Braucht Bier Heimat? - unipub

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Braucht Bier Heimat?

Die Bedeutung von Verortung und Regionalität im Marketing
         ausgewählter Brauereien des Mühlviertels

                        Diplomarbeit

             zur Erlangung des akademischen Grades
             eines Magisters der Naturwissenschaften

              an der Karl-Franzens-Universität Graz

                           vorgelegt von

                      Ralph KRISTL

           am Institut für Geographie und Raumforschung
          Begutachter: Univ.-Prof. Dr. phil. Ulrich Ermann

                            Graz, 2015
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Eigenständigkeitserklärung

Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe
verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht benutzt und die den Quellen wörtlich oder
inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die Arbeit wurde bisher in
gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen inländischen oder ausländischen Prüfungsbehörde
vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht. Die vorliegende Fassung entspricht der
eingereichten elektronischen Version.

Graz, Juni 2015

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Vorwort
Hopfen und Malz, Gott erhalt’s!

Diverse Studien zeigen, dass der Geschmack von Bier bei der Kauf- und Konsumentscheidung
eine sekundäre Rolle spielt. Obwohl viele Biertrinker davon ausgehen, dass sie sehr wohl in der
Lage sind, ihr präferiertes Bier in Blindtestungen herauszuschmecken, zeigen verschiedene
Verkostungsexperimente, dass ebendies nicht der Fall ist.

Schon bevor ich durch derartige Studien in meinem Verdacht bestätigt wurde, vertrat ich die
Meinung, dass es wohl eingeprägte landläufige Vorstellungen und diverse andere
Assoziationen sind, die die Kaufentscheidung bei den unzähligen Biersorten, die in Österreich
gebraut werden, maßgeblich beeinflussen. Vor allem in ländlichen Regionen in meiner Heimat
im Nordwesten Oberösterreichs habe ich persönlich die Erfahrung gemacht, dass Menschen
sehr emotional an ihrem favorisierten, meist regional gebrautem Bier hängen. Der Fall eines
florierenden Freistädter Pubs, das nach dem Wechsel zu einem nicht-regionalen Bier beinahe
den Konkurs anmelden musste, gab schließlich den Ausschlag, mich näher mit den
Hintergründen dieses emotionalen Festhaltens am eigenen Lieblingsbier zu befassen.

Bedanken möchte ich mich zuallererst beim Betreuer meiner Arbeit, Univ.-Prof. Dr. Ulrich
Ermann, der mich kompetent durch den Schreibprozess begleitet hat.

Ohne die Mithilfe meiner Interviewpartner wäre die Durchführung dieser Diplomarbeit nicht
möglich gewesen – ein Dank daher an alle, die sich trotz voller Terminkalender Zeit für mich
genommen haben.

Mein größter Dank gilt meiner Familie und besonders meinen Eltern, die mich während allen
Phasen meines Bildungsweges unterstützt haben und mir in Selbstverantwortung das
unbeschwerte Beschreiten dessen ermöglicht haben.

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Zusammenfassung
Bier ist eines der Lieblingsgetränke der Österreicher_innen und wird hierzulande von einer
Vielzahl an Brauereien hergestellt. Obwohl der nationale Biermarkt sehr stark von wenigen
Großbrauereien dominiert wird, schaffen es auch kleine und mittelständische Unternehmen,
sich gegen die enorme Konkurrenz der Großproduzenten durchzusetzen. Gegenstand der
vorliegenden Diplomarbeit sind drei gezielt ausgewählte kleine und mittelständische
Brauereien des Mühlviertels. Eine detaillierte Analyse des Marketings und im Besonderen des
Werbeauftritts von Hofstettner Bier, Freistädter Bier und der Stiftsbrauerei Schlägl soll
stellvertretend für viele vergleichbare österreichische, regional verankerte Brauereien die
Bedeutung von Verortung und Regionalität eruieren und beschreiben. Die Wichtigkeit von
Bezügen der Produkte zu Ort und Region wird nicht nur von Produzentenseite, sondern auch
aus der Perspektive von Biertrinker_innen betrachtet, um letztendlich ein ganzheitliches Bild
zu zeichnen und Positionierungschancen für kleine und mittelständische österreichische
Brauereien aufzuzeigen.

Um dies zu erreichen, wurde eine umfangreiche, im Wesentlichen aus der Kombination von
Experteninterviews und teilnehmender Beobachtung bestehende qualitative Sozialforschung
durchgeführt. Die daraus resultierenden Daten wurden mithilfe bestehender Literatur im
Bereich Marketing und der im wissenschaftlichen Diskurs immer relevanter werdenden
Regionalforschung bewertet und für den Leser in dieser Arbeit aufbereitet.

Daraus gehen glaubhafte, authentische Verortung und die Nutzung von Assoziationen mit einer
bestimmten Region als entscheidender Erfolgsfaktor für die gegenständlichen Unternehmen
hervor. Gleichzeitig entspricht eine Verknüpfung des Produktes Bier mit dem Herstellungsort
und der Region, in der dieser eingebettet ist, den Wünschen vieler Konsument_innen, deren
innerste Bedürfnisse nach Zugehörigkeit und Identität vom Produkt angesprochen werden.
Positionierungschancen für kleine und mittelständische Brauereien sehe ich folglich in einer
erfolgreichen Befriedigung derartiger Bedürfnisse durch Regionsbezogenheit und die damit
verbundene soziale Nähe, die „anonyme“ Großbrauereien kaum bieten können, aber auch in
der flexiblen Herstellung von unterschiedlichsten Spezialbieren, mit denen man sich von der
Konkurrenz abhebt. Eine Kombination aus authentischer Verortung und Ausschöpfung der von
der   jeweiligen   Region    bereitgestellten   (positiven)   Assoziationen   sowie   kreativer
Innovationskraft dürfte also eine wirtschaftlich sehr vielversprechende Basis für viele kleine
und mittlere österreichische Brauereien sein.

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Abstract
Beer is one of the most popular drinks in Austria and is produced by a vast number of
breweries. Even though the national market is dominated by only a few large breweries, small
and middle-class companies succeed in asserting themselves.

The object of the work in hand are three specifically selected small and medium sized
breweries of the Mühlviertel (northern region in Upper Austria). A detailed analysis of the
marketing strategies and especially the advertising presence of Hofstettner Bier, Freistädter
Bier and Stiftsbrauerei Schlägl is supposed to determine and depict the importance of
geographical entanglements with place and the region it is embedded in for these three
companies and many similar ones in Austria. In order to provide a holistic portrayal the
importance of these entanglements is not only regarded from the point of view of the producer
but also from the point of view of the potential consumer. Combining these two sides will
eventually enable me to draw a more complete picture and to illustrate positioning chances for
such small and middle-class companies in Austria.

For that purpose I conducted thorough qualitative research, basically consisting of both expert
interviews and participant observation. Using already existing literature in the growing field
of regional science and marketing the gathered data was evaluated and is presented in the
diploma thesis in hand.

The conducted research shows that convincing, authentic geographical entanglements as well
as the utilization of associations with a certain region are an essential aspect in economic
success of the analysed companies. At the same time this connection between product and
place and the region it is embedded in meets the demands of the customers whose inner
wishes for belonging and identity are addressed. For this reason I see great chances for small
and medium sized breweries in satisfying these needs successfully through the establishment
of intimate links between product and place/region as well as using the social proximity that
comes along with it. Bigger “faceless” companies cannot provide these assets. Another way to
stand out from the crowd against big firms is the flexible production of a broad range of craft
beer. A combination of these mentioned aspects should serve as an economically promising
basis for many small and middle-sized Austrian breweries.

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Inhaltsverzeichnis

Eigenständigkeitserklärung..................................................................................................... 1

Vorwort ..................................................................................................................................... 2

Zusammenfassung .................................................................................................................... 3

Abstract ..................................................................................................................................... 4

Inhaltsverzeichnis ..................................................................................................................... 5

Abbildungsverzeichnis ............................................................................................................. 8

1) Einleitung .............................................................................................................................. 9

   1.1 Grundlegende Problemstellung ........................................................................................ 9

   1.2 Zielsetzung ..................................................................................................................... 10

2) Methodik ............................................................................................................................. 11

   2.1 Qualitative Sozialforschung ........................................................................................... 11

       2.2.1 Die Produzentenseite ............................................................................................... 12

       2.2.2 Interviewleitfaden.................................................................................................... 13

       2.2.3 Die Konsumentenseite............................................................................................. 14

3) Bier damals und heute ....................................................................................................... 16

   3.1 Ein historisch gewachsenes Kulturgut ........................................................................... 16

       Rohstoffe zur Bierherstellung .......................................................................................... 20

   3.2 Die Bierindustrie und deren Trends im internationalen Vergleich ................................ 22

   3.3 Die Bierlandschaft Österreichs....................................................................................... 24

       Österreichische Biersorten ............................................................................................... 28

4) Marketing ........................................................................................................................... 30

   4.1 Kategorisierung von KMU ............................................................................................. 30

   4.2 Marketing für kleine und mittlere Unternehmen (KMU)............................................... 31

       Werbung mit begrenzten finanziellen Mitteln ................................................................. 34

   4.3 Marken und Markenpolitik............................................................................................. 36

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Verortung von Marken ..................................................................................................... 37

5) Die Bedeutung von Verortung und Regionalität............................................................. 39

   Wandlungsprozesse der letzten Jahrzehnte .......................................................................... 39

   5.1 Die Region in Konjunktur .............................................................................................. 41

      „Heimat“........................................................................................................................... 42

   5.2 Raum und Identität ......................................................................................................... 43

      5.2.1 Die Entstehung eines „Wir-Bewusstseins“ ............................................................. 45

      5.2.2 Verbundenheit innerhalb der Region ...................................................................... 46

6) Mühlviertel → Bierviertel ................................................................................................. 47

   6.1 „Kraft.Voll.Echt“: Das Mühlviertel ............................................................................... 47

      Typisch „mühlviertlerisch“? ............................................................................................ 48

   6.2 „Bierviertel“ ................................................................................................................... 49

      6.2.1 Regionsabgrenzung ................................................................................................. 52

      6.2.2 Wirtschaftliche Vorteile durch regionale Vernetzung ............................................ 54

      6.2.3 Regionales Wirtschaften ......................................................................................... 55

7) Brauereien im Mühlviertel ................................................................................................ 56

   7.1 Hofstettner Bier .............................................................................................................. 56

   7.2 Freistädter Bier ............................................................................................................... 61

   7.3 Stiftsbrauerei Schlägl ..................................................................................................... 68

   7.4 Wie regional sind die Biere der untersuchten Brauereien? ............................................ 73

8) Beantwortung der zentralen Fragestellungen ................................................................. 75

   8.1 Welche Rolle spielen Verortung und Regionalität im Marketing kleiner und mittlerer
   Brauereien des Mühlviertels? Welches (regionale) Image wird vermarktet und welche
   Assoziationen will man hervorrufen? .................................................................................. 75

   8.2 Welche Kriterien spielen auf Konsumentenseite eine Rolle beim Kauf und Konsum von
   Bier? ..................................................................................................................................... 79

   8.3 Können sich kleine und mittelständische Brauereien im Mühlviertel am Markt
   behaupten? Wie positioniert man sich? ................................................................................ 82

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9) Schlussfolgerungen: „Braucht Bier Heimat?“ ................................................................ 86

       Zukünftige Forschungsaufgabe ........................................................................................ 88

10) Literaturverzeichnis ........................................................................................................ 89

Anhang .................................................................................................................................... 95

   Portraits der Befragten ......................................................................................................... 95

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Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Ehemaliger Bauernhof der Brauerei Hofstetten in St. Martin i.M. ............................. 19
Abb. 2: Standorte der Brauereien und Gasthausbrauereien innerhalb Österreichs .................. 25
Abb. 3: Vereinfachtes Modell des Marketingprozesses ........................................................... 31
Abb. 4: Mattenshop auf der Homepage von Freistädter Bier .................................................. 35
Abb. 5: Modell regionaler Identität .......................................................................................... 44
Abb. 6: Aufteilung Oberösterreichs in vier Viertel .................................................................. 47
Abb. 7: Bierviertel "Selection" Paket ....................................................................................... 51
Abb. 8: Alte Aufnahmen der Brauerei Hofstetten.................................................................... 56
Abb. 9: Bauer aus der Region streicht über seine Gerste ......................................................... 66
Abb. 10: Lastwagen im charakteristisch hügeligen Mühlviertel.............................................. 66
Abb. 11: "Bierheimat" auf der Homepage von Freistädter Bier .............................................. 67
Abb. 12: Kleines Brauhaus der Stiftsbrauerei Schlägl ............................................................. 70
Abb. 13: Gerstenernte im Mühlviertel ..................................................................................... 72
Abb. 14:"Mühlviertler Bier" .................................................................................................... 84

Tabellenverzeichnis
Tab. 1:Bierausstoß nach Bundesländern (in Prozent) .............................................................. 26
Tab. 2:Verteilung der Braustätten auf die Bundesländer von 1980-2013 ................................ 26
Tab. 3:Betriebsgrößenklassen nach Jahresausstoß von 1980-2013 (in 1000 hl)...................... 27
Tab. 4:Abgrenzungsempfehlung der Europäischen Union 2003 von KMU ............................ 30

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1) Einleitung

1.1 Grundlegende Problemstellung

Österreich kann durchaus als Land der Bierbrauer und Biertrinker bezeichnet werden.
Regelmäßig mit dem international als „Bierland“ bekannten Nachbarland Deutschland
alternierend wird Österreich nur von Tschechien auf die Plätze verwiesen, was den Pro-Kopf-
Konsum von Bier betrifft. Trotz der beeindruckenden Anzahl von 194 Brauereien (Stand 2013)
wird der überwiegende Anteil des österreichischen Bedarfs von nur wenigen Großbrauereien,
darunter bekannte Marken wie Stiegl, Gösser, Puntigamer oder Zipfer,- gedeckt. Allen
Bundesländern voran weist Oberösterreich im Verhältnis zur Gesamtfläche die höchste Dichte
an Brauereien und Gasthausbrauereien auf und zeichnet sich durch eine sehr vielfältige
Brauereilandschaft aus (Verband der Brauereien Österreichs 2014). Diese hohe Dichte in
Oberösterreich bedingt eine besondere räumliche Nähe der Einwohner_innen zu den
Braustätten. Obwohl mehr als 80% des Marktes von Großbrauereien gedeckt werden,
behaupten sich viele kleine und mittelständische, lokal sehr stark verwurzelte Brauereien am
heimischen Biermarkt. Ausstoßmengen von einer Million Hektoliter stehen dabei solchen wie
jenen der Brauerei Hofstetten mit 7000 Hektolitern pro Jahr gegenüber. Begrenzte finanzielle
Rahmenbedingungen bedingen die Notwendigkeit, sich mit anderen Mitteln gezielt am Markt
zu positionieren und zu behaupten. Die angesprochene Verortung mit dem Herstellungsort und
der Region Mühlviertel, bzw. welche Bedeutung dieser im Marketing der drei gegenständlichen
Brauereien zukommt, wird in der vorliegenden Diplomarbeit untersucht.

Stellvertretend für viele derartige Brauereien wird das Marketing der drei im
oberösterreichischen Mühlviertel (vgl. Kapitel 6.1) gelegenen Unternehmen „Freistädter Bier“,
„Hofstettner Bier“ und der „Stiftsbrauerei Schlägl“ analysiert, um die Bedeutung der Verortung
in deren Marketing zu eruieren und in Folge dessen festzustellen, wie man sich als kleineres
Unternehmen gegen die Konkurrenz der Großbetriebe und deren finanziell aufwändig
beworbenen „Fernsehbiere“ positioniert, bzw. sich (erfolgreich) dagegen zur Wehr setzt. Um
ein vollständigeres Verständnis des Auftretens und der Werbemaßnahmen von lokal
verwurzelten Brauereien zu erreichen, werden auch die Konsumentenseite und dazugehörige
Kriterien beim Kauf und Konsum von Bier ergründet und mit einbezogen. Auch
Regionalinitiativen wie das von den drei erwähnten Mühlviertler Brauereien und dem

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Biergasthaus Schiffner gegründete „Bierviertel“ (vgl. Kapitel 6.2) werden aufgrund ihrer
Relevanz im Kontext der Bedeutung von Verortung behandelt.

Wie Ermann in seiner Dissertation zum Thema „Regionalprodukte“ konstatiert, lässt sich an
kaum einem anderen Produkt so gut zeigen, welche Bedeutung Wissen und Symbolik
zukommen kann, wie an Bier (Ermann 2005:204). Aufzuzeigen, wie diese Aspekte mit
geographischen Assoziationen zu einem Ort bzw. einer Region zusammenhängen, ist die
grundlegende Intention dieser Diplomarbeit.

1.2 Zielsetzung

Das Ziel der vorliegenden Diplomarbeit ist also eine Analyse der Bedeutung von Verortung,
bzw. Regionalität in der Vermarktung und beim Konsum von Biermarken. Der Fokus wird
dabei nicht auf bekannte Großbrauereien mit hohen Absatzzahlen gelegt, sondern auf kleine
und mittelständische Brauereien. Naturgemäß haben diese andere Konsumentenkreise und
Werbestrategien. In dieser Arbeit wird dargelegt, welche Bilder, Stimmungen, Gefühle und
weitere individuelle Assoziationen am Vertrieb und Konsum von Bier maßgeblich beteiligt
sind. Mithilfe qualitativer Interviews, teilnehmender Beobachtung sowie bereits vorhandener
Forschung im Bereich der Regionalität und Vermarktung wird der Stellenwert der Verortung
für die drei gegenständlichen Brauereien, aber auch für Konsument_innen beleuchtet, um
schließlich Schlussfolgerungen für Positionierungsmöglichkeiten solcher Betriebe daraus
abzuleiten.

Das Untersuchungsgebiet ist das Mühlviertel, das Gebiet nördlich der Donau in Oberösterreich.
Die geographischen sowie kulturhistorischen Besonderheiten des Mühlviertels werden in
Kapitel 6 beschrieben. Obwohl das an die althergebrachte Bierregion Bayern grenzende
Innviertel ebenfalls eine sehr florierende Brauereilandschaft vorzuweisen hat und sich daher für
eine Analyse ebenso anbot, fiel die Entscheidung letztendlich auf eine kleine Auswahl an
Mühlviertler Bierherstellern. Einer der Gründe dafür war die großangelegte, vor kurzer Zeit ins
Leben gerufene Initiative „Mühlviertel- Bierviertel“. Diese Initiative hat unter anderem zum
Ziel, das Mühlviertel nicht nur innerhalb Österreichs, sondern über die nationalen Grenzen
hinweg als die Bierbrauregion Nummer eins zu positionieren und wird daher in einem der
folgenden Kapitel genauer vorgestellt (vgl. Kapitel 6.2). Die Initiatoren legen sehr viel Wert

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auf Verortung und Regionalität und der Verein umfasst zum aktuellen Zeitpunkt (März 2015)
drei regionale Brauereien und eine Gasthausbrauerei.

Die sich aus diesem Vorhaben ergebenden Forschungsfragen lauten daher:

1) Welche Rolle spielen Verortung und Regionalität im Marketing kleiner und mittlerer
Brauereien des Mühlviertels? Welches (regionale) Image wird vermarktet und welche
Assoziationen will man hervorrufen?

2) Welche Kriterien spielen auf Konsumentenseite eine Rolle beim Kauf und Konsum von
Bier?

3) Können sich kleine und mittelständische Brauereien im Mühlviertel am Markt behaupten?
Wie positioniert man sich?

   2) Methodik

2.1 Qualitative Sozialforschung

Um die dieser Arbeit zugrunde liegenden Fragen zu beantworten, wurde die Durchführung
einer qualitativen Herangehensweise gewählt. Dabei wurde mit Daten gearbeitet, die sich laut
Heinze „selbst erklären“, also dem Alltagsverständnis zugänglich sind. Qualitative Daten lagen
entweder bereits vor oder wurden wie im Falle dieser Arbeit durch Befragung erzeugt und
anschließend verschriftlicht und ausgewertet (Heinze 2001:13).

Empirische, d.h. erfahrungsgemäße Sozialforschung beschreibt Atteslander als „systematische
Erfassung sozialer Tatbestände“. Derartig empirisch untersuchbare Tatbestände sind demnach
„beobachtbares menschliches Verhalten, von Menschen geschaffene Gegenstände sowie durch
Sprache vermittelte Meinungen, Informationen über Erfahrungen, Einstellungen, Werturteile,
Absichten“. Die Durchführung qualitativer Sozialforschung hat nach bestimmten Regeln zu
erfolgen, um eine durchgehende Nachvollziehbarkeit zu gewährleisten (Atteslander 2008:3).

                                             11
2.2.1 Die Produzentenseite

Nachdem die Auswahl der Brauereien feststand, wurde Kontakt mit dem Eigentümer der
Hofstetter Brauerei, der ebenso als Obmann der Initiative Bierviertel interviewt wurde, den
jeweiligen Marketingleiterinnen von Freistädter Bier und Schlägl Bier sowie mit dem Inhaber
des Biergasthauses Schiffner hergestellt. Letzterer bot durch seine enorme Bandbreite an
unterschiedlichsten angebotenen Bieren einen verknüpfenden und im Gegensatz zu den
Brauereivertreter_innen einen relativ neutralen Blickwinkel. Wie Reuber und Pfaffenbach
anmerken, wäre es wünschenswert, die Gesprächspartner bereits vor dem Interviewtermin
kennenzulernen. Die Autoren vermerken aber auch, dass dies aufgrund von Termindruck selten
realisierbar ist; diese Problematik bewahrheitete sich auch in meinem Fall. Persönliches
Kennenlernen wäre aufgrund der weiten Anreise ins Untersuchungsgebiet außerdem sehr
zeitaufwändig gewesen (Reuber und Pfaffenbach 2005:132).

Durch die im Rahmen der teilnehmenden Beobachtung geführten Gespräche wurde ich auf den
Kellner eines Freistädter In-Lokals, das nach der Umstellung auf ein nicht regionales Bier nur
knapp dem Konkurs entging, aufmerksam und führte auch mit ihm ein ausführliches Interview.

Alle Teilnehmer_innen, die als Experten auf ihrem Gebiet betrachtet werden können, wurden
vorab per E-Mail oder Telefon über mein Vorhaben sowie die Interviewstruktur aufgeklärt und
um Erlaubnis gebeten, die Gespräche aufzuzeichnen und sie in meiner Diplomarbeit zitieren zu
dürfen – diese Befugnis wurde nach den Interviews zusätzlich schriftlich von allen
Teilnehmer_innen per E-Mail bestätigt. Die einzelnen Interviews waren auf eine Dauer von ca.
30 Minuten konzipiert, wobei das kürzeste letztendlich nur knapp eine Viertelstunde dauerte,
während das längste über 60 Minuten in Anspruch nahm.

Da die Erinnerung an mündliche Aussagen lückenhaft sein kann, wurde das Gesprochene im
Transkript festgehalten, um so eine detaillierte Analyse des gewonnenen Materials zu
ermöglichen. Bei dieser Verschriftlichung von Audiomaterial sollte man sich allerdings
bewusst sein, dass Gesprächssituationen nie in ihrer Vollständigkeit festgehalten werden
können (Dresing und Pehl 2013:17). Alle Interviews wurden deshalb mit einem Aufnahmegerät
aufgezeichnet, um eine anschließende, möglichst detailgetreue Transkription zu ermöglichen.

Während des langwierigen Transkriptionsprozesses der Interviews befasste ich mich
zwangsläufig sehr intensiv mit der Thematik dieser Arbeit. Auf Details wie Gestik, Prosodie,

                                             12
etc. wurde beim Transkribieren aufgrund eines inhaltlichen Schwerpunktes verzichtet. Alle
Interviews wurden vorwiegend in Österreichischem Deutsch durchgeführt; in den Transkripten
wurde das Gesprochene aus Gründen der besseren Verständlichkeit ins Standarddeutsche
übertragen, manche Phrasen und Ausdrücke wurden allerdings in der ursprünglichen
Umgangssprache beibehalten, weil eine Übersetzung zu Einbußen in deren Authentizität
geführt hätte. Um einzelne Aussagen den jeweiligen Interviewpartnern zuordnen zu können,
wurde jedem Interview ein Buchstabe zugeordnet.

Nicht ganz einheitlich ist die Definition von „Experten“. Alle Interviewpartner entsprachen
zumindest der Definition von Bogner und Menz: „Der Experte verfügt über technisches
Prozess- und Deutungswissen, das sich auf sein spezifisches professionelles oder berufliches
Handlungsfeld bezieht“ (Bogner und Menz 2005:46). Im Kontext dieser Diplomarbeit wurde
das Wissen dieser Experten genutzt, um die zentralen Forschungsfragen zu beantworten.
Private Erfahrungen werden ausgeklammert; der Experte kann als Repräsentant einer
Institution oder Organisation betrachtet werden. Er ist nur als Akteur in einem spezifischen
Kontext relevant, nicht aber als „Gesamtperson mit ihren Orientierungen und Einstellungen im
Kontext des individuellen oder kollektiven Lebenszusammenhangs“ (Meuser und Nagel 1991,
zitiert nach Lamnek 2010:656).

2.2.2 Interviewleitfaden

Nach intensivem Auseinandersetzen mit dem Handlungsfeld der interviewten Experten wurde
ein umfassender Leitfaden erstellt, der als Grundgerüst während der Gespräche diente,
allerdings je nach Notwendigkeit abgeändert, bzw. ergänzt wurde. Eine Vertrautheit des
Forschers mit der Thematik ist laut Lamnek nötig, um eine „lockere und unbürokratische“
Durchführung der Interviews zu gewährleisten (Lamnek 2010:658). Der folgende Leitfaden
konnte für die Experteninterviews mit den Vertretern der untersuchten Brauereien mit nur
wenigen Veränderungen beibehalten werden. Während der einzelnen Gespräche ergaben sich
ohnehin individuelle Schwerpunkte und so wurden die Interviews daran angepasst. Bei den
Gesprächen mit dem Inhaber des Biergasthauses Schiffner und vor allem mit dem Gastronomie-
Angestellten wurden spezifische Teile des Leitfadens herausgenommen und andere wichtige
Aspekte hinzugefügt. Auf diese Weise entstanden vergleichbare, aber dennoch sehr
individuelle Interviews:

                                            13
1) Wie genau sieht Ihr Absatzmarkt aus? “Rund um den Schornstein?“

   2) Was wissen Sie über Ihre Kunden? Wie sieht Ihre Zielgruppe aus?

   3) Welche Marketingstrategien betreiben Sie? Mit welchen Strategien setzen Sie sich
       gegen Billigbiere und teure „Fernsehbiere“ zur Wehr?

   4) Welchen Stellenwert haben dabei Regionalität und Verortung mit dem Mühlviertel?

   5) Was ist für Sie “typisch mühlviertlerisch”?

   6) Was verbinden Sie mit dem Begriff „Regionalität“?

   7) Woher beziehen Sie Ihre Rohstoffe?

   8) Könnte man mit alternativen, nicht regionalen Zutaten Geld sparen? Was gibt man für
       ein Image von Regionalität auf?

   9) Was macht für Sie den Wert des Bieres aus?

   10) Gibt es Synergieeffekte mit anderen Produzenten (Bierviertel)?

   11) Wie sieht die Entwicklung der letzten Jahre für kleine und mittlere Brauereien, bzw.
       die Prognose für die Zukunft aus? Was zeichnet Ihre und ähnlich große Brauereien
       gegenüber Großproduzenten aus?

   12) Weitere Anmerkungen (zur Frage Braucht Bier Heimat)?

2.2.3 Die Konsumentenseite

Um auch die wichtigsten Aspekte der Konsumentscheidungen beim Bierkauf von
Konsument_innen herauszuarbeiten, wurde auf die Methode der teilnehmenden Beobachtung
zurückgegriffen. Auch diese Form der qualitativen Forschung kann als wissenschaftliche
Methode begründet werden, mit der versucht wird „ Sinnstrukturen der Feldsubjekte situativ zu
erschließen“ (Lamnek 2010:498). Als grundlegende sozialwissenschaftliche Methode ist sie
allerdings mit weiteren Methoden wie Befragung und Inhaltsanalyse verknüpft.

                                             14
Die Kennzeichen der teilnehmenden Beobachtung sind laut Lamnek die Durchführung in der
natürlichen Lebenswelt der untersuchten Personen: „Der Sozialforscher nimmt am Alltagsleben
der ihn interessierenden Personen und Gruppen teil und versucht, durch genaue Beobachtung
etwa deren Interaktionsmuster und Wertvorstellungen zu explorieren und für die
wissenschaftliche Auswertung zu dokumentieren“ (Lamnek 2010:499ff). Ohne gleich zu
Beginn Forschungsabsichten zu offenbaren, verschafft man sich einen Überblick und gewinnt
so wertvolle Eindrücke (Przyborski und Wohlrab-Sahr 2014:54). Um eine möglichst
authentische und alltägliche Durchführung zu gewährleisten, wurde der Großteil der dieser
Diplomarbeit zugrundeliegenden Daten zum Bierkonsum von Konsument_innen in diversen
Bars und Gasthäusern gesammelt. So konnten die Befragungen meist mit dem direkten Verweis
auf das momentan getrunkene Bier und Fragen wie zum Beispiel „Warum trinkst du gerade
dieses Bier?“, gestartet werden.

Das ursprüngliche Vorhaben, ausgiebigere qualitative Interviews mit einigen wenigen
Konsument_innen durchzuführen, wurde aufgrund der Tatsache, dass manche davon relativ
wenig zu ihren Konsumentscheidungen zu sagen hatten, verworfen. Durch die Verwendung der
Methode der teilnehmenden Beobachtung konnte ein breiteres Personenspektrum analysiert
werden. Die mit Befragung verbundene Methode führte zu etwa 20 Gesprächssituationen, von
denen einige wie erwartet nach beispielhaften Aussagen wie „Ich trink das Bier, das
ausgeschenkt wird, ist mir eigentlich egal, welches“, über preisliche Argumentation „Ich kauf
einfach das Bier, das in Aktion ist“, nach wenigen Minuten zu Ende waren, während sich andere
zu   überaus     interessanten,    facettenreichen   Gesprächen    über    unterschiedlichste
Entscheidungsfaktoren entwickelten, die auch eine halbe Stunde und mehr dauerten. Unter
Verwendung eines Gedächtnisprotokolls wurden die aus dieser Vorgehensweise gewonnenen
Informationen und Daten in dieser Arbeit verschriftlicht.

                                              15
3) Bier damals und heute
Im nun folgenden Hauptteil wird eingangs ein breiter Überblick über die Entstehung von Bier
zum   Kulturgut,   die Lage der aktuellen        Bierindustrie sowie die österreichische
Brauereilandschaft gegeben. Entwicklungen am globalen, aber auch am heimischen Biermarkt
liefern ebenfalls nötiges Hintergrundwissen zu den aktuellen Vermarktungsstrategien der
untersuchten Brauereien des Mühlviertels und einer vollständigeren Beantwortung der dieser
Arbeit zugrundeliegenden Fragestellungen.

3.1 Ein historisch gewachsenes Kulturgut

Um die aktuelle (Ausgangs-) Lage und Allgemeinsituation der heutigen Brauereien, vor allem
derer, die im Rahmen der empirischen Untersuchung genauer analysiert wurden, umfassend zu
verstehen, ist ein kurzer Rückblick auf die Geschichte des Bieres und auf die historische
Entwicklung der heutigen Bier- und Braukultur erforderlich.

Verschiedenste Quellen weisen die Herstellung von Bier und dessen Konsum bis weit in die
Entstehungsgeschichte der Menschheit nach und machen das Getränk damit zu einem der
ältesten und wohl meistgetrunkenen Genussmittel überhaupt. Ausgrabungen belegen, dass die
ersten nachgewiesenen Bierbrauer die Assyrer, die Babylonier und die Sumerer etwa 6000
v.Chr. waren. Während Bier bei den Ägyptern noch ein wertvolles Grundnahrungsmittel war,
wurde es aufgrund klimatischer Bedingungen bei den Griechen und Römern vom Wein
verdrängt. Von manch einer Kultur als „barbarisches“ Getränk gemieden, wurde es von anderen
gefeiert und sogar unter einem gesundheitlichen Gesichtspunkt verwendet. Hippokrates etwa
empfahl Bier als „linderndes Mittel, gleichmäßig und ausgleichend, angenehm einzunehmen“
und schrieb dem Getränk nicht nur Durststillung, Verdauungsförderung und Entwässerung zu,
sondern sah es auch als ein Mittel gegen Schlaflosigkeit und zur Fiebersenkung (Hlatky
2004:15ff).

Ein wichtiger Schritt zur Entwicklung von Bier zu dem Getränk, das wir heute kennen, war das
deutsche Reinheitsgebot, das vom bayerischen Herzog Wilhelm IV. im Jahr 1516 erlassen
wurde (Deutscher Brauer-Bund 2014): Das Bier von damals hatte wenig mit dem Getränk, das
wir heute kennen, gemein. Bierpanscher fügten neben den Grundzutaten oft Hirse, Bohnen,

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Erbsen und andere stärkehaltige Stoffe hinzu, manchmal sogar Beigaben wie Pech, Ruß oder
Ochsengalle. Dem sollte zum Schutz der Gesundheit der Bürger ein Riegel vorgeschoben
werden. Nach dem Teil des historischen Dokuments, in dem geregelt wird, wie viel Pfenning
für ein Maß (=1,069 Liter) verlangt werden dürfen, lautet der Wortlaut für die
Herstellungsvorschriften von Bier:

       […] Ganz besonders wollen wir, daß forthin allenthalben in unseren Städten, Märkten und auf
       dem Lande zu keinem Bier mehr Stücke als allein Gersten, Hopfen und Wasser verwendet und
       gebraucht werden sollen. Wer diese unsere Anordnung wissentlich übertritt und nicht einhält,
       dem soll von seiner Gerichtsobrigkeit zur Strafe dieses Faß Bier, so oft es vorkommt,
       unnachsichtlich weggenommen werden. (Deutscher Brauer-Bund 2014)

Dieses historische Gesetz schreibt die ausschließliche Verwendung von Gerste, Hopfen und
Wasser bei der Bierherstellung vor und droht die Konfiszierung des Gebräues bei
Nichteinhaltung an. Zumindest teilweise hat es auch heute noch Bedeutung bei der
Bierherstellung, auch wenn heutzutage niemandem mehr Bier „weggenommen“ wird. Zur
Entstehungszeit des deutschen Reinheitsgebotes war die Bedeutung von Hefe, ohne die das
Jungbier nicht zur Gärung käme, noch nicht bekannt.

Ob bei der Bierherstellung nun aber tatsächlich nach dem deutschen Reinheitsgebot gebraut
wurde, ist vom Endverbraucher schwer feststellbar. Heute ist man von dieser einschränkenden
Vorschrift abgegangen und setzt auf Qualitätsproduktion. Technische Voraussetzungen und die
von den Herstellern für am besten erachteten Grundstoffe stehen über derartigen Gesetzen
(Seidl 1992:20).

Wie Seidl weiter anmerkt, ging es beim deutschen Reinheitsgebot wohl eher am Rande um die
„Reinheit“ des Bieres. Laut dem Autor ging es dem bayerischen Herzog Wilhelm IV. in erster
Linie um die Preisregelung. Wenn man die agrarische Ausgangssituation von damals betrachtet,
erscheinen Reglementierungen wie das Brauen nur mit Gerste sinnvoll. Man wollte verhindern,
dass Brotgetreide zu teurem Bier, anstelle zu weniger lukrativem, aber als Grundnahrungsmittel
natürlich überaus wichtigem Brot verarbeitet wird (Seidl 1992:18).

Eine umfassendere Beschreibung der zu verwendenden Rohstoffe findet man im
österreichischen Lebensmittelbuch Codex Alimentarius Austriacus im Codexkapitel B13. :
„Bier ist ein aus Zerealien, Hopfen und Wasser durch Maischen und Kochen hergestelltes,
durch Hefe vergorenes, alkohol- und kohlensäurehaltiges Getränk. […] Als Zerealien (vermälzt

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oder unvermälzt) werden vorwiegend Gerste, Weizen, Roggen oder Erzeugnisse aus diesen
verwendet.“ (Codex Alimentarius Austriacus).

Ein essentieller Meilenstein in der Braugeschichte war die Erfindung der elektrischen
Kühlanlage im Jahr 1870 durch Carl v. Linde (1842-1934). Sie ermöglichte eine ganzjährige
Herstellung. Zuvor konnte länger haltbares, untergäriges Bier nur mit großem Aufwand in der
kalten Jahreszeit hergestellt werden. Man „erntete“ Eis aus Teichen oder Gletschern und lagerte
es in den sogenannten Eiskellern der Brauereien. Der in Österreich weit verbreitete Name
„Märzenbier“, der sich bis heute gehalten hat, stammt von der Tatsache, dass es in Mitteleuropa
nur bis in den März hinein möglich war, die zur Gärung eines untergärigen Bieres benötigten
zehn Grad Celsius zu erreichen. (Hlatky 2004:22). Durch die im Zuge der teilnehmenden
Beobachtung geführten Gespräche wurde ersichtlich, dass der Begriff „Märzenbier“ so gut wie
jedem Biertrinker und jeder Biertrinkerin geläufig ist, jedoch kein einziger der Befragten
wusste, was dieser Name bedeutet, bzw. woher er kommt.

Weitere wichtige Entwicklungen in der Historie der Bierbrauerei waren die Eisenbahn und das
Dampfschiff, die die Ausbreitung von Markenbieren, die vorher nur lokal für den Konsum vor
Ort gebraut worden waren, möglich machten und einen Konzentrationsprozess im Brauwesen
in Gang setzten, der bis heute anhält (Hlatky 2004:23).

In seinem Werk „Bierland Oberösterreich“ beschreibt Conrad Seidl diesen Übergang.
Bezugnehmend auf Bayern und das benachbarte Oberösterreich hält er fest: „Es dürfte Zeiten
gegeben haben, zu denen in Oberösterreich beinahe jeder Bauernhof sein eigenes Bier gebraut
hat“ (Seidl 2012: 62ff). Dieses bäuerliche Brauwesen wurde im Laufe der Zeit in ein Gewerbe
übergeführt und aus Bauern wurden professionelle Bierbrauer, wie auch das Beispiel der in
dieser Arbeit untersuchten Hofstetter Brauerei in St. Martin zeigt. Daraus ist ersichtlich, woher
die vielbeworbene kleinstrukturierte Brautradition in den unterschiedlichen Standorten der
kleinen und mittleren Brauereien rührt.

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Abb. 1: Ehemaliger Bauernhof der Brauerei Hofstetten in St. Martin i.M.

Quelle: Eigene Aufnahme, 9.3.2015

Der in Abbildung 1 zu sehende, für die Region Mühlviertel charakteristische Bauernhof wurde
im Zuge der Modernisierung zur professionellen Brauerei ausgebaut. Für das Wasser der
Brauerei sorgen zwei hauseigene Brunnen und seit 2012 wird erstmals wieder Gerste aus der
zugehörigen Bio-Landwirtschaft zum Brauen verwendet (vgl. Kapitel 7.1).

Dieser durch die beschriebenen Entwicklungen in Gang gesetzte Konzentrationsprozess führte
u.a. dazu, dass der Braumarkt mittlerweile von wenigen weltweit agierenden Großbrauereien
und oft als zu einheitlich kritisierten „Einheitsbieren“, bestimmt wird. Diese Biere müssen
qualitativ und geschmacklich immer gleich schmecken und sollen untereinander austauschbar
sein (Hlatky 2004:23). Wie allerdings die im Rahmen dieser Arbeit durchgeführte Analyse
zeigt, kann genau das als entscheidende Chance für kleine und mittlere Brauereien gesehen
werden (vgl. Kapitel 8.3).

Die längere Haltbarmachung des Bieres wurde durch die Pasteurisierung ermöglicht. Dadurch
und durch die mechanische Filterung der Hefebestandteile aus dem Bier fand ein
Paradigmenwechsel vom Bier als Lebensmittel hin zum Getränk statt. Von Wien aus trat das
heute weltweit verbreitete Lagerbier um 1840 seinen Siegeszug an. Der Österreicher Anton
Dreher entwickelte dieses helle, untergärige Bier, das sich von den bis ins 19. Jh. mehrheitlich
dunklen, obergärigen Bieren abhob und revolutionierte damit die Brauereiwelt in ungeahntem
Ausmaß. Selbst heute wird der Großteil der weltweiten Bierproduktion nach Drehers Verfahren
hergestellt (Hlatky 2004:23).
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Rohstoffe zur Bierherstellung

Das in Kapitel 3.1 erwähnte deutsche Reinheitsgebot von 1516 bedingte eine vergleichsweise
„konservative“ Bierherstellung in Mitteleuropa und zeigt sich noch heute in der starken
Betonung „ausschließlich natürlicher“ Rohstoffe im Werbeauftritt vieler Brauereien. Vor allem
in Übersee fanden viele andere Stoffe Verwendung in der Bierherstellung. Nichts desto weniger
ist es überraschend, welche Sortenvielfalt nur durch geringe Abweichungen von den im
Reinheitsgebot vorgegebenen Grundzutaten Wasser, Hopfen und Malz kreiert werden kann.
Die Zugabe von Früchten zur Biererzeugung bei der Herstellung von Spezialbieren ist vor allem
in Ländern wie Holland, Frankreich oder Belgien populär. Einigkeit herrscht innereuropäisch
bei der Ablehnung von chemischen Zusätzen, die etwa den Schaum stabilisieren sollen oder als
Konservierungsmittel dienen (Seidl 2012:27).

Wasser ist naturgemäß der wichtigste Rohstoff zur Bierherstellung. Beinahe 90% des Getränks
bestehen daraus. Daraus resultierend kommt der Qualität und der Zusammensetzung des
verwendeten Wassers enorme Bedeutung zu. Die regionsbedingte Beschaffenheit hängt daher
letztendlich auch mit der Qualität des produzierten Bieres zusammen. Nur an Orten, wo
geeignetes Wasser vorhanden ist, kann auch bekömmliches Bier gebraut werden, ohne
aufwändige Wasseraufbereitung betreiben zu müssen (Hlatky 2004:30ff).

Eine Hanfpflanze aus der Ordnung der Nesselgewächse, der Hopfen, ist ein weiterer
elementarer Rohstoff bei der Bierherstellung. Die bis zu sieben Meter hohen, sattgrünen
Pflanzen prägen vor allem während der kurzen Blütezeit im Sommer die Landschaft des
Mühlviertels. Aus Gesprächen mit Einwohner_innen des Mühlviertels ging hervor, dass die
Hopfenplantagen einen hohen Stellenwert im Alltagsleben der Mühlviertler_innen einnehmen.
Der markante, vor allem während der Erntezeit allgegenwärtige Geruch, die Tatsache, dass
viele Einwohner_innen bei der Ernte aushelfen oder Bekannte/Verwandte haben, die am Anbau
und/oder der Ernte des Hopfens beteiligt sind, machen den Hopfen zum Mühlviertler
Aushängeschild und Regionalstolz. Ein Gesprächsteilnehmer erzählte sogar davon, dass
Hopfendolden anstelle eines Duftbaumes in Autos aufgehängt werden. Vor diesem Hintergrund
ist es gut nachvollziehbar, dass der Hopfen ein beliebtes Motiv bei der Herstellung von
Regionsbezug im Marketing der untersuchten Mühlviertler Brauereien ist. Vor allem im
Werbeauftritt von Freistädter Bier findet man zahlreiche Verweise auf diesen Rohstoff, die
einen starken Bezug zur Region kreieren.

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Neben dem in dieser Arbeit untersuchten Gebiet des Mühlviertels finden sich weitere
nennenswerte Anbaugebiete in Leutschach und in dem Gebiet um Zwettl im Waldviertel. Dem
Anbau von Hopfen sind allerdings natürliche, klimatische und geologische Grenzen gesetzt
(Seidl 1992:20ff). Bis heute ist das Mühlviertel aufgrund perfekter klimatischer und
geologischer Bedingungen das größte Hopfenanbaugebiet Österreichs (Pello und Benedetter-
Herramhof 2010:49).

Es sind vorwiegend die unbefruchteten, weiblichen Dolden des Hopfens, die für die
Biererzeugung verwendet werden. Den charakteristisch bitteren Geschmack erhält das Bier
durch die Inhaltsstoffe des Hopfens – die Lupulin Körner. Je mehr Hopfen beigefügt wird, desto
herber und bitterer wird das Bier. Je weniger Hopfen, desto milder und malziger wird es
(Hlatky 2004:34ff).

Der letzte Rohstoff, der im Reinheitsgebot erwähnt wird, ist Braumalz, das überwiegend aus
zweiteiliger Sommergerste erzeugt wird. Im Braujargon wird mit Malz meist Gerstenmalz
gemeint. Vor allem bei Spezialbieren finden aber immer öfter andere Malzsorten wie
Roggenmalz, Weizenmalz, Dinkel etc. Verwendung. Malz enthält Stärke, aus der sich
enzymbedingt die Einfachzucker Dextrin und Maltose bilden können. Diese finden sich im in
Alkohol und Kohlensäure umgewandelten Endprodukt Bier wieder und sorgen für die
„Nahrhaftigkeit“ des Getränks (Hlatky 2004:38f). Im Gegensatz zur Futtergerste, die sehr
eiweißreich sein muss, weist Braugerste einen hohen Anteil an Stärke auf, die für den
Brauvorgang, also die Umwandlung von Zucker in Alkohol benötigt wird (Seidl 1992:23).

Zu guter Letzt folgt vor der Lagerung des Jungbieres die Zugabe von Hefe. Je nach Bierart
verwendet man dabei entweder obergärige Hefe, die sich an der Oberfläche des Jungbieres
absetzt, oder untergärige Hefe, die nach unten absinkt (Seidl 1992:25). Erstere arbeitet bei
Temperaturen von 15-20 Grad, untergärige Hefe hingegen bei 5-10 Grad. Die Aufgabe der Hefe
ist die Spaltung des Malzzuckers, der sich aus dem Braumalz gebildet hat, in Alkohol und
Kohlensäure. Dieser Prozess der alkoholischen Gärung verläuft ähnlich wie bei Wein, Most
oder Met (Hlatky 2004:54).

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3.2 Die Bierindustrie und deren Trends im internationalen Vergleich

Entwicklungen am internationalen Biermarkt zu beobachten und zu analysieren ermöglicht im
Kontext dieser Arbeit und der zugrundeliegenden Frage der Bedeutung von Verortung ein
besseres Verständnis der Hintergründe für ein (in den folgenden Kapiteln vorgestelltes) derart
auf einen bestimmten Raum bezogenes Marketing. Wenn man die im folgenden Kapitel
beschriebenen internationalen Entwicklungen am Biermarkt betrachtet, wird ersichtlich, warum
sich die untersuchten kleinen und mittleren Brauereien des Mühlviertels in einer bestimmten
Art und Weise vermarkten und positionieren.

Die globale Bierindustrie hat sich in den letzten Jahrzehnten drastisch verändert. Philip Howard
nennt als diesbezügliche Trends die Zusammenschlüsse durch Fusionen und Firmenaufkäufe
und die Ausdehnung der größten dieser Firmen in neue Regionen. Während Bier ursprünglich
ein ausgesprochen regionales Produkt war, haben diese Trends dazu geführt, dass heute nahezu
die Hälfte der weltweiten Bierproduktion von nur vier Großkonzernen kontrolliert wird: AB
InBev, SABMiller, Heineken und Carlsberg. Hauptsächlich produziert wird helles Lagerbier
(vgl. Kapitel 3.3). Der Grund für derartige Entwicklungen liegt laut Howard in Änderungen der
politischen Rahmenbedingungen und im technischen Fortschritt. Die Kombination aus diesen
Faktoren riss die Barrieren gegen Zusammenlegungen nieder und ermöglichte es einigen
wenigen Firmen, zu mächtigen Marktführern aufzusteigen, wobei die Gefahr einer
Monopolstellung nicht außer Acht gelassen werden sollte. Dem gegenüber steht der Aufstieg
kleinerer Spezialbrauereien mit großer Biervielfalt, der auch aus dieser Arbeit hervorgeht
(Howard 2014:155).

Anhand des Beispiels der Vereinigten Staaten zeigen die Autoren Schnell und Reese die
aktuelle Entwicklung am Biermarkt auf: Seit den 1980er Jahren entstanden dort über 2300
Klein- und Kleinstbrauereien und Biergasthäuser (Schnell und Reese 2014:167). Reid et al.
erklären   diese   zunehmende     Verbreitung        von   Mikrobrauereien   damit,   dass   sich
Konsument_innen nicht mit der „erstickenden Homogenität“ der Populär-und Nationalkultur
identifizieren wollen. Derartige Brauereien deklarieren sich selbst gerne stolz und
selbstbewusst als lokal und verwenden historische Fotos, Karten oder andere Artefakte, die die
Persönlichkeit eines Ortes ausmachen (Reid et al. 2014).

Wes Flack kreierte vor einigen Jahren den Begriff „Neolocalism“, also Neu-Lokalismus. Damit
ist die aktive, bewusste Schaffung und Aufrechterhaltung von Beziehung zu einem konkreten

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Ort oder einer weiteren Region gemeint. Bezugnehmend auf die eben beschriebenen
Entwicklungen am Brauereimarkt wird dieses Konzept des Neo-Lokalismus von Schnell und
Reese aufgegriffen, um hervorzuheben, wie effektiv kleine Betriebe Denkmuster und
Assoziationen verwenden, um regionale Identitäten bzw. Vertrautheit zu schaffen (Flack 1997,
zitiert nach Schnell und Reese 2014).

Wie Flack in seinem 1997 erschienenen Aufsatz erklärt, kann es ausschlaggebend für den
Erfolg und das Ansehen einer Kleinbrauerei sein, die nationale oder sogar regionale Kultur für
den lokalen Bezug aufzugeben (Flack 1997:49ff). Schnell und Reese führen dazu (übersetzt aus
dem Englischen) aus: „Wenn du deine lokale Gemeinschaft unterstützen willst, ihre
Individualität   und   die   unbarmherzige    Dampfwalze      der   farblosen,   einheitlichen
Mittelmäßigkeit, die die Gesellschaft uns aufdrängt, stoppen willst, könntest du bei weitem
Schlimmeres tun, als dir im lokalen Biergasthaus ein regionales Bier zu genehmigen“ (Schnell
und Reese 2003:66).

Ähnlich wie in Österreich (vgl. Kapitel 3.3) machen Amerikas Kleinbrauereien nur einen
geringen Prozentsatz der gesamt-nationalen Bierausstoßmenge aus. Nichtsdestoweniger
machen sie diesen Aspekt mit dem Innovationstrieb zum Neuen, Einzigartigen und Lokalen
wett. Sie setzen sich geschmacklich von den hellen Lagerbieren von Marktriesen wie
Budweiser, Coors oder Miller ab und trotzen der Massenproduktion mit einem breiten
Spektrum an lokal gebrauten Spezialitäten und der Schaffung von „echter“ lokaler Erfahrung
(Schnell und Reese 2014:167).

Auch in Kanada zeichnet sich eine Hochblüte der Kleinbrauereien ab, die in der Mikrobrauerei-
Renaissance in den 1980er Jahren ihren Ursprung nahm. Die Antwort der größeren Brauereien
auf den wachsenden Produktionsanteil im höherpreisigen Segment der kleinstrukturierten
Konkurrenz folgte allerdings rasch. Die einfachste Vorgehensweise schien es zu sein,
abzuwarten, bis sich bestimmte Kleinbrauereien am Markt erfolgreich etabliert hatten und diese
dann aufzukaufen. Andere Großbrauereien nahmen die Kultur des Neo-Lokalismus in ihre
Portfolios auf und versuchten, zu dem von Kleinbrauereien dominierten Nischenmarkt
aufzuschließen. Es dauerte allerdings nicht lange, bis manche Unternehmen Werte wie
Authentizität und Regionalität missbrauchten und Regionalbezüge herstellten, die nicht der
Realität entsprachen (Eberts 2014:189ff). Auch Ermann schreibt von einer „Kommodifizierung
des Eigenen“ die von Großbrauereien genutzt wird und Konsument_innen mit oft nicht
authentischen Regionalbezügen in die Irre führt (Ermann 2005:206ff).

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3.3 Die Bierlandschaft Österreichs

Wenn man sich aktuelle Statistiken zum Thema Bier und Bierkonsum in Österreich näher
ansieht, kann man durchaus zusammenfassend deklarieren: Österreich ist ein Land der
Biertrinker und Bierbrauer. Während im kollektiven Bewusstsein vieler Österreicher_innen
klar ist, dass die Österreichische Weinkultur etabliert ist, ist der immense Bierkonsum
hierzulande und die dazugehörige Vielfalt der Brauereilandschaft (noch) weniger in den Köpfen
der Einwohner_innen der Alpenrepublik verankert.

Im internationalen Vergleich wird Österreich nur von Tschechien vom „Thron der stärksten
Biertrinker“ gestoßen: Im Bilanzjahr 2012/13 konsumierten die Österreicher_innen im Schnitt
103,5 Liter Bier pro Kopf und lagen damit sogar vor den Deutschen (Statistik Austria 2014).
Mit dem großen Nachbarn liefert sich Österreich diesbezüglich allerdings Jahr für Jahr ein
enges Kopf-an-Kopf-Rennen. So findet man ebenso Statistiken, die den deutschen Bierkonsum
per Capita um wenige Prozentpunkte vor dem österreichischen auswerten (The Brewers of
Europe 2014).

Die statistische Auswertung der österreichischen Brauwirtschaft, herausgegeben vom Verband
der Brauereien Österreichs, zeigt einige interessante Fakten auf: In dem Bericht wird eingangs
darauf hingewiesen, dass sich die Alpenrepublik einer sehr gesunden regionalen Struktur
erfreuen darf. Der gesamte Bierausstoß von rund neun Millionen hl im Jahr 2013 wurde von
nicht weniger als 194 heimischen Braustätten produziert. 109 davon sind Gasthaus-und
Hausbrauereien (Verband der Brauereien Österreichs 2014).

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