Franz Prettenthaler 9 Eric Kirschner 26 - IM INTERVIEW - Joanneum Research

 
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Franz Prettenthaler 9 Eric Kirschner 26 - IM INTERVIEW - Joanneum Research
Das Magazin für technologische Innovationen   Schwerpunkt
Ausgabe 02 / 2021                             Gesellschaft und Nachhaltigkeit

IM INTERVIEW
Franz Prettenthaler 9
Eric Kirschner 26

IM FOKUS

Statistisch gesehen, ... 12
Ein höchst erfolgreiches Dreamteam 16
Heute Stau. Morgen auch? 20
Franz Prettenthaler 9 Eric Kirschner 26 - IM INTERVIEW - Joanneum Research
WIR SUCHEN
DIE KLÜGSTEN
KÖPFE

                                      g   Team
                                   o l
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                                                 Foto: JOANNEUM RESEARCH / Schwarzl

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www.joanneum.at/jobs
Franz Prettenthaler 9 Eric Kirschner 26 - IM INTERVIEW - Joanneum Research
EDITORIAL
                       In der zweiten Ausgabe unseres neuen
                       Magazins widmen wir uns den gro-

                                                                                                                 Foto: JOANNEUM RESEARCH / Bergmann
                       ßen und gesellschaftspolitisch bedeu-
                       tenden Fragen zum Themenbereich
                       „Gesellschaft und Nachhaltigkeit“. Dabei
                       stehen unsere Expert*innen der beiden
                       Institute POLICIES und LIFE im Vorder-
                       grund, die ihre aktuellen Forschungsin-
                       halte und -aktivitäten präsentieren.

                       Rund 75 Expert*innen der JOANNEUM RESEARCH forschen in               DI Dr. Heinz Mayer
                       diesem Themenbereich interdisziplinär für nationale und inter-       Geschäftsführer
                                                                                            JOANNEUM RESEARCH
                       nationale Auftraggeber und mit Partnern zu Forschungsthemen
                       wie beispielsweise klimaneutrale Produktion und Life-Cycle-
                       Analysen, Klimawandelfolgen und Landnutzung, Risikoabschät-
                       zung von Wetter- und Klimaänderungen, Katastrophenschutz,
                       zukunftsfähige Energiesysteme und Lebensstile, internationale
                       Klimapolitik und -ökonomik, regional-ökonomische Analyse,
                       Standortforschung, Struktur- und Regionalpolitik, Design und
      Mit Forschung    Evaluation von nationalen und internationalen Förderprogram-
                       men und Institutionen, Optimierung von industriellen Prozes-
leisten wir unseren    sen, Datenanalyse und statistische Modellierung.
 Beitrag zur Bewäl-    Die brennenden Themen drehen sich derzeit um Digitalisierung
  tigung der großen    und Green Deal. Die Digitalisierung durchdringt unser Leben –
                       und das nicht erst seit gestern. Die Pandemie hat diese Entwick-
Heraus­forderungen     lung zusätzlich forciert. Unser Fokus liegt meist auf der Entwick-
       unserer Zeit.   lung neuer Technologien – wir fragen nach dem Wie. Wie kann
                       etwas funktionieren? Wie sehen die technologischen Lösungen
                       aus? Wir wollen die Wirkungen von neuen Technologien zeigen.
                       Die wesentlichen Leitlinien dazu sind der European Green Deal
                       und die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen. Speziell
                       der Green Deal sieht die digitalen Technologien als entscheiden-
                       de Voraussetzung für die Verwirklichung der Nachhaltigkeits-
                       ziele in unterschiedlichen Sektoren vor. Technologien wie Künst-
                       liche Intelligenz, 5G, Edge-to-Cloud-Continuum und das Internet
                       der Dinge beschleunigen und optimieren Umweltschutzmaß-
                       nahmen und tragen zur Bewältigung des Klimawandels bei. Mit
                       unserem Know-how sind wir Teil dieses Prozesses und bieten
                       entsprechende Lösungen.

                       Die zunehmende Digitalisierung im Alltag ändert aber auch
                       unser Verhalten. Lehrende unterrichten online, Schüler*in-
                       nen haben gelernt, online zu lernen, Senior*innen können mit-
                       hilfe von VR-Brillen Reisen vom Wohnzimmer aus genießen.
                       Auch das Thema Mobilität wird gänzlich neu definiert. Lebens-
                       stile ändern sich, soziale Transformation findet statt. Entschei-
                       dungen werden anders getroffen als noch vor einigen Jahren,
                       Werte ändern sich. Welche Innovationen notwendig sind, um
                       dieser schnellen Entwicklung einen Schritt voraus zu sein,
                       lesen Sie hier.

                       Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre!
                       Wir leben Forschung!

                                                                                                             3
Franz Prettenthaler 9 Eric Kirschner 26 - IM INTERVIEW - Joanneum Research
09
INHALT       Schwerpunkt
             Gesellschaft und Nachhaltigkeit

06           Ganz oben ist der Garten
             Graz zeigt, wie Städte in Zukunft auf den
             Klimawandel reagieren können.

                                                                              „Die bisherigen
09           Interview mit
             Franz Prettenthaler
                                                                              Anstrengungen
                                                                               reichen bei weitem
             Und jetzt nur noch schnell die Welt retten! Der
             Direktor von LIFE spricht über klimaneutrale Mög-                 noch nicht.“
             lichkeiten für die Produktionsbetriebe Österreichs.

12           Statistisch gesehen,
             ist die Kuh ...                                               23 E-Mobility auf dem
                                                                              Prüfstand der Nachhaltigkeit
             Wie Statisitiker*innen aus Daten lesen,
                                                                                       Wie nachhaltig sind Batterien für E-Fahrzeuge?
             was für Landwirte zu tun ist

15           Neue Europäische
             Industriepolitik
                                                                           24 Erlebniswelt Wald sticht Küche
                                                                                       Digitalisierte Alltagsanwendungen sollen älteren
                                                                                       Menschen helfen. Wer geht wie damit um?
             Kommentar von POLICIES-Direktor Wolfgang Polt

16           Ein höchst erfolgreiches
             Dreamteam
                                                                           25 Energiegespräche im Obstgarten
                                                                                       Sind Energiegemeinschaften die Lösung für eine
                                                                                       nachhaltige Energieversorgung?
             Ulrike Kleb und Robert Nuster machen mit

                                                                           26 Er macht sich für Regionen stark
             Statistik industrielle Prozesse nachhaltiger.

20
                                                                                       Eric Kirschner im Interview über Regionalöko-
             Heute Stau. Morgen auch?                                                  nomie und Strukturpolitik und wie man Standorte
             Über Simulationen, die zeigen, welche Auswirkun-                          attraktiv und stark machen kann
             gen Einzelentscheidungen auf den Verkehr haben

21                          – Alle Ausgaben auch als Download
                                                                           26                            www.joanneum.at
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Franz Prettenthaler 9 Eric Kirschner 26 - IM INTERVIEW - Joanneum Research
06                                12                                       16

                        24                                26                                       33

28   Tun ist das neue Wollen
     Wie tickt Österreich im Klimaverhalten? Über
     Trends und tatsächliche Treibhausgas-Emissionen
                                                       35   Partizipation ist hip
                                                            Wie sollen neue Technologien besser in ver­
                                                            schiedenen Lebensbereichen verbreitet werden?

30   Wenn’s übergeht:
     Wer trägt das Risiko?                             36   Ausgezeichnet
                                                            Publikationen und Auszeichnungen
     Hochwasserrisiko: Ein Spannungsfeld zwischen
     staatlicher Schutzverantwortung und privater
     Eigenvorsorge                                     37   News Shots
                                                            Veranstaltungen, Netzwerke, Kooperationen

32   Produktion in Zeiten des
     Klimawandels                                      39   Von A bis Z
                                                            Finden Sie Ihr Thema auf einen Blick
     Kommentar von Franz Kainersdorfer,
     Vorstandsmitglied voestalpine AG

                                                       40 Kontakt
33   Erneuerbare Technologien
     müssen sexy sein
     In Österreich gibt es noch Luft nach oben.
     Veronika Kulmer im Gespräch

                                                                                                            5
Franz Prettenthaler 9 Eric Kirschner 26 - IM INTERVIEW - Joanneum Research
UR B AN GAR DE NING

                     Für unsere vier am Rooftop-Farming-
                     Projekt be­teiligten Landwirtschaft-
                     lichen Fachschulen ­eröffnen sich mit
                     der Möglichkeit, landwirtschaftliche
                     Lebensmittelerzeugung auf urbanen
                     Dachflächen zu betreiben, neue Wege
                     mit ­spannenden Lern­erfahrungen, die
                     auch dem Klimaschutz dienen.
                     Johannes Hütter
                     Landesschulinspektor

                     Auch im urbanen Raum ist es
                     möglich, sich mit Natur zu umgeben,
                     ja sogar in gewissem Maßstab sein
                     eigenes Obst und Gemüse zu ziehen.
                     Darum unterstützen wir das zukunfts-
                     trächtige Projekt „Rooftop­-Farming“.
                     Michael Spitzer
                     Ke-lab.com

                     Ein Dachgarten – das ist praktizierte
                     Ökologie: Er gibt die Natur zurück,
                     die durch Bebauung verloren geht,
                     entlastet die Kanalisation durch
                     ­gespeichertes Regenwasser.
                     Bernd Hörbiger
                     Vertriebsleiter Liapor Österreich

Ganz oben
ist der Garten
Graz zeigt, wie Städte in Zukunft auf den Klimawandel rea­                     Die Nutzung urbaner Dachflächen
gieren können. Seit rund zwei Jahren wird an einem neuen                       nimmt weltweit zu – mit dem
Stadtviertel gebaut und wenn es einmal fertig ist, dann wird                   Engage­ment für Rooftop Farming will
in der Waagner-Biro-Straße auch eine neue Straßenbahnlinie                     bellaflora beitragen zu zeigen, wie
Menschen mit ihren Wohn- und Arbeitsstätten in der neuen                       Versorgung mit regionalen Produkten
Smart City Graz verbinden.                                                     auch auf kleinen Flächen gelingt.
                                                                               Franz Koll
Über all den Baumaßnahmen, die auf der Erde stattfinden,                       Geschäftsführer bellaflora
thront oben auf dem Science Tower ein atemberaubendes
Stück Natur. Franz Prettenthaler, Direktor von LIFE, dem
Institut für Klima, Energie und Gesellschaft, beschreibt
                                                                               Der steirische Gemüsebau präsen-
                                                                                                                               Fotos: JOANNEUM RESEARCH / Schwarzl, Marx

das Ziel: „Es geht darum, zu zeigen, welche Möglichkeiten
urbane Dächer zur Produktion von Lebensmitteln bieten,                         tiert sich als Pionier in der smarten
wie man Menschen Beschäftigung geben kann und ein Pro-                         Gemüse­produktion auf urbanen
jekt zu starten, das Vorbild für viele weitere sein soll – das                 Dachflächen sowie als professioneller
Smart-City-Rooftop-Farming-Projekt.“ Und dieses Vorhaben                       Partner in der Produktion von tradi-
ist voll im Gange. Seit April 2019 werden mit Unterstüt-                       tionellen und alternativen Gemüse-
zung der Rooftop-Farming-Partner über 100 verschiedene                         produkten in bester Qualität!
Pflanzen­arten kultiviert und geerntet, einige davon sogar                     Friedrich Rauer
über die Wintermonate.                                                         Obmann Landesverband Steirischer Gemüsebauern

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Franz Prettenthaler 9 Eric Kirschner 26 - IM INTERVIEW - Joanneum Research
U R B AN GAR DE NING

                                                                                   Tausende Insekten, darunter
                                                                                   Bienen- und Hummelvölker,
                                                                                   Schmetterlinge, Kompost-
                                                                                   würmer und diverse Käfer
                                                                                   tummeln sich auf dem eher
                                                                                   ungewöhnlichen Terrain.
                                                                                   Sie fanden den Weg nach
                                                                                   oben und scheinen sich
                                                                                   ganz wohl zu fühlen.

                                                                                   Rund 13 Hektar Boden-
                                                                                   fläche werden in Österreich
                                                                                   täglich verbaut, Ackerland
                                                                                   verschwindet. Ausgleichen
                                                                                   kann man mit der intelligen-
                                                                                   ten Nutzung von Gebäuden
                                                                                   und der sinnhaften Bewirt-
                                                                                   schaftung von Dächern,
                                                                                   Fassaden und Balkonen.

 Die Erforschung und Weiterent­wicklung von ­                    Hautnah am Leben und an brand­aktuellen
Erde ist die Vision und Leidenschaft der Firma                   Trends – das ist die Tätigkeit der Jugendlichen
Sonnenerde. Mit der Bio Schwarzerde ist es                       mit speziellem Unterstützungsbedarf am Science
­gelungen, die Themen Klimaschutz, Lang­lebigkeit                Tower beim Rooftop Farming – unterstützt vom
 und höchste Fruchtbarkeit in Einklang zu bringen.               Sozialministeriumservice.
Gerald Dunst                                                     Katharina Vogrin
Geschäftsführer Sonnenerde                                       Sozialministerium, Landesstelle Steiermark

                                                                                 110 m²
                                                                                   FLÄCHE ...
                                                                                   ... in 60 Meter Höhe umfasst das Miniparadies am Grazer
                                                                                   Science Tower. In 19 Beeten, die wie kleine Inseln den Tower
                                                                                   umgeben, gedeihen seit 2019 viele Obst- und Gemüsesorten.

                                                                                 120
                                                                                   PFLANZENARTEN

                                                                                 1
                                                                                   TONNE ERNTE ...
                                                                                   ... konnte bis Juni 2021 vom Dach eingeholt werden. Personen,
                                                                                   die im Science Tower beschäftigt sind, können Gemüserationen
                                                                                   abonnieren und frisch vom Dach ernten. Auch die benachbarte
                                                                                   Gastronomie lukriert die Vitaminbomben direkt vom Dach und
                                                                                   kann so den Gästen wertvolle regionale und klimafreundliche
                                                                                   Mahlzeiten anbieten. Der Pluspunkt: Transport und Verpackung
                                                                                   fallen komplett weg.

                                                                                                                                              7
Franz Prettenthaler 9 Eric Kirschner 26 - IM INTERVIEW - Joanneum Research
ANZ E IGE

    Machen wir uns auf den
    Weg zur nachhaltigen
    Energiegemeinschaft!
    Die Expert*innen von LIFE – Institut für Klima, Energie und Gesellschaft
    unterstützen Sie dabei, gemeinsam und autark Strom zu erzeugen
    und damit die energetische Wertschöpfung in der Region zu belassen.
    Analyse, Beratung und Umsetzungsstrategien aus einer Hand.

          STARTER          Für Einsteiger im Bereich Energiegemein­
          PACK             schaften, wie zum Beispiel für Gemeinden,
                           vermitteln wir ein solides Basiswissen, auf das
                           ein Projekt aufgebaut werden kann.

          SCOPING          In Form von Workshops erarbeiten wir konkrete
                           Lösungsvorschläge und Geschäftsmodelle
          BASIS
                           einer geplanten Energiegemeinschaft.
                           Inkludiert sind potenzielle Lokalisierungen,
                           die Darstellung konkreter Anwendungsfälle
                           sowie die Identifikation von Stärken der teil­
                           nehmenden Akteur*innen.

          SCOPING          Nach sorgfältigen Ausarbeitungen präsentieren
          ADVANCED         wir detaillierte Modelle inklusive Wirtschaftlich­
                           keits­analysen, Zielgruppenanalysen,
                           Darstellung des Dekarbonisierungspotenzials
                           sowie PV-Produktionsprognosen.

    Machen Sie den ersten Schritt ...
    ... und einen Termin für ein
    unverbindliches Beratungsgespräch.

    andreas.tuerk@joanneum.at

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Franz Prettenthaler 9 Eric Kirschner 26 - IM INTERVIEW - Joanneum Research
INT E R VIE W

                                               UND
                                               JETZT...
                                               Franz Prettenthaler leitet LIFE, das Institut
                                               für Klima, Energie und Gesellschaft.
                                               Aus Überzeugung setzt sich der Klimaexperte
                                               für mehr Dynamik in Richtung Klimaneutralität
                                               ein. Hier spricht er über klimaneutrale
                                               Möglichkeiten für die Produktionsbetriebe
                                               Österreichs.
Foto: Montage Shutterstock/JOANNEUM RESEARCH

                                                                                                               9
Franz Prettenthaler 9 Eric Kirschner 26 - IM INTERVIEW - Joanneum Research
INT E R VIE W

                                                     Zehn Prozent der globalen Treibhausgasemissi-
                                                     onen gehen zu Lasten der Stahlindustrie. Mithilfe
                                                     Europas „Green Deal“ sollen die Emissionsziele
                                                     erreicht werden können, wobei sichergestellt
                                                     werden soll, dass Europa ein strategischer Pro-
                                                     duktionsstandort bleibt. Das stellt die Industrie
                                                     vor viele Herausforderungen, stagnieren doch
                                                     momentan die heimischen Treibhausgasbilan-
                                                     zen auf hohem Niveau.

       Gerade durch die Corona-Krise ist Euro-       teil deutlich sichtbar geworden, wenn man die Kompetenz,
       pa als Produktionsstandort noch weiter        Waren selbst zu produzieren, verliert. Ein positiver Neben-
       in den Mittelpunkt der Diskussionen ge-       effekt der Krise ist sicher, dass eine gewisse Freihandels-
       rückt. Könnte der Schritt von Globali-        naivität, was die strategischen Interessen Europas betrifft,
       sierung zu regionaler Produktion eine         schwindet. Der Green Deal und nicht zuletzt das dazugehöri-
       Chance für Klimaneutralität bedeuten?         ge Fit-for-55-Paket enthält Verschärfungen und eine Fülle an
       Zunächst muss man ehrlich sein: Nur,          unterstützenden Begleitmaßnahmen. Trotzdem wird es auch
       weil regional produziert wird, ist es         eines nationalen Kraftaktes bedürfen, diese wichtige Industrie
       noch lange nicht klimaneutral. Auch sin-      zu transformieren, auch wenn der geplante Grenzausgleichs-
       kende Emissionszahlen aus der Produk-         mechanismus (CBAM) einen gewissen Schutz vorsieht.
       tion im Inland können trügerisch sein:
       Denn wenn die Produktion ins Ausland          Wo sehen Sie die Risiken? Ich sehe zwei: Wenn man die Steu-
       verlegt wird, sinken die globalen Emis-       er auf klimaschädlichen Importstahl nicht implementiert, ist
       sionen nicht notwendigerweise. Es gibt        „Carbon Leakage“ das Risiko. So nennt man den Anstieg der
       daher gar keine Alternative dazu, die         Emissionen durch die Abwanderung der Produktion z. B. aus
       Herkulesaufgabe, den österreichischen         Europa, weil es hier zwar einen Preis auf CO2-Emissionen gibt,
       Stahl künftig grün – also klimaneutral        im EU-Ausland aber nicht. Das ist kontraproduktiv für das
       – ­herzustellen, konsequent anzugehen.        Klima und damit für unser aller Sicherheit und Gesundheit.
       Wir sehen uns mit der Lebenszyklusana-        Das zweite Risiko besteht darin, dass man diese Steuer nicht
       lyse auch für künftige noch nicht fertig      gut genug mit den USA und China abstimmt, wobei vor allem
       entwickelte Technologien als wichtigen        auch Russland zu den Verlierern zählen würde, und dadurch
       Partner in diesem Prozess.                    Gegenmaßnahmen provoziert würden. Eines ist klar: Der Weg
                                                     in eine klimaneutrale, prosperierende Zukunft der Produktion
                                                     führt nicht über die Abschottung, sehr wohl aber über bewuss-

Die bisherigen                                       te, strategische Entscheidungen für den Standort Europa ohne
                                                     selbst auferlegte Denkverbote. Bestimmte Binnenmarktregeln

Anstrengungen reichen                                müssen überdacht werden, wenn sie uns Europäer*innen
                                                     selbst strategisch schwächen. Die sogenannten IPCEIs erlau-

bei weitem noch nicht.                               ben es immerhin, die Transformation zur Wasserstofftechnolo-
                                                     gie national stärker als bisher erlaubt zu fördern.

                                                     Wie interpretieren Sie den Status-quo? An welcher Stelle des
       Bei all dem positiven Beitrag, den die        Wegs in Richtung Klimaneutralität stehen wir gerade? Die bis-
       Globalisierung für den Wohlstand auf          herigen Anstrengungen reichen bei weitem noch nicht. Alle
       der ganzen Welt geleistet hat, ist in der     Unternehmen brauchen einen entschlossenen Plan für ihren
       Corona-Krise auch der strategische Nach­­­    Pfad zur Klimaneutralität. Das wird eine neue Gründerzeit. In

10
INT E R VIE W

der Steiermark liegt der CO2-Emissionsbeitrag der produzieren-       sicher die ausreichende Energieversor-
den Industrie bei rund einem Drittel. Da müssen wir Synergien        gung der Industriezentren Europas mit
schaffen. Das funktioniert in der Papier- und Stahlindustrie: Die    erneuerbaren Energieträgern die zentrale
Abwärme der Firma Sappi und auch der Marienhütte versorgt            Herausforderung, sowohl technologisch
Grazer Haushalte mit Wärme. Hinsichtlich dieser sogenannten          als auch wirtschaftlich. Wobei wir dabei
Sektorkoppelungen gibt es sicher noch Luft nach oben.                auch die gesamtgesellschaftliche Ener-
                                                                     gieeffizienz nie aus den Augen verlieren
Als Schlüsseltechnologie für eine CO2-freie Stahlproduktion wird     dürfen: Könnten wir doch längst mit der
oft Wasserstoff angeführt. Wie sehen Sie das? Ich denke, dass an     Abwärme der Industrie einen Großteil
der Nutzung von Wasserstoff für bestimmte industrielle Prozes-       der Wohnungen heizen und kühlen. Eine
se, wobei jeder gesondert zu betrachten ist, und als Energiespei-    Zuversicht kann die Forschung ebenfalls
cher kein Weg vorbeiführt. Wir werden die benötigten Mengen          beisteuern: Wenn die Rahmenbedingun-
an Wasserstoff im Übergang auch nicht lokal und ausschließlich       gen endlich richtig gesetzt werden, ist
erneuerbar herstellen können. Die Methanpyrolyse würde es er-        der wirtschaftliche Innovationsprozess
lauben, aus dem fossilen Erdgas den Kohlenstoff in fester Form       bestens in der Lage, diese effizienten Lö-
zu entnehmen und so zwar nicht klimaneutralen aber doch              sungen zu finden, dabei Wohlstand zu
klimafreundlichen und günstigen Wasserstoff zu erzeugen, das         produzieren und nicht fehlgeleitet unsere
hat Potenzial. Denn eines ist klar: Wasserstoff wird sich nur dort   Lebensgrundlagen zu zerstören.
durchsetzen, wo er wettbewerbsfähig ist, sehr oft wird die direk-
te Nutzung von erneuerbarem Strom die günstigere Alternative         Die Steiermark hat schon einmal gezeigt,
sein, siehe Hochtemperaturwärmepumpen oder Mobilität.                dass sie in der Stahlindustrie, mit der
                                                                     sie fast schicksalhaft verbunden scheint,
Was ist die wesentlichste noch unbeantwortete Frage hinsichtlich     durch viel Hirnschmalz und Innovati-
Produktion in Europa und Klimaneutralität und was kann heimi-        onsbereitschaft große Transformationen
sche Forschung zur Beantwortung dieser beitragen? Es ist eine        bewältigen kann.
Frage, die zugleich Millionen unterschiedliche Antworten haben
wird: Wie gelingt uns die komplette Dekarbonisierung der ge-

                                                                     An der Nutzung von
samten Wertschöpfungskette jedes einzelnen Produkts – von
der Gewinnung der Rohstoffe, über Herstellung, Betrieb bis zur

                                                                     Wasserstoff wird kein
Wiederverwertung? Bei LIFE ist unsere Forschung mit unserem
starken Schwerpunkt auf die Lebenszyklusanalyse aber auch

                                                                     Weg vorbeiführen.
die globale Wertschöpfungskettenanalyse als ständiger Feed-
back-Geber dafür gut aufgestellt. In strategischer Hinsicht ist
                                                                                        Foto: Shutterstock / ToppyBaker

                                                                                                                          Für Produktionsprozesse
                                                                                                                          müssen völlig neue
                                                                                                                          Technologien entwickelt
                                                                                                                          werden. Viele kluge
                                                                                                                          Köpfe arbeiten aktuell
                                                                                                                          daran, die Vision des
                                                                                                                          „grünen Wasserstoffs“
                                                                                                                          real werden zu lassen.

                                                                                                                                                    11
IM F OKU S

     Statistisch
     gesehen,
     ist die Kuh ...
     TEXT: ELKE ZENZ   ... „pumperlgesund“. Eine von mittlerweile vielen technologischen
                       Neuerungen ist die Datenübertragung und deren Interpretation
                       aus dem Inneren unserer Nutztiere. Eine weitere ist die auf Daten
                       gestützte Verbesserung von Ackerland. Die Statistikerinnen und
                       Statistiker von POLICIES können aus den generierten Daten lesen,
                       was für die Landwirte zu tun ist.

12
IM F OKU S

     Foto: JOANNEUM RESEARCH / Schwarzl

13
IM F OKU S

Dass sich die Landwirtschaft ändert, ist            Im Nutztiermanagement wird immer             Mit der Datenanalyse
nicht neu. Traditionelle Bilder von Kühe            häufiger der Einsatz von Antibiotika dis-
melkenden Händen sind denen von Droh-               kutiert, weil dieser zu Resistenzen bei      schaffen wir es,
nen und Sensoren längst gewichen. Der
sogenannte Pansen-Sensor, ein für Tier
                                                    Mensch und Tier führen kann. Obwohl es
                                                    auf allen Ebenen Bestrebungen gibt, die-
                                                                                                 infektiöse Gefahren-
und Mensch sicheres Produkt, liefert di-            ses Risiko zu minimieren, sind noch keine    potenziale für
rekt aus dem Magen der Kuh Daten darü­              wirklich fachlich greifbaren Umsetzungen
ber, wie oft die Kuh widerkäut, welche              existent. Im Rahmen des Projekts LAAG        Menschen frühzeitig
Temperatur im Pansen vorherrscht und                wird untersucht, wie regional auftretende    zu erkennen.
wie aktiv das Tier ist. All diese Daten wer-        Infektionen zusammenhängen und der
den statistisch ausgewertet und sind für            Einsatz von Antibiotika minimiert werden     — Hermann Katz
den Landwirt Zeichen dafür, ob das Tier             kann: Ausgangspunkt ist der Bauernhof,
krank ist oder etwa vor dem Abkalben                sind Tiere krank, wird der Tierarzt kon-
steht. Die Verantwortung für die Tiere              sultiert. Sind die ansässigen Menschen       und Phillip Wedenig gemeinsam mit dem
lässt sich natürlich nicht auf neue Tech-           krank, wird der Hausarzt und /oder die       Maschinenring Steiermark seit 2019.
nologien abwälzen, am Ende des Tages ist            Apotheke herangezogen. Hausarzt und          Mit Hilfe statistischer Datenerhebung
immer der Mensch verantwortlich.                    Tierarzt stehen aber derzeit in keiner       und -analyse, die von Bodensensoren
                                                    systemischen Verbindung und tauschen         erhoben werden, können verschiedene
In der breiten Landwirtschaft wird noch             keine Daten über regionale Infektionen       Bodencharakteristika festgestellt wer-
lange nicht das ganze Spektrum an tech-             aus. „Um das Problem ganzheitlich zu lö-     den. Mit statistischen Methoden werden
nologischen Möglichkeiten zur Daten-                sen, müssen die relevanten veterinär- und    identische Feldabschnitte bestimmt, die
erfassung und -erhebung ausgeschöpft,               humanmedizinischen Daten verknüpft           bezüglich Düngung, Bewässerung und
das bereits zur Verfügung stünde. „Man              werden, was ausschließlich über die Ad-      Aussaat ähnliche Eigenschaften haben
ortet ein Abwarten seitens der Landwir-             ressen der beteiligten Personen möglich      und damit eine optimierte Bewirtschaf-
te“, vermutet Hermann Katz, Leiter der              ist. Die Adressen und die Daten der be-      tung ermöglichen. Nun konnte die Daten-
Forschungsgruppe „Datenanalyse und                  teiligten Ärzt*innen, Tierärzt*innen und     grundlage verbessert werden: In Koope-
statistische Modellierung“ von POLICIES.            Apotheken in der Region müssen zusam-        ration mit dem Institut DIGITAL werden
Obwohl es schon sehr viele technologi-              mengeführt und interpretiert werden ‒        Fernerkundungsdaten zur detaillierten
sche Lösungen gibt, fehlt noch immer                selbstverständlich anonymisiert“, erklärt    Analyse der Bodencharistika herangezo-
eine Vernetzung der Sensordaten mit                 Hermann Katz. „Mit der Datenanalyse          gen. „Durch die Kombination mehrerer
veterinärmedizinischen und gegebenen-               schaffen wir es, infektiöse Gefahrenpoten-   Parameter stehen weitere wichtige In-
falls humanmedizinischen Daten. Und                 ziale für Menschen frühzeitig zu erken-      formationen für die landwirtschaftliche
da kommt das Team von Hermann Katz                  nen. In weiterer Folge lassen sich Modelle   Nutzung zur Verfügung. Diese sollen den
ins Spiel: Es gibt genug Daten, um diese            für andere Regionen ableiten.“               Landwirten rasch und unkompliziert zur
zu interpretieren, braucht es eine sinn-                                                         Verfügung gestellt werden – jetzt geht
hafte Vernetzung. „Mittels statistischer            Auch die optimale Bewirtschaftung von        es um die Verifikation, welche Daten in
Methoden können wir aus den Daten                   Landwirtschaftsflächen lässt sich an-        welcher Form vor allem für kleinstruk-
lesen, wie aus einem Buch. Da ergeben               hand von sensorgenerierten Daten be-         turierte Betriebe geeignet sind“, erklären
sich plötzlich Zusammenhänge, die man               rechnen. Daran arbeiten Hermann Katz         die Mathematiker.
nicht vermuten würde und die Lösungen
für Menschen, Tiere und Umwelt bergen“,
erklärt Katz. Ein aktuelles Beispiel ist das
Pilotprojekt LAAG, das mit der TPG Tier-
ärztliche Praxisgemeinschaft Passail OG
durchgeführt wird.

                       Das Projekt mit dem
                       Maschinenring Steiermark
                       war dermaßen erfolg-
                       reich, dass Forschungs-
                                                                                                                                              Foto: Günther Linshalm

                       gruppenleiter Hermann
                       Katz mit seinem Team
                       schon die nächste Daten-
                       generation interpretiert –
                       nämlich die, die aus dem
                       All kommt.

14
KOMME NTAR

            Neue Europäische
             Industriepolitik
                                 WOLFGANG POLT

Angesichts großer gesellschaftlicher He-    dustriepolitik zu werden und auch bei
rausforderungen wie Klimawandel oder        der Umsetzung anderer Politikziele der
Pandemien und Umbrüchen im globalen         EU einen wesentlichen Beitrag zu leisten.
Wettbewerb und Wertschöpfungsketten         Ganz wichtig dabei ist die evidenzbasier-
unternimmt die EU einen wichtigen An-       te Identifikation der Bereiche, in denen
lauf, mit dem industriepolitisch auf die-   dieses Instrument am besten zum Einsatz
se Herausforderungen reagiert werden        kommt und seine Ausgestaltung in einer
soll: Für sogenannte „Important Projects    Weise, die den europäischen Industrie-
of Common European Interest“ (IPCEI)        standort stärkt, ohne dabei zu unakzeptab-
sind die bisher sehr engen Grenzen des      len Marktverzerrungen zu führen. Zurzeit
europäischen Beihilfenrechts gelockert      sind u. a. Projekte im Bereich der Mikro-
worden. In ausgewählten, als strategisch    elektronik, der Batterieproduktion, der
wichtig angesehenen Bereichen für die       Umstellung von industrieller Produktion
technologische Wettbewerbsfähigkeit und     auf Low-carbon-emission-Prozesse, oder im
Souveränität Europas und als Beitrag zur    Gesundheits- / Pharmaziebereich entweder
Erreichung wichtiger europäischer Vor-      in Planung oder schon in Umsetzung.
haben (wie European Green Deal, Digitale    Da die Beteiligung an diesen Projekten
Transformation) sollen Industrie(geführ-    wegen ihrer Größe auch ein großes Ge-
te)konsortien gebildet werden, die große    wicht in den Förderungen der einzelnen
Projekte mit potenziell hohem Nutzen        Mitgliedstaaten bekommen kann, ist die
für Industrie und Gesellschaft in Europa    Auswahl der Beteiligung, die Gestaltung
umsetzen sollen. Diese Projekte können      der Prozesse, mit denen das passiert,
sowohl große europäische Infrastruktur-     und die Abschätzung der Effekte auf die
projekte wie im Verkehrsbereich als auch    heimische Industrie eine unabdingbare
solche, die große Technologiesprünge        Voraussetzung für gute Politik. POLICIES
erlauben – etwa in der Umstellung auf       unterstützt die mit diesen Aufgaben be-
eine CO2-freie Produktion – umfassen.       fassten Bundesministerien und Stake-
Da diese Projekte vom Umfang her die        holder – etwa durch die Identifikation
Finanzierungskraft und Umsetzungsmög-       von Wertschöpfungsketten, die besonders
lichkeiten von einzelnen Firmen und Mit-    wich­tig für die österreichische Industrie
gliedstaaten der EU übersteigen, sollten    sind, durch Unterstützung bei der Formu-
hier Ressourcen gebündelt werden. Jeder     lierung von österreichischen Anliegen
Mitgliedstaat entscheidet selbst, an wel-   gegenüber der EU und bei der Gestaltung
chen Projekten er sich – mit substanziel-   von nationalen Stakeholderprozessen. So
len nationalen Fördermitteln – beteiligen   tragen wir zu einer bestmöglichen Nut-
will und kann.                              zung und Gestaltung dieses neuen und
Die IPCEIs haben das Potenzial, ein wich-   weiter in Entwicklung befindlichen Ins­
tiges Instrument einer europäischen In-     truments für Österreich und Europa bei.

                                            Wolfgang Polt ist
                                            Direktor von POLICIES.
                                            Unter anderem unter-
                                            richtet er an der Wirt-
                                            schaftsuniversität Wien
                                            und der Donau-Univer-
                                            sität Krems Innovations-
                                            geschichte.

                                                                                         15
IM F OKU S

      Ein höchst
     erfolgreiches
      Dreamteam
         TEXT: ELKE ZENZ

           Mit im Team bei Robert
           Nuster und Ulrike Kleb sind
           Professor Günther Paltauf,
           die Studenten Markus
           Saurer und Patrick Bauer
           sowie der POLICIES-
           Statistiker Franz Moser.

16
IM F OKU S

Seit 2015 arbeiten Robert Nuster vom Institut für Physik der
Karl-Franzens-Universität Graz und Ulrike Kleb von POLICIES
zusammen. Die Statistikerin und der Physiker schaffen es mit
ihren Teams die Synergien ihrer Expertisen in erfolgreiche Pro-
jekte umzuwandeln, die langfristig industrielle Prozesse nach-
haltiger und ressourcenschonender machen sollen. Aktuell
arbeiten die beiden an den FFG-Projekten LUSI-Q und IMPROFE.

                                                Sie konnten gemeinsam in den letzten Jahren bei Ausschrei-
                                                bungen nennenswerte Erfolge verzeichnen. Insgesamt konnten
                                                rund 1,1 Millionen Euro an Fördermitteln für gemeinsame For-
                                                schung an Methoden für eine nachhaltige Produktion lukriert
                                                werden. Was macht aus Ihrer Sicht eine fruchtbringende Zu-
                                                sammenarbeit aus?
                                                KLEB: Abgesehen von der Fachkompetenz ist es wichtig, dass
                                                die Gesprächsbasis eine freie ist und man ohne Barrieren auf-
                                                einander zugeht. // NUSTER: Ich denke, das Forschungsinte-
                                                resse muss im Vordergrund stehen und die Kommunikation
                                                auf Augenhöhe passieren. // KLEB: Wir haben bei Forschungs-
                                                anträgen deswegen Erfolg, weil die verschränkte Forschungs-
                                                arbeit attraktiv für Industriepartner und Fördergeber ist. Und
                                                weil unsere Zusammenarbeit auf gegenseitigem Respekt ba-
                                                siert. Wir arbeiten unsere Ideen und Visionen aus und suchen
                                                dann aktiv nach Projektpartnern. Dabei muss man sich als
                                                Wissenschafterin oder Wissenschafter die Frage stellen, für
                                                wen unsere Lösungsansätze interessant sein könnten. Welche
                                                Personen, Unternehmen oder Institutionen könnten von einer
                                                Verbesserung durch unsere Forschung profitieren? Wo ist der
                                                Mehrwert für die Gesellschaft und die Wirtschaft? Im Projekt
                                                LUSI-Q geht es zum Beispiel darum, mittels Laserultraschall
                                                versteckte Fehler in der Halbleiterproduktion zu finden. Pro-
                                                jektpartner sind die Infineon Technologies Austria AG und die
                                                MONTFORT Laser GmbH. Im Rahmen von IMPROFE arbeiten
                                                wir unter anderem auch daran, versteckte Fehler zu finden –
                                                und zwar in den Schweißnähten von Statoren für E-Motoren.
                                                Projektpartner ist Miba Automation Systems. Wir erwarten
                                                uns natürlich in beiden Fällen sowohl für unsere Projektpart-
                                                ner aus der Wirtschaft als auch für die Endanwenderinnen
                                                und -anwender einen Gewinn – nämlich an Nachhaltigkeit.

                                                Ist der Ablauf im Forschungsprojekt LUSI-Q so, dass Sie auf
                                                der Universität die Methoden des Laserultraschalls für die kon-
                                                kreten Anwendungen etablieren und die Statistikerinnen und
                                                Statistiker der JOANNEUM RESEARCH anschließend die Daten
           Foto: JOANNEUM RESEARCH / Schwarzl

                                                interpretieren?
                                                NUSTER: Genau. Und das gemeinsame Ziel ist es, mit der In-
                                                terpretation der Daten voranzukommen und die sich daraus

                                                                                                                  17
IM F OKU S

Da in Mikrochips mittlerweile                                 dann mit einem Interferometer an definierten Positionen zeit-
                                                              aufgelöst ausgelesen. Wir können in einem Bereich, der klei-
mehr als 60 verschiedene                                      ner als ein Mikrometer ist, detektieren. Wenn die Oberfläche
chemische Elemente genutzt                                    ein Zehntel Nanometer auslenkt, können wir das erkennen.
                                                              Mit herkömmlichen optischen Verfahren kann man etwaige
werden, von denen viele zu den                                Schäden noch schneller und meist auch genauer erkennen.

kritischen Rohstoffen zählen,                                 Allerdings begrenzt auf die Oberflächenbeschaffenheit der
                                                              Probe. Fehler im Inneren der Probe bleiben dabei unerkannt,
ist jedes Mittel zur Einsparung                               da die Eindringtiefe von Licht in Metalle verschwindend klein
                                                              ist. Hingegen dringen die an der Oberfläche generierten Ul­
dieser Ressourcen von großem                                  tra­schallwellen in die Probe ein und bringen die Information
Wert für Umwelt und Gesellschaft.                             des inneren Probenzustandes an die Oberfläche. // KLEB: Die
                                                              Daten, die durch diesen Vorgang generiert werden, werten wir
— Ulrike Kleb                                                 anschließend aus. Je mehr physikalisches Wissen wir in die Da-
                                                              tenanalyse „einbauen“, desto geringer wird der Messaufwand.
                                                              Mittels statistischer Analytik können Muster wie Risse oder
                ergebenden Erkenntnisse auch auf alter-       andere Schäden im Herstellprozess erkannt werden. Das wie-
                native Anwendungen zu transferieren.          derum macht den Produktionslauf effizienter. Die Lebensdau-
                                                              er der Produkte wird erhöht, der Ausschuss verringert. Es ist
                Schnell, zerstörungsfrei                      wichtig, in der Produktion nachhaltiger und ressourcenscho-
                und kontaktlos                                nender zu werden. Gerade in der Halbleiterindustrie werden
                                                              kritische Rohstoffe verwendet, eine wertvolle Ressource, die
                Gibt es alternative Technologien, versteck-   nicht verschwendet werden soll. Durch gezielte Prüfverfahren
                te Fehler in der Produktion aufzuspüren?      lässt sich Material einsparen und alles, was eingespart werden
                NUSTER: Ja natürlich, aber mit Laser­         kann, schützt die Erde. // NUSTER: Schlussendlich wird auch
                ultra­
                     schall funktioniert der Vorgang          weniger Energie verbraucht. Wir arbeiten also an einem ganz-
                schnell, zerstörungsfrei und kontaktlos.      heitlich nachhaltigen Ansatz.
                Das System funktioniert wie Blitz und
                Donner. Wir klopfen mit einem Laser-          Neue Kooperationen
                puls an, die Schallwellen breiten sich in
                und an den Grenzflächen der Probe aus         Das Projekt LUSI-Q läuft also sehr zufriedenstellend. Wo wird die
                und verursachen an der Oberfläche eine        Reise mit der gemeinsamen Methodik hingehen?
                Auslenkung – wie bei einem Erdbeben.          KLEB: Seit ­April ­2021 beschäftigen wir uns im Rahmen des
                Und diese Oberflächenauslenkung wird          Projekts IMPROFE mit der Herstellung von E-Motoren. Bedingt
                                                                                    durch Klima­  wandel und Energiewende
                                                                                    steigt der Bedarf an Motoren für voll-
                                                                                    oder teilelektrisch betriebene Autos. Der-
                                                                                    zeit sind die Produktivität und Flexibili-
                                                                                    tät der Fertigung aber noch recht niedrig.
                                                                                    Speziell beim Stator, dem feststehenden
                                                                                    Teil des Elektromotors, ist der Produk-
                                                                                    tionsaufwand groß und die Anforderun-
                                                                                    gen an Qualität, Kosten und Taktzeit sind
                                                                                    hoch. Die Hairpin-Technologie ist relativ
                                                                                    neu in der Autoindustrie: Mit Hairpin-Sta-
                                                                                    toren wird einerseits eine Effizienzstei­
                                                                                    gerung des Motors erreicht. Andererseits
                                                                              Foto: JOANNEUM RESEARCH / Schwarzl

                                                                                                                   Der Statistiker Franz Moser
                                                                                                                   interpretiert die Daten,
                                                                                                                   die vom Laserultraschall
                                                                                                                   gewonnen werden und
                                                                                                                   bereitet sie so auf, dass
                                                                                                                   mögliche Fehler in der
                                                                                                                   Produktion rasch gefunden
                                                                                                                   und ausgemerzt werden
                                                                                                                   können.

18
IM F OKU S

ist die Hairpin-Technologie ein Verfahren, das großes Potenzial                Prozessschritte optimieren. Erprobt werden die Verfahren in
hat, um Statoren flexibel – auch in großen Serien – zu fertigen                einem Use Case bei der Miba Automation Systems GmbH. Wie
und die Produktionskosten signifikant zu senken. Damit das er-                 gut es funktionieren wird, wissen wir noch nicht. IMPROFE
reicht werden kann, müssen die kritischen Merkmale der Sta-                    läuft noch bis 2024. Bis dahin haben wir sicher schon neue
toren im Prozess möglichst vollständig inline geprüft werden.                  Erkenntnisse.
Und zur laufenden Optimierung soll ein digitales Abbild für den
Herstellprozess der Statoren geschaffen werden.                                Wozu das digitale Abbild? 
                                                                               KLEB: Um den Herstellprozess besser kontrollieren und optimal
Was heißt das genau?                                                           steuern zu können. Der Autoindustrie soll damit eine hochqua-
KLEB: Zum Beispiel geht es darum, schon in der Produktion                      litative und ressourcenschonende Produktion von Hairpin-Sta-
Fehler in Schweißnähten zu finden. Auch in diesem Projekt                      toren in sehr hoher Stückzahl ermöglicht werden.
werden dafür Laserultraschall-Messmethoden eingesetzt. //
NUSTER: Wir versuchen, direkt auf der Schweißnaht zu mes-
sen, auch wenn die Oberfläche gekrümmt ist. Die Messung                           Ulrike Kleb studierte Technische            Robert Nuster promovierte 2007 in
wird dadurch natürlich herausfordernder, denn das ist ein                         Mathematik an der TU Graz und ist seit      Experimentalphysik an der Universität
                                                                                  1992 bei der JOANNEUM RESEARCH              Graz mit einer Arbeit über die Ent-
völlig neues Verfahren. // KLEB: Mit KI-basierten Datenanaly-
                                                                                  tätig. Seit 2010 ist sie stellvertretende   wicklung und Anwendung optischer
semethoden und Modellierungsansätzen wollen wir die Laser-                        Leiterin der Forschungsgruppe „Daten-­      Sensoren zur Detektion laserinduzier-
ultraschall-Signale interpretieren und Anomalien in Schweiß-                      analyse und statistische Modellierung“      ten Ultraschalls. Danach war er als
nähten vorhersagen, oder auch die Zusammenhänge zwischen                          bei POLICIES. Sie beschäftigt sich seit     Postdoc an der Universität Graz, in
                                                                                  mehr als 25 Jahren mit dem Einsatz          außeruniversitären Forschungseinrich-
topographischen Messdaten und LUS-Signalen herstellen und                         von Datenanalyse, Statistik und künst-      tungen und am Institut für Angewand-
analysieren. Beim digitalen Abbild werden die Prozessschritte                     licher Intelligenz für Qualitäts- und       te Physik in Bern tätig. Seit 2015
in automatisierten Rechenmodellen abgebildet, damit die Qua-                      Ressourcenoptimierung in der indus-         verfolgt er wieder in Graz aktuelle For-
litätsmerkmale vorhergesagt und Prüfergebnisse auf Prozess-                       triellen Produktion. Aktuell koordiniert    schungsinteressen: photoakustische
                                                                                  sie die beiden im FFG Programm              Bildgebung, Materialcharakterisierung
parameter rückgekoppelt werden können. Wir wollen zum Bei-                        Produktion der Zukunft geförderten          durch Laserultraschall und Entwick-
spiel die Prozessparameter beim Laserschweißen der Hairpins                       Projekte LUSI-Q und IMPROFE.                lung von Ultraschallsensoren.
basierend auf den Inline-Prüfergebnissen der vorhergehenden

     FÜR MEHR CHANCENGLEICHHEIT:

     Gender Equality Plan
     Die Expert*innen der JOANNEUM RESEARCH forschen seit 20 Jahren              Q Begleitung bei der Entwicklung und Umsetzung innovativer
     an Genderfragen, sind in internationale Netzwerke eingebunden und                Strategien, um bestehende Ungleichheiten zu verringern
     an zahlreichen Gender-Projekten beteiligt.
                                                                                 Q Bewertung des Status quo der Chancengleichheit in der
     Mit dieser umfassenden Expertise beraten sie Forschungseinrichtun-               Organisation und Identifizierung von Handlungsbedarf und
     gen und -unternehmen sowie Forschungsförderungs­organisationen bei               Nutzen für Kund*innen
     der Entwicklung von Gleichstellungsplänen, die eine Voraussetzung für
                                                                                 Q Unterstützung bei der Erarbeitung von Zielsetzungen und
     Projekteinreichungen in Horizon Europe sind.
                                                                                      Monitoring des Fortschritts anhand von Indikatoren

       Kontakt: helene.schiffbaenker@joanneum.at

                                                                                                                                                                    19
IM F OKU S

Heute Stau.
Morgen auch?
TEXT: ELKE ZENZ

Das täglich morgendliche Verkehrsaufkommen
kurz vor Schulbeginn kennt beinahe jeder.
Viele haben Interesse daran, dem möglichen
Stau auszuweichen, wofür es mehrere Mög-
lichkeiten gibt. Welche Auswirkungen Einzel-
entscheidungen auf die Verkehrssituation
haben, kann man simulieren.

Agentenbasierte Modellierung

Verkehrsinfrastruktur

Momentaufnahme der
Modellumgebung Südost-
steiermark mit dem
Bevölkerung-Layer (als
Basis), dem Infrastruktur-
Layer (Verkehrsnetz, dar-
gestellt als graue Linien)
und dem Tourismus-Layer
(Kfz-Verkehr, dargestellt als
grüne Dreiecke).

20
IM F OKU S

                                                Um diese Herausforderungen auf dem             schehen zeigt, dass bestimmte Aktivitäten
                                                Weg zur Klimaneutralität meistern zu           gehäuft zur selben Zeit stattfinden wie das
                                                können, braucht man Verkehrsmodel-             morgendliche hohe Verkehrsaufkommen
                                                le, die Mobilitätsmaßnahmen auf ihre           vor Schulbeginn.
                                                Wirksamkeit prüfen, bevor sie im realen
                                                Raum umgesetzt werden. Die Herausfor-          Öffis, zu Fuß oder Umweg?
                                                derungen für die Verkehrsmodellierung          „Um also dem gelernten täglichen Stau
                                                sind vielfältig: Die Häufung von Extrem-       aus dem Weg zu gehen, überlegen sich
                                                wettersituationen wie etwa Starknieder-        die Menschen andere Möglichkeiten von
                                                schläge oder Hitzeperioden beeinflussen        A nach B zu kommen. Es kommt zu einer
                                                immer kurzfristiger das Mobilitätsver-         Verhaltensänderung. Das kann dazu füh-
                                                halten. Daraus resultiert eine größere         ren, dass eine andere Route gewählt, ein
                                                Variabilität des Verkehrsverhaltens, was       anderes Verkehrsmittel genutzt oder das
                                                zu einer veränderten, stark dynamischen        Zeitfenster geändert wird“, erläutert Pro-
                                                Verkehrsnachfrage führt. Diese Dyna-           jektmitarbeiterin Eva Trausinger-Binder.
                                                miken und Fragestellungen können mit           „Und was davon stattfinden wird, können
                                                Hilfe von agentenbasierten Verkehrsmo­         wir mittels agentenbasierter Verkehrsmo-
                                                dellmethoden zielgerichtet adressiert wer­     dellierung simulieren und somit vorher-
                                                den. Ziel ist dabei eine gut geplante Infra-   sagen.“ Diese tageszeitabhängige Wechsel-
                                                struktur mit sicheren Rad- und Fußwegen        wirkung im Verkehrsablauf kann mit dem
                                                und öffentlichem Verkehr, die für Stadt        LIFE Mobility und Activity Modellansatz
                                                und Land funktioniert.                         besonders flexibel abgebildet werden.

                       unterschiedliche Layer   Urban Living Lab                               Die Datenbasis
                werden über das Modell gelegt

                                                Die agentenbasierte Verkehrsmodellie-          Die Grundlage dafür liefert die Open
                                                rung bildet den Fokus der LIFE-Kompe-          Source Software „MATSim“, die auch in
                                                tenzgruppe Urban Living Lab. „Wir haben        Städten und Regionen wie Berlin (Techni-
                                                den LIFE Mobility und Activity Modellan-       sche Universität Berlin), Zürich (ETH Zü-
                                                satz entwickelt und für das Bundesland         rich) oder Singapur (Future Cities Labora-
                                                Kärnten, inklusive dem urbanen Raum            tory Singapur) eingesetzt wird. Mit diesen
                                                der Twin-Cities Klagenfurt und Villach,        Modellsimulationen lassen sich zukünfti-
                                                sowie für die Südoststeiermark virtuel-        ge Fragestellungen im Themenbereich der
                                                le Testumgebungen modelliert“, erzählt         Mobilität im Vorfeld simulieren und die
                                                Gruppenleiter Christian Joachim Gruber.        Wirkungen von Maßnahmen im Verkehr
                                                                                               evaluieren. Dazu gehören Veränderungen
                                                Aber was bedeutet agentenbasiert? Es be-       in der Infrastruktur wie z. B. der Einsatz
                                                deutet, dass das Verhalten jedes einzelnen     neuer öffentlicher Buslinien, die Planung
                                                Individuums (Agenten) in seinem tages-         und Errichtung neuer Straßen oder die
                                                zeitlichen Ablauf und in seiner Dynamik        Änderung von Mobilitätsangeboten wie
                                                durchgehend abgebildet wird. Alltagsakti-      etwa die Nutzung von automatisierten
                                                vitäten wie Arbeiten, Einkaufen, Wohnen        Fahrzeugen (z. B. Robotaxis) genauso wie
                                                oder das Freizeitverhalten bestimmen den       generelle Trendentwicklungen in der
                                                Tagesablauf. Verkehr ergibt sich als Ver-      Gesellschaft. Mit dem LIFE Mobility und
                                                bindungsfunktion zwischen den jeweili-         Activity Modellansatz lassen sich auch
Hier geht es zu einem Video,
                                                gen Aktivitäten der einzelnen Personen.        die verkehrsrelevanten Emissionen (Treib-
das eine Simulation aus dem
LIFE-mobility-model-Ca-                         Diese Tagesabläufe wie z. B. die Wege          hausgasemissionen, Feinstaubpartikel, NOx)
rinthia zeigt. Die Simulation                   zwischen dem Zuhause zur Arbeit, dann          quantifizieren. Und das funktioniert im
                                                                                               ­­
bezieht sich auf die Aktivi-                    zum Sport und wieder nach Hause bilden         24/7-Modell, was eine tägliche Prognose
täten und das Verhalten von
Verkehrsteilnehmer*innen
                                                zusammen mit ihren angestrebten Start-         für den Folgetag möglich macht und da-
in Klagenfurt zwischen 3:00                     und Endzeiten die Grundlage für agenten-       mit Impulse für eine klimaneutrale Mobi-
und 24:00 Uhr (werktags).                       basierte Verkehrsmodelle. Das Alltagsge-       lität setzen soll.

                                                                                                                                      21
T HE MEIM
                                                                        NBFEOKU
                                                                            R E ICSH HIE R

Die Graphik bildet einen
typischen Tagesablauf einer
                                                                                         Ein erfolgreiches Projekt:
Person (Agent) ab. Berück-                                                               LIFE Mobility Model – Carinthia
sichtigt ist die Aktivitäten-
kette „Wohnen – Arbeiten –                                                               Auf Basis des LIFE Mobility Model – Carinthia wurden
Einkaufen – Wohnen“ durch
Nutzung eines Autos und
                                                                                         die verkehrlichen und klimarelevanten Auswirkun-
die Kette „Wohnen – Sport                                                                gen einer temporären Sperre der Drau-Stausee-Brücke
(Freizeit) – Gastronomie                                                                 untersucht. Ziel war es, die betroffenen Verkehrsteil-
(Freizeit) – Wohnen“, bei der
                                                                                         nehmer*innen (Agenten) und die betroffenen Straßen-
das Fahrrad als Verkehrs-
mittel in der Modellierung                                                               abschnitte zu identifizieren, bei denen es zu einer Ver-
genutzt wird.                                                                            änderung der Verkehrsbelastung kommen wird. Das
                                                                                         Ergebnis der Simulation zeigte, dass die Betroffenen
                                                                                         zwar in Summe weniger Wege durchführen (Minus 5
                                                                                         Prozent) aber die Verkehrsleistung durch das Umfah-
                                                                                         ren der Sperre deutlich zunimmt. In Summe stiegen die
                                                                                         THG-Emissionen der von der Sperre direkt Betroffenen
                                                                                         um rund 15 Prozent beziehungsweise um circa 210 Ton-
                                                    Christian Joachim                    nen CO2-Äq pro gesperrtem Monat.
                                                    Gruber ist Leiter der
                                                    Kompetenzgruppe
                                                                                         Auf Basis dieser Ergebnisse können verkehrspolitische
                                                    Urban Living Lab
                                                    mit Schwerpunkt                      Maßnahmen (z. B. Eintaktung der Baustellenzeit, Ge-
                                                    Mobilitäts- und Ver-                 schwindigkeitsbeschränkungen, geänderte Verkehrs-
                                                    kehrsmodellierung,
                                                                                         führungen und Kreuzungsregelungen) im Vorfeld eva­
                                                    Mobilitätsverhalten.
                                                                                         luiert und geplant werden.

         Weather Driven
         Demand Analysis
         Das Wetter beeinflusst in vielfältiger Weise das Konsumentenver-     Wir unterstützen Ihre tägliche Planung mit folgenden Services:
         halten und damit die Nachfrage nach unterschiedlichsten Produkten
                                                                              Q Detaillierte, standortbezogene Analyse der Wetterabhängigkeit
         und Dienstleistungen. Mit WEDDA® bieten wir maßgeschneiderte
                                                                                  ihres Unternehmens
         wetterbasierte Lösungen für Unternehmen, etwa aus der Tourismus-
         und Freizeitwirtschaft, dem Groß- und Einzelhandel, der Getränke-    Q Quantifizierung der Wetterrisiken mittels finanzwirtschaftlicher
         industrie oder der Energieversorgung.                                    Kennzahlen
                                                                              Q Täglich aktualisierte 10-Tagesprognosen ihrer Unternehmens-
                                                                                  kennzahlen (z. B. Umsatz, Absatzmenge oder Besucherfrequenz),
                                                                                  auf Basis von Wetterprognosen und Kalenderereignissen
                                                                              Q Wetterbereinigtes Monitoring ihrer Unternehmenskennzahlen
         www.wedda.at                                                             auf Monats- oder Saisonbasis

22
L E B E NSZ YKL U SANALYSE

                              E-Mobility auf dem
                         Prüfstand der Nachhaltigkeit
                                                       TEXT: ELKE ZENZ

Mit Ende Jänner 2021 gab es in Öster-        das Elektrofahrzeug zunehmend ins Blick-    Benzinverbrauch von 0,3 bis 2 Liter Ben-
reich über 45.000 rein elektrisch betrie-    feld bewusster Konsumenten“, führt Mar-     zin pro 100 Kilometer.“
bene PKW. Das sind zwar weniger als 1 %      tin Beermann, Nachhaltigkeitsexperte bei
aller Fahrzeuge auf Österreichs Straßen,     LIFE, dem Institut für Klima, Energie und   Die Zusammenarbeit mit Produzenten und
aber die Wachstumskurve ist exponen-         Gesellschaft der JOANNEUM RESEARCH,         Forschungsunternehmen ist wesentlich
ziell. Das zunehmende Bewusstsein beim       aus. „Mit dem Battery-Life-Cycle-Check      und wird unter anderem durch das Netz-
Thema Klimawandel treibt diese Kurve         bieten wir Herstellern eine Möglichkeit,    werk der Internationalen Energieagentur
an, doch sind Elektrofahrzeuge tatsäch-      ihre Produkte zu optimieren und Verbes-     (IEA) unterstützt. Finanziert werden diese
lich so umweltfreundlich? Die Nachhal-       serungspotenziale zu erkennen. Der Kon-     Aktivitäten vom Bundesministerium für
tigkeitsexpert*innen der JOANNEUM            sument kann über die Klimarelevanz der      Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität,
RESEARCH haben den Battery-Life-Cycle-       Batterie informiert werden – die Transpa-   Innovation und Technologie (BMK) und
Check für Batterie- und Fahrzeugherstel-     renz steigt“, erklärt Beermann.             dem Klima- und Energiefonds.
ler sowie für Mobilitätsdienstleister und
Konsumenten entwickelt.                      Eine Herausforderung in einer LCA ist

Das so genannte „Life Cycle Assessment“
                                             die Datenverfügbarkeit zur Batterie-
                                             herstellung. Für die Lebenszyklusana-          good 2 know
(LCA) ist eine systematische Analyse der     lyse benötigt man möglichst realitäts-         Ein Diesel-Fahrzeug der Golf-Klasse ver-
Umweltwirkungen von Dienstleistungen         nahe und aktuelle Daten. Beermann:             ursacht 170 bis 180 Gramm Treibhaus-
und Produkten entlang des gesamten           „Die Treibhausgasemissionen aus der            gase pro gefahrenem Kilometer: 75 %
Lebensweges eines Produktes inklusive        Herstellung einer heutigen Lithium-Io-         aus dem Auspuff, 10 % für Herstellung
der Herstellung und des Recyclings be-       nen-Batterie hängen vor allem von der          des Autos und 15 % für Erdölförderung
ziehungsweise der Entsorgung. Dabei          Batteriekapazität, der Batteriechemie          und Dieselherstellung. Ein Batterie-
                                                                                            Elektrofahrzeug derselben PKW-Klasse
werden auch die Umweltwirkungen der          und vom Herstellungsort der Materia-
                                                                                            (durchschnittliche Batterie mit 35 kWh)
vor- und nachgeschalteten Prozesse inklu-    lien und der Batterie ab. Diese Einflüsse
                                                                                            reduziert die Treibhausgase im Vergleich
sive jener der Bereitstellung der benötig-   führen zu einer großen Bandbreite der          um 75 bis 80 % auf circa 35 bis 45
ten Rohstoffe und Materialien sowie der      Emissionen der Batterieherstellung, die        Gramm Treibhausgase, wenn der Strom
Energie einbezogen.                          für heute typische Batteriegrößen zwi-         100 % erneuerbar ist. Die Aufteilung der
                                             schen 40 und 100 kWh in elektrischen           Emissionen: 90 % für Herstellung und Re-
„Das Thema Mobilität ist während der         PKW bei rund 2 bis 12 Tonnen CO2-Äq            cycling des Autos inklusive Batterie und
­COVID-Pandemie neu bewertet worden.         liegen. Umgelegt auf eine Lebensdauer          10 % für die Errichtung der zusätzlichen
 Das Fahrrad legt an Bedeutung zu, Indivi-   von 200.000 Kilometer entspricht die           Wind-, PV- und Wasserkraftanlagen.
 dualverkehr ist wieder in – da rückt auch   Batterieherstellung einem äquivalenten

                                                                                                                  Zum Battery
                                                                                                                  Lifecycle Check

Bei einer Lebenszyklus-
analyse werden alle vor- und
nachgelagerten Prozesse
den jeweiligen Ländern ent-
sprechend berücksichtigt.

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G E NDE R F OR SC HU NG

                  ERLEBNISWELT WALD

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                     STICHT KÜCHE

                                                       TEXT: ELKE ZENZ

                      Ein Blick durch die VR-Brille zeigt wunderschöne Landschaften,
                    saftige Wiesen und Wälder, fetzblauen Himmel mit leichten Wolken.
                                  Herrlich! Wer will da noch die Realität sehen?

Eine neue Technologie wie zum Beispiel eine VR-Brille bietet       Kooperation mit dem Institut DIGITAL virtuelle Technologien
Menschen mit eingeschränkter Mobilität eine Option für das         zur Aktivierung von Senior*innen. Unter FEMcharge wurde
gewisse Mehr im Leben. Eine Untersuchung von POLICIES              eine Usability-Studie zur Verteilung und Ausstattung von Lade-
zeigt, dass diese Option auch gern genutzt wird, allerdings von    stationen für E-Autos im öffentlichen Raum durchgeführt.
Männern und Frauen auf unterschiedliche Weise. Das fällt
auch bei der Anwendung anderer neuer Technologien auf,             VR-Technologien bieten viele Möglichkeiten für Präsenz und
wie zum Beispiel beim Gebrauch und Laden von Elektroautos.         Interaktion in künstlichen Umgebungen, die einen positiven
Auch hier gibt es Unterschiede in der Herangehensweise zwi-        Einfluss auf die mentale Gesundheit ausüben sollen. „Wir ha-
schen Männern und Frauen. Da stellt sich die Frage: Wie gen-       ben im Rahmen von VR4Care erstmals die fundamentalen De-
dergerecht sind neue Technologien?                                 signparameter für Interaktionen in virtuellen Erlebniswelten
                                                                   wissenschaftlich untersucht. Natürlich unter Einhaltung der
„Wir untersuchen unterschiedliche digitalisierte Alltagsanwen-     Pflegeanforderungen und mithilfe von Human-Factors-Mess-
dungen wie zum Beispiel das Nutzen von Sprachassistenten           technologien. Es wurden Designparameter gewählt, die zur
oder Apps und stoßen im Rahmen dieser Studien immer wie-           effizienten Entlastung von Stress und zur Stärkung der Resi-
der auf Parameter, die nicht genderkonform sind“, erklärt Sy-      lienz für ältere Männer und Frauen gleichermaßen beitragen
bille Reidl, Projektleiterin und Genderexpertin bei POLICIES,      und dadurch den älteren Menschen, deren Angehörigen sowie
dem Institut für Wirtschafts- und Innovationsforschung. „Unse-     dem Pflegepersonal dienlich sind“, erläutert Reidl. Angeboten
re Gesellschaft wird diverser. Wir müssen bei der Entwicklung      wurden Erlebniswelten wie Waldspaziergänge, neue Umgebun-
neuer Technologien nicht nur auf Ungleichheiten zwischen           gen wie zum Beispiel eine Reise durch die Toskana und auch
Männern und Frauen, sondern auch zwischen Bedürfnissen             Alltagsumgebungen und -beschäftigungen wie das Kochen in
und Alter achten“, so Reidl weiter. Gemeinsam mit ihrer Kolle-     der Küche. „Zentrale Erkenntnis der Studie war, dass Szenarien
gin Sarah Beranek untersuchte die Gender-Expertin zwei Sze-        wie Naturerlebnisse und Reisen bei Frauen sowie Männern auf
narien: Im Rahmen des Projekts VR4Care untersuchte man in          Interesse gestoßen sind, Haushaltstätigkeiten jedoch von nie-

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mandem positiv angenommen wurden. Obwohl diese vorab
als Szenarien vorgeschlagen wurden, scheint niemand den            Gespräche im
                                                                   Obstgarten für
Kochlöffel im Alter zu vermissen“, resümiert Reidl mit einem
Schmunzeln. Und weiter: „Es zeigte sich auch, dass man sen-
sibler in der filmischen Umsetzung vorgehen muss. Schnelle
Kameraführung und schlechte Sichtbarkeit von Wegen –
zum Beispiel durch hohes Gras – sind für diese Zielgruppe
                                                                   Energielösungen
nicht geeignet.“

Auch beim Projekt FEMcharge konnten die Forscherinnen
herausfinden, dass es Unterschiede zwischen Männern und
Frauen in der Nutzung der E-Mobilität gibt, die es für Stadt-
planer*innen sowie für Energieunternehmen zu berücksich-

                                                                                                                                                    Foto: JOANNEUM RESEARCH / Winkler
tigen gilt. Die Planung von Ladestationen im öffentlichen
Raum hat Folgen: Einerseits schafft sie die Voraussetzung für
den raschen Markteintritt von Elektromobilität, andererseits
führt gebaute Infrastruktur zu Pfadabhängigkeiten für die
kommenden Jahrzehnte.

Frauen und Männer weisen ein klar unterschiedliches Mo-
bilitätsverhalten auf: Frauen legen mehr und kürzere Wege                              In lauschiger Umgebung tauschten sich Expertinnen und
als Männer zurück; Männer verfügen häufiger über PKWs;                                 Experten zum Beispiel über Energiegemeinschaften, Energie-
                                                                                       effizienz, Ökostrom und über deren Finanzierung aus.
Wegzwecke weisen geschlechterstereotype Rollenbilder auf.
Folglich haben Frauen andere Ansprüche und Bedürfnisse
an das Mobilitätsangebot als Männer. Die genderrelevante           Am 1. Juli 2021 fand auf Einladung von LIFE gemeinsam
Ausrichtung von Ladeinfrastruktur ist zentral, um nicht Be-        mit Sekem Energy/OurPower Süd eine hochkarätige Diskus-
nachteiligungen auf lange Zeit zu zementieren. Ladestatio-         sionsrunde im schönen Obstgarten des Biohofs Birnstingl-
nen müssen neben technischen und wirtschaftlichen auch             Gottinger statt. Ausschlaggebend für die Veranstaltung war
sozialen Anforderungen genügen – man muss den Ladevor-             das H2020-Projekt DECIDE, im Rahmen dessen Ansätze für
gang in den Alltag integrieren können und Wohnquartiere            Energiegemeinschaften, Selbstversorgung und regionale
aufwerten. Wenn die Elektromobilität alle Bevölkerungs-            Stromverteilung erforscht werden.
gruppen erreichen soll, sind Bedürfnisse von Frauen, älte-
ren Menschen oder anderen benachteiligten Gruppen zu be-           Wie geht Selbstversorgung? Wie verteile ich meinen erneu-
rücksichtigen. „Noch ist es so, dass die derzeitige Preispolitik   erbaren Strom in der Region? Wie wirkt Bürger*innen-Ener-
Menschen mit schwächeren E-Autos benachteiligt, darunter           gie gegen den Klimawandel? Andreas Türk von LIFE stellte
häufig Frauen. E-Mobilität stellt also für Menschen mit we-        den rund 30 Gästen das Konzept von Energiegemeinschaften
niger Einkommen eine Hürde dar. Für eine rasche Entwick-           vor dem Hintergrund der zukünftigen nationalen Regelun-
lung hin zur Klimaneutralität ist das eine klare Bremse“, so       gen vor. Ulfert Höhne (OurPower) beleuchtete den Ansatz
Reidl. „Unsere Kolleginnen und Kollegen von LIFE haben             von Energiegenossenschaften hinsichtlich Peer-to-Peer-Ener-
in einer Befragung in Graz auch herausgefunden, dass der           gieaustausch und Norbert Miesenberger (EBF – Energiebe-
Ladevorgang vor allem für Frauen ein Thema ist. Frauen ha-         zirk Freistadt) bot Einblicke in die Erfahrungen und Erfolge
ben tendenziell weniger oft die Möglichkeit, zu Hause oder         bestehender Energiegemeinschaften.
in der Arbeit die Autobatterie zu laden als Männer. Öffent-
lich zugängliche Lade­stationen werden oft blockiert. Es fehlt     Worüber wurde diskutiert? Erneuerbare Energiegemeinschaf-
noch ein System, das Nutzerinnen und Nutzer dazu bringt,           ten, Bürgerenergie-Gemeinschaften und gemeinschaftliche Er-
den Lade-­Parkplatz nach 15 Minuten wieder zu verlassen.“          zeugungsanlagen sind Instrumente, mit denen sich jeder der
Projektpartner war die Energie Graz.                               will, jetzt schon aktiv an zukunftsfähigen Energiesystemen be-
                                                                   teiligen kann. Diese Instrumente sind keine Zukunftsmusik,
                                                                   sondern nehmen den Bürgerinnen und Bürgern das Gefühl
                                                                   der Ohnmacht und führen zur Erkenntnis, die Dinge selbst in
projektleitung                                                     die Hand nehmen zu können. Wie immer hängt viel an der
                       Die Soziologin Sybille                      Finanzierung: Wie können neue PV-Anlagen von einer Ge-
                       Reidl ist seit 2003                         meinschaft von Selbstverbrauchern finanziert werden? Sind
                       bei der JOANNEUM                            Genossenschaften – wie zum Beispiel „OurPower“ – die richti-
                       RESEARCH tätig. Als
                       Diversity-Expertin setzt                    ge Form, um die Energiewende zu organisieren?
                       sie sich für die Förde-
                       rung von Nachwuchs-                         andreas.tuerk@joanneum.at
                       forscherinnen ein.
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