Braucht Bier Heimat? - unipub
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Braucht Bier Heimat? Die Bedeutung von Verortung und Regionalität im Marketing ausgewählter Brauereien des Mühlviertels Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades eines Magisters der Naturwissenschaften an der Karl-Franzens-Universität Graz vorgelegt von Ralph KRISTL am Institut für Geographie und Raumforschung Begutachter: Univ.-Prof. Dr. phil. Ulrich Ermann Graz, 2015
Eigenständigkeitserklärung Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht benutzt und die den Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen inländischen oder ausländischen Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht. Die vorliegende Fassung entspricht der eingereichten elektronischen Version. Graz, Juni 2015 1
Vorwort Hopfen und Malz, Gott erhalt’s! Diverse Studien zeigen, dass der Geschmack von Bier bei der Kauf- und Konsumentscheidung eine sekundäre Rolle spielt. Obwohl viele Biertrinker davon ausgehen, dass sie sehr wohl in der Lage sind, ihr präferiertes Bier in Blindtestungen herauszuschmecken, zeigen verschiedene Verkostungsexperimente, dass ebendies nicht der Fall ist. Schon bevor ich durch derartige Studien in meinem Verdacht bestätigt wurde, vertrat ich die Meinung, dass es wohl eingeprägte landläufige Vorstellungen und diverse andere Assoziationen sind, die die Kaufentscheidung bei den unzähligen Biersorten, die in Österreich gebraut werden, maßgeblich beeinflussen. Vor allem in ländlichen Regionen in meiner Heimat im Nordwesten Oberösterreichs habe ich persönlich die Erfahrung gemacht, dass Menschen sehr emotional an ihrem favorisierten, meist regional gebrautem Bier hängen. Der Fall eines florierenden Freistädter Pubs, das nach dem Wechsel zu einem nicht-regionalen Bier beinahe den Konkurs anmelden musste, gab schließlich den Ausschlag, mich näher mit den Hintergründen dieses emotionalen Festhaltens am eigenen Lieblingsbier zu befassen. Bedanken möchte ich mich zuallererst beim Betreuer meiner Arbeit, Univ.-Prof. Dr. Ulrich Ermann, der mich kompetent durch den Schreibprozess begleitet hat. Ohne die Mithilfe meiner Interviewpartner wäre die Durchführung dieser Diplomarbeit nicht möglich gewesen – ein Dank daher an alle, die sich trotz voller Terminkalender Zeit für mich genommen haben. Mein größter Dank gilt meiner Familie und besonders meinen Eltern, die mich während allen Phasen meines Bildungsweges unterstützt haben und mir in Selbstverantwortung das unbeschwerte Beschreiten dessen ermöglicht haben. 2
Zusammenfassung Bier ist eines der Lieblingsgetränke der Österreicher_innen und wird hierzulande von einer Vielzahl an Brauereien hergestellt. Obwohl der nationale Biermarkt sehr stark von wenigen Großbrauereien dominiert wird, schaffen es auch kleine und mittelständische Unternehmen, sich gegen die enorme Konkurrenz der Großproduzenten durchzusetzen. Gegenstand der vorliegenden Diplomarbeit sind drei gezielt ausgewählte kleine und mittelständische Brauereien des Mühlviertels. Eine detaillierte Analyse des Marketings und im Besonderen des Werbeauftritts von Hofstettner Bier, Freistädter Bier und der Stiftsbrauerei Schlägl soll stellvertretend für viele vergleichbare österreichische, regional verankerte Brauereien die Bedeutung von Verortung und Regionalität eruieren und beschreiben. Die Wichtigkeit von Bezügen der Produkte zu Ort und Region wird nicht nur von Produzentenseite, sondern auch aus der Perspektive von Biertrinker_innen betrachtet, um letztendlich ein ganzheitliches Bild zu zeichnen und Positionierungschancen für kleine und mittelständische österreichische Brauereien aufzuzeigen. Um dies zu erreichen, wurde eine umfangreiche, im Wesentlichen aus der Kombination von Experteninterviews und teilnehmender Beobachtung bestehende qualitative Sozialforschung durchgeführt. Die daraus resultierenden Daten wurden mithilfe bestehender Literatur im Bereich Marketing und der im wissenschaftlichen Diskurs immer relevanter werdenden Regionalforschung bewertet und für den Leser in dieser Arbeit aufbereitet. Daraus gehen glaubhafte, authentische Verortung und die Nutzung von Assoziationen mit einer bestimmten Region als entscheidender Erfolgsfaktor für die gegenständlichen Unternehmen hervor. Gleichzeitig entspricht eine Verknüpfung des Produktes Bier mit dem Herstellungsort und der Region, in der dieser eingebettet ist, den Wünschen vieler Konsument_innen, deren innerste Bedürfnisse nach Zugehörigkeit und Identität vom Produkt angesprochen werden. Positionierungschancen für kleine und mittelständische Brauereien sehe ich folglich in einer erfolgreichen Befriedigung derartiger Bedürfnisse durch Regionsbezogenheit und die damit verbundene soziale Nähe, die „anonyme“ Großbrauereien kaum bieten können, aber auch in der flexiblen Herstellung von unterschiedlichsten Spezialbieren, mit denen man sich von der Konkurrenz abhebt. Eine Kombination aus authentischer Verortung und Ausschöpfung der von der jeweiligen Region bereitgestellten (positiven) Assoziationen sowie kreativer Innovationskraft dürfte also eine wirtschaftlich sehr vielversprechende Basis für viele kleine und mittlere österreichische Brauereien sein. 3
Abstract Beer is one of the most popular drinks in Austria and is produced by a vast number of breweries. Even though the national market is dominated by only a few large breweries, small and middle-class companies succeed in asserting themselves. The object of the work in hand are three specifically selected small and medium sized breweries of the Mühlviertel (northern region in Upper Austria). A detailed analysis of the marketing strategies and especially the advertising presence of Hofstettner Bier, Freistädter Bier and Stiftsbrauerei Schlägl is supposed to determine and depict the importance of geographical entanglements with place and the region it is embedded in for these three companies and many similar ones in Austria. In order to provide a holistic portrayal the importance of these entanglements is not only regarded from the point of view of the producer but also from the point of view of the potential consumer. Combining these two sides will eventually enable me to draw a more complete picture and to illustrate positioning chances for such small and middle-class companies in Austria. For that purpose I conducted thorough qualitative research, basically consisting of both expert interviews and participant observation. Using already existing literature in the growing field of regional science and marketing the gathered data was evaluated and is presented in the diploma thesis in hand. The conducted research shows that convincing, authentic geographical entanglements as well as the utilization of associations with a certain region are an essential aspect in economic success of the analysed companies. At the same time this connection between product and place and the region it is embedded in meets the demands of the customers whose inner wishes for belonging and identity are addressed. For this reason I see great chances for small and medium sized breweries in satisfying these needs successfully through the establishment of intimate links between product and place/region as well as using the social proximity that comes along with it. Bigger “faceless” companies cannot provide these assets. Another way to stand out from the crowd against big firms is the flexible production of a broad range of craft beer. A combination of these mentioned aspects should serve as an economically promising basis for many small and middle-sized Austrian breweries. 4
Inhaltsverzeichnis Eigenständigkeitserklärung..................................................................................................... 1 Vorwort ..................................................................................................................................... 2 Zusammenfassung .................................................................................................................... 3 Abstract ..................................................................................................................................... 4 Inhaltsverzeichnis ..................................................................................................................... 5 Abbildungsverzeichnis ............................................................................................................. 8 1) Einleitung .............................................................................................................................. 9 1.1 Grundlegende Problemstellung ........................................................................................ 9 1.2 Zielsetzung ..................................................................................................................... 10 2) Methodik ............................................................................................................................. 11 2.1 Qualitative Sozialforschung ........................................................................................... 11 2.2.1 Die Produzentenseite ............................................................................................... 12 2.2.2 Interviewleitfaden.................................................................................................... 13 2.2.3 Die Konsumentenseite............................................................................................. 14 3) Bier damals und heute ....................................................................................................... 16 3.1 Ein historisch gewachsenes Kulturgut ........................................................................... 16 Rohstoffe zur Bierherstellung .......................................................................................... 20 3.2 Die Bierindustrie und deren Trends im internationalen Vergleich ................................ 22 3.3 Die Bierlandschaft Österreichs....................................................................................... 24 Österreichische Biersorten ............................................................................................... 28 4) Marketing ........................................................................................................................... 30 4.1 Kategorisierung von KMU ............................................................................................. 30 4.2 Marketing für kleine und mittlere Unternehmen (KMU)............................................... 31 Werbung mit begrenzten finanziellen Mitteln ................................................................. 34 4.3 Marken und Markenpolitik............................................................................................. 36 5
Verortung von Marken ..................................................................................................... 37 5) Die Bedeutung von Verortung und Regionalität............................................................. 39 Wandlungsprozesse der letzten Jahrzehnte .......................................................................... 39 5.1 Die Region in Konjunktur .............................................................................................. 41 „Heimat“........................................................................................................................... 42 5.2 Raum und Identität ......................................................................................................... 43 5.2.1 Die Entstehung eines „Wir-Bewusstseins“ ............................................................. 45 5.2.2 Verbundenheit innerhalb der Region ...................................................................... 46 6) Mühlviertel → Bierviertel ................................................................................................. 47 6.1 „Kraft.Voll.Echt“: Das Mühlviertel ............................................................................... 47 Typisch „mühlviertlerisch“? ............................................................................................ 48 6.2 „Bierviertel“ ................................................................................................................... 49 6.2.1 Regionsabgrenzung ................................................................................................. 52 6.2.2 Wirtschaftliche Vorteile durch regionale Vernetzung ............................................ 54 6.2.3 Regionales Wirtschaften ......................................................................................... 55 7) Brauereien im Mühlviertel ................................................................................................ 56 7.1 Hofstettner Bier .............................................................................................................. 56 7.2 Freistädter Bier ............................................................................................................... 61 7.3 Stiftsbrauerei Schlägl ..................................................................................................... 68 7.4 Wie regional sind die Biere der untersuchten Brauereien? ............................................ 73 8) Beantwortung der zentralen Fragestellungen ................................................................. 75 8.1 Welche Rolle spielen Verortung und Regionalität im Marketing kleiner und mittlerer Brauereien des Mühlviertels? Welches (regionale) Image wird vermarktet und welche Assoziationen will man hervorrufen? .................................................................................. 75 8.2 Welche Kriterien spielen auf Konsumentenseite eine Rolle beim Kauf und Konsum von Bier? ..................................................................................................................................... 79 8.3 Können sich kleine und mittelständische Brauereien im Mühlviertel am Markt behaupten? Wie positioniert man sich? ................................................................................ 82 6
9) Schlussfolgerungen: „Braucht Bier Heimat?“ ................................................................ 86 Zukünftige Forschungsaufgabe ........................................................................................ 88 10) Literaturverzeichnis ........................................................................................................ 89 Anhang .................................................................................................................................... 95 Portraits der Befragten ......................................................................................................... 95 7
Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Ehemaliger Bauernhof der Brauerei Hofstetten in St. Martin i.M. ............................. 19 Abb. 2: Standorte der Brauereien und Gasthausbrauereien innerhalb Österreichs .................. 25 Abb. 3: Vereinfachtes Modell des Marketingprozesses ........................................................... 31 Abb. 4: Mattenshop auf der Homepage von Freistädter Bier .................................................. 35 Abb. 5: Modell regionaler Identität .......................................................................................... 44 Abb. 6: Aufteilung Oberösterreichs in vier Viertel .................................................................. 47 Abb. 7: Bierviertel "Selection" Paket ....................................................................................... 51 Abb. 8: Alte Aufnahmen der Brauerei Hofstetten.................................................................... 56 Abb. 9: Bauer aus der Region streicht über seine Gerste ......................................................... 66 Abb. 10: Lastwagen im charakteristisch hügeligen Mühlviertel.............................................. 66 Abb. 11: "Bierheimat" auf der Homepage von Freistädter Bier .............................................. 67 Abb. 12: Kleines Brauhaus der Stiftsbrauerei Schlägl ............................................................. 70 Abb. 13: Gerstenernte im Mühlviertel ..................................................................................... 72 Abb. 14:"Mühlviertler Bier" .................................................................................................... 84 Tabellenverzeichnis Tab. 1:Bierausstoß nach Bundesländern (in Prozent) .............................................................. 26 Tab. 2:Verteilung der Braustätten auf die Bundesländer von 1980-2013 ................................ 26 Tab. 3:Betriebsgrößenklassen nach Jahresausstoß von 1980-2013 (in 1000 hl)...................... 27 Tab. 4:Abgrenzungsempfehlung der Europäischen Union 2003 von KMU ............................ 30 8
1) Einleitung 1.1 Grundlegende Problemstellung Österreich kann durchaus als Land der Bierbrauer und Biertrinker bezeichnet werden. Regelmäßig mit dem international als „Bierland“ bekannten Nachbarland Deutschland alternierend wird Österreich nur von Tschechien auf die Plätze verwiesen, was den Pro-Kopf- Konsum von Bier betrifft. Trotz der beeindruckenden Anzahl von 194 Brauereien (Stand 2013) wird der überwiegende Anteil des österreichischen Bedarfs von nur wenigen Großbrauereien, darunter bekannte Marken wie Stiegl, Gösser, Puntigamer oder Zipfer,- gedeckt. Allen Bundesländern voran weist Oberösterreich im Verhältnis zur Gesamtfläche die höchste Dichte an Brauereien und Gasthausbrauereien auf und zeichnet sich durch eine sehr vielfältige Brauereilandschaft aus (Verband der Brauereien Österreichs 2014). Diese hohe Dichte in Oberösterreich bedingt eine besondere räumliche Nähe der Einwohner_innen zu den Braustätten. Obwohl mehr als 80% des Marktes von Großbrauereien gedeckt werden, behaupten sich viele kleine und mittelständische, lokal sehr stark verwurzelte Brauereien am heimischen Biermarkt. Ausstoßmengen von einer Million Hektoliter stehen dabei solchen wie jenen der Brauerei Hofstetten mit 7000 Hektolitern pro Jahr gegenüber. Begrenzte finanzielle Rahmenbedingungen bedingen die Notwendigkeit, sich mit anderen Mitteln gezielt am Markt zu positionieren und zu behaupten. Die angesprochene Verortung mit dem Herstellungsort und der Region Mühlviertel, bzw. welche Bedeutung dieser im Marketing der drei gegenständlichen Brauereien zukommt, wird in der vorliegenden Diplomarbeit untersucht. Stellvertretend für viele derartige Brauereien wird das Marketing der drei im oberösterreichischen Mühlviertel (vgl. Kapitel 6.1) gelegenen Unternehmen „Freistädter Bier“, „Hofstettner Bier“ und der „Stiftsbrauerei Schlägl“ analysiert, um die Bedeutung der Verortung in deren Marketing zu eruieren und in Folge dessen festzustellen, wie man sich als kleineres Unternehmen gegen die Konkurrenz der Großbetriebe und deren finanziell aufwändig beworbenen „Fernsehbiere“ positioniert, bzw. sich (erfolgreich) dagegen zur Wehr setzt. Um ein vollständigeres Verständnis des Auftretens und der Werbemaßnahmen von lokal verwurzelten Brauereien zu erreichen, werden auch die Konsumentenseite und dazugehörige Kriterien beim Kauf und Konsum von Bier ergründet und mit einbezogen. Auch Regionalinitiativen wie das von den drei erwähnten Mühlviertler Brauereien und dem 9
Biergasthaus Schiffner gegründete „Bierviertel“ (vgl. Kapitel 6.2) werden aufgrund ihrer Relevanz im Kontext der Bedeutung von Verortung behandelt. Wie Ermann in seiner Dissertation zum Thema „Regionalprodukte“ konstatiert, lässt sich an kaum einem anderen Produkt so gut zeigen, welche Bedeutung Wissen und Symbolik zukommen kann, wie an Bier (Ermann 2005:204). Aufzuzeigen, wie diese Aspekte mit geographischen Assoziationen zu einem Ort bzw. einer Region zusammenhängen, ist die grundlegende Intention dieser Diplomarbeit. 1.2 Zielsetzung Das Ziel der vorliegenden Diplomarbeit ist also eine Analyse der Bedeutung von Verortung, bzw. Regionalität in der Vermarktung und beim Konsum von Biermarken. Der Fokus wird dabei nicht auf bekannte Großbrauereien mit hohen Absatzzahlen gelegt, sondern auf kleine und mittelständische Brauereien. Naturgemäß haben diese andere Konsumentenkreise und Werbestrategien. In dieser Arbeit wird dargelegt, welche Bilder, Stimmungen, Gefühle und weitere individuelle Assoziationen am Vertrieb und Konsum von Bier maßgeblich beteiligt sind. Mithilfe qualitativer Interviews, teilnehmender Beobachtung sowie bereits vorhandener Forschung im Bereich der Regionalität und Vermarktung wird der Stellenwert der Verortung für die drei gegenständlichen Brauereien, aber auch für Konsument_innen beleuchtet, um schließlich Schlussfolgerungen für Positionierungsmöglichkeiten solcher Betriebe daraus abzuleiten. Das Untersuchungsgebiet ist das Mühlviertel, das Gebiet nördlich der Donau in Oberösterreich. Die geographischen sowie kulturhistorischen Besonderheiten des Mühlviertels werden in Kapitel 6 beschrieben. Obwohl das an die althergebrachte Bierregion Bayern grenzende Innviertel ebenfalls eine sehr florierende Brauereilandschaft vorzuweisen hat und sich daher für eine Analyse ebenso anbot, fiel die Entscheidung letztendlich auf eine kleine Auswahl an Mühlviertler Bierherstellern. Einer der Gründe dafür war die großangelegte, vor kurzer Zeit ins Leben gerufene Initiative „Mühlviertel- Bierviertel“. Diese Initiative hat unter anderem zum Ziel, das Mühlviertel nicht nur innerhalb Österreichs, sondern über die nationalen Grenzen hinweg als die Bierbrauregion Nummer eins zu positionieren und wird daher in einem der folgenden Kapitel genauer vorgestellt (vgl. Kapitel 6.2). Die Initiatoren legen sehr viel Wert 10
auf Verortung und Regionalität und der Verein umfasst zum aktuellen Zeitpunkt (März 2015) drei regionale Brauereien und eine Gasthausbrauerei. Die sich aus diesem Vorhaben ergebenden Forschungsfragen lauten daher: 1) Welche Rolle spielen Verortung und Regionalität im Marketing kleiner und mittlerer Brauereien des Mühlviertels? Welches (regionale) Image wird vermarktet und welche Assoziationen will man hervorrufen? 2) Welche Kriterien spielen auf Konsumentenseite eine Rolle beim Kauf und Konsum von Bier? 3) Können sich kleine und mittelständische Brauereien im Mühlviertel am Markt behaupten? Wie positioniert man sich? 2) Methodik 2.1 Qualitative Sozialforschung Um die dieser Arbeit zugrunde liegenden Fragen zu beantworten, wurde die Durchführung einer qualitativen Herangehensweise gewählt. Dabei wurde mit Daten gearbeitet, die sich laut Heinze „selbst erklären“, also dem Alltagsverständnis zugänglich sind. Qualitative Daten lagen entweder bereits vor oder wurden wie im Falle dieser Arbeit durch Befragung erzeugt und anschließend verschriftlicht und ausgewertet (Heinze 2001:13). Empirische, d.h. erfahrungsgemäße Sozialforschung beschreibt Atteslander als „systematische Erfassung sozialer Tatbestände“. Derartig empirisch untersuchbare Tatbestände sind demnach „beobachtbares menschliches Verhalten, von Menschen geschaffene Gegenstände sowie durch Sprache vermittelte Meinungen, Informationen über Erfahrungen, Einstellungen, Werturteile, Absichten“. Die Durchführung qualitativer Sozialforschung hat nach bestimmten Regeln zu erfolgen, um eine durchgehende Nachvollziehbarkeit zu gewährleisten (Atteslander 2008:3). 11
2.2.1 Die Produzentenseite Nachdem die Auswahl der Brauereien feststand, wurde Kontakt mit dem Eigentümer der Hofstetter Brauerei, der ebenso als Obmann der Initiative Bierviertel interviewt wurde, den jeweiligen Marketingleiterinnen von Freistädter Bier und Schlägl Bier sowie mit dem Inhaber des Biergasthauses Schiffner hergestellt. Letzterer bot durch seine enorme Bandbreite an unterschiedlichsten angebotenen Bieren einen verknüpfenden und im Gegensatz zu den Brauereivertreter_innen einen relativ neutralen Blickwinkel. Wie Reuber und Pfaffenbach anmerken, wäre es wünschenswert, die Gesprächspartner bereits vor dem Interviewtermin kennenzulernen. Die Autoren vermerken aber auch, dass dies aufgrund von Termindruck selten realisierbar ist; diese Problematik bewahrheitete sich auch in meinem Fall. Persönliches Kennenlernen wäre aufgrund der weiten Anreise ins Untersuchungsgebiet außerdem sehr zeitaufwändig gewesen (Reuber und Pfaffenbach 2005:132). Durch die im Rahmen der teilnehmenden Beobachtung geführten Gespräche wurde ich auf den Kellner eines Freistädter In-Lokals, das nach der Umstellung auf ein nicht regionales Bier nur knapp dem Konkurs entging, aufmerksam und führte auch mit ihm ein ausführliches Interview. Alle Teilnehmer_innen, die als Experten auf ihrem Gebiet betrachtet werden können, wurden vorab per E-Mail oder Telefon über mein Vorhaben sowie die Interviewstruktur aufgeklärt und um Erlaubnis gebeten, die Gespräche aufzuzeichnen und sie in meiner Diplomarbeit zitieren zu dürfen – diese Befugnis wurde nach den Interviews zusätzlich schriftlich von allen Teilnehmer_innen per E-Mail bestätigt. Die einzelnen Interviews waren auf eine Dauer von ca. 30 Minuten konzipiert, wobei das kürzeste letztendlich nur knapp eine Viertelstunde dauerte, während das längste über 60 Minuten in Anspruch nahm. Da die Erinnerung an mündliche Aussagen lückenhaft sein kann, wurde das Gesprochene im Transkript festgehalten, um so eine detaillierte Analyse des gewonnenen Materials zu ermöglichen. Bei dieser Verschriftlichung von Audiomaterial sollte man sich allerdings bewusst sein, dass Gesprächssituationen nie in ihrer Vollständigkeit festgehalten werden können (Dresing und Pehl 2013:17). Alle Interviews wurden deshalb mit einem Aufnahmegerät aufgezeichnet, um eine anschließende, möglichst detailgetreue Transkription zu ermöglichen. Während des langwierigen Transkriptionsprozesses der Interviews befasste ich mich zwangsläufig sehr intensiv mit der Thematik dieser Arbeit. Auf Details wie Gestik, Prosodie, 12
etc. wurde beim Transkribieren aufgrund eines inhaltlichen Schwerpunktes verzichtet. Alle Interviews wurden vorwiegend in Österreichischem Deutsch durchgeführt; in den Transkripten wurde das Gesprochene aus Gründen der besseren Verständlichkeit ins Standarddeutsche übertragen, manche Phrasen und Ausdrücke wurden allerdings in der ursprünglichen Umgangssprache beibehalten, weil eine Übersetzung zu Einbußen in deren Authentizität geführt hätte. Um einzelne Aussagen den jeweiligen Interviewpartnern zuordnen zu können, wurde jedem Interview ein Buchstabe zugeordnet. Nicht ganz einheitlich ist die Definition von „Experten“. Alle Interviewpartner entsprachen zumindest der Definition von Bogner und Menz: „Der Experte verfügt über technisches Prozess- und Deutungswissen, das sich auf sein spezifisches professionelles oder berufliches Handlungsfeld bezieht“ (Bogner und Menz 2005:46). Im Kontext dieser Diplomarbeit wurde das Wissen dieser Experten genutzt, um die zentralen Forschungsfragen zu beantworten. Private Erfahrungen werden ausgeklammert; der Experte kann als Repräsentant einer Institution oder Organisation betrachtet werden. Er ist nur als Akteur in einem spezifischen Kontext relevant, nicht aber als „Gesamtperson mit ihren Orientierungen und Einstellungen im Kontext des individuellen oder kollektiven Lebenszusammenhangs“ (Meuser und Nagel 1991, zitiert nach Lamnek 2010:656). 2.2.2 Interviewleitfaden Nach intensivem Auseinandersetzen mit dem Handlungsfeld der interviewten Experten wurde ein umfassender Leitfaden erstellt, der als Grundgerüst während der Gespräche diente, allerdings je nach Notwendigkeit abgeändert, bzw. ergänzt wurde. Eine Vertrautheit des Forschers mit der Thematik ist laut Lamnek nötig, um eine „lockere und unbürokratische“ Durchführung der Interviews zu gewährleisten (Lamnek 2010:658). Der folgende Leitfaden konnte für die Experteninterviews mit den Vertretern der untersuchten Brauereien mit nur wenigen Veränderungen beibehalten werden. Während der einzelnen Gespräche ergaben sich ohnehin individuelle Schwerpunkte und so wurden die Interviews daran angepasst. Bei den Gesprächen mit dem Inhaber des Biergasthauses Schiffner und vor allem mit dem Gastronomie- Angestellten wurden spezifische Teile des Leitfadens herausgenommen und andere wichtige Aspekte hinzugefügt. Auf diese Weise entstanden vergleichbare, aber dennoch sehr individuelle Interviews: 13
1) Wie genau sieht Ihr Absatzmarkt aus? “Rund um den Schornstein?“ 2) Was wissen Sie über Ihre Kunden? Wie sieht Ihre Zielgruppe aus? 3) Welche Marketingstrategien betreiben Sie? Mit welchen Strategien setzen Sie sich gegen Billigbiere und teure „Fernsehbiere“ zur Wehr? 4) Welchen Stellenwert haben dabei Regionalität und Verortung mit dem Mühlviertel? 5) Was ist für Sie “typisch mühlviertlerisch”? 6) Was verbinden Sie mit dem Begriff „Regionalität“? 7) Woher beziehen Sie Ihre Rohstoffe? 8) Könnte man mit alternativen, nicht regionalen Zutaten Geld sparen? Was gibt man für ein Image von Regionalität auf? 9) Was macht für Sie den Wert des Bieres aus? 10) Gibt es Synergieeffekte mit anderen Produzenten (Bierviertel)? 11) Wie sieht die Entwicklung der letzten Jahre für kleine und mittlere Brauereien, bzw. die Prognose für die Zukunft aus? Was zeichnet Ihre und ähnlich große Brauereien gegenüber Großproduzenten aus? 12) Weitere Anmerkungen (zur Frage Braucht Bier Heimat)? 2.2.3 Die Konsumentenseite Um auch die wichtigsten Aspekte der Konsumentscheidungen beim Bierkauf von Konsument_innen herauszuarbeiten, wurde auf die Methode der teilnehmenden Beobachtung zurückgegriffen. Auch diese Form der qualitativen Forschung kann als wissenschaftliche Methode begründet werden, mit der versucht wird „ Sinnstrukturen der Feldsubjekte situativ zu erschließen“ (Lamnek 2010:498). Als grundlegende sozialwissenschaftliche Methode ist sie allerdings mit weiteren Methoden wie Befragung und Inhaltsanalyse verknüpft. 14
Die Kennzeichen der teilnehmenden Beobachtung sind laut Lamnek die Durchführung in der natürlichen Lebenswelt der untersuchten Personen: „Der Sozialforscher nimmt am Alltagsleben der ihn interessierenden Personen und Gruppen teil und versucht, durch genaue Beobachtung etwa deren Interaktionsmuster und Wertvorstellungen zu explorieren und für die wissenschaftliche Auswertung zu dokumentieren“ (Lamnek 2010:499ff). Ohne gleich zu Beginn Forschungsabsichten zu offenbaren, verschafft man sich einen Überblick und gewinnt so wertvolle Eindrücke (Przyborski und Wohlrab-Sahr 2014:54). Um eine möglichst authentische und alltägliche Durchführung zu gewährleisten, wurde der Großteil der dieser Diplomarbeit zugrundeliegenden Daten zum Bierkonsum von Konsument_innen in diversen Bars und Gasthäusern gesammelt. So konnten die Befragungen meist mit dem direkten Verweis auf das momentan getrunkene Bier und Fragen wie zum Beispiel „Warum trinkst du gerade dieses Bier?“, gestartet werden. Das ursprüngliche Vorhaben, ausgiebigere qualitative Interviews mit einigen wenigen Konsument_innen durchzuführen, wurde aufgrund der Tatsache, dass manche davon relativ wenig zu ihren Konsumentscheidungen zu sagen hatten, verworfen. Durch die Verwendung der Methode der teilnehmenden Beobachtung konnte ein breiteres Personenspektrum analysiert werden. Die mit Befragung verbundene Methode führte zu etwa 20 Gesprächssituationen, von denen einige wie erwartet nach beispielhaften Aussagen wie „Ich trink das Bier, das ausgeschenkt wird, ist mir eigentlich egal, welches“, über preisliche Argumentation „Ich kauf einfach das Bier, das in Aktion ist“, nach wenigen Minuten zu Ende waren, während sich andere zu überaus interessanten, facettenreichen Gesprächen über unterschiedlichste Entscheidungsfaktoren entwickelten, die auch eine halbe Stunde und mehr dauerten. Unter Verwendung eines Gedächtnisprotokolls wurden die aus dieser Vorgehensweise gewonnenen Informationen und Daten in dieser Arbeit verschriftlicht. 15
3) Bier damals und heute Im nun folgenden Hauptteil wird eingangs ein breiter Überblick über die Entstehung von Bier zum Kulturgut, die Lage der aktuellen Bierindustrie sowie die österreichische Brauereilandschaft gegeben. Entwicklungen am globalen, aber auch am heimischen Biermarkt liefern ebenfalls nötiges Hintergrundwissen zu den aktuellen Vermarktungsstrategien der untersuchten Brauereien des Mühlviertels und einer vollständigeren Beantwortung der dieser Arbeit zugrundeliegenden Fragestellungen. 3.1 Ein historisch gewachsenes Kulturgut Um die aktuelle (Ausgangs-) Lage und Allgemeinsituation der heutigen Brauereien, vor allem derer, die im Rahmen der empirischen Untersuchung genauer analysiert wurden, umfassend zu verstehen, ist ein kurzer Rückblick auf die Geschichte des Bieres und auf die historische Entwicklung der heutigen Bier- und Braukultur erforderlich. Verschiedenste Quellen weisen die Herstellung von Bier und dessen Konsum bis weit in die Entstehungsgeschichte der Menschheit nach und machen das Getränk damit zu einem der ältesten und wohl meistgetrunkenen Genussmittel überhaupt. Ausgrabungen belegen, dass die ersten nachgewiesenen Bierbrauer die Assyrer, die Babylonier und die Sumerer etwa 6000 v.Chr. waren. Während Bier bei den Ägyptern noch ein wertvolles Grundnahrungsmittel war, wurde es aufgrund klimatischer Bedingungen bei den Griechen und Römern vom Wein verdrängt. Von manch einer Kultur als „barbarisches“ Getränk gemieden, wurde es von anderen gefeiert und sogar unter einem gesundheitlichen Gesichtspunkt verwendet. Hippokrates etwa empfahl Bier als „linderndes Mittel, gleichmäßig und ausgleichend, angenehm einzunehmen“ und schrieb dem Getränk nicht nur Durststillung, Verdauungsförderung und Entwässerung zu, sondern sah es auch als ein Mittel gegen Schlaflosigkeit und zur Fiebersenkung (Hlatky 2004:15ff). Ein wichtiger Schritt zur Entwicklung von Bier zu dem Getränk, das wir heute kennen, war das deutsche Reinheitsgebot, das vom bayerischen Herzog Wilhelm IV. im Jahr 1516 erlassen wurde (Deutscher Brauer-Bund 2014): Das Bier von damals hatte wenig mit dem Getränk, das wir heute kennen, gemein. Bierpanscher fügten neben den Grundzutaten oft Hirse, Bohnen, 16
Erbsen und andere stärkehaltige Stoffe hinzu, manchmal sogar Beigaben wie Pech, Ruß oder Ochsengalle. Dem sollte zum Schutz der Gesundheit der Bürger ein Riegel vorgeschoben werden. Nach dem Teil des historischen Dokuments, in dem geregelt wird, wie viel Pfenning für ein Maß (=1,069 Liter) verlangt werden dürfen, lautet der Wortlaut für die Herstellungsvorschriften von Bier: […] Ganz besonders wollen wir, daß forthin allenthalben in unseren Städten, Märkten und auf dem Lande zu keinem Bier mehr Stücke als allein Gersten, Hopfen und Wasser verwendet und gebraucht werden sollen. Wer diese unsere Anordnung wissentlich übertritt und nicht einhält, dem soll von seiner Gerichtsobrigkeit zur Strafe dieses Faß Bier, so oft es vorkommt, unnachsichtlich weggenommen werden. (Deutscher Brauer-Bund 2014) Dieses historische Gesetz schreibt die ausschließliche Verwendung von Gerste, Hopfen und Wasser bei der Bierherstellung vor und droht die Konfiszierung des Gebräues bei Nichteinhaltung an. Zumindest teilweise hat es auch heute noch Bedeutung bei der Bierherstellung, auch wenn heutzutage niemandem mehr Bier „weggenommen“ wird. Zur Entstehungszeit des deutschen Reinheitsgebotes war die Bedeutung von Hefe, ohne die das Jungbier nicht zur Gärung käme, noch nicht bekannt. Ob bei der Bierherstellung nun aber tatsächlich nach dem deutschen Reinheitsgebot gebraut wurde, ist vom Endverbraucher schwer feststellbar. Heute ist man von dieser einschränkenden Vorschrift abgegangen und setzt auf Qualitätsproduktion. Technische Voraussetzungen und die von den Herstellern für am besten erachteten Grundstoffe stehen über derartigen Gesetzen (Seidl 1992:20). Wie Seidl weiter anmerkt, ging es beim deutschen Reinheitsgebot wohl eher am Rande um die „Reinheit“ des Bieres. Laut dem Autor ging es dem bayerischen Herzog Wilhelm IV. in erster Linie um die Preisregelung. Wenn man die agrarische Ausgangssituation von damals betrachtet, erscheinen Reglementierungen wie das Brauen nur mit Gerste sinnvoll. Man wollte verhindern, dass Brotgetreide zu teurem Bier, anstelle zu weniger lukrativem, aber als Grundnahrungsmittel natürlich überaus wichtigem Brot verarbeitet wird (Seidl 1992:18). Eine umfassendere Beschreibung der zu verwendenden Rohstoffe findet man im österreichischen Lebensmittelbuch Codex Alimentarius Austriacus im Codexkapitel B13. : „Bier ist ein aus Zerealien, Hopfen und Wasser durch Maischen und Kochen hergestelltes, durch Hefe vergorenes, alkohol- und kohlensäurehaltiges Getränk. […] Als Zerealien (vermälzt 17
oder unvermälzt) werden vorwiegend Gerste, Weizen, Roggen oder Erzeugnisse aus diesen verwendet.“ (Codex Alimentarius Austriacus). Ein essentieller Meilenstein in der Braugeschichte war die Erfindung der elektrischen Kühlanlage im Jahr 1870 durch Carl v. Linde (1842-1934). Sie ermöglichte eine ganzjährige Herstellung. Zuvor konnte länger haltbares, untergäriges Bier nur mit großem Aufwand in der kalten Jahreszeit hergestellt werden. Man „erntete“ Eis aus Teichen oder Gletschern und lagerte es in den sogenannten Eiskellern der Brauereien. Der in Österreich weit verbreitete Name „Märzenbier“, der sich bis heute gehalten hat, stammt von der Tatsache, dass es in Mitteleuropa nur bis in den März hinein möglich war, die zur Gärung eines untergärigen Bieres benötigten zehn Grad Celsius zu erreichen. (Hlatky 2004:22). Durch die im Zuge der teilnehmenden Beobachtung geführten Gespräche wurde ersichtlich, dass der Begriff „Märzenbier“ so gut wie jedem Biertrinker und jeder Biertrinkerin geläufig ist, jedoch kein einziger der Befragten wusste, was dieser Name bedeutet, bzw. woher er kommt. Weitere wichtige Entwicklungen in der Historie der Bierbrauerei waren die Eisenbahn und das Dampfschiff, die die Ausbreitung von Markenbieren, die vorher nur lokal für den Konsum vor Ort gebraut worden waren, möglich machten und einen Konzentrationsprozess im Brauwesen in Gang setzten, der bis heute anhält (Hlatky 2004:23). In seinem Werk „Bierland Oberösterreich“ beschreibt Conrad Seidl diesen Übergang. Bezugnehmend auf Bayern und das benachbarte Oberösterreich hält er fest: „Es dürfte Zeiten gegeben haben, zu denen in Oberösterreich beinahe jeder Bauernhof sein eigenes Bier gebraut hat“ (Seidl 2012: 62ff). Dieses bäuerliche Brauwesen wurde im Laufe der Zeit in ein Gewerbe übergeführt und aus Bauern wurden professionelle Bierbrauer, wie auch das Beispiel der in dieser Arbeit untersuchten Hofstetter Brauerei in St. Martin zeigt. Daraus ist ersichtlich, woher die vielbeworbene kleinstrukturierte Brautradition in den unterschiedlichen Standorten der kleinen und mittleren Brauereien rührt. 18
Abb. 1: Ehemaliger Bauernhof der Brauerei Hofstetten in St. Martin i.M. Quelle: Eigene Aufnahme, 9.3.2015 Der in Abbildung 1 zu sehende, für die Region Mühlviertel charakteristische Bauernhof wurde im Zuge der Modernisierung zur professionellen Brauerei ausgebaut. Für das Wasser der Brauerei sorgen zwei hauseigene Brunnen und seit 2012 wird erstmals wieder Gerste aus der zugehörigen Bio-Landwirtschaft zum Brauen verwendet (vgl. Kapitel 7.1). Dieser durch die beschriebenen Entwicklungen in Gang gesetzte Konzentrationsprozess führte u.a. dazu, dass der Braumarkt mittlerweile von wenigen weltweit agierenden Großbrauereien und oft als zu einheitlich kritisierten „Einheitsbieren“, bestimmt wird. Diese Biere müssen qualitativ und geschmacklich immer gleich schmecken und sollen untereinander austauschbar sein (Hlatky 2004:23). Wie allerdings die im Rahmen dieser Arbeit durchgeführte Analyse zeigt, kann genau das als entscheidende Chance für kleine und mittlere Brauereien gesehen werden (vgl. Kapitel 8.3). Die längere Haltbarmachung des Bieres wurde durch die Pasteurisierung ermöglicht. Dadurch und durch die mechanische Filterung der Hefebestandteile aus dem Bier fand ein Paradigmenwechsel vom Bier als Lebensmittel hin zum Getränk statt. Von Wien aus trat das heute weltweit verbreitete Lagerbier um 1840 seinen Siegeszug an. Der Österreicher Anton Dreher entwickelte dieses helle, untergärige Bier, das sich von den bis ins 19. Jh. mehrheitlich dunklen, obergärigen Bieren abhob und revolutionierte damit die Brauereiwelt in ungeahntem Ausmaß. Selbst heute wird der Großteil der weltweiten Bierproduktion nach Drehers Verfahren hergestellt (Hlatky 2004:23). 19
Rohstoffe zur Bierherstellung Das in Kapitel 3.1 erwähnte deutsche Reinheitsgebot von 1516 bedingte eine vergleichsweise „konservative“ Bierherstellung in Mitteleuropa und zeigt sich noch heute in der starken Betonung „ausschließlich natürlicher“ Rohstoffe im Werbeauftritt vieler Brauereien. Vor allem in Übersee fanden viele andere Stoffe Verwendung in der Bierherstellung. Nichts desto weniger ist es überraschend, welche Sortenvielfalt nur durch geringe Abweichungen von den im Reinheitsgebot vorgegebenen Grundzutaten Wasser, Hopfen und Malz kreiert werden kann. Die Zugabe von Früchten zur Biererzeugung bei der Herstellung von Spezialbieren ist vor allem in Ländern wie Holland, Frankreich oder Belgien populär. Einigkeit herrscht innereuropäisch bei der Ablehnung von chemischen Zusätzen, die etwa den Schaum stabilisieren sollen oder als Konservierungsmittel dienen (Seidl 2012:27). Wasser ist naturgemäß der wichtigste Rohstoff zur Bierherstellung. Beinahe 90% des Getränks bestehen daraus. Daraus resultierend kommt der Qualität und der Zusammensetzung des verwendeten Wassers enorme Bedeutung zu. Die regionsbedingte Beschaffenheit hängt daher letztendlich auch mit der Qualität des produzierten Bieres zusammen. Nur an Orten, wo geeignetes Wasser vorhanden ist, kann auch bekömmliches Bier gebraut werden, ohne aufwändige Wasseraufbereitung betreiben zu müssen (Hlatky 2004:30ff). Eine Hanfpflanze aus der Ordnung der Nesselgewächse, der Hopfen, ist ein weiterer elementarer Rohstoff bei der Bierherstellung. Die bis zu sieben Meter hohen, sattgrünen Pflanzen prägen vor allem während der kurzen Blütezeit im Sommer die Landschaft des Mühlviertels. Aus Gesprächen mit Einwohner_innen des Mühlviertels ging hervor, dass die Hopfenplantagen einen hohen Stellenwert im Alltagsleben der Mühlviertler_innen einnehmen. Der markante, vor allem während der Erntezeit allgegenwärtige Geruch, die Tatsache, dass viele Einwohner_innen bei der Ernte aushelfen oder Bekannte/Verwandte haben, die am Anbau und/oder der Ernte des Hopfens beteiligt sind, machen den Hopfen zum Mühlviertler Aushängeschild und Regionalstolz. Ein Gesprächsteilnehmer erzählte sogar davon, dass Hopfendolden anstelle eines Duftbaumes in Autos aufgehängt werden. Vor diesem Hintergrund ist es gut nachvollziehbar, dass der Hopfen ein beliebtes Motiv bei der Herstellung von Regionsbezug im Marketing der untersuchten Mühlviertler Brauereien ist. Vor allem im Werbeauftritt von Freistädter Bier findet man zahlreiche Verweise auf diesen Rohstoff, die einen starken Bezug zur Region kreieren. 20
Neben dem in dieser Arbeit untersuchten Gebiet des Mühlviertels finden sich weitere nennenswerte Anbaugebiete in Leutschach und in dem Gebiet um Zwettl im Waldviertel. Dem Anbau von Hopfen sind allerdings natürliche, klimatische und geologische Grenzen gesetzt (Seidl 1992:20ff). Bis heute ist das Mühlviertel aufgrund perfekter klimatischer und geologischer Bedingungen das größte Hopfenanbaugebiet Österreichs (Pello und Benedetter- Herramhof 2010:49). Es sind vorwiegend die unbefruchteten, weiblichen Dolden des Hopfens, die für die Biererzeugung verwendet werden. Den charakteristisch bitteren Geschmack erhält das Bier durch die Inhaltsstoffe des Hopfens – die Lupulin Körner. Je mehr Hopfen beigefügt wird, desto herber und bitterer wird das Bier. Je weniger Hopfen, desto milder und malziger wird es (Hlatky 2004:34ff). Der letzte Rohstoff, der im Reinheitsgebot erwähnt wird, ist Braumalz, das überwiegend aus zweiteiliger Sommergerste erzeugt wird. Im Braujargon wird mit Malz meist Gerstenmalz gemeint. Vor allem bei Spezialbieren finden aber immer öfter andere Malzsorten wie Roggenmalz, Weizenmalz, Dinkel etc. Verwendung. Malz enthält Stärke, aus der sich enzymbedingt die Einfachzucker Dextrin und Maltose bilden können. Diese finden sich im in Alkohol und Kohlensäure umgewandelten Endprodukt Bier wieder und sorgen für die „Nahrhaftigkeit“ des Getränks (Hlatky 2004:38f). Im Gegensatz zur Futtergerste, die sehr eiweißreich sein muss, weist Braugerste einen hohen Anteil an Stärke auf, die für den Brauvorgang, also die Umwandlung von Zucker in Alkohol benötigt wird (Seidl 1992:23). Zu guter Letzt folgt vor der Lagerung des Jungbieres die Zugabe von Hefe. Je nach Bierart verwendet man dabei entweder obergärige Hefe, die sich an der Oberfläche des Jungbieres absetzt, oder untergärige Hefe, die nach unten absinkt (Seidl 1992:25). Erstere arbeitet bei Temperaturen von 15-20 Grad, untergärige Hefe hingegen bei 5-10 Grad. Die Aufgabe der Hefe ist die Spaltung des Malzzuckers, der sich aus dem Braumalz gebildet hat, in Alkohol und Kohlensäure. Dieser Prozess der alkoholischen Gärung verläuft ähnlich wie bei Wein, Most oder Met (Hlatky 2004:54). 21
3.2 Die Bierindustrie und deren Trends im internationalen Vergleich Entwicklungen am internationalen Biermarkt zu beobachten und zu analysieren ermöglicht im Kontext dieser Arbeit und der zugrundeliegenden Frage der Bedeutung von Verortung ein besseres Verständnis der Hintergründe für ein (in den folgenden Kapiteln vorgestelltes) derart auf einen bestimmten Raum bezogenes Marketing. Wenn man die im folgenden Kapitel beschriebenen internationalen Entwicklungen am Biermarkt betrachtet, wird ersichtlich, warum sich die untersuchten kleinen und mittleren Brauereien des Mühlviertels in einer bestimmten Art und Weise vermarkten und positionieren. Die globale Bierindustrie hat sich in den letzten Jahrzehnten drastisch verändert. Philip Howard nennt als diesbezügliche Trends die Zusammenschlüsse durch Fusionen und Firmenaufkäufe und die Ausdehnung der größten dieser Firmen in neue Regionen. Während Bier ursprünglich ein ausgesprochen regionales Produkt war, haben diese Trends dazu geführt, dass heute nahezu die Hälfte der weltweiten Bierproduktion von nur vier Großkonzernen kontrolliert wird: AB InBev, SABMiller, Heineken und Carlsberg. Hauptsächlich produziert wird helles Lagerbier (vgl. Kapitel 3.3). Der Grund für derartige Entwicklungen liegt laut Howard in Änderungen der politischen Rahmenbedingungen und im technischen Fortschritt. Die Kombination aus diesen Faktoren riss die Barrieren gegen Zusammenlegungen nieder und ermöglichte es einigen wenigen Firmen, zu mächtigen Marktführern aufzusteigen, wobei die Gefahr einer Monopolstellung nicht außer Acht gelassen werden sollte. Dem gegenüber steht der Aufstieg kleinerer Spezialbrauereien mit großer Biervielfalt, der auch aus dieser Arbeit hervorgeht (Howard 2014:155). Anhand des Beispiels der Vereinigten Staaten zeigen die Autoren Schnell und Reese die aktuelle Entwicklung am Biermarkt auf: Seit den 1980er Jahren entstanden dort über 2300 Klein- und Kleinstbrauereien und Biergasthäuser (Schnell und Reese 2014:167). Reid et al. erklären diese zunehmende Verbreitung von Mikrobrauereien damit, dass sich Konsument_innen nicht mit der „erstickenden Homogenität“ der Populär-und Nationalkultur identifizieren wollen. Derartige Brauereien deklarieren sich selbst gerne stolz und selbstbewusst als lokal und verwenden historische Fotos, Karten oder andere Artefakte, die die Persönlichkeit eines Ortes ausmachen (Reid et al. 2014). Wes Flack kreierte vor einigen Jahren den Begriff „Neolocalism“, also Neu-Lokalismus. Damit ist die aktive, bewusste Schaffung und Aufrechterhaltung von Beziehung zu einem konkreten 22
Ort oder einer weiteren Region gemeint. Bezugnehmend auf die eben beschriebenen Entwicklungen am Brauereimarkt wird dieses Konzept des Neo-Lokalismus von Schnell und Reese aufgegriffen, um hervorzuheben, wie effektiv kleine Betriebe Denkmuster und Assoziationen verwenden, um regionale Identitäten bzw. Vertrautheit zu schaffen (Flack 1997, zitiert nach Schnell und Reese 2014). Wie Flack in seinem 1997 erschienenen Aufsatz erklärt, kann es ausschlaggebend für den Erfolg und das Ansehen einer Kleinbrauerei sein, die nationale oder sogar regionale Kultur für den lokalen Bezug aufzugeben (Flack 1997:49ff). Schnell und Reese führen dazu (übersetzt aus dem Englischen) aus: „Wenn du deine lokale Gemeinschaft unterstützen willst, ihre Individualität und die unbarmherzige Dampfwalze der farblosen, einheitlichen Mittelmäßigkeit, die die Gesellschaft uns aufdrängt, stoppen willst, könntest du bei weitem Schlimmeres tun, als dir im lokalen Biergasthaus ein regionales Bier zu genehmigen“ (Schnell und Reese 2003:66). Ähnlich wie in Österreich (vgl. Kapitel 3.3) machen Amerikas Kleinbrauereien nur einen geringen Prozentsatz der gesamt-nationalen Bierausstoßmenge aus. Nichtsdestoweniger machen sie diesen Aspekt mit dem Innovationstrieb zum Neuen, Einzigartigen und Lokalen wett. Sie setzen sich geschmacklich von den hellen Lagerbieren von Marktriesen wie Budweiser, Coors oder Miller ab und trotzen der Massenproduktion mit einem breiten Spektrum an lokal gebrauten Spezialitäten und der Schaffung von „echter“ lokaler Erfahrung (Schnell und Reese 2014:167). Auch in Kanada zeichnet sich eine Hochblüte der Kleinbrauereien ab, die in der Mikrobrauerei- Renaissance in den 1980er Jahren ihren Ursprung nahm. Die Antwort der größeren Brauereien auf den wachsenden Produktionsanteil im höherpreisigen Segment der kleinstrukturierten Konkurrenz folgte allerdings rasch. Die einfachste Vorgehensweise schien es zu sein, abzuwarten, bis sich bestimmte Kleinbrauereien am Markt erfolgreich etabliert hatten und diese dann aufzukaufen. Andere Großbrauereien nahmen die Kultur des Neo-Lokalismus in ihre Portfolios auf und versuchten, zu dem von Kleinbrauereien dominierten Nischenmarkt aufzuschließen. Es dauerte allerdings nicht lange, bis manche Unternehmen Werte wie Authentizität und Regionalität missbrauchten und Regionalbezüge herstellten, die nicht der Realität entsprachen (Eberts 2014:189ff). Auch Ermann schreibt von einer „Kommodifizierung des Eigenen“ die von Großbrauereien genutzt wird und Konsument_innen mit oft nicht authentischen Regionalbezügen in die Irre führt (Ermann 2005:206ff). 23
3.3 Die Bierlandschaft Österreichs Wenn man sich aktuelle Statistiken zum Thema Bier und Bierkonsum in Österreich näher ansieht, kann man durchaus zusammenfassend deklarieren: Österreich ist ein Land der Biertrinker und Bierbrauer. Während im kollektiven Bewusstsein vieler Österreicher_innen klar ist, dass die Österreichische Weinkultur etabliert ist, ist der immense Bierkonsum hierzulande und die dazugehörige Vielfalt der Brauereilandschaft (noch) weniger in den Köpfen der Einwohner_innen der Alpenrepublik verankert. Im internationalen Vergleich wird Österreich nur von Tschechien vom „Thron der stärksten Biertrinker“ gestoßen: Im Bilanzjahr 2012/13 konsumierten die Österreicher_innen im Schnitt 103,5 Liter Bier pro Kopf und lagen damit sogar vor den Deutschen (Statistik Austria 2014). Mit dem großen Nachbarn liefert sich Österreich diesbezüglich allerdings Jahr für Jahr ein enges Kopf-an-Kopf-Rennen. So findet man ebenso Statistiken, die den deutschen Bierkonsum per Capita um wenige Prozentpunkte vor dem österreichischen auswerten (The Brewers of Europe 2014). Die statistische Auswertung der österreichischen Brauwirtschaft, herausgegeben vom Verband der Brauereien Österreichs, zeigt einige interessante Fakten auf: In dem Bericht wird eingangs darauf hingewiesen, dass sich die Alpenrepublik einer sehr gesunden regionalen Struktur erfreuen darf. Der gesamte Bierausstoß von rund neun Millionen hl im Jahr 2013 wurde von nicht weniger als 194 heimischen Braustätten produziert. 109 davon sind Gasthaus-und Hausbrauereien (Verband der Brauereien Österreichs 2014). 24
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