Bundeswehr raus aus Afghanistan! - Ein Reader der AG Afghanistan-Demonstration von linksjugend 'solid und Linke.SDS
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Bundeswehr raus aus Afghanistan! Ein Reader der AG Afghanistan-Demonstration von linksjugend ['solid] und Linke.SDS Inhalt: 1) Bundeswehr raus aus Afghanistan – Pressemitteilung der Partei DIE LINKE – S. 2 2) Nur ein Abzug wäre hilfreich – Interview mit Matin Baraki – S. 3 3) Die USA haben den Fundamentalismus nach Afghanistan zurückgebracht – Malalai Dschoja – S. 5 4) «… erkläre ich hiermit, dass ich es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren kann, den Einsatz von Tornado-Waffensystemen in Afghanistan in irgendeiner Form zu unterstützen …» - Oberstleutnant Jürgen Rose – S. 11 5) Militarisierung mit Lichtgeschwindigkeit – Tobias Pflüger – S. 13 6) Abzug am Sankt Nimmerleins Tag – Frank Eßers – S. 15 7) Karten - S. 24 1
http://die-linke.de/politik/international/detail/zurueck/bundeswehr-raus-aus- afghanistan/artikel/bundeswehr-raus-aus-afghanistan/ Bundeswehr raus aus Afghanistan DIE LINKE ruft zur Beteiligung an der Demonstration gegen den Afghanistan-Einsatz auf. Dazu erklärt Christine Buchholz, Mitglied im geschäftsführenden Parteivorstand: DIE LINKE unterstützt die von der Friedensbewegung organisierte Demonstration gegen die Verlängerung des Mandates für den Bundeswehreinsatz in Afghanistan und ruft ihre Mitglieder und Sympathisanten auf, am 15. September in Berlin zu demonstrieren. Die Situation in Afghanistan ist katastrophal. Bei dem Krieg geht es nicht um Demokratie und Menschenrechte, sondern um die wirtschaftlichen Interessen der westlichen Industrieländer – auch Deutschlands. Seit 2002 wurden in Afghanistan 85 Mrd. Dollar für Militärmaßnahmen, aber nur 7,5 Mrd. Dollar für den zivilen Wiederaufbau eingesetzt. Da wundert es nicht, wenn die ausländischen Truppen von der Afghanischen Bevölkerung als Besatzer angesehen werden. Durch den Tornado-Einsatz wurde die deutsche Kriegsbeteiligung ausgeweitet. Dabei wird deutlich: Eine Unterscheidung zwischen dem vermeintlichen Wiederaufbau-Einsatz ISAF und der US-geführten Operation Enduring Freedom ist Augenauswischerei. Beide Einsätze sind miteinander verquickt. Durch den Tornado-Einsatz beteiligt sich die Bundeswehr direkt am Krieg. Die Bundesregierung ist mit verantwortlich für die vielen zivilen Toten, die in den letzten Wochen durch die Bombardierungen zu beklagen sind. Anstatt den Abzug der Bundeswehr zu planen, erwägen Peter Struck und Frank Walter Steinmeier sogar die Entsendung weiterer Soldaten. Damit ziehen sie Deutschland noch weiter in den Kriegssumpf hinein. Die Bundestagsabgeordneten können eine Beendigung der deutschen Kriegsbeteiligung herbeiführen. Im September wird über die Verlängerung des ISAF-Mandates, inklusive der Tornados, abgestimmt, im Oktober wird über die Verlängerung der Operation Enduring Freedom abgestimmt. Wir sagen Nein zur Verlängerung und zur Ausweitung dieser Mandate. 2
http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=114882&IDC=2 Nur ein Abzug wäre hilfreich Matin Baraki über Alternativen zum Krieg • Was sind die Gründe für den Kriegseinsatz in Afghanistan? Wird die Sicherheit der Bundesrepublik wirklich am Hindukusch verteidigt, oder sind geopolitische und ökonomische Hintergründe entscheidend? Man sollte die Verteidigungspolitischen Richtlinien der Bundesrepublik Deutschland von 1992, die Europäische Sicherheitsstrategie oder das kürzlich erschienene Weißbuch der Bundeswehr lesen. Dort ist unmissverständlich formuliert: Wenn die Interessen der Bundesrepublik Deutschland es verlangen, wird die Bundeswehr in jedem beliebigen Teil der Welt operieren. Afghanistan ist dabei gleichsam ein Türöffner für künftige Großmachtambitionen. Das Land ist von großer geostrategischer Bedeutung. Die gesamte Region des Nahen und Mittleren Ostens, der Kaukasus, Mittel- und Südasien sowie China sind von Afghanistan aus zu erreichen. Die Sicherung geopolitischer Interessen der NATO-Staaten ist entscheidend. Taliban, Al-Qaida oder mögliche humanitäre Hilfe sind weniger relevant für den Einsatz. • Afghanistan war historisch ein Spielball der Großmächte. Sie unterstreichen in Ihren Arbeiten mehrfach die ausländische Besatzung als das zentrale Problem des Landes, bezeichnen Afghanistan sogar als ein NATO-Protektorat. Ist eine positive wirtschaftliche und politische Entwicklung für Sie unter gegenwärtigen Voraussetzungen überhaupt möglich? Nein. 99 Prozent aller Produkte, die auf dem afghanischen Markt angeboten werden, sind Importe. Die nationale Wirtschaft Afghanistans ist nach mehr als 30 Jahren Krieg komplett zerstört und hat unter den heute existenten, kolonial-ähnlichen Voraussetzungen keine Chance, sich zu regenerieren. Der einzige Produktionszweig, der in Afghanistan floriert, ist der Drogenanbau. Afghanistan ist durch jahrzehntelange Kriegspolitik zu einem Drogen-Mafia-Staat verkommen. Unter diesen wirtschaftlichen Verhältnissen und mit der Marionettenregierung in Kabul hat dieses Land keine Perspektive. • In der Friedensbewegung vertritt man die Meinung, dass karitative und humanitäre Hilfe nur unter Ausschluss des Militärischen geleistet werden kann. Wie stehen Sie zu dieser Forderung? Seit das Militär karitative und humanitäre Hilfsorganisationen begleitet, sind diese gefährdet. Die Afghanen sehen sie nicht als Helfer, sondern als Handlanger ausländischer Militärs. Gerade das Militär gefährdet die Hilfe der Organisationen vor Ort. Bevor NATO und ISAF im Land operierten, haben die Nichtregierungsorganisationen ihre Arbeit ungestört geleistet. Erst durch ausländische Militäroperationen ist die humanitäre Hilfe in Gefahr. • Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung lehnt die Beteiligung Deutschlands am Krieg ab. Trotzdem hält die herrschende Politik am Einsatz fest. Ist der Vorwurf einer antidemokratischen 3
Politik der Bundesregierung berechtigt? Absolut. Wenn die Mehrheit eines Volkes ihre eigene Regierung und deren Politik nicht akzeptiert, ist diese nicht legitimiert. Was die Bundesregierung macht, steht in diametralem Widerspruch zu den Interessen der Menschen in Deutschland. • Für Grüne und SPD ist höchstens die Operation Enduring Freedon (OEF) fragwürdig; ISAF ist bei beiden nach wie vor unumstritten. Ist eine Trennung beider Missionen zulässig? Es existiert faktisch nur eine einzige Mission. ISAF und OEF sind praktisch miteinander verschmolzen. Beide führen einen Krieg. OEF-Truppen bombardieren flächendeckend das Land und verwüsten es. Die afghanische Bevölkerung empfindet Soldaten beider Operationen als Besatzung. Die alleinige Mission in Afghanistan ist der Anti-Terrorkrieg. Dort hat die Bundesrepublik keine Befehlsgewalt und nur die Aufgabe, Interessen der USA umzusetzen. • Die humanitäre Lage im Land ist katastrophal, Experten sprechen von einer »Irakisierung« Afghanistans. Würde sich nach Abzug der internationalen Kampftruppen die Situation nicht noch verkomplizieren? Stünde dann nicht eine erneute Machtübernahme fundamentalistischen Taliban bevor? Ein Abzug der Bundeswehr würde die Situation in Afghanistan in keiner Weise verschlechtern. Sie könnte das Land sofort verlassen. Vor dem vollständige Abzug der internationalen Besatzungstruppen müssen entsprechend politische Rahmenbedingungen geschaffen werden. Mittels demokratischer Wahlen auf einer Loyadjirga sind eine Kommission für eine neue Verfassung und neue Parteien- und Wahlgesetze zu bestimmen. Eine provisorische Regierung muss gewählt werden. Wenn diese politischen Schritte getan sind, müssen sich die Militäreinheiten der NATO aus Afghanistan zurückziehen. Ist die Sicherheitslage wider Erwarten angespannt, kann das Land von den nichtpaktgebundenen Staaten oder von der Konferenz islamischer Staaten kurzzeitig Militärschutz erbitten. Fest steht: Soll in Afghanistan eine Perspektive für den Frieden bestehen, müssen die internationalen Besatzer ihre Interessen in Afghanistan aufgeben und abziehen. • Seit der Intervention 1992 in Somalia ist die Bundesrepublik international an immer mehr Kriegseinsätzen beteiligt. Afghanistan ist dabei der vorläufige Höhepunkt. Wo ist demnächst militärisches Engagement zu erwarten? Das kann in jedem beliebigen Teil der Welt sein. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Bundesrepublik sich mehr als bisher in Irak engagiert. Nicht auszuschließen ist, dass die USA unter deutscher Beteiligung einen Krieg gegen Iran führen. Syrien, Libanon, Sudan oder andere afrikanische Staaten finden in den verteidigungspolitischen Richtlinien des Verteidigungsministeriums indirekt ebenfalls Berücksichtigung. Die Transformation der Bundeswehr ist so konzipiert, dass deutsche Streitkräfte im Verbund von NATO oder EU überall in der Welt innerhalb kürzester Zeit eingesetzt werden können. Fragen: Christian Klemm 4
http://zmag.de/artikel/die-usa-haben-den-fundamentalismus-nach-afghanistan-zuruckgebracht Die USA haben den Fundamentalismus nach Afghanistan zurückgebracht von Malalai Dschoja 13.04.2007 — ZNet Der folgende Text ist eine Aufzeichnung der Rede von Malalai Dschoja, Mitglied des afghanischen Parlaments, gehalten an der Universität Los Angeles am 10. April: Im Namen von Demokratie und Frieden! Liebe Freundinnen und Freunde, zunächst möchte ich Ihnen meine tiefe Verbundenheit und meinen Dank dafür aussprechen, dass Sie mir Gelegenheit geben, hier zu reden und meine Ansichten zu äußern, und dass ich Sie über die fortdauernde Tragödie in meinem weinenden Afghanistan unterrichten darf. Während die Demokratiebefürworter und Antifundamentalisten in Afghanistan an den Rand gedrängt, unterdrückt und zum Schweigen gebracht werden, haben Sie mir die Hand gereicht, mir als einer schwachen Stimme meines leidenden Volkes, um über die Krise in Afghanistan und die fürchterlichen Lebensverhältnisse seines Volks zu sprechen. Damit helfen Sie, die Aufmerksamkeit auf die Vorgänge in meinem zerstörten Land zu richten. Verehrte Freunde, über fünf Jahre sind jetzt seit dem von den USA angeführten Angriff auf Afghanistan vergangen. Viele von Ihnen kennen möglicherweise nicht die gegenwärtigen Zustände in meinem Land und erwarten von mir, dass ich all die positiven Entwicklungen der letzten Jahre seit dem Einmarsch der USA aufliste. Leider muss ich Ihnen sagen, dass Afghanistan immer noch in den Ketten fundamentalistischer Kriegsherren liegt und wie ein bewusstloser Körper seinen letzten Atemzug tut. Die US-Regierung hat das ultrareaktionäre und brutale Regime der Taliban beseitigt. Statt sich aber auf das afghanische Volk zu stützen, hat sie uns vom Regen in die Traufe gestürzt und ihre Freunde unter den schmutzigsten und berüchtigtsten Kriminellen der „Nordallianz“ gesucht, in der sich geschworene Feinde von Demokratie und Menschenrechten versammelt haben, und die nicht weniger übelgesinnt, böse und grausam sind wie die Taliban. Die westlichen Medien sprechen von Demokratie und der Befreiung Afghanistans, stattdessen sind die USA und ihre Verbündeten damit beschäftigt, unser verwundetes Land in ein Land der Kriegsherren, der Verbrecher und der Drogenbarone zu verwandeln. Jetzt sind die Führer der Nordallianz die entscheidenden Machtinhaber, und unser Volk ist eine Geisel in den Händen dieser rücksichtslosen Killerbande. Viele von ihnen sind verantwortlich für das Abschlachten von zehntausenden unschuldiger Menschen in den vergangenen zwei Jahrzehnten, und doch sind sie an der Macht und nehmen wichtige Regierungsämter ein. Lassen Sie mich einige der wichtigsten Machtinhaber Afghanistans aufzählen: • Karim Chalili, stellvertretender Präsident, ist Chef einer proiranischen Partei namens Wahdat, verantwortlich für die Tötung von tausenden unschuldigen Menschen, und wird von Human Rights Watch als Kriegsverbrecher bezeichnet. • Ismael Chan, ein weiterer Killer-Warlord und Lakai des iranischen Regimes, ist Minister für Wasser und Energie. 5
• Izzatullah Wasifi, Afghanistans Antikorruptionschef, ist ein verurteilter Drogenhändler, der rund vier Jahre in den USA im Staatsgefängnis von Nevada gesessen hat. • General Mohammed Daoud, Afghanistans stellvertretender Innenminister, zuständig für die Drogenbekämpfungspolitik, ist ehemaliger Kriegsherr und bekannter Drogenhändler. • Raschid Dostum, Stabschef der afghanischen Armee, ist ein kaltblütiger Mörder und Warlord und wird von Human Rights Watch als Kriegsverbrecher bezeichnet. • Qasim Fahim, ehemaliger Verteidigungsminister und heute Senator und Berater von Herrn Karsai, ist der mächtigste Kriegsherr der Nordallianz und wird beschuldigt, Kriegsverbrechen begangen zu haben. Auf dieser Liste stehen hunderte von Männern, einschließlich Sajjaf, Ulomi, Golabsoi, Rabbani, Kanuni, Mohakik, Mullah Rocketi usw. Sie sollten alle aus ihren Ämtern entfernt und vor ein Kriegsverbrechertribunal gestellt werden. Im Grunde sind alle Hauptinstitutionen in Afghanistan mit Kriegsherren und Drogenbaronen besetzt. Wie können wir über Demokratie reden, wenn unsere Legislative, Judikative und Exekutive von dem Virus des Fundamentalismus und der Drogenmafia befallen sind? Viele freiheitsliebende Einzelpersonen und Gruppierungen in Afghanistan haben schon vor langer Zeit gewarnt, dass es gefährlich wird für Afghanistan, wenn die US-Regierung die kriminelle Nordallianz wieder an die Macht bringt. Heute gehen fast alle Regierungen und Weltorganisationen davon aus, dass Afghanistan ein „failed state“, ein gescheiterter Staat ist, der auf eine Katastrophe zustrebt. Die Afghanen haben die jetzige Situation mehr als satt, und mit jedem Tag wenden sie sich mehr gegen die Regierung, die ausländischen Truppen und die Kriegsherren. Und die Taliban nutzen das aus, um ihren Einfluss zu erhöhen und noch mehr Terrorakte zu begehen. Länder wie Pakistan, Iran, Russland usw. mischen ebenfalls in Afghanistan mit, um ihre eigenen Interessen zu verfolgen. In einem kürzlich veröffentlichten Bericht des US-amerikanischen Center for Strategic and International Studies heißt es: „Die Afghanen sind frustriert über ihre wirtschaftliche Lage … Sie leiden unter unsteter Beschäftigung und wirtschaftlicher Unsicherheit, und wenden sich unerlaubter und illegaler Aktivität zu wie Korruption und Opiumproduktion … die Taliban sind zu einer alternativen Beschäftigungsquelle geworden und rekrutieren die Arbeitslosen als Fußsoldaten für ihren Aufstand.“ Wenn in solch einer Situation eine Killerbande an der Macht ist, kann es natürlich kein leichtes Leben für unser unglückliches Volk geben. Ich möchte Ihnen gerne die Lebensrealität in meinem blutenden Afghanistan beschreiben - nur die Spitze des Eisbergs: Siebenhundert Kinder und 50 bis 70 Frauen sterben täglich auf Grund mangelnder Gesundheitsversorgung. Die Kinder- und Müttersterblichkeit ist immer noch sehr hoch - 1.600 bis 1.900 von 100.000 Frauen sterben bei der Entbindung. Die Lebenserwartung liegt unter 45 Jahren. Die Zahl der Selbstmorde unter afghanischen Frauen war nie so hoch wie heute. Vor einem Monat hat sich die achtzehnjährige Samija mit einem Strick erhängt, weil sie an einen sechzig Jahre alten Mann verkauft werden sollte. Eine andere Frau namens Bibi Gul hat sich in einem Stall eingeschlossen und verbrannt. Ihre Familie fand von ihr nur noch ihre Knochen. Die Studie der Regierungsbehörde Afghanistan Independent Human Rights Commission weist eine deutliche Zunahme von berichteten Fällen auf: Danach gab es in der Provinz Farah vor zwei Jahren 15 Fälle von Selbstverbrennungen von Frauen. Diese Zahl ist allein in den ersten sechs Monaten des Jahres 2006 auf 36 hochgeschossen. In der Provinz Kandahar wurden vor zwei Jahren 74 Fälle verzeichnet, dagegen 77 Fälle in den ersten sechs Monaten des vergangenen Jahres. Die wirklichen Zahlen sind noch viel höher. Nach einer Studie von UNIFEM betrachten 65 Prozent der 50.000 Witwen in Kabul den Suizid als 6
einzige Möglichkeit, ihrem Elend zu entkommen. UNIFEM schätzt, dass mindestens eine von drei afghanischen Frauen geschlagen, zu Sex gezwungen oder auf andere Weise misshandelt wurde. Gruppenvergewaltigungen junger Mädchen und Frauen durch Warlords der Nordallianz finden nach wie vor gerade in den Nordprovinzen Afghanistans statt. Es ist immer wieder zu Massenprotesten dagegen gekommen, aber niemand schert sich um den Schmerz und die Tränen der Menschen. Nur wenige Vergewaltigungsfälle landen in den Medien. Ein schockierender Fall war der der elfjährigen Sanobar, der einzigen Tochter einer unglücklichen Witwe, die entführt, vergewaltigt und dann von einem Warlord gegen einen Hund getauscht wurde. In einem Land, wo Würde keinen Preis hat, kann der bösartige Vergewaltiger eines armen Mädchens immer noch den Landrat spielen. Die Taliban betreiben weiterhin ihren Faschismus in den östlichen Gegenden Afghanistans, wo die Regierung keine Kontrolle hat. Sie veranstalten öffentliche Hinrichtungen und Entführungen. Als vor einigen Tagen ein italienischer Journalist und sein afghanischer Dolmetscher und Fahrer entführt wurden, schloss die afghanische Regierung einen Handel ab: Sie entließ fünf Talibanführer aus dem Gefängnis und bekam dafür den italienischen Journalisten frei. Aber niemand kümmerte sich um das Schicksal der zwei unschuldigen Afghanen, beide wurden von den Taliban geköpft. Ein Bericht von Human Rights Watch über Kriegsverbrecher in Afghanistan und das Hängen Saddam Husseins hat vielen afghanischen Verbrechern Angst gemacht, und jetzt versuchen sie, jede Strafverfolgung zu unterbinden. Vergangenen Monat haben die Parlamentskriegsherren im Namen der „nationalen Versöhnung“ ein Gesetz verabschiedet, wonach gegen niemand wegen Kriegsverbrechen in den vergangenen 25 Jahren Klage erhoben und niemand strafrechtlich verfolgt werden darf. Ein paar Parlamentarier haben zusammen mit mir die Stimme dagegen erhoben, aber mit ihren 80 Prozent an Parlamentssitzen konnten die fundamentalistischen Kriegsherren das Gesetz ohne weiteres durchbringen. Mit diesem Gesetz ist faktisch allen Verbrechern Amnestie gewährt worden. Für die afghanischen Menschen, die in den vergangenen drei Jahrzehnten so gelitten haben, ist dieses Gesetz ein Schlag ins Gesicht. Nach einer Untersuchung der unabhängigen afghanischen Human Rights Commission sind über 80 Prozent der Afghanen für eine Strafverfolgung derjenigen, die für die vergangenen Verbrechen und Grausamkeiten verantwortlich sind, und sie halten das für die einzige Möglichkeit, wenn Afghanistan eine bessere Zukunft erleben soll. Selbst Herr Karsai hat dieses abscheuliche Gesetz unterzeichnet, das als Witz und Schmähung all der Millionen Afghanen gesehen wird, die gelitten und ihre Angehörigen verloren haben, und die auf den Tag der Gerechtigkeit warten. Nun haben sich die Killer ihre eigenen Verbrechen vergeben und leben ohne Furcht weiter. Solche Gesetze billigen ganz offiziell weitere Brutalitäten und Verletzungen der Menschenrechte gegenüber unserem schutzlosen Volk. Die Geschichte des Wiederaufbaus Afghanistans ist schmerzlich: Nach fünf Jahren können Sie kein einziges ernsthaftes Wiederaufbauprojekt sehen. Milliarden Dollars an Hilfsgeldern wurden von den Kriegsherren geplündert, von korrupten NGOs, den UN und den Regierungsbeamten. Afghanistan steht auf dem UN-Human-Development-Index mit 177 Ländern immer noch auf Platz 175, und die Arbeitslosenrate liegt über 40 Prozent. Die sogenannte Redefreiheit in Afghanistan ist ein weiterer Witz auf Kosten unseres Volkes. Lassen Sie mich meine eigenen jüngsten Erfahrungen schildern: Anfang Februar dieses Jahres, während der Verabschiedung dieses scheußlichen Amnestiegesetzes für Kriegsverbrecher im Parlament, führte ein lokaler Fernsehsender ein Interview mit mir; außerdem mit ein paar anderen Leuten einschließlich Sajjaf, der ein gesuchter Kriegsverbrecher und Parlamentsmitglied ist. Der Fernsehsender bewarb das Programm etliche Male mit Auszügen aus meinem Interview. Danach rief Sajjaf höchstpersönlich den Sender an und drohte, wenn Dschojas Interview gezeigt werde, könnte das gefährliche Folgen für den Intendanten haben. Also griffen sie zur Zensur und 7
schlossen mich aus dem Programm aus. Und das ist nicht das erste Mal, dass ich in den Medien zensiert wurde. Viele Journalisten sind zu verängstigt, um meine Kommentar zu senden. Im letzten Jahr haben die Vereinten Nationen erklärt, Afghanistan könne unter der US-Besatzung zu einem echten „Narco-State“, einem Drogenstaat werden. Heute bezweifelt niemand, dass es zu einem Mafiastaat geworden ist angesichts der Tatsache, dass hier 92 Prozent des weltweiten Opiums produziert werden. Hochrangige Beamte wie Minister und stellvertretende Minister haben Verbindungen zur Drogenmafia. Und all das geschieht direkt unter der Nase tausender von ausländischen Truppen. In Afghanistan existiert ein Mafiasystem. Der von den USA unterstützte Präsident Karsai und seine verwestlichten Intellektuellen machen gemeinsame Sache mit den Fundamentalisten jeder Schattierung, um dieses Mafiasystem unserem Volk aufzuzwingen. Das ist der Hauptgrund für die heutigen Probleme, für den Stillstand in Afghanistan. Diejenigen, die Gerechtigkeit fordern, werden mit dem Tode bedroht. Meine Stimme wird immer unterdrückt, selbst im Parlament, und einmal wurde ich physisch von einem gegenüber den Kriegsherren und Drogenbaronen loyalen Parlamentsmitglied angegriffen, nur weil ich die Wahrheit gesagt hatte. Einer rief sogar: „Hure, holt sie euch und vergewaltigt sie!“ Obwohl ich Gewehre hasse, muss ich ständig unter dem Schutz bewaffneter Aufpasser leben, wenn ich überlebe will. Präsident Hamid Karsai beruft die verbrecherischen Warlords in hohe Ämter, statt sich auf das Volk zu stützen und diese Kriminellen vor Gericht zu stellen. Auf Grund seiner Politik, die das Verbrechen fördert, hassen die Menschen in Afghanistan ihn als jemanden, der mitverantwortlich ist für die derzeitige Katastrophe. Selbst die CIA hat in ihrem kürzlich veröffentlichten Bericht zugegeben, dass er die Unterstützung der Menschen verloren und keine Kontrolle außerhalb Kabuls hat. Die afghanische Regierung ist die korrupteste und unpopulärste der Welt. In einer Umfrage von Integrity Watch Afghanistan vom März 2007 zeigte sich, dass über 60 Prozent der Afghanen denken, dass die derzeitige Regierung korrupter ist als all die Vorgängerregierungen der letzten zwei Jahrzehnte. Wegen dieser tragischen Lage ist die Rückkehr nach Afghanistan nach wie vor nicht sehr attraktiv für die vier Millionen afghanischen Flüchtlinge im Iran und in Pakistan, und viele versuchen immer noch aus dem Land zu fliehen. Liebe Freunde, im Jahr 2001 verkündete die US-Regierung, sie habe von den Fehlern der Vergangenheit gelernt und werde die afghanischen Fundamentalisten nicht mehr unterstützen. Die qualvolle Wahrheit ist jedoch, dass die USA denselben Fehler wiederholen. Sie unterstützen die Fundamentalisten großzügiger denn je. Abgesehen von der Unterstützung für die Bande der Nordallianz gibt es verdeckte Bestrebungen, Vertreter der Taliban und Gulbuddin Hekmatjar in die Regierung zu holen. Gulbuddin Hekmatjar steht auf der US-Liste der meistgesuchten Terroristen, und doch durfte seine Partei 34 Mitglieder in das afghanische Parlament schicken, das durch eine undemokratische und zudem betrügerische Wahl zustande gekommen ist. Ich habe etliche Male erklärt, dass die US-Regierung kein Problem hat, mit proamerikanischen Terroristen zusammenzuarbeiten, und nur etwas gegen antiamerikanische Terroristen hat. Das ist der Grund dafür, dass unser Volk sich über den „Krieg gegen Terror“ lustig macht. Ich stimme absolut mit Kathy Gannon überein, einer Expertin in Afghanistanfragen, dass „die USA kein Interesse an einem Frieden in Afghanistan haben. Menschen, die tausende getötet haben, die die Schrimherrschaft über das Drogengeschäft übernommen haben, sind mit der Führung des Landes betraut worden.“ 8
Liebe Freunde, die USA interessieren das Leiden und die verheerenden Lebensbedingungen unseres Volks nicht; es liegt in den strategischen und wirtschaftlichen Interessen der USA, unser Volk so lange wie möglich all der Gefahr auszusetzen. Deshalb betrachtet unser Volk die USA nicht als „Befreier“ unseres Landes. Die USA sind in Afghanistan im Namen von Menschenrecht und Demokratie einmarschiert, heute jedoch sind wir von diesen Werten genauso weit entfernt wie vor fünf Jahren. Stattdessen hat sich die Zahl der seit 2001 im „Krieg gegen den Terror“ getöteten unschuldigen Zivilisten verfünffacht im Vergleich zu der Zahl derjenigen, die in der Tragödie vom 11. September umkamen. Ich hoffe, Sie haben durch den kleinen Geschmack, den ich Ihnen von den Problemen meines Landes gegeben habe, verstehen können, dass mein Land immer noch Gefangener blutiger und terroristischer Fundamentalisten ist. Die Lage in Afghanistan und die Lebensbedingungen der vom Unglück geschlagenen Frauen werden sich niemals bessern, solange die Warlords nicht entwaffnet und die US-freundlichen wie die US-feindlichen Terroristen von der politischen Bühne Afghanistan verbannt werden. Es ist klar und längst bewiesen, dass keine Nation einer anderen Nation die Befreiung spenden kann. Befreiung ist kein Geld, das gespendet werden kann; sie muss von den Menschen des Landes selbst erreicht werden. Was in Afghanistan und im Irak geschieht, bestätigt das. Menschen anderer Länder können uns lediglich eine helfende Hand reichen und uns unterstützen. Ich denke, dass die Menschen der USA eine wirklich wichtige Rolle spielen können, indem sie auf ihre politischen Entscheidungsträger Druck ausüben, ihre falsche Politik in Afghanistan zu beenden und den Wunsch unseres Volks zu respektieren. Ich sollte noch hinzufügen, dass das US- amerikanische Volk im Gegensatz zu seiner Regierung großartig ist, mitfühlend und friedensliebend, weshalb die demokratisch gesinnten Menschen in Afghanistan auf Ihre Unterstützung und Solidarität setzen können. Die Menschen in den USA müssen den armen Menschen in Afghanistan und den demokratisch gesinnten Individuen und Gruppierungen helfen, die im Moment noch geschlagen sind und unter großem Druck stehen. Das ist die einzig richtige Politik, die dem afghanischen Volk helfen kann und eine bessere Zukunft für uns eröffnet. Anders als die US-Regierung müssen die wahren Freunde des afghanischen Volks auf die Stimmen unserer Männer und Frauen hören, die Gerechtigkeit fordern; sie müssen verstehen, dass die Existenz jeglicher Art von fundamentalistischen Gruppen als politische und militärische Kräfte der Hauptgrund für all die Probleme in Afghanistan sind. Sie müssen wissen, dass der Schlüssel für all die Katastrophen, die wir heute erleben, darin lag, der Nordallianz zur Macht zu verhelfen. Ich bin mir der Härten, der Herausforderungen und der Gefahr, von antidemokratischen Kräften umgebracht zu werden, bewusst. Aber ich vertraue meinem Volk und genieße seine volle Unterstützung und Ermutigung. Die Feinde meines Volks haben Waffen, politische Macht und die Unterstützung der USA-Regierung, mich zu unterdrücken. Aber sie können meine Stimme niemals zum Schweigen bringen und die Wahrheit verbergen. Ich bin stolz darauf, ein Licht der Hoffnung für meine Landsleute zu sein und genieße ihre starke Unterstützung bei meiner Mission für Demokratie und Freiheit. Auch Ihre Solidarität und Unterstützung hier geben mir mehr Kraft und stärken meine Entschlossenheit, gegen die Feinde der Demokratie und Menschlichkeit in meinem zerstörten Afghanistan zu kämpfen. Sie können mir durch moralische Unterstützung und ihre großzügigen Spenden helfen, damit ich weitermachen kann mit meiner Arbeit für die verzweifelten und sorgenvollen Frauen in Afghanistan. Die Fundamentalisten zählen die Tage, mich umzubringen. Aber ich glaube an den edlen Spruch des friedensliebenden iranischen Schriftstellers Samad Behrangi: 9
„Der Tod kann mich jetzt sehr leicht holen, doch solange ich leben kann, darf ich mich nicht von selbst in seine Arme stürzen. Sollte ich ihm jedoch eines Tages begegnen, was ganz bestimmt der Fall sein wird, dann ist es nicht wichtig. Wichtig allein ist, welchen Wert mein Leben oder mein Tod für das Leben hat …“ Danke. Orginalartikel: The US has Returned Fundamentalism to Afghanistan Übersetzt von: Rosemarie Nünning 10
http://www.zeit-fragen.ch/ausgaben/2007/nr11-vom-1932007/erklaere-ich-hiermit-dass-ich-es- nicht-mit-meinem-gewissen-vereinbaren-kann-den-einsatz-von-tornado-waffensystemen-in- afghanistan-in-irgendeiner-form-zu-unterstuetzen/ «… erkläre ich hiermit, dass ich es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren kann, den Einsatz von Tornado- Waffensystemen in Afghanistan in irgendeiner Form zu unterstützen …» Dokument: Auszüge aus der dienstlichen Erklärung von Oberstleutnat Dipl.-Päd. Jürgen Rose, München, WBK IV G 3 Eins/Üb, vom 15. März 2007 Herrn Oberst i. G. Bernhard Frank Chef des Stabes WBK IV – Süddeutschland […] Sehr geehrter Herr Oberst! Im Hinblick auf die von der Bundesregierung getroffene Entscheidung, Waffensysteme Tornado der Bundesluftwaffe zum Einsatz nach Afghanistan zu entsenden […], den daraufhin am 9. März 2007 erfolgten Zustimmungsbeschluss des Deutschen Bundestages sowie die mittlerweile ergangene Befehlsgebung des Streitkräfte-Unterstützungskommandos zur Umsetzung dieser Entscheidung erkläre ich hiermit, dass ich es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren kann, den Einsatz von Tornado-Waffensystemen in Afghanistan in irgendeiner Form zu unterstützen, da meiner Auffassung nach nicht auszuschliessen ist, dass ich hierdurch kraft aktiven eigenen Handelns zu einem Bundeswehreinsatz beitrage, gegen den gravierende verfassungsrechtliche, völkerrechtliche, strafrechtliche sowie völkerstrafrechtliche Bedenken bestehen. Zugleich beantrage ich hiermit, auch von allen weiteren Aufträgen, die im Zusammenhang mit der «Operation Enduring Freedom» im allgemeinen und mit der Entsendung der Waffensysteme Tornado nach Afghanistan im besonderen stehen, entbunden zu werden. Im einzelnen begründe ich diese Erklärung sowie meinen Antrag wie folgt: In den Leitsätzen zum Urteil des 2. Wehrdienstsenats vom 21. Juni 2005 (Bezug 1) führt das Bundesverwaltungsgericht unter anderem aus: «2. Die durch § 11 Abs. 1 S. 1 und 2 Soldatengesetz SG begründete zentrale Verpflichtung jedes Bundeswehrsoldaten, erteilte Befehle «gewissenhaft» (nach besten Kräften vollständig und unverzüglich) auszuführen, fordert keinen bedingungslosen, sondern einen mitdenkenden und insbesondere die Folgen der Befehlsausführung – gerade im Hinblick auf die Schranken des geltenden Rechts und die ethischen «Grenzmarken» des eigenen Gewissens – bedenkenden Gehorsam. 3. Aus dem Grundgesetz und dem Soldatengesetz ergeben sich rechtliche Grenzen des Gehorsams […]. Ein Soldat braucht einen ihm erteilten Befehl jedenfalls dann als unzumutbar nicht zu befolgen, wenn er sich insoweit auf den Schutz des Grundrechts der Freiheit des Gewissens (Art. 4 Abs. 1 GG) berufen kann. […]» II. Unter Bezugnahme auf das vorstehend zitierte Urteil des 2. Wehrdienstsenates sowie den von mir geleisteten Diensteid habe ich in meiner Dienstlichen Erklärung vom 1. Mai 2006 (Bezug 2) prophylaktisch klargestellt, dass «ich es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren kann, Befehle auszuführen, die gegen das Völkerrecht oder das deutsche Recht verstossen» und dass ich daher «insbesondere internationale Einsätze der Bundeswehr auch im Rahmen von multinationalen 11
Verbänden der Nato oder der Europäischen Union (zum Beispiel Nato Response Force, EU Battle Group, Eurokorps) nur dann unterstützen oder an diesen teilnehmen [werde], wenn diese durch das Völkerrecht oder das deutsche Recht gedeckt sind.» Diese Erklärung wurde unbeanstandet zu meiner Personalakte genommen. […] – Der Einsatz der Bundeswehr-Tornados in Afghanistan bedeutet notwendigerweise die Teilnahme Deutschlands an völkerrechtswidrigen und vom Nato-Vertrag nicht gedeckten Militäraktionen, denn – die von den Bundeswehr-Tornados erfassten Aufklärungsergebnisse werden an das amerikanische Oberkommando übermittelt; dabei ist trotz der in der Begründung der Beschlussvorlage genannten Restriktion im ISAF-Operationsplan nicht gewährleistet, dass die Aufklärungsergebnisse nicht zu anderen als den dort genannten Zwecken im Rahmen der Operation Enduring Freedom (OEF) verwendet werden; – die Kriegführung der USA im Rahmen der OEF ist unter mehreren Aspekten völkerrechtswidrig, nämlich: • sie lässt sich nicht mehr als Selbstverteidigung rechtfertigen und ist nicht auf ein Mandat des Sicherheitsrats gestützt; • sie überschreitet bei der Art und Weise, insbesondere hinsichtlich der Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung, selbst die Ermächtigung der Regierung Karzai; • sie ist im Hinblick auf die in Kauf genommenen sogenannten Kollateralschäden an der Zivilbevölkerung mit den völkerrechtlichen Regeln zum Schutz der Zivilbevölkerung nicht vereinbar; • sie verstösst hinsichtlich der Behandlung von Gefangenen gegen fundamentale menschenrechtliche Grundsätze. Indem die Bundesregierung den Einsatz der Tornados in Afghanistan beschliesst, beteiligt sie sich aktiv an einem Kriegseinsatz, der auf der Grundlage einer Militärstrategie geführt wird, die mit den fundamentalen Grundsätzen der UN-Charta und des Art. l des Nato-Vertrages unvereinbar ist, und verwickelt hierin die deutschen Streitkräfte. […] Zudem liefe ich Gefahr, mit der aktiven Unterstützung des Einsatzes von Tornado-Waffensystemen in Afghanistan, gegen den gravierende verfassungsrechtliche, völkerrechtliche, strafrechtliche sowie völkerstrafrechtliche Bedenken bestehen, meinen dereinst geschworenen Diensteid zu brechen, der von mir unter anderem verlangt, «das Recht […] des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen», nicht aber es zu brechen und mit Füssen zu treten. Zu den zentralen Rechtsnormen des deutschen Volkes zählen fraglos Völkerrecht und Grundgesetz. […] 12
Aus: Antimilitarismus, Beilage der jW vom 04.07.2007 Militarisierung mit Lichtgeschwindigkeit Deutschland und die EU wappnen sich für globale Kriegseinsätze. Die Linke muß dies konsequent ablehnen. Von Tobias Pflüger Tobias Pflüger Mitglied der Linksfraktion (GUE/NGL) im Europaparlament Foto: AP * Tobias Pflüger ist Mitglied der Konföderalen Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL) im Europäischen Parlament (www.tobiaspflueger.twoday.net) Rund 7200 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr beteiligen sich derzeit an Einsätzen im Ausland. Davon sind allein nahezu 3000 im Rahmen des NATO-Kriegseinsatzes in Afghanistan, dazu kommen über 200 Soldaten im Rahmen des Tornado-Einsatzes. Im Kosovo stehen 2200 Soldaten »Gewehr bei Fuß«. Bosnien, Sudan, Libanon und der sogenannte Antiterroreinsatz am Horn von Afrika sind weitere Einsatzorte der Bundeswehr. Das Grundgesetz verpflichtet die Bundeswehr zur Beschränkung auf Territorialverteidigung; so heißt es in Artikel 87a, Absatz 1: »Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf«, und in Absatz 2: »Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt« – Grundsätze der Außenpolitik, die längst passé sind. Bundeswehrsoldaten werden heute weltweit eingesetzt, um deutsche Interessen durchsetzen; die Bundeswehr ist zur Vollstreckerin deutscher Außenpolitik geworden. Für unsere Märkte Schon der damalige Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) hatte Anfang der 90er Jahre die Aushöhlung des Grundgesetzes betrieben, indem er zunehmend eine Militärpolitik vertrat, die Interventionen im Ausland vorsah. Der Weg zur Zustimmung zu Kriegseinsätzen – und damit zur Regierungsfähigkeit im Bund – führte 1991 bei der SPD und 1998 bei den Grünen über das Plazet für UN-mandatierte Militäreinsätze nach Kapitel VII der UN-Charta. Stand früher bei Militäreinsätzen die Berufung auf sogenannte humanitäre Ziele im Vordergrund, wurden sie in jüngster Vergangenheit zunehmend auch als Durchsetzung der Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen oder als Kampf gegen den »Terrorismus« legitimiert. Bemerkenswert ist allerdings, daß inzwischen auch ganz offen »deutsche Interessen« wie Rohstoffsicherung oder Marktöffnungen als Rechtfertigungen der Beteiligung an Militäreinsätzen angeführt werden. So sprach Militärminister Franz Josef Jung Anfang Juni 2006 im Zusammenhang mit der Entsendung deutscher Soldaten in die Demokratische Republik Kongo davon, daß der Einsatz »auch im Interesse einer besseren wirtschaftlichen Zukunft für uns und unsere Märkte« sei. Schließlich handele es sich beim Kongo um eines der »rohstoffreichsten Länder« der Welt. Vier Monate währte die offizielle militärische Absicherung des Wahlsiegs des EU-Verbündeten Joseph Kabila im Kongo. Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes Bernhard Gertz sprach zu recht davon, daß im Kongo viele die EU-Soldaten »eher als Leibgarde für den Präsidenten sehen«. Inzwischen hat Kabila nahezu sämtliche Ressourcen des Landes an internationale Konzerne verscherbelt, nicht ohne sich selbst und seine Familie dabei zu bereichern. Zwischenzeitlich ging Kabila mit Waffengewalt gegen Oppositionsführer Jean-Pierre Bemba vor, der heute im Exil in Portugal lebt. Hunderte Oppositionelle wurden von Kabilas Sicherheitskräften massakriert, in deren Vorzimmern EU-Militärberater saßen. Dennoch wird dieser Militäreinsatz, der von einer Mehrheit der deutschen Bevölkerung abgelehnt wurde, mittlerweile von einigen Politikern der Linken als 13
positives Beispiel (»Good Practice«) angeführt, um die Partei programmatisch für Militäreinsätze der Bundeswehr zu öffnen. Militarisierung der EU Zur Militarisierung der deutschen Außenpolitik gehören auch die Bemühungen der Bundesregierung, die Europäische Union mit einer eigenständigen, global einsatzfähigen Streitmacht zu versehen. Die Bundesrepublik ist nicht nur mit 22 Prozent der größte Zahler für die EU-Militäroperationen, sondern auch treibende Kraft des Militarisierungsprozesses. Seit 1998 geht es Schlag auf Schlag. Nicht nur, daß die einzelnen Militarisierungsprojekte im EU- Verfassungsvertrag, der jetzt unter dem Namen »Reformvertrag« den Bürgerinnen und Bürgern erneut schmackhaft gemacht werden soll, festgeschrieben wurden. In der Tagespolitik machten die Staats- und Regierungschefs bereits Nägel mit Köpfen. Meilensteine dieser »Militarisierung mit Lichtgeschwindigkeit« (Javier Solana) waren 2004 die Einrichtung der EU-Rüstungsagentur und 2007 die Indienststellung der ersten von insgesamt bis zu 19 geplanten »Battle Groups«, die jeweils 1500 Soldatinnen und Soldaten umfassen und weltweit innerhalb von 15 Tagen einsetzbar sein sollen. Parallel zur Militarisierung der EU wird seit 1999 die NATO auf weltweite Interventionsfähigkeit getrimmt. Von der Bündnisverteidigung als Aufgabe hat man mit der neuen NATO-Charta 1999 endgültig Abschied genommen. Ein Ergebnis dieser Entwicklung ist etwa ihre Schnelle Eingreiftruppe, die NATO Response Force (NRF), die mittlerweile 25000 Soldaten umfaßt, davon allein 7000 Angehörige der Bundeswehr. Ihr erstes Manöver fand denn auch außerhalb des NATO- Gebiets 2006 auf den Kapverden statt. Von den 6500 Soldaten, die eine Invasion in einem Wüstengebiet probten, waren ein Drittel Deutsche. Insgesamt trägt Deutschland über 18 Prozent des NATO-Militärhaushalts und ist damit nach den USA und noch vor Frankreich und Großbritannien der zweitgrößte Beitragszahler. Die Interventionsstreitkräfte der EU und der NATO dienen der deutschen Außenpolitik inzwischen als ganz »normales« politisches Instrument. Deutschland ist ein Hauptakteur der zunehmenden weltweiten Militärinterventionen. Dies gilt im übrigen auch für symbolische Militäreinsätze mit nur wenigen Soldatinnen und Soldaten. Die Linke muß sich dieser Entwicklung stellen. Die bisherigen Forderungen nach einem Ende der EU-Militarisierung oder einer »Überwindung der NATO« reichen nicht aus. Angesichts von EU-Aufrüstung und weltweiten NATO-Kriegseinsätzen oder auch Kooperationen der NATO bei Folterflügen bedarf es eines kampagnenfähigen Aktionsprogramms. Ein erster Schritt ist mit der Kampagne »Holt die Soldaten zurück« getan, die sich auf Afghanistan bezieht. Um der Militarisierung der deutschen Außenpolitik wirksam entgegenzutreten, muß man ihr die Instrumente nehmen. Die Auslandseinsätze der Bundeswehr müssen beendet werden, aber diese Forderung muß mit der nach dem Ausstieg Deutschlands aus den militärischen Strukturen von EU und NATO, insbesondere mit Blick auf die Ausrichtung auf globale Militäreinsätze, untermauert werden. Krieg als Mittel der Politik ist auf jeder Ebene konsequent abzulehnen, egal in welchem Mäntelchen er daherkommt. Eine Debatte um die programmatische Verankerung dieser friedenspolitischen Forderungen in der Partei Die Linke ist notwendig. 14
http://internationalersozialismus.de/index.php?option=com_content&task=view&id=180&Itemid=3 2 Abzug am Sankt-Nimmerleins-Tag? DIE LINKE fordert den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Wie Union, SPD und Grüne dazu stehen, analysiert Frank Eßers. Dass es bei den Einsätzen nicht um Frieden und Demokratie geht, sondern um geostrategische und wirtschaftliche Interessen, beschreibt der Autor ebenfalls. Alle Statements zu Afghanistan, die aus konservativen und liberalen Kreisen kommen und seitens der Führung der Sozialdemokratie und der Grünen gemacht werden, haben eines gemeinsam: Sie enthalten die Behauptung, dass erst "Sicherheit" in Afghanistan geschaffen werden müsse, bevor ein Abzug der Truppen möglich sei. Leider hat kürzlich auch der LINKE-Europapolitiker Andre Brie in einem Spiegel-Interview eine ähnliche Position vertreten 1. Er sagte, dass ein Abzug noch keines der Probleme des Landes löse und die LINKE deshalb Alternativen entwickeln und für Afghanistan Verantwortung übernehmen müsse. Faktisch läuft diese Position, genau wie andere so genannte Exitstrategien, darauf hinaus, dass • die Probleme in Afghanistan größer werden und das Blutvergießen zunehmen wird. • der Abzug der Besatzer auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben wird. Der ehemalige Verteidigungsminister Struck (SPD) sprach einige Zeit nach der Entsendung deutscher Soldaten nach Afghanistan im Jahr 2002 davon, dass die Bundeswehr etwa 10 Jahre im Land bleiben müsse. Im Frühjahr 2007 nannte sein Amtsnachfolger Jung (CDU) einen Zeitraum bis zu 15 Jahren. Schon dieses Hinausschieben des Zeitpunktes für einen Abzug deutet darauf hin, dass ein Ende der Besatzung nicht in Sicht ist, wenn es nach dem Willen der Regierenden geht. Das ist auch kein Wunder, denn der Afghanistanfeldzug hat die Lage der Bevölkerung nicht verbessert. Die Besatzer versuchen vergeblich, die Kontrolle zu behalten. Was Union, führende Sozialdemokraten und Grüne nicht zur Kenntnis nehmen und Andre Brie offenbar nicht in den Kopf will, ist die Tatsache, dass die Besatzung die Probleme in Afghanistan mit jedem Tag verschärft – und deshalb auch der Widerstand zunimmt: Art des Angriffs: Im Jahr 2005: Im Jahr 2006: Selbstmordattentate 27 139 Straßenbomben 783 1677 Direkte Angriffe 1588 4542 (leichte Waffen, Granaten etc) Quelle: New York Times vom 17.01.2007 Nicht die Besatzer schaffen die Voraussetzungen für Sicherheit, sondern die Lösung der Probleme ist erst möglich, wenn die Besatzer abgezogen sind. Union und die Führungen von SPD und Grünen stellen die Realität auf den Kopf. Christine Buchholz, Mitglied im geschäftsführenden Vorstand der Partei DIE LINKE sagt deshalb zu Recht: "Der sofortige Abzug der ausländischen Truppen ist eine Voraussetzung für effektive Hilfsmaßnahmen und die Entwicklung einer wirklich demokratischen Gesellschaft." 2 Sie befindet sich mit ihrer Position im Einklang mit der Friedensbewegung. In einer Pressemitteilung vom 25. Juli stellt der Bundesausschuss Friedensratschlag fest: "Hilfe kommt nicht 15
von Tornados oder aus Bomben und Raketen. Hilfe kommt allein von zivilen Maßnahmen, die heute schon erfolgreich in Gegenden durchgeführt werden, wo sich keine Besatzungstruppen befinden, wie beispielsweise die 'Kinderhilfe Afghanistan' immer wieder betont." 3 Die Interessen der deutschen Herrschenden Der ehemalige Staatssekretär des Bundesverteidigungsministeriums Professor Lothar Rühl nennt fünf Aspekte der strategischen Interessen der deutschen herrschenden Klasse 4. Das Verständnis dieser Interessen ist nötig, um Exitstrategien beurteilen zu können: I. Deutschland könne seine Interessen nur in einem euro-atlantischen Bündnis vertreten. Ein Ausbruch aus der militärpolitischen Allianz Nordatlantikpakt sei "ausgeschlossen". Das Engagement der Bundeswehr in Afghanistan sei auch "eine politische Kompensation für die Nichtbeteiligung im Irak". Eine Einschränkung der deutschen Beteiligung am "Krieg gegen Terror" sei "zumindest schwierig und wahrscheinlich politisch wie finanziell kostspielig." Verklausuliert argumentiert Rühl, dass eine Niederlage der NATO in Afghanistan auch eine Niederlage für Deutschland sei. Wie die USA haben Deutschlands Herrschende (und die anderer EU-Staaten) ein Interesse an "der Stabilität im weiteren Mittleren Osten und Zentralasien, die eine Stabilisierung Afghanistans voraussetzt." II. Deutschland wollte laut Rühl nach dem militärischen Schlag der USA nach dem Terroranschlag auf das World Trade Center im Jahr 2001 ein "friedliches ziviles Gegenstück zur Ergänzung und psychologischen Beschwichtigung nicht nur der afghanischen Bevölkerung und der Nachbarn, sondern auch des islamischen Orients als Ganzem beigeben." Damit diese Methode glaubwürdig erscheint, sei ein Erfolg in Afghanistan nötig. Diese Sorge ist berechtigt. Das offensive Vorgehen der US-amerikanischen Neokonservativen zur Neuordnung des Nahen Ostens, Zentralasiens und der ölreichen Region am Kaspischen Meer hat für neue Instabilitäten gesorgt und eine neue Rüstungsspirale in Gang gesetzt. Allerdings ist es der EU nicht gelungen, für "Beschwichtigung" zu sorgen. In Afghanistan lässt sich beobachten, dass sie sich stattdessen tiefer in den Krieg verstrickt. Die EU hat den Neokonservativen nichts entgegen zu setzen. Die gemeinsamen Interessen an weltweitem Zugang zu billigen Rohstoffen sind stärker als die Differenzen. III. Deutschland habe zudem ein Interesse an einer "hervorgehobenen internationalen Rolle." Die internationale Stellung und "der Einfluss Deutschlands machen nicht nur das frühere wirtschaftlich- finanzielle Engagement nötig, sondern ebenso ein militärisches und ein politisches", schreibt Rühl. Man kann es auch kürzer sagen: Es gibt nur "zwei Währungen auf der Welt: wirtschaftliche Macht und die militärischen Mittel, sie durchzusetzen." Das sagte 1993 Klaus Naumann, mittlerweile General a.D. Naumann war zwischen 1991 und 1998 Generalinspekteur der Bundeswehr. Zwischen 1996 und 1999 war er Vorsitzender des Militärausschusses der NATO, der obersten militärischen Instanz des Bündnisses. IV. Der vierte Aspekt ist laut Rühl die Sicherung weltweiter wirtschaftlicher Interessen. Das seien zum Beispiel die Sicherheit des Luftverkehrs und der Seeschifffahrt, "von der Deutschland für 80 Prozent seines Außenhandels abhängt." Hinzu komme die Abhängigkeit Deutschlands von der massiven Einfuhr von Erdöl und Erdgas, "also eine Abhängigkeit vom weiteren Mittleren Osten von Nordafrika über den Golf zum kaspischen Becken, zunehmend auch vom schwarzen Afrika." Da sich die Konkurrenz um die "Petro-Ressourcen" wegen der steigenden Nachfrage Chinas und Indiens "zu Lasten Europas" verschärft, müsse Deutschland auch militärisch aktiv sein, um Einfluss geltend machen zu können. "Um die Energieeinfuhrsicherheit und die Sicherheit des Seeverkehrs mit Tankern wie der Überland-Leitungen durch krisengeschütteltes Gebiet zu gewährleisten, bedarf es weiträumig mobiler und flexibler militärischer Kapazitäten", so Rühl weiter. 16
V. Besonders klassisch für das Zirkelschlussdenken der Herrschenden ist Rühls Benennung des fünftes Aspektes. Weil die Lage in Afghanistan seit 2003 jedes Jahr schlechter werde, könne die NATO "nicht einfach einen Schlussstrich ziehen und das Feld räumen". Das würde laut Rühl zu einer Katastrophe führen. Erst müssten die "militanten Islamisten" zurückgeschlagen und die Bevölkerung gewonnen werden. Doch die Erreichung dieser Ziele stellt Rühl im selben Artikel in Frage: "Es ist auch 2007 weiter höchst unsicher und tatsächlich fragwürdig", scheibt er, "ob diese 'selbst tragende Stabilität' in absehbarer Zeit zustande kommen kann." Noch offener als Rühl kann man eigene Hilflosigkeit nicht zur Schau stellen: Wegen der Besatzung verschlechtert sich die Lage in Afghanistan. Aber um die Truppen abziehen zu können, müssten die Besatzer erst die Lage bessern. Union: "Nachdenken über Abzug ist unverantwortlich" Welche Strategien für einen Truppenabzuges gibt es? Aus den Reihen führender Unionspolitiker wird die Frage lapidar beantwortet: Es gäbe keine. Ruprecht Polenz (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses sagte anlässlich eines Antrages der LINKEN zum Tornado-Einsatz: "Dieser Antrag ist unverantwortlich, auch wenn Sie hineingeschrieben haben, dass Sie eine 'verantwortliche Exitstrategie' wollen. Eine solche Strategie gibt es zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Allein das Nachdenken darüber ist unverantwortlich. Dieser Antrag ist unverantwortlich, weil er das Signal aussendet, wir könnten Afghanistan möglicherweise im Stich lassen." 6 Sein Argument gegen den Antrag der LINKEN: "Die Fraktion Die Linke beantragt, Afghanistan sich selbst zu überlassen. Sie beantragen, die Fehler zu wiederholen, die nach dem Abzug der Sowjetunion aus Afghanistan gemacht worden sind. Sie beantragen, eine Situation herbeizuführen, die in Afghanistan eher über kurz als über lang wieder zu einem Bürgerkrieg führen würde. Sie wollen die Voraussetzungen dafür geschaffen sehen, dass Afghanistan endgültig ein Failed State wird, ein Rückzugs-, Ruhe- und Ausbildungsraum für Terroristen, wie Afghanistan es vor dem Einsatz war." 7 [Hervorhebung von mir, F.E.] In der Tat kann niemand vorhersehen, was nach einem Abzug der Besatzer geschehen wird. Aber merkwürdig blind ist Polenz gegenüber der Tatsache, dass die sowjetische Besatzung - mit tatkräftiger Nachhilfe durch die USA - genau die Lage herbei geführt hat, die Polenz feststellt: dass Afghanistan erst einen schrecklichen Bürgerkrieg zwischen den Warlords (den Mujaheddin- Führern) durchgemacht und danach von den Taliban kontrolliert wurde. Ziel der USA war es, die UdSSR zu destabilisieren, in dem sie den Mujaheddin-Widerstand unterstützten. Damit hatten sie auch Erfolg. Die Mujaheddin wiederum lieferten sich nach dem Abzug der sowjetischen Besatzer mehrere Jahre lang einen blutigen Bürgerkrieg, der auch zur weitgehenden Zerstörung der Hauptstadt Kabul führte. Um 1993 formierten sich mit Unterstützung durch Pakistan, Saudi-Arabien und die USA die Taliban. 1996 nahmen sie Kabul ein und kontrollierten ein Jahr später drei Viertel des Landes. Als sie den Interessen der USA zunehmend im Weg standen, lieferte der Terroranschlag auf das World Trade Center den Anlass, die Taliban zu beseitigen und den Einfluss der USA in der Region auszubauen. Winfried Wolf beschreibt in einem 2002 erschienenen Buch die Hintergründe des Afghanistanfeldzuge 8: In Zentralasien lagern die zweitgrößten Öl- und Ergasvorräte der Welt. Das Problem für die USA: In der Region kämpfen Russland, China und Iran um Macht. Alle drei sehen die USA als ihre Feinde. Die USA waren bestrebt, in der Region Fuß zu fassen. Doch im Sommer 2001 konnte Russland wieder an Einfluss gewinnen. Die USA entschlossen sich deshalb, andere Mittel zu ergreifen. Der Anschlag am 11. September ermöglichte das: Beseitigung des instabilen und unzuverlässigen Taliban-Regimes und der Aufbau von US-Militärbasen in Zentralasien. Ergebnis: Der Iran ist eingekreist, Chinas Zugang nach Westen abgeschnitten und das 17
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