen Gruppen — die        mate wie Epochenunterricht, eigen-             in den strengen Nachkriegsjahrzehnten,

Gnadenlos
                                                                     organisieren und sich dafür im Idealfall Studienleistungen      232 Waldorf- und ca. 400 Montessori-         stän­dige Projektarbeiten oder die Eu­-        waren Freie Schulen ein radi­kaler Gegen-
                                                                     anrechnen lassen können.                                        schulen sowie die knapp 100 Mitglieder       rythmie als künstlerische Bewegungs-           entwurf zum staatlichen Bildungssys-
                                                                         FREYDORF: Es geht vor allem darum, Alternativen auf­-       des Verbands der Freien Alternativschu-      schulung an. Waldorfschulen legen              tem. Das hat sich geändert; Auch staat-
                                                                     zu­zeigen und nicht nur auswendig zu lernen und vorgefer-       len — werben mit ausgefeilten Philoso-       besonderen Wert auf künstlerische und          liche Grundschulen verzichten zu­neh­-

einseitig
                                                                     tigte Klausuren zu schreiben. In Erfurt hat eine Gruppe einen   phien und lange erprobten Konzepten          praktische Ausbildung und erwarten             ­mend — nach dem Vorbild von Alterna-
                                                                     alter­nativen Reader zur Mikroökonomik für die Studieren-       um Schülerinnen und Schüler. Die Mühe        viel Engagement von den Eltern.                 tivschulen — auf Noten und festgeleg­ten
                                                                     den er­stellt. Gibt es das einmal, wird es für andere Gruppen   lohnt sich allerdings, denn Ideen und Pra-   waldorfschule.de
                                                                                                                                                                                                                                  Unterricht streng nach Lehrplan. Zudem
                                                                     einfacher. Wir wollen aber vor allem an die Lehrpläne ran.      xis alternativer Pädagogik haben sich gut                                                    haben neuere Gesamt- und Gemein-
                                                                         JACOB: Wir suchen das Gespräch mit aktiven Professo-        bewährt.                                                                                     schaftsschulen inzwischen be­     währte
                                                                     ren und Dozenten, um Einfluss auf die Inhalte zu bekommen                                                    schaftsschule in Berlin — ein Prinzip, auf      Ideen von alternativen Schultypen adap-
                                                                     und die Professoren zu inspirieren.                                                                          das sich alle Vertreter alternativer Päda-      tiert, während staatliche Gymnasien in
                                                                                                                                     MONTESSORI                                   gogik einigen können.
Ulrike Jacob, 27, Soziologie- und Psycho-                                                                                                                                                                                         der Regel noch traditionell arbeiten.
                                                                                                                                                                                      Im Kern geht es um selbstbestimm-
                                                                    Ihr Anliegen wurde von vielen Medien prominent aufge-            Die italienischen Ärztin Maria Montes-
logiestudentin, und Christoph Freydorf,                                                                                                                                           tes Lernen, bei dem Kinder — aufmerk-
                                                                    griffen, von Handelsblatt bis SPIEGEL ONLINE. Was                sori (1870–1952) hatte in Rom große
32, Doktorand der Finanzwissenschaft                                bedeutet das für Ihre Arbeit und Ihr Selbstverständnis?          Erfolge mit Materialien z. B. für das be­-   sam begleitet von Pädagoginnen und
                                                                                                                                                                                                                                 ANDERE
                                                                                                                                                                                  Pädagogen — Tempo, Ausrichtung und
und Finanzsoziologie, sind aktive Mit-                                   FREYDORF: Pluralismus in der ökonomischen Bildung           greifende Lernen von Zahlenräumen,
                                                                                                                                                                                  Inhalte ihrer Erkundung der Welt selbst        Weitere Schulen haben regionale oder
                                                                    ist ja recht abstrakt und fachbezogen. Zudem kann man nicht      die sie zuerst für Kinder mit Behinde-
glieder im Netzwerk Plurale Ökonomik,                                                                                                                                             festlegen. Klassischer Frontalunterricht       auch soziale Schwerpunkte, etwa die
                                                                    mit Fotos süßer Robbenbabys um Unterstützung werben.             rungen entwickelte hatte. Montessori-
einem Zusammenschluss studentischer                                 Deshalb war die Problematik zunächst wenig bekannt und           schulen — in Deutschland rund 300            im Klassenverband weicht immer wie-            Je­naplanschulen, die Landerziehungs-
                                                                                                                                                                                  der individuellen und gemeinschaftli-          heime und die Laborschulen. Einen re­-
Hochschulgruppen, die sich für mehr                                 eher uninteressant — bis zur Finanzkrise. Jetzt sind wir im      Grundschulen und 100 weiterführende
                                                                                                                                                                                  chen Lernprojekten, die Verantwortlich-        gelrechten Boom erlebten Freie Schu-
                                                                    Aufwind, werden ernster genommen. Es geht voran.                 Schulen — werden von Eltern immer
Vielfalt in der ökonomischen Lehre ein-                                                                                                                                           keit fordern und zugleich Geborgenheit         len nach der Wiedervereinigung im
                                                                                                                                     wieder mit der Motivation gewählt,
setzen. Das Netzwerk hat eine viel be-                                                                                               dass ihr Kind für seine Entwicklung die      bieten. Ein weiterer Schlüsselbegriff der      Os­ten der Republik, davon sind über
                                                                    Es gibt schon länger die Forderung nach ökonomischer                                                          alternativen Schulformen, nämlich die          100 Schulen in Trägerschaft der evan-
achtete Diskussion über die wirtschaft­                             Bildung an Schulen. Dort wächst der Einfluss von außen-          Zeit bekommt, die es braucht. Etwa ein
                                                                                                                                                                                  „partizipative Pädagogik“, bezieht sich        gelischen Kirche. Immer öfter gibt es
                                                                                                                                     Drittel der Einrichtungen sind staat-
liche Lehre und die gelehrten Systeme                               stehenden Institutionen, Großunternehmen und Ver­                                                             auf diesen selbstbestimmten Anteil, der        frei entwickelte Schulkonzepte mit
                                                                                                                                     liche Schulen mit Montessorizweig.
                                                                    bänden auf den Lehrstoff zunehmend. Glauben Sie, dass
entfacht. Auf der Jubiläumsveranstal-                                                                                                montessori-deutschland.de
                                                                                                                                                                                  auf eine natürliche, kindliche Lernlust        einzelnen Elementen aus der Waldorf-,
                                                                    Ihre Forderungen auch an Schulen umsetzbar wären?                                                             setzt. Inklusion, für das öffentliche Schul-   der Montessori- und der Alternativpä-
tung der GLS Bank hielten Jacob, Frey-                                  JACOB: Der Gedanke des Pluralismus in der wirtschaft­                                                     system eine Herausforderung, ist hier oft      dagogik.
dorf und zwei weitere Mitglieder einen                              lichen Ausbildung ist ebenso auf die schulische Lehre über-      Zunächst fällt auf, dass es keinen wirk-     selbstverständlich, und das Leistungsni-       evangelische-schulen-in-deutschland.de
                                                                    tragbar, klar. Beispielsweise forscht Prof. Silja Graupe, auch   lich passenden Oberbegriff gibt. Zwar
Vortrag zu diesem Thema.                                                                                                                                                          veau der Freien Schulen gibt für viele         privatschulen.de
                                                                    eine Unterstützerin des Netzwerks, viel zu ökonomischer          wird immer wieder das Schlagwort
                                                                    Bildung und kritisiert die schon früh beginnende einseitige      „Reformschule“ verwendet, was auf die
Frau Jacob, Herr Freydorf, Sie sind unzufrieden mit den             Ausrichtung.                                                     Wurzeln in den lebensreformerischen          ALTERNATIVSCHULEN                              Eltern, die mit alternativer Pädagogik
Wirtschaftswissenschaften. Warum?                                       FREYDORF: In der Schule ist es allerdings schwerer,          Bewegungen nach 1900 verweist. Dies                                                         sympathisieren, sollten also nicht nur
                                                                                                                                                                                  Die rund 100 in einem Verband organi-
     CHRISTOPH FREYDORF: Seit der Finanzkrise gibt es viele         eine Mitgestaltung der Schüler einzufordern. Und den Leh-        passt aber weder richtig auf die Freien                                                     privat geführte Schulen prüfen. Dafür
                                                                                                                                                                                  sierten Freien und Alternativschulen
unzufriedene Studierende an den Hochschulen in Deutsch-             rern wird es einfach gemacht, sich strikt an vorgefertigte       Schulen antiautoritärer Prägung, noch                                                       zwei Beispiele aus Hamburg: Das Selbst-
                                                                                                                                                                                  wurden meist von Eltern gegründet,
land, die der einseitigen ökonomischen Lehre etwas entge­           Lehrpläne und didaktisch gut aufbereitetes Informations-         bezeichnen sich die Waldorfschulen so.                                                      porträt der staatlichen Max-Brauer-
gen­setzen wollen. Es wird fast ausschließlich nach einheit­        material von Interessengruppen zu halten. Was kennt man              Wichtiger als die Unterschiede, die      zu­nächst inspiriert von der antiautori-       Schule in Altona mit 1 300 Schülern kön­
lichen Paradigmen gelehrt: Neoklassik, Gleichgewichts­theo­rie,     denn aus der Schule? In der Grundschule kommt ein Spar-          auf die besonderen pädagogischen             tären Bewegung der 1960er-Jahre. Sie           nte in großen Teilen auch eine Alter-
Homo oeconomicus und so weiter. Den Studierenden wird               kassenvertreter und erzählt, dass ein Sparbuch eine gute         Ansätze der Gründerpersönlichkeiten          überlassen den Kindern — wie das Vor-          nativschule beschreiben. Und im Stadt-
der Eindruck vermittelt, dass nur das richtig ist und Bestand       Sache sei, später wird das Planspiel Börse gemacht. Das ist      Rudolf Steiner (Waldorf) und Maria Mon-      bild Summerhill — große Freiräume,             teil Wilhelmsburg eröffnete zum Schul-
haben wird, was aktuell gelehrt wird. Die vielfältige Geschichte,   gnadenlos einseitig. Deswegen wäre es in der Schule fast         tessori zurückgehen, sind die Gemein-        teilweise ohne Vorgaben für die Lernin­        jahr 2014/15 die erste staatlich getra-
                                                                                                                                                                                  halte. Auch Freie Schulen setzen in gro-
die verschiedenen Methoden und konkurrierenden Theo­-               noch wichtiger, die Vielfalt zu fördern.                         samkeiten. „Wir unterrichten Kinder,                                                        gene Waldorfschule — eine Frucht der
                                                                                                                                                                                  ßem Maße auf die Mitarbeit der Eltern.
ri­en werden nicht aufgezeigt. Und sich eine eigene Meinung                                                                          nicht Fächer“, sagt Jens Großpietsch, Lei-                                                  gegenseitigen Neugier von Grundschul-
zu bilden, ist erst recht nicht gefragt.                            plurale-oekonomik.de                                             ter der Heinrich-von-Stephan-Gemein-         freie-alternativschulen.de                     pädagogen verschiedener Richtungen.

                                                                                                                                                                                                                                 BANKSPIEGEL     2/2014   Bildung und Geld
24    BLICKWINKEL                                                                                                                                                                                                          25

Was hat Bildung mit
Geld zu tun?
Wir fragen — Experten antworten.

                                                                                                          Die Logik hinter dem Modell ist ein-
BILDUNG: GESCHENKT!                                        FREI STUDIEREN, FREI FINANZIEREN                                                           ÖFFENTLICHE BILDUNGSRÄUME?!
                                                                                                          fach: Durch gute Bildung erreichen
                                                                                                                                                      „Öffentliche Erziehung scheint mir ganz außerhalb der Schranken
Bildung braucht Geld. Doch nach ihrem Preis zu fra-        Ein Studium kostet Geld, ob für Bücher,        Men­schen oft mehr. Ein Teil des Mehr-      zu liegen, in welchen der Staat seine Wirksamkeit entfalten muss.“
gen, ist sinnlos. Preise beruhen auf gegenwärtigen Be-     Menschen oder Geräte. Über die Frage,          werts fließt zurück in das Modell,          WILHELM VON HUMBOLDT
dürfnissen und vergangenen Erfahrungen. Doch Bil-          wer die Kosten tragen soll, entbrennt          damit weitere Generationen davon
dung ist auf Zukunft bezogen. Sie öffnet Menschen Frei-    oft Streit. Und so komplex die Debatte         profitieren können.                         Es war Wilhelm von Humboldt, der als erster deutlich
räume, jemand anderes zu werden und Welt neu zu            inhaltlich auch ist, es haben sich zwei             Was mit ihren Beiträgen passiert,      zu machen versuchte, dass Bildung als öffentliche Auf-
gestalten. Ein quantitatives Maß, über das in der Ge-      unversöhnliche Lager gebildet: pro und         können Studierende als ein Gesell-          gabe zu verstehen ist — nicht jedoch als staatliche. Für
genwart bereits bestimmt und entschieden wäre,             contra Studiengebühren. Zwischen den           schafter ihrer Universität mitentschei-     ihn war Bildung nicht eine Veranstaltung für das Volk,
kann es für sie nicht geben, oder es bleibt — wie etwa     beiden Polen scheint eine öde Wüste            den. So tragen sie dazu bei, dass ihre      um Staatsbürger zu erziehen, sondern das eigentliche
im Falle der PISA-Studien — rein willkürliche Setzung.     zu liegen. Ein frucht­barer Streit versandet   Universität auch für kommende Gene-         Initiativ- und Selbstbesinnungsfeld der Gesellschaft.
     Bildung entzieht sich also der Logik des Kaufens      meist. Dabei gibt es Alternativen, die         rationen ein fruchtbarer Boden bleibt.      Deshalb wollte er die durch ihn begründete Universität
und Tauschens. Doch auch das Leihen wird ihr nicht         weit mehr sind als eine Fata Morgana.               Aus diesem Blickwinkel hat das         in Berlin auch in „pekuniärer Hinsicht“, das heißt finan­-
gerecht. Zwar verschafft dieses uns tatsächlich Geld,      An der Universität Witten/Herdecke             Mo­dell aus Witten vielleicht das Poten-    ziell, der unmittelbaren Verantwortung der Bürger über-
ohne unmittelbar eine Gegenleistung zu verlangen,          gibt es so ein alternatives Modell. In ei­-    zial, mehr zu sein als eine Oase im Ruhr-   geben. Selbstverständlich — und das sah Humboldt
doch haben wir später „in gleicher Münze“ zurückzu-        nem gemeinnützigen Verein von Studie­          ­g e­b iet. Denn schon John F. Kennedy      sehr klar — ist diese mündige und freiheitliche Bildungs-
zahlen. Damit aber wird das Geld zum heimlichen            renden für Studieren­de wird der Um-            wusste: Es gibt nur eins, was auf Dauer    ­orientierung nur möglich, wenn wir zunehmend auch
Maßstab und Horizont auch aller Entwicklung. Gleich        gekehrte Generationenvertrag (UGV)              teurer ist als Bildung — keine Bildung.     wirtschaftlich solidarisch, also in gesamtgesellschaft­
welcher Bildungsprozess: An seinem Ende müssen             um­gesetzt.                                                                                 lichen Zusammenhängen, zu denken beginnen.
Mensch und/oder Welt zu Waren werden, die das er-               Der UGV sichert Freiheiten, die sich      NIKLAS BECKER                                   Wo durch freie Zusammenschlüsse gesellschaftliche
­forderliche Mehr an Geld erbringen. Von der prinzi­       andere Hochschulen meist nicht leisten         ist Student der
                                                                                                                                                       Bereiche aus bloß privater oder wirtschaftlicher Nut­-
                                                                                                          Philosophie,
 piellen Offenheit der Bildung bleibt so kaum mehr als     können. Bei der Bewerbung um einem             Politik und Öko­                             z­ung gelöst und für Bildungsprozesse geöffnet werden,
 das Risiko des Scheiterns. Diese verhängnisvolle Ver-     Studienplatz zählt die Persönlichkeit,         nomik sowie Vor-
                                                                                                                                                       können lebensvoll-öffentliche Bildungsräume entste­
                                                                                                          standsmitglied
 kürzung unseres Bildungsverständnisses durchbricht        nicht die Solvenz. Ein Studium ist durch                                                    h­en. So wird eine wirkliche Chancengleichheit ermög-
                                                                                                          der Studierenden
 allein das Schenken. Ohne ein Äquivalent in der Ge­-      den UGV in Re­gelstudienzeit studier-          Gesellschaft Wit-                            licht — sind doch sogenannte „bildungsferne Schichten“
 gen­wart zu fordern, ermöglicht es zugleich eine schöp-   bar. Studierende leisten jedoch oft mehr       ten/Herdecke e. V.
                                                                                                                                                       kein Naturereignis, sondern die Folge unseres zentrali-
 f­erische Zukunft. Wer Bildung schenkt, eröffnet Frei-    als in der Regel­studienzeit möglich und                                                    sierten Bildungssystems, das mit seinen Selektions-
räume, in denen Gemeinschaften Persönlichkeitsent-         mit Geld be­zahlbar wäre: in unzähligen                                                     mechanismen individuelle Entwicklungswege unter-
wicklung und Weltgestaltung bis tief hinein in die         sozialen Projekten, in Start-ups, bei der                                                   bindet. Nicht durch abfragbares Wissen, das im Hin­blick
 Ebene der eigenen Maßstäbe verbinden und realisieren      Mitgestaltung ihrer Universität. Eine                                                      auf Musterlösungen zentraler Prüfungen auswendig
können. Wirklicher Kulturwandel — auch der Geld-           fre­ie Ausformung des Studiums also, denn                                                  gelernt wird, sondern durch die Vielfalt individueller
wirtschaft — kann nur so gelingen.                         Bildung braucht Zeit.                                                                       Fähigkeiten und das Verantwortungsbewusstsein Ein-
                                                                Der UGV ist dabei kein Bankdarle-                                                      zelner entwickelt sich eine mündige Gesellschaft.
SILJA GRAUPE                                               hen. So können sich Alumni nach ihrem                                                          Konrad Schily fordert in seinem Buch „Der staatlich
ist Professorin
                                                           Studi­um um ihre Berufung kümmern                                                           bewirtschaftete Geist“ in diesem Sinne den Rückzug
für Philosophie
und Ökonomie                                               und müssen sich nicht einen Beruf su­-                                                      des Staates aus der Verwaltung der Bildung. „Das wird
sowie Mitglied                                             chen, der eine monatliche Rate für die                                                      die Menschen ermutigen, die für das Land, für die Men-
des designierten
Präsidiums der
                                                           Rückzahlung eines Kredits sichert.                                                          schen etwas bewegen wollen.“
Cusanus Hoch-
schule in Grün-
dung.                                                                                                                                                 CLARA
                                                                                                                                                      STEINKELLNER,
                                                                                                                                                      freiebildungs
                                                                                                                                                      stiftung.de

                                                                                                                                                                                       BANKSPIEGEL    2/2014   Bildung und Geld
26   STANDPUNKT                                                                                                                                                                                                     NETZWERK     27

Freie                                                                                                  Ausbildung und
                                       Dabei geht es sowohl um ein breites Allgemeinwissen als
                                       auch um kognitive, motorische und soziale Fähigkeiten. In­-
                                       halt­lich sind der aktuelle Stand der wissenschaftlichen Er­-
                                       kenntnisse zu vermitteln, die Verfahrensweisen und Systeme

Bildung                                                                                                Forschung für ein
                                       der Arbeitswelt sowie die wesentlichen gesellschaft­lichen
                                       Fragestellungen. Gleichzeitig muss Bildung aber unabhängig
                                       von jeglichen politischen, wirtschaftlichen oder religiösen
                                       Interessen bleiben, ja sogar zu einem kritischen Umgang

für alle                                                                                               werteorientiertes
                                       mit ihnen befähigen, um ihre Weiterentwicklung bzw. Inno-
                                       vations- und Zukunftsfähigkeit sicherzustellen.
                                           Insbesondere Schulen und Hochschulen in freier, nicht
                                       staatlicher Trägerschaft haben in den vergangenen Jahr-

                                                                                                       Bankwesen
                                       zehnten wertvolle Beiträge in diese Richtung geleistet. Sie
                                       haben ihre Freiheit dazu genutzt, attraktive pädagogische
                                       Konzepte zu entwickeln, die sich im Qualitätswettbewerb
                                       behaupten können. Einiges wurde mittlerweile von Schulen
                                       in staat­licher Trägerschaft übernommen. Außerdem ist
Freiheit ist erlebbar, insofern es     die Elternschaft auch durch das finanzielle Engagement in­-
                                                                                                       TEXT Dr. Claudia Langen

gelingt, seinen eigenen Idealen,       tensiver in die Schulentwicklung miteinbezogen. Gegen den
                                       allgemeinen Trend ge­wannen die Schulen in freier Träger-
Werten und Ideen zu folgen. Dabei      schaft darum in den letzten Jahren weiter an Schülerinnen

werden auch Bezüge des Einzel-         und Schülern und bauten ihre Angebote aus.
                                           Für eine nachhaltige gesellschaftliche Weiterentwicklung
                                                                                                       Als ein kleiner Kreis engagierter Praktiker aus      Ökonomische Bildung jenseits des Mainstreams
                                                                                                                                                                                                                  Das Institute for
                                                                                                       dem Umfeld der GLS Bank und befreundeter             Seitdem steht das ISB für ökonomische Bildung
nen zur Gesellschaft deutlich: Die     ist allerdings auch ein gleichberechtigter Zugang zur Bil-      europäischer Finanzinstitute vor rund zehn Jah-      besonderer Art: Es gibt vielfältige Weiterbildungs-
                                                                                                                                                                                                                  Social Banking e. V.
                                                                                                                                                                                                                  (ISB) setzt sich mit
individuelle Freiheit ist eine         dung notwendig. Schulen in freier Trägerschaft müssen sich
                                       darum dem nicht von der Hand zu weisenden Vorwurf
                                                                                                       ren das Konzept für ein — so der Arbeitstitel —      und Trainingsangebote, die auf die speziellen         Bildungsangeboten
                                                                                                       „Institute for Worldwide Human Banking“ ent-         Anforderungen an eine Tätigkeit in einer werte-       und Forschungspro­
Voraussetzung für die gesellschaft­    stellen, die Schülerschaft zu spalten: Kinder aus engagierten   warf, sprach noch kaum jemand von einer Fi­nanz-     basierten, sozial verantwortlichen Bank zuge-         jekten besonderer
                                                                                                                                                                                                                  Art für ein sozial
­liche Entwicklung — in kultureller,   Bildungselternhäusern besuchen verstärkt Freie Schulen,
                                       andere eher staatliche Schulen. Die Frage stellt sich somit,
                                                                                                       krise und somit über Alternativen zum gängi-         schnitten sind. Dazu gehören auch Studienange-
                                                                                                                                                                                                                  verantwortliches
                                                                                                       gen Bankwesen. Die Aktionsfelder waren aber          bote und Forschungsprojekte an Hochschulen,
 wirtschaftlicher und politischer      wie die Vorteile der Freien Schulen mit den Vorteilen einer     bereits klar: Das im Jahr 2006 in Bochum ge-         wie z. B. ein berufsbegleitender Masterstudien­
                                                                                                                                                                                                                  Geld- und Finanz-
                                                                                                                                                                                                                  wesen ein. Die GLS
 Hinsicht. Die gesellschaftliche       100-prozentigen staatlichen Finanzierung kombiniert wer-
                                       den können. Dafür brauchen wir ein Schulfreiheitsgesetz,
                                                                                                       grün­­dete Institute for Social Banking (ISB)        gang an der englischen Plymouth University und        Bank gehört zu den
                                                                                                                                                                                                                  Gründungsmitglie-
                                                                                                       wollte und will                                      ein Zertifikatskurs (Certificate in Socially Res­-
 Aufgabe von Bildung ist es daher,     das den Schulen eine viel stärkere pädagogische, personelle
                                                                                                                                                            ponsible Finance) in Kooperation mit der Alanus
                                                                                                                                                                                                                  dern des gemein-
                                                                                                                                                                                                                  nützigen Vereins.
 die Ichentwicklung des Einzelnen      und finanzielle Eigenständigkeit ermöglicht, so dass jede
                                       Schule ein eigenes Profil entwickeln kann und insofern eine
                                                                                                       1                                                    Hochschule in Alfter bei Bonn.
                                                                                                       den Bedarf an spezifischen Bildungsangeboten für
 genauso zu fördern wie seine          freie Schule wird. Voraussetzung dafür ist, dass der Staat      die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter alternati­ver   Bildungsangebote für Laien und Experten
 Sozialisationsfähigkeit.              direkt oder indirekt etwa über Bildungsgutscheine (siehe
                                       Klartext, S. 45) die volle Finanzierung übernimmt, wobei die
                                                                                                       Finanzinstitute, ihren potenziellen Nachwuchs und    Mit der International Summer School, die 2014
                                                                                                       Interessierte aus ihrem Umfeld aufgreifen sowie      zum siebten Mal — diesmal in Kooperation mit
                                       Gesamtausgaben nicht höher sein müssen als bisher. Die          dazu konkrete Seminar- und Studienangebote           der französischen Mitgliedsbank La Nef in Lyon
                                       pädagogische Freiheit und Selbstverwaltung bedarf natür-        entwickeln                                           — stattgefunden hat, bietet das Institute for
                                       lich gesetzlicher Rahmenbedingungen und Grundstandards.
                                                                                                                                                            Social Banking einmal jährlich allen Interessier-
                                       Beispielsweise sollten Schulen einen bestimmten Anteil          2                                                    ten die Möglichkeit, sich intensiv mit Fragen zu
                                       der Schülerinnen und Schüler aus dem lokalen Umfeld oder        Forschungsarbeiten zur Theorie und Praxis eines      ei­nem sozial verantwortlichen Bank- und Finanz-
                                       auch mit besonderem Förderbedarf aufnehmen müssen.              sozial-ökologischen Geld- und Finanzwesens an­-      wesen zu beschäftigen, gemeinsam mit fach-            DR. CLAUDIA
                                           Eine vergleichbare Entwicklung ist ebenso im Hoch-          stoßen und begleiten                                 kompetenten Referenten und Teilnehmern aus            LANGEN
                                       schulbereich notwendig. Mit dem Hochschulfreiheitsgesetz                                                                                                                   Vorstandsmitglied
                                                                                                                                                            verschiedenen Ländern. Im nächsten Sommer wer­-
                                       wurde 2006 in Nordrhein-Westfalen ein erster sinnvoller                                                                                                                    des Institute for
                                                                                                       3                                                    den die GLS Bank und die Akademie Deutscher
                                       Schritt in diese Richtung getan. Wie schwer sich der Staat                                                                                                                 Social Banking e. V.
                                                                                                       und darüber hinaus den öffentlichen Diskurs zu       Genossenschaften Mitveranstalter der Summer
                                       allerdings mit wirklich freien Bildungsangeboten tut, zeigt     Fra­gen eines sozial und ökologisch verantwor­       School sein, die vom 5. bis 10. Juli 2015 in Mon-
                                       die aktuelle Entwicklung in Nordrhein-Westfalen: Mit ei­­       tungs­bewussten Bank- und Finanzwesens fördern.      tabaur unter dem Titel „We cooperate!“ statt­-­
                                       nem Hochschulzukunftsgesetz sollen Teile dieser Freiheit
                                                                                                                                                            fin­d en wird. Mehr Informationen dazu sind ab
                                       beschnitten werden, obwohl das Hochschulfreiheitsgesetz
                                                                                                                                                            Jan­uar auf der ISB-Website zu finden.
                                       in qualitativer Hinsicht nur positive Entwicklungen zeigt.
                                       Die Erkenntnis, dass ein Hochschulfreiheitsgesetz — insofern
                                                                                                                                                            Netzwerk und Plattform
                                       es seinem Namen gerecht wird — schon das allerbeste
                                                                                                                                                            Als Mitgliederverein ist das Institute for Social
                                       Zukunfts­gesetz ist, muss sich offensichtlich erst langsam
                                                                                                                                                            Banking auch ein Netzwerk engagierter Personen
                                       durchsetzen.
                                                                                                                                                            und Unternehmen, die auf Veränderungen im Geld-
                                                                                                                                                            und Finanzwesen hinwirken wollen. Jeder, der
                                       THOMAS JORBERG
                                       ist Vorstandsspre-
                                                                                                                                                            dieses Forum nutzen möchte, um sich zu informie­
                                       cher der GLS Bank                                                                                                    ren oder zu beteiligen, ist herzlich eingeladen!
                                       und u. a. Mitglied
                                                                                                                                                            social-banking.org
                                       im Hochschulrat der
                                       Ruhr-Universität
                                       Bochum.

                                                                                                                                                                                            BANKSPIEGEL    2/2014   Bildung und Geld
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