Betrieblicher Strukturwandel und Elektromobilität - Heinz Pfäfflin Willi Ruppert Handlungsbedarfe für Betriebsräte in der Zulieferindustrie

Die Seite wird erstellt Haimo-Haio Albrecht
 
WEITER LESEN
Betrieblicher Strukturwandel und Elektromobilität - Heinz Pfäfflin Willi Ruppert Handlungsbedarfe für Betriebsräte in der Zulieferindustrie
Heinz Pfäfflin  Willi Ruppert

Betrieblicher Strukturwandel und
         Elektromobilität
   Handlungsbedarfe für Betriebsräte
        in der Zulieferindustrie

              Heft 1/2016
Betrieblicher Strukturwandel und Elektromobilität - Heinz Pfäfflin Willi Ruppert Handlungsbedarfe für Betriebsräte in der Zulieferindustrie
ISSN 1611-8391
ISBN 978-3-934859-56-2

Betrieblicher Strukturwandel und Elektromobilität

Informationsdienst des IMU Instituts – Heft 1/2016

Bearbeitung:         Heinz Pfäfflin
                     Willi Ruppert

Auftraggeber:        Hans-Böckler-Stiftung
                     Forschungsförderung
                     Dr. Marc Schietinger
                     Hans-Böckler-Straße 39
                     D-40476 Düsseldorf

Herausgeber:         IMU Institut GmbH
                     Hasenbergstraße 49
                     D-70176 Stuttgart
                     Tel.: 0711 / 23 70 5-0
                     Fax: 0711 / 23 70 5-11
                     Email: imu-stuttgart@imu-institut.de

Endbericht zum Forschungsprojekt S-2012-603-1 der Hans-Böckler-Stiftung: „Betrieblicher
Strukturwandel als Handlungsfeld der Interessenvertretung am Beispiel von KFZ-Zulieferern in der
Metropolregion Nürnberg und des Strukturwandels zu Elektromobilität“

Nürnberg, Oktober 2015

 2016 by IMU Institut GmbH
  Alle Rechte vorbehalten
Betrieblicher Strukturwandel und Elektromobilität - Heinz Pfäfflin Willi Ruppert Handlungsbedarfe für Betriebsräte in der Zulieferindustrie
IMU

Inhalt

1.    DAS VORHABEN, SEINE SCHWERPUNKTE UND ZIELE                                     1
1.1         Gesellschaftlicher Kontext des Vorhabens                                 1
1.2         Ziele und Fragestellungen                                                3
1.3         Arbeitsprogramm und Vorgehen                                             6

2.    QUALITATIVE UND QUANTITATIVE VERÄNDERUNGEN IN DER
      AUTOMOBILPRODUKTION                                                            7
2.1         Internationalisierung der deutschen OEM und Folgen für die Zulieferer    8
2.2         Elektromobilität in kleinen Häppchen: der lange Weg                     14
2.2         Folgerungen für die deutschen Zulieferer                                21

3.    ZULIEFERER UND ELEKTROMOBILITÄT                                               24
3.1         Innovation im Fahrzeugbau                                               24
3.2         Innovationsfähigkeit gefährdet – auch durch die OEM                     29
3.3         Management von Ambidextrien und Ressourcenfragen                        31
3.4         Ergebnisse aus den Betriebsinterviews                                   34
3.5         Zusammenfassung: Chancen und Risiken nah beieinander                    38

4.    STRUKTURWANDEL UND BETRIEBSRATSHANDELN                                        39
4.1         Typisierung von Betriebsräten                                           39
4.2         Schwerpunkte in den Betrieben                                           42
4.3         Risiko-Analyse Elektromobilität                                         43
4.4         Handlungsempfehlungen                                                   48
4.5         Veranstaltungsreihe ‚E-Drive-Akademie für Betriebsräte‘                 50

5.    BEDEUTUNG DES AUTOMOTIVE-SEKTORS IN DER METROPOLREGION
      NÜRNBERG UND FOLGERUNGEN                                                      55
5.1         Bedeutung des Automotive-Sektors in der Metropolregion                  55
5.2         Industriepolitische Flankierung                                         59

Literatur                                                                           62
Anhang                                                                              71

                                               I
Betrieblicher Strukturwandel und Elektromobilität - Heinz Pfäfflin Willi Ruppert Handlungsbedarfe für Betriebsräte in der Zulieferindustrie
IMU

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1:   Deutsche KFZ-Zulieferer unter mehrfachem Druck                           7
Abbildung 2:   Die Entwicklung des weltweiten Fahrzeugbedarfes von 2002 bis 2018        8
Abbildung 3:   Regionale Verteilung der Herstellung und des Verkaufs der Fahrzeuge
               deutscher Automobilunternehmen im Vergleich 2008 und 2012               10
Abbildung 4:   Anteil der Automobilzulieferer mit Produktionskapazitäten in der
               jeweiligen Region in Prozent 2011                                       11
Abbildung 5:   Vier Typen von Abhängigkeiten zwischen OEM und Zulieferern              13
Abbildung 6:   Unterschiedliche Reife der laufenden Projekte je nach Hersteller oder
               Aktivitätsgrad unterschiedlicher OEM bei alternativen Antrieben         14
Abbildung 7:   Strategische Ausrichtung von OEM im Übergang in die Elektro-
               mobilität                                                               16
Abbildung 8:   Typisierung der Elektrifizierungsgrade bei alternativen Antrieben       17
Abbildung 9:   Vergleich der Antriebsstrategien von OEM in Deutschland                 18
Abbildung 10: Elektrifizierung nach Maß am Beispiel Continental                        19
Abbildung 11: Hybrid-Air-Technik von Bosch und PSA                                     20
Abbildung 12: Innovationsfelder zum Umbau der ‚Automobilitätsmaschine’                 21
Abbildung 13: Erwarteter Personalabbau in der westeuropäischen Zulieferindustrie       22
Abbildung 14: Innovatorenquote und Innovationsintensität 2013                          24
Abbildung 15: Befassung der befragten Zulieferer mit dem Thema alternative
              Antriebe                                                                 27
Abbildung 16: Innovationsaktivitäten der Zulieferer in Richtung alternative Antriebe   28
Abbildung 17: Anteil der Zulieferer mit Aktivitäten zur Erschließung neuer Kunden
              außerhalb der Automobilindustrie                                         28
Abbildung 18: Analysefelder der Zulieferer                                             29
Abbildung 19: Veränderungen in den Kundenbeziehungen                                   30
Abbildung 20: Prognose über den Durchbruch der Brennstofftechnologie                   33
Abbildung 21: Betriebsräte und Innovation                                              40
Abbildung 22: Verbreitung der BR-Typen nach Themenfeldern                              41
Abbildung 23: Veränderungen bei der Elektrifizierung des Antriebs                      43
Abbildung 24: Typisiertes Produktspektrum eines Mittelständlers                        45
Abbildung 25: Risiko-Analyse Elektromobilität für Zulieferer-Betriebsräte              46
Abbildung 26: Fördernde und hemmende Faktoren bei BR-Partizipation                     48
Abbildung 27: Modus arbeitsorientierter Innovationsprozesse                            49
Abbildung 28: Personalbedarf der unterschiedlichen Antriebsarten 2010 – 2030           51

                                              II
Betrieblicher Strukturwandel und Elektromobilität - Heinz Pfäfflin Willi Ruppert Handlungsbedarfe für Betriebsräte in der Zulieferindustrie
IMU

Abbildung 29: These zu neuer Phase der Globalisierung und ihre Auswirkungen         52
Abbildung 30: Einsparungspotentiale der verschiedenen Antriebe                      53
Abbildung 31: Automotive-Cluster Region Stuttgart                                   57
Abbildung 32: Regionale Verteilung der Beschäftigten der Zulieferbetriebe aus dem
              Metall- und Elektrobereich in der Metropolregion Nürnberg 2014        58
Abbildung 33: Regionale Automotive-Koordinations- und Forschungsinstitutionen       60

                                           III
Betrieblicher Strukturwandel und Elektromobilität - Heinz Pfäfflin Willi Ruppert Handlungsbedarfe für Betriebsräte in der Zulieferindustrie
Betrieblicher Strukturwandel und Elektromobilität - Heinz Pfäfflin Willi Ruppert Handlungsbedarfe für Betriebsräte in der Zulieferindustrie
IMU

1. Das Vorhaben, seine Schwerpunkte und Ziele

1.1 Gesellschaftlicher Kontext des Vorhabens

Der Wandel hin zur Elektromobilität stellt die gesamte Automobilindustrie und ihre
Zulieferer vor enorme Herausforderungen. Durch die Elektrifizierung des Antriebs-
strangs werden Wertschöpfungsanteile neu verteilt – sowohl zwischen entfallenden
und neuen Komponenten als auch zwischen unterschiedlichen Akteuren. Das kann zu
Strukturverschiebungen zwischen Unternehmen und Branchen führen (z.B. zwischen
Metall und Kunststoff). In diesem Zusammenhang werden sich auch neue Anforde-
rungen an Ausbildung und Qualifizierung herausbilden. Elektromobilität eröffnet Un-
ternehmen (und Regionen) somit nicht nur Chancen, sondern stellt diese auch vor
Herausforderungen. Die Besonderheit für etablierte Akteure mit traditionellen auto-
mobilen Kompetenzen liegt in der Wahrung ihrer bisherigen Stärken bei gleichzeiti-
gem Kompetenzaufbau in neuen Feldern. Dem „Management des Wandels“ kommt
damit eine besondere Bedeutung zu – und es stellt sich die Frage, wie die Träger der
betrieblichen Mitbestimmung hier eingreifen können.

Eine wichtige Funktion dieses Vorhabens war und ist in diesem Zusammenhang die
Erweiterung der Wissensbasis der gesellschaftlichen Akteure, insbesondere der Träger
der Mitbestimmung. Die gesellschaftliche Relevanz des Forschungsvorhabens ergab
sich aus der Verbindung von Fragen der nötigen Kompetenzen des Technologiewan-
dels und möglicher Wirkungen, zum Beispiel in Bezug auf die Beschäftigung mit Fra-
gen betrieblicher und regionaler Möglichkeiten zur Gestaltung des Strukturwandels.

Dieses Umsteuern auf andere Produkte, d.h. die Produktkonversion, ist als Herausfor-
derung für die betriebliche Innovationsfähigkeit zu interpretieren (vgl. z.B. Blöcker
2013). Innovation ist auch in diesem Feld für die Wettbewerbsfähigkeit von Unterneh-
men von größter Bedeutung. Innovation ist daher einer der zentralen Aspekte in der
Diskussion um die zukünftige Beschäftigungssicherung von Betrieben in Industrielän-
dern wie Deutschland (Gerlach/Ziegler 2002 und 2005).

Innovation spielt aber nicht erst seit der Entstehung der globalisierten Wirtschaft eine
wichtige Rolle. Bereits Schumpeter identifizierte Innovation als Mittel zur Erreichung
von relativen Marktvorteilen. Unternehmen, die Neuerungen als Erste einführen, profi-
tieren davon am meisten, bevor die große Masse aller Unternehmen diese Neuerungen
kopiert. Daher findet aus Sicht Schumpeters zwischen den Unternehmen in einer
Volkswirtschaft ein permanenter Wettlauf um die Abschöpfung dieser vorübergehen-
den quasi-monopolistischen Renditen statt (Schumpeter 1931). Wissenschaftliche Ent-

                                           1
Betrieblicher Strukturwandel und Elektromobilität - Heinz Pfäfflin Willi Ruppert Handlungsbedarfe für Betriebsräte in der Zulieferindustrie
IMU

deckungen und technologisches Wissen nehmen weltweit stark zu und sind einer
wachsenden Anzahl von Akteuren fast zeitgleich zugänglich. Durch das Zusammen-
wachsen von Märkten und durch die globale Ausrichtung von Unternehmen hat sich
der Innovationsdruck insgesamt verstärkt (Gerybadze 2004). Somit spielt ein effizientes
Innovationsmanagement eine zentrale Rolle sowohl für kleine, als auch für größere
Unternehmen, um in immer kürzeren Abständen Innovationen hervorzubringen (Hau-
schildt 2004). Diese Dynamik trifft im Bereich der KFZ-Zulieferindustrie nun auf den –
ungeplanten und teilweise unplanbaren – Wandel der Antriebe bei den Kraftfahrzeu-
gen hin zu elektrischen Antrieben (und Komponenten, vgl. u.a. Arnold u.a. 2010).

Innovationen und technischer Fortschritt werden als grundlegende Instrumente zur
Sicherung von Arbeitsplätzen oder zur Schaffung neuer gesehen – damit sind sie zu-
gleich zu den Kernaufgaben der Träger von Mitbestimmung zu zählen. Innovationen
gelten von daher auch bei den Trägern der Mitbestimmung als „das“ Lösungsmuster
zur Bewältigung unternehmerischer Herausforderungen (Stracke 2006). Trotz einer
Vielzahl von Beiträgen zur Innovationsforschung klafft zwischen der „Innovationsme-
tapher, die als Zauberformel zur Lösung vieler Zukunftsprobleme moderner Gesell-
schaften die politischen Debatten beherrscht“ (Sauer/Lang 1999), dem Stand wissen-
schaftlicher Erkenntnisse und praktischer Umsetzung eine Kluft, wenn es um die Rolle
der betrieblichen Interessenvertretung in diesen Prozessen geht (vgl. Rundnagel 2004).

Gerade in krisenhaften wirtschaftspolitischen Situationen in Unternehmen wird von
den Trägern der Mitbestimmung die Beteiligung am Innovationsprozess gefordert.
Nach einer Auswertung von Jirjahn (derss. 2005) deuten die wenigen aktuellen Studien
zur ökonomischen Wirkung betrieblicher Mitbestimmung darauf hin, dass Mitbestim-
mung ein erhebliches Potenzial zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit hat. Die von
der Bertelsmann Stiftung und der Hans-Böckler-Stiftung eingerichtete „Kommission
Mitbestimmung und neue Unternehmenskulturen“, die in den Jahren 1996 bis 1998 als
Pilotprojekt Empfehlungen zur zukünftigen Ausgestaltung der Mitbestimmung erar-
beiten sollte, kam damals entsprechend zu dem Ergebnis, dass weder eindeutig positi-
ve noch negative wirtschaftliche Effekte der Mitbestimmung festgestellt werden kön-
nen. Deutlich wurde jedoch die unterstützende Funktion der Mitbestimmung für das
Gelingen des betrieblichen Strukturwandels (BS/HBS 1998, nach Stracke 2006). Ähnli-
che Befunde lieferte das Projekt InnoMit, das zu dem Ergebnis kam, dass Mitbestim-
mung prinzipiell in der Lage ist, auf das betriebliche Innovationsgeschehen arbeitsori-
entiert Einfluss zu nehmen (Schwarz-Kocher et.al. 2011: 266). Ein neueres Projekt der
Universitäten Jena und Süddänemark bestätigt die Zusammenhänge von erhöhten
Innovationsaktivitäten bei Vorhandensein eines Betriebsrates (Cantner u.a. 2014).

                                          2
Betrieblicher Strukturwandel und Elektromobilität - Heinz Pfäfflin Willi Ruppert Handlungsbedarfe für Betriebsräte in der Zulieferindustrie
IMU

1.2 Ziele und Fragestellungen

Das Projekt bezieht sich auf die Schwerpunkte des Forschungsschwerpunktes „Struk-
turwandel – Innovation und Beschäftigung“ mit dem Fokus auf einen Aspekt des Wandels
hin zu Elektromobilität, nämlich die Veränderungsbedarfe bei KFZ-Zulieferern, die
bislang Teile / Komponenten für den Verbrennungsmotor und dessen Antriebsstrang
produzieren. Dieser Veränderungsprozess umfasst nicht nur den Wegfall von ‚klassi-
schen’ Komponenten, sondern auch beispielsweise den Ersatz von Karosserieblechen
durch Kunststoff-/Carbonteilen oder Einsatz anderer Materialien für tragende Fahr-
werksteile (d.h. Werkstoff-Substitution, vgl. Pfäfflin/Ruppert 2011) bis hin zur Neukon-
struktion von Elektrofahrzeugen im Sinne eines ‚purpose designs’ 1.

Das umsetzungsorientierte Vorhaben verfolgte dabei folgende vier Teilaspekte:

    1.   Bestandsaufnahme in der Metropolregion Nürnberg im Bereich Automotive
         (Metall/Elektro, auch Chemie/Kunststoff) und Zusammenführung zu einer re-
         gionalen Chancen-Risiken-Bewertung (Auswertung von Daten zu Produkten
         und Beschäftigten von Betrieben der KFZ-Zulieferindustrie für die Metropolre-
         gion). Die Metropolregion schätzt, dass rund 80.000 Menschen in rund 500 Un-
         ternehmen der KFZ-Zulieferbranche beschäftigt sind, der Anteil der Hersteller
         bzw. der der Beschäftigten von Teilen bzw. Komponenten für den ‚klassischen’
         Antriebsstrang ist allerdings unbekannt – und damit auch das Ausmaß der Be-
         drohung durch den absehbaren Strukturwandel in der Metropolregion.

    2.   Betriebliche Chancen-Risiko-Analyse als Ausgangspunkt für Aktivitäten der In-
         teressenvertretung in Sachen betrieblicher Strukturwandel hin zu Elektromobi-
         lität. Dieses Arbeitspaket wurde in ausgewählten Beispiel-Betrieben/-Unter-
         nehmen angesiedelt, deren Interessenvertretung, aber möglichst auch Unter-
         nehmensvertreter, kontinuierlich im Veränderungsprozess begleitet werden
         und ihre Erfahrungen reflektieren.

    3.   Veranstaltungsreihe für Träger der betrieblichen Mitbestimmung und andere
         Interessierte zur Aktivierung der Potentiale für den betrieblichen Strukturwan-
         del (arbeitsorientierte ‚E-Drive-Akademie‘ Mitbestimmungsträger). Wie Blöcker
         (diess. 2012) an ausgewählten Betriebsbeispielen zeigt, ist der Versuch einer ar-
         beitsorientierten Einmischung ins Innovationsgeschehen voraussetzungsvoll

1   Ein Fahrzeugkonzept, das auf eine bestimmte Antriebsart hin entwickelt wird im Unter-
    schied zum ‚conversion design’, bei dem ein bestehendes Fahrzeugkonzept auf einen ande-
    ren Antrieb angepasst wird (vgl. Wallentowitz u.a. 2010).

                                              3
Betrieblicher Strukturwandel und Elektromobilität - Heinz Pfäfflin Willi Ruppert Handlungsbedarfe für Betriebsräte in der Zulieferindustrie
IMU

       und kann einen ‚langen Atem’ gut gebrauchen. Die Themen wurden zu Pro-
       jektbeginn mit den beteiligten Kooperationspartnern auf betrieblicher, regiona-
       ler und überregionaler Ebene abgestimmt.

  4.   Folgerungen für industriepolitische Interventionen zur Begleitung des Struk-
       turwandels auf den unterschiedlichen Ebenen bilden die zusammengefassten
       Schlussfolgerungen aus den drei oben genannten Paketen.

Ein Augenmerk soll auf die spezifischen Innovationsbeiträge der Mitbestimmungsinsti-
tutionen gelegt werden. Die Partizipationskultur in Deutschland hat auf verschiedenen
Ebenen eines Unternehmens zu unterschiedlichen Institutionen der Mitbestimmung
geführt. Hierbei soll insbesondere die betriebliche Ebene (Betriebsräte nach BetrVG)
betrachtet werden.

Diese deutsche Form der delegierten Partizipation führt zu einer spezifischen Kom-
munikationsebene zwischen Betriebs- und Unternehmensführung sowie Gesellschaf-
tern auf der einen Seite und Interessenvertretung der Beschäftigten auf der anderen
Seite (vgl. Dörre 1996). Damit ergibt sich die Chance, das Prozess- und Produktwissen
der Beschäftigten direkt in unternehmerische Strategieentscheidungen einfließen zu
lassen, ohne sich den Beschränkungen der betrieblichen Organisationshierarchien un-
terwerfen zu müssen. Diese Möglichkeit ergibt sich nicht nur aus den gesetzlich gere-
gelten, formalen Einflussmöglichkeiten der Mitbestimmungsgremien, sondern in glei-
cher Weise auch durch informelle Kontakte und Arbeitsbeziehungen, in denen ein Aus-
tausch über die Chancen und Risiken einzelner Innovationsideen entstehen kann (vgl.
Armbruster u.a. 2005). Die Untersuchung arbeitet mit einem ganzheitlichen Innovati-
onsbegriff und versucht, das betriebliche Innovationsgeschehen als dynamischen Pro-
zess zu verstehen. Damit steht nicht die neue technische Produktidee (vgl. Kinkel/Lay
2004) im Vordergrund des Untersuchungsinteresses, sondern vielmehr die Frage,
durch welche sozialen und kommunikativen Prozesse das Wissen um notwendige und
Erfolg versprechende Veränderungen für das betriebliche Innovationsgeschehen nutz-
bar gemacht werden kann. Die Träger der Mitbestimmung können als Sprachrohr der
Beschäftigten vielfältige Beiträge liefern:

      Hinweise auf Probleme und Anregungen zu Veränderungen,

      ausgearbeitete Lösungskonzepte,

      aber auch die kritische Bewertung anderweitig erarbeiteter Innovationsvor-
       schläge bzw. Innovationsergebnisse (vgl. u.a. Schwarz-Kocher u.a. 2010).

Der Hinweis auf Probleme sowie die kritische Hinterfragung anderweitig entwickelter
Innovationsideen werden oftmals nicht als eigenständige Innovationsbeiträge wahrge-

                                          4
IMU

nommen. Wer aber die Prozesshaftigkeit von Innovationen akzeptiert, wird gerade
diese Beiträge als wesentliche Stärkung der innovationsrelevanten dynamischen Fä-
higkeiten des Unternehmens werten.

Einbezogen wurde die folgende Auswahl an Betrieben aus der Region Nürnberg:

             Produkte          MA      Beschreibung

 UN1, BR1    technische        1.000   ‚Familien’-AG, breit aufgestellt, Risiko-
             Kunststoffteile           Analyse durchgeführt + Strategie entwi-
             u.a. für KFZ              ckelt, ein Standort könnte bedroht sein

 UN2, BR2    Getriebesteue-    2.000   internationaler Konzern mit Einbindung,
             rungen KFZ,               eigene ‚E-Mobility-Aktivitäten’, Entwick-
             E-Antriebe                lung vor Ort, aktiver Betriebsrat

 UN3, BR3    Synchronringe     1.500   ‚Familien’-Konzern, Standort hat Entschei-
             KFZ, Teile für            dungsmöglichkeiten und breite Produktpa-
             Baugewerbe                lette, neue Werkleitung

 UN4, BR4    v. a. mechani-    8.000   ‚Familien’-Konzern, Zentrale mit FuE,
             sche Teile für            hoher KFZ-Anteil, eigene ‚E-Mobility-
             KFZ                       Aktivitäten’ mit Qualifizierung

 UN5, BR5    Teile für Ver-    7.500   Konzernbetrieb, Stiftungsgeführt, Leitwerk
             brennungs-                für seine Produkte und deren Herstellung
             motor                     in 20 anderen Werken, keine eigene FuE

 UN6, BR6    technische Ke-    500     Technologie-Unternehmen in US-Besitz,
             ramik u.a. für            auch im Bereich Medizin, geringe Abhän-
             KFZ                       gigkeit KFZ als Unternehmen, nicht aber
                                       der Standort

Alle Betriebe – mit Ausnahme von UN5 – waren bereits in das erwähnte einschlägige
Projekt mit ausgewählten KFZ-Zulieferern in Mittelfranken (ein Kooperationsprojekt
mit der GPQ Mypegasus Nürnberg, vgl. Pfäfflin/Ruppert 2010) mit einbezogen, es
konnte so auch auf Ergebnisse von 2009/2010 zurückgegriffen werden.

                                        5
IMU

1.3 Arbeitsprogramm und Vorgehen

Im Zeitraum von Januar 2013 bis Juni 2015 2 wurden folgende Aktivitäten durchgeführt:

       Literaturrecherche zur Konkretisierung der Entwicklungswege hin zu Elektro-
        mobilität inkl. ihrer technischen Umsetzung und den mittel- und längerfristigen
        Folgen für die KFZ-Zulieferer der unterschiedlichen Ebenen.

       Datenauswertung vor allem zur Beschäftigung der KFZ-Zulieferer aus dem Be-
        reich Metall und Elektro in der Metropolregion zur Abschätzung des ‚Gefähr-
        dungspotentials’ durch den Strukturwandel hin zu Elektromobilität.

       Durchführung und Auswertung von 12 strukturierten Interviews mit Experten
        aus den exemplarischen Betriebsfällen.

       Durchführung von vier Veranstaltungen einer ‚E-Drive-Akademie Mitbestim-
        mung‘ mit betrieblichen und außerbetrieblichen ExpertInnen zu ausgewählten
        Aspekten des betrieblichen Strukturwandels mit der Zielgruppe Betriebsräte
        und interessierte Beschäftigte aus Zulieferbetrieben der Metropolregion.

       Zusammenführung der Projektergebnisse in Richtung industriepolitischer Fol-
        gerungen auf den verschiedenen Ebenen.

Der Bericht gliedert sich in die folgenden vier Kapitel: Kapitel 2 beschreibt qualitative
und quantitative Veränderungen der Automobilproduktion weltweit sowie deren Wir-
kungen auf die KFZ-Zulieferer in Deutschland. Anschließend fasst das Kapitel 3 die
Forschungs- und Befragungsergebnisse zu Problemstellungen und Reaktionen der Zu-
lieferer auf die veränderten Bedingungen – im Allgemeinen wie in den befragten Be-
trieben zusammen. Das Thema „Strukturwandel und Betriebsratshandeln“ befasst sich
einerseits mit Forschungsergebnissen zu diesem Komplex, aber auch den praktischen
Erfahrungen im Rahmen des Projektes. Die regionale Dimension des Strukturwandels
steht im Mittelpunkt des Kapitels 5. Es fasst die Datenauswertung zum Stellenwert des
Automotive-Sektors in der Metropolregion sowie der Gefährdungspotentiale von Be-
schäftigung bei einem Wandel hin zur Elektrifizierung des Antriebsstranges zusam-
men. Daraus ergeben sich auch industriepolitische Anforderungen als Abschluss.

2   Die ungeplante starke zeitliche Streckung ergab sich einerseits durch die Nachwirkungen
    der Krise 2008/2009 und andererseits durch fehlende Ansprechpartner auf BR-Seite während
    der BR-Wahlen von Januar bis Mai 2014. Dies war auch der Grund für den Antrag auf kos-
    tenneutrale Verlängerung bei der Hans-Böckler-Stiftung, der von der Stiftung bewilligt wur-
    de.

                                               6
IMU

2. Qualitative und quantitative Veränderungen in der
   Automobilproduktion

Die deutsche Zuliefer-Industrie kommt in den nächsten Jahren durch verschiedene
Entwicklungen unter Druck: Neben der Schwäche des westeuropäischen Automarktes
und der mangelnden Ertragslage, vor allem bei den kleineren Zulieferern, spielen zwei
wesentliche Trends eine große Rolle. Die neue Globalisierung der deutschen OEM 3 mit
ihren Folgen für die Zulieferer und die Elektrifizierung des Antriebsstranges.

             Abbildung 1: Deutsche KFZ-Zulieferer unter mehrfachem Druck

        Antriebs-            neue                           Begrenzte        Managem.
         vielfalt                                          Ressourcen       Ambidextrien
                                              mobility

                           Varianten
                                              Elektro-

                                                                                  OEMs sind
    Rendite-                                                                     international
    Vergleich                               Deutsche
                       geringe                                Neue Globa-         Wachstum
                       Renditen             Zuliefer-
     Umsatz                                 industrie          lisierung          in BRICS
     Kosten
                                                                                 Zwang zum
                                                                                   Folgen
                                              Schwäche
                                              EU-Markt

                         Markt v.a.                            Absatz ->
                         In D / EU                             Personal

                                      Quelle: eigene Darstellung

Bratzel u.a. sehen die Zulieferer, insbesondere die KMU, in einer ‚Sandwich-Position’ –
tendenziell steigende Anforderungen und geringe Ressourcen, um damit umzugehen
(vgl. Barthel u.a. 2015: 179f).

3   OEM sind die ‚Original Equipment Manufacturer’, also die Automobil-Hersteller. Bei den
    Zulieferern wird je nach Stellung in der Zuliefer-Pyramide von Tier-1- bis Tier-4-Zulieferern
    gesprochen.

                                                  7
IMU

Wir konzentrieren uns im Folgenden auf diese beiden letztgenannten Aspekte. Aller-
dings muss gesehen werden, dass auch andere Entwicklungen wichtige Herausforde-
rungen an die Zulieferer stellen, da geht es einerseits um die Baukasten- und Gleichtei-
lestrategien der OEM (vgl. u.a. Waltl 2012) und andererseits die Entwicklung in Rich-
tung „autonomes Fahren“ (vgl. z.B. TAGESSPIEGEL Online 8.5.15). Die reale Gemen-
gelage für die Zulieferer ist folglich komplexer als es dieser Bericht vorstellen kann.

2.1 Internationalisierung der deutschen OEM und Folgen für die
    Zulieferer

Praktisch alle Prognosen gehen von einem sinkenden, bestenfalls stagnierenden Auto-
mobilmarkt in Westeuropa aus. Roland Berger rechnet in den kommenden Jahren mit
einem Absatz in Westeuropa zwischen 13 und 14 Mio. Fahrzeuge pro Jahr, das sind 3
bis 4 Mio. weniger als in den Hochphasen (vgl. Berret 2012: 10).

  Abbildung 2: Die Entwicklung des weltweiten Fahrzeugbedarfes von 2002 bis 2018

                                  Quelle: Deloitte 2014: 8

Nach übereinstimmenden Analysen werden künftige Zuwächse in den BRIC-Ländern,
vor allem in Asien stattfinden, Amerika wächst noch langsam, während die Anteile
Westeuropas deutlich abnehmen (u.a. Deloitte 2014: 8). Allerdings, das zeigt die ge-
genwärtige Russland-Krise, sind diese Annahmen nicht in Stein gemeißelt, meint: Poli-

                                             8
IMU

tische und ökonomische Krisen können leicht auf den erwarteten Fahrzeugabsatz
durchschlagen und die Prognosen durchkreuzen.

Ein richtiges Problem für die stark in Westeuropa verankerte deutsche Zulieferindust-
rie ergibt die Stagnation im westeuropäischen Absatz erst dann, wenn sich die deut-
schen OEM regional neu aufstellen. Dieser Prozess ist voll im Gange: ‚Wie Phönix aus
der Asche’ (so der Titel einer Studie) starteten die deutschen OEM nach der Krise
durch, auch ist ihre Gewinnlage relativ gut (vgl. Bormann u.a. 2014 2014: 6f). Aller-
dings hat sich das Internationalisierungsmodell der deutschen OEM innerhalb der letz-
ten Jahre drastisch geändert (vgl. auch Barthel u. a. 2010).

In der Vergangenheit war der weltweite Export von in Deutschland produzierten PKW
das entscheidende Modell der Internationalisierung. Für die Zulieferindustrie ein gutes
Geschäft, denn je erfolgreicher die OEM damit waren, desto mehr konnten die deut-
schen Zulieferer davon profitieren.

Die Internationalisierungsstrategie der deutschen OEM hat sich spätestens seit der glo-
balen Krise von 2008/2009 verändert – im Kern ist es nun auf die Produktion in auslän-
dischen Wachstumsmärkten orientiert.

Um das an den in der Studie für die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) genannten Zahlen
zu verdeutlichen (siehe folgende Abbildung): Zwischen 2008 und 2012 hat die PKW-
Produktion deutscher Hersteller von rund 10,8 auf 13,6 Mio. Einheiten zugenommen,
ein Zuwachs von gut 25 Prozent. Die Inlandsproduktion allerdings stagnierte bei 5,5
bzw. 5,4 Mio. Fahrzeugen, während die Auslandsproduktion von 5,3 auf 8,2 Mio. Ein-
heiten stieg (plus 54 %).

Wenn man die weiteren Zahlen dieser Grafik betrachtet, so ist zu erkennen, dass der
Inlandsabsatz mit 2,1 Mio. Fahrzeugen konstant blieb, ebenso der Export (davon gin-
gen aber rund 70% der Fahrzeuge in Staaten der EU).

Die OEM „erhöhten ihre Auslandsproduktion um drei Millionen und produzierten mit
8,3 Millionen Pkw bereits mehr als 60 Prozent ihrer gesamten Pkw-Produktion im Aus-
land. Der Anteil des Auslandsabsatzes stieg damit von 82 Prozent in 2008 auf über 85
Prozent in 2012. Der Anteil der Exporte aus Deutschland in die EU belief sich in 2012
immer noch auf 60 Prozent, sodass der Absatz von Pkw aus Produktion in Deutsch-
land noch substanziell von den europäischen Märkten abhängt. (Bormann u.a. 2014:
7/8)

                                          9
IMU

 Abbildung 3: Regionale Verteilung der Herstellung und des Verkaufs der Fahrzeuge
      deutscher Automobilunternehmen im Vergleich 2008 und 2012 (in Stück)

                               Quelle: Bormann u.a. 2014: 7

Auch die Fraunhofer-Autoren der TAB-Studie konstatieren: „Mengenmäßige Auswei-
tungen der Fertigungskapazitäten haben die deutschen Hersteller in der Vergangenheit
fast ausschließlich im Ausland realisiert. Demgegenüber ist festzustellen, dass die Au-
tomobilhersteller in zunehmendem Maße Fahrzeuge der Oberklasse an deutschen
Standorten fertigen, sodass die Umsätze deutlich stärker stiegen als die Ausbrin-
gungsmenge“ (Schade u.a. 2012: 94).

Von rund 6,5 Millionen global verkauften Premium-Pkw in 2012 stammten laut VDA
80 Prozent von deutschen Marken. In der Oberklasse waren es 2010 fast 100 Prozent
(vgl. Diez 2012). Dementsprechend hat das Premiumsegment auch hohe Bedeutung für
die Beschäftigung in Deutschland: „Über drei Fünftel der Beschäftigten bei deutschen
OEM leisten ihren Beitrag zur Produktion der in Deutschland hergestellten Premium-
fahrzeuge“ (Bormann u.a. 2014: 9/10).

Zum Stellenwert der Zulieferer für den Automobilcluster Deutschland resümieren die
FES-Autoren: „Auf die Zulieferindustrie im engeren Sinne entfielen 2012 19 Prozent
des Umsatzes (68 Milliarden Euro) der gesamten deutschen Automobilindustrie (357
Milliarden Euro). Bei den Beschäftigten liegt der Anteil mit über 39 Prozent deutlich
höher (291.800 Personen)“ (Bormann u.a. 2014: 10). D.h. fast 300.000 Beschäftigte sind

                                           10
IMU

in der Zuliefer-Industrie im engeren Sinn beschäftigt. Ihr Vorteil ist der starke Markt-
anteil und der starke Export der deutschen OEM im Premiumsegment.

Die deutschen Zulieferer sind stärker auf den deutschen Markt ausgerichtet als die
OEM. Im Rahmen der TAB 4-Studie wurde eine Primärerhebung durchgeführt, die fol-
gende Ergebnisse brachte: So „realisieren die Automobilzulieferer im Mittel rund zwei
Drittel ihrer Umsätze am heimischen Markt. Bei mittelständischen Unternehmen liegt
der direkte Exportanteil bei rund 30 %, bei Großunternehmen bei gut 40 %. Indirekt ist
die Abhängigkeit entsprechend größer, da die im Inland abgesetzten Produkte in Au-
tomobile eingehen, die zu 76 % exportiert werden“ (Schade u.a. 2012: 95).

    Abbildung 4: Anteil der Automobilzulieferer mit Produktionskapazitäten in der
                          jeweiligen Region in Prozent 2011

                                  Quelle: Schade u.a. 2012: 83

4   Bericht für das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB)

                                              11
IMU

Trotz dieser im Vergleich zu den OEM etwas stärkeren Konzentration auf den heimi-
schen Absatzmarkt sind die Automobilzulieferer bereits heute in großem Umfang im
Ausland mit Produktionskapazitäten präsent. Allerdings gibt es dabei erhebliche Un-
terschiede zwischen den großen und kleineren Zulieferern, die Konzentration in der
Branche nimmt zu: „Von den in Deutschland generierten Umsätzen der Zulieferbran-
che entfällt ein immer größerer Teil auf die größten sechs, zehn bzw. 25 Zulieferer. So
stieg zum Beispiel der Anteil der größten sechs Unternehmen innerhalb nur weniger
Jahre von 16,5 % auf 26,5 % …“ (IKB 2014: 9/10).

Und auch bei der Frage der Auslandsproduktion ergibt sich ein differenziertes Bild
zwischen groß und klein: Nach Auswertungen der ISI-Produktionserhebung zeigt sich,
„dass 34 Prozent über Auslandsproduktionen verfügen. Differenziert man zwischen
first und second tier suppliern, wird deutlich, dass von den first tier suppliern nahezu
die Hälfte neben den deutschen Produktionsstätten auch Fertigungs- oder Montageka-
pazitäten im Ausland unterhält. Deren Anteil liegt weit über der Quote der second tier
supplier“ (Kinkel/Lay 2004: 6). Und diese first-tier-Zulieferer sind natürlich die weni-
gen Großen wie Bosch, Continental oder Schaeffler. Auch andere Befragungsergebnisse
zeigen diese Differenzierung: Insbesondere in China wird der Unterschied zwischen
großen und KMU-Zulieferern in der Abbildung deutlich. Fast die Hälfte der größeren
Unternehmen produzieren bereits in China, während es bei den kleineren maximal
jeder Zehnte ist. Der Durchschnitt von 20% wird folglich durch die größeren Unter-
nehmen nach oben gezogen.

  Was heißt das nun alles für die Zulieferer in Deutschland?

Das bisherige Modell der Internationalisierung – auch der deutschen Zulieferer – als
Exportmodell dürfte längerfristig nicht mehr tragfähig sein. Der Druck auch auf die
kleineren Zulieferer seitens der OEM bzw. der Tier1-Zulieferer ihrerseits Produktions-
kapazitäten in den ‚emerging markets’ aufzubauen, wird zunehmen (ähnlich: DB 2014,
Commerzbank 2014 oder auch Jaede/Kronenwett 2013). Vielleicht ergeben sich aber
neue Kooperationsbeziehungen (vgl. Kaspersk/Drauz 2012).

Allerdings unterscheidet sich der Druck je nach Stellung der Zulieferer zu den OEM/
Tier-1-Firmen. Dieser dürfte im Wesentlichen bestimmt werden durch die Art der Pro-
dukte und die Alleinstellungsmerkmale eines Zulieferers. Autoren von Roland Berger
identifizierten vier unterschiedliche Formen der Abhängigkeit zwischen OEM und
Zulieferern (siehe auch Abbildung folgende Seite).

Da ist einerseits die ‚unvermeidbare Beziehung’ mit einem vorteilhaften Verhältnis für
den Zulieferer, sie tritt vor allem bei technisch anspruchsvollen Produkten auf, die nur

                                          12
IMU

von wenigen Zulieferern verfügbar sind. Die OEM können hier nicht zwischen vielen
Zulieferern wählen, was deren Machtposition stärkt. Beispiele finden sich bei Kompo-
nenten des Antriebsstrangs oder Elektrik/Elektronik-Komponenten.

    Abbildung 5: Vier Typen von Abhängigkeiten zwischen OEM und Zulieferern

                                Quelle: Blanchet u.a. 2013: 17

Das sog. ‚gemeinschaftliche Verhältnis’ ist von gegenseitig hohen Abhängigkeiten ge-
kennzeichnet. Die Zulieferer versuchen, durch hohe Stückzahlen ihre Investitionen zu
amortisieren, während die OEM keine neuen Zulieferer wählen können, ohne ihnen
nötige Investitionsmöglichkeiten zu bieten. Ein ‚Wettbewerbsverhältnis’ ist demnach
eine ausgeglichene Beziehung, in der weder der OEM noch der Zulieferer vom jeweils
anderen abhängig ist. Dieses Modell ist typisch für technologisch ausgereifte Teile mit
geringem Investitionsaufwand, d.h. der OEM kann den Zulieferer einfach austauschen.
Die Zulieferer versuchen hier, die Risiken durch breite Streuung der Abnehmer zu re-
duzieren. Weiterhin findet sich das klare ‚Abhängigkeitsverhältnis’, hier haben die
OEM den Zulieferern gegenüber eine starke Verhandlungsposition, daher ist es für die
OEM die attraktivste Form möglicher Verhältnisstrukturen (alle Angaben: Blanchet u.a.
2013: 17, eigene Übersetzung).

Zulieferer, die demnach in einem Wettbewerbs- oder Abhängigkeitsverhältnis zu den
OEM stehen, werden wohl den meisten Druck abbekommen. Bei ihnen ist vermutlich
nicht der Wille zur Internationalisierung entscheidend, sondern die Frage, ob sie dazu
fähig sind (vgl. u.a. Stolz 2011). In dieser Debatte gibt es auch Empfehlungen, in andere

                                             13
IMU

Produkt- und Absatzbereiche zu diversifizieren, um diesem Verlagerungsdruck aus-
zuweichen (vgl. Bratzel u.a. 2015: 177 unter dem Begriff „Branchendiversifikation“).

2.2 Elektromobilität in kleinen Häppchen: der lange Weg

„Der zu betreibende hohe Aufwand bei der Umsetzung und Entwicklung der … An-
triebskonzepte bedingt, dass Automobilhersteller bei der Modifikation ihrer Fahrzeug-
flotte unterschiedliche Strategien verfolgen. Nicht alle Hersteller sind in den unter-
schiedlichen Technologiefeldern in gleicher Intensität aktiv“ (Schade u.a. 2012: 102),
dies zeigt beispielhaft die folgende Abbildung.

    Abbildung 6: Unterschiedliche Reife der laufenden Projekte je nach Hersteller
       oder Aktivitätsgrad unterschiedlicher OEM bei alternativen Antrieben

                               Quelle: Schade u.a. 2012: 103

Selbst bei den deutschen OEM zeigen sich deutliche Unterschiede: Während BMW mit
der i-Baureihe auf Elektrofahrzeuge mit Purpose-Design setzt, die extra für die Anfor-
derungen von Elektrofahrzeugen konzipiert werden, bleibt Volkswagen bei der Strate-
gie des Konversion-Designs, d.h. die Beibehaltung des Fahrzeugkonzepts der konven-
tionell angetriebenen Fahrzeuge – mit der wesentlichen Änderung des Antriebs.

Oder nehmen wir die großen Massenhersteller wie Toyota im Vergleich zu VW: So
setzt Toyota seit Jahren auf Hybrid-Fahrzeuge, mittlerweile in fast allen Fahrzeugklas-

                                            14
IMU

sen (und hat große Erfahrung damit), brachte aber mit dem Mirai 5 den ersten serienrei-
fen Brennstoffzellen-PKW auf den Markt (und erhöht zumindest in Japan kontinuier-
lich die Produktion, vgl. WiWo 19.01.2015).

Volkswagen wiederum versucht, das konstruktive Baukastensystem (vgl. Waltl 2012)
auch bei den unterschiedlichen Elektrifizierungsstufen bei zu behalten, d.h. es gibt bei-
spielsweise künftig baugleiche Golfs mit (nur) Verbrennungsmotor, als Hybrid und als
Elektrofahrzeug – was erhebliche Fertigungsvorteile mit sich bringt.

Bezüglich der Elektrifizierungsstrategien der deutschen OEM – so schätzt die Unter-
nehmensberatung Unity ein – reicht die Bandbreite von der vollständigen Eigenpro-
duktion bis zum Zukauf aller ‚neuen’ (elektrischen) Komponenten von Zulieferern. „In
diesem Fall fungiert der Automobilhersteller als Systemintegrator …“; andersherum
geht es um den Aufbau neuer Kernkompetenzen, um „eine eigene Entwicklung für den
elektrischen Antriebsstrang aufzubauen“ (Unity 2013: 12/13).

Unsere These dazu: Die Strategie der OEM muss nicht dauerhaft immer die gleiche
sein, sie kann sich im Zeitablauf und bei sich wandelnden Rahmenbedingungen
durchaus ändern. Derzeit ist zu beobachten, dass viele deutsche OEM eigene Kompe-
tenzen für den elektrischen Antriebsstrang aufbauen. Das gilt vor allem für BMW mit
der i-Baureihe, für Audi, aber auch für VW, wo vieles in den Werken Kassel und
Braunschweig entwickelt und gebaut wird. Daimler ist da eher auf der Linie des Sys-
temintegrators.

Wir nehmen an, dass dieser Neuaufbau der Elektrokompetenzen bei den OEM eine
Übergangserscheinung sein dürfte, um sich das Know-how zu erarbeiten, das man
später einmal als ‚Systemintegrator’ benötigen wird. Bei den gegenwärtig angebotenen
Elektrofahrzeugen handelt es sich überwiegend um Kleinst- und Kleinserien, die im
Manufakturbetrieb hergestellt werden (vgl. Produktionsbeschreibung für VW X1 oder
beim BMW i3). Auch europäische Hybridfahrzeuge sind von den Dimensionen einer
Massenproduktion deutlich entfernt (siehe High-Premium-Fahrzeuge von Daimler
oder BMW, vgl. auch Korthauer u.a. 2012).

Die strategische Ausrichtung der OEM dürfte sich dann ändern, wenn elektrifizierte
Fahrzeuge zumindest in mittleren Serien produziert werden können bzw. müssen. In
den bisherigen Kleinserien wurden die Kompetenzen für elektrifizierte Fahrzeuge bei
den OEM aufgebaut, bei steigenden Stückzahlen bietet sich der Übergang auf speziali-
sierte Zulieferer an. Denn: Warum sollte auf die Skaleneffekte einer Massenproduktion

5   Japanisch für ‚Zukunft’

                                           15
IMU

von Elektromotoren, Batterien und anderen Komponenten durch spezialisierte Zuliefe-
rer verzichtet werden? Ob es dann die Zulieferer von heute sein werden, das ist eine
andere Frage.

Ob die Unterscheidung der OEM in Innovatoren und Folger (siehe Abbildung) in die-
ser Einfachheit tragfähig ist, muss bezweifelt werden. So ist es doch ein deutlicher Un-
terschied, ob ein breit aufgestellter Massenhersteller wie Volkswagen mit seinen
Hauptmarken VW, AUDI und Skoda eine Elektrifizierungsstrategie entwickelt oder ein
2-Marken-Premiumhersteller wie BMW mit den neukonzipierten i3/i8-Baureihen. Die
anderen hier als ‚Innovatoren’ eingeordneten OEM wie Nissan, Renault und Mitsub-
ishi bauen überwiegend Fahrzeuge, die die neuen Antriebstechnologien in bestehende
Fahrzeugkonzepte integrieren, sie unterscheiden sich hierbei kaum von VW (vgl. Proff/
Kilian 2013, 474/475).

            Abbildung 7: Strategische Ausrichtung von OEM im Übergang
                               in die Elektromobilität

                                                                        Toyota
                                                                        = Hybrid
                                                                        + Brenn-

                         Quelle: Proff/Kilian 2013: 475, Ergänzung HP

                                             16
IMU

Selbst die unten gezeigte Typisierung gibt nicht die reale Bandbreite der technischen
Fahrzeugkonzepte wider, die verfolgt werden oder werden könnten. So hat zum Bei-
spiel Schaeffler bereits das zweite BEV-Demonstrationsfahrzeug gebaut, dass drei
mögliche elektrische Antriebe als Alternative anbietet: einen zentralen Elektromotor, je
einen an Vorder- und Hinterachse oder vier Radnabenmotore (vgl. Schaeffler 2013).

   Abbildung 8: Typisierung der Elektrifizierungsgrade bei alternativen Antrieben

                               Quelle: Dispan/Meißner 2010

                                           17
IMU

   Abbildung 9: Vergleich der Antriebsstrategien von OEM in Deutschland (2013)

OEM       Antriebe

Ford      Kern: Power-of-Choice-Strategie, d.h. jeweils passende Antriebe für jeweiligen Kunden
          (Hybrid, Plug-in, BEV oder auch Diesel oder Benziner)
          Focus Electric: Reichweite geplant 160 km, BEV als neuer Ansatz, Ford kooperiert mit
          Schneider Electric in Sachen Ladeinfrastruktur, Batterien und elektrische Komponenten sind
          für ein Autoleben ausgelegt, den Focus Electric wird es auch als Leasing-Angebot geben
          Alternative Kraftstoffe: generell flüssig besser als Gas oder Batterie, aber keine Entscheidung
          - sei heute nicht zu treffen

Opel      Opel steckt rund 4 Mrd. in 13 neue Motoren und mehrere Getriebe, z.B. Insignia mit 8-Gang-
          Wandler-Automatik, Adam mit neuem automatisiertem Getriebe, neu: 1,6 l-CDTI-Motor mit
          100 kW/136 PS und 320 Newtonmeter Drehmoment mit Hochdruckeinspritzung – soll eine
          CO2-Emission von 109 mg erreichen, neuer Benziner: SIDI 1,6-l-er mit Direkteinspritzung
          und Turbolader (2 Versionen), Neben einem 6-Gang-Schaltgetriebe kommt ein 5-Gang-
          Schaltgetriebe und ein automatisiertes Schaltgetriebe mit 5-Gängen

VW        jede Modellgeneration soll 10 bis 15 % effizienter sein als die vorherige, u.a. bis 2020 ein TSI-
          Motor geplant mit 100 kW und unter 100 mg CO2
          TSI-Motore z.B. Golf Blue Motion mit 81 kW-4-Zylinder, Turbo kombiniert mit dem DSG-
          Getriebe plus Start-Stop und Rekuperation – 3-Liter-Auto mit 81 mg CO2
          TDI: 100 kW, Hochdruck-Einspritzsystem, Turbolader und E-Booster dazu 10-Gang DKG
          Erdgasantrieb: 3 neue Modelle Eco Up, Golf TGI und AUDI G-Tron
          E-Autos: E-Up und E-Golf mit je bis 100 km Reichweite
          Plug-in-Hybrid als mittelfristig erste Wahl – geplant im Konzern: Panamera, AUDI A3,
          später Golf, A5, A6 und Q7 und Cayenne -> Baukasten-Hybrid-System von VW

Audi      zunächst kommt A3 G-tron als gasgetriebener A3 (mit 110 PS mit Benziner kombiniert rund
          1300 km Reichweite),
          angekündigt der Plug-in-Hybrid A3 e-tron (hier unterstützt der Benziner den E-Motor), die
          Antrieb aus VW-Werk Kassel, das Laden an der HH-Steckdose dauert knapp unter 4 Stun-
          den, Verbrauch bis 1,5 Liter / 100 km, Reichweite bis 940 km.

Daimler   bis 2020 maximal 10% der Fahrzeuge als BEV oder Plug-in-Hybrid
          Potentiale beim Verbrenner: 10-15 % Effizienz je Generation, Alternative Kraftstoffe. Rennen
          ist offen
          Alle Antriebsarten werden angeboten: vom klassischen Verbrenner bis zum E-Smart und
          Electric-B-Klasse oder Plug-in-Hybride für schwere Fahrzeuge
          Verschiebung Brennstoffzellen-Auto von 2014 auf 2017: Grund neue Kooperation mit Nissan
          und Ford schafft größere Stückzahlen und gemeinsame Infrastruktur - > Flexibilität Brenn-
          stoffzelle ist größer als bei Batteriesystemen

BMW       I3-Motor: als Beispiel für neue 3-Zylinder-Motoren-Reihe, es kommen aber auch neue 4- und
          6-Zylindermotoren (bei Dieselmotoren nun Kooperation mit Toyota, T. bezieht Diesel in
          Stückzahlen bei BMW)
          Unterschiedliche Strategien: i3 als Stadt-Auto notfalls nur Elektrisch bei i8 ist der 3-Zylinder-
          Motor als Range-Extender gedacht, aufwändige Carbon-Fahrgastzelle
          Kooperation mit Toyota auch bei Sportwagenentwicklung

                          Quelle: www. automobil-industrie.vogel.de, 2013

                                                   18
IMU

Betrachtet man die aktuellen Vorhaben allein der deutschen OEM und die bekannten
Planungen, so zeigt sich eine immense Vielfalt an technischen Lösungen. Unsere Auf-
stellung fasst die von Vertretern der OEM beschriebenen Vorhaben/Planungen nur
stichwortartig zusammen (Auszug vorherige Seite).

Daraus deutlich zu erkennen ist zudem bei fast allen Herstellern der enorme Aufwand,
der für die Optimierung der Verbrennungsmotoren und des klassischen Antriebs-
strangs betrieben wird. Und auch bei renditestarken OEM können die Finanzmittel nur
einmal ausgegeben werden. So werden alleine für eine Entwicklungslinie, die i-Reihe
von BMW, Kostenaufwände von bislang rund 3 Mrd. Euro kolportiert (HB 28.01.2014).

  Die Gemengelage wird noch komplizierter: Elektrifizierung in kleinen Häppchen

Als würde diese Vielfalt an Strategien und technischen Lösungen nicht ausreichen, so
zeichnet sich angesichts des geringen Absatzes von Hybrid- und Elektrofahrzeugen
zumindest in West- und Mitteleuropa eine weitere Linie ab, nämlich die „Elektrifizie-
rung nach Maß“.

          Abbildung 10: Elektrifizierung nach Maß am Beispiel Continental

                               Quelle: Klein/Schmid 2013: 1

Da die OEM scheinbar die immensen Kosten für Hochvoltbatterien und die anderen
Komponenten für Voll-Hybrid- und Elektro-Autos scheuen bzw. der Absatz wesentlich
geringer als erhofft ist (z.B. bei den Elektrofahrzeugen von Renault, vgl. auch NPE Be-
standsaufnahme 2014: 5), kommen nun low-level-Lösungen auf den Markt. Nicht nur
Continental bietet zwischenzeitlich eine breite Palette an Lösungen an, die vom Ver-
brenner mit Start-Stop-Automatik über Mild-Hybride mit 48-Volt-Batterien und klei-
nen Elektromotoren bis zu Voll-Hybriden und batterieelektrischen Autos reichen (siehe

                                           19
IMU

oben). Kurz nach der Ankündigung bei Conti folgte Schaeffler (vgl. Schaeffler
10.09.2013), dort wurde schon früher von einer ‚Fächerstrategie’ gesprochen.

In eine ähnliche Richtung – nämlich Kraftstoff- und Co2-Reduzierung ohne Einsatz
teurer Batterien – geht das Konzept, das Bosch mit PSA entwickelt hat, die sog. Hyb-
rid-Air-Technik. Sie setzt auf einen mechanischen Luftspeicher statt Batterien und soll
bis zu 45% Benzineinsparung und 30% Co2-Reduzierung bringen (vgl. www.Auto-
zeitung.de: 23.05.13). Sie ist bisher aber nur eine Ankündigung.

                Abbildung 11: Hybrid-Air-Technik von Bosch und PSA

                            Quelle: www.Autozeitung.de 23.05.13

Das passt zu der Einschätzung, dass vor allem die OEM und Tier-1-Zulieferer die Risi-
ken reduzieren, in dem sie sich auf solche Technologien und Fahrzeugtypen konzent-
rieren, die kostengünstig und für mehrere Fahrzeugtypen verwendbar sind (ähnlich
Döring/Aigner-Walder 2012: 117/118).

                                            20
IMU

     Abbildung 12: Innovationsfelder zum Umbau der ‚Automobilitätsmaschine’

                                Quelle: Aigle/Marz 2007

Aus Sicht der kleineren und mittleren Zulieferer in Deutschland (und auch in der Re-
gion) stellt sich das Thema „Elektrifizierung des Antriebsstranges“ – wenn man auch
noch unterschiedliche Brennstoffe in die Betrachtung einbezieht – als extrem hohe
Herausforderung dar (siehe vorhergehende Abbildung). Sie trifft auf denkbar schlechte
Voraussetzungen (keine Ressourcen, ‚Vorsichtsprinzip’ als Management-Maxime, kei-
ne klaren Signale von OEM / Tier-1-Lieferant …). Die Reaktionen der Zulieferer sind
im Abschnitt 3.1 nachzulesen.

Angesichts dieser Entwicklungen ist wohl nicht mehr davon auszugehen, dass auf
deutschen Straßen im Jahr 2020 rund eine Million Elektrofahrzeuge fahren – entgegen
dem Ziele der Bundesregierung vor einigen Jahren (vgl. BMU 2009 und die Erwartun-
gen der NPE, siehe diess. 2014).

2.2 Folgerungen für die deutschen Zulieferer

Eine Studie der Beratung Roland Berger (vgl. Berret 2013) sieht die Zulieferer – vor
allem die deutschen – in einem mehrseitigen Dilemma, wie wir es weiter oben ange-
führt haben. Im Ergebnis rechnen die Unternehmensberater mit einem deutlichen Be-
schäftigungsabbau in der westeuropäischen Zulieferindustrie: Im Ergebnis komme es
zu „lower supplier headcount in Western Europe while total (global) headcount conti-

                                          21
IMU

nues to grow“ (derss. 13). Dieser Abbau von 65.000 bis 85.000 Köpfen in den nächsten
3-4 Jahren (um rund -10%) werde absolut die deutschen Zulieferer am stärksten treffen
(wegen der hohen Zahl von Werken), relativ am stärksten die Zulieferer in Frankreich,
Italien und Spanien (a.a.O. 14). Die produzierenden Bereiche werden stärker betroffen
sein als die FuE-Bereiche.

 Abbildung 13: Erwarteter Personalabbau in der westeuropäischen Zulieferindustrie

                                  Quelle: Merret 2013: 14

Neben den marktlichen Veränderungen kommen auf die Zulieferer neue technische
Herausforderungen in Sachen Elektromobilität zu, wobei – wie oben dargestellt - die
Bandbreite an technischen bzw. technologischen Lösungen eher zu- als abnimmt. Man
kann es auch als Risiko formulieren: Das Risiko für die Hersteller (und Zulieferer)
wird noch größer dadurch, „dass sich selbst innerhalb der Alternativantriebe … noch
keine überlegene Variante abzeichnet“ (Döring/Aichner-Waldner 2012: 117). Auf die
Reaktionen der Zulieferer kommen wir weiter unten zu sprechen. Vermutlich werden
aber die innovativeren Unternehmen überleben, wie auch Autoren unter der Über-
schrift ‚survivel of the most innovative’ annehmen (Gales 2013).

Allerdings könnten die Entwicklungen in Europa gerade bei Zulieferern in den ‚Clus-
terregionen’ (wie Baden-Württemberg, Bayern …) deutlich negativere Auswirkungen
verursachen. Es wird sich mittelfristig die Frage stellen, wie viel Produktion regional
vorhanden sein muss, um auch in Zukunft innerhalb eines Clusters innovativ und
entwicklungsfähig zu bleiben. So stellt sich für stark auf europäische Absatzmärkte
ausgerichtete Bereiche der Zulieferindustrie das Thema des betrieblichen Struktur-
wandels in neuer Schärfe: „Nur wenn die Industrialisierung neuer Technologien und

                                            22
IMU

Verfahren auch an den heutigen Kernstandorten dieser Cluster realisiert wird, können
diese ihre Stellung im globalen Standort- und Innovationswettbewerb erhalten“, so die
Einschätzung der FES-Autoren (Bormann u.a. 2014, 12). Das ist auch die implizite An-
nahme der sog. ELAB-Studie, die die Beschäftigungswirkungen des Strukturwandels
in einem OEM-Aggregatewerk untersuchte (vgl. Bauer u. a. 2012). Die positiven Be-
schäftigungswirkungen resultieren im Wesentlichen aus der Annahme, dass auch die
alternativen Antriebe dort produziert werden (siehe auch Kapitel 4).

Durch die zu befürchtende Abwanderung der Produktion und die Konzentration auf
Forschung und Entwicklung an den deutschen Standorten kann es zu einer massiven
Verschiebung der Qualifikationsstruktur kommen. Selbst bei gleichbleibenden Beschäf-
tigungszahlen steht die Industriepolitik dann vor der Aufgabe, für die zurzeit noch in
der Produktion Beschäftigten Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt zu entwickeln.

                                         23
IMU

3. Zulieferer und Elektromobilität

Es liegen mittlerweile eine Reihe von Untersuchungen vor, die sich mit der Problema-
tik „KFZ-Zulieferer und Elektromobilität“ (wenn auch nicht unbedingt ganz aktuell)
befassen. Im folgenden Kapitel werden wir die Ergebnisse einer großen Zulieferbefra-
gung durch das Fraunhofer ISI (Schade u.a. 2012 6), einer eher qualitativ orientierten
Untersuchung von Sigfried Roth sowie Thesen zur internen Steuerungs- und Anpas-
sungsfähigkeit von Zulieferern vorstellen.

3.1 Innovation im Fahrzeugbau

Der deutsche Fahrzeugbau gilt gemeinhin als Treiber von Innovationen. Das macht
sich einerseits fest an den hohen Aufwendungen für Forschung und Entwicklung und
andererseits an den Patentanmeldungen.

Die Forschungs- und Entwicklungsintensität des Fahrzeugbaus lag lt. ZEW in 2013 mit
10,7% deutlich vor anderen Industriebranchen (z.B. Elektroindustrie mit 10,0 oder
IT/Telekommunikation mit 7,6%, ZEW 2014:1).

             Abbildung 14: Innovatorenquote und Innovationsintensität 2013

                                      Quelle: ZEW 2014: 2

6   Ähnliche Ergebnisse finden sich auch beispielsweise in Rheinland-Pfalz (vgl. Weber/Conrad
    2010).

                                              24
IMU

Noch deutlicher ist der Vorsprung, wenn es um den Umsatzanteil von Produktneuhei-
ten (jünger 3 Jahre) geht: Hier liegt der Fahrzeugbau mit 51% mehr als doppelt so hoch
wie beispielsweise der Maschinenbau mit 24% (ebenda). Durch die Zusammenlegung
der Automobilproduktion mit dem sonstigen Fahrzeugbau sind diese Daten sogar
noch zu niedrig, da die Automobilproduktion wesentlich innovativer ist als der sonsti-
ge Fahrzeugbau (siehe vorhergehende Abbildung)

Die Gesamtwerte für die gesamte Branche überdecken allerdings eine starke Differen-
zierung zwischen den Betriebsgrößen (gilt für fast alle Industriebranchen, außer bei
einem hohem Anteil von Start-Ups, vgl. u.a. Pfäfflin 2008). Das heißt: Die hohe Innova-
tionsintensität des Fahrzeugbaus ist eine Sache der Großen – betrachtet man eines der
zentralen Cluster der Zulieferindustrie, das der Region Stuttgart mit rund 240 meist
mittelständischen Zulieferern, so wurden hier F&E-Intensitäten um die 2,6% festge-
stellt (vgl. Stahlecker u.a. 2011). Die Ergebnisse der regelmäßigen Innovationserhebun-
gen belegen ebenfalls die erheblichen Differenzen im Innovationsverhalten zwischen
kleinen und Großunternehmen (vgl. u.a. Rahmer 2004 oder Aderholder/Richter 2006).

Ähnliches gilt für Patente, auch hier ist der Automobilbau mit führend in der Statistik,
aber auch hier gilt die breite Spreizung zwischen Großunternehmen und KMU: So
führte Bosch 2011 die Liste der Patentanmelder mit allein 4144 Anmeldungen an, ge-
folgt von Schaeffler und Daimler (Stahlecker u.a. 2011). „Patentanmeldungen von
Klein- und Mittelständlern im Fahrzeugbau seien dagegen quasi zum Erliegen ge-
kommen’ sagt Manfred Müller, Referatsleiter Industrie und Verkehr bei der IHK“
(Stuttgarter Zeitung 10-2014).

Eine weitere Differenzierung erlauben Auswertungen aus der ISI-Produktions-
erhebung 7, wonach deutliche Unterschiede im Innovationsmanagement zwischen klei-
neren und größeren Unternehmen festzustellen sind. „Innovationskompetenz auf we-
nigen Schultern“ lautet denn auch der Titel der Auswertungsbroschüre, die belegt,
dass kleine und mittlere Unternehmen darauf setzten, dass einzelne Mitarbeiter ‚Trä-
ger’ der Innovationskompetenzen sind (rund 75% der Betriebe). Größere Betriebe ver-
trauen mit wesentlich höheren Anteilen auf „Strukturen und Instrumente“, weisen also
ein organisiertes Innovationsmanagement auf (Armbruster u.a. 2005: 5).

7   Die zitierten Befunde stammen nicht aus der Zulieferindustrie, sondern dem verarbeitenden
    Gewerbe – sie dürften dennoch ein zutreffendes Bild zeichnen.

                                              25
IMU

  Richtung Elektromobilität

Für das „Büro für Technikfolgen-Abschätzung des deutschen Bundestages“ hat das
Fraunhofer ISI im Rahmen der Arbeiten 2011/2012 für einen Bericht „Zukunft der Au-
tomobilindustrie“ auch eine Primärerhebung bei deutschen Zulieferbetrieben durchge-
führt (vgl. Schade u.a. 2012).

Nach dieser Befragung beschäftigt sich „über die Hälfte der befragten Unternehmen
(55 %) derzeit eher wenig oder gar nicht mit der Entwicklung entsprechender Kompo-
nenten für neue Antriebs- und Fahrzeugkonzepte … Etwa ein Drittel beschäftigt sich in
mittlerem Umfang mit diesen neuen Technologien und lediglich 14 % intensiv“ (Scha-
de u. a. 2012: 124). Vor dem Hintergrund der hohen Bedeutung des Themas stellen sich
die Autoren die Frage, ob die Automobilzulieferer hier nicht zu abwartend agieren und
Mittel- und Langfristchancen möglicherweise verstreichen lassen.

Ein tieferer Blick in die Struktur der antwortenden Unternehmen zeigt, dass erwar-
tungsgemäß kleine und mittlere Unternehmen mit einem Anteil von etwa 60 % wenig
oder gar nicht aktiver Betriebe besonders zurückhaltend sind (siehe Abbildung). Und
sie fühlen sich auch weniger betroffen von diesem Wandel, wozu die ISI-Autoren in
einer weiteren Befragung meinen: „Dieses Ergebnis legt die Vermutung nahe, dass mit
wachsender Intensität der Verfolgung der Diskussion rund um neue Antriebe für Au-
tomobile die Einschätzung sinkt, nicht betroffen zu sein. Beschränkte Information
scheint also Ursache eines mangelnden Gefühls der Betroffenheit zu sein“ (Stahlecker
u.a. 2011: 46/47).

Wie zu erwarten, sind die First-Tier-Zulieferer deutlich aktiver bei diesen Themen,
während fast 70% der Second-Tier-Zulieferer sich wenig bzw. gar nicht damit beschäf-
tigten. Eine Erklärung für das großteils passive Verhalten der befragten deutschen Au-
tomobilzulieferer könnte die Antwort auf die Frage liefern, wie sich die Entwicklung
neuer Antriebs- und Fahrzeugkonzepte mittel- bis langfristig auf die Absatzmöglich-
keiten der derzeitigen Produkte der Unternehmen auswirken wird. Hier gibt die
Mehrheit der befragten Automobilzulieferer (62 %) an, dass ihre Produkte zukünftig in
unverändertem Umfang benötigt werden (Schade u.a. 2012: 125).

Die Quote der Unternehmen mit Innovationsanstrengungen in Richtung neue Fahr-
zeugkonzepte ist besonders hoch bei größeren Unternehmen (72 % im Gegensatz zu 37
% bei KMU) sowie bei forschungsintensiven Unternehmen mit 2,5 % und mehr FuE-
Aufwendungen am Umsatz (ca. zwei Drittel im Gegensatz zu ca. einem Drittel bei
nichtforschungsintensiven Unternehmen).

                                         26
Sie können auch lesen