Biovision - Giftige Tomaten? - Stiftung für ökologische Entwicklung - Biovision Foundation

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Biovision - Giftige Tomaten? - Stiftung für ökologische Entwicklung - Biovision Foundation
Magazin Nr. 64, März 2021

Biovision
Stiftung für ökologische Entwicklung

Giftige
Tomaten?
Lösungen für eine Landwirtschaft
ohne synthetische Pestizide –
in Afrika und in der Schweiz.
Biovision - Giftige Tomaten? - Stiftung für ökologische Entwicklung - Biovision Foundation
Liebe Leserin, lieber Leser
Herzlich willkommen beim Biovision
                                               Aus Schaden wird
Magazin! Nach über 20 Jahren nehmen wir
Abschied vom Newsletter. In neuem Layout
und auf vier Seiten mehr verstärken wir
                                               man klug
unsere Berichterstattung aus den Entwick­      Auf Projektbesuch in Kenia stehe ich auf einem Gemüseacker und
lungsprojekten. Gleichzeitig richten wir       bin schockiert: Der Besitzer hat soeben zur Giftspritze gegriffen und
unseren Blick vermehrt auf die Schweiz und     nebelt seine Pflanzen mit einem synthetischen Pestizid ein.
die internationale Ebene, wo Biovision ­
seit zehn Jahren ebenfalls tätig ist, um den   Von Stefan Diener, Biovision
Wandel hin zu nachhaltigen Ernährungs­
systemen voranzutreiben.
                                               Das Problem ist riesig und schien unlösbar:     ohne Schutzbekleidung einen Cocktail aus
In dieser Ausgabe stellen wir die Proble­      Seit 2008 verrotten auf dem afrikanischen       verschiedenen synthetischen Pestiziden
matik um synthetische Pestizide ins Zentrum.   Kontinent Berge von Tomaten, nachdem sie        mixten und diesen grosszügig auf die Toma-
Im Juni dieses Jahres stehen dazu zwei         von einem Schädling namens Tuta absoluta        tenpflanzen sprühten. «Hatte das Projekt-
richtungsweisende Abstimmungen an, wir         befallen worden sind. Allein in Kenia wird      team die Schulungen nicht durchgeführt?»,
möchten einen Beitrag zur Debatte aus der      der Verlust heute auf über 100 000 Ton-         fragte ich mich. «Ignoriert dieser Bauer ein-
Biovision-Optik leisten: mit einer Reportage   nen pro Anbausaison geschätzt. Die Toma-        fach die Empfehlungen zur ökologischen
aus Kenia, wo unser Projektverantwort­         tenminiermotte war 2006 von Südamerika          Schädlingsbekämpfung? Oder versagt gar
licher Stefan Diener an überraschenden         via Spanien nach Marokko eingeschleppt          die Methode?»
Orten Pestizidkanister fand (S. 2–5); mit      worden und verbreitet sich mangels natür-
dem Hintergrundbericht der Expertin Silke      licher Feinde unaufhaltsam weiter auf dem       Das Gespräch mit dem Bauern zeigte, dass
Bollmohr über den weit­verbreiteten Ge­        Kontinent. Für Bäuerinnen und Bauern ist        der Fehler bei uns vom Projektteam lag. Ob
brauch von hochgefährlichen Pestiziden in      das fatal. Sie greifen nach synthetischen       der Positivmeldungen aus dem icipe-Labor
Kenia (S. 6/7); mit dem jungen Schweizer       Pestiziden, um den Insekten beizukommen.        über gute Reproduktionszahlen der Nütz­
Bio-Winzer Nick Bösiger, der erzählt, warum    Ohne Erfolg. Die Motten sind trotz massiven
er seinen Rebberg umgestalten will (S. 8/9).   Ein­satzes künstlicher Pflanzenschutzmittel
                                               nicht zu kontrollieren. Überall verdirbt ein
«Good News aus Afrika» hiess die erste         Grossteil der Tomatenernte.                      Projekt «Nachhaltige
Ausgabe des Biovision-Newsletters, erschie­
nen im Herbst 2000. Dem Credo, nicht nur
                                                                                                Tomatenproduktion in
                                               Vielversprechende Lösung in Sicht
Missstände anzuprangern, sondern positive                                                       Kenia» (seit 2019)
                                               In den Labors des internationalen Insekten-
Entwicklungen aufzuzeigen, werden wir          forschungsinstituts icipe in Nairobi wurde ab    Einführung und Verbreitung integrierter
auch in Zukunft treu bleiben. Wir werden       2013 fieberhaft nach einer Lösung gesucht.       Methoden zur ökologischen Bekämpfung
Ihnen weiter Lösungen p ­ räsentieren und      2015 gelang es dem Forschungsteam um             verschiedener Tomatenschädlinge.
über Beispiele berichten, die Mut machen       Dr. Samira Mohamed (S. 12), einen ökolo-
und den Weg in eine nachhaltige Ernäh­         gischen Lösungsansatz gegen die Tomaten-         Ziele der aktuellen Projektphase:
rungszukunft weisen.                           miniermotte zu identifizieren. Die Insekten      ∙ Sozioökonomische Grundlagendaten
                                               sollten mit einer Kombination umweltfreund-        zur aktuellen Situation der Tomaten-
Gefällt Ihnen unser neu gestaltetes Magazin?   licher Massnahmen in die Zange genommen            produktion in Kirinyaga County, Kenia,
Vermissen Sie etwas? Schreiben Sie uns!        werden. Dazu gehörten eine breite Überwa-          sind verfügbar.
                                               chung des Krankheitsbefalls, das Aussetzen       ∙ Die Produktion von Tomaten mit IPM-­
Wir wünschen gute Lektüre.                     von Schlupfwespen – der natürlichen Feinde         Ansatz ist erfolgreich pilotiert.
                                               der Motten – und die gezielte Anwendung          ∙ Kapazitäten zur nachhaltigen Produk-
                                               von Biopestiziden. Diese Methode der inte-         tion von Tomaten bestehen auf allen
                                               grierten Schädlingsbekämpfung (Integrated          Stufen der Wertschöpfungskette.
                                               Pest Management, IPM, S. 7) sollte nach er-
                                               folgversprechenden ­Laborversuchen jetzt im      Projektbudget 2021: CHF 181 000
                                               Feld getestet werden. Dazu startete das icipe
                                               gemeinsam mit B  ­ äuerinnen und Bauern und      Das Projekt leistet Beiträge zur Errei-
                                               unterstützt von Biovision im Januar 2019 ein     chung folgender Nachhaltigkeitsziele
                                               Projekt.                                         der UNO:
              Florian Blumer
             Redaktor Biovision
                                               Die kalte Dusche erfolgte ein Jahr später
                                               anlässlich meines Projektbesuchs als Pro-                                                          Ungeschützt: Feldarbeiter in
                                               grammverantwortlicher. Ungläubig beob-                                                                 Kirinyaga County, Kenia,
                                                                                                                                               beim Mischen von synthetischen
                                               achtete ich, wie die Feldarbeiter arglos und
                                                                                                                                                                   Pestiziden.

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Biovision - Giftige Tomaten? - Stiftung für ökologische Entwicklung - Biovision Foundation
linge und der erfolgreichen Produktion des     ökologische Anbau grossflächig durchsetzen
                                                                   Biopestizids wurde bei der Planung offenbar    kann. Die Bauernfamilien werden den ökolo-
                                                                   eine wichtige Tatsache nicht bemerkt: Neben    gischen Weg nur weitergehen, wenn sich ihr
                                                                   Tuta absoluta werden die Tomatenpflanzen       Aufwand angemessen auszahlt.
                                                                   auch von Fran­senflüglern, Spinnmilben oder
                                                                   weissen Fliegen befallen. Der Bauer wollte      Neu ist auch der Beizug von Real IPM, ­einem
                                                                   seine Ernte auch vor diesen Schädlingen         kommerziellen Unternehmen, das über brei-
                                                                   schützen. Mit den synthetischen Spritzmit-      te Erfahrung in der Zucht und im Einsatz
                                                                                                                                                                                               Dr. Shepard Ndlela
                                                                   teln vernichtet er aber auch die Nützlinge.     verschiedener Nützlinge für die Landwirt-
                                                                                                                                                                                          Entomologe und Projekt­
                                                                   Neben Raubmilben und Spinnen sind auch          schaft verfügt. «Wir konnten auf die meis-                               manager «Nachhaltige
                                                                   die Schlupfwespen, welche Tuta absoluta in      ten Schädlinge in einer Tomatenkultur mit                          Tomaten­produktion in Kenia».
                                                                   Schach halten sollten, betroffen.               einem Nützling reagieren, aber wenn es um
                                                                                                                   die Tomatenminiermotte ging, waren wir rat-
                                                                                                                                                                   3 Fragen an den Projektmanager
                                                                   Kurskorrektur                                   los», sagt Sam Ngugi, Geschäftsführer bei
                                                                   Das Projektteam nahm eine einschneiden-         Real IPM. «Da kam uns die Zusammenarbeit        Herr Ndlela, warum werden
                                                                   de Kurskorrektur vor. Das Projekt «Tuta         mit icipe sehr gelegen». Real IPM stellte
                                                                   absoluta» wurde zum Projekt «Nachhaltige       für das Projekt ein Paket zur biologischen
                                                                                                                                                                   in Kenia Pestizide ohne
                                                                   Tomatenproduktion» weiterentwickelt. Der       ­Bekämpfung verschiedenster Schädlinge zur       Schutzkleidung ­versprüht?
                                                                   Fokus liegt heute nicht mehr allein auf der     Verfügung, welches nun durch die Schlupf-
                                                                                                                                                                   Dafür gibt es verschiedene Gründe,
                                             Genuss mit Risiko:    Motte, sondern auf den Tomaten selber,          wespen und ein am icipe neu entwickelten
                                                                                                                                                                   vor allem aber das fehlende Geld für den
                                      Auf kenianischen Tomaten     respektive auf den Produzentinnen und
                                                                   ­                                              Biopestizid ergänzt wird. Komplettiert wird
                                                                                                                                                                   Kauf geeigneter Schutzausrüstung sowie
                                           werden immer wieder     Produzenten. Lag das Augenmerk ursprüng-       die Kooperation mit dem Fachwissen und
                                   Pestizidrückstände gefunden.                                                                                                    unzureichende Kenntnisse.
                                                                   lich vor allem auf der Wirksamkeit von         den Produkten eines kenianischen Anbie-
                                                                   Biopestiziden und Schlupfwespen gegen          ters von organischem Dünger. Denn nur
                                                                   die Tomatenminiermotte und der entspre-        auf einem gesunden Boden kann eine star-         Wie wirksam ist der IPM-
                                                                   chenden Reduktion von Ernteschäden, steht      ke und widerstandsfähige Tomatenpflanze          Ansatz? Gibt es bereits
                                                                   heute vielmehr die Frage im Zentrum, ob        wachsen.                                         Ergebnisse?
                                                                   der Anbau von Tomaten durch die alleinige
                                                                   Anwendung von IPM technisch möglich und        Partner auf Augenhöhe                            Der IPM-Ansatz ist sehr effektiv. Es gelingt
                                                                   im Vergleich zur konventionellen Produk­tion   Die Bauernbetriebe im angewandten For-           den Produzentinnen und Produzenten
                                                                   finanziell lohnenswert ist. Die Antwort er-    schungsprojekt werden künftig sowohl die         nun, den verheerendsten Schädling – die
                                                                   scheint mir entscheidend dafür, ob sich der    Tomatenpflanzen als auch den Boden aus-          Tomatenminiermotte – mit umweltfreund­
                                                                                                                  schliesslich mit natürlichen Mitteln behan-      lichen Methoden zu kontrol­lieren und so­
                                                                                                                  deln. Um den Erfolg dieses Ansatzes zu           wohl qualitativ als auch quantitativ gute
                                                                                                                  messen, werden sie regelmässig vom Pro-          Erträge zu erzielen. Jetzt müssen wir im
                                                                    Das können Sie tun                            jektteam besucht, das die Daten zu Aufwand       Projekt noch die Kausalität zwischen dem
                                                                                                                  und Ertrag genau erfasst. So soll gezeigt        verfolgten ganzheitlichen Ansatz und den
                                                                    Etliche der auf dem afrikanischen Kon-                                                         Ernteerträgen wissenschaftlich beweisen.
                                                                                                                  werden, dass die Tomatenproduktion trotz
                                                                    tinent eingesetzten Pestizide stammen
                                                                                                                  des Verzichts auf synthetische Hilfsmittel
                                                                    von Agrarkonzernen aus der Schweiz.
                                                                    Um die Situation in Afrika zu verbes-
                                                                                                                  wirtschaftlich funktionieren kann.               Welches sind die grössten
                                                                    sern, sind somit auch wir in der Schweiz
                                                                                                                  Heute glaube ich fest an den Projekterfolg.
                                                                                                                                                                   Herausforderungen im
                                                                    gefragt – etwa als aktive Stimmbürgerin-
                                                                                                                  Und ich zolle allen Beteiligten – insbeson-      Projekt?
                                                                    nen und Stimmbürger an der Urne.
                                                                                                                  dere der etablierten Forschungsinstitution
                                                                                                                                                                   Die leichte Verfügbarkeit relativ günstiger,
                                                                                                                  ­icipe – grossen Respekt, dass sie die Courage
                                                                                                                                                                   unregistrierter synthetischer Pestizide
                                                                    Wirkung des Projekts                           besassen, Fehler einzugestehen und damit
                                                                                                                                                                   ist ein grosses Problem. Die Hersteller­
                                                                                                                   den Weg frei zu machen für eine Neuausrich-
                                                                    Die bisher erhobenen Daten zeigen, dass                                                        firmen unterhalten in Kenia ein dichtes
                                                                                                                   tung. Mit dieser Korrektur wird es möglich
                                                                    mit dem IPM-Ansatz zur Schädlings­                                                             Vertriebsnetz für ihre Produkte. Die Zwi­
                                                                                                                   sein, dem Ziel einer nachhaltigen Tomaten-
                                                                    bekämpfung die gravierende Gesund-                                                             schenhändler sind nahe an den Bäuerinnen
                                                                                                                   produktion in Ostafrika näherzukommen.
                                                                    heitsgefährdung für die Menschen und                                                           und Bauern und verlangen, dass diese
                                                                    die Umwelt stark reduziert werden kann,                                                        die Tomaten ­bis kurz vor der Ernte mit
                                                                                                                  Diese Erfahrung zeigt mir einmal mehr, wie
                                                                    bei gleichbleibenden Ernteerträgen.                                                            Pestiziden behandeln. Um diese Mentalität
                                                                                                                  wichtig es für Biovision ist, dass wir die
                                                                    4000 kenianische Tomatenbäuerinnen                                                             und ­Praxis zu ändern, braucht es gross
                                                                                                                  Projektteams vor Ort als das sehen, was sie
       Monitoring: Nderitu                                          und -bauern sind direkt Begünstigte,                                                           angelegte Aufklärungskampagnen.
       Wachira Peterson                                                                                           sind: Partner auf Augenhöhe.
                                                                    weitere 9000 Landarbeiterinnen und
       (icipe, links) analysiert      Verheerender Schädling:
                                                                    Gemüsehändler profitieren indirekt von
       mit Tomatenproduzenten         Tomatenminiermotten auf                                                     www.biovision/pestizide
       eine Schädlingsfalle.                der Klebe-Duftfalle.    den Projektaktivitäten.

4                                                                                                                                                                                                                 5
Biovision - Giftige Tomaten? - Stiftung für ökologische Entwicklung - Biovision Foundation
Die kenianische Landwirtschaft                                                                                                                                                                     Tomatenanbau ohne synthetische Pestizide
                                                                                                                                                                                                          So funktioniert integrierte Schädlingsbekämpfung (IPM)
       braucht eine Entgiftung                                                                                                                                                                            Im Gegensatz zum Pflanzenschutz mit syn-        oder Weissen Fliegen schützen. IPM wird
       Die Pestizid-Importe nehmen zu, auf den Feldern werden in Europa verbotene Wirkstoffe gespritzt –                                                                                                  thetischen Pestiziden ist IPM ein ganzheit-     im Projekt «Nachhaltige ­Tomaten­produk-
       oft ohne jegliche Schutzkleidung. Dabei gäbe es ökologische Alternativen.                                                                                                                          licher Ansatz. Die Methode besteht aus          tion in Kenia» (S. 2–5) sowie in anderen
                                                                                                                                                                                                          mehreren Tätigkeiten und Massnahmen,            Biovision-Projekten in Ostafrika seit vie-
       Von Silke Bollmohr, selbständige Umweltberaterin in Kenia
                                                                                                                                                                                                          die im Zusammenspiel die Pflanzen zuver-        len Jahren erfolgreich angewandt.
                                                                                                                                                                                                          lässig vor verheerenden Schädlingen wie
                                                                                                                                                                                                          der Tomatenminiermotte, Spinnmilben                                                              Schulung der Bäuerinnen und Bauern
       Während in Europa der intensive Pestizid­             der Pestizidhersteller wird oft argumentiert,     keit des Landes von hochgefährlichen Pesti-                                                                                                                                                 (Erkennen der Schädlinge, Lebenszyklen,
       einsatz in der konventionellen Landwirt-              dass nur diese hochgefährlichen Pestizide in      ziden zu reduzieren. Die Regierung verfolgt                                                                                                                                                 Schadbilder), Forschung an Nützlingen
       schaft schon seit Längerem diskutiert wird,           der Lage seien, verheerende Schädlinge wie        bislang keine ernsthafte Strategie zu einem                                                                                                                                                 und Entwicklung von Biopestiziden
       steht diese Bewegung in vielen Ländern                Tuta absoluta oder den Maiszünsler zu kont-       nachhaltigeren Anbau von Lebensmitteln für
       ­Afrikas noch in den Anfängen. Vielerorts             rollieren. Doch es gibt wirk­same Alternativ­     den eigenen Markt. Es gibt jedoch, ebenfalls
        stieg der Pestizideinsatz in den letzten Jah-       methoden, die auf biologischen Kontrollme-         gefördert von Biovision, einen beginnenden
        ren gar stark an. In Kenia etwa hat sich der        chanismen beruhen (siehe Grafik rechts).           Austausch zwischen Bauern, Wissenschaftle-
        Import von Pestiziden – Insektizide, Her-           Biovision ist zusammen mit Forschungs-             rinnen und Politikern im Rahmen einer Multi­-
        bizide und Fungizide – von 2015 bis 2019            partnern wie dem internationalen Insekten-         Stakeholder-Plattform.
        mehr als verdoppelt. Rund 40 % der zugelas-         forschungsinstitut icipe mit Sitz in Nairobi,
        senen Wirkstoffe zählen gemäss Kategorisie-         Kenia, in diesem Bereich sehr aktiv. Das erar-     Der steigende Einsatz von Pestiziden ver-
        rung des Pesticide Action Network (PAN) zu          beitete Wissen muss aber den Kleinbäuerin-         spricht auch Konzernen mit Sitz in der
        den «hochgefährlichen Pestiziden», knapp            nen und Kleinbauern noch flächendeckend            Schweiz wie Syngenta steigende Umsätze.
        die Hälfte davon sind in Europa verboten.           zugänglich gemacht werden. Und es braucht          Sie müssen dazu angehalten werden, die
        Als «hochgefährlich» werden Wirkstoffe mit          Aufklärung: Viele von ihnen sind über die          hochgiftigen Pestizide aus ihrem Vermark-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   1.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 ren
        einem besonders hohen Gefahrenpotenzial             ­Giftigkeit der Wirkstoffe nicht informiert.       tungsprogramm zu nehmen – und in die                                                                                            4 . Ha n de l n                                                          Wi s
        für Mensch und Umwelt bezeichnet. Diese                                                                Forschung für eine weniger umwelt- und ge-                                                                                                                                                                      s en gen er i e
        werden, wie eine Befragung unter Klein­             Stein ist ins Rollen geraten                       sundheitsschädigende Schädlingsbekämp-
        bäuerinnen und Kleinbauern in Zentralkenia          Auch auf politischer Ebene ist in Kenia et-        fung zu investieren.                                                                                             Zum richtigen Zeitpunkt (Lebenszyklus
       gezeigt hat, breitflächig eingesetzt – oft           was in Bewegung: Vier zivilgesellschaftliche                                                                                                                        der Schädlinge, Tageszeit) Massnahmen
       ohne jede Schutzkleidung.                            Organisationen reichten 2019 eine Petition                                                                                                                          wie pilzbasierte Biopestizide anwenden
                                                            beim Gesundheitsausschuss des keniani-             Literatur                                                                                                        oder Nützlinge freisetzen
       Neben akuten Gefahren für die Umwelt                 schen Parlaments ein. Die Petition forderte,       European Commission (EC), 2013.
       birgt die Pestizidanwendung auch langfris-           dass alle in Europa verbotenen Pestizide auch      Final report of an audit carried out in Kenya.
       tige Gefahren wie eine Dezimierung der               in Kenia vom Markt genommen werden. Nach           DG(SANCO)2013-6692.
       Bienenpopulationen. Und sie kann bei den             langen Diskussionen, vielen Medien­artikeln        KOAN, 2020. Pesticide use in Kirinyaga and
       Anwenderinnen und Anwendern akute (u.a.              und viel Aufruhr vonseiten der Industrie und       Murang’a county. A wake up call for better
       Atembeschwerden und Nervenleiden) sowie              der für die Pestizidregistrierung zuständi-        pest control strategies.
       chronische Gesundheitsbeschwerden verur-             gen Behörde (PCPB) entschied der Gesund-           Pesticide Action Network (PAN) Germany, 2016.
       sachen, darunter Krebs.                              heitsausschuss, dass diese 77 Wirkstoffe auf       Definition «hochgefährliche Pestizide».                                                                                                            Überwachen des Befalls mittels Klebe-
                                                            Umwelt- und Gesundheitsverträglichkeit ge-         Route to Food Initiative (2019). Pesticides in                                                                                                     fallen und regelmässiger Kontrollgänge.
       Rückstände auf Tomaten                               prüft und, falls sie definierten Kriterien nicht   Kenya. Why our health, environment and food                                                                                                        Wenn Schwellenwert für Schädling über-
       Auch die Konsumentinnen und Konsumen-                entsprechen, vom Markt genommen werden             security is at stake.                                                                                                                              schritten: Massnahmen ergreifen
       ten in Kenia sind betroffen: Immer wieder            müssen. Aller­dings wurde kein Zeitrahmen
       werden Rückstände etwa von Acephat oder              gesetzt und es wurden keine Konsequenzen
       Carbendazim auf Tomaten gefunden – beides            bei Nichtein­haltung beschlossen.
                                                                                                                                                                                                                              3. M
                                                                                                                                                                                                                                     on itor i ng
       Wirkstoffe, die in Europa nicht mehr erlaubt
       sind, da sie sich negativ auf die Fortpflan-         Ein Erfolg der Kampagne ist auch, dass viele
       zungsfähigkeit und die Entwicklung von               Konsumentinnen und Konsumenten in Kenia
       Neugeborenen auswirken sowie unter Ver-              sensibilisiert wurden. Die Nachfrage nach                                                                                                                           Befallene Pflanzen entsorgen, Lebens­
       dacht stehen, krebserregend zu sein. Häufig          biologisch angebauten Produkten ist enorm                                                                                                                           räume für Nützlinge schaffen und Boden­
                                                                                                                                                                Grafik: Tobias Matter, tobias-matter.ch

       werden auch nach Europa ­exportierte Pro-            gestiegen, immer mehr Bäuerinnen und                                                                                                                                fruchtbarkeit erhöhen (Kompost, Mulch)
       dukte zurückgewiesen, da sie zu hohe Werte           ­Bauern sehen eine neue Marktchance und
       dieser Wirkstoffe enthalten.                          widmen sich deshalb dem Bio-Anbau.
                                                                                                                                 Silke Bollmohr
                                                                                                                       ist Ökotoxikologin und arbeitet seit
       Warum also werden diese giftigen Stoffe wei-         Auch die Agrarpolitik in Kenia muss nach­                    20 Jahren im Bereich der nach­
                                                                                                                                                                                                                                                                                            2. Vo
       terhin verkauft und angewendet? Aufseiten            haltiger gestaltet werden, um die Abhängig-                 haltigen Landwirtschaft in Afrika.                                                                                                                                          r b e u ge n
6                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         7
Biovision - Giftige Tomaten? - Stiftung für ökologische Entwicklung - Biovision Foundation
Viel Handarbeit:
                                                                                                                              Nick Bösiger und Mitarbeiter
                                                                                                                                         bei der Weinlese.

                                                                                                                                                             oder Braunalgenextrakt an. Damit bespritzt     ten Rebsorten (Piwi), die ohne oder mit sehr    Kommentar
                                                                                                                                                             er seine Pflanzen von Mai bis August neun-     ­geringen Mengen Kupfer auskommen.
                                                                                                                                                             bis zwölfmal – doppelt so oft, wie es mit                                                      Das Problem an der
                                                                                                                                                             chemischen Pestiziden nötig wäre. Auch         Die Piwi-Sorten haben einen eigenen Ge-         Wurzel packen
                                                                                                                                                             die Kosten seien insgesamt rund doppelt so     schmack und sind auf dem Markt noch
                                                                                                                                                                                                                                                            Eine pestizidfreie Landwirtschaft, kann
                                                                                                                                                             hoch, schätzt er.                              nicht etabliert. Nick Bösiger ist dennoch
                                                                                                                                                                                                                                                            das funktionieren? Die Frage steht im
                                                                                                                                                                                                            überzeugt, dass ihnen die Zukunft gehört:
                                                                                                                                                                                                                                                            Vorfeld der Pestizid-Initiativen wieder
                                                                                                                                                             Zukunft ohne Kupfer                            «Ich lege mich fest: Wenn ich den Betrieb
                                                                                                                                                                                                                                                            einmal zur Debatte. Sie ist falsch gestellt.
                                                                                                                                                             Obwohl im Bio-Landbau erlaubt, ist Kupfer      dereinst meinem heute einjährigen Sohn
                                                                                                                                                                                                                                                            Denn eine Nahrungsproduktion ohne
                                                                                                                                                             nicht unbedenklich. Denn das Schwermetall      übergebe, werden auf dem Rebberg zu 50 %
                                                                                                                                                                                                                                                            Pflanzenschutz ist in der Tat nicht vorstell­
                                                                                                                                                             sammelt sich in der obersten Bodenschicht      Piwi-­Sorten wachsen. Wird er ihn eines
                                                                                                                                                                                                                                                            bar. Unternimmt der Winzer nichts gegen
                                                                                                                                                             an und ist in hoher Konzentration toxisch      ­Tages weitergeben, wird der ganze Rebberg
                                                                                                                                                                                                                                                            Pilzbefall, wird er kaum etwas ernten.
                                                                                                                                                             für Bodenlebewesen. Deshalb experimen-          aus Piwi-Sorten bestehen.»
                                                                                                                                                                                                                                                            Auch einem Obstbauer, der auf gut Glück
                                                                                                                                                             tiert der Twanner Winzer mit pilzresisten-
                                                                                                                                                                                                                                                            anbaut, wird es ähnlich ergehen.

                                                                                                                                                                                                                                                            Doch Schädlingsbekämpfung ist nicht
                                                                                                                                                                                                                                                            gleichbedeutend mit dem Einsatz synthe­

                                                                                                                                                              Piwi: Heute Rebellen,
                                                                                                                                                                                                                                                            tischer Pestizide! Denn die Natur hat alles,
                                                                                                                                                                                                                                                            was wir für den Pflanzenschutz brauchen.
                                                                                                                                                                                                                                                            In einem gut funktionierenden, wider­

                                                                                                                                                              morgen die Norm?
                                                                                                                                                                                                                                                            standsfähigen Ökosystem können Nütz­

       «Gibst du ihnen einmal Chemie,
                                                                                                                                                                                                                                                            linge wie Marienkäfer, Schlupfwespen,
                                                                                                                                                                                                                                                            Pilze und andere Mikroorgansimen einen
                                                                                                                                                                                                                                                            zuverlässigen Schutz bieten.

       wollen sie immer mehr»                                                                                                                                 Die pilzresistenten Rebsorten, Piwi ge-
                                                                                                                                                              nannt, haben unter Weinkennern keinen
                                                                                                                                                              guten Ruf. Etwas für Ökofundis seien sie,
                                                                                                                                                                                                            ist heute erst ein Nischenprodukt im gros­
                                                                                                                                                                                                            sen Wein-Business. Was macht die Piwi-­
                                                                                                                                                                                                            Pioniere also so sicher, dass diesen die
                                                                                                                                                                                                                                                            Der ökologische Pflanzenschutz funktioniert
                                                                                                                                                                                                                                                            systemisch und ganzheitlich, er bekämpft
       Jungwinzer Nick Bösiger aus Twann am Bielersee setzt aus Überzeugung auf Bio –                                                                         heisst es, aber sicher nichts für Gourmets.   Zukunft gehört? Roland Lenz sagt: «Wäh-         das Problem an der Wurzel. Synthetische
       und strebt dennoch einen Wandel an.                                                                                                                    Karl Schefer, Gründer und Geschäftsfüh-       rend bei Bio-Winzern, die mit traditionel-      Pestizide hingegen sind blosse Symptom­
                                                                                                                                                              rer des Bio-Weinhandels Delinat, ist de-      len Sorten arbeiten, die Traubenproduk-         bekämpfung. Und sie richten grossen
       Von Florian Blumer, Biovision                                                                                                                          zidiert anderer Meinung: «Wer dies sagt,      tion deutlich kostenintensiver ist als mit      Schaden an: an der Gesundheit von Mensch
                                                                                                                                                              hat die Entwicklung der letzten Jahre         Pestiziden, sind Piwi-Sorten rund 45 bis        und Tier, an der Biodiversität, an den
                                                                                                                                                              verpasst. Piwi gehört die Zukunft, keine      50 % günstiger im Anbau: Sie benötigen          Böden. Zudem bringt er die Bäuerinnen
                                                                                                                                                              Frage.» In den letzten Jahren seien Weine     weniger Hilfsstoffe, weniger Arbeitsstun-       und Bauern in wirtschaftliche Abhängig­
       Nick Bösiger, 31, steht inmitten seines          der Bio-Boom der ersten Corona-Welle den         dies geringe Einnahmen für ein ganzes Jahr.
                                                                                                                                                              gemacht worden – etwa aus den Sorten          den und weniger Traktorstunden – was            keiten von Agrarkonzernen. Dies gilt in der
       Bio-Rebbergs an den steilen Südhängen des        Weinhandel kaum erfasst. «Für guten Wein         Das hätte sich der Jungwinzer schlicht nicht
                                                                                                                                                              Cabernet Jura oder Sauvignac des juras-       den Boden massiv schont.» Zudem seien           Schweiz, in Afrika wie im Rest der Welt.
       Bielersees. Vor vier Jahren hat er das bis da-   wird zwar viel Geld ausgegeben», sagt der        leisten können.
                                                                                                                                                              sischen Weinzüchters Valentin Blattner –      die Risiken deutlich geringer, sowohl für
       hin konventionell betriebene Traditionswein-     Önologe. «Doch darauf, ob er auch Bio ist,
                                                                                                                                                              die «alles haben, was ein moderner Wein       Pilzbefall wie für die Gesundheit derjeni-      Kann eine Landwirtschaft, die auf dem
       gut «Frauenkopf» in Twann übernommen. Er         achten die Kundinnen und Kunden weniger.»        Auch Bio-Reben werden gespritzt
                                                                                                                                                              braucht».                                     gen, die die Stoffe ausbringen.                 Einsatz synthetischer Gifte basiert, auf die
       sagt: «Rebstöcke sind Junkies. Gibst du ihnen    Da sie sich davon keinen Vorteil erhoffen,       Der Wechsel glückte, 2019 war dann sogar
                                                                                                                                                                                                                                                            Dauer funktionieren? Dies wäre eigentlich
       einmal Chemie, wollen sie immer mehr.»           würden traditionelle Weinbetriebe aus dem        ein richtig gutes Jahr. Davon zehrt Nick Bö-
                                                                                                                                                              Auch Roland Lenz, Präsident des Vereins       Doch auch für diejenigen, die nicht auf         die Frage, die wir uns stellen müssten.
                                                        Burgund oder Bordeaux ihren Bio-Wein nicht       siger mit seinem Betrieb nun – auch ihn traf
                                                                                                                                                              Piwi Schweiz, ist ein Pionier der Szene.      Pinot Noir oder Cabernet Sauvignon
       Tatsächlich ist der Pestizidgebrauch im          einmal deklarieren.                              die Corona-Pandemie: Mehr als die Hälfte
                                                                                                                                                              Zusammen mit seiner Frau betreibt er          ­verzichten wollen, wird an Lösungen ge-
       Wein­anbau ein Problem. Gemäss offiziellen                                                        des Weins ging vorher an die Gastronomie,
                                                                                                                                                              ­einen 25 ha grossen Weinbetrieb in Iselis-    forscht. So betreibt das Forschungsinstitut
       Angaben liegt der Einsatz von synthetischen      Nick Bösiger glaubt dennoch an die Zukunft       dieser Vertriebszweig ist 2020 stark einge-
                                                                                                                                                               berg, Thurgau. Vor 25 Jahren begannen sie,    für biologischen Landbau FiBL seit 2011
       Pestiziden in den Rebbergen schweizweit mit      des Bio-Weins. Vor vier Jahren pachtete er       brochen.
                                                                                                                                                               Piwi-Sorten anzubauen. Heute machen           ein internationales Forschungsprogramm
       27 Kilogramm pro Hektare an zweiter Stelle,      zusammen mit seiner Frau Rahel den Be-
                                                                                                                                                               diese 20 ha ihres Betriebs aus, nur noch      mit dem Ziel, Alternativen für Kupfer zu
       hinter den Obstplantagen mit 39 kg/ha und        trieb. Bis heute konnten sie die Rebfläche       Die Umstellung auf Bio bedeutet den Ver-
                                                                                                                                                               auf 5 ha wachsen traditionelle Rebsorten.     entwickeln. Projektleiter Lucius Tamm
       noch vor den Kartoffeläckern mit 15 kg/ha.       von vier auf acht Hektaren vergrössern. In       zicht auf synthetische Pestizide – aber nicht
                                                                                                                                                                                                             sagt: «Es sind mehrere vielversprechende
       Die Gifte belasten die Böden, gelangen ins       der eher kleinen Weinregion Bielersee be-        auf das Spritzen von Pflanzenschutzmitteln.
                                                                                                                                                              Weniger Kosten, weniger Risiken                Produkte in der Pipeline.» Werden wir
       Grundwasser und sind auch im Wein nach-          treiben sie damit eines der grösseren Wein-      Denn ohne Schutz droht den Reben mit                                                                                                                               Dr. Hans Herren
                                                                                                                                                              Der Markt scheint Karl Schefer und Roland      also in spätestens zehn Jahren für die Um-
       weisbar.                                         güter.                                           grosser Sicherheit der Pilzbefall durch den                                                                                                                    ist Biovision-Präsident,
                                                                                                                                                              Lenz recht zu geben. Die Weine, modern         welt unbedenkliche Pflanzenschutzmittel
                                                                                                         Falschen und den Echten Mehltau.                                                                                                                            Insektenforscher, Träger des
                                                                                                                                                              vermarktet mit Namen wie «Rebbel», fän-        als Alternativen zu Kupfer auf dem Markt                 Welt­ernährungspreises und
       Bio-Boom? Nicht beim Wein                        Mit der Umstellung auf Bio ging der gelern-
                                                                                                                                                              den reissenden Absatz, so der Delinat-         haben? Lucius Tamm zögert kurz und                      Bio-Weinbauer in Kalifornien.
       Der Markt für Bio-Wein wächst. Dennoch           te Landwirt, Winzer EFZ und Agrotechniker        Erlaubt ist im Bio-Rebbau deshalb das Sprit-
                                                                                                                                                              Geschäftsführer: «Wir könnten davon viel       formuliert vorsichtig: «Das ist unser Ziel.»
       werden erst rund 12 % der Rebflächen in          HF ein beträchtliches finanzielles Risiko ein.   zen von maximal 4 kg Kupfer pro Hektare und
                                                                                                                                                              mehr verkaufen, als wir im Angebot haben.      In seinem Ton schwingt jedoch viel Über-
       der Schweiz pestizidfrei bewirtschaftet. Ge-     Denn die Übernahme eines Weinguts ist eine       Jahr. Nick Bösiger wendet es in Kombina­tion
                                                                                                                                                              Dennoch: Wein aus pilzresistenten Sorten       zeugung mit. (fer)
       mäss Miguel Salgado vom Bio-Lebensmittel-        grosse Investition. Und es gibt nur eine Ern-    mit weiteren natürlichen Wirkstoffen wie
       und -Weinhandel Terra Verde in Zürich hat        te im Jahr – fällt sie schlecht aus, bedeutet    Schwefel, Schachtelhalmextrakt, Fenchelöl

8                                                                                                                                                                                                                                                                                                       9
Biovision - Giftige Tomaten? - Stiftung für ökologische Entwicklung - Biovision Foundation
Biovision News                                                                                   Studie: Ökologischer
                                                                                                         kann mit konventionellem
        Vom Bereich Schweiz über die Entwicklungsprojekte bis zu                                         Anbau mithalten
        Politikdialog & Anwaltschaft: Aktuelles aus den Bereichen.
                                                                                                         Eine Zusammenfassung der mehrjähri-
                                                                                                         gen Forschungsarbeit unserer Partner­
                                                                                                         organisationen FiBL (For­schungsinstitut
                                                                                                         für biologischen Land­bau) und icipe
                                                                                                         (u.a.) im Rahmen des Projekts SysCom
                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Valentin Theubet
                                                                                                         ermöglicht wegweisende Schlüsse: Un-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Biobauer im Jura
                                                                                                         ter ganzheitlicher Betrachtung kann die
                                                                                                         Produktivität und Wirtschaftlichkeit von
                                                                                                         biologischen Anbausystemen in tropi-                                                                                                                     «Zucker ist ein landwirt­
                                                                                                         schen Ländern durchaus mit dem kon-                                                                                                                      schaftliches Produkt!»
                                                                                                         ventionellen Anbau mithalten. Derweil
                                                                                                         kann die Bodenfruchtbarkeit ansteigen                                                                                                                    Valentin Theubet baut Bio-Zuckerrüben an
                                                                                                         und die Biodiversität aufblühen. Ein                                                                                                                     – aber nicht nur: Er bietet Bio-Zucker aus
                                                                                                         Schlüsselfaktor kommt dabei der Viel-                                                                                                                    Schweizer Zuckerrüben im Direktverkauf
         Biovision-Frühlingsanlass 19.5. in Solothurn und online
                                                                                                                                                                Zucker: Weniger ist mehr
                                                                                                         falt innerhalb von Anbausystemen und                                                                                                                     an, auch zum selber Abfüllen. Da Zucker
                                                                                                         sogenannt systemischen Ansätzen –                                                                                                                        nur in riesigen Fabriken verarbeitet wer-
         Pestizide sind in aller Munde – sprichwört-   Schweiz ihren Pestizideinsatz reduzie-
                                                                                                         etwa Mischkulturen und Agroforstsyste-                                                                                                                   den kann, kauft er der Zuckerfabrik Frau-
         lich und auch als Rückstände in Nahrung       ren kann. Der Anlass findet am 19. Mai ab
                                                                                                         me – zu. Viele Schlussfolgerungen und                                                                                                                    enfeld, wo er seine Rüben hinbringt, den
         und Trinkwasser. Erfahren Sie am Biovision-   19 Uhr statt – falls möglich mit Publikum
                                                                                                         Handlungsempfehlungen bestätigen                       Unser übermässiger Konsum ist ein Problem für das Klima,                                          Bio-Zucker ab. 2020 verkaufte er auf diese
         Frühlingsanlass von Expertinnen und Ex-       im «Landhaus Solothurn», auf jeden Fall
                                                                                                         die Ansätze von Biovision. Unser Pro-                  die Umwelt und unsere Gesundheit – dies gilt nicht nur für Fleisch,                               Weise mehrere Tonnen. Er möchte damit
         perten aus Wissenschaft und Praxis, wel-      aber virtuell. (drh)
         che Lösungsansätze in Subsahara-Afrika        Information und Anmeldung:
                                                                                                         jektpartner FiBL hat die gesammelten                   sondern auch für Zucker.                                                                          dazu beitragen, dass Zucker wieder als
                                                                                                         Erkenntnisse aus dem Projekt SysCom                                                                                                                      landwirtschaftliches und nicht als indus­
         erfolgreich umgesetzt werden und wie die      www.biovision.ch/bfa21                                                                                   Von Alessandra Roversi und Florian Blumer, Biovision
                                                                                                         in einem Synthesebericht zusammenge-                                                                                                                     trielles Produkt wahrgenommen wird.
                                                                                                         fasst. (fko)
                                                                                                         www.biovision.ch/syscom

         Sounding Soil bei
                                                                                                                                                                Der Zuckerrübenanbau in Europa erfolgt
                                                                                                                                                                grösstenteils in industriellen Monokultu-
                                                                                                                                                                                                                       Zahlen und Fakten                                               Klima

         Pro Natura                                                                                                                                             ren, mit einem hohen Einsatz von Pesti-
                                                                                                                                                                                                                        0,6 % (116 ha) der Zuckerrüben­               Lebens-
                                                                                                                                                                ziden und schweren Maschinen, welche                                                                 grundlage                        Verschmutzung
         Wie tönen unsere Böden? In der Installa-                                                      Impressum                                                die Böden schädigen. Der übermässige
                                                                                                                                                                                                                       anbauflächen in der Schweiz sind bio.
         tion des Biovision-Projekts Sounding Soil                                                     Biovision Magazin 64, März 2021,
                                                                                                       22. Jahrgang, Relaunch-Nummer
                                                                                                                                                                Zu­ckerkonsum führt weltweit zu einem              15 % des in der Schweiz produzierten
         kann man in Soundproben aus der ganzen                                                                                                                 drastischen Anstieg von Krankheiten wie              Zuckers gehen in den Einzelhandel,
         Schweiz reinhören. Die Sounding-­Soil-        17.30 Uhr. An mehreren Wochenenden              © Stiftung Biovision, Heinrichstrasse 147,               Typ-2-Diabetes und Herzproblemen.                 der Rest geht in die Lebensmittelindustrie.
         Box steht im April und Mai 2021 beim Pro-     wird auch Biovision mit einem Infostand         8005 Zürich
         Natura-­Besucherzentrum in Champ-Pittet       anwesend sein. (ans)                            Redaktion / Produktion Florian Blumer                    «Schweizer» Bio-Zucker stammt aus den                   Wir konsumieren im Schnitt 110
         bei Yverdon, geöffnet von Mi bis So, 10 bis   www.soundingsoil.ch                             Bildredaktion Peter Lüthi                                zwei Zuckerfabriken in Frauenfeld und Aar-             Gramm Zucker pro Tag. Die WHO
                                                                                                                                                                                                                          empfiehlt 55 g, unser Körper
                                                                                                                                                                                                                                                                     Sozialver-                         Ressourcen-
                                                                                                       Sprachen Deutsch und Französisch                         berg, die mehrheitlich Bio-Zuckerrüben aus                                                         träglichkeit &                        verbrauch

                                                                                                                                                                Süddeutschland verarbeiten, da die gerin-              braucht 25 g, um zu funktionieren.           Tierhaltung
                                                                                                       Korrektorat Text Control AG
                                                                                                                                                                                                                                                                                    Biodiversität
                                                                                                                                                                ge heimische Produktion die Nachfrage bei
                                                       Zuchtlachs bis zu Fairtrade-T-Shirts. An        Bildnachweis Titelbild: Tomatenernte auf dem                                                                   Zwischen 1850 und 2014 ist der
                                                                                                                                                                Weitem nicht zu decken vermag.
                                                       dessen «Kasse» bekommt man zu jedem             IPM-Versuchsfeld des Biovision-Projekts in                                                                  durchschnittliche Pro-Kopf-Verbrauch
                                                       Produkt im Einkaufskorb ein Spinnennetz-        Kirinyaga County, Kenia: Noor Khamis / Biovision;                                                          von Zucker von 3 auf 39 kg gestiegen.                Einheimischer Bio-Zucker
                                                                                                       S. 2–5: Noor Khamis / Biovision; S. 9 rechts, S. 10      Der Zucker ist immer wieder Gegenstand                                                                 Bio-Rohrohzucker aus Paraguay
                                                       diagramm gezeigt, das in sechs Dimensio-
                                                                                                       oben rechts und unten links, S. 11 links, S. 12: Peter   erbitterter politischer Debatten, sei es                                Quellen:                    Je höher ein Wert, desto besser schneidet
                                                       nen über dessen Nachhaltigkeit Auskunft                                                                                                                                 frc.ch / bioactualites.ch
                                                                                                       Lüthi / Biovision; S. 8, S. 10 oben links: Bolliger;     um eine Steuer auf zuckerhaltige Geträn-                                                            das Produkt bei diesem Kriterium ab.
                                                       gibt (siehe gegenüberliegende Seite).
                                                                                                       S. 10 Mitte, S. 11 rechts: ZVG.                          ke, eine transparente Deklaration von
                                                       Nun, zehn Jahre später, ist die Zeit reif für
                                                                                                       Gestaltung Binkert Partnerinnen, Zürich                  zuckerhaltigen Lebensmitteln oder um
                                                       eine Neuausrichtung. Wir werden vermehrt
                                                                                                       Druck Koprint AG, Alpnach                                Werbe­ beschränkungen. Er ist deshalb
                                                       zu den Jugendlichen gehen, anstatt mit dem
                                                                                                       Papierqualität Nautilus Classic
                                                                                                                                                                ein Paradebeispiel für die Forderung von               Im Vergleich: Bio-Zucker aus der Schweiz und aus Paraguay
         CLEVER an den Schulen                         Container für längere Zeit an einem Ort
                                                                                                       (100 % Recycling)
                                                                                                                                                                Biovision, der Bewegung «Landwirtschaft
                                                       präsent zu sein. Damit reagieren wir auf                                                                                                                        Für den Schweizer Bio-Zucker spricht die   Schweizer Fabriken nutzen auch umwelt-
                                                                                                                                                                mit Zukunft» und anderen nach einer
         Im Sommer 2011 startete das Biovision-­       die gestiegene Nachfrage bei den Schulen                                                                                                                        effiziente Anbaumethode: Die Zuckeraus-    freundlichere Energiequellen. Doch auch
                                                                                                                                                                kohärenten Ernährungspolitik, welche
         Sensibilisierungsprogramm CLEVER mit          und können mehr Jugendliche ­erreichen.         Biovision ist offizielle Partnerorganisation der                                                                beute aus Zuckerrüben ist höher als beim   der Bio-Fairtrade-Zucker aus Paraguay
                                                                                                       Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit             die Interessen von Landwirtschaft, Nach-
         einem kleinen Stand im Zoo Zürich. Daraus     Dieses Jahr werden deshalb die letzten                                                                                                                          Rohrzuckeranbau in Südamerika, weshalb     wird nachhaltig produziert – dazu unter-
                                                                                                       DEZA, Eidgenössisches Departement für aus­               haltigkeit und Gesundheit verbindet.
         entstand der CLEVER-Container: ein Laden      CLEVER-Ausstellungen stattfinden. (rab)                                                                                                                         weniger Anbaufläche benötigt wird. Dazu    stützt man mit dem Kauf Kleinbauern­
                                                                                                       wärtige Angelegenheiten EDA. Die internationalen
         mit breitem Sortiment, von Bio-Rüebli über    www.clever-konsumieren.ch                                                                                                                                       sind nicht nur die Transportwege kürzer,   familien.
                                                                                                       Projekte von Biovision werden von der DEZA               Weitere Infos:
                                                                                                       finanziell unterstützt.                                  www.clever-konsumieren.ch

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Biovision - Giftige Tomaten? - Stiftung für ökologische Entwicklung - Biovision Foundation
dere der beiden Töchter. «In der Primar-
                                                                                                  schule war ich die Kleinste, aber stets die
                                                                                                  Klassenbeste», erzählt Samira und lächelt
                                                                                                  verschmitzt. Sie erinnert sich an den wei-
                                                                                                  ten Schulweg ins Nachbardorf bei kalten
                                                                                                  8° Celsius. Im Laufe des Tages konnte das
                                                                                                  Thermometer dann weit über 30° steigen,
                                                                                                  manchmal gar bis 48°. Nie vergessen wird
                                                                                                  sie einen Tag mit extremen Niederschlägen:
                                                                                                  «In den Wadis stieg das Wasser höher und
                                                                                                  höher», erzählt sie. «Schliesslich mussten
                                                                                                  wir Kinder in ein Boot steigen, das uns in ei-
                                                                                                  ner fünfstündigen Fahrt in die Schule fuhr.»

                                                                                                  Eine Stiftung für Mädchen und Frauen
                                                                                                  Der Start ihres Agronomiestudiums an der
                                                                                                  Universität von Gezira war ein Desaster.
                                                                                                  «Ich verstand kein Wort, denn ich konnte
                                                                                                  nur Arabisch, die Vorlesungen waren aber
                                                                                                  in Englisch», erzählt sie. Samira Mohamed
                                                                                                  erlernte die englische Sprache während des
                                                                                                  Studiums und spezialisierte sich später auf

«Ich möchte wie eine
                                                                                                  den Pflanzenschutz. «Nach zehn Semestern
                                                                                                  war ich die Nummer eins in meinem Fach»,
                                                                                                  meint sie augenzwinkernd.

brennende Kerze sein»                                                                             1996 zog sie für ihr Masterstudium nach
                                                                                                  Wageningen in den Niederlanden, darauf
                                                                                                  arbeitete sie als leitende Entomologin auf
Dr. Samira Mohamed ist Forscherin beim icipe in Nairobi.                                          der Forschungsstation Hudeiba im Sudan –
Im Studium verstand sie erst kein Wort – heute ist sie preisgekrönte                              als einzige Frau in dieser Position. Nach
Wissenschaftlerin.                                                                                ­Erlangung des Doktortitels kam sie 2007
                                                                                                   ans icipe.
Von Peter Lüthi, Biovision (Text und Bild)

                                                                                                  «Nairobi ist meine zweite Heimat gewor-
Ihre Herzlichkeit ist ansteckend. Damit ver-     Samira Mohamed wurde in El-timairab ge-          den», sagt Samira Mohamed. Aber in ihrem
mag Samira Mohamed Wärme selbst in For-          boren, einem kleinen Bauerndorf im Sudan.        Herzen bleibt sie eng verbunden mit ihrer
schungslabors voller Motten und Maden zu         «Mein genaues Geburtsdatum wurde nie             Familie und dem Sudan. Nach ihrer Pensi-
zaubern. Frau Dr. Mohamed ist Agronomin          aufgeschrieben», sagt sie lächelnd. «In mei-     onierung gedenkt sie, sich in Khartum nie-
mit Spezialisierung auf Pflanzenschutz und       nem Pass steht einfach Januar 1963.» Ihr         derzulassen, wo auch ihr älterer Bruder lebt,
Insektenkunde beim internationalen Insek-        ­Vater baute Baumwolle an für den Export         der sie während ihrer Studienzeit finanziell
tenforschungsinstitut icipe in Nairobi, Part-     und Sorghumhirse, Ackerbohnen und Wei-          unterstützte. Dort will sie eine Stiftung zur
nerorganisation von Biovision. Hier wurde sie     zen für den Eigenbedarf wie für den Verkauf.    Förderung und Unterstützung von Mädchen
2020 für ihre Forschungs­erfolge in der integ-    Ihre Mutter hielt eine kleine Ziegenherde.      und Frauen für eine Laufbahn als Wissen-
rierten Schädlingsbekämpfung als «Outstan-        «Ich musste Feuerholz sammeln und Wasser        schaftlerinnen gründen. «Ein arabisches
ding professional staff» ausgezeichnet. Ihre      ­holen, aber das Leben war gut, es fehlte uns   Gedicht besagt, dass man mit der Bildung
umweltfreundlichen Lösungsansätze werden           an nichts», erinnert sich Samira Mohamed.      eines Mädchens beziehungsweise einer Mut-
auch in den von Biovision unterstützten Pro-                                                      ter eine ganze Nation erzogen hat», erklärt
jekten gegen invasive Fruchtfliegen und die      Ihre Eltern legten grossen Wert auf die          sie und ergänzt: «Ich möchte wie eine bren-
Tomatenminiermotte angewendet (S. 2–5).          Schulbildung ihrer vier Kinder – insbeson-       nende Kerze sein, die anderen Licht gibt.»

                                                                                   Stiftung für ökologische Entwicklung
www.biovision.ch, www.facebook.com/biovision                               Fondation pour un développement écologique
Spenden an: PC 87-193093-4                                                       Foundation for ecological development
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