Franz Prettenthaler 9 Eric Kirschner 26 - IM INTERVIEW - Joanneum Research
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Das Magazin für technologische Innovationen Schwerpunkt Ausgabe 02 / 2021 Gesellschaft und Nachhaltigkeit IM INTERVIEW Franz Prettenthaler 9 Eric Kirschner 26 IM FOKUS Statistisch gesehen, ... 12 Ein höchst erfolgreiches Dreamteam 16 Heute Stau. Morgen auch? 20
WIR SUCHEN DIE KLÜGSTEN KÖPFE g Team o l r f E Starten Sie Ihre Karriere in der Forschung! Foto: JOANNEUM RESEARCH / Schwarzl Alle offenen Stellen auf www.joanneum.at/jobs
EDITORIAL In der zweiten Ausgabe unseres neuen Magazins widmen wir uns den gro- Foto: JOANNEUM RESEARCH / Bergmann ßen und gesellschaftspolitisch bedeu- tenden Fragen zum Themenbereich „Gesellschaft und Nachhaltigkeit“. Dabei stehen unsere Expert*innen der beiden Institute POLICIES und LIFE im Vorder- grund, die ihre aktuellen Forschungsin- halte und -aktivitäten präsentieren. Rund 75 Expert*innen der JOANNEUM RESEARCH forschen in DI Dr. Heinz Mayer diesem Themenbereich interdisziplinär für nationale und inter- Geschäftsführer JOANNEUM RESEARCH nationale Auftraggeber und mit Partnern zu Forschungsthemen wie beispielsweise klimaneutrale Produktion und Life-Cycle- Analysen, Klimawandelfolgen und Landnutzung, Risikoabschät- zung von Wetter- und Klimaänderungen, Katastrophenschutz, zukunftsfähige Energiesysteme und Lebensstile, internationale Klimapolitik und -ökonomik, regional-ökonomische Analyse, Standortforschung, Struktur- und Regionalpolitik, Design und Mit Forschung Evaluation von nationalen und internationalen Förderprogram- men und Institutionen, Optimierung von industriellen Prozes- leisten wir unseren sen, Datenanalyse und statistische Modellierung. Beitrag zur Bewäl- Die brennenden Themen drehen sich derzeit um Digitalisierung tigung der großen und Green Deal. Die Digitalisierung durchdringt unser Leben – und das nicht erst seit gestern. Die Pandemie hat diese Entwick- Herausforderungen lung zusätzlich forciert. Unser Fokus liegt meist auf der Entwick- unserer Zeit. lung neuer Technologien – wir fragen nach dem Wie. Wie kann etwas funktionieren? Wie sehen die technologischen Lösungen aus? Wir wollen die Wirkungen von neuen Technologien zeigen. Die wesentlichen Leitlinien dazu sind der European Green Deal und die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen. Speziell der Green Deal sieht die digitalen Technologien als entscheiden- de Voraussetzung für die Verwirklichung der Nachhaltigkeits- ziele in unterschiedlichen Sektoren vor. Technologien wie Künst- liche Intelligenz, 5G, Edge-to-Cloud-Continuum und das Internet der Dinge beschleunigen und optimieren Umweltschutzmaß- nahmen und tragen zur Bewältigung des Klimawandels bei. Mit unserem Know-how sind wir Teil dieses Prozesses und bieten entsprechende Lösungen. Die zunehmende Digitalisierung im Alltag ändert aber auch unser Verhalten. Lehrende unterrichten online, Schüler*in- nen haben gelernt, online zu lernen, Senior*innen können mit- hilfe von VR-Brillen Reisen vom Wohnzimmer aus genießen. Auch das Thema Mobilität wird gänzlich neu definiert. Lebens- stile ändern sich, soziale Transformation findet statt. Entschei- dungen werden anders getroffen als noch vor einigen Jahren, Werte ändern sich. Welche Innovationen notwendig sind, um dieser schnellen Entwicklung einen Schritt voraus zu sein, lesen Sie hier. Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre! Wir leben Forschung! 3
09 INHALT Schwerpunkt Gesellschaft und Nachhaltigkeit 06 Ganz oben ist der Garten Graz zeigt, wie Städte in Zukunft auf den Klimawandel reagieren können. „Die bisherigen 09 Interview mit Franz Prettenthaler Anstrengungen reichen bei weitem Und jetzt nur noch schnell die Welt retten! Der Direktor von LIFE spricht über klimaneutrale Mög- noch nicht.“ lichkeiten für die Produktionsbetriebe Österreichs. 12 Statistisch gesehen, ist die Kuh ... 23 E-Mobility auf dem Prüfstand der Nachhaltigkeit Wie Statisitiker*innen aus Daten lesen, Wie nachhaltig sind Batterien für E-Fahrzeuge? was für Landwirte zu tun ist 15 Neue Europäische Industriepolitik 24 Erlebniswelt Wald sticht Küche Digitalisierte Alltagsanwendungen sollen älteren Menschen helfen. Wer geht wie damit um? Kommentar von POLICIES-Direktor Wolfgang Polt 16 Ein höchst erfolgreiches Dreamteam 25 Energiegespräche im Obstgarten Sind Energiegemeinschaften die Lösung für eine nachhaltige Energieversorgung? Ulrike Kleb und Robert Nuster machen mit 26 Er macht sich für Regionen stark Statistik industrielle Prozesse nachhaltiger. 20 Eric Kirschner im Interview über Regionalöko- Heute Stau. Morgen auch? nomie und Strukturpolitik und wie man Standorte Über Simulationen, die zeigen, welche Auswirkun- attraktiv und stark machen kann gen Einzelentscheidungen auf den Verkehr haben 21 – Alle Ausgaben auch als Download 26 www.joanneum.at Holen Sie sich das Magazin für technologische Innovationen aus unserem Mediencenter direkt auf Ihr Smartphone oder Tablet. 4
06 12 16 24 26 33 28 Tun ist das neue Wollen Wie tickt Österreich im Klimaverhalten? Über Trends und tatsächliche Treibhausgas-Emissionen 35 Partizipation ist hip Wie sollen neue Technologien besser in ver schiedenen Lebensbereichen verbreitet werden? 30 Wenn’s übergeht: Wer trägt das Risiko? 36 Ausgezeichnet Publikationen und Auszeichnungen Hochwasserrisiko: Ein Spannungsfeld zwischen staatlicher Schutzverantwortung und privater Eigenvorsorge 37 News Shots Veranstaltungen, Netzwerke, Kooperationen 32 Produktion in Zeiten des Klimawandels 39 Von A bis Z Finden Sie Ihr Thema auf einen Blick Kommentar von Franz Kainersdorfer, Vorstandsmitglied voestalpine AG 40 Kontakt 33 Erneuerbare Technologien müssen sexy sein In Österreich gibt es noch Luft nach oben. Veronika Kulmer im Gespräch 5
UR B AN GAR DE NING Für unsere vier am Rooftop-Farming- Projekt beteiligten Landwirtschaft- lichen Fachschulen eröffnen sich mit der Möglichkeit, landwirtschaftliche Lebensmittelerzeugung auf urbanen Dachflächen zu betreiben, neue Wege mit spannenden Lernerfahrungen, die auch dem Klimaschutz dienen. Johannes Hütter Landesschulinspektor Auch im urbanen Raum ist es möglich, sich mit Natur zu umgeben, ja sogar in gewissem Maßstab sein eigenes Obst und Gemüse zu ziehen. Darum unterstützen wir das zukunfts- trächtige Projekt „Rooftop-Farming“. Michael Spitzer Ke-lab.com Ein Dachgarten – das ist praktizierte Ökologie: Er gibt die Natur zurück, die durch Bebauung verloren geht, entlastet die Kanalisation durch gespeichertes Regenwasser. Bernd Hörbiger Vertriebsleiter Liapor Österreich Ganz oben ist der Garten Graz zeigt, wie Städte in Zukunft auf den Klimawandel rea Die Nutzung urbaner Dachflächen gieren können. Seit rund zwei Jahren wird an einem neuen nimmt weltweit zu – mit dem Stadtviertel gebaut und wenn es einmal fertig ist, dann wird Engagement für Rooftop Farming will in der Waagner-Biro-Straße auch eine neue Straßenbahnlinie bellaflora beitragen zu zeigen, wie Menschen mit ihren Wohn- und Arbeitsstätten in der neuen Versorgung mit regionalen Produkten Smart City Graz verbinden. auch auf kleinen Flächen gelingt. Franz Koll Über all den Baumaßnahmen, die auf der Erde stattfinden, Geschäftsführer bellaflora thront oben auf dem Science Tower ein atemberaubendes Stück Natur. Franz Prettenthaler, Direktor von LIFE, dem Institut für Klima, Energie und Gesellschaft, beschreibt Der steirische Gemüsebau präsen- Fotos: JOANNEUM RESEARCH / Schwarzl, Marx das Ziel: „Es geht darum, zu zeigen, welche Möglichkeiten urbane Dächer zur Produktion von Lebensmitteln bieten, tiert sich als Pionier in der smarten wie man Menschen Beschäftigung geben kann und ein Pro- Gemüseproduktion auf urbanen jekt zu starten, das Vorbild für viele weitere sein soll – das Dachflächen sowie als professioneller Smart-City-Rooftop-Farming-Projekt.“ Und dieses Vorhaben Partner in der Produktion von tradi- ist voll im Gange. Seit April 2019 werden mit Unterstüt- tionellen und alternativen Gemüse- zung der Rooftop-Farming-Partner über 100 verschiedene produkten in bester Qualität! Pflanzenarten kultiviert und geerntet, einige davon sogar Friedrich Rauer über die Wintermonate. Obmann Landesverband Steirischer Gemüsebauern 6
U R B AN GAR DE NING Tausende Insekten, darunter Bienen- und Hummelvölker, Schmetterlinge, Kompost- würmer und diverse Käfer tummeln sich auf dem eher ungewöhnlichen Terrain. Sie fanden den Weg nach oben und scheinen sich ganz wohl zu fühlen. Rund 13 Hektar Boden- fläche werden in Österreich täglich verbaut, Ackerland verschwindet. Ausgleichen kann man mit der intelligen- ten Nutzung von Gebäuden und der sinnhaften Bewirt- schaftung von Dächern, Fassaden und Balkonen. Die Erforschung und Weiterentwicklung von Hautnah am Leben und an brandaktuellen Erde ist die Vision und Leidenschaft der Firma Trends – das ist die Tätigkeit der Jugendlichen Sonnenerde. Mit der Bio Schwarzerde ist es mit speziellem Unterstützungsbedarf am Science gelungen, die Themen Klimaschutz, Langlebigkeit Tower beim Rooftop Farming – unterstützt vom und höchste Fruchtbarkeit in Einklang zu bringen. Sozialministeriumservice. Gerald Dunst Katharina Vogrin Geschäftsführer Sonnenerde Sozialministerium, Landesstelle Steiermark 110 m² FLÄCHE ... ... in 60 Meter Höhe umfasst das Miniparadies am Grazer Science Tower. In 19 Beeten, die wie kleine Inseln den Tower umgeben, gedeihen seit 2019 viele Obst- und Gemüsesorten. 120 PFLANZENARTEN 1 TONNE ERNTE ... ... konnte bis Juni 2021 vom Dach eingeholt werden. Personen, die im Science Tower beschäftigt sind, können Gemüserationen abonnieren und frisch vom Dach ernten. Auch die benachbarte Gastronomie lukriert die Vitaminbomben direkt vom Dach und kann so den Gästen wertvolle regionale und klimafreundliche Mahlzeiten anbieten. Der Pluspunkt: Transport und Verpackung fallen komplett weg. 7
ANZ E IGE Machen wir uns auf den Weg zur nachhaltigen Energiegemeinschaft! Die Expert*innen von LIFE – Institut für Klima, Energie und Gesellschaft unterstützen Sie dabei, gemeinsam und autark Strom zu erzeugen und damit die energetische Wertschöpfung in der Region zu belassen. Analyse, Beratung und Umsetzungsstrategien aus einer Hand. STARTER Für Einsteiger im Bereich Energiegemein PACK schaften, wie zum Beispiel für Gemeinden, vermitteln wir ein solides Basiswissen, auf das ein Projekt aufgebaut werden kann. SCOPING In Form von Workshops erarbeiten wir konkrete Lösungsvorschläge und Geschäftsmodelle BASIS einer geplanten Energiegemeinschaft. Inkludiert sind potenzielle Lokalisierungen, die Darstellung konkreter Anwendungsfälle sowie die Identifikation von Stärken der teil nehmenden Akteur*innen. SCOPING Nach sorgfältigen Ausarbeitungen präsentieren ADVANCED wir detaillierte Modelle inklusive Wirtschaftlich keitsanalysen, Zielgruppenanalysen, Darstellung des Dekarbonisierungspotenzials sowie PV-Produktionsprognosen. Machen Sie den ersten Schritt ... ... und einen Termin für ein unverbindliches Beratungsgespräch. andreas.tuerk@joanneum.at 8
INT E R VIE W UND JETZT... Franz Prettenthaler leitet LIFE, das Institut für Klima, Energie und Gesellschaft. Aus Überzeugung setzt sich der Klimaexperte für mehr Dynamik in Richtung Klimaneutralität ein. Hier spricht er über klimaneutrale Möglichkeiten für die Produktionsbetriebe Österreichs. Foto: Montage Shutterstock/JOANNEUM RESEARCH 9
INT E R VIE W Zehn Prozent der globalen Treibhausgasemissi- onen gehen zu Lasten der Stahlindustrie. Mithilfe Europas „Green Deal“ sollen die Emissionsziele erreicht werden können, wobei sichergestellt werden soll, dass Europa ein strategischer Pro- duktionsstandort bleibt. Das stellt die Industrie vor viele Herausforderungen, stagnieren doch momentan die heimischen Treibhausgasbilan- zen auf hohem Niveau. Gerade durch die Corona-Krise ist Euro- teil deutlich sichtbar geworden, wenn man die Kompetenz, pa als Produktionsstandort noch weiter Waren selbst zu produzieren, verliert. Ein positiver Neben- in den Mittelpunkt der Diskussionen ge- effekt der Krise ist sicher, dass eine gewisse Freihandels- rückt. Könnte der Schritt von Globali- naivität, was die strategischen Interessen Europas betrifft, sierung zu regionaler Produktion eine schwindet. Der Green Deal und nicht zuletzt das dazugehöri- Chance für Klimaneutralität bedeuten? ge Fit-for-55-Paket enthält Verschärfungen und eine Fülle an Zunächst muss man ehrlich sein: Nur, unterstützenden Begleitmaßnahmen. Trotzdem wird es auch weil regional produziert wird, ist es eines nationalen Kraftaktes bedürfen, diese wichtige Industrie noch lange nicht klimaneutral. Auch sin- zu transformieren, auch wenn der geplante Grenzausgleichs- kende Emissionszahlen aus der Produk- mechanismus (CBAM) einen gewissen Schutz vorsieht. tion im Inland können trügerisch sein: Denn wenn die Produktion ins Ausland Wo sehen Sie die Risiken? Ich sehe zwei: Wenn man die Steu- verlegt wird, sinken die globalen Emis- er auf klimaschädlichen Importstahl nicht implementiert, ist sionen nicht notwendigerweise. Es gibt „Carbon Leakage“ das Risiko. So nennt man den Anstieg der daher gar keine Alternative dazu, die Emissionen durch die Abwanderung der Produktion z. B. aus Herkulesaufgabe, den österreichischen Europa, weil es hier zwar einen Preis auf CO2-Emissionen gibt, Stahl künftig grün – also klimaneutral im EU-Ausland aber nicht. Das ist kontraproduktiv für das – herzustellen, konsequent anzugehen. Klima und damit für unser aller Sicherheit und Gesundheit. Wir sehen uns mit der Lebenszyklusana- Das zweite Risiko besteht darin, dass man diese Steuer nicht lyse auch für künftige noch nicht fertig gut genug mit den USA und China abstimmt, wobei vor allem entwickelte Technologien als wichtigen auch Russland zu den Verlierern zählen würde, und dadurch Partner in diesem Prozess. Gegenmaßnahmen provoziert würden. Eines ist klar: Der Weg in eine klimaneutrale, prosperierende Zukunft der Produktion führt nicht über die Abschottung, sehr wohl aber über bewuss- Die bisherigen te, strategische Entscheidungen für den Standort Europa ohne selbst auferlegte Denkverbote. Bestimmte Binnenmarktregeln Anstrengungen reichen müssen überdacht werden, wenn sie uns Europäer*innen selbst strategisch schwächen. Die sogenannten IPCEIs erlau- bei weitem noch nicht. ben es immerhin, die Transformation zur Wasserstofftechnolo- gie national stärker als bisher erlaubt zu fördern. Wie interpretieren Sie den Status-quo? An welcher Stelle des Bei all dem positiven Beitrag, den die Wegs in Richtung Klimaneutralität stehen wir gerade? Die bis- Globalisierung für den Wohlstand auf herigen Anstrengungen reichen bei weitem noch nicht. Alle der ganzen Welt geleistet hat, ist in der Unternehmen brauchen einen entschlossenen Plan für ihren Corona-Krise auch der strategische Nach Pfad zur Klimaneutralität. Das wird eine neue Gründerzeit. In 10
INT E R VIE W der Steiermark liegt der CO2-Emissionsbeitrag der produzieren- sicher die ausreichende Energieversor- den Industrie bei rund einem Drittel. Da müssen wir Synergien gung der Industriezentren Europas mit schaffen. Das funktioniert in der Papier- und Stahlindustrie: Die erneuerbaren Energieträgern die zentrale Abwärme der Firma Sappi und auch der Marienhütte versorgt Herausforderung, sowohl technologisch Grazer Haushalte mit Wärme. Hinsichtlich dieser sogenannten als auch wirtschaftlich. Wobei wir dabei Sektorkoppelungen gibt es sicher noch Luft nach oben. auch die gesamtgesellschaftliche Ener- gieeffizienz nie aus den Augen verlieren Als Schlüsseltechnologie für eine CO2-freie Stahlproduktion wird dürfen: Könnten wir doch längst mit der oft Wasserstoff angeführt. Wie sehen Sie das? Ich denke, dass an Abwärme der Industrie einen Großteil der Nutzung von Wasserstoff für bestimmte industrielle Prozes- der Wohnungen heizen und kühlen. Eine se, wobei jeder gesondert zu betrachten ist, und als Energiespei- Zuversicht kann die Forschung ebenfalls cher kein Weg vorbeiführt. Wir werden die benötigten Mengen beisteuern: Wenn die Rahmenbedingun- an Wasserstoff im Übergang auch nicht lokal und ausschließlich gen endlich richtig gesetzt werden, ist erneuerbar herstellen können. Die Methanpyrolyse würde es er- der wirtschaftliche Innovationsprozess lauben, aus dem fossilen Erdgas den Kohlenstoff in fester Form bestens in der Lage, diese effizienten Lö- zu entnehmen und so zwar nicht klimaneutralen aber doch sungen zu finden, dabei Wohlstand zu klimafreundlichen und günstigen Wasserstoff zu erzeugen, das produzieren und nicht fehlgeleitet unsere hat Potenzial. Denn eines ist klar: Wasserstoff wird sich nur dort Lebensgrundlagen zu zerstören. durchsetzen, wo er wettbewerbsfähig ist, sehr oft wird die direk- te Nutzung von erneuerbarem Strom die günstigere Alternative Die Steiermark hat schon einmal gezeigt, sein, siehe Hochtemperaturwärmepumpen oder Mobilität. dass sie in der Stahlindustrie, mit der sie fast schicksalhaft verbunden scheint, Was ist die wesentlichste noch unbeantwortete Frage hinsichtlich durch viel Hirnschmalz und Innovati- Produktion in Europa und Klimaneutralität und was kann heimi- onsbereitschaft große Transformationen sche Forschung zur Beantwortung dieser beitragen? Es ist eine bewältigen kann. Frage, die zugleich Millionen unterschiedliche Antworten haben wird: Wie gelingt uns die komplette Dekarbonisierung der ge- An der Nutzung von samten Wertschöpfungskette jedes einzelnen Produkts – von der Gewinnung der Rohstoffe, über Herstellung, Betrieb bis zur Wasserstoff wird kein Wiederverwertung? Bei LIFE ist unsere Forschung mit unserem starken Schwerpunkt auf die Lebenszyklusanalyse aber auch Weg vorbeiführen. die globale Wertschöpfungskettenanalyse als ständiger Feed- back-Geber dafür gut aufgestellt. In strategischer Hinsicht ist Foto: Shutterstock / ToppyBaker Für Produktionsprozesse müssen völlig neue Technologien entwickelt werden. Viele kluge Köpfe arbeiten aktuell daran, die Vision des „grünen Wasserstoffs“ real werden zu lassen. 11
IM F OKU S Statistisch gesehen, ist die Kuh ... TEXT: ELKE ZENZ ... „pumperlgesund“. Eine von mittlerweile vielen technologischen Neuerungen ist die Datenübertragung und deren Interpretation aus dem Inneren unserer Nutztiere. Eine weitere ist die auf Daten gestützte Verbesserung von Ackerland. Die Statistikerinnen und Statistiker von POLICIES können aus den generierten Daten lesen, was für die Landwirte zu tun ist. 12
IM F OKU S Foto: JOANNEUM RESEARCH / Schwarzl 13
IM F OKU S Dass sich die Landwirtschaft ändert, ist Im Nutztiermanagement wird immer Mit der Datenanalyse nicht neu. Traditionelle Bilder von Kühe häufiger der Einsatz von Antibiotika dis- melkenden Händen sind denen von Droh- kutiert, weil dieser zu Resistenzen bei schaffen wir es, nen und Sensoren längst gewichen. Der sogenannte Pansen-Sensor, ein für Tier Mensch und Tier führen kann. Obwohl es auf allen Ebenen Bestrebungen gibt, die- infektiöse Gefahren- und Mensch sicheres Produkt, liefert di- ses Risiko zu minimieren, sind noch keine potenziale für rekt aus dem Magen der Kuh Daten darü wirklich fachlich greifbaren Umsetzungen ber, wie oft die Kuh widerkäut, welche existent. Im Rahmen des Projekts LAAG Menschen frühzeitig Temperatur im Pansen vorherrscht und wird untersucht, wie regional auftretende zu erkennen. wie aktiv das Tier ist. All diese Daten wer- Infektionen zusammenhängen und der den statistisch ausgewertet und sind für Einsatz von Antibiotika minimiert werden — Hermann Katz den Landwirt Zeichen dafür, ob das Tier kann: Ausgangspunkt ist der Bauernhof, krank ist oder etwa vor dem Abkalben sind Tiere krank, wird der Tierarzt kon- steht. Die Verantwortung für die Tiere sultiert. Sind die ansässigen Menschen und Phillip Wedenig gemeinsam mit dem lässt sich natürlich nicht auf neue Tech- krank, wird der Hausarzt und /oder die Maschinenring Steiermark seit 2019. nologien abwälzen, am Ende des Tages ist Apotheke herangezogen. Hausarzt und Mit Hilfe statistischer Datenerhebung immer der Mensch verantwortlich. Tierarzt stehen aber derzeit in keiner und -analyse, die von Bodensensoren systemischen Verbindung und tauschen erhoben werden, können verschiedene In der breiten Landwirtschaft wird noch keine Daten über regionale Infektionen Bodencharakteristika festgestellt wer- lange nicht das ganze Spektrum an tech- aus. „Um das Problem ganzheitlich zu lö- den. Mit statistischen Methoden werden nologischen Möglichkeiten zur Daten- sen, müssen die relevanten veterinär- und identische Feldabschnitte bestimmt, die erfassung und -erhebung ausgeschöpft, humanmedizinischen Daten verknüpft bezüglich Düngung, Bewässerung und das bereits zur Verfügung stünde. „Man werden, was ausschließlich über die Ad- Aussaat ähnliche Eigenschaften haben ortet ein Abwarten seitens der Landwir- ressen der beteiligten Personen möglich und damit eine optimierte Bewirtschaf- te“, vermutet Hermann Katz, Leiter der ist. Die Adressen und die Daten der be- tung ermöglichen. Nun konnte die Daten- Forschungsgruppe „Datenanalyse und teiligten Ärzt*innen, Tierärzt*innen und grundlage verbessert werden: In Koope- statistische Modellierung“ von POLICIES. Apotheken in der Region müssen zusam- ration mit dem Institut DIGITAL werden Obwohl es schon sehr viele technologi- mengeführt und interpretiert werden ‒ Fernerkundungsdaten zur detaillierten sche Lösungen gibt, fehlt noch immer selbstverständlich anonymisiert“, erklärt Analyse der Bodencharistika herangezo- eine Vernetzung der Sensordaten mit Hermann Katz. „Mit der Datenanalyse gen. „Durch die Kombination mehrerer veterinärmedizinischen und gegebenen- schaffen wir es, infektiöse Gefahrenpoten- Parameter stehen weitere wichtige In- falls humanmedizinischen Daten. Und ziale für Menschen frühzeitig zu erken- formationen für die landwirtschaftliche da kommt das Team von Hermann Katz nen. In weiterer Folge lassen sich Modelle Nutzung zur Verfügung. Diese sollen den ins Spiel: Es gibt genug Daten, um diese für andere Regionen ableiten.“ Landwirten rasch und unkompliziert zur zu interpretieren, braucht es eine sinn- Verfügung gestellt werden – jetzt geht hafte Vernetzung. „Mittels statistischer Auch die optimale Bewirtschaftung von es um die Verifikation, welche Daten in Methoden können wir aus den Daten Landwirtschaftsflächen lässt sich an- welcher Form vor allem für kleinstruk- lesen, wie aus einem Buch. Da ergeben hand von sensorgenerierten Daten be- turierte Betriebe geeignet sind“, erklären sich plötzlich Zusammenhänge, die man rechnen. Daran arbeiten Hermann Katz die Mathematiker. nicht vermuten würde und die Lösungen für Menschen, Tiere und Umwelt bergen“, erklärt Katz. Ein aktuelles Beispiel ist das Pilotprojekt LAAG, das mit der TPG Tier- ärztliche Praxisgemeinschaft Passail OG durchgeführt wird. Das Projekt mit dem Maschinenring Steiermark war dermaßen erfolg- reich, dass Forschungs- Foto: Günther Linshalm gruppenleiter Hermann Katz mit seinem Team schon die nächste Daten- generation interpretiert – nämlich die, die aus dem All kommt. 14
KOMME NTAR Neue Europäische Industriepolitik WOLFGANG POLT Angesichts großer gesellschaftlicher He- dustriepolitik zu werden und auch bei rausforderungen wie Klimawandel oder der Umsetzung anderer Politikziele der Pandemien und Umbrüchen im globalen EU einen wesentlichen Beitrag zu leisten. Wettbewerb und Wertschöpfungsketten Ganz wichtig dabei ist die evidenzbasier- unternimmt die EU einen wichtigen An- te Identifikation der Bereiche, in denen lauf, mit dem industriepolitisch auf die- dieses Instrument am besten zum Einsatz se Herausforderungen reagiert werden kommt und seine Ausgestaltung in einer soll: Für sogenannte „Important Projects Weise, die den europäischen Industrie- of Common European Interest“ (IPCEI) standort stärkt, ohne dabei zu unakzeptab- sind die bisher sehr engen Grenzen des len Marktverzerrungen zu führen. Zurzeit europäischen Beihilfenrechts gelockert sind u. a. Projekte im Bereich der Mikro- worden. In ausgewählten, als strategisch elektronik, der Batterieproduktion, der wichtig angesehenen Bereichen für die Umstellung von industrieller Produktion technologische Wettbewerbsfähigkeit und auf Low-carbon-emission-Prozesse, oder im Souveränität Europas und als Beitrag zur Gesundheits- / Pharmaziebereich entweder Erreichung wichtiger europäischer Vor- in Planung oder schon in Umsetzung. haben (wie European Green Deal, Digitale Da die Beteiligung an diesen Projekten Transformation) sollen Industrie(geführ- wegen ihrer Größe auch ein großes Ge- te)konsortien gebildet werden, die große wicht in den Förderungen der einzelnen Projekte mit potenziell hohem Nutzen Mitgliedstaaten bekommen kann, ist die für Industrie und Gesellschaft in Europa Auswahl der Beteiligung, die Gestaltung umsetzen sollen. Diese Projekte können der Prozesse, mit denen das passiert, sowohl große europäische Infrastruktur- und die Abschätzung der Effekte auf die projekte wie im Verkehrsbereich als auch heimische Industrie eine unabdingbare solche, die große Technologiesprünge Voraussetzung für gute Politik. POLICIES erlauben – etwa in der Umstellung auf unterstützt die mit diesen Aufgaben be- eine CO2-freie Produktion – umfassen. fassten Bundesministerien und Stake- Da diese Projekte vom Umfang her die holder – etwa durch die Identifikation Finanzierungskraft und Umsetzungsmög- von Wertschöpfungsketten, die besonders lichkeiten von einzelnen Firmen und Mit- wichtig für die österreichische Industrie gliedstaaten der EU übersteigen, sollten sind, durch Unterstützung bei der Formu- hier Ressourcen gebündelt werden. Jeder lierung von österreichischen Anliegen Mitgliedstaat entscheidet selbst, an wel- gegenüber der EU und bei der Gestaltung chen Projekten er sich – mit substanziel- von nationalen Stakeholderprozessen. So len nationalen Fördermitteln – beteiligen tragen wir zu einer bestmöglichen Nut- will und kann. zung und Gestaltung dieses neuen und Die IPCEIs haben das Potenzial, ein wich- weiter in Entwicklung befindlichen Ins tiges Instrument einer europäischen In- truments für Österreich und Europa bei. Wolfgang Polt ist Direktor von POLICIES. Unter anderem unter- richtet er an der Wirt- schaftsuniversität Wien und der Donau-Univer- sität Krems Innovations- geschichte. 15
IM F OKU S Ein höchst erfolgreiches Dreamteam TEXT: ELKE ZENZ Mit im Team bei Robert Nuster und Ulrike Kleb sind Professor Günther Paltauf, die Studenten Markus Saurer und Patrick Bauer sowie der POLICIES- Statistiker Franz Moser. 16
IM F OKU S Seit 2015 arbeiten Robert Nuster vom Institut für Physik der Karl-Franzens-Universität Graz und Ulrike Kleb von POLICIES zusammen. Die Statistikerin und der Physiker schaffen es mit ihren Teams die Synergien ihrer Expertisen in erfolgreiche Pro- jekte umzuwandeln, die langfristig industrielle Prozesse nach- haltiger und ressourcenschonender machen sollen. Aktuell arbeiten die beiden an den FFG-Projekten LUSI-Q und IMPROFE. Sie konnten gemeinsam in den letzten Jahren bei Ausschrei- bungen nennenswerte Erfolge verzeichnen. Insgesamt konnten rund 1,1 Millionen Euro an Fördermitteln für gemeinsame For- schung an Methoden für eine nachhaltige Produktion lukriert werden. Was macht aus Ihrer Sicht eine fruchtbringende Zu- sammenarbeit aus? KLEB: Abgesehen von der Fachkompetenz ist es wichtig, dass die Gesprächsbasis eine freie ist und man ohne Barrieren auf- einander zugeht. // NUSTER: Ich denke, das Forschungsinte- resse muss im Vordergrund stehen und die Kommunikation auf Augenhöhe passieren. // KLEB: Wir haben bei Forschungs- anträgen deswegen Erfolg, weil die verschränkte Forschungs- arbeit attraktiv für Industriepartner und Fördergeber ist. Und weil unsere Zusammenarbeit auf gegenseitigem Respekt ba- siert. Wir arbeiten unsere Ideen und Visionen aus und suchen dann aktiv nach Projektpartnern. Dabei muss man sich als Wissenschafterin oder Wissenschafter die Frage stellen, für wen unsere Lösungsansätze interessant sein könnten. Welche Personen, Unternehmen oder Institutionen könnten von einer Verbesserung durch unsere Forschung profitieren? Wo ist der Mehrwert für die Gesellschaft und die Wirtschaft? Im Projekt LUSI-Q geht es zum Beispiel darum, mittels Laserultraschall versteckte Fehler in der Halbleiterproduktion zu finden. Pro- jektpartner sind die Infineon Technologies Austria AG und die MONTFORT Laser GmbH. Im Rahmen von IMPROFE arbeiten wir unter anderem auch daran, versteckte Fehler zu finden – und zwar in den Schweißnähten von Statoren für E-Motoren. Projektpartner ist Miba Automation Systems. Wir erwarten uns natürlich in beiden Fällen sowohl für unsere Projektpart- ner aus der Wirtschaft als auch für die Endanwenderinnen und -anwender einen Gewinn – nämlich an Nachhaltigkeit. Ist der Ablauf im Forschungsprojekt LUSI-Q so, dass Sie auf der Universität die Methoden des Laserultraschalls für die kon- kreten Anwendungen etablieren und die Statistikerinnen und Statistiker der JOANNEUM RESEARCH anschließend die Daten Foto: JOANNEUM RESEARCH / Schwarzl interpretieren? NUSTER: Genau. Und das gemeinsame Ziel ist es, mit der In- terpretation der Daten voranzukommen und die sich daraus 17
IM F OKU S Da in Mikrochips mittlerweile dann mit einem Interferometer an definierten Positionen zeit- aufgelöst ausgelesen. Wir können in einem Bereich, der klei- mehr als 60 verschiedene ner als ein Mikrometer ist, detektieren. Wenn die Oberfläche chemische Elemente genutzt ein Zehntel Nanometer auslenkt, können wir das erkennen. Mit herkömmlichen optischen Verfahren kann man etwaige werden, von denen viele zu den Schäden noch schneller und meist auch genauer erkennen. kritischen Rohstoffen zählen, Allerdings begrenzt auf die Oberflächenbeschaffenheit der Probe. Fehler im Inneren der Probe bleiben dabei unerkannt, ist jedes Mittel zur Einsparung da die Eindringtiefe von Licht in Metalle verschwindend klein ist. Hingegen dringen die an der Oberfläche generierten Ul dieser Ressourcen von großem traschallwellen in die Probe ein und bringen die Information Wert für Umwelt und Gesellschaft. des inneren Probenzustandes an die Oberfläche. // KLEB: Die Daten, die durch diesen Vorgang generiert werden, werten wir — Ulrike Kleb anschließend aus. Je mehr physikalisches Wissen wir in die Da- tenanalyse „einbauen“, desto geringer wird der Messaufwand. Mittels statistischer Analytik können Muster wie Risse oder ergebenden Erkenntnisse auch auf alter- andere Schäden im Herstellprozess erkannt werden. Das wie- native Anwendungen zu transferieren. derum macht den Produktionslauf effizienter. Die Lebensdau- er der Produkte wird erhöht, der Ausschuss verringert. Es ist Schnell, zerstörungsfrei wichtig, in der Produktion nachhaltiger und ressourcenscho- und kontaktlos nender zu werden. Gerade in der Halbleiterindustrie werden kritische Rohstoffe verwendet, eine wertvolle Ressource, die Gibt es alternative Technologien, versteck- nicht verschwendet werden soll. Durch gezielte Prüfverfahren te Fehler in der Produktion aufzuspüren? lässt sich Material einsparen und alles, was eingespart werden NUSTER: Ja natürlich, aber mit Laser kann, schützt die Erde. // NUSTER: Schlussendlich wird auch ultra schall funktioniert der Vorgang weniger Energie verbraucht. Wir arbeiten also an einem ganz- schnell, zerstörungsfrei und kontaktlos. heitlich nachhaltigen Ansatz. Das System funktioniert wie Blitz und Donner. Wir klopfen mit einem Laser- Neue Kooperationen puls an, die Schallwellen breiten sich in und an den Grenzflächen der Probe aus Das Projekt LUSI-Q läuft also sehr zufriedenstellend. Wo wird die und verursachen an der Oberfläche eine Reise mit der gemeinsamen Methodik hingehen? Auslenkung – wie bei einem Erdbeben. KLEB: Seit April 2021 beschäftigen wir uns im Rahmen des Und diese Oberflächenauslenkung wird Projekts IMPROFE mit der Herstellung von E-Motoren. Bedingt durch Klima wandel und Energiewende steigt der Bedarf an Motoren für voll- oder teilelektrisch betriebene Autos. Der- zeit sind die Produktivität und Flexibili- tät der Fertigung aber noch recht niedrig. Speziell beim Stator, dem feststehenden Teil des Elektromotors, ist der Produk- tionsaufwand groß und die Anforderun- gen an Qualität, Kosten und Taktzeit sind hoch. Die Hairpin-Technologie ist relativ neu in der Autoindustrie: Mit Hairpin-Sta- toren wird einerseits eine Effizienzstei gerung des Motors erreicht. Andererseits Foto: JOANNEUM RESEARCH / Schwarzl Der Statistiker Franz Moser interpretiert die Daten, die vom Laserultraschall gewonnen werden und bereitet sie so auf, dass mögliche Fehler in der Produktion rasch gefunden und ausgemerzt werden können. 18
IM F OKU S ist die Hairpin-Technologie ein Verfahren, das großes Potenzial Prozessschritte optimieren. Erprobt werden die Verfahren in hat, um Statoren flexibel – auch in großen Serien – zu fertigen einem Use Case bei der Miba Automation Systems GmbH. Wie und die Produktionskosten signifikant zu senken. Damit das er- gut es funktionieren wird, wissen wir noch nicht. IMPROFE reicht werden kann, müssen die kritischen Merkmale der Sta- läuft noch bis 2024. Bis dahin haben wir sicher schon neue toren im Prozess möglichst vollständig inline geprüft werden. Erkenntnisse. Und zur laufenden Optimierung soll ein digitales Abbild für den Herstellprozess der Statoren geschaffen werden. Wozu das digitale Abbild? KLEB: Um den Herstellprozess besser kontrollieren und optimal Was heißt das genau? steuern zu können. Der Autoindustrie soll damit eine hochqua- KLEB: Zum Beispiel geht es darum, schon in der Produktion litative und ressourcenschonende Produktion von Hairpin-Sta- Fehler in Schweißnähten zu finden. Auch in diesem Projekt toren in sehr hoher Stückzahl ermöglicht werden. werden dafür Laserultraschall-Messmethoden eingesetzt. // NUSTER: Wir versuchen, direkt auf der Schweißnaht zu mes- sen, auch wenn die Oberfläche gekrümmt ist. Die Messung Ulrike Kleb studierte Technische Robert Nuster promovierte 2007 in wird dadurch natürlich herausfordernder, denn das ist ein Mathematik an der TU Graz und ist seit Experimentalphysik an der Universität 1992 bei der JOANNEUM RESEARCH Graz mit einer Arbeit über die Ent- völlig neues Verfahren. // KLEB: Mit KI-basierten Datenanaly- tätig. Seit 2010 ist sie stellvertretende wicklung und Anwendung optischer semethoden und Modellierungsansätzen wollen wir die Laser- Leiterin der Forschungsgruppe „Daten- Sensoren zur Detektion laserinduzier- ultraschall-Signale interpretieren und Anomalien in Schweiß- analyse und statistische Modellierung“ ten Ultraschalls. Danach war er als nähten vorhersagen, oder auch die Zusammenhänge zwischen bei POLICIES. Sie beschäftigt sich seit Postdoc an der Universität Graz, in mehr als 25 Jahren mit dem Einsatz außeruniversitären Forschungseinrich- topographischen Messdaten und LUS-Signalen herstellen und von Datenanalyse, Statistik und künst- tungen und am Institut für Angewand- analysieren. Beim digitalen Abbild werden die Prozessschritte licher Intelligenz für Qualitäts- und te Physik in Bern tätig. Seit 2015 in automatisierten Rechenmodellen abgebildet, damit die Qua- Ressourcenoptimierung in der indus- verfolgt er wieder in Graz aktuelle For- litätsmerkmale vorhergesagt und Prüfergebnisse auf Prozess- triellen Produktion. Aktuell koordiniert schungsinteressen: photoakustische sie die beiden im FFG Programm Bildgebung, Materialcharakterisierung parameter rückgekoppelt werden können. Wir wollen zum Bei- Produktion der Zukunft geförderten durch Laserultraschall und Entwick- spiel die Prozessparameter beim Laserschweißen der Hairpins Projekte LUSI-Q und IMPROFE. lung von Ultraschallsensoren. basierend auf den Inline-Prüfergebnissen der vorhergehenden FÜR MEHR CHANCENGLEICHHEIT: Gender Equality Plan Die Expert*innen der JOANNEUM RESEARCH forschen seit 20 Jahren Q Begleitung bei der Entwicklung und Umsetzung innovativer an Genderfragen, sind in internationale Netzwerke eingebunden und Strategien, um bestehende Ungleichheiten zu verringern an zahlreichen Gender-Projekten beteiligt. Q Bewertung des Status quo der Chancengleichheit in der Mit dieser umfassenden Expertise beraten sie Forschungseinrichtun- Organisation und Identifizierung von Handlungsbedarf und gen und -unternehmen sowie Forschungsförderungsorganisationen bei Nutzen für Kund*innen der Entwicklung von Gleichstellungsplänen, die eine Voraussetzung für Q Unterstützung bei der Erarbeitung von Zielsetzungen und Projekteinreichungen in Horizon Europe sind. Monitoring des Fortschritts anhand von Indikatoren Kontakt: helene.schiffbaenker@joanneum.at 19
IM F OKU S Heute Stau. Morgen auch? TEXT: ELKE ZENZ Das täglich morgendliche Verkehrsaufkommen kurz vor Schulbeginn kennt beinahe jeder. Viele haben Interesse daran, dem möglichen Stau auszuweichen, wofür es mehrere Mög- lichkeiten gibt. Welche Auswirkungen Einzel- entscheidungen auf die Verkehrssituation haben, kann man simulieren. Agentenbasierte Modellierung Verkehrsinfrastruktur Momentaufnahme der Modellumgebung Südost- steiermark mit dem Bevölkerung-Layer (als Basis), dem Infrastruktur- Layer (Verkehrsnetz, dar- gestellt als graue Linien) und dem Tourismus-Layer (Kfz-Verkehr, dargestellt als grüne Dreiecke). 20
IM F OKU S Um diese Herausforderungen auf dem schehen zeigt, dass bestimmte Aktivitäten Weg zur Klimaneutralität meistern zu gehäuft zur selben Zeit stattfinden wie das können, braucht man Verkehrsmodel- morgendliche hohe Verkehrsaufkommen le, die Mobilitätsmaßnahmen auf ihre vor Schulbeginn. Wirksamkeit prüfen, bevor sie im realen Raum umgesetzt werden. Die Herausfor- Öffis, zu Fuß oder Umweg? derungen für die Verkehrsmodellierung „Um also dem gelernten täglichen Stau sind vielfältig: Die Häufung von Extrem- aus dem Weg zu gehen, überlegen sich wettersituationen wie etwa Starknieder- die Menschen andere Möglichkeiten von schläge oder Hitzeperioden beeinflussen A nach B zu kommen. Es kommt zu einer immer kurzfristiger das Mobilitätsver- Verhaltensänderung. Das kann dazu füh- halten. Daraus resultiert eine größere ren, dass eine andere Route gewählt, ein Variabilität des Verkehrsverhaltens, was anderes Verkehrsmittel genutzt oder das zu einer veränderten, stark dynamischen Zeitfenster geändert wird“, erläutert Pro- Verkehrsnachfrage führt. Diese Dyna- jektmitarbeiterin Eva Trausinger-Binder. miken und Fragestellungen können mit „Und was davon stattfinden wird, können Hilfe von agentenbasierten Verkehrsmo wir mittels agentenbasierter Verkehrsmo- dellmethoden zielgerichtet adressiert wer dellierung simulieren und somit vorher- den. Ziel ist dabei eine gut geplante Infra- sagen.“ Diese tageszeitabhängige Wechsel- struktur mit sicheren Rad- und Fußwegen wirkung im Verkehrsablauf kann mit dem und öffentlichem Verkehr, die für Stadt LIFE Mobility und Activity Modellansatz und Land funktioniert. besonders flexibel abgebildet werden. unterschiedliche Layer Urban Living Lab Die Datenbasis werden über das Modell gelegt Die agentenbasierte Verkehrsmodellie- Die Grundlage dafür liefert die Open rung bildet den Fokus der LIFE-Kompe- Source Software „MATSim“, die auch in tenzgruppe Urban Living Lab. „Wir haben Städten und Regionen wie Berlin (Techni- den LIFE Mobility und Activity Modellan- sche Universität Berlin), Zürich (ETH Zü- satz entwickelt und für das Bundesland rich) oder Singapur (Future Cities Labora- Kärnten, inklusive dem urbanen Raum tory Singapur) eingesetzt wird. Mit diesen der Twin-Cities Klagenfurt und Villach, Modellsimulationen lassen sich zukünfti- sowie für die Südoststeiermark virtuel- ge Fragestellungen im Themenbereich der le Testumgebungen modelliert“, erzählt Mobilität im Vorfeld simulieren und die Gruppenleiter Christian Joachim Gruber. Wirkungen von Maßnahmen im Verkehr evaluieren. Dazu gehören Veränderungen Aber was bedeutet agentenbasiert? Es be- in der Infrastruktur wie z. B. der Einsatz deutet, dass das Verhalten jedes einzelnen neuer öffentlicher Buslinien, die Planung Individuums (Agenten) in seinem tages- und Errichtung neuer Straßen oder die zeitlichen Ablauf und in seiner Dynamik Änderung von Mobilitätsangeboten wie durchgehend abgebildet wird. Alltagsakti- etwa die Nutzung von automatisierten vitäten wie Arbeiten, Einkaufen, Wohnen Fahrzeugen (z. B. Robotaxis) genauso wie oder das Freizeitverhalten bestimmen den generelle Trendentwicklungen in der Tagesablauf. Verkehr ergibt sich als Ver- Gesellschaft. Mit dem LIFE Mobility und bindungsfunktion zwischen den jeweili- Activity Modellansatz lassen sich auch Hier geht es zu einem Video, gen Aktivitäten der einzelnen Personen. die verkehrsrelevanten Emissionen (Treib- das eine Simulation aus dem LIFE-mobility-model-Ca- Diese Tagesabläufe wie z. B. die Wege hausgasemissionen, Feinstaubpartikel, NOx) rinthia zeigt. Die Simulation zwischen dem Zuhause zur Arbeit, dann quantifizieren. Und das funktioniert im bezieht sich auf die Aktivi- zum Sport und wieder nach Hause bilden 24/7-Modell, was eine tägliche Prognose täten und das Verhalten von Verkehrsteilnehmer*innen zusammen mit ihren angestrebten Start- für den Folgetag möglich macht und da- in Klagenfurt zwischen 3:00 und Endzeiten die Grundlage für agenten- mit Impulse für eine klimaneutrale Mobi- und 24:00 Uhr (werktags). basierte Verkehrsmodelle. Das Alltagsge- lität setzen soll. 21
T HE MEIM NBFEOKU R E ICSH HIE R Die Graphik bildet einen typischen Tagesablauf einer Ein erfolgreiches Projekt: Person (Agent) ab. Berück- LIFE Mobility Model – Carinthia sichtigt ist die Aktivitäten- kette „Wohnen – Arbeiten – Auf Basis des LIFE Mobility Model – Carinthia wurden Einkaufen – Wohnen“ durch Nutzung eines Autos und die verkehrlichen und klimarelevanten Auswirkun- die Kette „Wohnen – Sport gen einer temporären Sperre der Drau-Stausee-Brücke (Freizeit) – Gastronomie untersucht. Ziel war es, die betroffenen Verkehrsteil- (Freizeit) – Wohnen“, bei der nehmer*innen (Agenten) und die betroffenen Straßen- das Fahrrad als Verkehrs- mittel in der Modellierung abschnitte zu identifizieren, bei denen es zu einer Ver- genutzt wird. änderung der Verkehrsbelastung kommen wird. Das Ergebnis der Simulation zeigte, dass die Betroffenen zwar in Summe weniger Wege durchführen (Minus 5 Prozent) aber die Verkehrsleistung durch das Umfah- ren der Sperre deutlich zunimmt. In Summe stiegen die THG-Emissionen der von der Sperre direkt Betroffenen um rund 15 Prozent beziehungsweise um circa 210 Ton- Christian Joachim nen CO2-Äq pro gesperrtem Monat. Gruber ist Leiter der Kompetenzgruppe Auf Basis dieser Ergebnisse können verkehrspolitische Urban Living Lab mit Schwerpunkt Maßnahmen (z. B. Eintaktung der Baustellenzeit, Ge- Mobilitäts- und Ver- schwindigkeitsbeschränkungen, geänderte Verkehrs- kehrsmodellierung, führungen und Kreuzungsregelungen) im Vorfeld eva Mobilitätsverhalten. luiert und geplant werden. Weather Driven Demand Analysis Das Wetter beeinflusst in vielfältiger Weise das Konsumentenver- Wir unterstützen Ihre tägliche Planung mit folgenden Services: halten und damit die Nachfrage nach unterschiedlichsten Produkten Q Detaillierte, standortbezogene Analyse der Wetterabhängigkeit und Dienstleistungen. Mit WEDDA® bieten wir maßgeschneiderte ihres Unternehmens wetterbasierte Lösungen für Unternehmen, etwa aus der Tourismus- und Freizeitwirtschaft, dem Groß- und Einzelhandel, der Getränke- Q Quantifizierung der Wetterrisiken mittels finanzwirtschaftlicher industrie oder der Energieversorgung. Kennzahlen Q Täglich aktualisierte 10-Tagesprognosen ihrer Unternehmens- kennzahlen (z. B. Umsatz, Absatzmenge oder Besucherfrequenz), auf Basis von Wetterprognosen und Kalenderereignissen Q Wetterbereinigtes Monitoring ihrer Unternehmenskennzahlen www.wedda.at auf Monats- oder Saisonbasis 22
L E B E NSZ YKL U SANALYSE E-Mobility auf dem Prüfstand der Nachhaltigkeit TEXT: ELKE ZENZ Mit Ende Jänner 2021 gab es in Öster- das Elektrofahrzeug zunehmend ins Blick- Benzinverbrauch von 0,3 bis 2 Liter Ben- reich über 45.000 rein elektrisch betrie- feld bewusster Konsumenten“, führt Mar- zin pro 100 Kilometer.“ bene PKW. Das sind zwar weniger als 1 % tin Beermann, Nachhaltigkeitsexperte bei aller Fahrzeuge auf Österreichs Straßen, LIFE, dem Institut für Klima, Energie und Die Zusammenarbeit mit Produzenten und aber die Wachstumskurve ist exponen- Gesellschaft der JOANNEUM RESEARCH, Forschungsunternehmen ist wesentlich ziell. Das zunehmende Bewusstsein beim aus. „Mit dem Battery-Life-Cycle-Check und wird unter anderem durch das Netz- Thema Klimawandel treibt diese Kurve bieten wir Herstellern eine Möglichkeit, werk der Internationalen Energieagentur an, doch sind Elektrofahrzeuge tatsäch- ihre Produkte zu optimieren und Verbes- (IEA) unterstützt. Finanziert werden diese lich so umweltfreundlich? Die Nachhal- serungspotenziale zu erkennen. Der Kon- Aktivitäten vom Bundesministerium für tigkeitsexpert*innen der JOANNEUM sument kann über die Klimarelevanz der Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, RESEARCH haben den Battery-Life-Cycle- Batterie informiert werden – die Transpa- Innovation und Technologie (BMK) und Check für Batterie- und Fahrzeugherstel- renz steigt“, erklärt Beermann. dem Klima- und Energiefonds. ler sowie für Mobilitätsdienstleister und Konsumenten entwickelt. Eine Herausforderung in einer LCA ist Das so genannte „Life Cycle Assessment“ die Datenverfügbarkeit zur Batterie- herstellung. Für die Lebenszyklusana- good 2 know (LCA) ist eine systematische Analyse der lyse benötigt man möglichst realitäts- Ein Diesel-Fahrzeug der Golf-Klasse ver- Umweltwirkungen von Dienstleistungen nahe und aktuelle Daten. Beermann: ursacht 170 bis 180 Gramm Treibhaus- und Produkten entlang des gesamten „Die Treibhausgasemissionen aus der gase pro gefahrenem Kilometer: 75 % Lebensweges eines Produktes inklusive Herstellung einer heutigen Lithium-Io- aus dem Auspuff, 10 % für Herstellung der Herstellung und des Recyclings be- nen-Batterie hängen vor allem von der des Autos und 15 % für Erdölförderung ziehungsweise der Entsorgung. Dabei Batteriekapazität, der Batteriechemie und Dieselherstellung. Ein Batterie- Elektrofahrzeug derselben PKW-Klasse werden auch die Umweltwirkungen der und vom Herstellungsort der Materia- (durchschnittliche Batterie mit 35 kWh) vor- und nachgeschalteten Prozesse inklu- lien und der Batterie ab. Diese Einflüsse reduziert die Treibhausgase im Vergleich sive jener der Bereitstellung der benötig- führen zu einer großen Bandbreite der um 75 bis 80 % auf circa 35 bis 45 ten Rohstoffe und Materialien sowie der Emissionen der Batterieherstellung, die Gramm Treibhausgase, wenn der Strom Energie einbezogen. für heute typische Batteriegrößen zwi- 100 % erneuerbar ist. Die Aufteilung der schen 40 und 100 kWh in elektrischen Emissionen: 90 % für Herstellung und Re- „Das Thema Mobilität ist während der PKW bei rund 2 bis 12 Tonnen CO2-Äq cycling des Autos inklusive Batterie und COVID-Pandemie neu bewertet worden. liegen. Umgelegt auf eine Lebensdauer 10 % für die Errichtung der zusätzlichen Das Fahrrad legt an Bedeutung zu, Indivi- von 200.000 Kilometer entspricht die Wind-, PV- und Wasserkraftanlagen. dualverkehr ist wieder in – da rückt auch Batterieherstellung einem äquivalenten Zum Battery Lifecycle Check Bei einer Lebenszyklus- analyse werden alle vor- und nachgelagerten Prozesse den jeweiligen Ländern ent- sprechend berücksichtigt. 23
G E NDE R F OR SC HU NG ERLEBNISWELT WALD Bild: Shutterstock/Montage STICHT KÜCHE TEXT: ELKE ZENZ Ein Blick durch die VR-Brille zeigt wunderschöne Landschaften, saftige Wiesen und Wälder, fetzblauen Himmel mit leichten Wolken. Herrlich! Wer will da noch die Realität sehen? Eine neue Technologie wie zum Beispiel eine VR-Brille bietet Kooperation mit dem Institut DIGITAL virtuelle Technologien Menschen mit eingeschränkter Mobilität eine Option für das zur Aktivierung von Senior*innen. Unter FEMcharge wurde gewisse Mehr im Leben. Eine Untersuchung von POLICIES eine Usability-Studie zur Verteilung und Ausstattung von Lade- zeigt, dass diese Option auch gern genutzt wird, allerdings von stationen für E-Autos im öffentlichen Raum durchgeführt. Männern und Frauen auf unterschiedliche Weise. Das fällt auch bei der Anwendung anderer neuer Technologien auf, VR-Technologien bieten viele Möglichkeiten für Präsenz und wie zum Beispiel beim Gebrauch und Laden von Elektroautos. Interaktion in künstlichen Umgebungen, die einen positiven Auch hier gibt es Unterschiede in der Herangehensweise zwi- Einfluss auf die mentale Gesundheit ausüben sollen. „Wir ha- schen Männern und Frauen. Da stellt sich die Frage: Wie gen- ben im Rahmen von VR4Care erstmals die fundamentalen De- dergerecht sind neue Technologien? signparameter für Interaktionen in virtuellen Erlebniswelten wissenschaftlich untersucht. Natürlich unter Einhaltung der „Wir untersuchen unterschiedliche digitalisierte Alltagsanwen- Pflegeanforderungen und mithilfe von Human-Factors-Mess- dungen wie zum Beispiel das Nutzen von Sprachassistenten technologien. Es wurden Designparameter gewählt, die zur oder Apps und stoßen im Rahmen dieser Studien immer wie- effizienten Entlastung von Stress und zur Stärkung der Resi- der auf Parameter, die nicht genderkonform sind“, erklärt Sy- lienz für ältere Männer und Frauen gleichermaßen beitragen bille Reidl, Projektleiterin und Genderexpertin bei POLICIES, und dadurch den älteren Menschen, deren Angehörigen sowie dem Institut für Wirtschafts- und Innovationsforschung. „Unse- dem Pflegepersonal dienlich sind“, erläutert Reidl. Angeboten re Gesellschaft wird diverser. Wir müssen bei der Entwicklung wurden Erlebniswelten wie Waldspaziergänge, neue Umgebun- neuer Technologien nicht nur auf Ungleichheiten zwischen gen wie zum Beispiel eine Reise durch die Toskana und auch Männern und Frauen, sondern auch zwischen Bedürfnissen Alltagsumgebungen und -beschäftigungen wie das Kochen in und Alter achten“, so Reidl weiter. Gemeinsam mit ihrer Kolle- der Küche. „Zentrale Erkenntnis der Studie war, dass Szenarien gin Sarah Beranek untersuchte die Gender-Expertin zwei Sze- wie Naturerlebnisse und Reisen bei Frauen sowie Männern auf narien: Im Rahmen des Projekts VR4Care untersuchte man in Interesse gestoßen sind, Haushaltstätigkeiten jedoch von nie- 24
mandem positiv angenommen wurden. Obwohl diese vorab als Szenarien vorgeschlagen wurden, scheint niemand den Gespräche im Obstgarten für Kochlöffel im Alter zu vermissen“, resümiert Reidl mit einem Schmunzeln. Und weiter: „Es zeigte sich auch, dass man sen- sibler in der filmischen Umsetzung vorgehen muss. Schnelle Kameraführung und schlechte Sichtbarkeit von Wegen – zum Beispiel durch hohes Gras – sind für diese Zielgruppe Energielösungen nicht geeignet.“ Auch beim Projekt FEMcharge konnten die Forscherinnen herausfinden, dass es Unterschiede zwischen Männern und Frauen in der Nutzung der E-Mobilität gibt, die es für Stadt- planer*innen sowie für Energieunternehmen zu berücksich- Foto: JOANNEUM RESEARCH / Winkler tigen gilt. Die Planung von Ladestationen im öffentlichen Raum hat Folgen: Einerseits schafft sie die Voraussetzung für den raschen Markteintritt von Elektromobilität, andererseits führt gebaute Infrastruktur zu Pfadabhängigkeiten für die kommenden Jahrzehnte. Frauen und Männer weisen ein klar unterschiedliches Mo- bilitätsverhalten auf: Frauen legen mehr und kürzere Wege In lauschiger Umgebung tauschten sich Expertinnen und als Männer zurück; Männer verfügen häufiger über PKWs; Experten zum Beispiel über Energiegemeinschaften, Energie- effizienz, Ökostrom und über deren Finanzierung aus. Wegzwecke weisen geschlechterstereotype Rollenbilder auf. Folglich haben Frauen andere Ansprüche und Bedürfnisse an das Mobilitätsangebot als Männer. Die genderrelevante Am 1. Juli 2021 fand auf Einladung von LIFE gemeinsam Ausrichtung von Ladeinfrastruktur ist zentral, um nicht Be- mit Sekem Energy/OurPower Süd eine hochkarätige Diskus- nachteiligungen auf lange Zeit zu zementieren. Ladestatio- sionsrunde im schönen Obstgarten des Biohofs Birnstingl- nen müssen neben technischen und wirtschaftlichen auch Gottinger statt. Ausschlaggebend für die Veranstaltung war sozialen Anforderungen genügen – man muss den Ladevor- das H2020-Projekt DECIDE, im Rahmen dessen Ansätze für gang in den Alltag integrieren können und Wohnquartiere Energiegemeinschaften, Selbstversorgung und regionale aufwerten. Wenn die Elektromobilität alle Bevölkerungs- Stromverteilung erforscht werden. gruppen erreichen soll, sind Bedürfnisse von Frauen, älte- ren Menschen oder anderen benachteiligten Gruppen zu be- Wie geht Selbstversorgung? Wie verteile ich meinen erneu- rücksichtigen. „Noch ist es so, dass die derzeitige Preispolitik erbaren Strom in der Region? Wie wirkt Bürger*innen-Ener- Menschen mit schwächeren E-Autos benachteiligt, darunter gie gegen den Klimawandel? Andreas Türk von LIFE stellte häufig Frauen. E-Mobilität stellt also für Menschen mit we- den rund 30 Gästen das Konzept von Energiegemeinschaften niger Einkommen eine Hürde dar. Für eine rasche Entwick- vor dem Hintergrund der zukünftigen nationalen Regelun- lung hin zur Klimaneutralität ist das eine klare Bremse“, so gen vor. Ulfert Höhne (OurPower) beleuchtete den Ansatz Reidl. „Unsere Kolleginnen und Kollegen von LIFE haben von Energiegenossenschaften hinsichtlich Peer-to-Peer-Ener- in einer Befragung in Graz auch herausgefunden, dass der gieaustausch und Norbert Miesenberger (EBF – Energiebe- Ladevorgang vor allem für Frauen ein Thema ist. Frauen ha- zirk Freistadt) bot Einblicke in die Erfahrungen und Erfolge ben tendenziell weniger oft die Möglichkeit, zu Hause oder bestehender Energiegemeinschaften. in der Arbeit die Autobatterie zu laden als Männer. Öffent- lich zugängliche Ladestationen werden oft blockiert. Es fehlt Worüber wurde diskutiert? Erneuerbare Energiegemeinschaf- noch ein System, das Nutzerinnen und Nutzer dazu bringt, ten, Bürgerenergie-Gemeinschaften und gemeinschaftliche Er- den Lade-Parkplatz nach 15 Minuten wieder zu verlassen.“ zeugungsanlagen sind Instrumente, mit denen sich jeder der Projektpartner war die Energie Graz. will, jetzt schon aktiv an zukunftsfähigen Energiesystemen be- teiligen kann. Diese Instrumente sind keine Zukunftsmusik, sondern nehmen den Bürgerinnen und Bürgern das Gefühl der Ohnmacht und führen zur Erkenntnis, die Dinge selbst in projektleitung die Hand nehmen zu können. Wie immer hängt viel an der Die Soziologin Sybille Finanzierung: Wie können neue PV-Anlagen von einer Ge- Reidl ist seit 2003 meinschaft von Selbstverbrauchern finanziert werden? Sind bei der JOANNEUM Genossenschaften – wie zum Beispiel „OurPower“ – die richti- RESEARCH tätig. Als Diversity-Expertin setzt ge Form, um die Energiewende zu organisieren? sie sich für die Förde- rung von Nachwuchs- andreas.tuerk@joanneum.at forscherinnen ein. decide4energy.eu 25
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