Bildu g ist MehrWert! - Zeitung "Erziehung und Wissenschaft im Saarland" des Landesverbandes der GEW im DGB
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61. Jahrgang Zeitung “Erziehung und Wissenschaft im Saarland” des Landesverbandes der GEW im DGB Bildung ist MehrWert!
InhaLt EDItORIaL 1980 etwa zehnmal mehr Arbeitstage als lediglich durch Unterstützung der entspre- Öffnungszeiten der 2014 verschiedenen Streiks zum Opfer fielen. chenden Hilfsorganisationen. Auch im internationalen Vergleich liegt Interessant ist auch das Interview mit der Geschäftsstelle Deutschland, was Streiktage anbetrifft (16 Ta- Professorin em. Dr. Dagmar Hänsel, die uns ge pro 1.000 Beschäftigte) eher im unteren einmal mehr vor Augen führt, dass Kinder, die Bereich der Skala der europäischen Länder. Mo. - Do.: 09.00 - 12.00 Uhr | 13.00 - 16.00 Uhr in Armut leben müssen eher Gefahr laufen in Hier sind die Franzosen mit dem etwa zehnfa- der allgemeinen Schule negativ ausgelesen zu Fr.: 09.00 - 12.00 Uhr | 13.00 - 15.00 Uhr chen (150 Tage pro 1.000 Beschäftigte) füh- werden. Hiervon sind insbesondere auch Kin- Telefon: 0681 / 66830-0, Liebe Kolleginnen und Kollegen, rend. der von Migranten betroffen, die immer noch Telefax: 0681 / 66830-17 das Thema Streik war in den letzten Wo- Wir sollten aber nicht nur versuchen, diese zu wenig auf sie zugeschnittene Förderung E-Mail: info@gew-saarland.de chen Dauerthema. Vom Streik der Lokführer Streiks realistisch wahrzunehmen und einzu- erhalten. Inklusion kann nur dann gelingen, Internet: http://www.gew-saarland.de waren viele betroffen, ebenso vom Streik der ordnen, sondern auch ernsthaft über unsere wenn wir flexible Förderangebote haben, die Erzieherinnen und Erzieher, die wie man in Solidarität mit den Streikenden nachdenken - den Lehrkräften an allgemeinbildenden Schu- GEW-Service unserer aktuellen Ausgabe nachlesen kann auch hierzu findet man einen Artikel in der len helfen, alle Kinder pädagogisch zu unter- nicht nur ihre unangemessene Bezahlung, vorliegenden Ausgabe. Ein Blick auf das Streik- stützen und ihren Fähigkeiten entsprechend Beratungszeiten für sondern auch die mangelnde Wertschätzung recht der Beamten darf natürlich auch nicht zu fördern. 04 Mitglieder in Rechtsfragen ihres Berufes beklagten. So war es nicht ver- fehlen. Wie ein roter Faden zieht sich also die Mo., Di. u. Do.: 08.30 - 16.30 Uhr, wunderlich dass bei der Urabstimmung An- Auch wenn der Streik Hauptthema dieser Notwendigkeit von Solidarität und gegenseiti- Mi.: 13.00 - 17.00 Uhr fang Mai 96,37 % für einen Streik stimmten. Ausgabe ist, dürfen wir darüber nicht verges- gem Verständnis durch die vorliegende Ausga- Ihr findet deshalb in der vorliegenden Ausga- Landesstelle für Rechtsschutz sen, dass leider in vielen Ländern der Welt, be: Die Streikenden Erzieherinnen und Erzie- be nicht nur einen Bericht über diesen „Kita- Gabriele Melles-Müller, Menschen tagtäglich um die nackte Existenz her benötigen unsere Solidarität, um die ent- Streik“, sondern ebenfalls Hintergrundinfor- Kitas im Streik Tel.: 0681 / 66830-13, kämpfen, sei es in Ländern, die von Kriegen sprechende Wertschätzung ihrer Arbeit zu er- mationen zu Streiks im Sozial- und Erzie- E-Mail: g.melles-mueller@gew-saarland.de betroffen sind, wie z.B. Syrien, oder von halten, die Menschen in Kriegs- und Katastro- hungsdienst. Interessant ist auch ein Blick in Fr.: 13.00 - 16.00 Uhr unter Naturkatastrophen, wie z.B. Nepal! Der Be- phengebieten benötigen ebenfalls unsere die Geschichte des Streiks - viele Errungen- richt über den Besuch eines Schweizer Kriegs- Solidarität, vor allem wenn sie aus ihrem Editorial 03 Gewerkschaft 18 Tel. (priv.): 0170 / 4151006 schaften, die uns heute selbstverständlich journalisten in einem Saarbrücker Gymna- Heimatland fliehen müssen und hier bei uns Beratung für erscheinen wurden durch Arbeitsnieder- 18 Saarländische Beamtinnen und Referendarinnen und Referendare legungen erkämpft. sium, der über den Krieg in Syrien Bericht um Aufnahme bitten. n thema: Streik 04 Beamte erhalten mehr Geld Andreas Sánchez, Tel.: 0681 / 66830-14 erstattete in der aktuellen Ausgabe ist ein Auch wenn es uns im Moment so vor- Zeichen dafür, dass diese Menschen ebenso Ich wünsche Euch eine anregende Lektüre, 04 Kitas im Streik 18 11. Deutscher Seniorentag der E-Mail: a.sanchez@gew-saarland.de kommt, als seien Streiks dauernd an der unsere Solidarität benötigen, auch wenn die BAGSO in Frankfurt 05 Es geht um MehrWert Beratung für Beschäftigte und Freiberufler Tagesordnung, ist es interessant, dass z.B. Hilfe nicht unmittelbar erfolgen kann, sondern agnes Bender-Rauguth Gesellschaftspolitische Bedeutung des 19 Erkennen Sie den Unterschied? (Erwachsenen- & Weiterbildung) Streiks im Sozial- und Erziehungsdienst Georges Hallermayer 07 „Wer im Stich lässt seinesgleichen, Info & Service 20 georges.hallermayer@wanadoo.fr ANZEIGE lässt ja nur sich selbst im Stich“ Beratungsdienst für Gedanken zur Solidarität mit Streikenden 20 „Mit kritischem Blick“ auslandsaufenthalt von Lehrkräften AK-Filmtage: 5 Filme gegen das Vergessen 08 Basiswissen Tarifvertrag und die Gefahr von Rechts Marlene Wagner Tel.: 06833/1435 (nachmittags) 09 Streiks in der Geschichte Redaktionsschluss Was haben uns Streiks je gebracht? Bücher & Medien 21 10 Beamte und ihr Recht, (nicht) zu 21 Gemeinsam besser unterrichten streiken Teamteaching im inklusiven Klassenzimmer 08.06.2015 21 Ökonomi(sti)sche Bildung? Nein (Juli/august-ausgabe) hochschule 11 danke! 10.07.2015 Wir drucken für unser Leben gern (September-ausgabe) 11 Sonderpädagogik aus historischer 22 Hartz IV und die Folgen E-Mail: redaktion@gew-saarland.de Perspektive und die Konsequenzen Auf dem Weg in eine andere Republik Schule 14 Geburtstage und Jubiläen 23 Impressum 14 Politikunterricht einmal anders 23 Juni 2015 herausgeber Schüler_innen des Dt.-Franz. Gymnasiums 23 Schlusswort diskutieren mit dem Schweizer Gewerkschaft Erziehung und Druck Kriegsjournalisten Kurt Pelda Wissenschaft (GEW) im DGB, Landesverband Saarland, Geschäftsstelle: COD Büroservice Gmbh Bleichstraße 22, 66111 Saarbrücken 16 „FÖRDI-Messe“ im Dillinger Mainzer Str. 84, 66121 Saarbrücken Telefon: 0681 / 393530, info@cod.de Tel.: 0681 / 66830-0, Fax: 0681 / 66830-17 Lockschuppen info@gew-saarland.de Bildnachweis 17 IGS Göttingen: Die Kraft des Du u.a. pixelio.de, fotolia.de, privat Redaktion Peter Balnis, Layout Agnes Bender-Rauguth (verantw.), Bärbel Detzen Helmut Bieg, b.detzen@gew-saarland.de Thomas Bock, Anna Haßdenteufel, Namentlich gezeichnete Beiträge geben nicht Matthias Römer unbedingt die Meinung der GEW wieder. Für unverlangt eingesandte Manuskripte wird keine Gewähr übernommen. anzeigenverwaltung COD Büroservice GmbH Andreas Sánchez Haselberger a.sanchez@gew-saarland.de Mainzer Straße 35 66111 Saarbrücken Tel. 0681 39353-51 Fax 0681 6852301 EuWiS 06/2015 | 2 offset und digital print@cod.de www.cod.de
thEMa: StREIK thEMa: StREIK Kitas im Streik Es geht um MehrWert Gesellschaftspolitische Bedeutung des Streiks im Sozial- und Erziehungsdienst Seit dem 8. Mai sind die Beschäftigten des Diffamierungen der Arbeitgeber zurück und kommunalen Sozial- und Erziehungsdienstes erläuterte die Forderungen der Gewerkschaf- Die aktuellen Streiks im Sozial- und Erzie- im Streik. Die gesellschaftlichen Erwartungen ten. GEW-Landesvorsitzender Peter Balnis hungsdienst sind in mehrerlei Hinsicht von an das gesamte Berufsfeld sind in den vergan- unterstrich in seiner Rede, dass es bei diesem grundlegender gesellschaftspolitischer Be- genen Jahren enorm gewachsen und damit Streik auch um die Lohndiskriminierung von deutung. auch die Anforderungen an Qualifikation und Frauen und um die Berechtigung von Streiks Arbeit der Beschäftigten. Das muss sich end- in sozialen Berufen geht. Beide Redner beton- lich in einer deutlich besseren Bezahlung und ten, dass die Streiks im Sozial- und Erzie- arbeitslohn muss zum Leben reichen in einer gerechteren Eingruppierung der Kol- hungsdienst eine gemeinsame Sache von Bei dieser Tarifrunde geht es nicht um eine leginnen und Kollegen widerspiegeln. ver.di und GEW sind. reine Tariferhöhung, sondern darum, die überkommene Entgeltordnung so zu verän- dern, dass insgesamt eine Aufwertung der Berufe stattfindet und mehr Gerechtigkeit bei der Zuordnung zu Entgeltgruppen herrscht. Dabei machen alle geforderten Verbes- serungen in der Summe eine Gehaltssteige- rung von ca. 10 % aus. Das geht deutlich über andere aktuelle Tarifabschlüsse hinaus. Von Erzieher_innen. Aufgerufen dazu hatte der Arbeitgeberseite wird mit allerhand Zahlen- Elternbeirat im Regionalverband Saarbrücken. spielerei Maßlosigkeit unterstellt. Doch Die Eltern zeigten großen Respekt für die Deutschland steht international in der Kritik Arbeit der Erzieher_innen mit ihren Kindern wegen seiner mit Niedriglohnpolitik erkauften aus und forderten die Arbeitgeber auf, ein ak- Exportstrategie. Volkswirtschaftlich machen zeptables Angebot vorzulegen. Sie sprachen gerade jetzt deutliche Lohnsteigerungen Sinn, sich untereinander ab, wie sie die Beeinträch- um die Binnennachfrage anzukurbeln und die tigungen durch den Streik bewältigen und die öffentlichen Einnahmen zu erhöhen. Der Erzieher_innen solidarisch unterstützen kön- Streik ist also ein gesellschaftspolitisches Sig- nen. nal dafür, dass die Zeiten zurückhaltender Streikauftrakt am 08. Mai 2015 im Streiklokal in der GEW-Geschäftsstelle Lohnforderungen vorbei sind. Die Arbeitgeber haben fünf Verhandlungs- Am Ende der bunt gemischten Kundgebung Die GEW verteilte Luftballons und Karten mit runden lang blockiert und kein Angebot vor- ließen die Teilnehmer_innen Luftballons stei- Blumensamen, um Eltern für ihre Solidarität zu Erzieher_innen haben eine deutliche gelegt. Mit dem unbefristeten Streik wollen gen als Symbol für langen Atem und für ihre danken. GEW Landesvorsitzender Peter Balnis Gehaltsteigerung bitter nötig. Sie verdienen GEW und ver.di durchsetzen, dass die Arbeit- Bereitschaft so lange zu streiken bis ein akzep- hat gemeinsam mit zahlreichen Kindern und im Schnitt 1550 € netto, und gut die Hälfte geber endlich ein Angebot für die bundesweit tables Angebot vorliegt. Eltern Kinderlieder zur Gitarre gesungen. n von ihnen arbeitet, oft unfreiwillig, in Teilzeit rund 240.000 Erzieher_innen und Sozialarbei- und hat damit ein Einkommen, mit dem keine ter_innen in kommunalen Einrichtungen vor- Mit einer Solidaritätsaktion auf dem (red.) Familie zu ernähren ist und das dicht an die legen. Spielplatz am Staden in Saarbrücken unter- Fotos: Andreas Sánchez Haselberger, Peter Balnis Armutsgrenze herankommt. Dieser Streik stützten Eltern am 15. Mai den Streik der kann also auch der Ausbreitung einer größer Über 700 Angestellte im Sozial- und werdenden Gesellschaftsgruppe sog. „wor- Erziehungsdienst streikten zum Auftakt am 8. king poor“ entgegen wirken und den Grund- Mai in ca. 60 Einrichtungen im Saarland. Die satz verankern, dass der Arbeitslohn zum GEW Landesvorsitzender Peter Balnis bei seiner Rede vor 1000 streikenden Erzieher_innen, auf dem Lautsprecherwagen von ver.di stehend. Er zeigt auf das Gebäude der Vereinigung kommunaler Arbeitgeber, an die sich die Forderung der Streikenden richtet. GEW hatte drei Streiklokale in Saarbrücken, Leben reichen muss. Völklingen und Neunkirchen eingerichtet. Bei Jugendlichen der Gesellschaft mindestens so zahlung folgen muss. Wir müssen in der guter Stimmung und vielen Gesprächen viel wert ist wie die Arbeit mit Geld oder die Gesellschaft deutlich machen, dass hohe untereinander wurde dort deutlich, dass die arbeit mit Kindern und Jugendlichen Herstellung von Produkten. Qualität von sozialen Diensten ihren Preis hat. Streikbereitschaft hoch und das Verständnis ist wertvoll Gute Bildung, Erziehung und Betreuung gibt auf Elternseite groß ist. Erzieher_innen verdienen brutto knapp Es gibt einen breiten gesellschaftlichen es nur für gutes Geld. 600 € weniger als der Durchschnitt aller Ar- Konsens, dass für frühe Bildung mehr getan Nahezu 1.000 Beschäftigte des kommuna- beitnehmer. Beim Berufseinstieg liegt ihr werden muss. In den vergangenen Jahren Die finanzielle Aufwertung ist dringend not- len Sozial- und Erziehungsdienstes gingen am Einkommen ca. 500 € unter dem von Bank- wurde viel Geld in den Ausbau der Kinder- wendig, da im Sozial- und Erziehungsdienst 12. Mai im Rahmen ihres Streiks für die Auf- kaufleuten und Facharbeitern in der Metall- tagesstätten investiert. Jetzt stehen die Inte- bereits jetzt Fachkräfte fehlen. Junge Men- wertung ihrer Berufe in Saarbrücken vom industrie, und im Unterschied zu den Berufen ressen der sozialpädagogischen Fachkräfte im schen finden die Gehaltsaussichten im Sozial- Schloss zur Zentrale des kommunalen Arbeit- im Handel und in der Industrie erhalten Erzie- Vordergrund. Erzieher_innen tragen große und Erziehungsdienst nachweislich unattrak- geberverbandes demonstriert. her_innen während ihrer Ausbildung kein Verantwortung für Bildung, Erziehung und tiv. Wenn sich hier nichts tut, wird auch ein Philipp Reiß, Sprecher des Elternbeirates Geld. Der Streik für die Aufwertung der Arbeit Betreuung. Sie schaffen die Grundlage für den besserer Personalschlüssel nicht ausreichen, beim Regionalverband, überbrachte solidari- im Sozial- und Erziehungsdienst ist auch ein Bildungsweg der Kinder. Sie verlangen zu da das Personal schlicht fehlt. In einigen sche Grüße der Elternschaft. Ver.di-Bezirks- Streik für neue gesellschaftliche Wertvorstel- Recht, dass den gestiegenen Anforderungen Regionen ist das bereits der Fall. Und die SuE- leiter Thomas Müller wies in seiner Rede die lungen, bei denen die Arbeit mit Kindern und an die Qualität ihrer Arbeit eine höhere Be- Beschäftigten fragen sich zu Recht, warum sie EuWiS 06/2015 | 4 EuWiS 06/2015 | 5
thEMa: StREIK thEMa: StREIK trotz mehrjähriger Ausbildung bzw. Studium Zu behaupten, die Beschäftigen würden tionsmodell eine Rolle. Bei ver.di haben die „Wer im Stich lässt seinesgleichen, lässt ja nur sich selbst im Stich“ weniger verdienen als Beschäftigte mit ver- den Tarifkonflikt auf dem Rücken der Eltern jeweiligen Tarifpartner die entscheidende gleichbarer Qualifikation im Finanz- oder und Kinder austragen, ist eine Frechheit, so- strukturgebende Rolle; dementsprechend Industriesektor. lange Arbeit- und Gesetzgeber zulassen, dass sind Erzieher_innen z.B. in 3 verschiedenen sich die Arbeitsbedingungen zunehmend ver- Fachbereichen mit jeweiligem Eigenleben schlechtern. Bei den Streiks geht es ja gerade organisiert (Kommunen, Länder sowie Ge- Geschlechtergerechtigkeit durchset- um die Sicherung verlässlicher und hochwer- sundheit, Kirchen und Wohlfahrtsverbände). Gedanken zur Solidarität mit Streikenden zen tiger Bildungs- und Erziehungsarbeit. Die Bei der GEW spielen die professionspoliti- Der aktuelle Streik im Sozial- und Erzie- Beschäftigten werden ihre Arbeit auf Dauer schen Interessen eine zentrale Rolle; deshalb Wer, wenn nicht wir als Gewerkschaftsmit- hungsdienst ist auch ein Streik für Geschlech- nur engagiert und motiviert fortsetzen kön- gehören alle Erzieher_innen, Sozialarbei- glieder, müssen solidarisch sein und Verständ- tergerechtigkeit. Die unterdurchschnittliche nen, wenn die Arbeitsbedingungen ihnen da- ter_innen usw. unabhängig von ihrem Arbeit- nis haben, wenn mal wieder ein Streik vor der Bezahlung im Sozial- und Erziehungsdienst für den geeigneten Rahmen bieten. Deshalb geber zur Fachgruppe Sozialpädagogische Tür steht. Das ist leicht gesagt und sicher auch hängt damit zusammen, dass der Großteil der sind ein paar Wochen Streik besser als perma- Berufe. dann einfach, solange wir nicht unmittelbar Beschäftigten in diesem Bereich weiblich ist. nente Ausfälle durch Krankheit, Burnout und betroffen sind und unsere Solidarität darin Die IG-BAU bringt das in ihrem Solidaritäts- Fachkräftemangel. GEW und ver.di gehören beide zum DGB. besteht verbal Verständnis für die Streikenden schreiben sehr gut auf den Punkt, wenn sie Im aktuellen Streik hat sich die Kooperation zu äußern. Aber wie sieht es aus, wenn ich schreibt: „Ihr kämpft nicht nur für Euch selbst, Die soziale Verantwortung der SuE-Be- zwischen beiden im Saarland deutlich weiter- selbst morgens auf den Bus oder den Zug sondern zugleich geht Euer Kampf um das schäftigten darf kein Grund und Druckmittel entwickelt. In den Einrichtungen arbeiten die angewiesen bin, der dann einfach nicht Ende der Schlechterbezahlung von frauendo- sein, ihnen das Streikrecht zu verwehren. Es Kolleg_innen Hand in Hand. Es gibt eine kommt oder aber noch problematischer, ich minierten Tätigkeiten. Ihr kämpft für alle Kol- ist ein Grundrecht! Erzieher_innen und Sozial- gemeinsame Streikplanung, wöchentliche stehe mit meinem Kind vor einer bestreikten leginnen und letztlich für uns alle gegen die pädagog_innen haben auch eine Vorbild- Treffen zu Aktionsabsprachen, ständigen Tele- Kita.... immer noch bestehende Diskriminierung von funktion. Dazu gehört, sich für die eigenen fonkontakt, ein gemeinsames Auftreten bei In diesen zuletzt beschriebenen Fällen ist Frauen im Arbeitsleben“. Interessen einzusetzen und Grundrechte Demonstrationen und Kundgebungen, ein eine „aktive“ Solidarität gefordert, das heißt selbstbewusst wahrzunehmen. gemeinsames Streiklokal in Völklingen und auf ich muss selbst etwas tun, muss mich umorga- Vorsitzenden-Ebene einen guten Draht zuei- nisieren, eventuell mit anderen Betroffenen Streik ist ein Grundrecht - auch für nander. Das tut beiden gut. gemeinsam, um meinen Alltag bewältigen zu soziale Berufe GEW und ver.di streiken gemeinsam können. Oder ganz kurz gesagt: der Streik hat Es liegt in der Natur sozialer Berufe, dass Unübersehbar bei den Streikaktionen sind Es wächst die Erkenntnis, dass die Interes- für mich negative Folgen - er tut weh! gerade die dort Beschäftigten einen beson- die Fahnen von GEW und ver.di neben verein- senvertretung sozialpädagogischer Fachkräfte ders schweren Stand haben, wenn sie ihr zelten Emblemen der dbb-Verbände. Der zu einem gemeinsamen Projekt von GEW zu Ein Streik ist aber nur dann sinnvoll, wenn Streikrecht durchsetzen wollen. Eine stillge- Streik ist ihr gemeinsames Ding und setzt da- ver.di entwickelt werden muss, dass nur er weh tut, wenn möglichst viele betroffene legte Kita ist etwas anderes als ein stillgelegtes mit auch Impulse für die Entwicklung der gemeinsam die gewerkschaftliche Macht auf- Menschen bemerken, dass gestreikt wird und Fließband. Für die Beschäftigten stellt sich das Gewerkschaftsbewegung insgesamt. gebracht werden kann, um eine Aufwertung damit bemerken, dass diejenigen, die streiken häufig als Dilemma dar: Setzen sie sich für ihre des Sozial-und Erziehungsdienstes durchzu- im Normalfall wertvolle Arbeit leisten. Sicher Hinnehmen der negativen Streikfolgen, son- einer Gemeinschaft und macht die Gemein- Interessen ein und streiken, können sie das Erzieher_innen und Sozialpädagog_innen setzen. n sind die Streikenden dann auch gerne bereit, dern beinhaltet auch die aktive Auseinander- schaft tragfähig und stark. Innerhalb einer nur schwer mit ihrem beruflichen Ethos ver- sind sowohl bei ver.di als auch bei der GEW mich noch genauer über die Ursachen dieses setzung mit den Zielen der Streikenden, mit Familie fällt vielen diese Solidarität leicht, einbaren. Schließlich geht es in den Einrich- gewerkschaftlich organisiert. Die Entschei- Peter Balnis Streiks zu informieren. denen ich mich im Idealfall identifizieren denn innerhalb der Familie hat jeder schon tungen um Bildungs- und Beziehungsarbeit. dung, welcher von beiden Gewerkschaften kann, die ich aber auf jeden Fall respektieren die Erfahrung gemacht, dass auch er selbst Foto: Andreas Sánchez Haselberger Auch gegenüber den Eltern, die von den man sich anschließt, ist von verschiedenen Trotzdem gelingt es auch mir selbst nicht sollte. Natürlich gehört zu einer solchen Aus- von dieser Solidarität profitiert. Je größer die Streikfolgen betroffen sind, fühlen sie sich ver- Faktoren beeinflusst. Neben persönlichen immer, rückhaltlos solidarisch und verständ- einandersetzung auch eine kritische Betrach- Solidargemeinschaft, desto schwerer vermit- pflichtet. Kontakten spielt auch das jeweilige Organisa- nisvoll zu sein, oft spielen auch die Begleit- tung. Ich muss nicht mit allen Beweggründen telbar ist es, eigene Sicherheiten zu vernach- umstände eine Rolle, z. B. die Möglichkeiten, der Streikenden einverstanden sein, kann lässigen, um anderen zu ihrem Recht zu ver- ANZEIGE die ich als Betroffener habe die negativen aber trotzdem diesen Streik als probates helfen. Folgen abzufedern. Ich selbst erlebe solche Mittel ansehen, über diese Ziele zu informie- Solidarität lässt sich nicht verordnen, aber Situationen oft mehrmals im Jahr, wenn ren. Gerade wenn im öffentlichen Dienst oder spätestens wenn ich verstanden habe, dass meine französischen Kolleginnen und in sozialen Diensten Streiks durchgeführt wer- ich als Einzelner nicht überleben kann und Kollegen mal wieder streiken. Dann bin ich den, hört man oft das Argument, dieser Streik spätestens als alter, kranker Mensch auf soli- gezwungen, so gut es geht, den Unterrichts- werde auf dem Rücken der Betroffenen (der darische Mitmenschen angewiesen bin, sollte betrieb aufrecht zu erhalten, auch wenn etwa Kinder, der Patienten, etc.) ausgetragen. Dies ich ernsthaft über mein Verständnis von 20 von 90 Kolleginnen und Kollegen nicht da ist natürlich richtig, aber die Streikenden in Solidarität nachdenken. sind – ohne die, die aus anderen Gründen feh- diesen Bereichen sind insbesondere auf Soli- len. Natürlich muss dann auch die ein oder darität und Verständnis angewiesen, insbe- Übrigens für die, die es nicht oder nicht andere Klasse zu Hause bleiben und wir müs- sondere, wenn sie zuvor alle anderen Mög- mehr erkannt haben: die Überschrift und der sen für die Kinder, die nicht zu Hause bleiben lichkeiten (Resolutionen, Forderungskataloge, nun folgende Schluss sind Zitate aus dem können eine Notgruppe einrichten etc. etc. ... usw.) ausgeschöpft haben. Die Leidtragenden Solidaritätslied von Berthold Brecht. Ich bin solidarisch, auch wenn ich nicht wirk- dieser Streiks können durch ihre „aktive“ „Vorwärts und nicht vergessen worin lich begeistert bin, diese zusätzliche Arbeit Solidarität am ehesten dafür sorgen, dass die unsere Stärke besteht! Beim hungern und innerhalb kürzester Zeit bewältigen zu müs- berechtigten Interessen auch wahrgenom- beim Essen, vorwärts und nie vergessen: die sen - übrigens ist am 19. Mai auch wieder ein men werden und ihre Forderungen gehört Solidarität!“ n solcher Streik! werden. agnes Bender-Rauguth Solidarität macht den Menschen mensch- Solidarität ist aber meines Erachtens mehr lich, sie ist die Basis des Zusammenlebens in als nur das klaglose und verständnisvolle EuWiS 06/2015 | 7
thEMa: StREIK thEMa: StREIK Streiks in der Geschichte Was haben uns Streiks je gebracht? Ein Konferenztisch in der Führungsetage eines fiktiven Unternehmens: Die Anwesen- den nehmen die Geräuschkulisse demonstrie- render Streikender, die durch das geöffnete Fenster eindringt, zum Anlass sich genussvoll dem Ritual des Gewerkschafts-Bashings hin- zugeben. Einvernehmlich entlarven die An- wesenden die Gewerkschaften als das, was sie ihrer Meinung nach eigentlich sind: eine wahre Plage, Fotrschrittsbremsen, Besitz- standswahrer, Umverteiler, Sozialromantiker, die uns ausbluten lassen wollen! Der plötzliche Einwurf des Konferenzleiters „Was haben die Gewerkschaften je für uns getan?“, von ihm als rhetorische Frage ge- meint, bringt die einmütige Stimmung jedoch 1978/79 kam es in Nordrhein-Westfahlen zum Kippen, da die Anwesenden zunächst teien wieder legal auftreten konnten). Für zu einem sechswöchigen Streik in der Stahl- sehr verdruckst, aber allmählich mit immer Großbritannien sind die - leider allerdings er- industrie und 1984 legten die IG-Metall-Mit- mehr Verve Errungenschaften aufzählen, wie folglosen - Berarbeiterstreiks an dieser Stelle glieder in der Metall- und Elektroindustrie in Mutterschutz, bezahlter Jahresurlaub, Mitbe- zu nennen. Das Ziel, die radikale Zerschlagung Hessen, Nordwürttemberg und Nordbaden stimmung im Betrieb, 5-Tage-Woche, Kündi- des Sozialstaats durch die neoliberale That- sieben Wochen lang die Arbeit nieder. Der gungsschutz, Tarifverträge, Lohnfortzahlung cher-Regierung abzuwenden, konnten die Streik wurde flankiert durch die Mitglieder im Krankheitsfall. Die Diskussion wird mit ei- Gewerkschaften trotz einer seit Ende des der IG-Druck und Papier. Beide Streiks hatten nem seitens des Konferenzleiters schmallippig Zweiten Weltkriegs nie dagewesenen Solidari- die Durchsetzung der 35-Stunden-Woche zum hervorgestoßenen „Arschloch!“ in Richtung sierungswelle nicht erreichen. Die Niederlage Ziel. Es kam zu einer Verkürzung auf 38,5 des bisher eher duckmäuserisch auftretenden verringerte die Macht der Gewerkschaften in Stunden und schrittweise zu Verkürzung auf Betriebsrates beendet, nachdem dieser mit Großbritannien dauerhaft. 35 Stunden in späteren Jahren. Die 38,5- den einfachen Worten „mehr Geld“ die Frage Stunden-Woche wurde in vielen anderen auf ein Weise beantwortet hat, deren Über- Branchen ebenfalls von Gewerkschaften zeugungskraft der Konferenzleiter offenbar Streiks in Deutschland nach 1945 durchgesetzt. Der Versuch der IG-Metall die nichts mehr entgegensetzen kann. Schließlich 1948 kam es zur ersten großen Streik- 35-Stunden-Woche 2003 durch Streiks auch hat auch er am Ende jeder Tarifrunde mehr bewegung der Nachkriegszeit auf dem Gebiet auf Ostdeutschland auszuweiten scheiterte Geld auf dem Konto und ist somit Profiteur der westlich besetzten Zonen. Fast 10 Millio- jedoch mit Ausnahme ihres Wirkungsbereichs der von ihm so gehassten Gewerkschaften. Zu nen Erwerbstätige legten die Arbeit nieder, in der Stahlindustrie. sehen ist dieses Video auf der Website des um die Währungsreform und den Wegfall der DGB (www.dgb.de). Preisbindung zu verhindern. Der eintägige Generalstreik konnte beides nicht verhindern, Deutschland – neue heimat der aber er brachte Zugeständnisse, die als Ur- Streikwut? historische Streiks sprung der Sozialen Marktwirtschaft gelten. Auch wenn angesichts der Streikwelle, die Das Wort Streik leitet sich ab vom engli- Deutschland momentan etwas durchrüttelt, schen strike und bedeutet so viel wie Schlag 1953 lehnten sich die Arbeiter in der DDR bei manchen der Eindruck entsteht, Deutsch- oder Streich. Der Streik ist ein Mittel des Ar- gegen die Erhöhung der Arbeitsnormen auf. land würde von Streiks geradezu überrollt beitskampfes, der Druck auf Arbeitgeber oder Der Streik wurde von sowjetischen Truppen oder gar lahmgelegt, so bescheinigt die Statis- auch auf Regierungen ausüben soll, damit die niedergeschlagen, die Regierung nahm die tik deutschen Gewerkschaften eine eher Interessen der Streikenden Berücksichtigung Erhöhung der Arbeitsnormen aber zurück. zurückhaltende Streikfreudigkeit: In Deutsch- finden. Ein Beispiel für politische Streiks von land fielen zwischen 2000 und 2007 im Durch- historischer Bedeutung ist für Deutschland 1956/57 streikte die IG Metall stellvertre- schnitt fünf Arbeitstage jährlich pro Tausend der zunächst illegale Streik der Bergarbeiter tend im Tarifbezirk Schleswig-Holstein 16 Wo- Beschäftigte aus. In unserem Nachbarland im Ruhrgebiet im Jahre 1889 (nahezu alle chen lang mit Erfolg. Am Ende stand ein Tarif- Frankreich lag dieser Wert in diesem Zeitraum Plakat "Basiswissen Tarifvertrag" Bergarbeiter streikten - fast 90.000 - unter vertrag, der die Arbeiter im Krankheitsfall mit bei 103 Arbeitstagen. n DIN A1, gefalzt auf A4 Stückpreis 0,50 Euro zuzüglich Versandkosten fast bürgerkriegsähnlichen Zuständen und den Angestellten gleichstellte und ihnen Artikelnummer: 1600 brachten schließlich das unter Bismarck ver- ebenfalls die Lohnfortzahlung zusicherte. Die thomas Bock hängte Sozialistengesetz zu Fall, so dass im Vereinbarung wurde später zur gesetzlichen Einzelexemplare erhältlich über broschueren@gew.de, Fax: 069/78973-70161 Foto: Munkácsy Mihály: Sztrájk (1895), Quelle: Jahr 1890 Gewerkschaften und Arbeiterpar- Regelung. Bestellungen ab zehn Exemplaren erhältlich im GEW-Shop: www.gew-shop.de, gew-shop@callagift.de, wikipedia.de Fax: 06103-30332-20. EuWiS 06/2015 | 8 EuWiS 06/2015 | 9
thEMa: StREIK hOChSChULE Beamte und ihr Recht, (nicht) zu Sonderpädagogik aus historischer streiken Perspektive und die Konsequenzen Beamte dürfen nicht streiken. Tun sie es die private Krankenversicherung - also sollen Interessanterweise bietet die internationa- Prof. em. Dr. Dagmar hänsel, ehemalige Prof. em. Dr. Dagmar hänsel sonderpädagogischer Förderung bedürfen, doch, so müssen sie disziplinarische Maßnah- sie sich mal nicht so anstellen, denn der Staat le Rechtsprechung neue Ansätze für klagewil- Professorin für Schulpädagogik mit den ar- Die Aussparung sonderpädagogischer Zu- allgemein geteilt. Allgemein geteilt wird auch men befürchten. Schließich haben sie die sorgt doch gut für sie. lige Kolleg_innen. So gab es vor einigen Jahren beitsschwerpunkten Grundschule, theorie und sammenhänge aus dem Blick der Allgemeinen die Auffassung der Sonderpädagogik, dass für Pflicht, ihren Amtseid gewissenhaft zu erfül- mehrere Urteile des Europäischen Gerichts- Geschichte der Sonderpädagogik und Profes- Pädagogik war nicht immer gegeben. Wilhelm die Förderung dieser Kinder sonderpädagogi- Der Staat kann aber jederzeit eben auch ge- len und dürfen sich gleichzeitig des besonde- hofes für Menschenrechte gegen die Türkei, in sionalisierung von Lehrerinnen und Lehrern an Rein hat in seiner 1911 veröffentlichten Lehre sche Kompetenz unverzichtbar ist, die wieder- setzlich regeln, wie viel Mehrarbeit und Mehr- ren Schutzes des Staates sicher sein. denen festgestellt wurde, dass niemandem der Universität Bielefeld, setzt sich seit langem vom Bildungswesen auch das Hilfsschul- und um an die sonderpädagogische Ausbildung belastung er seinen Beamten auferlegt ohne aufgrund seines Beamtenstatus das Streik- kritisch mit der Sonderpädagogik auseinander, Anstaltswesen behandelt. Herman Nohl und gebunden wird. Es ist deshalb nur konse- dass selbige das Mittel des Streikes zur Durch- Verkürzt dargestellt ist dies die zugrunde- recht und das Recht auf kollektive Verein- zuletzt in ihrer Forschungsarbeit über die Ludwig Pallat haben in ihrer 1928 erschiene- quent, wenn allgemeine Lehrkräfte erklären, setzung ihrer Interessen nutzen könnten - liegende Idee, Beamten ein Streikrecht zu ver- barung der Arbeitsbedingungen aberkannt „Sonderschullehrerausbildung im nationalso- nen Theorie der Schule der Sonderschule in dass sie Behinderte nicht angemessen fördern sprich, jegliche Verhandlung zwischen Arbeit- wehren. Unabhängig davon, dass sich werden dürfe. Nach Klagen in Deutschland, zialismus“. Brigitte Schumann wollte im Ge- Gestalt der Hilfsschule ein eigenes Kapitel können, weil sie dafür nicht ausgebildet wor- geber und Arbeitnehmer wird erschwert und Deutschland hier eine Sonderstellung im Ver- die sich auf diese Rechtsprechung beriefen, spräch mit ihr erfahren, wie sie als Vertreterin gewidmet. Wilhelm Flitner hat sich noch in den sind. zwangsläufig immer zugunsten des ersteren gleich mit anderen Industriestaaten leistet, schieben sich Justiz und Politik in einer Art der allgemeinen Pädagogik die Rolle der Son- den 1930er-Jahren für die Einbeziehung son- ausfallen. lohnt jedoch ein genauerer Blick auf die Hinhaltetaktik seit einiger Zeit den Ball hin derpädagogik aus historischer Perspektive derpädagogischer Fragestellungen in die Dass es sich bei den Behinderten im deut- Rechtslage. Dabei ist das Streikverbot größtenteils zu- und her, wohl in der Hoffnung, dass man das wahrnimmt und welche Konsequenzen sie da- Allgemeine Pädagogik ausgesprochen und schen Bildungssystem vorwiegend um Kinder nächst einmal „nur“ Tradition: Der Gesetz- Problem ganz zeitgemäß einfach aussitzen raus für die inklusive Schulentwicklung zieht. eine sonderpädagogische Lehrerausbildung in Armut handelt, die aus dem Mainstream Fangen wir mit einer kurzen historischen geber geht hierbei tatsächlich eingeschränkt kann bis niemand mehr klagewillig ist. für Hilfsschullehrkräfte abgelehnt. der Kinder in der allgemeinen Schule negativ Einordnung des Streikverbots für Beamte an. von „im engen Sinne hoheitlich tätigen“ Be- Brigitte Schumann: ausgelesen und auf der Grundlage sonderpä- Wie so Vieles in Deutschland liegen seine Ur- amten aus. Damit wären Lehrer_innen vom Wie dem auch sei: Ganz so einfach wie in Frau Hänsel, Sie beschäftigen sich seit lan- Der blinde Fleck in der Allgemeinen Päda- dagogischer Diagnostik als „Behinderte“ be- sprünge im preußischen Obrigkeitsstaat. Für Streikverbot genau genommen gar nicht der Einleitung dargestellt ist die Situation also gem mit dem Verhältnis von Allgemeiner gogik ist erst mit der Etablierung der Sonder- hauptet worden sind, ist allgemein nicht die gesetzlich geregelte und vergleichsweise betroffen da sie eben nicht hoheitlich tätig nicht mehr. In diesem Sinne können die Kol- Pädagogik und Sonderpädagogik. Eine Ihrer pädagogik als eigenständigem Fach entstan- bewusst oder wird nicht kritisch hinterfragt. privilegierte Stellung als (unkündbare) Diener sind. Darüber hinaus ist interessanterweise leg_innen nur ermutigt werden, das Streikver- zentralen Thesen lautet: Die Sonderschule ist den. Ihre Trennung von der Erziehungswis- Diese Kinder machen rund 80 Prozent der in des Staates versicherten sich König oder das Herzstück des Beamtenrechts, die soge- bot nicht kampflos hinzunehmen - die Chan- der blinde Fleck in der Allgemeinen Pädago- senschaft, ihre Verankerung in separierten der allgemeinen Schule und rund 60 Prozent Kaiser einer besonderen Treuepflicht. (Kriegs- nannten „hergebrachten Grundsätze des Be- cen auf eine Neuregelung stehen besser denn gik. Was meinen Sie genau damit? heilpädagogischen Instituten und die damit der in der Sonderschule sonderpädagogisch )Wichtige Bereiche des Staatswesens (so auch rufsbeamtentums“, die nach Art. 33 Abs. 5 je. n verbundene Einrichtung heilpädagogischer Geförderten aus. Das Stereotyp des Behin- Post und Bahn) wurden von besonders loya- Grundgesetz zu berücksichtigen sind, nie von Prof. em. Dr. Dagmar hänsel Professuren vollzog sich in der BRD Anfang der derten, das von Kindern mit Down-Syndrom len Dienern verwaltet und geführt, die auch einem Parlament beschlossen worden. Bei Damit ist gemeint, dass sonderpädagogi- 1950er-Jahre. Damit wurden auch die wissen- und von Rollstuhlfahrern repräsentiert wird, im Zweifel keine Widerworte geben sollten. diesen Grundsätzen handelt es sich um teils sche Zusammenhänge aus dem Blick der All- schaftlichen Karrieren in der Erziehungwis- trifft damit auf die Mehrheit der Behinderten Ebenso konnte sichergestellt werden, dass die bis weit ins 19. Jahrhundert zurückreichende gemeinen Pädagogik weitgehend ausgespart senschaft und in der Sonderpädagogik ge- im deutschen Bildungssystem nicht zu. Bediensteten der „Erziehungsanstalten“ im- Traditionen, die ausschließlich von Richtern werden. Sonderpädagogische Zusammenhän- trennt und die Sonderpädagogik für die All- mer in Treue zu ihrem „Dienstherren“ standen und Rechtsgelehrten weiterentwickelt wur- ge werden in der empirischen Schulsystemfor- gemeine Pädagogik zur „black box“. Auch die Geschichtskonstruktionen der - schließlich hatten sie ja auch ein staatlich den. Sie ranken sich um häufig altmodisch an- schung, in der historischen Bildungsforschung Sonderpädagogik werden von der Allgemei- legitimiertes Züchtigungsrecht gegenüber den mutende Begriffe wie „besondere Treue- und in der Schultheorie und damit in jenen Brigitte Schumann: nen Pädagogik weitgehend kritiklos übernom- Zöglingen. pflicht“ oder „amtsangemessene Alimenta- Bereichen ausgeklammert, die sich mit dem Was sind die konkreten Folgen dieser be- men. tion“. Dahinter verbirgt sich die Fiktion, Beam- Bildungssystem in seinem Gesamtzusammen- sonderen Form von „Blindheit“? Was sich bis heute sowohl in Politik wie tinnen und Beamte würden nicht fürs Arbei- hang befassen. Wo die Sonderschule von der Brigitte Schumann: auch öffentlicher Meinung von dieser Auffas- ten bezahlt, sondern zu Monatsanfang der helmut Bieg empirischen Schulforschung in den Blick ge- Prof. em. Dr. Dagmar hänsel Eigentlich müssen Sie sich doch freuen, sung gehalten hat, ist die Idee, dass Beamte Würde ihres Amtes entsprechend ausrei- nommen worden ist, etwa in der ersten PISA- Eine wichtige Folge dieser Blindheit stellt dass mit der Inklusionsdebatte endlich auch doch gesetzlich geregelte, besonders gute Ar- chend versorgt, um sich unabhängig und frei Studie, ist dies geschehen, weil die internatio- das unterschiedliche Professionsverständnis das Verhältnis von Sonderpädagogik und beitsbedingungen haben: Sicherheit, Unkünd- von Existenzsorgen der Amtsführung hinge- nale Vergleichbarkeit der Daten dies erforder- allgemeiner und sonderpädagogischer Lehr- Allgemeiner Pädagogik zum Thema gewor- barkeit, Planbarkeit und dazu natürlich noch ben zu können. te. Die Kinder, die im deutschen Bildungssys- kräfte dar, das die Hilfsschulpädagogik kon- den ist. Das ist doch die Chance, den blinden tem als sog. Lernbehinderte die größte Grup- struiert hat und das unhinterfragt bis heute Fleck zu erkennen und zu beheben. ANZEIGE pe der Behinderten darstellen, gelten in den tradiert wird. Allgemeine Lehrkräfte gelten meisten anderen Ländern nicht als Behin- als Generalisten. Sonderpädagogische Lehr- Prof. em. Dr. Dagmar hänsel derte, die in der Sonderschule oder in der all- kräfte gelten als Spezialisten und werden in In Anlehnung an Radio Eriwan lässt sich gemeinen Schule sonderpädagogischer För- der professionellen Hierarchie höher als diese sagen, dass diese Frage im Prinzip mit „ja“ derung bedürfen. Wenn sonderpädagogische gewertet. Diese Rangordnung findet auch in beantwortet werden kann, aber eben nur im Zusammenhänge in der Allgemeinen Pädago- ihrer Einstufung in eine höhere Gehaltsstufe Prinzip. Inklusion, womit nach dem Verständ- gik in den Blick genommen werden, wird zu- Ausdruck. nis der Sonderpädagogik die sonderpädagogi- meist die Sicht der Sonderpädagogik übernom- sche Förderung von Behinderten in der allge- men. Im Zusammenhang von Inklusion ist der Das Deutungsmonopol der Sonderpäda- meinen Schule gemeint ist, erhöht prinzipiell Sicht der Sonderpädagogik auch in der Bildungs- gogik zeigt sich in der kritiklosen Übernahme die Notwendigkeit und Möglichkeit der All- politik allgemeine Geltung verschafft worden. sonderpädagogischer Glaubenssätze nicht gemeinen Pädagogik, in die „black box“ der nur in der Allgemeinen Pädagogik, sondern Sonderpädagogik hineinzuschauen und in die- Brigitte Schumann: auch in der Bildungspolitik. So wird der son- sem Bereich Forschung zu betreiben. Die Bevor wir über Inklusion sprechen, stellt derpädagogische Glaubenssatz, dass Kinder, Zusammenarbeit allgemeiner und sonderpä- sich die Frage, wie der blinde Fleck entstan- denen die allgemeine Schule nicht gerecht dagogischer Lehrkräfte im gemeinsamen Un- den ist. werden kann, Behinderte sind und als solche terricht von Behinderten und Nichtbehinder- EuWiS 06/2015 | 11
hOChSChULE hOChSChULE ten trägt zur Entzauberung der behaupteten Prof. em. Dr. Dagmar hänsel ihre Didaktik, sondern nur ein Fach. Eine zen- land. Auch die Grünen in NRW, die sich, als sie Sonderpädagogik als eigenständigem Fach ist dungspolitische Wirkung versprechen Sie sich besonderen sonderpädagogischen Kompe- Die Forderung nach Verankerung sonderpä- trale sonderpädagogische Kompetenz wird noch in der Opposition waren, für die von sonderpädagogischen Fach- und Ver- davon? tenz und damit zur Ernüchterung allgemeiner dagogischer Inhalte in der allgemeinen nach wie vor in der sonderpädagogischen Abschaffung der Schulen für Lernbehinderte - bandsvertretern nach 1945 denn auch mit Lehrkräfte bei. Die Sonderpädagogik hat Lehrerausbildung ist nicht neu. Sie ist viel- Diagnostik gesehen. Wie problematisch es um und damit der Mehrheit der deutschen Son- dem Argument begründet worden, dass da- Prof. em. Dr. Dagmar hänsel darauf klug reagiert. Sie definiert die Rolle der mehr von der Sonderpädagogik seit ihrer diese Kompetenz bestellt ist, hat Brigitte Kott- derschulen - stark gemacht haben, sind in mit ein Rückfall in die Barbarei der NS-Zeit Forschung hat zumeist keine bildungspoliti- sonderpädagogischen Lehrkräfte in der allge- Entstehung im 19. Jahrhundert erhoben wor- mann in ihrer empirischen Studie zur Selek- ihrer Regierungsverantwortung zurückgeru- vermieden werde. schen Wirkungen. Das ist auch nicht ihr pri- meinen Schule neu als Berater und Entwickler. den. Sie war und ist mit der Hoffnung verbun- tion in die Sonderschule eindrücklich erwie- dert. Sie sind dem Vorschlag eines Experten- märes Ziel. Forschung dient vielmehr in erster gutachtens zur Abschaffung dieser Sonder- Allgemeine Lehrkräfte fordern, und das mit Als solche sollen sie nicht mehr mit dem den, dass allgemeine Lehrkräfte dadurch die sen. Linie der Wahrheitsfindung und der Aufklä- schulen nicht gefolgt. Das Land NRW ist viel- Recht, mehr Unterstützung bei der Förderung Unterrichten von Klassen und damit mit der sonderpädagogische Perspektive überneh- rung. Die forschende Auseinandersetzung mit mehr zum Vorreiter für den flächendecken- von Kindern mit Lern- und Entwicklungs- Aufgabe befasst sein, die im Zentrum der men. Das ist deshalb so wichtig, weil das deut- Brigitte Schumann: der Sonderschule und der Sonderpädagogik den Ausbau der sonderpädagogischen Lehrer- schwierigkeiten, deren Zahl durch steigende Lehrertätigkeit steht und für die Lehrkräfte sche Sonderschulsystem wesentlich auf der Wie stellen Sie sich die zukünftige Rolle der im Nationalsozialismus halte ich für beson- ausbildung und damit auch für den weiteren Armut und Migration sprunghaft wächst. Sie ausgebildet werden. Auslese aus der allgemeinen Schule basiert, Sonderpädagogik zur Umsetzung von Inklu- ders wichtig, nicht nur weil es zu diesem Be- Ausbau sonderpädagogischer Förderung in fordern aber nicht zwangsläufig mehr Son- an der allgemeine Lehrkräfte im Vorfeld und sion vor? reich in der Sonderpädagogik kaum Forschung Sonderschulen wie in allgemeinen Schulen derpädagogen. Das gilt zumal dann, wenn Brigitte Schumann: als Kooperationspartner sonderpädagogi- gibt oder diese von Außenseitern betrieben geworden. So sind seit 2013 in NRW 2300 sonderpädagogische Lehrkräfte als Berater Was macht Sie so skeptisch gegenüber der scher Lehrkräfte beteiligt sind. Prof. em. Dr. Dagmar hänsel wird, die aus dem sonderpädagogischen Dis- zusätzliche Studienplätze für das sonderpäda- und Entwickler allgemeiner Lehrkräfte fungie- Möglichkeit , dass die Allgemeine Pädagogik An die Stelle einer flächendeckenden Ver- kurs ausgeschlossen bleiben. Auch in der Ge- gogische Lehramt geschaffen und drei neue ren sollen. Weitreichende Unterstützung im Zusammenhang von Inklusion sich mit der Hinter der aktuell erhobenen Forderung ankerung sonderpädagogischer Lehrkräfte als schichtswissenschaft gibt es zur Sonderschule Standorte für die sonderpädagogische Lehrer- könnte allgemeinen Lehrkräften ohne Mehr- Sonderpädagogik auseinandersetzt und da- nach Verankerung sonderpädagogischer Berater und Schulentwickler auf allen Stufen keine Forschung. Obwohl (ehemalige) Hilfs- ausbildung eingerichtet worden. kosten geleistet werden, wenn die Kosten, die mit bspw. auch ihre Zuständigkeit für die Inhalte in der allgemeinen Lehrerausbildung und in allen Formen der allgemeinen Schule schülerinnen und Hilfsschüler als „angeboren für die sonderpädagogische Förderung von Kinder erkennt, die die Sonderpädagogik für steht der Glaubenssatz der Sonderpädagogik, und damit an Stelle eines massiven Ausbaus Brigitte Schumann: Schwachsinnige“ die Hauptgruppe der Opfer Kindern mit Lern- und Entwicklungsschwie- sich in Anspruch genommen hat, nämlich die dass die Förderung aller Kinder in ihrer der Sonderpädagogik, der alle bisherigen Wenn Sie die sonderpädagogischen Fach- der Zwangssterilisation darstellten, ist dieser rigkeiten derzeit aufgewendet werden, für Kinder in Armutslagen? Verschiedenheit zwingend sonderpädagogi- Grenzen sprengt, sollten die vorhandenen richtungen Lernen, Emotionale und soziale Zusammenhang aus der geschichtswissen- pädagogische Förderung in allgemeinen Schu- sche Kompetenz erfordert, die wiederum an sonderpädagogischen Lehrkräfte nach mei- Entwicklung sowie Sprache (LES) für überflüs- schaftlichen Forschung zur Zwangssterilisa- len verwendet und sonderpädagogischen Prof. em. Dr. Dagmar hänsel die sonderpädagogische Ausbildung gebun- ner Vorstellung als das eingesetzt werden, sig erklären und die dazu gehörenden Lehr- tion ausgespart geblieben. Das gilt auch für Lehrkräfte in allgemeinen Schulen, insbeson- Ungeachtet der seit vier Jahrzehnten in all- den wird. Das hat zur Folge, dass allgemeine wofür Lehrkräfte ausgebildet werden, näm- ämter auflösen wollen, dann legen Sie sich die geschichtswissenschaftliche Forschung dere in Grundschulen und in Brennpunkt- gemeinen Schulen praktizierten Beschulung Lehrkräfte sonderpädagogischen Lehrkräften lich als Lehrkräfte im Klassenunterricht. Die mit der starken Lobby der Sonderpädagogik zur Sozialgeschichte der deutschen Schule. schulen, nicht als Berater und Schulentwick- von Behinderten hat sich die Allgemeine Pä- in der Förderung der Verschiedenen notwen- Doppelbesetzung von Lehrkräften in einer an. Aber auch die Lehrerschaft an den allge- ler, sondern als Lehrkräfte im Unterrichten dagogik bisher kaum forschend mit der dig unterlegen sind, wie umfangreich auch die Klasse, die in der Pilotphase des gemeinsa- meinen Schulen fordert ja gerade mehr und Durch Forschung lassen sich nicht nur ver- von Klassen eingesetzt würden. Zudem könn- Sonderpädagogik befasst. Vielmehr hat die in ihrer Ausbildung verankerten sonderpäda- men Unterrichts Standard war, ist bei einem nicht weniger Sonderpädagogen zur Förde- borgene Zusammenhänge aufdecken, son- ten flexible Förderangebote allgemeinen Allgemeine Pädagogik das sonderpädagogi- gogischen Elemente sein mögen. Die sonder- flächendeckenden Ausbau weder realisierbar rung von Kindern mit Lern- und Entwick- dern auch Geschichtskonstruktionen der son- Lehrkräften helfen, Kinder pädagogisch zu sche Verständnis von Inklusion weitgehend pädagogischen Elemente berechtigen allge- noch finanzierbar. lungsproblemen. Wie wollen Sie darauf rea- derpädagogischen Historiographie als My- unterstützen. übernommen und ihre „Anschlussfähigkeit“ meine Lehrkräfte zudem nicht zum gestuften gieren? thenerzählungen erweisen. Bis heute lebt die Dringend geboten wäre auch, auf die Zu- an die Sonderpädagogik betont. Ebenso ist Erwerb des sonderpädagogischen Lehramts Wie sich der Verzicht auf sonderpädagogi- Mythenerzählung von der versuchten Ab- rechnung der Kinder mit Lern- und Entwick- die strikte Trennung zwischen allgemeiner und lassen damit die strikte Trennung zwi- Prof. em. Dr. Dagmar hänsel sche Förderung zu Gunsten pädagogischer schaffung der Hilfsschule und dem Verbot der lungsschwierigkeiten zu Behinderten zu ver- und sonderpädagogischer Lehrerausbildung schen allgemeiner und sonderpädagogischer Wer die Interessen einer Interessengruppe Förderung durch allgemeine Lehrkräfte aus- Hilfsschullehrerausbildung durch das Nazi- zichten und damit den deutschen Sonderweg im Zusammenhang von Inklusion nicht verän- Lehrerausbildung auch im Zusammenhang berührt, legt sich notwendig mit dieser an. wirken kann, habe ich an einem Beispiel, dem regime fort, die von Sonderpädagogen in der und die Hilfsschultradition zu verlassen. Dem dert worden. Dabei hätte die von Inklusion unberührt. Stattdessen berech- Der Verband Sonderpädagogik, der die Inte- Fall des Schülers S., in der Zeitschrift SchulVer- Nachkriegszeit erfunden worden ist. Diese würde der Verzicht auf die entsprechenden Neustrukturierung der Lehrerausbildung im tigt die sonderpädagogische Lehrerausbil- ressen der sonderpädagogischen Lehrkräfte waltung ( 11/2012) verdeutlicht. Nachdem S. Mythenerzählung ist damals wie heute von Sonderschulformen und auf ein sonderpäda- Rahmen des Bachelor- Mastersystems und die dung durch einen Beschluss der KMK von vertritt, ist aus dem Hilfsschulverband hervor- in einer Schule für Geistigbehinderte als zentraler Bedeutung, um Sonderpädagogen gogisches Lehramtsstudium für den Bereich damit verbundene Neugestaltung des erzie- 1994 inzwischen auch zur Tätigkeit in allen gegangen und damit am Erhalt der inzwischen „Schwerstmehrfachbehinderter“ sechs Jahre als Verfechter des Lebensrechts von Behin- der Lern- und Entwicklungsschwierigkeiten hungswissenschaftlichen Curriculums dafür Formen und Stufen der allgemeinen Schule. als Förderschule Lernen bezeichneten Hilfs- beschult worden war und dort nicht lesen derten zu erweisen und den Ausbau des son- korrespondieren. Die Unsummen, die derzeit eine historisch einmalige Chance geboten. Sonderpädagogische Lehrkräfte sind damit zu schule und der sonderpädagogischen Ausbil- gelernt hatte, wurde er als Nichtbehinderter derpädagogische Systems moralisch zu recht- für das Parallelsystem von sonderpädagogi- Der Anachronismus der Sonderpädagogik als Lehrkräften für alle Kinder geworden. dung ihrer Lehrkräfte besonders interessiert. in eine Hauptschule umgeschult. S., der aus fertigen. n scher Förderung für Kinder mit Lern- und Fach, das neben und getrennt vom Fach Das Eintreten für die Interessen der Profes- benachteiligten sozialen Verhältnissen Entwicklungsschwierigkeiten in Sonderschu- Erziehungswissenschaft gelehrt wird, hätte Schließlich ist zu fragen, worin die besonde- sion wird vom Verband damals wie heute mit stammt, ist weder intellektuell noch körper- len und in allgemeinen Schulen und für den überwunden und die Sonderpädagogik wie re sonderpädagogische Kompetenz besteht, dem Eintreten für die Rechte der Behinderten lich beeinträchtigt. In der Hauptschule ist S. Ausbau der sonderpädagogischen Lehreraus- jede andere Teildisziplin der die in der sonderpädagogischen Lehrerausbil- verknüpft und moralisch stark aufgeladen. von seiner Klassenlehrerin neben dem Klas- bildung in diesem Bereich ausgegeben wer- Erziehungswissenschaft in das erziehungs- dung vermittelt wird, und ob sonderpädagogi- Diese moralische Aufladung ist nach der Zeit senunterricht fünf Stunden in der Woche indi- den, könnten besser für die pädagogische För- bzw. bildungswissenschaftliche Fachstudium sche Lehrkräfte allgemeinen Lehrkräften in des Nationalsozialismus, in der Behinderte im viduell pädagogisch gefördert worden. Er hat derung dieser Kinder durch allgemeine Lehr- integriert werden können. Stattdessen weitet der Förderung insbesondere von Kindern mit Rahmen der „Euthanasie“ ermordet und im lesen gelernt und inzwischen die Zwischen- kräfte und für die Verkleinerung von Klassen die Sonderpädagogik unter dem Anspruch Lern- und Entwicklungsschwierigkeiten über- Rahmen der Zwangssterilisation verstümmelt prüfung in seinem Ausbildungsberuf erfolg- insbesondere in der Grundschule verwendet von Inklusion ihren Einflussbereich aus und legen sind. Festzuhalten bleibt, dass sonder- wurden, extrem gestiegen. Die deutsche reich bestanden. Dr. Brigitte werden. Sonderschulen könnten als wählbare beansprucht sowohl die Sonderschule als pädagogische Lehrkräfte in ihrer Ausbildung Sonderpädagogik nimmt seitdem für sich in Schumann Angebote für jene Minderheit von Kindern er- auch die allgemeine Schule als ihr im Bereich der Fachwissenschaft und Fachdi- Anspruch, nicht nur für die gesellschaftliche Brigitte Schumann: ifenici@aol.com halten werden, die im sozialrechtlichen Sinne Tätigkeitsfeld. daktik bzw. im Bereich der elementaren Teilhabe und für das Bildungsrecht der Behin- In Ihrer jüngsten Forschungsarbeit mit dem Behinderte sind. Sprach- und Mathematikdidaktik deutlich derten, sondern auch für die Bewahrung ihres Titel „Lehrerausbildung im Nationalsozialis- Brigitte Schumann: Brigitte Schumann: Die Bildungspolitik spricht allenthalben schlechter als allgemeine Lehrkräfte qualifi- ziert werden. Angesichts des Umfangs des Sehen Sie derzeit Ansätze für Ihren Weg in Lebensrechts unverzichtbar zu sein. Der Ver- such, das sonderpädagogische System zu mus“ decken Sie Kontinuitäten in der Ge- schichte der Sonderpädagogik von ihren An- Eine Schule davon, dass sonderpädagogische Inhalte in sonderpädagogischen Studiums, der den irgendeinem Bundesland? beschneiden, kann damit mit dem Versuch fängen über die Zeit des Nationalsozialismus den allgemeinen Lehramtsstudiengängen ver- Umfang des erziehungswissenschaftlichen gleich gesetzt werden, Behinderten ihr Le- hinweg bis heute auf. Sie widerlegen die gän- für alle ankert werden sollen. Z. B. ist das auch das Studiums um ein Vielfaches überschreitet, Prof. em. Dr. Dagmar hänsel bensrecht abzusprechen und in die Barbarei gige sonderpädagogische Geschichtsdarstel- Credo von Frau Löhrmann. Was ist denn studieren sie nicht wie allgemeine Lehrkräfte Nein, ich sehe Ansätze zu den skizzierten der NS-Zeit zurückzufallen. Der Ausbau des lung, die die Sonderpädagogik als Opfer des Fördern statt dagegen zu sagen? der Sekundarstufe zwei Unterrichtsfächer und Strukturveränderungen in keinem Bundes- Sonderschulsystems und die Etablierung der Nationalsozialismus behauptet. Welche bil- auslesen EuWiS 06/2015 | 12 EuWiS 06/2015 | 13
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