BMF-Monatsbericht November 2022 - "EINE POLITIK FÜR NACHHALTIGE STAATSFINANZEN UND ZUR ENTLASTUNG IN DER KRISE"
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BMF-Monatsbericht November 2022 „EINE POLITIK FÜR NACHHALTIGE STAATSFINANZEN UND ZUR ENTLASTUNG IN DER KRISE“ Steffen Saebisch, Staatssekretär im BMF
Editorial Editorial Monatsbericht des BMF November 2022 werden wir mit der Strom- und Gaspreisbremse be- wältigen: einem umfassenden Abwehrschirm, der Bürgerinnen und Bürger sowie unsere Wirtschaft vor ruinösen Energiepreisen schützt. Dafür haben wir den Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) reak- tiviert. In ihm stehen bis 2024 bis zu 200 Mrd. Euro zur Verfügung, um private und wirtschaftliche Exis- tenzen zu sichern. Durch die zweckgebundene Nutzung des WSF bleibt diese Krisenreaktion klar abgetrennt vom regulären Bundeshaushalt. Die Fi- nanzierung parteipolitischer Vorhaben ist durch den WSF nicht möglich. Das sendet ein klares Signal an die internationalen Finanzmärkte: Deutschlands Fi- nanzen bleiben solide. Liebe Leserinnen, liebe Leser, Auch in anderen Bereichen reagieren wir konse- in einer globalisierten Welt können wir die Heraus- quent. Mit dem Sanktionsdurchsetzungsgesetz II forderungen der Zeit nur international und gemein- verbessern wir die Umsetzung der gegen Russland schaftlich lösen. Das gilt in diesem Jahr ganz beson- verhängten Sanktionen. Dazu bündeln wir Kom- ders. Kein Staat der Welt kann die Unterstützung der petenzen bei einer neuen Zentralstelle für Sankti- Ukraine, die Bekämpfung der Inflation und das Ab- onsdurchsetzung, erweitern die Möglichkeiten zur wenden einer globalen Rezession allein bewältigen – Aufklärung von Eigentumsverhältnissen sowie Ver- all das ist nur in Zusammenarbeit mit unseren inter- mögenswerten und nutzen die Chancen digita- nationalen Partnern möglich. ler Datenbanken. Das ist nicht nur eine Botschaft an all jene, die Wladimir Putins System unterstüt- Die Jahrestagung des Internationalen Währungs- zen. Es zeigt zugleich: Wir machen den Staat auch fonds sowie der Weltbank, die im Oktober in Wash- in einer sich dynamisch wandelnden Gemengelage ington, D.C. stattfand, war deshalb von besonderer effizienter. Bedeutung. Das BMF hat dabei wichtige Gespräche mit unseren Partnerinnen und Partnern geführt – Wir alle, in Deutschland, in Europa und der Welt, über die weltwirtschaftliche Entwicklung einer- sind Putins Angriffskrieg nicht schicksalhaft aus- seits und Finanzhilfen für die Ukraine andererseits. geliefert. Wir stärken die Sanktionsdurchsetzung, Mit afrikanischen Staaten hat es außerdem das Ge- schaffen Entlastungen und stellen uns international spräch über die dortige Schuldensituation gesucht. den Herausforderungen der Zeit. Unser Ziel dabei war und ist, humanitäre Not zu ver- hindern und gleichzeitig die internationale Finanz- Diese Ausgabe unseres Monatsberichts bietet Ihnen stabilität zu sichern. In einer Zeit wie dieser ist es zu all diesen Themen, wie gewohnt, Information umso wichtiger, dass jene, denen Demokratie, Völ- und Orientierung. kerrecht und Freiheit elementare Anliegen sind, en- ger zusammenrücken. Das ist uns in Washington, Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre. D.C. gelungen. Ihr Auch national stehen wir vor großen Aufgaben. Wir haben uns in den vergangenen Jahrzehnten zu selbstverständlich auf günstige fossile Energie verlas- sen. Deswegen trifft uns der Energiekrieg Wladimir Steffen Saebisch Putins besonders hart. Diese Herausforderung Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen 3
Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Mehrbelastungen vermeiden, für mehr Gerechtigkeit_____________7 Mehrbelastungen vermeiden: das Inflationsausgleichsgesetz______________________________________________ 8 Im Interview: Staatssekretär Steffen Saebisch____________________________________________________________ 11 Analysen und Berichte___________________________________________15 Bundespolitik und Kommunalfinanzen in Krisenzeiten__________________________________________________ 16 Ergebnisse der Steuerschätzung vom 25. bis 27. Oktober 2022____________________________________________ 25 Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbankgruppe______________________________ 36 Föderales Forum_________________________________________________________________________________________ 41 35. Treffen der Beteiligungsführungen des Bundes und der Länder_______________________________________ 47 Aktuelle Wirtschafts- und Finanzlage____________________________53 Überblick zur aktuellen Lage_____________________________________________________________________________ 54 Konjunkturentwicklung aus finanzpolitischer Sicht______________________________________________________ 55 Steuereinnahmen im Oktober 2022______________________________________________________________________ 61 Entwicklung des Bundeshaushalts bis einschließlich Oktober 2022_______________________________________ 66 Entwicklung der Kernhaushalte der Länder bis einschließlich September 2022___________________________ 72 Kreditaufnahme des Bundes und seiner Sondervermögen________________________________________________ 74 Aktuelles aus dem BMF__________________________________________81 Termine_________________________________________________________________________________________________ 82 Publikationen___________________________________________________________________________________________ 83 Statistiken und Dokumentationen_______________________________85 Übersichten zur finanzwirtschaftlichen Entwicklung____________________________________________________ 86 Übersichten zur Entwicklung der Länderhaushalte_______________________________________________________ 87 Gesamtwirtschaftliches Produktionspotenzial und Konjunkturkomponenten des Bundes________________ 87 Kennzahlen zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung____________________________________________________ 88
Mehrbelastungen vermeiden, für mehr Mehrbelastungen Gerechtigkeit vermeiden, für mehr Gerechtigkeit Mehrbelastungen vermeiden: das Inflationsausgleichsgesetz 8 Im Interview: Staatssekretär Steffen Saebisch 11
Mehrbelastungen vermeiden, für mehr Gerechtigkeit BMF-Monatsbericht November 2022 Mehrbelastungen vermeiden: das Inflationsausgleichsgesetz ● Der Deutsche Bundestag hat am 10. November 2022 das Gesetz zum Ausgleich der Inflation durch einen fairen Einkommensteuertarif sowie zur Anpassung weiterer steuerlicher Regelun- gen (Inflationsausgleichsgesetz) beschlossen. Gegenüber dem Gesetzentwurf der Bundesregie- rung vom 14. September 2022 wurden die Entlastungen für die Steuerzahlerinnen und Steu- erzahler und Familien deutlich ausgeweitet. Grund ist die neue Datenlage aufgrund der weiter gestiegenen Inflationsrate, die aus den am 2. November 2022 vom Bundeskabinett verabschie- deten Berichten zum Ausgleich der kalten Progression (5. Steuerprogressionsbericht) und zur Freistellung des Existenzminimums (14. Existenzminimumbericht) hervorgeht. ● Das Inflationsausgleichsgesetz stärkt Kaufkraft und sorgt für mehr Leistungsgerechtigkeit und Fairness. Durch die Verschiebung der Tarifeckwerte werden 48 Millionen steuerpflichtige Perso- nen entlastet. Der Effekt der kalten Progression wird ausgeglichen. Besonders Familien profitie- ren, die ab dem 1. Januar 2023 ein für alle Kinder einheitliches Kindergeld in Höhe von 250 Euro pro Monat erhalten werden. Inflationsausgleich: Schutz vor und des 5. Steuerprogressionsberichts2 hervor- Mehrbelastungen geht. Die Berichte wurden am 2. November 2022 vom Bundeskabinett verabschiedet und bestäti- Der Staat soll nicht zum Inflationsgewinner wer- gen die Erwartung, dass die zuvor im Entwurf des den. Das ist ein Gebot der Fairness. Die Bundesre- Inflationsausgleichsgesetzes vorgesehenen Anpas- gierung will verhindern, dass der Staat an der ra- sungen der Freibeträge und des Einkommensteu- santen Preisentwicklung mitverdient. Dies zu ertarifs nicht ausgereicht hätten, um den Preisstei- verhindern, war bereits Ziel des Entwurfs für ein gerungen ausreichend entgegenzuwirken. Für die Inflationsausgleichsgesetz, das am 14. Septem- Preisentwicklung der Konsumausgaben der priva- ber 2022 durch einen Beschluss des Bundeskabi- ten Haushalte werden nun Steigerungsraten von netts auf den Weg gebracht worden war und auf 7,2 Prozent für das Jahr 2022 und 6,3 Prozent für den Daten der Frühjahrsprojektion der Bundes- das Jahr 2023 angenommen. Damit geht erhebliche regierung basiert hatte. Diese hatte eine durch- Kaufkraft verloren, denn der Anstieg der durch- schnittliche Inflationsrate von 6,1 Prozent für das schnittlichen Bruttolöhne und -gehälter je Arbeit- Jahr 2022 vorausgesagt und im Jahr 2023 einen po- nehmer beziehungsweise Arbeitnehmerin wird im tenziellen Rückgang auf 2,8 Prozent. Im parlamen- Jahr 2022 auf lediglich 4,5 Prozent geschätzt, für das tarischen Verfahren ist der Gesetzesentwurf nun an Jahr 2023 auf 5,0 Prozent. Somit sind nach Anpas- die neue Datenlage angepasst worden, die aus den sung des Inflationsausgleichsgesetzes höhere Steu- Projektionen des 14. Existenzminimumberichts1 erentlastungen für die 48 Millionen betroffenen Bürgerinnen und Bürger notwendig. 1 Siehe Shortlink 2 Siehe Shortlink https://www.bundesfinanzministerium.de/mb/20221101 https://www.bundesfinanzministerium.de/mb/20221102 8
Mehrbelastungen vermeiden, für mehr Gerechtigkeit BMF-Monatsbericht Mehrbelastungen vermeiden: das Inflationsausgleichsgesetz November 2022 Mit dem vom Deutschen Bundestag beschlossenen bei Einkommen von mehr als 62.810 Euro nicht Gesetz werden der Grundfreibetrag, die übrigen mehr an, da auf eine Verschiebung der Pro- Tarifeckwerte, die Freigrenze beim Solidaritätszu- portionalzone mit dem Reichensteuersatz von schlag, der Unterhaltshöchstbetrag sowie das Kin- 45 Prozent verzichtet wurde. Dies führt zu dem dergeld und der Kinderfreibetrag angehoben, um Ergebnis, dass auch für sehr hohe Einkommen Schlaglicht die Folgen der Inflation auszugleichen. die Steuerentlastung auf maximal 637 Euro be- grenzt ist. Im Einzelnen bedeutet das: ● Beim Solidaritätszuschlag wird die Freigrenze ● Der Einkommensteuertarif für die Jahre 2023 von bisher 16.956 Euro auf 17.543 Euro (2023) und 2024 wird angepasst. und 18.130 Euro (2024) angehoben. ● Der Grundfreibetrag wird erhöht: Für 2023 ● Der Kinderfreibetrag (einschließlich des Frei- wird gegenüber 2022 eine Anhebung um betrags für den Betreuungs- und Erziehungs- 561 Euro auf 10.908 Euro vorgenommen. oder Ausbildungsbedarf des Kindes) wird rück- Für 2024 ist eine weitere Anhebung um wirkend zum 1. Januar 2022 um 160 Euro auf 696 Euro auf 11.604 Euro vorgesehen. 8.548 Euro erhöht. Zum 1. Januar 2023 wird er um weitere 404 Euro auf 8.952 Euro und ● Die Effekte der kalten Progression werden zum 1. Januar 2024 um weitere 360 Euro auf durch eine Verschiebung des 9.312 Euro erhöht. Einkommensteu-ertarifs ausgeglichen, sodass die Proportio-nalzone mit einem Steuersatz ● Der Höchstbetrag für den steuerlichen Abzug von 42 Prozent erst ab einem zu von Unterhaltsleistungen, dessen Höhe an die versteuernden Einkommen von 62.810 Euro des Grundfreibetrags angelehnt ist, wird eben- (2023) beziehungsweise 66.761 Euro (2024) falls ab dem Jahr 2022 angehoben. erreicht wird. ● Das monatliche Kindergeld wird ab 1. Ja- ● Die Entlastungen durch die Einkommensteu- nuar 2023 einheitlich auf jeweils 250 Euro pro er-Tarifsenkung betragen im Jahr 2023 ma- Kind erhöht. ximal 637 Euro. Dieser Entlastungsbetrag steigt Entlastungen durch das Inflationsausgleichsgesetz in den Jahren 2023 und 2024 Beispielfälle Entlastung 2023 Entlastung 2024 Single, Bruttoarbeitslohn 196 Euro 405 Euro (gegenüber geltendem Recht) 28.800 Euro jährlich 209 Euro (gegenüber 2023) Familie mit 2 Kindern (Alleinverdienende), 934 Euro 1.148 Euro (gegenüber geltendem Recht) Bruttoarbeitslohn 31.200 Euro 214 Euro (gegenüber 2023) Familie mit 2 Kindern (Doppelverdienende), 1.130 Euro 1.540 Euro (gegenüber geltendem Recht) gemeinsamer Bruttoarbeitslohn 56.004 Euro 410 Euro (gegenüber 2023) Familie mit 2 Kindern (Doppelverdienende), 1.184 Euro 1.640 Euro (gegenüber geltendem Recht) gemeinsamer Bruttoarbeitslohn 66.072 Euro 456 Euro (gegenüber 2023) Quelle: Bundesministerium der Finanzen 9
Mehrbelastungen vermeiden, für mehr Gerechtigkeit BMF-Monatsbericht Mehrbelastungen vermeiden: das Inflationsausgleichsgesetz November 2022 Allein im Jahr 2023 unterstützen diese Anpas- Fazit sungen durch das Inflationsausgleichsgesetz die Bürgerinnen und Bürger mit insgesamt über Im Bereich der Besteuerung arbeitet die Bundes- 18,6 Mrd. Euro. Im Jahr 2024 beträgt die Entlastung regierung an Maßnahmen, die die vielen hart ar- weitere 31,8 Mrd. Euro. beitenden Menschen in diesem Land vor weiteren Mehrbelastungen schützen, die in Zeiten der Infla- tion nicht zumutbar wären. Mit dem Ausgleich der kalten Progression wird Leistungsgerechtigkeit in Deutschland garantiert. Denn durch die Anpassung des Einkommensteuertarifs wird eine zusätzliche Belastung der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler verhindert; Lohnsteigerungen zum Ausgleich der Inflation können auch tatsächlich bei den Bürge- rinnen und Bürgern ankommen. 10
Mehrbelastungen vermeiden, für mehr Gerechtigkeit BMF-Monatsbericht November 2022 Schlaglicht Staatssekretär Steffen Saebisch © Bundesministerium der Finanzen/photothek Im Interview: Staatssekretär Steffen Saebisch In ein paar Tagen, also im Ukraine. Damit war die Situation eine komplett Dezember, wird die Bundes andere. Wir waren in der Bundesregierung plötz- lich in einem Krisenmodus. Es haben sich viele regierung auf ein volles Jahr im Dinge überlagert: die starken Nachwirkungen der Amt zurückblicken. Wie lautet Corona-Pandemie, die schnelle Unterstützung der Ihr persönliches Zwischen Ukraine und die große, sicherlich auch historische fazit – insbesondere mit Blick Aufgabe, mit dem Sondervermögen Bundeswehr die Verteidigungsfähigkeit unseres Landes zu stär- auf die Themen des BMF? ken und eine langfristige Modernisierung der Streitkräfte zu erreichen. Zeitgleich mussten wir Das ist eine aufregende, spannende, aber auch sehr auf den Energiekrieg Putins reagieren: Mit dem fordernde Zeit gewesen. Als wir in die Regierungs- Abwehrschirm, den wir im letzten Quartal auf- verantwortung gekommen sind, hatten wir einen gelegt haben, haben wir massive staatliche Mit- ausverhandelten Koalitionsvertrag mit sehr vie- tel eingesetzt, um die Kosten für Strom und Gas in len ambitionierten Themen zur Modernisierung Deutschland auf einem Niveau zu halten, das un- und Transformation Deutschlands. Nach kaum sere Wettbewerbsfähigkeit und die Existenz klei- zwei Monaten kam der Angriff Russlands auf die ner und mittlerer Betriebe sicherstellt. 11
Mehrbelastungen vermeiden, für mehr Gerechtigkeit BMF-Monatsbericht Im Interview: Staatssekretär Steffen Saebisch November 2022 Die Inflation wird uns jetzt wohl länger begleiten. im Sondervermögen Wirtschaftsstabilisierungs- Ich erinnere mich noch an die Prognosen des Jah- fonds (WSF) bündeln, dann dient dies gerade der reswirtschaftsberichts 2022 mit einer Inflationser- Sichtbarkeit und Transparenz. Zudem stellen wir wartung von 3,3 Prozent für das Jahr 2022. Jetzt ist sicher, dass der Kernhaushalt von krisenbedingten sie laut Herbstprojektion der Bundesregierung bei Maßnahmen getrennt ist und dort die Schulden- 8,0 Prozent. Die Inflationsrate wieder zu dämp- bremse greift. fen, ist ganz zentral bei den angebotsausweiten- den Unterstützungsmaßnahmen, die wir jetzt im Und es bleibt dabei, dass wir mit Rekordinvestiti- Bereich des BMF umsetzen. onen im Bundeshaushalt unser Land zukunftsfest machen. Darüber hinaus haben wir uns sehr darum Insgesamt waren wir an allen Fronten im BMF so- bemüht, mit dem Zukunftsfinanzierungsgesetz die wie bei der gemeinsamen Arbeit mit dem Bundes- Rahmenbedingungen im Bereich Aktienkultur zu kanzleramt und dem Bundeswirtschaftsministe- verbessern. Wir haben gemeinsam mit dem BMWK rium (BMWK) zur unterstützenden Stabilisierung eine Start-Up-Strategie vorgelegt und auch im Be- der deutschen Wirtschaft über das Jahr gefordert. reich der Sustainable Finance gute Rahmenbedin- Man hat das Gefühl, dass in diesem Jahr Dinge pas- gungen geschaffen. siert sind, wie sie normalerweise in sieben Jahren passieren. Das BMF hat dankenswerterweise schon Und man muss natürlich auch sehen: Wir ha- einiges an Erfahrung, wenn es um Krisenbewälti- ben die Bürgerinnen und Bürger im ersten Regie- gung geht. rungsjahr massiv entlastet, nicht nur mit den drei Entlastungspaketen, aber auch mit dem Steuer entlastungsgesetz 2022. Zusammen mit dem In- Der russische Angriff auf flationsausgleichsgesetz ist das wahrscheinlich die Ukraine hat die Lage in die größte Steuerentlastung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Deutschland und der Welt grundlegend verändert. Bundesfinanzminister Christian Lindner hat über Was bleibt vom Koalitions das BMF von einem Ermöglichungsministerium vertrag, gerade bei den finanz gesprochen, und dem Anspruch sind wir im ersten Jahr gerecht geworden. politischen Themen? Für uns war ganz wichtig, dass wir nach den Coro- Sie haben gerade das na-Jahren auf einen Pfad zurück zur Einhaltung der Inflationsausgleichsgesetz regulären Grenze der Schuldenbremse kommen. Solide Staatsfinanzen erfordern, dass wir grund- angesprochen, das der sätzlich mit dem auskommen, was wir einneh- Deutsche Bundestag kürzlich men, und uns eben nur moderat verschulden. Der beschlossen hat. Warum zweite Entwurf für den Bundeshaushalt 2022 war ist Ihnen dieses Gesetz so schon ein Kraftakt. Für den Haushalt 2023 haben wir nun einen wesentlichen Teil unseres Verspre- wichtig? chens eingehalten, im Bundeshaushalt die regu- läre Kreditobergrenze der Schuldenbremse wieder Das Inflationsausgleichsgesetz ist ein Gerech- einzuhalten. Es wird gerne von Schattenhaushalten tigkeitsgesetz. Wir haben eine zu hohe Inflation, gesprochen. Ich kann keinen Schatten erkennen. nicht nur in Deutschland, sondern weltweit, ver- Wenn wir z. B. die Finanzierung der vielfältigen ursacht durch den Ukrainekrieg, aber auch durch Maßnahmen des wirtschaftlichen Abwehrschirms die Null-Covid-Strategie Chinas, die gestörten 12
Mehrbelastungen vermeiden, für mehr Gerechtigkeit BMF-Monatsbericht Im Interview: Staatssekretär Steffen Saebisch November 2022 Lieferketten und die hohe Nachfrage nach der Pan- Die jüngste Steuerschätzung demie. Die steuerliche Belastung der Bürgerinnen sagt weiterhin steigende und Bürger steigt durch die Inflation deutlich, was Steuereinnahmen für Bund, man auch an den erwarteten Steuermehreinnah- men sieht. Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, dass Länder und Kommunen voraus. Schlaglicht der Staat von der Inflation nicht von immer höhe- Gibt es damit im Bundes ren Steuereinnahmen profitiert. Wir müssen die haushalt neue Spielräume? zusätzliche inflationsbedingte Belastung der Men- schen zurückgeben. Es profitieren davon die Men- Die Steuerschätzung berücksichtigt nicht unsere schen mit sehr niedrigen Steuern, weil wir das Exis- gerade erst beschlossenen steuerlichen Entlas- tenzminimum stark anheben und das Kindergeld tungen, da sie nur geltendes Recht zugrunde legt. erhöhen. Andererseits nehmen wir auch der Mit- Wenn die neuen Entlastungen mit eingerechnet telschicht eine starke Belastung. Wir schaffen da- werden, können die für die nächsten beiden Jahre mit soziale Gerechtigkeit und gesellschaftliche zu erwartenden Steuereinnahmen gegenüber der Balance in Deutschland, damit insbesondere die Steuerschätzung noch im Mai 2023 sinken. Es gibt Mittelschicht, die unser Land stützt und trägt, nicht daher keine neuen Verteilungsspielräume. Wir ha- zusätzlich belastet wird. ben zudem seit einigen Monaten eine Zinswende, Staatssekretär Steffen Saebisch © Bundesministerium der Finanzen/photothek 13
Mehrbelastungen vermeiden, für mehr Gerechtigkeit BMF-Monatsbericht Im Interview: Staatssekretär Steffen Saebisch November 2022 die zwar lange erwartet wurde, sich aber nun tat- Wie schauen Sie angesichts sächlich im Haushalt mit voller Wucht nieder- der vielen Krisen auf die schlägt. Das führt dazu, dass wir unsere Vorsorge Zukunft Deutschlands? Was bei den Zinsaufwendungen im Haushalt in einem unglaublichen, im historischen Vergleich nicht da- sind die Grundlagen unseres gewesenen Umfang steigern müssen. Im Jahr 2022 zukünftigen Wohlstands in musste der Bund rund 4 Mrd. Euro an Zins Deutschland? ausgaben aufwenden, für das nächste Jahr müssen wir knapp 40 Mrd. Euro vorsehen – eine Verzehnfa- Wir haben weiterhin aufgrund unseres guten Bil- chung im Vergleich zu 2021. Es ist nicht so, dass der dungssystems und unserer dynamischen Hoch- Staat durch Inflation in irgendeiner Form Möglich- schul- und Forschungslandschaft hohes Poten- keiten der Ausgabenerweiterung hätte. Das Gegen- zial für Wachstum und Wohlstand in Deutschland. teil ist der Fall. Die Dynamik bei der Inflation lässt Wenn man sieht, welch hohe Zahl an Patenten wir sich aus geldpolitischer Sicht richtigerweise durch weiterhin haben und wie viel Innovationskraft im höhere Zinsen dämpfen. Daher brauchen wir eine deutschen Mittelstand – den mittelständischen Fa- Beschränkung auf der Ausgabeseite. Wir müssen milienbetrieben, den „hidden champions“ – steckt, unsere angebotsorientierte Politik stärken – und ist das einmalig in der Welt. Wichtig ist, dass wir nicht noch nachfragefördernde konsumtive Politik diesen innovativen Mittelstand bewahren. Das sind betreiben, die die Inflation weiter anheizen würde. die Leistungsträger unserer Gesellschaft, die wir Trotz Inflation besteht weiterhin Konsolidierungs- nicht durch immer höhere Steuern und Abgaben bedarf in den öffentlichen Haushalten. überfordern dürfen. Wir müssen uns im BMF an- schauen, wie wir unsere steuerliche Förderung von Forschung und Entwicklung optimieren können. Bei der Regulierung müssen wir die richtigen Rah- menbedingungen schaffen, gerade im Bereich der Energiewende. Wir haben bei den Unternehmen der Chemie, der Pharmazie und des Automobilbaus Riesenpotenziale, die wir nutzen können und müs- sen. Wir müssen dafür sorgen, dass diese deutschen Firmen hier in Deutschland investieren – und nicht in den USA, in Frankreich, in anderen Teilen Euro- pas oder in Asien. Wir müssen schauen, dass die Energiepreise hier bezahlbar sind und dass kom- petente, gut ausgebildete Arbeitskräfte zur Verfü- gung stehen, dass die Innovationsdynamik zwi- schen Hochschulen, Forschungseinrichtungen und der Wirtschaft weiter bestehen bleibt. Dazu gehört auch, dass wir vermehrt auf qualitativ hochwertige Einwanderung in Deutschland achten. Wenn uns das alles gelingt, haben wir eine gute Ausgangslage, um unseren Wohlstand zu sichern. 14
Analysen und Berichte Analysen und Berichte Bundespolitik und Kommunalfinanzen in Krisenzeiten 16 Ergebnisse der Steuerschätzung vom 25. bis 27. Oktober 2022 25 Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbankgruppe 36 Föderales Forum 41 35. Treffen der Beteiligungsführungen des Bundes und der Länder 47
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF November 2022 Bundespolitik und Kommunalfinanzen in Krisenzeiten ● Die deutschen Kommunen sind in den vergangenen Jahren finanziell insgesamt gut durch die Corona-Krise gekommen. In den Jahren 2020 und 2021 hat die kommunale Ebene Finanzie- rungsüberschüsse von 2,7 Mrd. Euro und 3,0 Mrd. Euro in ihren Kernhaushalten erzielt. 2020 war dieses Ergebnis im Wesentlichen auf die hohen Unterstützungsleistungen von Bund und Ländern zurückzuführen, 2021 – neben den Bundeshilfen – vor allem auf den hohen Anstieg bei den Steuereinnahmen. Das Investitionsniveau stieg 2020 trotz Pandemie weiter deutlich und blieb 2021 auf diesem hohen Niveau nominal annähernd konstant. ● Auch im Jahr 2022 übernimmt der Bund finanzielle Mitverantwortung und unterstützt die Kommunen in vielen Bereichen mit zusätzlichen Mitteln, z. B. bei der Flüchtlingsfinanzierung oder dem öffentlichen Personennahverkehr. Die aktuell vom Bund ergriffenen Maßnahmen zur Bewältigung der Energiekrise, insbesondere die Entlastungspakete und der wirtschaftliche Ab- wehrschirm, dürften auch erheblich zur Stabilisierung der kommunalen Finanzlage beitragen. ● Gemäß der Projektion des BMF vom 28. September 2022 zur Deutschen Haushaltsplanung (Draft Budgetary Plan) trüben sich die Aussichten für die kommunalen Haushalte im Zuge der aktuellen Krisen ein: Für 2022 rechnet das BMF mit einem Defizit von rund 1 ½ Mrd. Euro und 2023 von rund 3 Mrd. Euro. Hierbei sind die finanziellen Auswirkungen des Entlastungs- pakets III bereits berücksichtigt. Mit Blick auf die Ergebnisse der Steuerschätzung vom 27. Ok- tober 2022 und die Ergebnisse des Bund-Länder-Treffens vom 2. November 2022 dürfte sich die kommunale Finanzsituation besser darstellen. ● Es gibt viele Kommunen mit hohen Altschulden, die sich nicht mehr aus eigener Kraft aus dieser Situation befreien können. Durch die steigenden Zinsen geraten die Haushalte dieser Kommu- nen nun erheblich unter Druck. Der Bund ist unverändert bereit, gemeinsam mit den betrof- fenen Ländern diese Kommunen von den Altschulden zu befreien, wofür es allerdings einer Änderung des Grundgesetzes bedarf. Einleitung Vordergrund gerückt. Zugleich belasten die stark gestiegenen Energie- und Verbraucherpreise in- Seit mehr als zwei Jahren erfüllen die Kommunen folge des Kriegs die kommunalen Haushalte er- zentrale Aufgaben bei der Bewältigung von Krisen heblich. Es besteht deshalb die Sorge, dass die vor Ort. Während der COVID-19-Pandemie 2020 Kommunen ihre Aufgabenerfüllung und Investi- und 2021 betraf dies insbesondere die Bereiche Bil- tionstätigkeit deutlich einschränken müssen. Fol- dung, Gesundheit und öffentlicher Nahverkehr. gender Beitrag beleuchtet die Auswirkungen der Mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukra- aktuellen Krisen auf die Finanzlage der Kommu- ine ist auch die Unterbringung, Versorgung und nen und die Rolle des Bundes hierbei. Integration geflüchteter Menschen wieder in den 16
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Bundespolitik und Kommunalfinanzen in Krisenzeiten November 2022 Die kommunale Finanzlage zu den Vorkrisenjahren (in 2019: 94,1 Mrd. Euro) auf. Analysen und Berichte Die kommunale Haushaltslage in Anders als im Jahr 2020 war der Überschuss im den Pandemiejahren Jahr 2021 vor allem auf die positive Entwick- lung bei den Steuereinnahmen zurückzuführen. Die Finanzlage der kommunalen Ebene insge- Diese erholten sich 2021 nach einem Einbruch um samt war in den vergangenen Jahren – trotz der 5,7 Prozent im Jahr 2020 wieder stark und stiegen COVID-19-Pandemie – weiter positiv. Im Jahr 2020 um 15,2 Prozent auf 113,4 Mrd. Euro an. Im Zeit- betrug der Finanzierungssaldo in den Kernhaus- raum von 2012 bis 2021 stiegen damit die gemeind- halten der Kommunen bundesweit +2,7 Mrd. Euro. lichen Steuereinnahmen pro Jahr durchschnittlich 2021 erzielten die Kommunen einen Finanzie- um 4,8 Prozent. Unter den gemeindlichen Steuer rungssaldo von +3,0 Mrd. Euro und wiesen damit einnahmen stellt die Gewerbesteuer mit einem zum zehnten Jahr in Folge einen größtenteils deut- Einnahmevolumen von netto (d. h. nach Abzug der lichen Finanzierungsüberschuss auf. Kumuliert be- an Bund und Länder fließenden Gewerbesteuer- trachtet wurde damit im Zeitraum 2012 bis 2021 umlage) 50,7 Mrd. Euro im Jahr 2021 die wichtigste auf kommunaler Ebene ein Finanzierungsüber- Steuer dar. Da die Gewerbesteuer stark von der Er- schuss von 41,6 Mrd. Euro realisiert. tragslage der Unternehmen abhängt, verzeichne- ten die Gemeinden im Jahr 2020 hier einen Rück- Für das positive Ergebnis im Jahr 2020 waren vor gang des Aufkommens von 8,9 Mrd. Euro (brutto), allem die massiven Unterstützungsleistungen von der durch das Auslaufen der erhöhten Gewerbe- Bund und Ländern zur Abfederung der wirtschaft- steuerumlage („Solidarpaktumlage“) teilweise auf- lichen Folgen der COVID-19-Pandemie verant- gefangen wurde. Die Einnahmen aus der Gewerbe- wortlich. 2020 stiegen die laufenden Zuweisungen steuer sanken im Jahr 2020 netto um 4,9 Mrd. Euro der Länder an die Kommunen stark an (+21,0 Pro- gegenüber dem Jahr 2019. 2021 nahmen sie um zent gegenüber dem Vorjahr) und beliefen sich auf 13,0 Mrd. Euro (+34,6 Prozent) auf 50,7 Mrd. Euro 113,9 Mrd. Euro. Da der Bund die staatsorganisa- wieder zu und lagen damit über den Erwartun- tionsrechtlich zu ihren jeweiligen Ländern gehö- gen der letzten Steuerschätzung vor der Pandemie. renden Kommunen grundsätzlich nicht direkt fi- Weitestgehend robust blieb eine weitere wichtige nanziell unterstützen kann, erfolgen finanzielle Einnahmequelle der Gemeinden, die Steuerein- Entlastungen der Kommunen durch den Bund in nahmen der Gemeinden aus den Gemeinschafts- der Regel über die Länder. Hinter einem großen steuern Einkommensteuer und Umsatzsteuer. Teil der oben dargestellten Zuwächse der laufen- Diese reduzierten sich 2020 nur um 2,1 Prozent. den Zuweisungen der Länder stecken daher finan- 2021 lagen auch sie mit 48,2 Mrd. Euro über dem zielle Mittel des Bundes. Beispielsweise erhielten Vorkrisenniveau von 2019. Städte und Gemeinden im Jahr 2020 von Bund und Ländern einen pauschalen Ausgleich für die Ausgabenseitig blieben die Kommunen insgesamt erwarteten Gewerbesteuerausfälle in Höhe von von deutlichen Mehrbelastungen infolge der Pan- rund 11,8 Mrd. Euro. Der Bund finanzierte hier- demie weitgehend verschont. Einen großen Anteil von 6,1 Mrd. Euro. Zudem wurden im Zuge der an den Gesamtausgaben (2021: 286,0 Mrd. Euro) Corona-Krise Leistungen des Bundes weiter aus- stellten die kommunalen Sozialausgaben (2021: geweitet – z. B. bei den Sozialausgaben durch eine 64,4 Mrd. Euro) dar. Sie nahmen 2020 um 2,7 Pro- dauerhaft höhere Beteiligung an den Kosten der zent (+1,6 Mrd. Euro) und 2021 um weitere 3,4 Pro- Unterkunft nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II). zent (+2,1 Mrd. Euro) gegenüber dem Vorjahr zu – Im Jahr 2021 waren die laufenden Zuweisungen und damit etwas stärker als vor der Krise (in 2019: mit 107,3 Mrd. Euro geringer als im Jahr 2020, wie- +2,2 Prozent). Die höhere Zunahme im Jahr 2021 im sen aber weiterhin ein hohes Niveau im Vergleich Vergleich zu 2020 lässt sich auch dadurch erklären, 17
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Bundespolitik und Kommunalfinanzen in Krisenzeiten November 2022 dass die Auswirkungen von Krisen auf die Sozial- Die kommunalen Schulden ausgaben mit zeitlicher Verzögerung in den öf- fentlichen Haushalten sichtbar werden. Den ent- Die gute Finanzlage der Kommunen in den Pan- standenen Mehrausgaben wirken aber die oben demiejahren 2020 und 2021 spiegelt sich auch in genannten Mehreinnahmen durch die erhöhte Be- der Entwicklung der kommunalen Schulden wie- teiligung des Bundes an den Kosten der Unterkunft der (s. a. Abbildung 1). Seit 2017 war die kommu- von jährlich 4 Mrd. Euro entgegen. nale Gesamtverschuldung mit Ausnahme von 2020 in jedem Jahr rückläufig. Zum Jahresende 2021 be- Trotz Pandemie wurde die kommunale Investiti- lief sich der kommunale Schuldenstand der Kern- onstätigkeit 2020 weiter gesteigert und 2021 no- haushalte – bestehend aus investiven Krediten, minal auf hohem Niveau weitestgehend stabili- Kassenkrediten und Wertpapierschulden – beim siert. So stiegen die Sachinvestitionen im Jahr 2020 nicht-öffentlichen und öffentlichen Bereich auf wie schon die Jahre zuvor (2018: +12,7 Prozent, 122,4 Mrd. Euro. 2019: 15,0 Prozent) weiter um 12,1 Prozent auf 35,4 Mrd. Euro deutlich an. 2021 gingen diese leicht auf 34,6 Mrd. Euro zurück. Im Jahr 2020 wurden die Investive Kredite Investitionszuweisungen an die Kommunen deut- sind Kredite oder Darlehen, die nur für In lich ausgeweitet (+20,4 Prozent) auf 11,8 Mrd. Euro vestitionen und unter der Voraussetzung und sie lagen auch im Jahr 2021 weiterhin auf die- aufgenommen werden dürfen, dass eine an sem hohen Niveau. Einen wesentlichen Beitrag dere Finanzierung nicht möglich oder un zur Stärkung der Investitionstätigkeit der Kom- zweckmäßig wäre. munen leistete dabei die umfangreiche Unter- stützung durch den Bund z. B. in den Bereichen Kassenkredite Ganztagsschule, Schulinfrastruktur, sozialer Woh- (auch: Kassenverstärkungskredite) sind Kre nungsbau, öffentlicher Personennahverkehr und dite mit kurzen Laufzeiten, die zur Deckung Kommunalinvestitionen. kurzfristiger Liquiditätsengpässe dienen. Sie entsprechen etwa dem Überziehungskredit (Dispokredit) von Haushalten oder Unter nehmen und sind zeitnah – häufig unterjäh rig – zu tilgen. Hohe Kassenkreditbestän de gelten als Indikator für eine strukturelle Unterfinanzierung einer Gemeinde. Finanz schwache Kommunen nutzen häufig dieses kurzfristige Instrument zur dauerhaften Fi nanzierung ihrer laufenden Aufgaben. Wertpapierschulden sind Kapitalmarktpapiere, u. a. Anleihen, die nur vereinzelt und tendenziell von größeren Kommunen am Kapitalmarkt aufgelegt wer den. Für die wirtschaftliche Nutzung dieses Instruments werden große Volumina benö tigt, die von den meisten Kommunen nicht erreicht werden. 18
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Bundespolitik und Kommunalfinanzen in Krisenzeiten November 2022 Abbildung 1 Kommunale Schulden beim nicht-öffentlichen und öffentlichen Bereich , Kernhaushalte Analysen und Berichte in Mrd. Euro 160 140 120 100 82,5 81,4 81,2 80,9 82,3 81,3 80 83,0 82,8 85,7 87,2 60 0,2 0,6 1,3 2,0 2,4 2,9 40 3,0 3,0 3,4 3,2 20 47,9 48,6 49,7 49,7 49,7 46,3 39,5 35,4 33,7 32,0 0 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 Kassenkredite Wertpapiermarktschulden investive Kredite Quelle: Statistisches Bundesamt, Schuldenstatistik Der Rückgang beim Schuldenstand war durch den Nach Hessen und dem Saarland will 2023 nun Abbau bei den Kassenkrediten bedingt. So sank der auch Rheinland-Pfalz damit beginnen, seine Kom- Kassenkreditbestand 2020 und 2021 jeweils um circa munen durch eine Altschuldenhilfe im Umfang 5 Prozent auf ein Niveau von rund 32,0 Mrd. Euro von 3 Mrd. Euro zu entschulden. Die hierfür not- im Jahr 2021. Er lag damit 36 Prozent unter dem wendigen gesetzlichen Grundlagen werden der- Höchststand des Jahres 2014. Am aktuellen Rand zeit geschaffen. Die Regierungsparteien in Nord- steigen die Kassenkredite wieder leicht an (Stand rhein-Westfalen haben im Koalitionsvertrag 30. Juni 2022: 32,4 Mrd. Euro). Allerdings sind diese ebenfalls eine Altschuldenlösung in Aussicht ge- unterjährigen Zahlen nur von begrenzter Aussage- stellt. Trotz der Konsolidierungsanstrengungen kraft. Der stetige Rückgang der kommunalen Kas- vieler Kommunen bei den Altschulden ist eine senkredite in den vergangenen Jahren ist im We- Vielzahl weiterhin mit hohen Kassenkrediten be- sentlichen auf zwei Faktoren zurückzuführen: die lastet, insbesondere Nordrhein-Westfalen, Rhein- positive kommunale Finanzlage und die Wirkung land-Pfalz und das Saarland. Während bundesweit der kommunalen Entschuldungsprogramme ins- der Durchschnitt der kommunalen Kassenkredite besondere des Landes Hessen („Hessenkasse“) und zum 31. Dezember 2021 bei 416 Euro je Einwohner des Saarlandes („Saarlandpakt“). Durch die Hessen- lag, betrug er in diesen drei Ländern jeweils über kasse verringerte sich der Bestand an kommunalen 1.000 Euro. Kassenkrediten im Jahr 2018 um 5 Mrd. Euro. Im Rahmen des Saarlandpaktes wurden Kassenkredite in Höhe von 1 Mrd. Euro vom Land übernommen. 19
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Bundespolitik und Kommunalfinanzen in Krisenzeiten November 2022 Die kommunale Finanzlage in der unterschiedlichen Unterstützungsmaßnahmen des aktuellen Krise Bundes – gerechnet. So könnten die Investitionen im Jahr 2022 um rund 9 Prozent und im Jahr 2023 Neben den andauernden Folgen der Pandemie hat um rund 7 Prozent zunehmen. die russische Invasion in der Ukraine eine neue Krise hervorgerufen, die alle föderalen Ebenen in Bei den Einnahmen wird in der Projektion für das vielerlei Hinsicht vor große Herausforderungen aktuelle Jahr eine deutliche Zunahme in Höhe von stellt: die Energieknappheit, massive Preissteige- +5 ½ Prozent (+2 ½ Prozent im Jahr 2023) geschätzt. rungen vor allem bei Gas und Strom sowie die hohe Begründet ist dies durch den Anstieg bei den lau- Flüchtlingszuwanderung aus der Ukraine. Die Be- fenden Zuweisungen der Länder an die Gemeinden wältigung dieser Herausforderungen stellt eine er- um rund 10 Mrd. Euro (+9 Prozent). Hier wirken hebliche finanzielle Belastung für alle föderalen sich vor allem die höheren finanziellen Leistungen Ebenen dar – auch für die Kommunen. des Bundes, z. B. bei den Kosten der Unterkunft, bei den Erstattungen der Grundsicherung und bei Die Projektion des BMF vom 28. September 2022 der Flüchtlingsfinanzierung, sowie die gestiegenen für die gesamtstaatliche Haushaltsplanung 2023 Steuereinnahmen der Länder aus. Daneben dürf- (Draft Budgetary Plan)1 erwartet für die Kernhaus- ten die Investitionszuweisungen, die auch investive halte der Kommunen in den Jahren 2022 bis 2025 Mittel des Bundes beinhalten, vor allem durch den Finanzierungsdefizite von rund 1 ½ Mrd. Euro verstärkten Mittelabruf aus dem Aufbauhilfefonds (2022), rund 3 Mrd. Euro (2023), rund 3 ½ Mrd. Euro im Jahr 2022 um 5 ½ Mrd. Euro (+44 ½ Prozent) ge- (2024) und rund 1 ½ Mrd. Euro (2025). Zum Ende genüber dem Vorjahr ansteigen (2023: +5 ½ Pro- des Finanzplanungszeitraums 2026 wird wieder zent gegenüber dem Vorjahr). Bei den Steuern wird mit einem Finanzierungsüberschuss für die kom- demgegenüber im laufenden Jahr von Stagnation munale Ebene gerechnet. Die Ausgaben dürften vor ausgegangen; 2023 wird mit einem Zuwachs von allem im Jahr 2022 überdurchschnittlich stark zu- +3 ½ Prozent gerechnet. nehmen (+7 ½ Prozent gegenüber 2021). Ab 2023 wird dagegen ein moderates Ausgabenwachstum Die Projektion umfasst die Maßnahmen des drit- von jährlich +3 Prozent erwartet. Einen starken Zu- ten Entlastungspakets der Bundesregierung vom wachs zeigt im Jahr 2022 der laufende Sachaufwand 3. September 2022 (im Umfang von 65 Mrd. Euro), mit +7 Prozent, der u. a. durch die Mehraufwen- nicht jedoch den von der Bundesregierung am dungen im Zuge des Online-Zugangsgesetzes und 29. September 2022 beschlossenen wirtschaftli- durch die allgemeinen Preissteigerungen zu erklä- chen Abwehrschirm gegen die Folgen des russi- ren ist. Daneben dürften auch die Zuschüsse an an- schen Angriffskriegs in einem Umfang von bis zu dere Bereiche – die insbesondere die Sozialausga- 200 Mrd. Euro. ben der Kommunen beinhalten – mit +6 ½ Prozent insbesondere infolge der Flüchtlingszuwanderung Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der aktuel- stark ansteigen. Die prognostizierten Ausgaben len Steuerschätzung vom 25. Oktober 2022 könn- für Soziales nehmen hierbei um rund 6 Prozent ten sich die Einschätzungen zu den kommunalen (2023:+1 ½ Prozent) zu. Deutliche Zuwächse wer- Finanzierungssalden gegenüber der oben darge- den auch bei den Personalausgaben mit +6 Prozent stellten Prognose verbessern. Hierbei ist zu beach- im Jahr 2022 und +4 Prozent im Jahr 2023 geschätzt. ten, dass die Ergebnisse der Projektion aufgrund Trotz der aktuellen Unsicherheiten über den wei- unterschiedlicher Abgrenzungen und der unter- teren Verlauf der Krisen wird mit einer weiterhin schiedlichen Berücksichtigung geplanter Steuer- hohen Investitionstätigkeit – angeregt durch die rechtsänderungen mit den Ergebnissen der Steu- erschätzung nur bedingt vergleichbar sind. Nach der aktuellen Steuerschätzung fallen die Steuer 1 Vgl. https://www.bundesfinanzministerium.de/mb/20221111 einnahmen des Staates – insbesondere die der 20
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Bundespolitik und Kommunalfinanzen in Krisenzeiten November 2022 Gemeinden – für die nächsten Jahre deutlich höher Krisenunterstützung der aus als noch im Mai erwartet (siehe hierzu den Ar- Kommunen durch den Bund tikel „Ergebnisse der Steuerschätzung vom 25. bis Analysen und Berichte 27. Oktober 2022“ in diesem Monatsbericht). Die geschätzten Wachstumsraten der gemeindlichen Finanzielle Entlastungen durch den Steuereinnahmen – einschließlich die der Stadt- Bund staaten – betragen +4,9 Prozent (2022), +5,6 Prozent (2023), +5,7 Prozent (2024, 2025) und +4,0 Prozent Zur positiven Finanzlage der Kommunen in den (2026). Mehreinnahmen im Vergleich zur Mai-Steu- Pandemiejahren 2020 und 2021 haben vor allem erschätzung ergeben sich vor allem bei der Gewer- die umfangreichen Entlastungen durch den Bund besteuer (+6,3 Mrd. Euro 2022, +5,9 Mrd. Euro 2023). in mehrstelliger Milliardenhöhe beigetragen. Nen- Dies ist zum einen auf die weiterhin kräftige Aus- nenswerte Maßnahmen des Bundes zugunsten der gangsbasis aus den laufenden Steuereinnahmen Kommunen sind – neben der oben genannten Be- zurückzuführen. Zum anderen liegt der Steuer- teiligung des Bundes an der Kompensation der er- schätzung eine überwiegend höhere Projektion warteten Gewerbesteuermindereinnahmen 2020 der nominalen gesamtwirtschaftlichen Eckwerte in Höhe von 6,1 Mrd. Euro – insbesondere die hälf- und Bemessungsgrundlagen zugrunde als noch im tige Kompensation pandemiebedingter Mehrbelas- Frühjahr. Im Gegensatz zur Projektion für die ge- tungen im ÖPNV von 3,5 Mrd. Euro, 4 Mrd. Euro im samtstaatliche Haushaltsplanung sind in der Steu- Rahmen des Paktes für den öffentlichen Gesund- erschätzung allerdings einige von der Bundes- heitsdienst sowie weitere 1,5 Mrd. Euro im Rah- regierung beschlossene Maßnahmen des dritten men des DigitalPaktes Schule. Für die Stärkung der Entlastungspakets, die sich noch in parlamentari- kommunalen Finanzkraft von herausgehobener fi- schen Beratungen befinden, nicht berücksichtigt, nanzieller Bedeutung ist die dauerhafte Erhöhung insbesondere das Jahressteuergesetz 2022 sowie der Bundesbeteiligung an den Kosten der Unter- das Inflationsausgleichsgesetz. Ersteres ist vollstän- kunft nach SGB II um 25 Prozentpunkte auf bis zu dig, Letzteres mit Stand des Gesetzentwurfs vom 75 Prozent seit 2020 (4 Mrd. Euro p. a.), die vor allem 15. September 2022 in der Projektion abgebildet. die Kommunen mit hohen Sozialausgaben deutlich entlasten sollte. Eine umfassende Darstellung der Auch die Ergebnisse der Besprechung des Bundes- finanziellen Unterstützungsleistungen des Bundes kanzlers Olaf Scholz mit den Ministerpräsiden- für die Kommunen in den Jahren 2020 und 2021 tinnen und -präsidenten am 2. November 2022 findet sich im Monatsbericht vom September 2021.2 dürften sich positiv auf die Kommunalfinanzen auswirken. Deutliche Entlastungen für die Kom- Auch in diesem Jahr stellt die Bundesregierung munen ergeben sich insbesondere – wie im fol- weitere umfangreiche Bundesmittel zugunsten der genden Abschnitt näher beschrieben – durch die Länder und ihrer Kommunen bereit, z. B. in den Be- zusätzlichen Bundesmittel im Flüchtlingsbereich reichen ÖPNV und Flüchtlingsfinanzierung. So be- und im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). teiligt sich der Bund nicht nur hälftig an den pan- Auf der Ausgabenseite dürften sich hingegen ge- demiebedingten Einnahmeausfällen im ÖPNV des änderte Einschätzungen aufgrund der mit der Jahres 2022 (1,2 Mrd. Euro). Bei der Besprechung des Herbstprognose der Bundesregierung stark nach Bundeskanzlers Olaf Scholz mit den Regierungs- oben revidierten Erwartung bezüglich der Inflati- chefinnen und -chefs der Länder am 2. Novem- onsentwicklung ergeben. Eine aktuelle Projektion ber 2022 wurde u. a. entschieden, dass der Bund ab der Einnahmen und Ausgaben der öffentlichen dem Jahr 2022 zusätzliche Regionalisierungsmittel Haushalte, die die Ergebnisse der Herbstprognose, von 1 Mrd. Euro jährlich zur Verfügung stellt, die der Steuerschätzung und der aktuellen Bund-Län- der-Beschlüsse abbildet, wird dem Stabilitätsrat am 16. Dezember 2022 vorgelegt. 2 Vgl. https://www.bundesfinanzministerium.de/mb/20221112 21
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Bundespolitik und Kommunalfinanzen in Krisenzeiten November 2022 mit 3 Prozent (statt vorher 1,8 Prozent) dynamisiert Gasimporteure zur Verfügung gestellt werden. All werden. diese Maßnahmen dienen dazu, Verbraucher und Unternehmen von den steigenden Energiepreisen Gemäß Bund-Länder-Beschluss vom 7. April 2022 zu entlasten, die Energieversorgung aufrechtzuer- unterstützt der Bund Länder und Kommunen bei halten, strukturelle wirtschaftliche Schäden zu ver- der Unterbringung, Verpflegung und Betreuung hindern und Arbeitsplätze zu erhalten. Kommu- der Geflüchteten aus der Ukraine – insbesondere nen kommt dies in vielerlei Hinsicht zugute. Sie durch die Anhebung des Umsatzsteueranteils für werden insbesondere vor hohen Einnahmeausfäl- die Länder um 2 Mrd. Euro im Jahr 2022 zulasten len bewahrt, z. B. bei der Gewerbesteuer, und dras- des Bundes sowie durch die beschleunigte Über- tischen Mehrausgaben, z. B. in der Verwaltung und führung der Geflüchteten aus dem Asylbewerber- im Sozialbereich. Beim Bund-Länder-Gespräch am leistungsgesetz in den Geltungsbereich des SGB II/ 2. November 2022 wurde außerdem beschlossen, XII. Leistungen im SGB II/XII finanziert überwie- dass Stadtwerken bei Liquiditätsbedarfen über die gend der Bund. eingerichteten Systeme der Kreditanstalt für Wie- deraufbau, anderen Förderbanken oder vergleich- Beim Bund-Länder-Treffen am 2. November 2022 baren Einrichtungen mit geeigneten Instrumenten wurden weitere finanzielle Unterstützungsleistun- Hilfen geleistet werden können. Zudem sollen aus gen des Bundes beschlossen, die auch den Kommu- den Mitteln des Wirtschaftsstabilisierungsfonds nen zugutekommen sollen: Danach erhalten die auch Härtefallhilfen u. a. für Krankenhäuser, Uni- Länder vom Bund für die Jahre 2022 und 2023 je- versitätskliniken und Pflegeeinrichtungen finan- weils weitere 1,5 Mrd. Euro für ihre Ausgaben für ziert werden. die Geflüchteten aus der Ukraine. Zudem gewährt der Bund den Ländern für die Kosten im Zusam- Die finanziellen Belastungen der Entlastungspa- menhang mit denjenigen Geflüchteten, die aus an- kete und des Abwehrschirms trägt – wie bereits deren Staaten nach Deutschland kommen, ab dem beim Konjunktur- und Krisenbewältigungspa- Jahr 2023 eine allgemeine flüchtlingsbezogene ket 2020 – zum allergrößten Teil der Bund selbst. Pauschale in Höhe von 1,25 Mrd. Euro (anstatt der bisherigen Pauschale für unbegleitete minderjäh- rige Flüchtlinge in Höhe von 350 Mio. Euro). Die Rolle des Bundes bei der Stabilisierung der Die Kommunen und ihre Unternehmen profitie- Kommunalfinanzen ren mittel- wie unmittelbar von den umfangrei- chen Maßnahmen des Bundes zur Bewältigung Der Bund schultert nicht nur die finanzielle Haupt- der negativen Folgen des russischen Angriffskriegs. last zur Bewältigung der Krisen. Er finanziert zu- Hierzu gehören die drei Entlastungspakete mit ei- dem über investive Finanzhilfen, soziale Geldleis- nem Volumen von insgesamt 95 Mrd. Euro, die tungen oder die Abgabe seiner Umsatzsteueranteile u. a. die Abschaffung der EEG-Umlage, Heizkos- an Länder und Kommunen in erheblichem Um- tenzuschüsse, Zuschüsse für energieintensive Un- fang Aufgaben mit, die verfassungsrechtlich in die ternehmen, steuerliche Erleichterungen und die originäre Zuständigkeit von Ländern und Kommu- Wohngeldreform umfassen. Mit der Einrichtung nen fallen – z. B. in den Bereichen soziale Sicherung, eines Abwehrschirms sollen zusätzlich Finanzmit- Kinderbetreuung, Bildung und Regionalverkehr. tel von bis zu 200 Mrd. Euro für die Abfederung von Preissteigerungen beim Bezug von Gas und Strom Dies hat zur Folge, dass die relative Finanzlage (u. a. Gas- und Strompreisbremse) und für wei- zwischen dem Bund und den Ländern (mit ihren tere Stützungsmaßnahmen für Unternehmen und Kommunen) aus dem Gleichgewicht geraten ist. 22
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Bundespolitik und Kommunalfinanzen in Krisenzeiten November 2022 Während Länder und Kommunen im Jahr 2021 kleineren Gemeinden die Finanzlage an der Er- einschließlich ihrer Extrahaushalte wieder Fi- tragslage einiger weniger (Gewerbe-)Steuerzah- nanzierungsüberschüsse generierten, realisierte lerinnen und -zahler vor Ort. Dies erschwert die Analysen und Berichte der Bund ein Finanzierungsdefizit von rund mittel- bis langfristige Haushaltsplanung und In- 132 Mrd. Euro. Finanzielle Schieflagen zulasten des vestitionsentscheidungen der Kommunen erheb- Bundes dürften auch in den folgenden Jahren wei- lich. Die kommunale Einnahmestruktur sollte des- ter fortbestehen. halb insgesamt krisenresilienter werden. Bund, Länder und Kommunen könnten prüfen, ob Wege Die oben genannten Hilfspakete und finanziellen zur strukturellen Verbesserung im kommunalen Leistungen des Bundes an die Länder und Kom- Finanzierungssystem zu finden sind. munen werden auf lange Sicht erhebliche Mittel im Bundeshaushalt binden. Der Bund braucht je- doch finanzielle Spielräume für seine Zukunftsauf- Altschuldenhilfe des Bundes gaben, z. B. für den überregionalen Klimaschutz, die Energiewende, die digitale Transformation und Mit Blick auf die aktuell steigenden Zinsen stehen die Herausforderungen des demografischen Wan- vor allem die von hohen Altschulden betroffenen dels. Zudem muss er für künftige Krisenzeiten ge- Kommunen erheblich unter Druck. Ein wesentli- rüstet sein, um das Land wirtschaftlich zu stützen cher Teil ihrer kommunalen Kassenkredite hat nur und die Bevölkerung und Unternehmen – so weit sehr kurze Laufzeiten und muss kurzfristig um- wie möglich – gegen die negativen Folgen abzusi- geschichtet werden. Dies dürfte die bereits beste- chern. Hierfür wird der Bund im Jahr 2023 wieder henden haushalterischen Engpässe der mit hohen zur Einhaltung der Regelgrenze der zulässigen Net- Altschulden belasteten Kommunen noch weiter tokreditaufnahme gemäß der verfassungsrechtli- verschärfen. Es ist zu befürchten, dass gerade diese chen Schuldenbremse zurückkehren. dann wieder vermehrt auf zusätzliche Kassenkre- dite zur Finanzierung ihrer Aufgaben zurückgrei- Der Bund muss daher verstärkt Prioritäten setzen fen müssen. und die ihm zur Verfügung stehenden Finanzmit- tel auf seine originären Aufgaben und im Krisenfall Die Bundesregierung ist – wie im Koalitionsvertrag auf die Problemlagen mit hoher Systemrelevanz vereinbart – dazu bereit, sich an einer Entschul- konzentrieren. Dies hat auch Implikationen für dung der Kommunen zu beteiligen, die sich nicht die Rolle des Bundes bei der Mitfinanzierung kom- mehr aus eigener Kraft von ihren hohen Schul- munaler Aufgaben. Weitere Finanzhilfen oder die den befreien können. Für den Bund ist ein solcher Abgabe von Steuereinnahmen an die Länder und Schritt nur einmalig denkbar. Damit er nachhaltig Kommunen zulasten des Bundes sind mit Blick auf wirkt, müssen die Länder eine aufgabengerechte dessen Haushaltslage nicht geboten. Vielmehr sind Finanzierung ihrer Kommunen garantieren. Zu- die Länder gefordert, ihrer vorrangigen Verantwor- dem müssen entsprechende haushalts- und auf- tung für eine ausreichende Finanzausstattung ih- sichtsrechtliche Rahmenbedingungen geschaffen rer Kommunen gerecht zu werden. Dies beinhaltet, werden, die einem erneuten Aufwuchs der Ver- ihre Kommunen bei der Bewältigung der krisenbe- schuldung effektiv entgegenwirken. dingten Mehrbelastungen zu unterstützen. Prämisse für die Beteiligung des Bundes an ei- Die COVID-19-Pandemie hat die hohe Konjunk- ner Altschuldenhilfe ist ein übergreifender Kon- turreagibilität der kommunalen Steuereinnah- sens. Unabhängig von der Wahl des Entschul- men offenbart. Oftmals hängt zudem gerade in dungsmodells besteht die Erfordernis einer 23
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Bundespolitik und Kommunalfinanzen in Krisenzeiten November 2022 Grundgesetzänderung bei der Teilübernahme der der Bund in die grundgesetzlich geschützte Altschulden durch den Bund. Für diese Grundge- Haushaltswirtschaft der Länder ein, die auch setzänderung sind Zwei-Drittel-Mehrheiten im die Eigenverantwortung für die Folgen der Bundesrat und im Deutschen Bundestag nötig. autonomen haushaltswirtschaftlichen Ent Eine rasche Entscheidung bei der Altschuldenfrage scheidung einer Kreditaufnahme umfasst, ist aufgrund der steigenden Zinsen dringend ge- und übernähme finanzielle Lasten der Län boten. Es soll deshalb nun zügig Klarheit geschaf- der. Unabhängig vom konkreten Entschul fen werden, ob es die verfassungsändernden Mehr- dungsmodell wäre daher eine ausdrückliche heiten für eine Altschuldenhilfe unter Beteiligung Ermächtigung im Grundgesetz erforderlich, des Bundes im Deutschen Bundestag und Bundes- die erst geschaffen werden müsste. rat gibt. Erfordernis einer Grundgesetzänderung bei Fazit der Teilübernahme der Altschulden durch den Bund Für die Bewältigung der aktuellen Krisen vor Ort Die Aufnahme von Schulden und die Schul und für die kommunale Aufgabenerfüllung be- denverwaltung sind Teil der grundgesetz darf es handlungsfähiger Kommunen. Der Bund lich geschützten selbständigen und unab hat die Kommunen daher enorm unterstützt und hängigen Haushaltswirtschaft von Bund wird auch in Zukunft an ihrer Seite stehen. Er ist und Ländern inklusive ihrer Kommunen bereit, sich an einer Altschuldenlösung der Länder, (Art. 109 Abs. 1 Grundgesetz (GG)). Auf der deren Kommunen von hohen Altschulden betrof- Ausgabenseite ergänzt der Konnexitäts fen sind, zu beteiligen und gemeinsam mit Ländern grundsatz die selbstständige und unab und Kommunen Möglichkeiten zur Stabilisierung hängige Haushaltswirtschaft von Bund und der Kommunalfinanzen zu eruieren. Ländern. Demnach tragen Bund und Län der gesondert die Ausgaben, die sich aus der Mit Blick auf die enormen krisenbedingten Mehr- Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben, so belastungen und die großen Finanzierungsbedarfe weit das Grundgesetz nichts anderes be bei den Zukunftsaufgaben in den Bereichen Digi- stimmt (Art. 104a Abs. 1 GG). Damit tragen talisierung, Klimaschutz und Sozialsysteme stößt Bund und Länder inklusive ihrer Kommunen der Bund an die Grenzen der finanziellen Belast- auch getrennt die Zins- und Tilgungsausga barkeit. Der Abbau der Defizite des Bundes und die ben für ihre jeweiligen Schulden. Übernäh Einhaltung der Regelgrenze der Schuldenbremse me der Bund die Schulden der Länder (oder ab 2023 haben oberste Priorität. Der Bund braucht unmittelbar der Kommunen), übernähme zudem finanzielle Spielräume, um für künftige Kri- er die Verwaltung dieser Schulden aus der senzeiten handlungsfähig zu bleiben. Daher muss Haushaltswirtschaft des betroffenen Lan nicht nur stärker auf eine ausgewogenere Balance des in seine Haushaltswirtschaft und trüge der krisenbedingten Belastungen zwischen Bund die damit verbundenen Zins- und Tilgungs und Ländern geachtet werden. Der Bund muss lasten. Die Schuldenübernahme durchbrä sich auch verstärkt auf seine originären Aufgaben che damit sowohl die grundsätzliche Tren konzentrieren. Dies bedeutet, dass die Länder ent- nung der Haushalte von Bund und Ländern sprechend den grundgesetzlichen Regelungen der als auch die autonome Wahrnehmung der Finanzverantwortung für ihre Kommunen nach- Haushaltswirtschaft und die Lastenvertei kommen und für deren angemessene Finanzaus- lung. Durch die Übernahme (sei es durch stattung Sorge tragen müssen. hoheitlichen Akt oder durch Vertrag) griffe 24
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