DAS SCHLOSS REINHARDTSGRIMMA UND SEINE BEWOHNER - MARCUS KÖHLER
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Das Schloss Reinhardtsgrimma und seine Bewohner Das Schloss Reinhardtsgrimma und seine Bewohner Marcus Köhler D as vorliegende Heft wird sich nicht Bünaus, Schönbergs, Loss, Mangoldts und vollständig mit der seit dem Jahr Osterhausen bereits Stammsitze besaßen 1206 belegten Geschichte des Rit- oder dabei waren sie auszubauen, die Lie- tergutes Reinhardtsgrimma (Abb. 1) be- genschaft Reinhardtsgrimma jedoch wegen schäftigen können. In den bekannten Publi- ihrer günstigen Lage und der guten wirt- kationen finden sich zwar zahlreiche Hin- schaftlichen Voraussetzungen wohl als loh- weise auf die ältere Geschichte, diese müss- nenswertes Investitionsobjekt galt, wanderte ten jedoch – da oftmals ohne Quellenbeleg das Rittergut durch die Hände eines familiär – zunächst einer historisch–kritischen Revi- eng miteinander verbundenen Hofadels. Es sion unterzogen werden. Da sie aber keine ist deshalb möglicherweise kein Zufall, dass Rückschlüsse auf die garten– und land- die ersten wesentlichen Dokumente sich auf schaftshistorische Entwicklung Reinhardts- eine für Sachsen frühe Gutskartierung be- grimmas versprechen, werden sie deshalb an ziehen, wobei ein von Balthasar Zimmer- dieser Stelle weder aufgeführt noch über- mann signierter Plan vom 25. April 1628 1 | Blick von der Gartenseite auf das Schloss Reinhardtsgrimma, Fotografie: Anja Gottschalk, April 2021. prüft.1 Wichtig ist lediglich, dass sich als »das Haus Reinhartsgrym« und einen Gra- Überbleibsel dieser Vorzeit die Reste der ben zum Schutz gegen feindliche Überfälle Burgruine Grimmenstein, die 1809 angeb- und zugleich wohl auch gegen das Eindrin- Durch die Niederlegung eines solchen de- in den grundherrschaftlichen Gehölzen und lich vollständig »rasirt«2 wurde, und die Kir- gen des Grundwassers zeigt.3 Es ist zu ver- taillierten Erbregisters, wurden damals Ländereien grasen durften. Die Bewirtschaf- che erhalten haben, die jedoch zahlreiche muten, dass diese »Wasserburg« sich aus Grundlagen geschaffen, die Anfang des 17. tung orientierte sich an den naturräumli- Umbauten erfuhr. Sie stehen aber nicht im mehreren Gebäuden zusammensetzte. Der Jahrhunderts die Gründung wirtschaftlich chen Gegebenheiten, weswegen sie sich Zentrum dieser Publikation, sondern das Graben, der recht groß gewesen sein muss, einträglicher, familiärer Landsitze förderten. auch nicht beliebig ausbauen oder einstellen Schloss und die Gartenanlagen sowie die sie diente auch zur Fischzucht, heißt es doch im Diese Erbregister können als eine Art Orts- ließ und bis ins 19. Jahrhundert folglich auch umgebende Kulturlandschaft. Die ersten re- »Erbregister über das Rittergut Reinhardts- satzung und Kataster verstanden werden. recht konstant blieb. Die »Grimmsche levanten Auskünfte, die sich über entspre- grim [...] des Wohl Edlen Gestrengen Herrn Sie waren oftmals so zukunftsorientiert, dass Heide«, die wahrscheinlich bereits in der chende Entwicklungen archivalisch belegen Johann ['Hanß'] Georg von Osterhausen sie in Teilen sachsenweit noch bis ins 19. zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts5 aufge- lassen, weisen ins 17. Jahrhundert. Und an (1577–1627) auf Reinhardtsgrimm, Ober– Jahrhundert hinein Rechte und Pflichten des forstet wurde, verdankt ihre Entstehung den diesem Punkt setzt auch unsere Geschichte und Niederlockwitz auch Nickern, Chur- Gutsherren, seiner Bediensteten aber auch kargen Böden und der Haltung von Schafen, ein. fürstl. Sächs. Ober–Cammer und Bergrath der Einwohner festhielten und zu einem also Rahmenbedingungen, wie sie bereits zu Dresden Anno 1624.«: Ausgleich verschiedenster Interessen, in den 250 Jahre vorher festgelegt und praktiziert Das schemenhafte 17. Jahrhundert durch die natürlichen und politischen Gege- wurden. Erst neue landwirtschaftliche und »Um das Schloß und Rittersitz Reinhart- benheiten gesetzten Bedingungen, führen forstliche Methoden sowie diverse Hilfsmit- Die Übergangszeit zwischen Spätmittelalter grim mit seinen Eingebäuden, an Stuben, sollten. tel ermöglichten eine Intensivierung der und Neuzeit prägte für eine längere Zeit die Cammern, gewölben Kellern und derglei- Eine Nebensächlichkeit mag hierfür spre- Produktion. Doch dazu später. heute ausgestorbene Familie von Karras chen […] zieht sich ein Graben […] dar- chen: Auf dem Nieder– und Oberhof zählte (1415 bis ca. 1600), bevor diverse Besitzer- inn werden allerley an Karpffen, Würff- man 1624 insgesamt 60 Melkkühe, sechs Aufgrund der beschriebenen günstigen Tat- wechsel die Geschichte Reinhardtsgrimmas lingen, rothe und Schwarze auch andere Pferde, 20 Schweine, Hühner, Enten, Gänse, sachen setzte ab 1635 eine auf die Familie bestimmten, das überdies bis etwa 1630 auch Speisefische gesetzt.«4 Tauben und 798 Schafe, die von Michaelis von Tettau bezogene Besitzerfolge ein, die noch aus zwei Teilen bestand (Ober– und (29. Oktober) bis Walpurgis (1. Mai) auf al- bis 1765 anhielt. 1643 vom Kurfürsten als Niederhof). Da die Besitzerfamilien wie die len Feldern und Triften, danach jedoch nur dauerhaftes Lehen der Familie bestätigt, 8 9
Das Schloss Reinhardtsgrimma und seine Bewohner weist auch die heute noch vorhandene und wurde, bleibt trotz seines, vermutlich im Sie- vom ersten Tettauer vor Ort, Christoph benjährigen Krieg durch wichtige Liefer- Friedrich, über der Familiengruft ange- ungen vermehrten, Vermögens eine histo- brachte Jahreszahl 1656 darauf hin, dass er risch eher schattenhafte Figur. Folgt man beabsichtigte, dort einen Stammsitz für den Akten des Appelationsgerichts, so nahm 2 | Das Gefecht von Maxen am 20. November 1759, Gemälde von Franz Paul Findenigg, um 1760 (Hulton Fine Art Collection, Objektname: 351363_imagno). seine Familie zu gründen, was ihm auch ge- er schon 1735 grundherrliche Rechte in lang. Berreuth wahr, wo seiner Familie das Vor- werk gehörte. Der in den dortigen Akten Das Gut im 18. Jahrhundert ebenfalls auftauchende Christian Lippold, Kaufmann und Ratsmitglied in Dresden, ist Der Siebenjährige Krieg (1756–1763) hatte wahrscheinlich sein Vater.10 Auch wenn es Sachsen schwer zugesetzt. Da die verfeinde- das heute nicht mehr existierende Schloss ten Armeen zwischen Reinhardtsgrimma Berreuth einst suggerierte, so war der Besitz und Maxen Ende 1759 Stellungen bezogen selber kein Rittergut, sondern ein repräsen- hatten und es schließlich zu einem für Preu- tativer Familiensitz, den Johann Christophs ßen verlustreichen Gefecht kam, waren die ältester Sohn, der Amtmann Johann Gott- Felder vernichtet und vermutlich auch fried, erbte. Seine Nachkommen konnten Guts– und Bauernhöfe geplündert. Eine far- ihn bis 1893 im Besitz der Familie behalten. bige Ansicht zeigt die Ebene, die sich zwi- Archivalisch ist zudem noch bekannt, dass schen den Dörfern erstreckt und taktisch der Generalfeldmarschall Johann Georg von den letzten Aufstellungsort im Erzgebirge Sachsen (1704–1774) Schulden bei Kommis- markiert (Abb. 2).6 sarius Lippold hatte.11 Dies muss auch der Grund gewesen sein, Aus den Kirchenmatrikeln von Reinhardts- warum das 1635 vom Feldherrn Christoph grimma wird ersichtlich, dass im Februar Friedrich von Tettau (1602–1660) erwor- 1767 – »nachdem das alte als baufällig vor- bene Reinhardtsgrimma, »wo er den Göttli- hero abgetragen und alsdann [ein anderes chen Segen seiner Wirtschafft reichlich ver- Schloss] neuerlich angeleget und eingerich- spührte«,7 von seinen Nachkommen ver- tet« wurde – Lippold die Vorgängerbauten kauft werden musste. Die Erben und Söhne vollkommen beseitigen ließ.12 Pfarrer Brück- des letzten Inhabers, des Kapitäns der Infan- ner beschreibt es mit seinen Worten: terie Otto Wilhelm von Tettau auf Toberitz (1697–1757) und seiner Frau Juliana Augusta »In Reinhardtsgrimma waren früher 2 geb. von Reibold – das waren August Wil- Schlösser. Das eine stand auf dem Ober- helm und Carl Christian von Tettau (1730– hofe, das andere auf dem Niederhofe. Je- 1805)8 sowie weitere sieben Geschwister – nes, das sich durch antike Bauart aus- veräußerten 1766 den Gutsbesitz. Die Über- zeichnete, wurde durch die älteren Guts- nahme des Rittergutes durch den bürgerli- herren größtenteils bewohnt. Im 6ten chen Johann Christoph Lippold (?–1780) Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts ließ war damals noch äußert ungewöhnlich, der Kammerrat Lippold, ein sehr wohlha- hing mit dem Erwerb doch ein Lehensrecht bender Mann ein ganz neues schönes zusammen, das einst den Adel privilegierte Schloß auf dem Niederhof bauen und op- und nunmehr auch auf Bürgerliche übertra- ferte diesem Bau einen großen Teil seines gen werden sollte.9 Vermögens.«13 Lippold, der 1744 als »Hof–Kommissarius«, Eine Zuschreibung des von Lippold veran- 1750 als königlich–kurfürstlicher Commer- lassten Schlossneubaus an Johann Friedrich zien–Rath und später – da nicht adlig – nur Knöbel (1724–1792) findet sich schon 1784 als »Titular–Cammer–Rath« bezeichnet und ist umso glaubhafter, da der Baumeister 10 11
Das Schloss Reinhardtsgrimma und seine Bewohner Art immer stärker werdende Nüchtern- heit zu bemerken ist.«15 Da nicht nur Knöbel, sondern auch zahlrei- che andere sächsische Baumeister unter Jo- hann Christoph Knöffel (1686–1752) ihr Handwerk erlernten und ausführten, zeich- net sich eine gemeinsame Formensprache ab. Die stilistischen Ähnlichkeiten des Schlosses von Reinhardtsgrimma zu Bauten wie dem kleineren Berreuther Haus, dem Gohliser Schlösschen aber auch zum viel größeren Schloss Hubertusburg zeigen, dass hier dem System eines quergelagerten Schlossbaus mit Mansarddach und baro- ckem Dachreiter als gleichsam sächsischem »Erkennungszeichen« Rechnung getragen wurde. Zudem konstatiert die Forschung eine Nähe zum französischen Schlossbau, der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhun- 3 | Bildnis des Carl Friedrich von Rumohr, Gemälde derts – gefördert durch international aner- 4 | Bildnis des Karl August Victor von Broitzem, 5 | Bildnis der Johanna Isabella von Broitzem, Gemälde von: Friedrich Carl Gröger, Ende 18. Jh. (© Rumohr- kannte Lehrer und Architekten wie Jacques– Gemälde von Anton Graff, um 1775 (Aargauer Kunst- von Anton Graff, 1783 (Nationalgalerie, Inv.-Nr. A III Gesellschaft). haus Aarau, Inv.-Nr. 835). 493). François Blondel (1705–1774) – eine com- modité (d.h. eine funktionale und repräsen- tative Grundrisslösung) mit einem modern im September 1765 aus Warschau nach Dres- wirkenden Erscheinungsbild verband. Hier- burgischen Landrat Henning von Rumohr benhufen bei Görlitz, sowie Röhrsdorf und den zurückkehrte.14 Grund dafür waren un- auf scheint es Lippold angekommen zu sein. (1722–1804) verkauft wurde. Insgesamt Lüttichau im Meißner Kreis. 1769 heiratete ter anderem zwei Todesfälle im Jahr 1763: Als einzige Zeichnung Knöbels hat sich le- zeichneten elf Nachkommen bzw. Kinder, er die katholische Tochter des sardinischen zum einen der seines Patrons, des Grafen diglich der Grundriss des Kellergeschosses die alle bürgerliche Namen trugen und Gesandtschaftssekretärs am sächsischen Brühl, für den er in Warschau und Wohla tä- von Reinhardtsgrimma erhalten (vgl. Bei- ebenso geheiratet hatten, den Kaufvertrag Hof, Marie Isabella Antonie Brunier de Cla- tig war, zum anderen der des sächsisch–pol- trag "Der Obstanbau", Abb. 7).16 ab.18 Die Hoffnung des Erblassers mit dem refond (auch Clareford) (1748–1832), deren nischen Monarchen, dessen Schlosskapelle Gut auch ritterschaftliche, d.h. adlige Rechte Familie aus Savoyen stammte. 1785 wurde er einst in Grodno erbaute. In jener Zeit der Aus den Kirchenmatrikeln weiß man, dass dauerhaft an seine Familie zu binden, wurde die überaus schöne Baronin von Anton politischen Neuorientierung kehrte er nach Lippold 1773 die Hof- oder Schloßmühle damit nicht erfüllt. Graff gemalt (Abb. 5). Man muss davon aus- Sachsen ins Oberbauamt zurück. In den ers- neu errichten ließ, worauf 1779 die Brett- gehen, dass Broitzem das Gut möglicher- ten Jahren entstanden unter seiner Ägide oder Schneidemühle folgte. An der zu sei- Da der altadlige Rumohr vor allem in der weise für seinen zweitgeborenen Sohn Curt um 1768 das Dresdner Gewandhaus aber nem Besitz gehörenden Mittelmühle, dem Gegend um Lübeck begütert war (Trenthorst, Heinrich (gest. 1807) erwarb und sehr wahr- auch das Schloss Reinhardtsgrimma – wahr- Erbgericht und der Schmiede scheint er Groß Steinrade, Bliestorf usw.), blieb er nur scheinlich deshalb kaum selbst in Reinhard- scheinlich in beabsichtigter Nebentätigkeit keine Hand angelegt zu haben. Fast gleich- bis 1785 in Reinhardtsgrimma und konzen- tsgrimma wohnte. Als führender Freimau- als Landbaumeister im Oberbauamt Dippol- zeitig brachten die in Folge des Bayrischen trierte sich dann wieder auf seine norddeut- rer hatte Broitzem zwar Kontakte in Archi- diswalde. Größere Aufgaben scheint er da- Erbfolgekriegs erfolgten Einquartierungen schen Besitzungen. In jener Zeit wurde sein tekten– und Künstlerkreise, scheint diese neben nicht mehr ausgeführt zu haben. Zu von Militärs im Winter 1778/79 in Rein- Sohn, der später bekannte Gastrosoph und aber nicht für Reinhardtsgrimma genutzt zu seinem Werk bemerken Hentschel und May hardtsgrimma und Berreuth massive Ver- Kunsthistoriker Karl Friedrich (1785–1843), haben. zusammenfassend: mögenseinbußen. 17 Potenziert durch die geboren (Abb. 3). zahlreichen Nachkommen, die nach dem Beim Verkauf des Gutes für 93.500 Reichsta- »Die Entwürfe zu seinen Bauten sind Tod des Kammerrats im Jahr 1780 erbbe- Zwischen 1788 und 1800 gehörten Schloss ler wurden auf jeden Fall auch etliche Mö- sämtlich nicht nur architektonisch, son- rechtigt waren, ließ sich Reinhardtsgrimma und Gut dem Geheimen Kriegsrat Carl Vic- bel, Silber und Porzellan vom nachfolgen- dern auch zeichnerisch ganz im Stile nicht halten, so dass es im Folgejahr für tor August von Broitzem (1741–1812) (Abb. den Besitzer übernommen, so dass das Knöffels gehalten, wobei höchstens eine 71.000 Reichstaler an den sachsen–lauen- 4) auf Ebersbach, Groß Krauscha und Sie- Schloss eine Grundausstattung behielt.19 12 13
Das Schloss Reinhardtsgrimma und seine Bewohner Die Ära Bülow Der nachfolgende Besitzer war de facto (nicht de jure!) der dänische Kammerherr Friedrich Ludwig Ernst von Bülow (1738– 1811) (Abb. 6), der im Lüneburgischen die Güter Göddenstedt, Abbensen und Stell- felde, sowie die administrativ zu Pinneberg gehörende Herrschaft Herzhorn20 besaß, die ihm aus der Erbschaft seiner Frau Gräfin Anna Sophie Danneskiold–Laurvig (1745– 1787) zugefallen war.21 Anna Sophie stammte aus einer wohlhabenden, einflussreichen Fa- milie Dänemarks; ihr Vater, der Admiral Christan Conrad (1723–1783) war väterli- cherseits Urenkel Friedrichs III. von Däne- mark und mütterlicherseits Neffe von Köni- gin Anna Sophie von Dänemark, nach der seine Tochter benannt wurde. Folglich wurde diese auch Hofdame bei der däni- schen Königin Karoline Mathilde.22 Bülow, 7 | Bildnis des Joseph Friedrich Freiherr von Racknitz, dessen Karriere u.a. mit dem Großkreuz des Gemälde von Anton Graff, um 1776 (SKD, Gemäldega- Dannebrog Ordens belohnt wurde, erwarb lerie Alte Meister, Inv.-Nr. Gal.-Nr. 2180 N). sich als langjähriger außerordentlicher Ge- sandter Dänemarks am sächsischen Hof, »mit Gnade seines Souverains und unseres Scherenschnitte von Blumen (Abb. 8a und geliebten Königs die Hochachtung aller, die b)27, sondern auch ein gestochenes Porträt ihn kennen lernten«23. nach einer Zeichnung Lotte von Bülows ge- geben haben muss, ist sie möglicherweise Der spätere dänische Gesandte in Neapel auch diejenige Freundin, der Racknitz 1795 Christian Conrad (1768–1819) und sein Bru- seine Briefe über die Kunst widmete.28 Mit der Ernst Friedrich (1771–1834), Kinder Bü- seinen diversen Publikationen war er je- lows, studierten von 1790 bis 1792 u. a. bei mand, der in seiner Zeit Mode und Ge- Georg Christoph Lichtenberg und Christian schmack mitprägte. Gottlob Heyne in Göttingen, später reisten sie mit dem Troja–Forscher Jean Baptiste Le Der Kauf Reinhardtsgrimmas im Jahr 1800 Chevalier (1752–1836) ein Jahr durch Eu- für brutto 93.500 Taler erfolgte durch Bü- ropa. Die Familie war mit Friedrich von lows Tochter Johanna Joachime Charlotte, Matthisson24 und Klopstock befreundet, die da er – wie er in seinem Testament von 1802 Tochter Caroline Mathilde (1766–1843) mit darlegte – als ausländischer Diplomat kei- Goethe bekannt. Die jüngste Tochter, Jo- nen Besitz in Sachsen kaufen durfte. Aus hanna Joachime Charlotte (Lotte) (1770– diesem Testament wird auch deutlich, dass 1837), heiratete 1796 den Hofmarschall Jo- die Söhne dereinst durch die Familiengüter seph Friedrich von Racknitz (1744–1818) versorgt würden, hingegen die Nutznieße- (Abb. 7).25 1799 nahm er das ererbte Famili- rinnen von Reinhardtsgrimma die drei 6 | Bildnis des Friedrich Ludwig Ernst Freiherr von Bülow, Gemälde von Anton Graff, 1810, Öl auf Leinwand, 123,5 engut Ringethal vom Grafen Friedrich Carl Töchter, vor allem die beiden unverheirate- x 95 cm (Kunstmuseum St.Gallen, Sturzeneggersche Gemäldesammlung, erworben von der Arnold Billwiller- von Dallwitz–Königswartha und seiner Frau ten, Friederike und Caroline, sein sollten. Stiftung 1936). Johanna Margarethe, geb. von Racknitz, in Das Gut wurde von seinem und dem Erbe Besitz. 26 Da es nicht nur zwei kunstvolle seiner – wie er schreibt – »unvergeßlich 14 15
Das Schloss Reinhardtsgrimma und seine Bewohner durch andere Staaten enden ließen. Die riquen jetzo noch beßere Desseins, je- Struensee–Affäre hatte 1772 zu seiner Ent- doch erwarte ich von Leo eine Muster lassung und zur Übersiedlung Bülows nach Charte in welcher verschiedene neue Altona geführt, was lediglich durch eine Leisten sind, und die ich Ihnen alsdann jährliche Pension von 1.200 Reichstalern ge- zuschicken werde.«39 mildert wurde. Als er 1793 rehabilitiert als Gesandter in den Staatsdienst zurückkehrte, Schuricht, dessen Höher–Bewerbung im muss sein Entschluss festgestanden haben, Bauamt um den Posten des Oberlandbau- keine Finanzen mehr in Dänemark zu bin- meisters 1799 zu keinem Erfolg führte, sah den.35 sich in jener Zeit zunehmend gezwungen, fi- nanziell einträglichen Nebentätigkeiten Als Bülow das Gut kaufte, muss auch die nachzugehen, wozu zweifelsohne auch seine Marmorskulptur Luigi Grossis (1754–1797) Aufgaben in Reinhardtsgrimma gehörten, aufgestellt worden sein, die dieser in Erinne- die er – wie er betonte – ohne Gehilfen zu rung an die 1787 verstorbene Ehefrau Bü- bewältigen habe.40 Der Kontakt dorthin ist lows anfertigte und 1791 in Carrara vollen- möglicherweise durch Racknitz hergestellt dete, als die Bülows noch in Altona lebten.36 worden, mit dem er 1782 bereits nach Mann- 8a | Scherenschnitt einer Wildrose, erstellt von Char- 8b | Scherenschnitt eines Blütenstengels, erstellt von Die qualitätvolle Skulptur findet sich heute heim und Zweibrücken reiste, für den er lotte von Racknitz, Ende 18. Jh./1. Drittel 19. Jh. (SKD, Charlotte von Racknitz, Ende 18. Jh./1. Drittel 19. Jh. nicht mehr im Park – ihr Verbleib ist bislang 1796 den Titelkupfer für sein Buch »Darstel- Kupferstich-Kabinett, Inv.-Nr. Ca 1988-6/102). (SKD, Kupferstich-Kabinett, Inv.-Nr. Ca 1988-6/103). ungeklärt (vgl. Beitrag »Die Entwicklung lung des Geschmacks der vorzüglichsten der Gärten«). Völker« lieferte und dem er 1798 durch ei- nen Kupferstich seines Profils mit figürli- Bülow investierte in den ersten Jahren in die chen Darstellungen huldigte.41 1799 beschäf- theueren Ehefrau, deren zu frühzeitigen mahlin« der Familie annahm und die Zeit Landwirtschaft, die Forsten, das Schloss und tigte Racknitz ihn nochmals bei Umgestal- Verlust ich täglich betrauere« 29 erworben ihres Lebens, in der andere Töchter in der die Wirtschaftsgebäude. So wurde das über- tungen im kurfürstlichen Schloss in Dres- und sollte im Sinne der Familie in ein Allod Regel heirateten, dem Vater widmete. Bei zählige »alte Schloss« auf dem Oberhof 1807 den. Seine Zuarbeiten für ihn, aber auch für verwandelt werden. In seinem treusorgen- Aufsetzung des Testaments wurde deutlich, abgerissen und ein neues Brauhaus errich- den deutschen Mentor des Landschafsgar- den letzten Willen wird ganz deutlich, dass dass sie wohl keine Nachkommenschaft tet.37 Bei der Umgestaltung des Niederhofs tens Hirschfeld und dessen Nachfolger Wil- er eine Lieblingstochter hat, zu deren Vorteil mehr zeugen würde und somit mehr oder scheint der Hofbaumeister Christian Fried- helm Gottlieb Becker (»Das Seifersdorfer das Testament ausfällt: minder auf sich allein gestellt war.32 Aus dem rich Schuricht (1753–1832) eine Art Fakto- Tal«, 1792) sowie für »Grohmanns Ideenma- Jahr 1806 findet sich schließlich eine Schen- tum gewesen zu sein, das sich um die Innen- gazin« zeichneten ihn zudem als einen Ar- »Dieses mein Ritterguth Reinhardts- kungsurkunde an Friederike Juliane in den einrichtung, Brückengeländer, Zeichnun- chitekten aus, der im besten Sinne auch ein grimma vermache ich also zuvörderst Akten.33 Über die beiden unverheirateten gen, Organisation usw. zu kümmern und Protagonist der »Landschaftskunst« war meiner herzlich geliebten Tochter Fre- Bülow–Schwestern schrieb der dänische Bericht zu erstatten hatte. 38 An Bülow (vgl. Beitrag »Die Entwicklung der Gär- derique Juliane Christiane, welcher ich Dichter Adam Oehlenschläger (1779–1850): schreibt er beispielsweise am 16. April 1802: ten«). hiermit für alle Freundschaft, zärtliche Die »Töchter traf ich später zuweilen bei Liebe und Obsorge für mich und meinen Körner`s; sie waren sehr liebenswürdig und »Der Preiß der Tapeete steigt in Leipzig Kurz vor Bülows Tod tauchen die Busch- Hausstand den gerührtesten, herzlichsten geistreich; wir sprachen oft freundlich mit täglich höher, da die französischen Fab- hausschänke an der Landstraße nach Haus- Dank unter tausendfältigen Segenwün- einander und eines Abends begleitete ich sie riquen sehr aufschlagen, ich bin bey ver- dorf, eine neue Scheune und das Brauhaus schen abstatte.«30 bis an ihre Haustüre«34. schiedenen en gros Händlern gewesen, mit »herrschaftlicher Stube« in den Bauak- Über den Grund Bülows sich in Sachsen wo solcher bloß in Stücken zu 80 Stab ver- ten auf.42 Die Planung der qualitätvoll im Um aber auch der ledigen Caroline nach sei- anzusiedeln, kann man nur spekulieren. kauft werden, allein der Stab oder 2 Ellen klassizistischen Stil ausgestalteten Busch- nem Tod ein standesgemäßes Leben zu er- Hatte er doch am Hof Christians VII. von wird jetzo nicht anders als 31 Groschen hausschänke wird dem Hofarchitekten Gott- möglichen, garantierte er ihr eine Kammer- Dänemark erleben müssen, wie die persön- verkauft, da man ihn in Dresden noch zu lob Friedrich Thormeyer (1775–1842) zuge- jungfer und einen Diener.31 liche Vorteilsnahme eines unfähigen Mo- 14 Groschen die Elle haben kann. schrieben.43 Die bislang in Fachkreisen vor- narchen und fortlaufende Intrigen einen Von Tapeten zu den weißen Panneaux in herrschende Meinung, dass das Schießhaus Da Friederike Juliane das älteste Kind Bü- Machtverlust nicht etwa in einem Aufstand, das Schlafzimmer habe ich in den Leipzi- vis–à–vis der Schänke zur selben Zeit wie lows war, darf man davon ausgehen, dass sie sondern in einer inneren Schwäche und ei- ger Niederlagen gleichfalls nichts gefun- diese erbaut worden sei, konnte im Zuge der sich nach dem Tod der »vortrefflichen Ge- ner daraus resultierenden Übervorteilung den, und mir haben in den Dresdner Fab- Recherchen widerlegt werden.44 Es handelt 16 17
Das Schloss Reinhardtsgrimma und seine Bewohner sich hierbei vielmehr um zwei Bauabschnitte stark und fest gegen alle traurigen Welthän- Laut Überlieferung soll Ruschenbusch be- – das Schießhaus wurde erst nach dem Able- del«49 macht. In den Akten findet sich 1814 reits 1820 Verwalter des Guts Reinhardts- ben von Bülows errichtet.45 Bemerkenswert wieder ein Verweis auf Friederike Juliane, grimma gewesen sein. 1830 wurde als er als sind zwei vermutlich von dem Hofbildhauer als sie Generalleutnant Carl Adolf von Car- Mitglied in der Ökonomischen Societät Ferdinand Pettrich (1798–1872) angefertigte lowitz (1771–1837), mittels eines an ihn ge- Leipzig geführt, in der sich Landeigentümer, Giebelreliefs, welche die beiden Gebäude richteten Schreibens Kaiser Alexanders von Interessierte, Forscher und Staatsbeamte zu- straßenseitig zieren (die Tür der Buschhaus- Russland um Hilfe für ihre Gemeinde bat.50 sammengefunden hatten, um die Agrar– schänke wird vom Relief eines ruhenden und Volkswirtschaft zu verbessern. Dies fällt Wanderers, die Tür des Schießhauses von ei- »Hatte einst der jüngste Sohn die Verant- in eine Zeit, in der sich Ruschenbusch zuse- nem Tiroler Jäger bekrönt).46 Ihre Bildspra- wortung meiner Forsten auf Reinhardts- hends um die Gutswirtschaft gekümmert che zeigt an, dass sich »bürgerlich–natio- grimma zu meiner völligen Zufriedenheit haben muss. Der Bau des Erbgerichts 1830, nale« Geisteshaltungen – im Sinne des auf- mit allem Fleiß unterzogen«, wie Bülow im aber auch der Neubau der 1837 abgebrann- strebenden bürgerlichen Politikbewusst- Testament schrieb, so empfahl 1802 Bülows ten Schäferei durch den Röhrsdorfer Mau- seins nach den Befreiungskriegen – auch Halbbruder51, der Erbmarschall Friedrich rermeister Johann Gottlieb Adam lagen ihm verstärkt in Reinhardtsgrimma manifestier- August Otto von Behr auf Stellichte (1750– dabei sehr am Herzen. Letzteres ein »Ge- ten (vgl. Beitrag »Zwischen Physiokratie 1807), seinen jungen Förster–Eleven Georg bäude, wie ein zweites in Sachsen nicht und Landschaftsverschönerung«). Unter der Konrad Ruschenbusch (1785–1866) nach leicht zu finden sein dürfte«53, wie man bei Ägide von Bülows wurden zudem zwei wei- Reinhardtsgrimma. Dieser hatte nicht nur in Poenicke lesen kann (vgl. Beitrag »Zwischen tere anspruchsvolle Bauwerke projektiert: In den jagdlich ausgerichteten Wäldern von Physiokratie und Landschaftsverschöne- den Akten findet sich der von einem nicht Stellichte gelernt, sondern Behr war auch rung«, Abb. 11). Auch wenn die Schafzucht 9 | Fotografie von Georg Konrad Ruschenbusch, unda- näher bezeichneten Hofarchitekten (viel- bereits Taufpate bei dessen jüngeren Bruder nicht mehr so populär war wie im ausgehen- tiert (Ahnenforschung in Preussen & Lippe, http:// www.arendi.de/_Ruschenbusch/Generation%20%208. leicht Schuricht oder Johann August Giesel) Friedrich August (1790), der wiederum um den 18. Jahrhundert und der etwa 700 Tiere htm). um 1804 verfertigte Kostenvoranschlag zu 1825 Verwalter auf dem bülowschen Gut zählende Stamm in Reinhardtsgrimma kein einem Mausoleum, zu dem es auch Zeich- Göddenstedt wurde. Dieser Bruder heiratete besonderer war, dürfte Georg Conrad durch nungen gegeben haben muss. Nach den bis- 1811 Christiane Louise Rheb (1790–1873), die seine Lehrzeit in der Lüneburger Heide die herigen Forschungen bleibt unklar, welches uneheliche, aber akzeptierte Tochter Chris- Schafbeweidung geschätzt haben. Ferner womöglich nur durch den Verkauf hätte be- Gebäude hiermit gemeint sein soll, es han- tian August Ludwig Adolph von Behrs ließ der neue Gutsherr 1847 am Bach ein günstigt werden können. 1832 starb sie, so delt sich sehr wahrscheinlich um eine nicht (1755–1815), der mit seinem Bruder Albrecht neues Wirtschaftsgebäude durch den Bau- dass er mit der Pfarrerstochter Anna Marie realisierte Planung für von Bülow. 47 Das Burchard Carl Stellichte 1807 erbte. meister K. G. Gäbel (gest. 1868) aus Kreischa Schubert die zweite und – nach deren frü- gleichzeitig auf einer Anhöhe im Schloss- errichten,54 1853 folgte an einem nicht ge- hem Tod – eine dritte Ehe mit Ernestine Au- park errichtete klassizistische Badehaus, für In die Zeit Bülows fällt nicht nur die »Origi- nauer bezeichneten Seitenflügel der Anbau guste von Brandenstein (1816–1890) einging, dessen Entwurf Schuricht verantwortlich nal Charte vom Rittergut Reinhardts- eines Eiskellers (Abb. 10).55 Pastor Rudolf die im Unterschied zu ihren Schwestern, die zeichnete, besitzt – in künstlerischer und grimma« (1808/09), die den Zustand des ge- Bernhard Hoffmann schrieb 1886 rückbli- in die Familien Bünau und Friesen einheira- funktionaler Hinsicht – Singularität in Sach- samten Guts wiedergibt, sondern auch die ckend: »Seit 1843 hat sich das Rittergut sehr teten, ihren adligen Status damit aufgab. sen (vgl. Beitrag »Die Entwicklung der Gär- kolorierte Forstkarte von 1807.52 Auf beide vergrößert und verschönert. Die Felder ste- Sie brachte 1836 die Tochter Friederike Con- ten«). wird an anderer Stelle noch zurückgekom- hen in hoher Kultur.«56 radine (gest. 1910), die nach Ruschenbuschs men (vgl. Beitrag »Zwischen Physiokratie erster Frau und ihm selbst benannt wurde, Spätestens ab 1807 muss Friederike Juliane und Landschaftsverschönerung«). 1830 setzte die Gutsherrin, da sie sich durch sowie den früh verstorbenen Sohn Carl die Geschäfte der Gutsherrschaft Rein- »die Güte und Großmuth« ihres Vaters dazu Gotthold zu Welt. Unter dem besagten Kauf- hardtsgrimma in ihren Händen gehalten ha- Reinhardtsgrimma unter Ruschenbusch aufgefordert sah, ein Testament zu Gunsten vertrag von 1831 findet sich als Zeuge (»Spe- ben, da es zwischen ihr und dem Pächter Jo- ihres Gatten, für ihren »zeitherigen cial Curator«) übrigens ihr Vater, der sächsi- hann Andreas Walther zu einer gerichtli- Die Heirat Friederike Juliane von Bülows Freund«57, auf, wobei sie vor allem den Ver- sche Oberst Leutnant der Kavallerie Ernst chen Auseinandersetzung kam, die mit der mit dem Förster und Verwalter Georg Kon- bleib allen beweglichen Mobiliars regelte, Friedrich von Brandenstein (1775–1856 Rückgabe der Pacht 1810/11 endete.48 rad Ruschenbusch (Abb. 9) war aufgrund das sie einst ihren Geschwistern abkaufen Reinhardtsgrimma), der dort bereits zu Nach dem Tod des Barons erfolgte 1812 ein des Alters – und Standesunterschieds unge- musste.58 1831 erwarb Ruschenbusch schließ- wohnen schien.59 »Erbvergleich« der Kinder, der jedoch güt- wöhnlich, lässt sich jedoch auf das oben be- lich für 90.000 Taler das Gut Reinhardts- lich im Sinne des Erblassers von statten ging, schriebene Beziehungsgeflecht zurückfüh- grimma von seiner Frau, da man seinen Da die Bülowsche Familiengruft60 – ein ehe- mahnte er doch in seinem Testament, »daß ren. adoptierten Neffen Georg Conrad II. (gest. maliger Treppenhausanbau an der Kirche – das Zusammenhalten einer Familie sie nur 1897) als möglichen Erben sah und dieser bereits belegt war, wurde 1865 der Gutsfried- 18 19
Das Schloss Reinhardtsgrimma und seine Bewohner Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich As- ter nach dem aktiven Militärdienst mit umso größerer Freude Reinhardtsgrimma zuwandte, da er zwischen 1874 bis 1882 auch als Direktor der »Ökonomischen Gesell- schaft im Königreich Sachsen« amtete. Dort scheint er nicht nur eine segensreiche Tätig- keit entfaltet zu haben, sondern machte sich auch als Kaninchenzüchter einen Namen.64 Dieses Interesse an der Landwirtschaft zeichnete ihn aber schon vorher aus, das zu- mindest legt das Gutsarchiv nahe: So ist ab 1861 eine moderne landwirtschaftliche Buchführung feststellbar, woraufhin wahr- scheinlich 1865 ein Inventar angelegt und 1874/75 dieses noch einmal überholt wurde; 1868 schaffte man sich eine Dreschmaschine von C. Böttger aus Schlottwitz an und konzi- pierte Neubauten. So etwa ab 1867 den An- bau eines Schweinestalls an das Kuhstallge- 11 | Fotografie des Majors Ludwig Emil Aster, undatiert bäude 65, die Abtragung des vorhandenen (Stadtmuseum Dresden, Tafel 55, https://nat.museum- digital.de/index.php?t=objekt&oges=603900). Schweinestalls sowie die Errichtung eines Futterschuppens und eines Hühnerstalles, 10 | Grundriss und Profil des neuen Kellers (für Fässerlagerung), Federzeichnung farbig laviert (Ausschnitt), 1853 die Erweiterung des Ochsenstalles, die Ein- (SächsHStA, 10505, Nr. 509, Drei Skizzen zur baulichen Veränderung am Schloss Reinhardtsgrimma ohne richtung eines Stalles für Gastpferde usw. Feldbestellung, Düngung, Erträgen, Forst– Datum). Die Verantwortlichkeiten lagen in den Hän- und Obstbaumbeständen, Arbeitseinsätzen, den des Baumeisters Otto Röllig, der auch in Planungen usw. Diese Art der Buchführung den nächsten Jahrzehnten immer wieder tä- ist gleichsam ein Meisterwerk der Agraröko- hof eingerichtet, auf dem Ruschenbusch ein zen 1833 – Dresden 1907), der einer Familie tig wurde. Zudem scheint man die schwä- nomie. Das Gutsarchiv selbst kann trotz Lü- Jahr später beerdigt wurde. Die heute noch von führenden Militärs entstammte (Abb. chelnde Brennerei, die 1842 noch Korn– und cken den Nachweis liefern, dass man in mo- bestehende Anlage wurde auch von der ab 11); sein Vater war Stadtkommandant von Kartoffelschnaps sowie Kirschbranntwein difizierter Form bis weit ins 20. Jahrhundert 1908 in Reinhardtsgrimma ansässigen Fami- Dresden. Wie auch seine Frau, hatte Aster und Bitter herstellte, den man auch den diesem Flurbuch folgte. Es ist insofern eine lie von Senfft unterhalten und benutzt, wo- eine adlige Mutter, Henriette Emilie von Gutsarbeitern zum Erntefest spendierte, um Primärquelle für den Wandel der Landwirt- bei die Pflege in den Händen des Gutsgärt- Weißenbach. Ein Zweig der Asters – der 1874 neu einrichten zu wollen.66 schaft. ners bzw. des Pächters der Schlossgärtnerei Onkel Ernst Ludwig – wurde sogar geadelt. lag. 61 Mit Ruschenbuschs Tod wurde die Die Tätigkeit Asters in der »Ökonomischen Warum Reinhardtsgrimma durch die Asters nach ihm und seinem Sohn benannte ›Ge- Auf Schloss Reinhardtsgrimma muss man Gesellschaft« ist vermutlich Auslöser für verkauft wurde, bleibt im Dunkeln. Die In- org Conrad und Gotthold Ruschenbusch damals – folgt man einem späteren Inventar diese Innovationen gewesen, kümmerte ventare zeigen jedoch, dass man zu Zeiten Stiftung zur Versorgung verarmter Gutsar- – Bildung und Unterhaltung gegenüber auf- man sich doch dort um die Einführung des Verkaufs einen sehr bescheidenen Haus- beiter‹ ins Leben gerufen, da nunmehr das geschlossen gewesen sein: Es finden sich neuer Technologien und Methoden zur Stei- halt führte. Der versicherungsbedingt aufge- Ehepaar Aster Gutseigentümer wurde und nicht nur etliche Musikinstrumente sondern gerung der landwirtschaftlichen Produk- führte und vermeintliche »Luxus–Ausbau«68 die Erinnerung an die Verstorbenen damit auch »ausgestopfte Thiere und Vögel, Käfer« tion. Das Flurbuch, das in den Jahren 1874/75 des Schlosses ist deshalb auch nicht richtig wachhalten wollte.62 sowie eine Schmetterlings– und Muschel- begonnen und fortgeführt wurde, mag als nachvollziehbar.69 Der 1880 erfolgte Verkauf sammlung, die durch eine »Steinsammlung eine dieser Anregungen gelten, da es die Be- der kurz zuvor sanierten Gaststätte im Dorf Das Ehepaar Aster mit Schrank« erweitert wurde und an die standteile einer hochspezialisierten Guts- an Ernst Robert Jungnickel ist wahrschein- Kollektionen erinnert, die durch Persönlich- führung und –erfassung zusammenführt.67 lich schon ein Beleg dafür, dass die finanziel- Im Jahr 1859 heiratete die Tochter und ein- keiten wie Johann Wolfgang von Goethe in Das Flurbuch, das etliche Karten enthält, len Mittel knapp wurden. 70 Hierfür sind zige Ruschenbusch–Erbin Friederike Con- der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts popu- gibt dabei detaillierte Angaben zu jeglichen möglicherweise zwei Umstände verantwort- radine den Major Ludwig Emil Aster (Wur- lär wurden.63 Ausgaben und Einnahmen, Viehbeständen, lich: Der Reichsgründung 1871 ging ein jahr- 20 21
Das Schloss Reinhardtsgrimma und seine Bewohner zehntelanger Anpassungsprozess verschie- halten haben, die dessen Rechte und Pflich- im ausgehenden 19. Jahrhundert einen heute denster Rechtsformen voraus, mit dem Ziel ten festhalten. 74 Die Paragraphen lassen noch an etlichen Stellen sichtbaren Wegebau die bisherigen Abhängigkeitsverhältnisse Spielräume zu, die oftmals Grund für Strei- belegen. Die befestigten Oberflächen er- zwischen Grundherren und Untertanen zu- tigkeiten darstellten, da Vorgänge nicht im möglichten in der Feldmark und im Wald gunsten von Staatlichkeit und Kommunal- Vorfeld abgesprochen, sondern im Nach- einen von Wetterunbill weitgehend unge- wesen aufzuheben. Dieser Prozess dauerte gang gerichtlich ausgehandelt wurden. Im hinderten Transport. Es waren nicht nur in Reinhardtsgrimma bis in die Weimarer Unterschied zu diesen historisch häufig be- mangelnde Kenntnisse im Chaussee– und Republik an, als die eigenständigen Dorfge- legten Auseinandersetzungen, die nicht sel- Wegebau, sondern auch fehlende Ressour- meinschaften (Ober–, Niederhof und Dorf) ten das Aufeinanderprallen herrschaftlicher cen und eine durch Partikularinteressen ge- zu einer politischen Gemeinde zusammen- Vorstellungen mit wirtschaftlichen Realitä- steuerte Gesetzgebung, die zuvor eine solche wuchsen. Welche Mechanismen im Detail ten widerspiegeln, haben sich jedoch alle Ei- Entwicklung behindert hatten. Eine der letz- auch in Reinhardtsgrimma wirkten, müsste gentümer Reinhardtsgrimmas im 19. Jahr- ten Auseinandersetzungen über »Wegege- noch untersucht werden. hundert mit der Landwirtschaft beschäftigt rechtigkeiten« betrifft die gemeinschaftlich und diese auch aktiv verfolgt. geregelte Unterhaltspflicht der um 1900 ins- Neben fehlenden Einnahmen lieferten mög- tallierten elektrischen Ortsbeleuchtung. licherweise aber auch Fehlinvestitionen ei- Neben den festangestellten Bediensteten wie nen Grund für den Verkauf. Bei allen Ambi- Förster, Gärtner, Schafmeister, Brenner, Die Bücher geben darüber hinaus einen de- tionen, die Aster gegenüber der Landwirt- Schirrmeister und der Wirtschafterin, tau- taillierten Überblick über den Viehbestand, 12 | Fotografie von Johann Maximilian Nitzsche mit schaft hegte, darf man nicht vergessen, dass chen zahlreiche Knechte auf, die zeitweise der teilweise bis hin zu Kaufrechnungen und seinem Sohn Reinhardt-Wilhelm, um 1895/1900 (Pri- vatarchiv Johann Georg Nitzsche, Frankfurt a.M.). er weder Erfahrung hatte, noch ein Spezia- durch Tagelöhner (teilweise bis zu 30 Män- Abstammungslisten belegbar ist. Dabei wird list war. Im Jahr der Verkaufsverhandlungen ner und Frauen) Hilfe bekamen. Zu ihren deutlich, dass man mehr und mehr von ei- gab er seinen Posten bei der »Ökonomi- Aufgaben zählten beispielsweise Fuhr- ner Weide– zu einer Stallhaltung um- schen Gesellschaft« auf. Aufschlussreich dienste verrichten, Heu machen, Hecken schwenkte. Die effiziente Aufforstung führte Festzuhalten ist, dass das Gutsarchiv Rein- mag auch die Tatsache sein, dass beim Ver- schneiden (es gab etwa zwei Kilometer da- beispielsweise dazu, dass der Schafbestand hardtsgrimma in seiner Überlieferung einen kauf des Ritterguts 1883 für 750.000 Mark an von), Eiskeller säubern und einräumen, Fut- von etwa 450 Tieren im Jahr 1865 auf 290 im eindeutigen Schwerpunkt im Bereich der den Kaufmann Nitzsche lediglich Asters ter herstellen, Ernte einbringen, Holz ha- Jahr 1874 sank.78 Es standen den Tieren ein- Landwirtschaftsgeschichte birgt. Sie wird in Frau als Verkäuferin auftrat, da ihm das Gut cken usw. Die getöteten Maulwürfe, von de- fach weniger Gutsflächen zur Beweidung of- dieser Publikation, insofern sie mit dem wahrscheinlich nie gehört hatte.71 nen im April 1867 insgesamt 144 gefangen fen, wie auch das Begehen der Gemeindeflä- Gartenbau verwandt ist, behandelt, wobei wurden, rechnete man bei den Tagelöhnern chen keine Selbstverständlichkeit mehr zu die angedeutete wissenschaftliche Auswer- Der landwirtschaftliche Wandel auf dem pro Stück ab.75 Zuweilen wurden auch zehn sein schien. Durch eine zunehmende Tech- tung noch erfolgen muss. Rittergut Reinhardtsgrimma im ausge- bis zwanzig Kinder noch in der Kaiserzeit nisierung wurden allmählich auch die Och- henden 19. Jahrhundert für ein Taschengeld dazu eingesetzt, Disteln sen (in den Akten als »Zugvieh« bezeichnet) Die Kaufmannsfamilie Nitzsche zu stechen oder vor und nach der Ernte Le- abgeschafft, so dass man von den ursprüng- Die Gutswirtschaft umfasste im 19. Jahrhun- sesteine vom Feld zu räumen.76 Zu Beginn lich fünf Ochsenknechten um 1900 nur Der Leipziger Kaufmann Christoph Georg dert ungefähr 245 Hektar Wiesen– und des 20. Jahrhunderts wurden diese Aufga- noch zwei behielt, bis auch diese schließlich Conrad Nitzsche (1817–1867) besaß ab 1863 Feldflur sowie 225 Hektar Wald, zusätzlich ben durch ruthenische, d.h. westukrainische ganz aus den Akten verschwinden. Die Ver- das Gohliser Schlösschen, das baulich ge- einige Teiche, zwei Gasthöfe und Mühlen, Leiharbeiter übernommen, die vor allem in besserung der Zufütterung aber auch die Er- wisse Parallelen zu Reinhardtsgrimma zeigt, womit sie zu den größeren Gütern im Um- der Erntezeit durch Agenturen vermittelt tragssteigerungen, die sich auf den heimi- wenngleich es auch älter ist. Sein dort gebo- kreis zählte. 72 Einnahmen wurden durch wurden.77 schen Feldern durch den Anbau von Vieh- rener Sohn, Johann Maximilian Nitzsche Verkäufe landwirtschaftlicher Produkte futter (z.B. Kartoffeln) aber auch durch die (1857–1904) war bereits im Alter von 25 Jah- oder von Holz, Heu, Obst, Spirituosen sowie In den Unterlagen findet sich an zahlreichen Gabe ausreichenden Grünfutters erreichen ren der Käufer der umfangreichen Liegen- durch Pachten, Vermietungen und geringfü- Stellen der Hinweis, dass Lesesteine geschla- ließen, wirkten sich hingegen förderlich für schaft Reinhardtsgrimma (Abb. 12). Erst gig auch mittels der Fischerei und durch gen wurden (»Steinklopfen«), was darauf den Viehbestand – vor allem Milchkühe und 1892 heiratete er Helene Caroline Auguste kleine Abverkäufe in der Gärtnerei oder hindeutet, dass man diese als Wegeunterbau Schweine – aus. Waren es um 1865 etwa 50 (geb. 1869), Tochter des schwarzburg–rudol- auch von Wildbret erwirtschaftet.73 In der verwendete. Da die Instandhaltung der Stra- Kühe und 12 Schweine mit 33 Ferkeln, so städtischen Staatsministers Wilhelm Fried- Regel wurde der Gutsbetrieb von einem ßen und Wege aber auch der wasserbauli- wurden 1907 schon 72 Melkkühe, »66 Kal- rich von Starck (1835–1913). Über deren Be- Verwalter (zuweilen auch Pächter oder »Ins- chen Anlagen (Brücken, Ufer, Schleusen) zu ben und Kälber« sowie 66 Schweine ge- grüßung in Reinhardtsgrimma liest man: pector« genannt) geführt, wobei sich aus der einem erheblichen Teil dem Rittergut oblag, zählt.79 Zeit der Tettaus und Asters zwei Verträge er- finden sich zahlreiche Abrechnungen, die 22 23
Das Schloss Reinhardtsgrimma und seine Bewohner »Frau Nitzsche hielt am 22. Mai hier ihren aus Reinhardtsgrimma taucht immer wieder Einzug. Dafür war am unteren Eingang auf, wenn es beispielsweise um den Bau des der Bezirksstraße ins Dorf eine Ehren- »Akkumulatorenhauses und die elektrische pforte errichtet. Vorreiter eines Festzuges Anlage« (1899), um die Renovierung der waren dem Paar entgegengeritten, Ver- Brauerei auf dem Oberhof (1900), die Ver- eine und Schulkinder gingen ihm bis zur größerung des Pferde– und des Kuhstalls,82 Brettmühle entgegen, wo zwei Schulmäd- einen Scheunenneubau (1889) oder den chen der jungen Frau einen Blumen- neuen Eiskeller (1890) geht.82 Die modernen strauß überreichten. An der Ehrenpforte Zeiten wirkten sich also auch auf die Land- sang der Gesangverein ein Willkom- wirtschaft aus: 1891 wurde eine Feldscheune menslied und Gemeindevorstand Hoff- gebaut, zu der sich 1892 eine Lokomobile ge- mann sprach einige Begrüßungsworte. sellte, d.h. eine mobile Dampfmaschine, die Dann schloß sich der Gemeinderat dem man schon 1888 probeweise gemietet zu ha- Zuge an, der sich nun nach den Klängen ben schien; gleichzeitig experimentierte der Frauendorfer Musikkapelle nach dem man mit Serradella (Ornithopus sativus) als Schloßhofe in Bewegung setzte. Dort hat- Grünfutterpflanze.83 Zwischen 1899 bis 1905 ten sich zu beiden Seiten Beamte und Ar- wurde schrittweise auch die Elektrizität ein- beiter des Rittergutes aufgestellt. Nach- geführt. dem Pastor Hoffmann an der Schloß- treppe eine Begrüßungsansprache gehal- Modernisierungen lassen sich unter Nitz- ten hatte, zog der Festzug nach dem sche aber nicht nur im Bereich der Land- Erbgericht ab. Am Abend veranstalteten wirtschaft, sondern auch im Garten und am die Schulkinder einen Umzug mit bunten Schloss belegen: In den Akten findet sich 13 | Grundriss von Schloss Reinhardtsgrimma »Essenumbau von Baurath Lipsius – Dresden«, »fertiger Bestand Laternen von der Schule nach dem beispielsweise ein Gartenplan des königli- 1907« (SächsHStA, 10505, Nr. 409, Pläne des Schlosses Reinhardtsgrimma 1907). Schloßhof.«80 chen Hofgärtners Max Bertram (1849–1914), auf den im Folgenden noch detaillierter ein- Vier Kinder wurden dem Paar in Rein- gegangen wird. (vgl. Beitrag »Die Entwick- seinen frühen Tod und aufgrund der Min- lem Anbau sowie zwei Wirtschaftshöfe, die hardtsgrimma geboren, bekannt ist die 1893 lung der Gärten«) Darüber hinaus gibt es derjährigkeit der Kinder wurde das Gut Schloss– und die verpachtete Brettmühle geborene Charlotte Melanie Minna (1893– eine Zeichnung (Abb. 13), welche die Maß- schließlich am 1. August 1907 verkauft, was mit Elektrizitätswerk, die verpachtete Bä- 1984), die 1914 Burkhardt Karl Ernst Rabe nahmen an den Schornsteinen im Schloss von 1907 bis 1908 zu zähen Verhandlungen ckerei, der Oberhof mit ehemaliger Brauerei von Pappenheim (1879–1945) heiratete, zeigt und durch keinen geringeren als den mit den Neueigentümern, der Familie Senfft und Mietwohnungen, die Buschhäuser, die Oberleutnant der kaiserlichen Schutztruppe Königlichen Baurat und Dresdner Professor von Pilsach, führte. Man rechnete 1.013.000 Brennerei (»17358 l Kontingent«), die Gärt- in Deutsch–Ostafrika. Constantin Lipsius (1832–1894) unterzeich- Mark zusammen, wobei das Schloss mit le- nerei, Obstplantagen sowie der Gutshof mit net wurde, der zeitgleich mit dem renom- diglich 50.000 Mark zu Buche schlagen allem Inventar und Vieh.84 Der Kaufvertrag wurde erst am 2. Februar mierten Neubauprojekt der Akademie in sollte, weil es erheblichen Sanierungsbedarf 1883 unterzeichnet, doch scheint es unter Dresden beschäftigt war. Mit den Umbauten gegeben haben muss. Die Witwe jedoch kam Tatsache ist, dass beide Seiten so auseinan- Nitzsche bereits Ende 1882 zu einigen Verän- in den Schlössern Püchau, Wetzelstein und auf 1.400.000 Mark, da zahlreiche Investiti- der schieden, dass die Witwe vor dem Aus- derungen gekommen zu sein. Dies verwun- Klein Zschocher hatte er zudem gezeigt, onen getätigt wurden und der mittlerweile zug noch genug Geld erübrigen konnte, eine dert nicht, schrieb doch Pfarrer Hofmann dass ihm auch Modernisierungen nicht heranwachsende Forst einen Mehrwert »Nitzsche–Stiftung« vor Ort ins Leben zu 1886 über die Ambitionen des Gutsherren: fremd waren. Man muss davon ausgehen, rechtfertigen würde. Auf Seiten der Käufer rufen, die der Linderung von Not und Sorge »Die Ökonomie ist noch verpachtet, doch dass Lipsius hier nicht allein wegen der Es- wiederum bestanden Probleme, Kredite bei bei den Gemeindemitgliedern dienen sollte gedenkt der jetzige Herr Besitzer dieselbe sen sondern auch wegen anderer baulicher Geldinstituten zu akquirieren, da gerade ein und Senffts – wie sich bereits abzeichnen d.r. Juli 1887 selbst zu übernehmen.«81 Ob- Veränderungen angefragt wurde, die jedoch allgemeiner Geldmangel herrschte. sollte – das vollkommen sanierungsbedürf- wohl er keine landwirtschaftliche Vorprä- im Gutsarchiv keinen Niederschlag gefun- tige Schloss zum Anlass nahmen, es voll- gung gehabt zu haben scheint, investierte er den haben. Ein Gutachten fasste 1907 die Fakten zusam- kommen neu auszustatten.85 Die Dorfge- in den Gutsbetrieb und war Mitglied im men. Zum Verkauf standen: 275 ha Waldbe- meinschaft verabschiedete die ehemalige Ei- »Landwirtschaftlichen Haupt–Verein Sach- Diese Umstände mögen zeigen, mit welchen stand, 185 ha Feld, 50 ha Wiese, 10 ha Park gentümerin und begrüßte auch die neuen sen«. Der bereits auf dem Gut tätige »Bau- Ambitionen Nitzsche das Rittergut Rein- und Garten, 5 ha Fohlenkoppeln, 1 ha Teiche durch zwei Ehrenpforten und Ansprachen. meister und Steinbruchbesitzer« Otto Röllig hardtsgrimma zu führen trachtete. Durch und Wege, also 526 ha Gesamtfläche mit al- In den Akten finden sich mehrfach Hin- 24 25
Das Schloss Reinhardtsgrimma und seine Bewohner 16 | Fotografie der vier Geschwister Senfft von Pilsach von links nach rechts: Louisa – Auguste – Hugo – Ott - 1908 in Holland aufgenommen (Privatarchiv von Friesen, Dresden). ber von »Onkel Anton« und »Onkel Os- (1900–1917) und Ott Friedrich (1903–1988). wald« in Böhlen pflegte, wie eine Abrech- Eine erstgeborene Tochter starb bereits 14 | Friedrich Hugo Maximilian Senfft von Pilsach 15 | Alpheda Louise Teding van Berkhout (1863–1959) nung nahelegt.90 1894.92 Die Kinder sind auf Abbildung 16 zu (1855–1931) (Privatarchiv von Friesen, Dresden). (Privatarchiv von Friesen, Dresden). sehen. Eine wesentliche Kraft hinter dem Unterhalt von Böhlen aber auch dem Kauf und Aus- Ein im Archiv hinterlegtes Adressbuch, das weise, dass sich die Gutsherrschaft bis ins niel von der Schulenburg, wobei sie das Erbe bau Reinhardtsgrimmas scheint Alpheda hilft zahlreiche Kontakte nachzuweisen, wie 20. Jahrhundert hinein an kommunalen, so- ausschlugen.88 Um das mütterliche Famili- Louise Teding van Berkhout (Batavia 1863– sie sich durch familiäre, ständische, wirt- zialen und karitativen Aufgaben beteiligte.86 engut zu halten, wurde es möglicherweise 1959 Meran) gewesen zu sein (Abb. 15), die schaftliche und soziale Beziehungen erge- entschuldet und geriet infolgedessen an Ma- ihren Mann, Maximilian von Senfft, wahr- ben, konnte bislang noch nicht erschlossen Reinhardtsgrimma im 20. Jahrhundert: ximilian von Senfft. Dementsprechend be- scheinlich über ihre Halbschwestern ken- werden. Doch scheint es, dass der Austausch Senfft von Pilsachs hielt er Böhlen auch nach dem fürs Frühjahr nengelernt hatte, waren doch beide mit ehe- landwirtschaftlicher Erneuerungen oder die 1908 terminierten Einzug in Reinhardts- maligen Kameraden ihres Mannes verheira- Anstellung von Gärtnern, ja selbst der Kauf Der Käufer, Friedrich Hugo Maximilian grimma aufrecht, wobei Teile des Gutes ver- tet: Die ältere, Maria (1858–1949), ehelichte von Hunden nicht dem Zufall überlassen Senfft von Pilsach auf Röpsen und Groß mietet und zunehmend an verschiedene In- 1881 George Francois Edward von Olhoff waren, sondern dass man ein gesellschaftli- Prießlich bei Gera (1855–1931), entstammte teressenten verkauft und verpachtet wurden. Groote (1857–1927), Leutnant in der sächsi- ches Netzwerk pflegte, das sich sehr eng an einer im Militär erfolgreichen uradligen In den Archivalien finden sich u.a. Vermie- schen Kavallerie, und die jüngere, Louise familiäre Bindungen und Standesgrenzen Oberpfälzer Familie (Abb. 14). In der Über- tungen des Herrenhauses, aber auch des (1860–1939), heiratete 1884 den Oberstleut- hielt.93 lieferung findet man den Hinweis, dass er »Jagdschlosses« sowie der Jagd. Man be- nant Carl Friedrich August Alexander von das (»230 ha«87 große) Rittergut Böhlen ver- mühte sich, den seit 1901 für 4.300 Mark Ab- Luttitz auf Tzschernitz (1859–1917).91 Die finanziellen Mittel, über die das Gutsar- ließ, da der nahende Braunkohleabbau das gabeleistungen wirtschaftenden Pächter chiv nur punktuell Auskunft gibt, scheinen dortige Leben erschwerte. Neben den besag- Curt Töpfer bis 1925 zu halten und scheint Als dritte Tochter und letztes Kind ihres Va- größtenteils von Alpheda zu stammen, de- ten Gütern besaß Senfft in der Radeberger sogar (für 1910 belegt) noch einen Gärtner ters vermählte sich Alpheda 1893 in Den ren Familie seit 1872 die bis 1958 existierende Straße 14 in Dresden eine Stadtwohnung. namens Hinke dort zu beschäftigen; dem Haag und schenkte ihrem Mann fünf Kin- ›Tjomal Suikeronderneming‹ in Indonesien Als 1891 sein Onkel Anton von Helldorff auf Mieter – einem Herrn von Querfurth – trug der: Louisa Alpheda ›Isa‹ (1895–1969, seit gehörte. Angehörige dieser im 16. Jahrhun- Böhlen (geb. 1826) kinderlos starb, erbten man auf jeden Fall auf, keine Fällungen oder 1918 verh. Gräfin Hohenthal und Bergen), dert geadelten Familie waren, später als In- zunächst seine Schwester Marie und der an- Veränderungen im Gutspark vornehmen zu Auguste Marie ›Gustie‹ (1897–1989, verh. genieure, Politiker und Industrielle sehr er- geheiratete Schwager Werner Christoph Da- lassen.89 Hinke ist es wohl auch, der die Grä- von Schönberg auf Oberreinsberg), Hugo folgreich. Zeitweise arbeiteten 13.000 Perso- 26 27
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