BMF-Monatsbericht November 2022 - "EINE POLITIK FÜR NACHHALTIGE STAATSFINANZEN UND ZUR ENTLASTUNG IN DER KRISE"

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BMF-Monatsbericht November 2022 - "EINE POLITIK FÜR NACHHALTIGE STAATSFINANZEN UND ZUR ENTLASTUNG IN DER KRISE"
BMF-Monatsbericht
November 2022

 „EINE POLITIK FÜR NACHHALTIGE
 STAATSFINANZEN UND
 ZUR ENTLASTUNG IN DER KRISE“
 Steffen Saebisch, Staatssekretär im BMF
BMF-Monatsbericht November 2022 - "EINE POLITIK FÜR NACHHALTIGE STAATSFINANZEN UND ZUR ENTLASTUNG IN DER KRISE"
BMF-Monatsbericht November 2022 - "EINE POLITIK FÜR NACHHALTIGE STAATSFINANZEN UND ZUR ENTLASTUNG IN DER KRISE"
Monatsbericht des BMF
November 2022
BMF-Monatsbericht November 2022 - "EINE POLITIK FÜR NACHHALTIGE STAATSFINANZEN UND ZUR ENTLASTUNG IN DER KRISE"
BMF-Monatsbericht November 2022 - "EINE POLITIK FÜR NACHHALTIGE STAATSFINANZEN UND ZUR ENTLASTUNG IN DER KRISE"
Editorial
           Editorial                                                                      Monatsbericht des BMF
                                                                                                November 2022

                                                              werden wir mit der Strom- und Gaspreisbremse be-
                                                              wältigen: einem umfassenden Abwehrschirm, der
                                                              Bürgerinnen und Bürger sowie unsere Wirtschaft
                                                              vor ruinösen Energiepreisen schützt. Dafür haben
                                                              wir den Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) reak-
                                                              tiviert. In ihm stehen bis 2024 bis zu 200 Mrd. Euro
                                                              zur Verfügung, um private und wirtschaftliche Exis-
                                                              tenzen zu sichern. Durch die zweckgebundene
                                                              Nutzung des WSF bleibt diese Krisenreaktion klar
                                                              abgetrennt vom regulären Bundeshaushalt. Die Fi-
                                                              nanzierung parteipolitischer Vorhaben ist durch den
                                                              WSF nicht möglich. Das sendet ein klares Signal an
                                                              die internationalen Finanzmärkte: Deutschlands Fi-
                                                              nanzen bleiben solide.
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
                                                              Auch in anderen Bereichen reagieren wir konse-
in einer globalisierten Welt können wir die Heraus-           quent. Mit dem Sanktionsdurchsetzungsgesetz II
forderungen der Zeit nur international und gemein-            verbessern wir die Umsetzung der gegen Russland
schaftlich lösen. Das gilt in diesem Jahr ganz beson-         verhängten Sanktionen. Dazu bündeln wir Kom-
ders. Kein Staat der Welt kann die Unterstützung der          petenzen bei einer neuen Zentralstelle für Sankti-
Ukraine, die Bekämpfung der Inflation und das Ab-             onsdurchsetzung, erweitern die Möglichkeiten zur
wenden einer globalen Rezession allein bewältigen –           Aufklärung von Eigentumsverhältnissen sowie Ver-
all das ist nur in Zusammenarbeit mit unseren inter-          mögenswerten und nutzen die Chancen digita-
nationalen Partnern möglich.                                  ler Datenbanken. Das ist nicht nur eine Botschaft
                                                              an all jene, die Wladimir Putins System unterstüt-
Die Jahrestagung des Internationalen Währungs-                zen. Es zeigt zugleich: Wir machen den Staat auch
fonds sowie der Weltbank, die im Oktober in Wash-             in einer sich dynamisch wandelnden Gemengelage
ington, D.C. stattfand, war deshalb von besonderer            effizienter.
Bedeutung. Das BMF hat dabei wichtige Gespräche
mit unseren Partnerinnen und Partnern geführt –               Wir alle, in Deutschland, in Europa und der Welt,
über die weltwirtschaftliche Entwicklung einer-               sind Putins Angriffskrieg nicht schicksalhaft aus-
seits und Finanzhilfen für die Ukraine andererseits.          geliefert. Wir stärken die Sanktionsdurchsetzung,
Mit afrikanischen Staaten hat es außerdem das Ge-             schaffen Entlastungen und stellen uns international
spräch über die dortige Schuldensituation gesucht.            den Herausforderungen der Zeit.
Unser Ziel dabei war und ist, humanitäre Not zu ver-
hindern und gleichzeitig die internationale Finanz-           Diese Ausgabe unseres Monatsberichts bietet Ihnen
stabilität zu sichern. In einer Zeit wie dieser ist es        zu all diesen Themen, wie gewohnt, Information
umso wichtiger, dass jene, denen Demokratie, Völ-             und Orientierung.
kerrecht und Freiheit elementare Anliegen sind, en-
ger zusammenrücken. Das ist uns in Washington,                Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre.
D.C. gelungen.
                                                              Ihr
Auch national stehen wir vor großen Aufgaben.
Wir haben uns in den vergangenen Jahrzehnten zu
selbstverständlich auf günstige fossile Energie verlas-
sen. Deswegen trifft uns der Energiekrieg Wladimir            Steffen Saebisch
Putins besonders hart. Diese Herausforderung                  Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen

                                                          3
BMF-Monatsbericht November 2022 - "EINE POLITIK FÜR NACHHALTIGE STAATSFINANZEN UND ZUR ENTLASTUNG IN DER KRISE"
Inhaltsverzeichnis

      Inhaltsverzeichnis
      Mehrbelastungen vermeiden, für mehr Gerechtigkeit_____________7
      Mehrbelastungen vermeiden: das Inflationsausgleichsgesetz______________________________________________ 8
      Im Interview: Staatssekretär Steffen Saebisch____________________________________________________________ 11

      Analysen und Berichte___________________________________________15
      Bundespolitik und Kommunalfinanzen in Krisenzeiten__________________________________________________ 16
      Ergebnisse der Steuerschätzung vom 25. bis 27. Oktober 2022____________________________________________ 25
      Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbankgruppe______________________________ 36
      Föderales Forum_________________________________________________________________________________________ 41
      35. Treffen der Beteiligungsführungen des Bundes und der Länder_______________________________________ 47

      Aktuelle Wirtschafts- und Finanzlage____________________________53
      Überblick zur aktuellen Lage_____________________________________________________________________________ 54
      Konjunkturentwicklung aus finanzpolitischer Sicht______________________________________________________ 55
      Steuereinnahmen im Oktober 2022______________________________________________________________________ 61
      Entwicklung des Bundeshaushalts bis einschließlich Oktober 2022_______________________________________ 66
      Entwicklung der Kernhaushalte der Länder bis einschließlich September 2022___________________________ 72
      Kreditaufnahme des Bundes und seiner Sondervermögen________________________________________________ 74

      Aktuelles aus dem BMF__________________________________________81
      Termine_________________________________________________________________________________________________ 82
      Publikationen___________________________________________________________________________________________ 83

      Statistiken und Dokumentationen_______________________________85
      Übersichten zur finanzwirtschaftlichen Entwicklung____________________________________________________ 86
      Übersichten zur Entwicklung der Länderhaushalte_______________________________________________________ 87
      Gesamtwirtschaftliches Produktionspotenzial und Konjunktur­komponenten des Bundes________________ 87
      Kennzahlen zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung____________________________________________________ 88
Mehrbelastungen vermeiden, für mehr
Mehrbelastungen                        Gerechtigkeit

vermeiden, für
mehr Gerechtigkeit

Mehrbelastungen vermeiden: das Inflationsausgleichsgesetz    8

Im Interview: Staatssekretär Steffen Saebisch               11
Mehrbelastungen vermeiden, für mehr Gerechtigkeit                                BMF-Monatsbericht
                                                                                                 November 2022

Mehrbelastungen vermeiden: das
Inflationsausgleichsgesetz

       ● Der Deutsche Bundestag hat am 10. November 2022 das Gesetz zum Ausgleich der Inflation
         durch einen fairen Einkommensteuertarif sowie zur Anpassung weiterer steuerlicher Regelun-
         gen (Inflationsausgleichsgesetz) beschlossen. Gegenüber dem Gesetzentwurf der Bundesregie-
         rung vom 14. September 2022 wurden die Entlastungen für die Steuerzahlerinnen und Steu-
         erzahler und Familien deutlich ausgeweitet. Grund ist die neue Datenlage aufgrund der weiter
         gestiegenen Inflationsrate, die aus den am 2. November 2022 vom Bundeskabinett verabschie-
         deten Berichten zum Ausgleich der kalten Progression (5. Steuerprogressionsbericht) und zur
         Freistellung des Existenzminimums (14. Existenzminimumbericht) hervorgeht.

       ● Das Inflationsausgleichsgesetz stärkt Kaufkraft und sorgt für mehr Leistungsgerechtigkeit und
         Fairness. Durch die Verschiebung der Tarifeckwerte werden 48 Millionen steuerpflichtige Perso-
         nen entlastet. Der Effekt der kalten Progression wird ausgeglichen. Besonders Familien profitie-
         ren, die ab dem 1. Januar 2023 ein für alle Kinder einheitliches Kindergeld in Höhe von 250 Euro
         pro Monat erhalten werden.

    Inflationsausgleich: Schutz vor                       und des 5. Steuerprogressionsberichts2 hervor-
    Mehrbelastungen                                       geht. Die Berichte wurden am 2. November 2022
                                                          vom Bundeskabinett verabschiedet und bestäti-
Der Staat soll nicht zum Inflationsgewinner wer-          gen die Erwartung, dass die zuvor im Entwurf des
den. Das ist ein Gebot der Fairness. Die Bundesre-        Inflationsausgleichsgesetzes vorgesehenen Anpas-
gierung will verhindern, dass der Staat an der ra-        sungen der Freibeträge und des Einkommensteu-
santen Preisentwicklung mitverdient. Dies zu              ertarifs nicht ausgereicht hätten, um den Preisstei-
verhindern, war bereits Ziel des Entwurfs für ein         gerungen ausreichend entgegenzuwirken. Für die
Inflationsausgleichsgesetz, das am 14. Septem-            Preisentwicklung der Konsumausgaben der priva-
ber 2022 durch einen Beschluss des Bundeskabi-            ten Haushalte werden nun Steigerungsraten von
netts auf den Weg gebracht worden war und auf             7,2 Prozent für das Jahr 2022 und 6,3 Prozent für
den Daten der Frühjahrsprojektion der Bundes-             das Jahr 2023 angenommen. Damit geht erhebliche
regierung basiert hatte. Diese hatte eine durch-          Kaufkraft verloren, denn der Anstieg der durch-
schnittliche Inflationsrate von 6,1 Prozent für das       schnittlichen Bruttolöhne und -gehälter je Arbeit-
Jahr 2022 vorausgesagt und im Jahr 2023 einen po-         nehmer beziehungsweise Arbeitnehmerin wird im
tenziellen Rückgang auf 2,8 Prozent. Im parlamen-         Jahr 2022 auf lediglich 4,5 Prozent geschätzt, für das
tarischen Verfahren ist der Gesetzesentwurf nun an        Jahr 2023 auf 5,0 Prozent. Somit sind nach Anpas-
die neue Datenlage angepasst worden, die aus den          sung des Inflationsausgleichsgesetzes höhere Steu-
Projektionen des 14. Existenzminimumberichts1             erentlastungen für die 48 Millionen betroffenen
                                                          Bürgerinnen und Bürger notwendig.

1   Siehe Shortlink                                       2   Siehe Shortlink
    https://www.bundesfinanzministerium.de/mb/20221101        https://www.bundesfinanzministerium.de/mb/20221102

                                                         8
Mehrbelastungen vermeiden, für mehr Gerechtigkeit                                                          BMF-Monatsbericht
             Mehrbelastungen vermeiden: das Inflationsausgleichsgesetz                                                     November 2022

Mit dem vom Deutschen Bundestag beschlossenen                                      bei Einkommen von mehr als 62.810 Euro nicht
Gesetz werden der Grundfreibetrag, die übrigen                                     mehr an, da auf eine Verschiebung der Pro-
Tarifeckwerte, die Freigrenze beim Solidaritätszu-                                 portionalzone mit dem Reichensteuersatz von
schlag, der Unterhaltshöchstbetrag sowie das Kin-                                  45 Prozent verzichtet wurde. Dies führt zu dem
dergeld und der Kinderfreibetrag angehoben, um                                     Ergebnis, dass auch für sehr hohe Einkommen

                                                                                                                                                  Schlaglicht
die Folgen der Inflation auszugleichen.                                            die Steuerentlastung auf maximal 637 Euro be-
                                                                                   grenzt ist.
Im Einzelnen bedeutet das:
                                                                               ● Beim Solidaritätszuschlag wird die Freigrenze
● Der Einkommensteuertarif für die Jahre 2023                                    von bisher 16.956 Euro auf 17.543 Euro (2023)
  und 2024 wird angepasst.                                                       und 18.130 Euro (2024) angehoben.

● Der Grundfreibetrag wird erhöht: Für 2023                                    ● Der Kinderfreibetrag (einschließlich des Frei-
  wird gegenüber 2022 eine Anhebung um                                           betrags für den Betreuungs- und Erziehungs-
  561 Euro auf 10.908 Euro vorgenommen.                                          oder Ausbildungsbedarf des Kindes) wird rück-
  Für 2024 ist eine weitere Anhebung um                                          wirkend zum 1. Januar 2022 um 160 Euro auf
  696 Euro auf 11.604 Euro vorgesehen.                                           8.548 Euro erhöht. Zum 1. Januar 2023 wird
                                                                                 er um weitere 404 Euro auf 8.952 Euro und
● Die Effekte der kalten Progression werden                                      zum 1. Januar 2024 um weitere 360 Euro auf
  durch eine Verschiebung des                                                    9.312 Euro erhöht.
  Einkommensteu-ertarifs ausgeglichen, sodass
  die Proportio-nalzone mit einem Steuersatz                                   ● Der Höchstbetrag für den steuerlichen Abzug
  von 42 Prozent erst ab einem zu                                                von Unterhaltsleistungen, dessen Höhe an die
  versteuernden Einkommen von 62.810 Euro                                        des Grundfreibetrags angelehnt ist, wird eben-
  (2023) beziehungsweise 66.761 Euro (2024)                                      falls ab dem Jahr 2022 angehoben.
  erreicht wird.
                                                                               ● Das monatliche Kindergeld wird ab 1. Ja-
● Die Entlastungen durch die Einkommensteu-                                      nuar 2023 einheitlich auf jeweils 250 Euro pro
  er-Tarifsenkung betragen im Jahr 2023 ma-                                      Kind erhöht.
  ximal 637 Euro. Dieser Entlastungsbetrag steigt

  Entlastungen durch das Inflationsausgleichsgesetz in den Jahren 2023 und 2024
                    Beispielfälle                                        Entlastung 2023                           Entlastung 2024
 Single, Bruttoarbeitslohn                                                                  196 Euro     405 Euro (gegenüber geltendem Recht)
 28.800 Euro jährlich                                                                                                209 Euro (gegenüber 2023)
 Familie mit 2 Kindern (Alleinverdienende),                                                 934 Euro    1.148 Euro (gegenüber geltendem Recht)
 Bruttoarbeitslohn 31.200 Euro                                                                                        214 Euro (gegenüber 2023)
 Familie mit 2 Kindern (Doppelverdienende),                                                1.130 Euro   1.540 Euro (gegenüber geltendem Recht)
 gemeinsamer Bruttoarbeitslohn 56.004 Euro                                                                            410 Euro (gegenüber 2023)
 Familie mit 2 Kindern (Doppelverdienende),                                                1.184 Euro   1.640 Euro (gegenüber geltendem Recht)
 gemeinsamer Bruttoarbeitslohn 66.072 Euro                                                                            456 Euro (gegenüber 2023)
 Quelle: Bundesministerium der Finanzen

                                                                              9
Mehrbelastungen vermeiden, für mehr Gerechtigkeit                                           BMF-Monatsbericht
          Mehrbelastungen vermeiden: das Inflationsausgleichsgesetz                                      November 2022

Allein im Jahr 2023 unterstützen diese Anpas-                              Fazit
sungen durch das Inflationsausgleichsgesetz die
Bürgerinnen und Bürger mit insgesamt über                               Im Bereich der Besteuerung arbeitet die Bundes-
18,6 Mrd. Euro. Im Jahr 2024 beträgt die Entlastung                     regierung an Maßnahmen, die die vielen hart ar-
weitere 31,8 Mrd. Euro.                                                 beitenden Menschen in diesem Land vor weiteren
                                                                        Mehrbelastungen schützen, die in Zeiten der Infla-
                                                                        tion nicht zumutbar wären. Mit dem Ausgleich der
                                                                        kalten Progression wird Leistungsgerechtigkeit in
                                                                        Deutschland garantiert. Denn durch die Anpassung
                                                                        des Einkommensteuertarifs wird eine zusätzliche
                                                                        Belastung der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler
                                                                        verhindert; Lohnsteigerungen zum Ausgleich der
                                                                        Inflation können auch tatsächlich bei den Bürge-
                                                                        rinnen und Bürgern ankommen.

                                                                      10
Mehrbelastungen vermeiden, für mehr Gerechtigkeit                            BMF-Monatsbericht
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                                                                                                               Schlaglicht
 Staatssekretär Steffen Saebisch
 © Bundesministerium der Finanzen/photothek

Im Interview: Staatssekretär Steffen Saebisch
   In ein paar Tagen, also im                             Ukraine. Damit war die Situation eine komplett
   Dezember, wird die Bundes­                             andere. Wir waren in der Bundesregierung plötz-
                                                          lich in einem Krisenmodus. Es haben sich viele
   regierung auf ein volles Jahr im                       Dinge überlagert: die starken Nachwirkungen der
   Amt zurückblicken. Wie lautet                          Corona-Pandemie, die schnelle Unterstützung der
   Ihr persönliches Zwischen­                             Ukraine und die große, sicherlich auch historische
   fazit – insbesondere mit Blick                         Aufgabe, mit dem Sondervermögen Bundeswehr
                                                          die Verteidigungsfähigkeit unseres Landes zu stär-
   auf die Themen des BMF?                                ken und eine langfristige Modernisierung der
                                                          Streitkräfte zu erreichen. Zeitgleich mussten wir
Das ist eine aufregende, spannende, aber auch sehr        auf den Energiekrieg Putins reagieren: Mit dem
fordernde Zeit gewesen. Als wir in die Regierungs-        Abwehrschirm, den wir im letzten Quartal auf-
verantwortung gekommen sind, hatten wir einen             gelegt haben, haben wir massive staatliche Mit-
ausverhandelten Koalitionsvertrag mit sehr vie-           tel eingesetzt, um die Kosten für Strom und Gas in
len ambitionierten Themen zur Modernisierung              Deutschland auf einem Niveau zu halten, das un-
und Transformation Deutschlands. Nach kaum                sere Wettbewerbsfähigkeit und die Existenz klei-
zwei Monaten kam der Angriff Russlands auf die            ner und mittlerer Betriebe sicherstellt.

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Mehrbelastungen vermeiden, für mehr Gerechtigkeit                               BMF-Monatsbericht
          Im Interview: Staatssekretär Steffen Saebisch                                      November 2022

Die Inflation wird uns jetzt wohl länger begleiten.         im Sondervermögen Wirtschaftsstabilisierungs-
Ich erinnere mich noch an die Prognosen des Jah-            fonds (WSF) bündeln, dann dient dies gerade der
reswirtschaftsberichts 2022 mit einer Inflationser-         Sichtbarkeit und Transparenz. Zudem stellen wir
wartung von 3,3 Prozent für das Jahr 2022. Jetzt ist        sicher, dass der Kernhaushalt von krisenbedingten
sie laut Herbstprojektion der Bundesregierung bei           Maßnahmen getrennt ist und dort die Schulden-
8,0 Prozent. Die Inflationsrate wieder zu dämp-             bremse greift.
fen, ist ganz zentral bei den angebotsausweiten-
den Unterstützungsmaßnahmen, die wir jetzt im               Und es bleibt dabei, dass wir mit Rekordinvestiti-
Bereich des BMF umsetzen.                                   onen im Bundeshaushalt unser Land zukunftsfest
                                                            machen. Darüber hinaus haben wir uns sehr darum
Insgesamt waren wir an allen Fronten im BMF so-             bemüht, mit dem Zukunftsfinanzierungsgesetz die
wie bei der gemeinsamen Arbeit mit dem Bundes-              Rahmenbedingungen im Bereich Aktienkultur zu
kanzleramt und dem Bundeswirtschaftsministe-                verbessern. Wir haben gemeinsam mit dem BMWK
rium (BMWK) zur unterstützenden Stabilisierung              eine Start-Up-Strategie vorgelegt und auch im Be-
der deutschen Wirtschaft über das Jahr gefordert.           reich der Sustainable Finance gute Rahmenbedin-
Man hat das Gefühl, dass in diesem Jahr Dinge pas-          gungen geschaffen.
siert sind, wie sie normalerweise in sieben Jahren
passieren. Das BMF hat dankenswerterweise schon             Und man muss natürlich auch sehen: Wir ha-
einiges an Erfahrung, wenn es um Krisenbewälti-             ben die Bürgerinnen und Bürger im ersten Regie-
gung geht.                                                  rungsjahr massiv entlastet, nicht nur mit den drei
                                                            Entlastungspaketen, aber auch mit dem Steuer­
                                                            entlastungsgesetz 2022. Zusammen mit dem In-
   Der russische Angriff auf                                flationsausgleichsgesetz ist das wahrscheinlich
   die Ukraine hat die Lage in                              die größte Steuerentlastung in der Geschichte der
                                                            Bundesrepublik Deutschland.
   Deutschland und der Welt
   grundlegend verändert.                                   Bundesfinanzminister Christian Lindner hat über
   Was bleibt vom Koalitions­                               das BMF von einem Ermöglichungsministerium
   vertrag, gerade bei den finanz­                          gesprochen, und dem Anspruch sind wir im ersten
                                                            Jahr gerecht geworden.
   politischen Themen?

Für uns war ganz wichtig, dass wir nach den Coro-              Sie haben gerade das
na-Jahren auf einen Pfad zurück zur Einhaltung der             Inflations­ausgleichsgesetz
regulären Grenze der Schuldenbremse kommen.
Solide Staatsfinanzen erfordern, dass wir grund-
                                                               angesprochen, das der
sätzlich mit dem auskommen, was wir einneh-                    Deutsche Bundes­tag kürzlich
men, und uns eben nur moderat verschulden. Der                 beschlossen hat. Warum
zweite Entwurf für den Bundeshaushalt 2022 war                 ist Ihnen dieses Gesetz so
schon ein Kraftakt. Für den Haushalt 2023 haben
wir nun einen wesentlichen Teil unseres Verspre-
                                                               wichtig?
chens eingehalten, im Bundeshaushalt die regu-
läre Kreditobergrenze der Schuldenbremse wieder             Das Inflationsausgleichsgesetz ist ein Gerech-
einzuhalten. Es wird gerne von Schattenhaushalten           tigkeitsgesetz. Wir haben eine zu hohe Inflation,
gesprochen. Ich kann keinen Schatten erkennen.              nicht nur in Deutschland, sondern weltweit, ver-
Wenn wir z. B. die Finanzierung der vielfältigen            ursacht durch den Ukrainekrieg, aber auch durch
Maßnahmen des wirtschaftlichen Abwehrschirms                die Null-Covid-Strategie Chinas, die gestörten

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Mehrbelastungen vermeiden, für mehr Gerechtigkeit                               BMF-Monatsbericht
            Im Interview: Staatssekretär Steffen Saebisch                                      November 2022

Lieferketten und die hohe Nachfrage nach der Pan-                Die jüngste Steuerschätzung
demie. Die steuerliche Belastung der Bürgerinnen                 sagt weiterhin steigende
und Bürger steigt durch die Inflation deutlich, was
                                                                 Steuereinnahmen für Bund,
man auch an den erwarteten Steuermehreinnah-
men sieht. Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, dass
                                                                 Länder und Kommunen voraus.

                                                                                                                  Schlaglicht
der Staat von der Inflation nicht von immer höhe-                Gibt es damit im Bundes­
ren Steuereinnahmen profitiert. Wir müssen die                   haushalt neue Spielräume?
zusätzliche inflationsbedingte Belastung der Men-
schen zurückgeben. Es profitieren davon die Men-              Die Steuerschätzung berücksichtigt nicht unsere
schen mit sehr niedrigen Steuern, weil wir das Exis-          gerade erst beschlossenen steuerlichen Entlas-
tenzminimum stark anheben und das Kindergeld                  tungen, da sie nur geltendes Recht zugrunde legt.
erhöhen. Andererseits nehmen wir auch der Mit-                Wenn die neuen Entlastungen mit eingerechnet
telschicht eine starke Belastung. Wir schaffen da-            werden, können die für die nächsten beiden Jahre
mit soziale Gerechtigkeit und gesellschaftliche               zu erwartenden Steuereinnahmen gegenüber der
Balance in Deutschland, damit insbesondere die                Steuerschätzung noch im Mai 2023 sinken. Es gibt
Mittelschicht, die unser Land stützt und trägt, nicht         daher keine neuen Verteilungsspielräume. Wir ha-
zusätzlich belastet wird.                                     ben zudem seit einigen Monaten eine Zinswende,

  Staatssekretär Steffen Saebisch
  © Bundesministerium der Finanzen/photothek

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Mehrbelastungen vermeiden, für mehr Gerechtigkeit                                 BMF-Monatsbericht
           Im Interview: Staatssekretär Steffen Saebisch                                        November 2022

die zwar lange erwartet wurde, sich aber nun tat-               Wie schauen Sie angesichts
sächlich im Haushalt mit voller Wucht nieder-                   der vielen Krisen auf die
schlägt. Das führt dazu, dass wir unsere Vorsorge
                                                                Zukunft Deutschlands? Was
bei den Zinsaufwendungen im Haushalt in einem
unglaublichen, im historischen Vergleich nicht da-
                                                                sind die Grundlagen unseres
gewesenen Umfang steigern müssen. Im Jahr 2022                  zukünftigen Wohlstands in
musste der Bund rund 4 Mrd. Euro an Zins­                       Deutschland?
ausgaben aufwenden, für das nächste Jahr müssen
wir knapp 40 Mrd. Euro vorsehen – eine Verzehnfa-            Wir haben weiterhin aufgrund unseres guten Bil-
chung im Vergleich zu 2021. Es ist nicht so, dass der        dungssystems und unserer dynamischen Hoch-
Staat durch Inflation in irgendeiner Form Möglich-           schul- und Forschungslandschaft hohes Poten-
keiten der Ausgabenerweiterung hätte. Das Gegen-             zial für Wachstum und Wohlstand in Deutschland.
teil ist der Fall. Die Dynamik bei der Inflation lässt       Wenn man sieht, welch hohe Zahl an Patenten wir
sich aus geldpolitischer Sicht richtigerweise durch          weiterhin haben und wie viel Innovationskraft im
höhere Zinsen dämpfen. Daher brauchen wir eine               deutschen Mittelstand – den mittelständischen Fa-
Beschränkung auf der Ausgabeseite. Wir müssen                milienbetrieben, den „hidden champions“ – steckt,
unsere angebotsorientierte Politik stärken – und             ist das einmalig in der Welt. Wichtig ist, dass wir
nicht noch nachfragefördernde konsumtive Politik             diesen innovativen Mittelstand bewahren. Das sind
betreiben, die die Inflation weiter anheizen würde.          die Leistungsträger unserer Gesellschaft, die wir
Trotz Inflation besteht weiterhin Konsolidierungs-           nicht durch immer höhere Steuern und Abgaben
bedarf in den öffentlichen Haushalten.                       überfordern dürfen. Wir müssen uns im BMF an-
                                                             schauen, wie wir unsere steuerliche Förderung von
                                                             Forschung und Entwicklung optimieren können.
                                                             Bei der Regulierung müssen wir die richtigen Rah-
                                                             menbedingungen schaffen, gerade im Bereich der
                                                             Energiewende. Wir haben bei den Unternehmen
                                                             der Chemie, der Pharmazie und des Automobilbaus
                                                             Riesenpotenziale, die wir nutzen können und müs-
                                                             sen. Wir müssen dafür sorgen, dass diese deutschen
                                                             Firmen hier in Deutschland investieren – und nicht
                                                             in den USA, in Frankreich, in anderen Teilen Euro-
                                                             pas oder in Asien. Wir müssen schauen, dass die
                                                             Energiepreise hier bezahlbar sind und dass kom-
                                                             petente, gut ausgebildete Arbeitskräfte zur Verfü-
                                                             gung stehen, dass die Innovationsdynamik zwi-
                                                             schen Hochschulen, Forschungseinrichtungen und
                                                             der Wirtschaft weiter bestehen bleibt. Dazu gehört
                                                             auch, dass wir vermehrt auf qualitativ hochwertige
                                                             Einwanderung in Deutschland achten. Wenn uns
                                                             das alles gelingt, haben wir eine gute Ausgangslage,
                                                             um unseren Wohlstand zu sichern.

                                                           14
Analysen
und Berichte
Analysen und Berichte

Bundespolitik und Kommunalfinanzen in Krisenzeiten                      16

Ergebnisse der Steuerschätzung vom 25. bis 27. Oktober 2022             25

Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbankgruppe   36

Föderales Forum                                                         41

35. Treffen der Beteiligungsführungen des Bundes und der Länder         47
Analysen und Berichte                                                     Monatsbericht des BMF
                                                                                          November 2022

Bundespolitik und Kommunalfinanzen in
Krisenzeiten

     ● Die deutschen Kommunen sind in den vergangenen Jahren finanziell insgesamt gut durch die
       Corona-Krise gekommen. In den Jahren 2020 und 2021 hat die kommunale Ebene Finanzie-
       rungsüberschüsse von 2,7 Mrd. Euro und 3,0 Mrd. Euro in ihren Kernhaushalten erzielt. 2020
       war dieses Ergebnis im Wesentlichen auf die hohen Unterstützungsleistungen von Bund und
       Ländern zurückzuführen, 2021 – neben den Bundeshilfen – vor allem auf den hohen Anstieg bei
       den Steuereinnahmen. Das Investitionsniveau stieg 2020 trotz Pandemie weiter deutlich und
       blieb 2021 auf diesem hohen Niveau nominal annähernd konstant.

     ● Auch im Jahr 2022 übernimmt der Bund finanzielle Mitverantwortung und unterstützt die
       Kommunen in vielen Bereichen mit zusätzlichen Mitteln, z. B. bei der Flüchtlingsfinanzierung
       oder dem öffentlichen Personennahverkehr. Die aktuell vom Bund ergriffenen Maßnahmen zur
       Bewältigung der Energiekrise, insbesondere die Entlastungspakete und der wirtschaftliche Ab-
       wehrschirm, dürften auch erheblich zur Stabilisierung der kommunalen Finanzlage beitragen.

     ● Gemäß der Projektion des BMF vom 28. September 2022 zur Deutschen Haushaltsplanung
       (Draft Budgetary Plan) trüben sich die Aussichten für die kommunalen Haushalte im Zuge
       der aktuellen Krisen ein: Für 2022 rechnet das BMF mit einem Defizit von rund 1 ½ Mrd. Euro
       und 2023 von rund 3 Mrd. Euro. Hierbei sind die finanziellen Auswirkungen des Entlastungs-
       pakets III bereits berücksichtigt. Mit Blick auf die Ergebnisse der Steuerschätzung vom 27. Ok-
       tober 2022 und die Ergebnisse des Bund-Länder-Treffens vom 2. November 2022 dürfte sich die
       kommunale Finanzsituation besser darstellen.

     ● Es gibt viele Kommunen mit hohen Altschulden, die sich nicht mehr aus eigener Kraft aus dieser
       Situation befreien können. Durch die steigenden Zinsen geraten die Haushalte dieser Kommu-
       nen nun erheblich unter Druck. Der Bund ist unverändert bereit, gemeinsam mit den betrof-
       fenen Ländern diese Kommunen von den Altschulden zu befreien, wofür es allerdings einer
       Änderung des Grundgesetzes bedarf.

   Einleitung                                           Vordergrund gerückt. Zugleich belasten die stark
                                                        gestiegenen Energie- und Verbraucherpreise in-
Seit mehr als zwei Jahren erfüllen die Kommunen         folge des Kriegs die kommunalen Haushalte er-
zentrale Aufgaben bei der Bewältigung von Krisen        heblich. Es besteht deshalb die Sorge, dass die
vor Ort. Während der COVID-19-Pandemie 2020             Kommunen ihre Aufgabenerfüllung und Investi-
und 2021 betraf dies insbesondere die Bereiche Bil-     tionstätigkeit deutlich einschränken müssen. Fol-
dung, Gesundheit und öffentlicher Nahverkehr.           gender Beitrag beleuchtet die Auswirkungen der
Mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukra-        aktuellen Krisen auf die Finanzlage der Kommu-
ine ist auch die Unterbringung, Versorgung und          nen und die Rolle des Bundes hierbei.
Integration geflüchteter Menschen wieder in den

                                                      16
Analysen und Berichte                                                              Monatsbericht des BMF
          Bundespolitik und Kommunalfinanzen in Krisenzeiten                                       November 2022

   Die kommunale Finanzlage                                      zu den Vorkrisenjahren (in 2019: 94,1 Mrd. Euro)
                                                                 auf.

                                                                                                                       Analysen und Berichte
   Die kommunale Haushaltslage in                                Anders als im Jahr 2020 war der Überschuss im
   den Pandemiejahren                                            Jahr 2021 vor allem auf die positive Entwick-
                                                                 lung bei den Steuereinnahmen zurückzuführen.
Die Finanzlage der kommunalen Ebene insge-                       Diese erholten sich 2021 nach einem Einbruch um
samt war in den vergangenen Jahren – trotz der                   5,7 Prozent im Jahr 2020 wieder stark und stiegen
COVID-19-Pandemie – weiter positiv. Im Jahr 2020                 um 15,2 Prozent auf 113,4 Mrd. Euro an. Im Zeit-
betrug der Finanzierungssaldo in den Kernhaus-                   raum von 2012 bis 2021 stiegen damit die gemeind-
halten der Kommunen bundesweit +2,7 Mrd. Euro.                   lichen Steuereinnahmen pro Jahr durchschnittlich
2021 erzielten die Kommunen einen Finanzie-                      um 4,8 Prozent. Unter den gemeindlichen Steuer­
rungssaldo von +3,0 Mrd. Euro und wiesen damit                   einnahmen stellt die Gewerbesteuer mit einem
zum zehnten Jahr in Folge einen größtenteils deut-               Einnahmevolumen von netto (d. h. nach Abzug der
lichen Finanzierungsüberschuss auf. Kumuliert be-                an Bund und Länder fließenden Gewerbesteuer-
trachtet wurde damit im Zeitraum 2012 bis 2021                   umlage) 50,7 Mrd. Euro im Jahr 2021 die wichtigste
auf kommunaler Ebene ein Finanzierungsüber-                      Steuer dar. Da die Gewerbesteuer stark von der Er-
schuss von 41,6 Mrd. Euro realisiert.                            tragslage der Unternehmen abhängt, verzeichne-
                                                                 ten die Gemeinden im Jahr 2020 hier einen Rück-
Für das positive Ergebnis im Jahr 2020 waren vor                 gang des Aufkommens von 8,9 Mrd. Euro (brutto),
allem die massiven Unterstützungsleistungen von                  der durch das Auslaufen der erhöhten Gewerbe-
Bund und Ländern zur Abfederung der wirtschaft-                  steuerumlage („Solidarpaktumlage“) teilweise auf-
lichen Folgen der COVID-19-Pandemie verant-                      gefangen wurde. Die Einnahmen aus der Gewerbe-
wortlich. 2020 stiegen die laufenden Zuweisungen                 steuer sanken im Jahr 2020 netto um 4,9 Mrd. Euro
der Länder an die Kommunen stark an (+21,0 Pro-                  gegenüber dem Jahr 2019. 2021 nahmen sie um
zent gegenüber dem Vorjahr) und beliefen sich auf                13,0 Mrd. Euro (+34,6 Prozent) auf 50,7 Mrd. Euro
113,9 Mrd. Euro. Da der Bund die staatsorganisa-                 wieder zu und lagen damit über den Erwartun-
tionsrechtlich zu ihren jeweiligen Ländern gehö-                 gen der letzten Steuerschätzung vor der Pandemie.
renden Kommunen grundsätzlich nicht direkt fi-                   Weitestgehend robust blieb eine weitere wichtige
nanziell unterstützen kann, erfolgen finanzielle                 Einnahmequelle der Gemeinden, die Steuerein-
Entlastungen der Kommunen durch den Bund in                      nahmen der Gemeinden aus den Gemeinschafts-
der Regel über die Länder. Hinter einem großen                   steuern Einkommensteuer und Umsatzsteuer.
Teil der oben dargestellten Zuwächse der laufen-                 Diese reduzierten sich 2020 nur um 2,1 Prozent.
den Zuweisungen der Länder stecken daher finan-                  2021 lagen auch sie mit 48,2 Mrd. Euro über dem
zielle Mittel des Bundes. Beispielsweise erhielten               Vorkrisenniveau von 2019.
Städte und Gemeinden im Jahr 2020 von Bund
und Ländern einen pauschalen Ausgleich für die                   Ausgabenseitig blieben die Kommunen insgesamt
erwarteten Gewerbesteuerausfälle in Höhe von                     von deutlichen Mehrbelastungen infolge der Pan-
rund 11,8 Mrd. Euro. Der Bund finanzierte hier-                  demie weitgehend verschont. Einen großen Anteil
von 6,1 Mrd. Euro. Zudem wurden im Zuge der                      an den Gesamtausgaben (2021: 286,0 Mrd. Euro)
Corona-Krise Leistungen des Bundes weiter aus-                   stellten die kommunalen Sozialausgaben (2021:
geweitet – z. B. bei den Sozialausgaben durch eine               64,4 Mrd. Euro) dar. Sie nahmen 2020 um 2,7 Pro-
dauerhaft höhere Beteiligung an den Kosten der                   zent (+1,6 Mrd. Euro) und 2021 um weitere 3,4 Pro-
Unterkunft nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II).                zent (+2,1 Mrd. Euro) gegenüber dem Vorjahr zu –
Im Jahr 2021 waren die laufenden Zuweisungen                     und damit etwas stärker als vor der Krise (in 2019:
mit 107,3 Mrd. Euro geringer als im Jahr 2020, wie-              +2,2 Prozent). Die höhere Zunahme im Jahr 2021 im
sen aber weiterhin ein hohes Niveau im Vergleich                 Vergleich zu 2020 lässt sich auch dadurch erklären,

                                                               17
Analysen und Berichte                                                              Monatsbericht des BMF
          Bundespolitik und Kommunalfinanzen in Krisenzeiten                                       November 2022

dass die Auswirkungen von Krisen auf die Sozial-                    Die kommunalen Schulden
ausgaben mit zeitlicher Verzögerung in den öf-
fentlichen Haushalten sichtbar werden. Den ent-                  Die gute Finanzlage der Kommunen in den Pan-
standenen Mehrausgaben wirken aber die oben                      demiejahren 2020 und 2021 spiegelt sich auch in
genannten Mehreinnahmen durch die erhöhte Be-                    der Entwicklung der kommunalen Schulden wie-
teiligung des Bundes an den Kosten der Unterkunft                der (s. a. Abbildung 1). Seit 2017 war die kommu-
von jährlich 4 Mrd. Euro entgegen.                               nale Gesamtverschuldung mit Ausnahme von 2020
                                                                 in jedem Jahr rückläufig. Zum Jahresende 2021 be-
Trotz Pandemie wurde die kommunale Investiti-                    lief sich der kommunale Schuldenstand der Kern-
onstätigkeit 2020 weiter gesteigert und 2021 no-                 haushalte – bestehend aus investiven Krediten,
minal auf hohem Niveau weitestgehend stabili-                    Kassenkrediten und Wertpapierschulden – beim
siert. So stiegen die Sachinvestitionen im Jahr 2020             nicht-öffentlichen und öffentlichen Bereich auf
wie schon die Jahre zuvor (2018: +12,7 Prozent,                  122,4 Mrd. Euro.
2019: 15,0 Prozent) weiter um 12,1 Prozent auf
35,4 Mrd. Euro deutlich an. 2021 gingen diese leicht
auf 34,6 Mrd. Euro zurück. Im Jahr 2020 wurden die                   Investive Kredite
Investitionszuweisungen an die Kommunen deut-                        sind Kredite oder Darlehen, die nur für In­
lich ausgeweitet (+20,4 Prozent) auf 11,8 Mrd. Euro                  vestitionen und unter der Voraussetzung
und sie lagen auch im Jahr 2021 weiterhin auf die-                   aufgenommen werden dürfen, dass eine an­
sem hohen Niveau. Einen wesentlichen Beitrag                         dere Finanzierung nicht möglich oder un­
zur Stärkung der Investitionstätigkeit der Kom-                      zweckmäßig wäre.
munen leistete dabei die umfangreiche Unter-
stützung durch den Bund z. B. in den Bereichen                       Kassenkredite
Ganztagsschule, Schulinfrastruktur, sozialer Woh-                    (auch: Kassenverstärkungskredite) sind Kre­
nungsbau, öffentlicher Personennahverkehr und                        dite mit kurzen Laufzeiten, die zur Deckung
Kommunalinvestitionen.                                               kurzfristiger Liquiditätsengpässe dienen. Sie
                                                                     entsprechen etwa dem Überziehungskredit
                                                                     (Dispokredit) von Haushalten oder Unter­
                                                                     nehmen und sind zeitnah – häufig unterjäh­
                                                                     rig – zu tilgen. Hohe Kassenkreditbestän­
                                                                     de gelten als Indikator für eine strukturelle
                                                                     Unterfinanzierung einer Gemeinde. Finanz­
                                                                     schwache Kommunen nutzen häufig dieses
                                                                     kurzfristige Instrument zur dauerhaften Fi­
                                                                     nanzierung ihrer laufenden Aufgaben.

                                                                     Wertpapierschulden
                                                                     sind Kapitalmarktpapiere, u. a. Anleihen, die
                                                                     nur vereinzelt und tendenziell von größeren
                                                                     Kommunen am Kapitalmarkt aufgelegt wer­
                                                                     den. Für die wirtschaftliche Nutzung dieses
                                                                     Instruments werden große Volumina benö­
                                                                     tigt, die von den meisten Kommunen nicht
                                                                     erreicht werden.

                                                               18
Analysen und Berichte                                                                     Monatsbericht des BMF
           Bundespolitik und Kommunalfinanzen in Krisenzeiten                                              November 2022

                                                                                                                    Abbildung 1
    Kommunale Schulden beim nicht-öffentlichen
    und öffentlichen Bereich , Kernhaushalte

                                                                                                                                  Analysen und Berichte
    in Mrd. Euro
    160

    140

    120

    100
            82,5         81,4         81,2         80,9         82,3        81,3
     80                                                                             83,0     82,8       85,7        87,2

     60
             0,2          0,6          1,3          2,0         2,4         2,9
     40                                                                             3,0       3,0        3,4         3,2
     20     47,9         48,6         49,7         49,7         49,7        46,3    39,5     35,4       33,7        32,0
      0
            2012         2013         2014         2015         2016        2017    2018     2019       2020        2021

                     Kassenkredite                        Wertpapiermarktschulden               investive Kredite

   Quelle: Statistisches Bundesamt, Schuldenstatistik

Der Rückgang beim Schuldenstand war durch den                            Nach Hessen und dem Saarland will 2023 nun
Abbau bei den Kassenkrediten bedingt. So sank der                        auch Rheinland-Pfalz damit beginnen, seine Kom-
Kassenkreditbestand 2020 und 2021 jeweils um circa                       munen durch eine Altschuldenhilfe im Umfang
5 Prozent auf ein Niveau von rund 32,0 Mrd. Euro                         von 3 Mrd. Euro zu entschulden. Die hierfür not-
im Jahr 2021. Er lag damit 36 Prozent unter dem                          wendigen gesetzlichen Grundlagen werden der-
Höchststand des Jahres 2014. Am aktuellen Rand                           zeit geschaffen. Die Regierungsparteien in Nord-
steigen die Kassenkredite wieder leicht an (Stand                        rhein-Westfalen haben im Koalitionsvertrag
30. Juni 2022: 32,4 Mrd. Euro). Allerdings sind diese                    ebenfalls eine Altschuldenlösung in Aussicht ge-
unterjährigen Zahlen nur von begrenzter Aussage-                         stellt. Trotz der Konsolidierungsanstrengungen
kraft. Der stetige Rückgang der kommunalen Kas-                          vieler Kommunen bei den Altschulden ist eine
senkredite in den vergangenen Jahren ist im We-                          Vielzahl weiterhin mit hohen Kassenkrediten be-
sentlichen auf zwei Faktoren zurückzuführen: die                         lastet, insbesondere Nordrhein-Westfalen, Rhein-
positive kommunale Finanzlage und die Wirkung                            land-Pfalz und das Saarland. Während bundesweit
der kommunalen Entschuldungsprogramme ins-                               der Durchschnitt der kommunalen Kassenkredite
besondere des Landes Hessen („Hessenkasse“) und                          zum 31. Dezember 2021 bei 416 Euro je Einwohner
des Saarlandes („Saarlandpakt“). Durch die Hessen-                       lag, betrug er in diesen drei Ländern jeweils über
kasse verringerte sich der Bestand an kommunalen                         1.000 Euro.
Kassenkrediten im Jahr 2018 um 5 Mrd. Euro. Im
Rahmen des Saarlandpaktes wurden Kassenkredite
in Höhe von 1 Mrd. Euro vom Land übernommen.

                                                                       19
Analysen und Berichte                                                              Monatsbericht des BMF
            Bundespolitik und Kommunalfinanzen in Krisenzeiten                                       November 2022

   Die kommunale Finanzlage in der                                 unterschiedlichen Unterstützungsmaßnahmen des
   aktuellen Krise                                                 Bundes – gerechnet. So könnten die Investitionen
                                                                   im Jahr 2022 um rund 9 Prozent und im Jahr 2023
Neben den andauernden Folgen der Pandemie hat                      um rund 7 Prozent zunehmen.
die russische Invasion in der Ukraine eine neue
Krise hervorgerufen, die alle föderalen Ebenen in                  Bei den Einnahmen wird in der Projektion für das
vielerlei Hinsicht vor große Herausforderungen                     aktuelle Jahr eine deutliche Zunahme in Höhe von
stellt: die Energieknappheit, massive Preissteige-                 +5 ½ Prozent (+2 ½ Prozent im Jahr 2023) geschätzt.
rungen vor allem bei Gas und Strom sowie die hohe                  Begründet ist dies durch den Anstieg bei den lau-
Flüchtlingszuwanderung aus der Ukraine. Die Be-                    fenden Zuweisungen der Länder an die Gemeinden
wältigung dieser Herausforderungen stellt eine er-                 um rund 10 Mrd. Euro (+9 Prozent). Hier wirken
hebliche finanzielle Belastung für alle föderalen                  sich vor allem die höheren finanziellen Leistungen
Ebenen dar – auch für die Kommunen.                                des Bundes, z. B. bei den Kosten der Unterkunft,
                                                                   bei den Erstattungen der Grundsicherung und bei
Die Projektion des BMF vom 28. September 2022                      der Flüchtlingsfinanzierung, sowie die gestiegenen
für die gesamtstaatliche Haushaltsplanung 2023                     Steuereinnahmen der Länder aus. Daneben dürf-
(Draft Budgetary Plan)1 erwartet für die Kernhaus-                 ten die Investitionszuweisungen, die auch investive
halte der Kommunen in den Jahren 2022 bis 2025                     Mittel des Bundes beinhalten, vor allem durch den
Finanzierungsdefizite von rund 1 ½ Mrd. Euro                       verstärkten Mittelabruf aus dem Aufbauhilfefonds
(2022), rund 3 Mrd. Euro (2023), rund 3 ½ Mrd. Euro                im Jahr 2022 um 5 ½ Mrd. Euro (+44 ½ Prozent) ge-
(2024) und rund 1 ½ Mrd. Euro (2025). Zum Ende                     genüber dem Vorjahr ansteigen (2023: +5 ½ Pro-
des Finanzplanungszeitraums 2026 wird wieder                       zent gegenüber dem Vorjahr). Bei den Steuern wird
mit einem Finanzierungsüberschuss für die kom-                     demgegenüber im laufenden Jahr von Stagnation
munale Ebene gerechnet. Die Ausgaben dürften vor                   ausgegangen; 2023 wird mit einem Zuwachs von
allem im Jahr 2022 überdurchschnittlich stark zu-                  +3 ½ Prozent gerechnet.
nehmen (+7 ½ Prozent gegenüber 2021). Ab 2023
wird dagegen ein moderates Ausgabenwachstum                        Die Projektion umfasst die Maßnahmen des drit-
von jährlich +3 Prozent erwartet. Einen starken Zu-                ten Entlastungspakets der Bundesregierung vom
wachs zeigt im Jahr 2022 der laufende Sachaufwand                  3. September 2022 (im Umfang von 65 Mrd. Euro),
mit +7 Prozent, der u. a. durch die Mehraufwen-                    nicht jedoch den von der Bundesregierung am
dungen im Zuge des Online-Zugangsgesetzes und                      29. September 2022 beschlossenen wirtschaftli-
durch die allgemeinen Preissteigerungen zu erklä-                  chen Abwehrschirm gegen die Folgen des russi-
ren ist. Daneben dürften auch die Zuschüsse an an-                 schen Angriffskriegs in einem Umfang von bis zu
dere Bereiche – die insbesondere die Sozialausga-                  200 Mrd. Euro.
ben der Kommunen beinhalten – mit +6 ½ Prozent
insbesondere infolge der Flüchtlingszuwanderung                    Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der aktuel-
stark ansteigen. Die prognostizierten Ausgaben                     len Steuerschätzung vom 25. Oktober 2022 könn-
für Soziales nehmen hierbei um rund 6 Prozent                      ten sich die Einschätzungen zu den kommunalen
(2023:+1 ½ Prozent) zu. Deutliche Zuwächse wer-                    Finanzierungssalden gegenüber der oben darge-
den auch bei den Personalausgaben mit +6 Prozent                   stellten Prognose verbessern. Hierbei ist zu beach-
im Jahr 2022 und +4 Prozent im Jahr 2023 geschätzt.                ten, dass die Ergebnisse der Projektion aufgrund
Trotz der aktuellen Unsicherheiten über den wei-                   unterschiedlicher Abgrenzungen und der unter-
teren Verlauf der Krisen wird mit einer weiterhin                  schiedlichen Berücksichtigung geplanter Steuer-
hohen Investitionstätigkeit – angeregt durch die                   rechtsänderungen mit den Ergebnissen der Steu-
                                                                   erschätzung nur bedingt vergleichbar sind. Nach
                                                                   der aktuellen Steuerschätzung fallen die Steuer­
1 Vgl. https://www.bundesfinanzministerium.de/mb/20221111          einnahmen des Staates – insbesondere die der

                                                                 20
Analysen und Berichte                                                                    Monatsbericht des BMF
           Bundespolitik und Kommunalfinanzen in Krisenzeiten                                             November 2022

Gemeinden – für die nächsten Jahre deutlich höher                       Krisenunterstützung der
aus als noch im Mai erwartet (siehe hierzu den Ar-                      Kommunen durch den Bund
tikel „Ergebnisse der Steuerschätzung vom 25. bis

                                                                                                                                 Analysen und Berichte
27. Oktober 2022“ in diesem Monatsbericht). Die
geschätzten Wachstumsraten der gemeindlichen                            Finanzielle Entlastungen durch den
Steuereinnahmen – einschließlich die der Stadt-                         Bund
staaten – betragen +4,9 Prozent (2022), +5,6 Prozent
(2023), +5,7 Prozent (2024, 2025) und +4,0 Prozent                Zur positiven Finanzlage der Kommunen in den
(2026). Mehreinnahmen im Vergleich zur Mai-Steu-                  Pandemiejahren 2020 und 2021 haben vor allem
erschätzung ergeben sich vor allem bei der Gewer-                 die umfangreichen Entlastungen durch den Bund
besteuer (+6,3 Mrd. Euro 2022, +5,9 Mrd. Euro 2023).              in mehrstelliger Milliardenhöhe beigetragen. Nen-
Dies ist zum einen auf die weiterhin kräftige Aus-                nenswerte Maßnahmen des Bundes zugunsten der
gangsbasis aus den laufenden Steuereinnahmen                      Kommunen sind – neben der oben genannten Be-
zurückzuführen. Zum anderen liegt der Steuer-                     teiligung des Bundes an der Kompensation der er-
schätzung eine überwiegend höhere Projektion                      warteten Gewerbesteuermindereinnahmen 2020
der nominalen gesamtwirtschaftlichen Eckwerte                     in Höhe von 6,1 Mrd. Euro – insbesondere die hälf-
und Bemessungsgrundlagen zugrunde als noch im                     tige Kompensation pandemiebedingter Mehrbelas-
Frühjahr. Im Gegensatz zur Projektion für die ge-                 tungen im ÖPNV von 3,5 Mrd. Euro, 4 Mrd. Euro im
samtstaatliche Haushaltsplanung sind in der Steu-                 Rahmen des Paktes für den öffentlichen Gesund-
erschätzung allerdings einige von der Bundes-                     heitsdienst sowie weitere 1,5 Mrd. Euro im Rah-
regierung beschlossene Maßnahmen des dritten                      men des DigitalPaktes Schule. Für die Stärkung der
Entlastungspakets, die sich noch in parlamentari-                 kommunalen Finanzkraft von herausgehobener fi-
schen Beratungen befinden, nicht berücksichtigt,                  nanzieller Bedeutung ist die dauerhafte Erhöhung
insbesondere das Jahressteuergesetz 2022 sowie                    der Bundesbeteiligung an den Kosten der Unter-
das Inflationsausgleichsgesetz. Ersteres ist vollstän-            kunft nach SGB II um 25 Prozentpunkte auf bis zu
dig, Letzteres mit Stand des Gesetzentwurfs vom                   75 Prozent seit 2020 (4 Mrd. Euro p. a.), die vor allem
15. September 2022 in der Projektion abgebildet.                  die Kommunen mit hohen Sozialausgaben deutlich
                                                                  entlasten sollte. Eine umfassende Darstellung der
Auch die Ergebnisse der Besprechung des Bundes-                   finanziellen Unterstützungsleistungen des Bundes
kanzlers Olaf Scholz mit den Ministerpräsiden-                    für die Kommunen in den Jahren 2020 und 2021
tinnen und -präsidenten am 2. November 2022                       findet sich im Monatsbericht vom September 2021.2
dürften sich positiv auf die Kommunalfinanzen
auswirken. Deutliche Entlastungen für die Kom-                       Auch in diesem Jahr stellt die Bundesregierung
munen ergeben sich insbesondere – wie im fol-                        weitere umfangreiche Bundesmittel zugunsten der
genden Abschnitt näher beschrieben – durch die                       Länder und ihrer Kommunen bereit, z. B. in den Be-
zusätzlichen Bundesmittel im Flüchtlingsbereich                      reichen ÖPNV und Flüchtlingsfinanzierung. So be-
und im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV).                       teiligt sich der Bund nicht nur hälftig an den pan-
Auf der Ausgabenseite dürften sich hingegen ge-                      demiebedingten Einnahmeausfällen im ÖPNV des
änderte Einschätzungen aufgrund der mit der                          Jahres 2022 (1,2 Mrd. Euro). Bei der Besprechung des
Herbstprognose der Bundesregierung stark nach                        Bundeskanzlers Olaf Scholz mit den Regierungs-
oben revidierten Erwartung bezüglich der Inflati-                    chefinnen und -chefs der Länder am 2. Novem-
onsentwicklung ergeben. Eine aktuelle Projektion                     ber 2022 wurde u. a. entschieden, dass der Bund ab
der Einnahmen und Ausgaben der öffentlichen                          dem Jahr 2022 zusätzliche Regionalisierungsmittel
Haushalte, die die Ergebnisse der Herbstprognose,                    von 1 Mrd. Euro jährlich zur Verfügung stellt, die
der Steuerschätzung und der aktuellen Bund-Län-
der-Beschlüsse abbildet, wird dem Stabilitätsrat am
16. Dezember 2022 vorgelegt.                                         2 Vgl. https://www.bundesfinanzministerium.de/mb/20221112

                                                                21
Analysen und Berichte                                                               Monatsbericht des BMF
          Bundespolitik und Kommunalfinanzen in Krisenzeiten                                        November 2022

mit 3 Prozent (statt vorher 1,8 Prozent) dynamisiert             Gasimporteure zur Verfügung gestellt werden. All
werden.                                                          diese Maßnahmen dienen dazu, Verbraucher und
                                                                 Unternehmen von den steigenden Energiepreisen
Gemäß Bund-Länder-Beschluss vom 7. April 2022                    zu entlasten, die Energieversorgung aufrechtzuer-
unterstützt der Bund Länder und Kommunen bei                     halten, strukturelle wirtschaftliche Schäden zu ver-
der Unterbringung, Verpflegung und Betreuung                     hindern und Arbeitsplätze zu erhalten. Kommu-
der Geflüchteten aus der Ukraine – insbesondere                  nen kommt dies in vielerlei Hinsicht zugute. Sie
durch die Anhebung des Umsatzsteueranteils für                   werden insbesondere vor hohen Einnahmeausfäl-
die Länder um 2 Mrd. Euro im Jahr 2022 zulasten                  len bewahrt, z. B. bei der Gewerbesteuer, und dras-
des Bundes sowie durch die beschleunigte Über-                   tischen Mehrausgaben, z. B. in der Verwaltung und
führung der Geflüchteten aus dem Asylbewerber-                   im Sozialbereich. Beim Bund-Länder-Gespräch am
leistungsgesetz in den Geltungsbereich des SGB II/               2. November 2022 wurde außerdem beschlossen,
XII. Leistungen im SGB II/XII finanziert überwie-                dass Stadtwerken bei Liquiditätsbedarfen über die
gend der Bund.                                                   eingerichteten Systeme der Kreditanstalt für Wie-
                                                                 deraufbau, anderen Förderbanken oder vergleich-
Beim Bund-Länder-Treffen am 2. November 2022                     baren Einrichtungen mit geeigneten Instrumenten
wurden weitere finanzielle Unterstützungsleistun-                Hilfen geleistet werden können. Zudem sollen aus
gen des Bundes beschlossen, die auch den Kommu-                  den Mitteln des Wirtschaftsstabilisierungsfonds
nen zugutekommen sollen: Danach erhalten die                     auch Härtefallhilfen u. a. für Krankenhäuser, Uni-
Länder vom Bund für die Jahre 2022 und 2023 je-                  versitätskliniken und Pflegeeinrichtungen finan-
weils weitere 1,5 Mrd. Euro für ihre Ausgaben für                ziert werden.
die Geflüchteten aus der Ukraine. Zudem gewährt
der Bund den Ländern für die Kosten im Zusam-                    Die finanziellen Belastungen der Entlastungspa-
menhang mit denjenigen Geflüchteten, die aus an-                 kete und des Abwehrschirms trägt – wie bereits
deren Staaten nach Deutschland kommen, ab dem                    beim Konjunktur- und Krisenbewältigungspa-
Jahr 2023 eine allgemeine flüchtlingsbezogene                    ket 2020 – zum allergrößten Teil der Bund selbst.
Pauschale in Höhe von 1,25 Mrd. Euro (anstatt der
bisherigen Pauschale für unbegleitete minderjäh-
rige Flüchtlinge in Höhe von 350 Mio. Euro).                        Die Rolle des Bundes bei
                                                                    der Stabilisierung der
Die Kommunen und ihre Unternehmen profitie-                         Kommunalfinanzen
ren mittel- wie unmittelbar von den umfangrei-
chen Maßnahmen des Bundes zur Bewältigung                        Der Bund schultert nicht nur die finanzielle Haupt-
der negativen Folgen des russischen Angriffskriegs.              last zur Bewältigung der Krisen. Er finanziert zu-
Hierzu gehören die drei Entlastungspakete mit ei-                dem über investive Finanzhilfen, soziale Geldleis-
nem Volumen von insgesamt 95 Mrd. Euro, die                      tungen oder die Abgabe seiner Umsatzsteueranteile
u. a. die Abschaffung der EEG-Umlage, Heizkos-                   an Länder und Kommunen in erheblichem Um-
tenzuschüsse, Zuschüsse für energieintensive Un-                 fang Aufgaben mit, die verfassungsrechtlich in die
ternehmen, steuerliche Erleichterungen und die                   originäre Zuständigkeit von Ländern und Kommu-
Wohngeldreform umfassen. Mit der Einrichtung                     nen fallen – z. B. in den Bereichen soziale Sicherung,
eines Abwehrschirms sollen zusätzlich Finanzmit-                 Kinderbetreuung, Bildung und Regionalverkehr.
tel von bis zu 200 Mrd. Euro für die Abfederung von
Preissteigerungen beim Bezug von Gas und Strom                   Dies hat zur Folge, dass die relative Finanzlage
(u. a. Gas- und Strompreisbremse) und für wei-                   zwischen dem Bund und den Ländern (mit ihren
tere Stützungsmaßnahmen für Unternehmen und                      Kommunen) aus dem Gleichgewicht geraten ist.

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Analysen und Berichte                                                              Monatsbericht des BMF
          Bundespolitik und Kommunalfinanzen in Krisenzeiten                                       November 2022

Während Länder und Kommunen im Jahr 2021                         kleineren Gemeinden die Finanzlage an der Er-
einschließlich ihrer Extrahaushalte wieder Fi-                   tragslage einiger weniger (Gewerbe-)Steuerzah-
nanzierungsüberschüsse generierten, realisierte                  lerinnen und -zahler vor Ort. Dies erschwert die

                                                                                                                        Analysen und Berichte
der Bund ein Finanzierungsdefizit von rund                       mittel- bis langfristige Haushaltsplanung und In-
132 Mrd. Euro. Finanzielle Schieflagen zulasten des              vestitionsentscheidungen der Kommunen erheb-
Bundes dürften auch in den folgenden Jahren wei-                 lich. Die kommunale Einnahmestruktur sollte des-
ter fortbestehen.                                                halb insgesamt krisenresilienter werden. Bund,
                                                                 Länder und Kommunen könnten prüfen, ob Wege
Die oben genannten Hilfspakete und finanziellen                  zur strukturellen Verbesserung im kommunalen
Leistungen des Bundes an die Länder und Kom-                     Finanzierungssystem zu finden sind.
munen werden auf lange Sicht erhebliche Mittel
im Bundeshaushalt binden. Der Bund braucht je-
doch finanzielle Spielräume für seine Zukunftsauf-                  Altschuldenhilfe des Bundes
gaben, z. B. für den überregionalen Klimaschutz,
die Energiewende, die digitale Transformation und                Mit Blick auf die aktuell steigenden Zinsen stehen
die Herausforderungen des demografischen Wan-                    vor allem die von hohen Altschulden betroffenen
dels. Zudem muss er für künftige Krisenzeiten ge-                Kommunen erheblich unter Druck. Ein wesentli-
rüstet sein, um das Land wirtschaftlich zu stützen               cher Teil ihrer kommunalen Kassenkredite hat nur
und die Bevölkerung und Unternehmen – so weit                    sehr kurze Laufzeiten und muss kurzfristig um-
wie möglich – gegen die negativen Folgen abzusi-                 geschichtet werden. Dies dürfte die bereits beste-
chern. Hierfür wird der Bund im Jahr 2023 wieder                 henden haushalterischen Engpässe der mit hohen
zur Einhaltung der Regelgrenze der zulässigen Net-               Altschulden belasteten Kommunen noch weiter
tokreditaufnahme gemäß der verfassungsrechtli-                   verschärfen. Es ist zu befürchten, dass gerade diese
chen Schuldenbremse zurückkehren.                                dann wieder vermehrt auf zusätzliche Kassenkre-
                                                                 dite zur Finanzierung ihrer Aufgaben zurückgrei-
Der Bund muss daher verstärkt Prioritäten setzen                 fen müssen.
und die ihm zur Verfügung stehenden Finanzmit-
tel auf seine originären Aufgaben und im Krisenfall              Die Bundesregierung ist – wie im Koalitionsvertrag
auf die Problemlagen mit hoher Systemrelevanz                    vereinbart – dazu bereit, sich an einer Entschul-
konzentrieren. Dies hat auch Implikationen für                   dung der Kommunen zu beteiligen, die sich nicht
die Rolle des Bundes bei der Mitfinanzierung kom-                mehr aus eigener Kraft von ihren hohen Schul-
munaler Aufgaben. Weitere Finanzhilfen oder die                  den befreien können. Für den Bund ist ein solcher
Abgabe von Steuereinnahmen an die Länder und                     Schritt nur einmalig denkbar. Damit er nachhaltig
Kommunen zulasten des Bundes sind mit Blick auf                  wirkt, müssen die Länder eine aufgabengerechte
dessen Haushaltslage nicht geboten. Vielmehr sind                Finanzierung ihrer Kommunen garantieren. Zu-
die Länder gefordert, ihrer vorrangigen Verantwor-               dem müssen entsprechende haushalts- und auf-
tung für eine ausreichende Finanzausstattung ih-                 sichtsrechtliche Rahmenbedingungen geschaffen
rer Kommunen gerecht zu werden. Dies beinhaltet,                 werden, die einem erneuten Aufwuchs der Ver-
ihre Kommunen bei der Bewältigung der krisenbe-                  schuldung effektiv entgegenwirken.
dingten Mehrbelastungen zu unterstützen.
                                                                 Prämisse für die Beteiligung des Bundes an ei-
Die COVID-19-Pandemie hat die hohe Konjunk-                      ner Altschuldenhilfe ist ein übergreifender Kon-
turreagibilität der kommunalen Steuereinnah-                     sens. Unabhängig von der Wahl des Entschul-
men offenbart. Oftmals hängt zudem gerade in                     dungsmodells besteht die Erfordernis einer

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Analysen und Berichte                                                              Monatsbericht des BMF
          Bundespolitik und Kommunalfinanzen in Krisenzeiten                                       November 2022

Grundgesetzänderung bei der Teilübernahme der                        der Bund in die grundgesetzlich geschützte
Altschulden durch den Bund. Für diese Grundge-                       Haushaltswirtschaft der Länder ein, die auch
setzänderung sind Zwei-Drittel-Mehrheiten im                         die Eigenverantwortung für die Folgen der
Bundesrat und im Deutschen Bundestag nötig.                          autonomen haushaltswirtschaftlichen Ent­
Eine rasche Entscheidung bei der Altschuldenfrage                    scheidung einer Kreditaufnahme umfasst,
ist aufgrund der steigenden Zinsen dringend ge-                      und übernähme finanzielle Lasten der Län­
boten. Es soll deshalb nun zügig Klarheit geschaf-                   der. Unabhängig vom konkreten Entschul­
fen werden, ob es die verfassungsändernden Mehr-                     dungsmodell wäre daher eine ausdrückliche
heiten für eine Altschuldenhilfe unter Beteiligung                   Ermächtigung im Grundgesetz erforderlich,
des Bundes im Deutschen Bundestag und Bundes-                        die erst geschaffen werden müsste.
rat gibt.

    Erfordernis einer Grundgesetzänderung bei
                                                                    Fazit
    der Teilübernahme der Altschulden durch
    den Bund                                                     Für die Bewältigung der aktuellen Krisen vor Ort
    Die Aufnahme von Schulden und die Schul­                     und für die kommunale Aufgabenerfüllung be-
    denverwaltung sind Teil der grundgesetz­                     darf es handlungsfähiger Kommunen. Der Bund
    lich geschützten selbständigen und unab­                     hat die Kommunen daher enorm unterstützt und
    hängigen Haushaltswirtschaft von Bund                        wird auch in Zukunft an ihrer Seite stehen. Er ist
    und Ländern inklusive ihrer Kommunen                         bereit, sich an einer Altschuldenlösung der Länder,
    (Art. 109 Abs. 1 Grundgesetz (GG)). Auf der                  deren Kommunen von hohen Altschulden betrof-
    Ausgabenseite ergänzt der Konnexitäts­                       fen sind, zu beteiligen und gemeinsam mit Ländern
    grundsatz die selbstständige und unab­                       und Kommunen Möglichkeiten zur Stabilisierung
    hängige Haushaltswirtschaft von Bund und                     der Kommunalfinanzen zu eruieren.
    Ländern. Demnach tragen Bund und Län­
    der gesondert die Ausgaben, die sich aus der                 Mit Blick auf die enormen krisenbedingten Mehr-
    Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben, so­                      belastungen und die großen Finanzierungsbedarfe
    weit das Grundgesetz nichts anderes be­                      bei den Zukunftsaufgaben in den Bereichen Digi-
    stimmt (Art. 104a Abs. 1 GG). Damit tragen                   talisierung, Klimaschutz und Sozialsysteme stößt
    Bund und Länder inklusive ihrer Kommunen                     der Bund an die Grenzen der finanziellen Belast-
    auch getrennt die Zins- und Tilgungsausga­                   barkeit. Der Abbau der Defizite des Bundes und die
    ben für ihre jeweiligen Schulden. Übernäh­                   Einhaltung der Regelgrenze der Schuldenbremse
    me der Bund die Schulden der Länder (oder                    ab 2023 haben oberste Priorität. Der Bund braucht
    unmittelbar der Kommunen), übernähme                         zudem finanzielle Spielräume, um für künftige Kri-
    er die Verwaltung dieser Schulden aus der                    senzeiten handlungsfähig zu bleiben. Daher muss
    Haushaltswirtschaft des betroffenen Lan­                     nicht nur stärker auf eine ausgewogenere Balance
    des in seine Haushaltswirtschaft und trüge                   der krisenbedingten Belastungen zwischen Bund
    die damit verbundenen Zins- und Tilgungs­                    und Ländern geachtet werden. Der Bund muss
    lasten. Die Schuldenübernahme durchbrä­                      sich auch verstärkt auf seine originären Aufgaben
    che damit sowohl die grundsätzliche Tren­                    konzentrieren. Dies bedeutet, dass die Länder ent-
    nung der Haushalte von Bund und Ländern                      sprechend den grundgesetzlichen Regelungen der
    als auch die autonome Wahrnehmung der                        Finanzverantwortung für ihre Kommunen nach-
    Haushaltswirtschaft und die Lastenvertei­                    kommen und für deren angemessene Finanzaus-
    lung. Durch die Übernahme (sei es durch                      stattung Sorge tragen müssen.
    hoheitlichen Akt oder durch Vertrag) griffe

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