Betrieblicher Strukturwandel und Elektromobilität - Heinz Pfäfflin Willi Ruppert Handlungsbedarfe für Betriebsräte in der Zulieferindustrie
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Heinz Pfäfflin Willi Ruppert Betrieblicher Strukturwandel und Elektromobilität Handlungsbedarfe für Betriebsräte in der Zulieferindustrie Heft 1/2016
ISSN 1611-8391 ISBN 978-3-934859-56-2 Betrieblicher Strukturwandel und Elektromobilität Informationsdienst des IMU Instituts – Heft 1/2016 Bearbeitung: Heinz Pfäfflin Willi Ruppert Auftraggeber: Hans-Böckler-Stiftung Forschungsförderung Dr. Marc Schietinger Hans-Böckler-Straße 39 D-40476 Düsseldorf Herausgeber: IMU Institut GmbH Hasenbergstraße 49 D-70176 Stuttgart Tel.: 0711 / 23 70 5-0 Fax: 0711 / 23 70 5-11 Email: imu-stuttgart@imu-institut.de Endbericht zum Forschungsprojekt S-2012-603-1 der Hans-Böckler-Stiftung: „Betrieblicher Strukturwandel als Handlungsfeld der Interessenvertretung am Beispiel von KFZ-Zulieferern in der Metropolregion Nürnberg und des Strukturwandels zu Elektromobilität“ Nürnberg, Oktober 2015 2016 by IMU Institut GmbH Alle Rechte vorbehalten
IMU Inhalt 1. DAS VORHABEN, SEINE SCHWERPUNKTE UND ZIELE 1 1.1 Gesellschaftlicher Kontext des Vorhabens 1 1.2 Ziele und Fragestellungen 3 1.3 Arbeitsprogramm und Vorgehen 6 2. QUALITATIVE UND QUANTITATIVE VERÄNDERUNGEN IN DER AUTOMOBILPRODUKTION 7 2.1 Internationalisierung der deutschen OEM und Folgen für die Zulieferer 8 2.2 Elektromobilität in kleinen Häppchen: der lange Weg 14 2.2 Folgerungen für die deutschen Zulieferer 21 3. ZULIEFERER UND ELEKTROMOBILITÄT 24 3.1 Innovation im Fahrzeugbau 24 3.2 Innovationsfähigkeit gefährdet – auch durch die OEM 29 3.3 Management von Ambidextrien und Ressourcenfragen 31 3.4 Ergebnisse aus den Betriebsinterviews 34 3.5 Zusammenfassung: Chancen und Risiken nah beieinander 38 4. STRUKTURWANDEL UND BETRIEBSRATSHANDELN 39 4.1 Typisierung von Betriebsräten 39 4.2 Schwerpunkte in den Betrieben 42 4.3 Risiko-Analyse Elektromobilität 43 4.4 Handlungsempfehlungen 48 4.5 Veranstaltungsreihe ‚E-Drive-Akademie für Betriebsräte‘ 50 5. BEDEUTUNG DES AUTOMOTIVE-SEKTORS IN DER METROPOLREGION NÜRNBERG UND FOLGERUNGEN 55 5.1 Bedeutung des Automotive-Sektors in der Metropolregion 55 5.2 Industriepolitische Flankierung 59 Literatur 62 Anhang 71 I
IMU Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Deutsche KFZ-Zulieferer unter mehrfachem Druck 7 Abbildung 2: Die Entwicklung des weltweiten Fahrzeugbedarfes von 2002 bis 2018 8 Abbildung 3: Regionale Verteilung der Herstellung und des Verkaufs der Fahrzeuge deutscher Automobilunternehmen im Vergleich 2008 und 2012 10 Abbildung 4: Anteil der Automobilzulieferer mit Produktionskapazitäten in der jeweiligen Region in Prozent 2011 11 Abbildung 5: Vier Typen von Abhängigkeiten zwischen OEM und Zulieferern 13 Abbildung 6: Unterschiedliche Reife der laufenden Projekte je nach Hersteller oder Aktivitätsgrad unterschiedlicher OEM bei alternativen Antrieben 14 Abbildung 7: Strategische Ausrichtung von OEM im Übergang in die Elektro- mobilität 16 Abbildung 8: Typisierung der Elektrifizierungsgrade bei alternativen Antrieben 17 Abbildung 9: Vergleich der Antriebsstrategien von OEM in Deutschland 18 Abbildung 10: Elektrifizierung nach Maß am Beispiel Continental 19 Abbildung 11: Hybrid-Air-Technik von Bosch und PSA 20 Abbildung 12: Innovationsfelder zum Umbau der ‚Automobilitätsmaschine’ 21 Abbildung 13: Erwarteter Personalabbau in der westeuropäischen Zulieferindustrie 22 Abbildung 14: Innovatorenquote und Innovationsintensität 2013 24 Abbildung 15: Befassung der befragten Zulieferer mit dem Thema alternative Antriebe 27 Abbildung 16: Innovationsaktivitäten der Zulieferer in Richtung alternative Antriebe 28 Abbildung 17: Anteil der Zulieferer mit Aktivitäten zur Erschließung neuer Kunden außerhalb der Automobilindustrie 28 Abbildung 18: Analysefelder der Zulieferer 29 Abbildung 19: Veränderungen in den Kundenbeziehungen 30 Abbildung 20: Prognose über den Durchbruch der Brennstofftechnologie 33 Abbildung 21: Betriebsräte und Innovation 40 Abbildung 22: Verbreitung der BR-Typen nach Themenfeldern 41 Abbildung 23: Veränderungen bei der Elektrifizierung des Antriebs 43 Abbildung 24: Typisiertes Produktspektrum eines Mittelständlers 45 Abbildung 25: Risiko-Analyse Elektromobilität für Zulieferer-Betriebsräte 46 Abbildung 26: Fördernde und hemmende Faktoren bei BR-Partizipation 48 Abbildung 27: Modus arbeitsorientierter Innovationsprozesse 49 Abbildung 28: Personalbedarf der unterschiedlichen Antriebsarten 2010 – 2030 51 II
IMU Abbildung 29: These zu neuer Phase der Globalisierung und ihre Auswirkungen 52 Abbildung 30: Einsparungspotentiale der verschiedenen Antriebe 53 Abbildung 31: Automotive-Cluster Region Stuttgart 57 Abbildung 32: Regionale Verteilung der Beschäftigten der Zulieferbetriebe aus dem Metall- und Elektrobereich in der Metropolregion Nürnberg 2014 58 Abbildung 33: Regionale Automotive-Koordinations- und Forschungsinstitutionen 60 III
IMU 1. Das Vorhaben, seine Schwerpunkte und Ziele 1.1 Gesellschaftlicher Kontext des Vorhabens Der Wandel hin zur Elektromobilität stellt die gesamte Automobilindustrie und ihre Zulieferer vor enorme Herausforderungen. Durch die Elektrifizierung des Antriebs- strangs werden Wertschöpfungsanteile neu verteilt – sowohl zwischen entfallenden und neuen Komponenten als auch zwischen unterschiedlichen Akteuren. Das kann zu Strukturverschiebungen zwischen Unternehmen und Branchen führen (z.B. zwischen Metall und Kunststoff). In diesem Zusammenhang werden sich auch neue Anforde- rungen an Ausbildung und Qualifizierung herausbilden. Elektromobilität eröffnet Un- ternehmen (und Regionen) somit nicht nur Chancen, sondern stellt diese auch vor Herausforderungen. Die Besonderheit für etablierte Akteure mit traditionellen auto- mobilen Kompetenzen liegt in der Wahrung ihrer bisherigen Stärken bei gleichzeiti- gem Kompetenzaufbau in neuen Feldern. Dem „Management des Wandels“ kommt damit eine besondere Bedeutung zu – und es stellt sich die Frage, wie die Träger der betrieblichen Mitbestimmung hier eingreifen können. Eine wichtige Funktion dieses Vorhabens war und ist in diesem Zusammenhang die Erweiterung der Wissensbasis der gesellschaftlichen Akteure, insbesondere der Träger der Mitbestimmung. Die gesellschaftliche Relevanz des Forschungsvorhabens ergab sich aus der Verbindung von Fragen der nötigen Kompetenzen des Technologiewan- dels und möglicher Wirkungen, zum Beispiel in Bezug auf die Beschäftigung mit Fra- gen betrieblicher und regionaler Möglichkeiten zur Gestaltung des Strukturwandels. Dieses Umsteuern auf andere Produkte, d.h. die Produktkonversion, ist als Herausfor- derung für die betriebliche Innovationsfähigkeit zu interpretieren (vgl. z.B. Blöcker 2013). Innovation ist auch in diesem Feld für die Wettbewerbsfähigkeit von Unterneh- men von größter Bedeutung. Innovation ist daher einer der zentralen Aspekte in der Diskussion um die zukünftige Beschäftigungssicherung von Betrieben in Industrielän- dern wie Deutschland (Gerlach/Ziegler 2002 und 2005). Innovation spielt aber nicht erst seit der Entstehung der globalisierten Wirtschaft eine wichtige Rolle. Bereits Schumpeter identifizierte Innovation als Mittel zur Erreichung von relativen Marktvorteilen. Unternehmen, die Neuerungen als Erste einführen, profi- tieren davon am meisten, bevor die große Masse aller Unternehmen diese Neuerungen kopiert. Daher findet aus Sicht Schumpeters zwischen den Unternehmen in einer Volkswirtschaft ein permanenter Wettlauf um die Abschöpfung dieser vorübergehen- den quasi-monopolistischen Renditen statt (Schumpeter 1931). Wissenschaftliche Ent- 1
IMU deckungen und technologisches Wissen nehmen weltweit stark zu und sind einer wachsenden Anzahl von Akteuren fast zeitgleich zugänglich. Durch das Zusammen- wachsen von Märkten und durch die globale Ausrichtung von Unternehmen hat sich der Innovationsdruck insgesamt verstärkt (Gerybadze 2004). Somit spielt ein effizientes Innovationsmanagement eine zentrale Rolle sowohl für kleine, als auch für größere Unternehmen, um in immer kürzeren Abständen Innovationen hervorzubringen (Hau- schildt 2004). Diese Dynamik trifft im Bereich der KFZ-Zulieferindustrie nun auf den – ungeplanten und teilweise unplanbaren – Wandel der Antriebe bei den Kraftfahrzeu- gen hin zu elektrischen Antrieben (und Komponenten, vgl. u.a. Arnold u.a. 2010). Innovationen und technischer Fortschritt werden als grundlegende Instrumente zur Sicherung von Arbeitsplätzen oder zur Schaffung neuer gesehen – damit sind sie zu- gleich zu den Kernaufgaben der Träger von Mitbestimmung zu zählen. Innovationen gelten von daher auch bei den Trägern der Mitbestimmung als „das“ Lösungsmuster zur Bewältigung unternehmerischer Herausforderungen (Stracke 2006). Trotz einer Vielzahl von Beiträgen zur Innovationsforschung klafft zwischen der „Innovationsme- tapher, die als Zauberformel zur Lösung vieler Zukunftsprobleme moderner Gesell- schaften die politischen Debatten beherrscht“ (Sauer/Lang 1999), dem Stand wissen- schaftlicher Erkenntnisse und praktischer Umsetzung eine Kluft, wenn es um die Rolle der betrieblichen Interessenvertretung in diesen Prozessen geht (vgl. Rundnagel 2004). Gerade in krisenhaften wirtschaftspolitischen Situationen in Unternehmen wird von den Trägern der Mitbestimmung die Beteiligung am Innovationsprozess gefordert. Nach einer Auswertung von Jirjahn (derss. 2005) deuten die wenigen aktuellen Studien zur ökonomischen Wirkung betrieblicher Mitbestimmung darauf hin, dass Mitbestim- mung ein erhebliches Potenzial zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit hat. Die von der Bertelsmann Stiftung und der Hans-Böckler-Stiftung eingerichtete „Kommission Mitbestimmung und neue Unternehmenskulturen“, die in den Jahren 1996 bis 1998 als Pilotprojekt Empfehlungen zur zukünftigen Ausgestaltung der Mitbestimmung erar- beiten sollte, kam damals entsprechend zu dem Ergebnis, dass weder eindeutig positi- ve noch negative wirtschaftliche Effekte der Mitbestimmung festgestellt werden kön- nen. Deutlich wurde jedoch die unterstützende Funktion der Mitbestimmung für das Gelingen des betrieblichen Strukturwandels (BS/HBS 1998, nach Stracke 2006). Ähnli- che Befunde lieferte das Projekt InnoMit, das zu dem Ergebnis kam, dass Mitbestim- mung prinzipiell in der Lage ist, auf das betriebliche Innovationsgeschehen arbeitsori- entiert Einfluss zu nehmen (Schwarz-Kocher et.al. 2011: 266). Ein neueres Projekt der Universitäten Jena und Süddänemark bestätigt die Zusammenhänge von erhöhten Innovationsaktivitäten bei Vorhandensein eines Betriebsrates (Cantner u.a. 2014). 2
IMU 1.2 Ziele und Fragestellungen Das Projekt bezieht sich auf die Schwerpunkte des Forschungsschwerpunktes „Struk- turwandel – Innovation und Beschäftigung“ mit dem Fokus auf einen Aspekt des Wandels hin zu Elektromobilität, nämlich die Veränderungsbedarfe bei KFZ-Zulieferern, die bislang Teile / Komponenten für den Verbrennungsmotor und dessen Antriebsstrang produzieren. Dieser Veränderungsprozess umfasst nicht nur den Wegfall von ‚klassi- schen’ Komponenten, sondern auch beispielsweise den Ersatz von Karosserieblechen durch Kunststoff-/Carbonteilen oder Einsatz anderer Materialien für tragende Fahr- werksteile (d.h. Werkstoff-Substitution, vgl. Pfäfflin/Ruppert 2011) bis hin zur Neukon- struktion von Elektrofahrzeugen im Sinne eines ‚purpose designs’ 1. Das umsetzungsorientierte Vorhaben verfolgte dabei folgende vier Teilaspekte: 1. Bestandsaufnahme in der Metropolregion Nürnberg im Bereich Automotive (Metall/Elektro, auch Chemie/Kunststoff) und Zusammenführung zu einer re- gionalen Chancen-Risiken-Bewertung (Auswertung von Daten zu Produkten und Beschäftigten von Betrieben der KFZ-Zulieferindustrie für die Metropolre- gion). Die Metropolregion schätzt, dass rund 80.000 Menschen in rund 500 Un- ternehmen der KFZ-Zulieferbranche beschäftigt sind, der Anteil der Hersteller bzw. der der Beschäftigten von Teilen bzw. Komponenten für den ‚klassischen’ Antriebsstrang ist allerdings unbekannt – und damit auch das Ausmaß der Be- drohung durch den absehbaren Strukturwandel in der Metropolregion. 2. Betriebliche Chancen-Risiko-Analyse als Ausgangspunkt für Aktivitäten der In- teressenvertretung in Sachen betrieblicher Strukturwandel hin zu Elektromobi- lität. Dieses Arbeitspaket wurde in ausgewählten Beispiel-Betrieben/-Unter- nehmen angesiedelt, deren Interessenvertretung, aber möglichst auch Unter- nehmensvertreter, kontinuierlich im Veränderungsprozess begleitet werden und ihre Erfahrungen reflektieren. 3. Veranstaltungsreihe für Träger der betrieblichen Mitbestimmung und andere Interessierte zur Aktivierung der Potentiale für den betrieblichen Strukturwan- del (arbeitsorientierte ‚E-Drive-Akademie‘ Mitbestimmungsträger). Wie Blöcker (diess. 2012) an ausgewählten Betriebsbeispielen zeigt, ist der Versuch einer ar- beitsorientierten Einmischung ins Innovationsgeschehen voraussetzungsvoll 1 Ein Fahrzeugkonzept, das auf eine bestimmte Antriebsart hin entwickelt wird im Unter- schied zum ‚conversion design’, bei dem ein bestehendes Fahrzeugkonzept auf einen ande- ren Antrieb angepasst wird (vgl. Wallentowitz u.a. 2010). 3
IMU und kann einen ‚langen Atem’ gut gebrauchen. Die Themen wurden zu Pro- jektbeginn mit den beteiligten Kooperationspartnern auf betrieblicher, regiona- ler und überregionaler Ebene abgestimmt. 4. Folgerungen für industriepolitische Interventionen zur Begleitung des Struk- turwandels auf den unterschiedlichen Ebenen bilden die zusammengefassten Schlussfolgerungen aus den drei oben genannten Paketen. Ein Augenmerk soll auf die spezifischen Innovationsbeiträge der Mitbestimmungsinsti- tutionen gelegt werden. Die Partizipationskultur in Deutschland hat auf verschiedenen Ebenen eines Unternehmens zu unterschiedlichen Institutionen der Mitbestimmung geführt. Hierbei soll insbesondere die betriebliche Ebene (Betriebsräte nach BetrVG) betrachtet werden. Diese deutsche Form der delegierten Partizipation führt zu einer spezifischen Kom- munikationsebene zwischen Betriebs- und Unternehmensführung sowie Gesellschaf- tern auf der einen Seite und Interessenvertretung der Beschäftigten auf der anderen Seite (vgl. Dörre 1996). Damit ergibt sich die Chance, das Prozess- und Produktwissen der Beschäftigten direkt in unternehmerische Strategieentscheidungen einfließen zu lassen, ohne sich den Beschränkungen der betrieblichen Organisationshierarchien un- terwerfen zu müssen. Diese Möglichkeit ergibt sich nicht nur aus den gesetzlich gere- gelten, formalen Einflussmöglichkeiten der Mitbestimmungsgremien, sondern in glei- cher Weise auch durch informelle Kontakte und Arbeitsbeziehungen, in denen ein Aus- tausch über die Chancen und Risiken einzelner Innovationsideen entstehen kann (vgl. Armbruster u.a. 2005). Die Untersuchung arbeitet mit einem ganzheitlichen Innovati- onsbegriff und versucht, das betriebliche Innovationsgeschehen als dynamischen Pro- zess zu verstehen. Damit steht nicht die neue technische Produktidee (vgl. Kinkel/Lay 2004) im Vordergrund des Untersuchungsinteresses, sondern vielmehr die Frage, durch welche sozialen und kommunikativen Prozesse das Wissen um notwendige und Erfolg versprechende Veränderungen für das betriebliche Innovationsgeschehen nutz- bar gemacht werden kann. Die Träger der Mitbestimmung können als Sprachrohr der Beschäftigten vielfältige Beiträge liefern: Hinweise auf Probleme und Anregungen zu Veränderungen, ausgearbeitete Lösungskonzepte, aber auch die kritische Bewertung anderweitig erarbeiteter Innovationsvor- schläge bzw. Innovationsergebnisse (vgl. u.a. Schwarz-Kocher u.a. 2010). Der Hinweis auf Probleme sowie die kritische Hinterfragung anderweitig entwickelter Innovationsideen werden oftmals nicht als eigenständige Innovationsbeiträge wahrge- 4
IMU nommen. Wer aber die Prozesshaftigkeit von Innovationen akzeptiert, wird gerade diese Beiträge als wesentliche Stärkung der innovationsrelevanten dynamischen Fä- higkeiten des Unternehmens werten. Einbezogen wurde die folgende Auswahl an Betrieben aus der Region Nürnberg: Produkte MA Beschreibung UN1, BR1 technische 1.000 ‚Familien’-AG, breit aufgestellt, Risiko- Kunststoffteile Analyse durchgeführt + Strategie entwi- u.a. für KFZ ckelt, ein Standort könnte bedroht sein UN2, BR2 Getriebesteue- 2.000 internationaler Konzern mit Einbindung, rungen KFZ, eigene ‚E-Mobility-Aktivitäten’, Entwick- E-Antriebe lung vor Ort, aktiver Betriebsrat UN3, BR3 Synchronringe 1.500 ‚Familien’-Konzern, Standort hat Entschei- KFZ, Teile für dungsmöglichkeiten und breite Produktpa- Baugewerbe lette, neue Werkleitung UN4, BR4 v. a. mechani- 8.000 ‚Familien’-Konzern, Zentrale mit FuE, sche Teile für hoher KFZ-Anteil, eigene ‚E-Mobility- KFZ Aktivitäten’ mit Qualifizierung UN5, BR5 Teile für Ver- 7.500 Konzernbetrieb, Stiftungsgeführt, Leitwerk brennungs- für seine Produkte und deren Herstellung motor in 20 anderen Werken, keine eigene FuE UN6, BR6 technische Ke- 500 Technologie-Unternehmen in US-Besitz, ramik u.a. für auch im Bereich Medizin, geringe Abhän- KFZ gigkeit KFZ als Unternehmen, nicht aber der Standort Alle Betriebe – mit Ausnahme von UN5 – waren bereits in das erwähnte einschlägige Projekt mit ausgewählten KFZ-Zulieferern in Mittelfranken (ein Kooperationsprojekt mit der GPQ Mypegasus Nürnberg, vgl. Pfäfflin/Ruppert 2010) mit einbezogen, es konnte so auch auf Ergebnisse von 2009/2010 zurückgegriffen werden. 5
IMU 1.3 Arbeitsprogramm und Vorgehen Im Zeitraum von Januar 2013 bis Juni 2015 2 wurden folgende Aktivitäten durchgeführt: Literaturrecherche zur Konkretisierung der Entwicklungswege hin zu Elektro- mobilität inkl. ihrer technischen Umsetzung und den mittel- und längerfristigen Folgen für die KFZ-Zulieferer der unterschiedlichen Ebenen. Datenauswertung vor allem zur Beschäftigung der KFZ-Zulieferer aus dem Be- reich Metall und Elektro in der Metropolregion zur Abschätzung des ‚Gefähr- dungspotentials’ durch den Strukturwandel hin zu Elektromobilität. Durchführung und Auswertung von 12 strukturierten Interviews mit Experten aus den exemplarischen Betriebsfällen. Durchführung von vier Veranstaltungen einer ‚E-Drive-Akademie Mitbestim- mung‘ mit betrieblichen und außerbetrieblichen ExpertInnen zu ausgewählten Aspekten des betrieblichen Strukturwandels mit der Zielgruppe Betriebsräte und interessierte Beschäftigte aus Zulieferbetrieben der Metropolregion. Zusammenführung der Projektergebnisse in Richtung industriepolitischer Fol- gerungen auf den verschiedenen Ebenen. Der Bericht gliedert sich in die folgenden vier Kapitel: Kapitel 2 beschreibt qualitative und quantitative Veränderungen der Automobilproduktion weltweit sowie deren Wir- kungen auf die KFZ-Zulieferer in Deutschland. Anschließend fasst das Kapitel 3 die Forschungs- und Befragungsergebnisse zu Problemstellungen und Reaktionen der Zu- lieferer auf die veränderten Bedingungen – im Allgemeinen wie in den befragten Be- trieben zusammen. Das Thema „Strukturwandel und Betriebsratshandeln“ befasst sich einerseits mit Forschungsergebnissen zu diesem Komplex, aber auch den praktischen Erfahrungen im Rahmen des Projektes. Die regionale Dimension des Strukturwandels steht im Mittelpunkt des Kapitels 5. Es fasst die Datenauswertung zum Stellenwert des Automotive-Sektors in der Metropolregion sowie der Gefährdungspotentiale von Be- schäftigung bei einem Wandel hin zur Elektrifizierung des Antriebsstranges zusam- men. Daraus ergeben sich auch industriepolitische Anforderungen als Abschluss. 2 Die ungeplante starke zeitliche Streckung ergab sich einerseits durch die Nachwirkungen der Krise 2008/2009 und andererseits durch fehlende Ansprechpartner auf BR-Seite während der BR-Wahlen von Januar bis Mai 2014. Dies war auch der Grund für den Antrag auf kos- tenneutrale Verlängerung bei der Hans-Böckler-Stiftung, der von der Stiftung bewilligt wur- de. 6
IMU 2. Qualitative und quantitative Veränderungen in der Automobilproduktion Die deutsche Zuliefer-Industrie kommt in den nächsten Jahren durch verschiedene Entwicklungen unter Druck: Neben der Schwäche des westeuropäischen Automarktes und der mangelnden Ertragslage, vor allem bei den kleineren Zulieferern, spielen zwei wesentliche Trends eine große Rolle. Die neue Globalisierung der deutschen OEM 3 mit ihren Folgen für die Zulieferer und die Elektrifizierung des Antriebsstranges. Abbildung 1: Deutsche KFZ-Zulieferer unter mehrfachem Druck Antriebs- neue Begrenzte Managem. vielfalt Ressourcen Ambidextrien mobility Varianten Elektro- OEMs sind Rendite- international Vergleich Deutsche geringe Neue Globa- Wachstum Renditen Zuliefer- Umsatz industrie lisierung in BRICS Kosten Zwang zum Folgen Schwäche EU-Markt Markt v.a. Absatz -> In D / EU Personal Quelle: eigene Darstellung Bratzel u.a. sehen die Zulieferer, insbesondere die KMU, in einer ‚Sandwich-Position’ – tendenziell steigende Anforderungen und geringe Ressourcen, um damit umzugehen (vgl. Barthel u.a. 2015: 179f). 3 OEM sind die ‚Original Equipment Manufacturer’, also die Automobil-Hersteller. Bei den Zulieferern wird je nach Stellung in der Zuliefer-Pyramide von Tier-1- bis Tier-4-Zulieferern gesprochen. 7
IMU Wir konzentrieren uns im Folgenden auf diese beiden letztgenannten Aspekte. Aller- dings muss gesehen werden, dass auch andere Entwicklungen wichtige Herausforde- rungen an die Zulieferer stellen, da geht es einerseits um die Baukasten- und Gleichtei- lestrategien der OEM (vgl. u.a. Waltl 2012) und andererseits die Entwicklung in Rich- tung „autonomes Fahren“ (vgl. z.B. TAGESSPIEGEL Online 8.5.15). Die reale Gemen- gelage für die Zulieferer ist folglich komplexer als es dieser Bericht vorstellen kann. 2.1 Internationalisierung der deutschen OEM und Folgen für die Zulieferer Praktisch alle Prognosen gehen von einem sinkenden, bestenfalls stagnierenden Auto- mobilmarkt in Westeuropa aus. Roland Berger rechnet in den kommenden Jahren mit einem Absatz in Westeuropa zwischen 13 und 14 Mio. Fahrzeuge pro Jahr, das sind 3 bis 4 Mio. weniger als in den Hochphasen (vgl. Berret 2012: 10). Abbildung 2: Die Entwicklung des weltweiten Fahrzeugbedarfes von 2002 bis 2018 Quelle: Deloitte 2014: 8 Nach übereinstimmenden Analysen werden künftige Zuwächse in den BRIC-Ländern, vor allem in Asien stattfinden, Amerika wächst noch langsam, während die Anteile Westeuropas deutlich abnehmen (u.a. Deloitte 2014: 8). Allerdings, das zeigt die ge- genwärtige Russland-Krise, sind diese Annahmen nicht in Stein gemeißelt, meint: Poli- 8
IMU tische und ökonomische Krisen können leicht auf den erwarteten Fahrzeugabsatz durchschlagen und die Prognosen durchkreuzen. Ein richtiges Problem für die stark in Westeuropa verankerte deutsche Zulieferindust- rie ergibt die Stagnation im westeuropäischen Absatz erst dann, wenn sich die deut- schen OEM regional neu aufstellen. Dieser Prozess ist voll im Gange: ‚Wie Phönix aus der Asche’ (so der Titel einer Studie) starteten die deutschen OEM nach der Krise durch, auch ist ihre Gewinnlage relativ gut (vgl. Bormann u.a. 2014 2014: 6f). Aller- dings hat sich das Internationalisierungsmodell der deutschen OEM innerhalb der letz- ten Jahre drastisch geändert (vgl. auch Barthel u. a. 2010). In der Vergangenheit war der weltweite Export von in Deutschland produzierten PKW das entscheidende Modell der Internationalisierung. Für die Zulieferindustrie ein gutes Geschäft, denn je erfolgreicher die OEM damit waren, desto mehr konnten die deut- schen Zulieferer davon profitieren. Die Internationalisierungsstrategie der deutschen OEM hat sich spätestens seit der glo- balen Krise von 2008/2009 verändert – im Kern ist es nun auf die Produktion in auslän- dischen Wachstumsmärkten orientiert. Um das an den in der Studie für die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) genannten Zahlen zu verdeutlichen (siehe folgende Abbildung): Zwischen 2008 und 2012 hat die PKW- Produktion deutscher Hersteller von rund 10,8 auf 13,6 Mio. Einheiten zugenommen, ein Zuwachs von gut 25 Prozent. Die Inlandsproduktion allerdings stagnierte bei 5,5 bzw. 5,4 Mio. Fahrzeugen, während die Auslandsproduktion von 5,3 auf 8,2 Mio. Ein- heiten stieg (plus 54 %). Wenn man die weiteren Zahlen dieser Grafik betrachtet, so ist zu erkennen, dass der Inlandsabsatz mit 2,1 Mio. Fahrzeugen konstant blieb, ebenso der Export (davon gin- gen aber rund 70% der Fahrzeuge in Staaten der EU). Die OEM „erhöhten ihre Auslandsproduktion um drei Millionen und produzierten mit 8,3 Millionen Pkw bereits mehr als 60 Prozent ihrer gesamten Pkw-Produktion im Aus- land. Der Anteil des Auslandsabsatzes stieg damit von 82 Prozent in 2008 auf über 85 Prozent in 2012. Der Anteil der Exporte aus Deutschland in die EU belief sich in 2012 immer noch auf 60 Prozent, sodass der Absatz von Pkw aus Produktion in Deutsch- land noch substanziell von den europäischen Märkten abhängt. (Bormann u.a. 2014: 7/8) 9
IMU Abbildung 3: Regionale Verteilung der Herstellung und des Verkaufs der Fahrzeuge deutscher Automobilunternehmen im Vergleich 2008 und 2012 (in Stück) Quelle: Bormann u.a. 2014: 7 Auch die Fraunhofer-Autoren der TAB-Studie konstatieren: „Mengenmäßige Auswei- tungen der Fertigungskapazitäten haben die deutschen Hersteller in der Vergangenheit fast ausschließlich im Ausland realisiert. Demgegenüber ist festzustellen, dass die Au- tomobilhersteller in zunehmendem Maße Fahrzeuge der Oberklasse an deutschen Standorten fertigen, sodass die Umsätze deutlich stärker stiegen als die Ausbrin- gungsmenge“ (Schade u.a. 2012: 94). Von rund 6,5 Millionen global verkauften Premium-Pkw in 2012 stammten laut VDA 80 Prozent von deutschen Marken. In der Oberklasse waren es 2010 fast 100 Prozent (vgl. Diez 2012). Dementsprechend hat das Premiumsegment auch hohe Bedeutung für die Beschäftigung in Deutschland: „Über drei Fünftel der Beschäftigten bei deutschen OEM leisten ihren Beitrag zur Produktion der in Deutschland hergestellten Premium- fahrzeuge“ (Bormann u.a. 2014: 9/10). Zum Stellenwert der Zulieferer für den Automobilcluster Deutschland resümieren die FES-Autoren: „Auf die Zulieferindustrie im engeren Sinne entfielen 2012 19 Prozent des Umsatzes (68 Milliarden Euro) der gesamten deutschen Automobilindustrie (357 Milliarden Euro). Bei den Beschäftigten liegt der Anteil mit über 39 Prozent deutlich höher (291.800 Personen)“ (Bormann u.a. 2014: 10). D.h. fast 300.000 Beschäftigte sind 10
IMU in der Zuliefer-Industrie im engeren Sinn beschäftigt. Ihr Vorteil ist der starke Markt- anteil und der starke Export der deutschen OEM im Premiumsegment. Die deutschen Zulieferer sind stärker auf den deutschen Markt ausgerichtet als die OEM. Im Rahmen der TAB 4-Studie wurde eine Primärerhebung durchgeführt, die fol- gende Ergebnisse brachte: So „realisieren die Automobilzulieferer im Mittel rund zwei Drittel ihrer Umsätze am heimischen Markt. Bei mittelständischen Unternehmen liegt der direkte Exportanteil bei rund 30 %, bei Großunternehmen bei gut 40 %. Indirekt ist die Abhängigkeit entsprechend größer, da die im Inland abgesetzten Produkte in Au- tomobile eingehen, die zu 76 % exportiert werden“ (Schade u.a. 2012: 95). Abbildung 4: Anteil der Automobilzulieferer mit Produktionskapazitäten in der jeweiligen Region in Prozent 2011 Quelle: Schade u.a. 2012: 83 4 Bericht für das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) 11
IMU Trotz dieser im Vergleich zu den OEM etwas stärkeren Konzentration auf den heimi- schen Absatzmarkt sind die Automobilzulieferer bereits heute in großem Umfang im Ausland mit Produktionskapazitäten präsent. Allerdings gibt es dabei erhebliche Un- terschiede zwischen den großen und kleineren Zulieferern, die Konzentration in der Branche nimmt zu: „Von den in Deutschland generierten Umsätzen der Zulieferbran- che entfällt ein immer größerer Teil auf die größten sechs, zehn bzw. 25 Zulieferer. So stieg zum Beispiel der Anteil der größten sechs Unternehmen innerhalb nur weniger Jahre von 16,5 % auf 26,5 % …“ (IKB 2014: 9/10). Und auch bei der Frage der Auslandsproduktion ergibt sich ein differenziertes Bild zwischen groß und klein: Nach Auswertungen der ISI-Produktionserhebung zeigt sich, „dass 34 Prozent über Auslandsproduktionen verfügen. Differenziert man zwischen first und second tier suppliern, wird deutlich, dass von den first tier suppliern nahezu die Hälfte neben den deutschen Produktionsstätten auch Fertigungs- oder Montageka- pazitäten im Ausland unterhält. Deren Anteil liegt weit über der Quote der second tier supplier“ (Kinkel/Lay 2004: 6). Und diese first-tier-Zulieferer sind natürlich die weni- gen Großen wie Bosch, Continental oder Schaeffler. Auch andere Befragungsergebnisse zeigen diese Differenzierung: Insbesondere in China wird der Unterschied zwischen großen und KMU-Zulieferern in der Abbildung deutlich. Fast die Hälfte der größeren Unternehmen produzieren bereits in China, während es bei den kleineren maximal jeder Zehnte ist. Der Durchschnitt von 20% wird folglich durch die größeren Unter- nehmen nach oben gezogen. Was heißt das nun alles für die Zulieferer in Deutschland? Das bisherige Modell der Internationalisierung – auch der deutschen Zulieferer – als Exportmodell dürfte längerfristig nicht mehr tragfähig sein. Der Druck auch auf die kleineren Zulieferer seitens der OEM bzw. der Tier1-Zulieferer ihrerseits Produktions- kapazitäten in den ‚emerging markets’ aufzubauen, wird zunehmen (ähnlich: DB 2014, Commerzbank 2014 oder auch Jaede/Kronenwett 2013). Vielleicht ergeben sich aber neue Kooperationsbeziehungen (vgl. Kaspersk/Drauz 2012). Allerdings unterscheidet sich der Druck je nach Stellung der Zulieferer zu den OEM/ Tier-1-Firmen. Dieser dürfte im Wesentlichen bestimmt werden durch die Art der Pro- dukte und die Alleinstellungsmerkmale eines Zulieferers. Autoren von Roland Berger identifizierten vier unterschiedliche Formen der Abhängigkeit zwischen OEM und Zulieferern (siehe auch Abbildung folgende Seite). Da ist einerseits die ‚unvermeidbare Beziehung’ mit einem vorteilhaften Verhältnis für den Zulieferer, sie tritt vor allem bei technisch anspruchsvollen Produkten auf, die nur 12
IMU von wenigen Zulieferern verfügbar sind. Die OEM können hier nicht zwischen vielen Zulieferern wählen, was deren Machtposition stärkt. Beispiele finden sich bei Kompo- nenten des Antriebsstrangs oder Elektrik/Elektronik-Komponenten. Abbildung 5: Vier Typen von Abhängigkeiten zwischen OEM und Zulieferern Quelle: Blanchet u.a. 2013: 17 Das sog. ‚gemeinschaftliche Verhältnis’ ist von gegenseitig hohen Abhängigkeiten ge- kennzeichnet. Die Zulieferer versuchen, durch hohe Stückzahlen ihre Investitionen zu amortisieren, während die OEM keine neuen Zulieferer wählen können, ohne ihnen nötige Investitionsmöglichkeiten zu bieten. Ein ‚Wettbewerbsverhältnis’ ist demnach eine ausgeglichene Beziehung, in der weder der OEM noch der Zulieferer vom jeweils anderen abhängig ist. Dieses Modell ist typisch für technologisch ausgereifte Teile mit geringem Investitionsaufwand, d.h. der OEM kann den Zulieferer einfach austauschen. Die Zulieferer versuchen hier, die Risiken durch breite Streuung der Abnehmer zu re- duzieren. Weiterhin findet sich das klare ‚Abhängigkeitsverhältnis’, hier haben die OEM den Zulieferern gegenüber eine starke Verhandlungsposition, daher ist es für die OEM die attraktivste Form möglicher Verhältnisstrukturen (alle Angaben: Blanchet u.a. 2013: 17, eigene Übersetzung). Zulieferer, die demnach in einem Wettbewerbs- oder Abhängigkeitsverhältnis zu den OEM stehen, werden wohl den meisten Druck abbekommen. Bei ihnen ist vermutlich nicht der Wille zur Internationalisierung entscheidend, sondern die Frage, ob sie dazu fähig sind (vgl. u.a. Stolz 2011). In dieser Debatte gibt es auch Empfehlungen, in andere 13
IMU Produkt- und Absatzbereiche zu diversifizieren, um diesem Verlagerungsdruck aus- zuweichen (vgl. Bratzel u.a. 2015: 177 unter dem Begriff „Branchendiversifikation“). 2.2 Elektromobilität in kleinen Häppchen: der lange Weg „Der zu betreibende hohe Aufwand bei der Umsetzung und Entwicklung der … An- triebskonzepte bedingt, dass Automobilhersteller bei der Modifikation ihrer Fahrzeug- flotte unterschiedliche Strategien verfolgen. Nicht alle Hersteller sind in den unter- schiedlichen Technologiefeldern in gleicher Intensität aktiv“ (Schade u.a. 2012: 102), dies zeigt beispielhaft die folgende Abbildung. Abbildung 6: Unterschiedliche Reife der laufenden Projekte je nach Hersteller oder Aktivitätsgrad unterschiedlicher OEM bei alternativen Antrieben Quelle: Schade u.a. 2012: 103 Selbst bei den deutschen OEM zeigen sich deutliche Unterschiede: Während BMW mit der i-Baureihe auf Elektrofahrzeuge mit Purpose-Design setzt, die extra für die Anfor- derungen von Elektrofahrzeugen konzipiert werden, bleibt Volkswagen bei der Strate- gie des Konversion-Designs, d.h. die Beibehaltung des Fahrzeugkonzepts der konven- tionell angetriebenen Fahrzeuge – mit der wesentlichen Änderung des Antriebs. Oder nehmen wir die großen Massenhersteller wie Toyota im Vergleich zu VW: So setzt Toyota seit Jahren auf Hybrid-Fahrzeuge, mittlerweile in fast allen Fahrzeugklas- 14
IMU sen (und hat große Erfahrung damit), brachte aber mit dem Mirai 5 den ersten serienrei- fen Brennstoffzellen-PKW auf den Markt (und erhöht zumindest in Japan kontinuier- lich die Produktion, vgl. WiWo 19.01.2015). Volkswagen wiederum versucht, das konstruktive Baukastensystem (vgl. Waltl 2012) auch bei den unterschiedlichen Elektrifizierungsstufen bei zu behalten, d.h. es gibt bei- spielsweise künftig baugleiche Golfs mit (nur) Verbrennungsmotor, als Hybrid und als Elektrofahrzeug – was erhebliche Fertigungsvorteile mit sich bringt. Bezüglich der Elektrifizierungsstrategien der deutschen OEM – so schätzt die Unter- nehmensberatung Unity ein – reicht die Bandbreite von der vollständigen Eigenpro- duktion bis zum Zukauf aller ‚neuen’ (elektrischen) Komponenten von Zulieferern. „In diesem Fall fungiert der Automobilhersteller als Systemintegrator …“; andersherum geht es um den Aufbau neuer Kernkompetenzen, um „eine eigene Entwicklung für den elektrischen Antriebsstrang aufzubauen“ (Unity 2013: 12/13). Unsere These dazu: Die Strategie der OEM muss nicht dauerhaft immer die gleiche sein, sie kann sich im Zeitablauf und bei sich wandelnden Rahmenbedingungen durchaus ändern. Derzeit ist zu beobachten, dass viele deutsche OEM eigene Kompe- tenzen für den elektrischen Antriebsstrang aufbauen. Das gilt vor allem für BMW mit der i-Baureihe, für Audi, aber auch für VW, wo vieles in den Werken Kassel und Braunschweig entwickelt und gebaut wird. Daimler ist da eher auf der Linie des Sys- temintegrators. Wir nehmen an, dass dieser Neuaufbau der Elektrokompetenzen bei den OEM eine Übergangserscheinung sein dürfte, um sich das Know-how zu erarbeiten, das man später einmal als ‚Systemintegrator’ benötigen wird. Bei den gegenwärtig angebotenen Elektrofahrzeugen handelt es sich überwiegend um Kleinst- und Kleinserien, die im Manufakturbetrieb hergestellt werden (vgl. Produktionsbeschreibung für VW X1 oder beim BMW i3). Auch europäische Hybridfahrzeuge sind von den Dimensionen einer Massenproduktion deutlich entfernt (siehe High-Premium-Fahrzeuge von Daimler oder BMW, vgl. auch Korthauer u.a. 2012). Die strategische Ausrichtung der OEM dürfte sich dann ändern, wenn elektrifizierte Fahrzeuge zumindest in mittleren Serien produziert werden können bzw. müssen. In den bisherigen Kleinserien wurden die Kompetenzen für elektrifizierte Fahrzeuge bei den OEM aufgebaut, bei steigenden Stückzahlen bietet sich der Übergang auf speziali- sierte Zulieferer an. Denn: Warum sollte auf die Skaleneffekte einer Massenproduktion 5 Japanisch für ‚Zukunft’ 15
IMU von Elektromotoren, Batterien und anderen Komponenten durch spezialisierte Zuliefe- rer verzichtet werden? Ob es dann die Zulieferer von heute sein werden, das ist eine andere Frage. Ob die Unterscheidung der OEM in Innovatoren und Folger (siehe Abbildung) in die- ser Einfachheit tragfähig ist, muss bezweifelt werden. So ist es doch ein deutlicher Un- terschied, ob ein breit aufgestellter Massenhersteller wie Volkswagen mit seinen Hauptmarken VW, AUDI und Skoda eine Elektrifizierungsstrategie entwickelt oder ein 2-Marken-Premiumhersteller wie BMW mit den neukonzipierten i3/i8-Baureihen. Die anderen hier als ‚Innovatoren’ eingeordneten OEM wie Nissan, Renault und Mitsub- ishi bauen überwiegend Fahrzeuge, die die neuen Antriebstechnologien in bestehende Fahrzeugkonzepte integrieren, sie unterscheiden sich hierbei kaum von VW (vgl. Proff/ Kilian 2013, 474/475). Abbildung 7: Strategische Ausrichtung von OEM im Übergang in die Elektromobilität Toyota = Hybrid + Brenn- Quelle: Proff/Kilian 2013: 475, Ergänzung HP 16
IMU Selbst die unten gezeigte Typisierung gibt nicht die reale Bandbreite der technischen Fahrzeugkonzepte wider, die verfolgt werden oder werden könnten. So hat zum Bei- spiel Schaeffler bereits das zweite BEV-Demonstrationsfahrzeug gebaut, dass drei mögliche elektrische Antriebe als Alternative anbietet: einen zentralen Elektromotor, je einen an Vorder- und Hinterachse oder vier Radnabenmotore (vgl. Schaeffler 2013). Abbildung 8: Typisierung der Elektrifizierungsgrade bei alternativen Antrieben Quelle: Dispan/Meißner 2010 17
IMU Abbildung 9: Vergleich der Antriebsstrategien von OEM in Deutschland (2013) OEM Antriebe Ford Kern: Power-of-Choice-Strategie, d.h. jeweils passende Antriebe für jeweiligen Kunden (Hybrid, Plug-in, BEV oder auch Diesel oder Benziner) Focus Electric: Reichweite geplant 160 km, BEV als neuer Ansatz, Ford kooperiert mit Schneider Electric in Sachen Ladeinfrastruktur, Batterien und elektrische Komponenten sind für ein Autoleben ausgelegt, den Focus Electric wird es auch als Leasing-Angebot geben Alternative Kraftstoffe: generell flüssig besser als Gas oder Batterie, aber keine Entscheidung - sei heute nicht zu treffen Opel Opel steckt rund 4 Mrd. in 13 neue Motoren und mehrere Getriebe, z.B. Insignia mit 8-Gang- Wandler-Automatik, Adam mit neuem automatisiertem Getriebe, neu: 1,6 l-CDTI-Motor mit 100 kW/136 PS und 320 Newtonmeter Drehmoment mit Hochdruckeinspritzung – soll eine CO2-Emission von 109 mg erreichen, neuer Benziner: SIDI 1,6-l-er mit Direkteinspritzung und Turbolader (2 Versionen), Neben einem 6-Gang-Schaltgetriebe kommt ein 5-Gang- Schaltgetriebe und ein automatisiertes Schaltgetriebe mit 5-Gängen VW jede Modellgeneration soll 10 bis 15 % effizienter sein als die vorherige, u.a. bis 2020 ein TSI- Motor geplant mit 100 kW und unter 100 mg CO2 TSI-Motore z.B. Golf Blue Motion mit 81 kW-4-Zylinder, Turbo kombiniert mit dem DSG- Getriebe plus Start-Stop und Rekuperation – 3-Liter-Auto mit 81 mg CO2 TDI: 100 kW, Hochdruck-Einspritzsystem, Turbolader und E-Booster dazu 10-Gang DKG Erdgasantrieb: 3 neue Modelle Eco Up, Golf TGI und AUDI G-Tron E-Autos: E-Up und E-Golf mit je bis 100 km Reichweite Plug-in-Hybrid als mittelfristig erste Wahl – geplant im Konzern: Panamera, AUDI A3, später Golf, A5, A6 und Q7 und Cayenne -> Baukasten-Hybrid-System von VW Audi zunächst kommt A3 G-tron als gasgetriebener A3 (mit 110 PS mit Benziner kombiniert rund 1300 km Reichweite), angekündigt der Plug-in-Hybrid A3 e-tron (hier unterstützt der Benziner den E-Motor), die Antrieb aus VW-Werk Kassel, das Laden an der HH-Steckdose dauert knapp unter 4 Stun- den, Verbrauch bis 1,5 Liter / 100 km, Reichweite bis 940 km. Daimler bis 2020 maximal 10% der Fahrzeuge als BEV oder Plug-in-Hybrid Potentiale beim Verbrenner: 10-15 % Effizienz je Generation, Alternative Kraftstoffe. Rennen ist offen Alle Antriebsarten werden angeboten: vom klassischen Verbrenner bis zum E-Smart und Electric-B-Klasse oder Plug-in-Hybride für schwere Fahrzeuge Verschiebung Brennstoffzellen-Auto von 2014 auf 2017: Grund neue Kooperation mit Nissan und Ford schafft größere Stückzahlen und gemeinsame Infrastruktur - > Flexibilität Brenn- stoffzelle ist größer als bei Batteriesystemen BMW I3-Motor: als Beispiel für neue 3-Zylinder-Motoren-Reihe, es kommen aber auch neue 4- und 6-Zylindermotoren (bei Dieselmotoren nun Kooperation mit Toyota, T. bezieht Diesel in Stückzahlen bei BMW) Unterschiedliche Strategien: i3 als Stadt-Auto notfalls nur Elektrisch bei i8 ist der 3-Zylinder- Motor als Range-Extender gedacht, aufwändige Carbon-Fahrgastzelle Kooperation mit Toyota auch bei Sportwagenentwicklung Quelle: www. automobil-industrie.vogel.de, 2013 18
IMU Betrachtet man die aktuellen Vorhaben allein der deutschen OEM und die bekannten Planungen, so zeigt sich eine immense Vielfalt an technischen Lösungen. Unsere Auf- stellung fasst die von Vertretern der OEM beschriebenen Vorhaben/Planungen nur stichwortartig zusammen (Auszug vorherige Seite). Daraus deutlich zu erkennen ist zudem bei fast allen Herstellern der enorme Aufwand, der für die Optimierung der Verbrennungsmotoren und des klassischen Antriebs- strangs betrieben wird. Und auch bei renditestarken OEM können die Finanzmittel nur einmal ausgegeben werden. So werden alleine für eine Entwicklungslinie, die i-Reihe von BMW, Kostenaufwände von bislang rund 3 Mrd. Euro kolportiert (HB 28.01.2014). Die Gemengelage wird noch komplizierter: Elektrifizierung in kleinen Häppchen Als würde diese Vielfalt an Strategien und technischen Lösungen nicht ausreichen, so zeichnet sich angesichts des geringen Absatzes von Hybrid- und Elektrofahrzeugen zumindest in West- und Mitteleuropa eine weitere Linie ab, nämlich die „Elektrifizie- rung nach Maß“. Abbildung 10: Elektrifizierung nach Maß am Beispiel Continental Quelle: Klein/Schmid 2013: 1 Da die OEM scheinbar die immensen Kosten für Hochvoltbatterien und die anderen Komponenten für Voll-Hybrid- und Elektro-Autos scheuen bzw. der Absatz wesentlich geringer als erhofft ist (z.B. bei den Elektrofahrzeugen von Renault, vgl. auch NPE Be- standsaufnahme 2014: 5), kommen nun low-level-Lösungen auf den Markt. Nicht nur Continental bietet zwischenzeitlich eine breite Palette an Lösungen an, die vom Ver- brenner mit Start-Stop-Automatik über Mild-Hybride mit 48-Volt-Batterien und klei- nen Elektromotoren bis zu Voll-Hybriden und batterieelektrischen Autos reichen (siehe 19
IMU oben). Kurz nach der Ankündigung bei Conti folgte Schaeffler (vgl. Schaeffler 10.09.2013), dort wurde schon früher von einer ‚Fächerstrategie’ gesprochen. In eine ähnliche Richtung – nämlich Kraftstoff- und Co2-Reduzierung ohne Einsatz teurer Batterien – geht das Konzept, das Bosch mit PSA entwickelt hat, die sog. Hyb- rid-Air-Technik. Sie setzt auf einen mechanischen Luftspeicher statt Batterien und soll bis zu 45% Benzineinsparung und 30% Co2-Reduzierung bringen (vgl. www.Auto- zeitung.de: 23.05.13). Sie ist bisher aber nur eine Ankündigung. Abbildung 11: Hybrid-Air-Technik von Bosch und PSA Quelle: www.Autozeitung.de 23.05.13 Das passt zu der Einschätzung, dass vor allem die OEM und Tier-1-Zulieferer die Risi- ken reduzieren, in dem sie sich auf solche Technologien und Fahrzeugtypen konzent- rieren, die kostengünstig und für mehrere Fahrzeugtypen verwendbar sind (ähnlich Döring/Aigner-Walder 2012: 117/118). 20
IMU Abbildung 12: Innovationsfelder zum Umbau der ‚Automobilitätsmaschine’ Quelle: Aigle/Marz 2007 Aus Sicht der kleineren und mittleren Zulieferer in Deutschland (und auch in der Re- gion) stellt sich das Thema „Elektrifizierung des Antriebsstranges“ – wenn man auch noch unterschiedliche Brennstoffe in die Betrachtung einbezieht – als extrem hohe Herausforderung dar (siehe vorhergehende Abbildung). Sie trifft auf denkbar schlechte Voraussetzungen (keine Ressourcen, ‚Vorsichtsprinzip’ als Management-Maxime, kei- ne klaren Signale von OEM / Tier-1-Lieferant …). Die Reaktionen der Zulieferer sind im Abschnitt 3.1 nachzulesen. Angesichts dieser Entwicklungen ist wohl nicht mehr davon auszugehen, dass auf deutschen Straßen im Jahr 2020 rund eine Million Elektrofahrzeuge fahren – entgegen dem Ziele der Bundesregierung vor einigen Jahren (vgl. BMU 2009 und die Erwartun- gen der NPE, siehe diess. 2014). 2.2 Folgerungen für die deutschen Zulieferer Eine Studie der Beratung Roland Berger (vgl. Berret 2013) sieht die Zulieferer – vor allem die deutschen – in einem mehrseitigen Dilemma, wie wir es weiter oben ange- führt haben. Im Ergebnis rechnen die Unternehmensberater mit einem deutlichen Be- schäftigungsabbau in der westeuropäischen Zulieferindustrie: Im Ergebnis komme es zu „lower supplier headcount in Western Europe while total (global) headcount conti- 21
IMU nues to grow“ (derss. 13). Dieser Abbau von 65.000 bis 85.000 Köpfen in den nächsten 3-4 Jahren (um rund -10%) werde absolut die deutschen Zulieferer am stärksten treffen (wegen der hohen Zahl von Werken), relativ am stärksten die Zulieferer in Frankreich, Italien und Spanien (a.a.O. 14). Die produzierenden Bereiche werden stärker betroffen sein als die FuE-Bereiche. Abbildung 13: Erwarteter Personalabbau in der westeuropäischen Zulieferindustrie Quelle: Merret 2013: 14 Neben den marktlichen Veränderungen kommen auf die Zulieferer neue technische Herausforderungen in Sachen Elektromobilität zu, wobei – wie oben dargestellt - die Bandbreite an technischen bzw. technologischen Lösungen eher zu- als abnimmt. Man kann es auch als Risiko formulieren: Das Risiko für die Hersteller (und Zulieferer) wird noch größer dadurch, „dass sich selbst innerhalb der Alternativantriebe … noch keine überlegene Variante abzeichnet“ (Döring/Aichner-Waldner 2012: 117). Auf die Reaktionen der Zulieferer kommen wir weiter unten zu sprechen. Vermutlich werden aber die innovativeren Unternehmen überleben, wie auch Autoren unter der Über- schrift ‚survivel of the most innovative’ annehmen (Gales 2013). Allerdings könnten die Entwicklungen in Europa gerade bei Zulieferern in den ‚Clus- terregionen’ (wie Baden-Württemberg, Bayern …) deutlich negativere Auswirkungen verursachen. Es wird sich mittelfristig die Frage stellen, wie viel Produktion regional vorhanden sein muss, um auch in Zukunft innerhalb eines Clusters innovativ und entwicklungsfähig zu bleiben. So stellt sich für stark auf europäische Absatzmärkte ausgerichtete Bereiche der Zulieferindustrie das Thema des betrieblichen Struktur- wandels in neuer Schärfe: „Nur wenn die Industrialisierung neuer Technologien und 22
IMU Verfahren auch an den heutigen Kernstandorten dieser Cluster realisiert wird, können diese ihre Stellung im globalen Standort- und Innovationswettbewerb erhalten“, so die Einschätzung der FES-Autoren (Bormann u.a. 2014, 12). Das ist auch die implizite An- nahme der sog. ELAB-Studie, die die Beschäftigungswirkungen des Strukturwandels in einem OEM-Aggregatewerk untersuchte (vgl. Bauer u. a. 2012). Die positiven Be- schäftigungswirkungen resultieren im Wesentlichen aus der Annahme, dass auch die alternativen Antriebe dort produziert werden (siehe auch Kapitel 4). Durch die zu befürchtende Abwanderung der Produktion und die Konzentration auf Forschung und Entwicklung an den deutschen Standorten kann es zu einer massiven Verschiebung der Qualifikationsstruktur kommen. Selbst bei gleichbleibenden Beschäf- tigungszahlen steht die Industriepolitik dann vor der Aufgabe, für die zurzeit noch in der Produktion Beschäftigten Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt zu entwickeln. 23
IMU 3. Zulieferer und Elektromobilität Es liegen mittlerweile eine Reihe von Untersuchungen vor, die sich mit der Problema- tik „KFZ-Zulieferer und Elektromobilität“ (wenn auch nicht unbedingt ganz aktuell) befassen. Im folgenden Kapitel werden wir die Ergebnisse einer großen Zulieferbefra- gung durch das Fraunhofer ISI (Schade u.a. 2012 6), einer eher qualitativ orientierten Untersuchung von Sigfried Roth sowie Thesen zur internen Steuerungs- und Anpas- sungsfähigkeit von Zulieferern vorstellen. 3.1 Innovation im Fahrzeugbau Der deutsche Fahrzeugbau gilt gemeinhin als Treiber von Innovationen. Das macht sich einerseits fest an den hohen Aufwendungen für Forschung und Entwicklung und andererseits an den Patentanmeldungen. Die Forschungs- und Entwicklungsintensität des Fahrzeugbaus lag lt. ZEW in 2013 mit 10,7% deutlich vor anderen Industriebranchen (z.B. Elektroindustrie mit 10,0 oder IT/Telekommunikation mit 7,6%, ZEW 2014:1). Abbildung 14: Innovatorenquote und Innovationsintensität 2013 Quelle: ZEW 2014: 2 6 Ähnliche Ergebnisse finden sich auch beispielsweise in Rheinland-Pfalz (vgl. Weber/Conrad 2010). 24
IMU Noch deutlicher ist der Vorsprung, wenn es um den Umsatzanteil von Produktneuhei- ten (jünger 3 Jahre) geht: Hier liegt der Fahrzeugbau mit 51% mehr als doppelt so hoch wie beispielsweise der Maschinenbau mit 24% (ebenda). Durch die Zusammenlegung der Automobilproduktion mit dem sonstigen Fahrzeugbau sind diese Daten sogar noch zu niedrig, da die Automobilproduktion wesentlich innovativer ist als der sonsti- ge Fahrzeugbau (siehe vorhergehende Abbildung) Die Gesamtwerte für die gesamte Branche überdecken allerdings eine starke Differen- zierung zwischen den Betriebsgrößen (gilt für fast alle Industriebranchen, außer bei einem hohem Anteil von Start-Ups, vgl. u.a. Pfäfflin 2008). Das heißt: Die hohe Innova- tionsintensität des Fahrzeugbaus ist eine Sache der Großen – betrachtet man eines der zentralen Cluster der Zulieferindustrie, das der Region Stuttgart mit rund 240 meist mittelständischen Zulieferern, so wurden hier F&E-Intensitäten um die 2,6% festge- stellt (vgl. Stahlecker u.a. 2011). Die Ergebnisse der regelmäßigen Innovationserhebun- gen belegen ebenfalls die erheblichen Differenzen im Innovationsverhalten zwischen kleinen und Großunternehmen (vgl. u.a. Rahmer 2004 oder Aderholder/Richter 2006). Ähnliches gilt für Patente, auch hier ist der Automobilbau mit führend in der Statistik, aber auch hier gilt die breite Spreizung zwischen Großunternehmen und KMU: So führte Bosch 2011 die Liste der Patentanmelder mit allein 4144 Anmeldungen an, ge- folgt von Schaeffler und Daimler (Stahlecker u.a. 2011). „Patentanmeldungen von Klein- und Mittelständlern im Fahrzeugbau seien dagegen quasi zum Erliegen ge- kommen’ sagt Manfred Müller, Referatsleiter Industrie und Verkehr bei der IHK“ (Stuttgarter Zeitung 10-2014). Eine weitere Differenzierung erlauben Auswertungen aus der ISI-Produktions- erhebung 7, wonach deutliche Unterschiede im Innovationsmanagement zwischen klei- neren und größeren Unternehmen festzustellen sind. „Innovationskompetenz auf we- nigen Schultern“ lautet denn auch der Titel der Auswertungsbroschüre, die belegt, dass kleine und mittlere Unternehmen darauf setzten, dass einzelne Mitarbeiter ‚Trä- ger’ der Innovationskompetenzen sind (rund 75% der Betriebe). Größere Betriebe ver- trauen mit wesentlich höheren Anteilen auf „Strukturen und Instrumente“, weisen also ein organisiertes Innovationsmanagement auf (Armbruster u.a. 2005: 5). 7 Die zitierten Befunde stammen nicht aus der Zulieferindustrie, sondern dem verarbeitenden Gewerbe – sie dürften dennoch ein zutreffendes Bild zeichnen. 25
IMU Richtung Elektromobilität Für das „Büro für Technikfolgen-Abschätzung des deutschen Bundestages“ hat das Fraunhofer ISI im Rahmen der Arbeiten 2011/2012 für einen Bericht „Zukunft der Au- tomobilindustrie“ auch eine Primärerhebung bei deutschen Zulieferbetrieben durchge- führt (vgl. Schade u.a. 2012). Nach dieser Befragung beschäftigt sich „über die Hälfte der befragten Unternehmen (55 %) derzeit eher wenig oder gar nicht mit der Entwicklung entsprechender Kompo- nenten für neue Antriebs- und Fahrzeugkonzepte … Etwa ein Drittel beschäftigt sich in mittlerem Umfang mit diesen neuen Technologien und lediglich 14 % intensiv“ (Scha- de u. a. 2012: 124). Vor dem Hintergrund der hohen Bedeutung des Themas stellen sich die Autoren die Frage, ob die Automobilzulieferer hier nicht zu abwartend agieren und Mittel- und Langfristchancen möglicherweise verstreichen lassen. Ein tieferer Blick in die Struktur der antwortenden Unternehmen zeigt, dass erwar- tungsgemäß kleine und mittlere Unternehmen mit einem Anteil von etwa 60 % wenig oder gar nicht aktiver Betriebe besonders zurückhaltend sind (siehe Abbildung). Und sie fühlen sich auch weniger betroffen von diesem Wandel, wozu die ISI-Autoren in einer weiteren Befragung meinen: „Dieses Ergebnis legt die Vermutung nahe, dass mit wachsender Intensität der Verfolgung der Diskussion rund um neue Antriebe für Au- tomobile die Einschätzung sinkt, nicht betroffen zu sein. Beschränkte Information scheint also Ursache eines mangelnden Gefühls der Betroffenheit zu sein“ (Stahlecker u.a. 2011: 46/47). Wie zu erwarten, sind die First-Tier-Zulieferer deutlich aktiver bei diesen Themen, während fast 70% der Second-Tier-Zulieferer sich wenig bzw. gar nicht damit beschäf- tigten. Eine Erklärung für das großteils passive Verhalten der befragten deutschen Au- tomobilzulieferer könnte die Antwort auf die Frage liefern, wie sich die Entwicklung neuer Antriebs- und Fahrzeugkonzepte mittel- bis langfristig auf die Absatzmöglich- keiten der derzeitigen Produkte der Unternehmen auswirken wird. Hier gibt die Mehrheit der befragten Automobilzulieferer (62 %) an, dass ihre Produkte zukünftig in unverändertem Umfang benötigt werden (Schade u.a. 2012: 125). Die Quote der Unternehmen mit Innovationsanstrengungen in Richtung neue Fahr- zeugkonzepte ist besonders hoch bei größeren Unternehmen (72 % im Gegensatz zu 37 % bei KMU) sowie bei forschungsintensiven Unternehmen mit 2,5 % und mehr FuE- Aufwendungen am Umsatz (ca. zwei Drittel im Gegensatz zu ca. einem Drittel bei nichtforschungsintensiven Unternehmen). 26
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