Das Verstärkermodell der Suizidalität: Chronische Suizidalität bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung verstehen und behandeln

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Das Verstärkermodell der Suizidalität: Chronische Suizidalität bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung verstehen und behandeln
Review Article / Übersichtsarbeit

                                                            Verhaltenstherapie                                                                      Received: February 24, 2021
                                                                                                                                                    Accepted: July 1, 2021
                                                            DOI: 10.1159/000518239                                                                  Published online: July 26, 2021

Das Verstärkermodell der Suizidalität:
Chronische Suizidalität bei der Borderline-
Persönlichkeitsstörung verstehen und behandeln
Johannes M. Hennings
Einheit für dialektisch-behaviorale Therapie, kbo-Isar-Amper-Klinikum München-Ost, Haar/München, Deutschland

Schlüsselwörter                                                                                 integriert, von dem verhaltenstherapeutische Interventio-
Borderline-Persönlichkeitsstörung · Dialektisch-behaviorale                                     nen abgeleitet werden, die Therapeuten in ihrer Arbeit mit
Therapie · Nichtsuizidale Selbstverletzung · Suizidalität ·                                     chronisch suizidalen Patienten unterstützen können.
Verstärkung                                                                                                                                        © 2021 The Author(s)
                                                                                                                                                   Published by S. Karger AG, Basel

Zusammenfassung                                                                                  The Reinforcement Model of Suicidality:
Trotz großer Fortschritte in der evidenzbasierten Psychothe-                                     Understanding and Psychotherapy of Chronic
rapie wird unser Versorgungssystem durch chronisch suizi-                                        Suicidality in Borderline Personality Disorder
dale Patienten mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung
(BPS) weiterhin stark herausgefordert. Die BPS ist mit einem
hohen Suizidrisiko von 5–10% sowie einem hohen Selbstver-                                        Keywords
letzungsrisiko von bis zu 80% behaftet. Therapeuten wie An-                                      Borderline personality disorder · Dialectic-behavioral
gehörige fühlen sich oft überfordert und hilflos, wenn sie mit                                   therapy · Non-suicidal self-injury · Suicidality ·
der Suizidalität der Patienten konfrontiert sind. Immer wie-                                     Reinforcement
der kommt es so zu Therapieabbrüchen, Vorstellungen in
Notaufnahmen oder akut-psychiatrischen Einweisungen.
Bei der nichtsuizidalen Selbstverletzung (NSSV) – einem Ver-                                     Abstract
haltensmuster, das gehäuft zusammen mit chronischer Sui-                                         In spite of great advancements in evidence-based thera-
zidalität bei BPS auftritt – tragen Verstärkermechanismen                                        pies, chronic suicidal patients with borderline personality
(z.B. Nachlassen von Anspannung) dazu bei, dass sich Bor-                                        disorder (BPD) still challenge our mental health system.
derline-Patienten trotz längerfristig unangenehmen Folgen                                        BPD is afflicted with a high suicide risk of 5–10% and a
immer wieder selbst verletzen. Die Motive für NSSV und su-                                       high risk for self-mutilation (up to 80%). Therapists as well
izidales Verhalten können sehr unterschiedlich sein. Es                                          as relatives feel often stunned and helpless when con-
spricht jedoch einiges dafür, dass die zugrunde liegenden                                        fronted with suicidality resulting in interruption of thera-
Mechanismen ähnlich sind und sich hieraus wichtige thera-                                        pies, repeated presentations to emergency rooms and re-
peutische Interventionsmöglichkeiten ableiten lassen. In                                         ferrals to hospitals. Reinforcement mechanisms turned
dieser Übersichtsarbeit werden die Hintergründe und Unter-                                       out to play an important role in the maintenance of re-
schiede von NSSV, Suizidideationen sowie Suizidversuchen                                         peated non-suicidal self-injury (NSSI). While individual
bei chronisch suizidalen Borderline-Patienten dargestellt.                                       motives for NSSI and suicidal behavior including suicidal
Neuere Erkenntnisse der modernen Neuro- und Verhaltens-                                          ideations can differ, the principal mechanisms appear to
wissenschaft werden in ein Verstärkermodell der Suizidalität                                     be transferrable. This article aims to give a better idea of

karger@karger.com     © 2021 The Author(s)                                                      Korrespondenz an:
www.karger.com/ver    Published by S. Karger AG, Basel                                          Johannes M. Hennings, johannes.hennings @ kbo.de
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Das Verstärkermodell der Suizidalität: Chronische Suizidalität bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung verstehen und behandeln
what is behind and what are the differences between                    kenhauseinweisungen oder geschlossene Unterbringun-
    non-suicidal self-injury, suicidal ideations and suicide at-           gen Suizidalität überhaupt senken [Linehan et al., 2012].
    tempts. It further integrates recent developments of be-               Es fehlt uns außerdem an evidenzbasierten pharmakolo-
    havioral science in a reinforcement model of suicidality               gischen Behandlungsmöglichkeiten für Borderline-Pati-
    that can provide therapists a practical armamentarium in               enten [Lieb et al., 2004]. Hierzu passt wiederum, dass Pa-
    their work with chronic suicidal clients.                              tienten mit einer BPS oft wiederholte psychiatrische Kran-
                                        © 2021 The Author(s)               kenhausaufenthalte und Therapieabbrüche aufweisen,
                                        Published by S. Karger AG, Basel   und weiterhin zu denjenigen mit der höchsten Rate an
                                                                           Suizidideationen, NSSV und wiederholten SV gehören
     Einleitung                                                            [Linehan et al., 1983; Linehan, 1993].
                                                                              Diese Übersicht beschäftigt sich daher mit der Frage,
    Suizidalität ist eine der schwerwiegendsten Symptome                   was die Hintergründe chronischer Suizidalität sind und
psychischer Störungen. Sie umfasst psychopathologische                     welche psychologischen Mechanismen sie aufrechterhal-
Phänomene, die von Lebensüberdruss, Suizidideationen                       ten. Sind die Modelle, die für das Verstehen von NSSV
(Gedanken an und Vorstellungen vom eigenen Tod, aber                       entwickelt wurden, auf suizidales Verhalten übertragbar?
auch Abwägen und Planen eines Suizides), ambivalenten                      Können oder sollten wir überhaupt mit suizidalen Pati-
Suizidversuchen, Suizidversuchen (SV) bis hin zum voll-                    enten Psychotherapie machen? Und wenn ja, welche In-
endeten Suizid reichen [Linehan, 1986; Klonsky et al.,                     terventionen sind hilfreich?
2016]. Patienten mit einer emotional instabilen Persön-
lichkeitsstörung (BPS) haben ein besonders hohes Risiko                        Hintergründe von NSSV bei der BPS
für Suizide (5–10%), SV, sowie Selbstverletzungen (bis zu                      NSSV (z.B. Schneiden, Ritzen, Kopf Anschlagen, Ver-
80%), die mitunter klinisch schwer von einem SV zu dif-                    brennen) ist ein weltweites Phänomen, das nicht nur,
ferenzieren sind [Klonsky, 2007; Klonsky et al., 2013]. Zu-                aber besonders häufig bei BPS vorkommt [Plener et al.,
dem liegt bei BPS oft eine sogenannte chronische Suizida-                  2009]. Sie ist definiert als eine selbstintendierte, sozial un-
lität vor. Auch wenn dieser Begriff zur Einschätzung der                   angemessene Verletzung der Körperoberfläche ohne su-
Suizidalität wegen seiner Unschärfe psychopathologisch                     izidale Absicht [Linehan et al., 2006]. Um das Phänomen
nicht gebraucht werden soll [Wolfersdorf, 2008], be-                       in Studien besser untersuchen zu können, hat sich diese
schreibt er sehr treffend, wie Klienten oft über viele Jahre               einheitliche Definition mittlerweile durchgesetzt und ist
immer wieder oder anhaltend unterschiedliche Formen                        in der 5. Ausgabe des Diagnostic and Statistical Manual
der Suizidalität erleben [Oumaya et al., 2008]. Diagnose-                  of Mental Disorders sogar als eine neue diagnostische En-
übergreifend sind mittlerweile robuste Risikofaktoren für                  tität gewürdigt worden [American Psychiatric Associati-
suizidales Verhalten herausgearbeitet worden, insbeson-                    on, 2013]. In der kürzlich erschienen Meta-Analyse von
dere Missbrauch in der Kindheit, nichtsuizidale Selbstver-                 Taylor et al. [2018] zu NSSV wurde eine Reihe unter-
letzung (NSSV) sowie frühere SV [Klonsky et al., 2013;                     schiedlicher psychologischer Funktionen von NSSV zu-
Franklin et al., 2017]. Allerdings entstammen diese Risi-                  sammengestellt. Zu den häufigeren, sogenannten intra-
kofaktoren vorwiegend aus Fall-Kontroll-Studien und                        psychischen Funktionen zählen Emotionsregulation und
helfen dem Kliniker wenig, das individuelle Suizidrisiko                   Selbstbestrafung, wobei es darum geht, (aversive) innere
zu einem bestimmten Zeitpunkt zuverlässig zu bestim-                       Zustände zu beenden oder zu verhindern. Weniger häu-
men [Linehan et al., 2012; Miller et al., 2017; Teismann et                fig sind sogenannte interpersonelle Funktionen wie z.B.
al., 2019]. Auch, wenn der Großteil der Betroffenen ihren                  Einflussnahme auf andere oder Zugehörigkeit zu Peers
Suizidideationen nicht nachgehen werden [Joiner, 2005],                    [Klonsky, 2007; Klonsky et al., 2013; Taylor et al., 2018].
können wir “Suizidideatoren” und spätere “Suizidversu-                     In ähnlicher Weise unterscheiden Nock und Prinstein
cher” anhand selbst der besten Indikatoren (z.B. Angst vor                 [2004] in ihrem 4-Funktionen-Modell im Sinne der kog-
dem Tod, subjektive Schmerztoleranz, objektiv anhalten-                    nitiven Verhaltenstherapie positive (i.e., Zuführen eines
der Schmerz) nicht zuverlässig voneinander trennen                         angenehmen Stimulus) versus negative (i.e., Wegnahme
[Paashaus et al., 2019]. Und tatsächlich sind die Suizidra-                eines aversiven Stimulus) sowie automatische (i.e., intra-
ten in bestimmten Populationen, wie z.B. bei jugendlichen                  personelle; z.B. Emotionsregulation wie oben) versus so-
Mädchen, in den letzten Jahren wieder angestiegen [Cur-                    ziale (i.e., interpersonelle; e.g., Aufmerksamkeit, Vermei-
tin et al., 2016; Miller et al., 2017]. Auf der anderen Seite              dung, Flucht) Verstärker (Tab. 1). Durch diesen Erklä-
ist es für chronisch suizidale Borderline-Klienten oft sehr                rungsansatz ist es leichter nachzuvollziehen, warum
schwer, einen Therapieplatz zu bekommen oder zu behal-                     einige Patienten sich immer wieder selbst verletzen und
ten. Stattdessen werden sie immer wieder wegen ihrer Su-                   dabei in Kauf nehmen, sich in chirurgischen Notaufnah-
izidalität in Kliniken eingewiesen, wobei wenig Evidenz                    men vorstellen zu müssen (was oft sehr schambesetzt ist),
vorliegt, dass die Unterbrechung von Therapien, Kran-                      dass Konflikte mit Angehörigen entstehen (was erneute

2                       Verhaltenstherapie                                                       Hennings
                        DOI: 10.1159/000518239
Das Verstärkermodell der Suizidalität: Chronische Suizidalität bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung verstehen und behandeln
Tabelle 1. Vier-Funktionen-Modell der NSSV (modifiziert nach Nock und Prinstein [2004])

Positive Verstärkung                                                Negative Verstärkung

Automatisch-positive Verstärkerfunktion von NSSV:                   Automatisch-negative Verstärkerfunktion von NSSV:
→ Um einen gewünschten physiologischen Zustand                      → Um Anspannung oder andere aversive Affektzustände
    herzustellen (i.e., Emotionen hervorrufen, Emotionen nicht          abzuschwächen, z.B.:
    abzuschwächen), z.B.:                                               – Abschwächen von aversiven Gefühlen
    – Selbstbestrafung                                                  – Anspannungsreduktion
    – Sensationslust                                                    – Antidissoziativ
    – Identitätsgefühl (“das gehört zu mir”)                            – Symptome anderer psychischer Störungen reduzieren
    – Sexuelle Befriedigung                                               (z.B. Zwangsgedanken, Stimmenhören)
    – Kontrolle/Handlungsfähigkeit
Sozial-positive Verstärkerfunktion von NSSV:                        Sozial-negative Verstärkerfunktion von NSSV:
→ Als eine Form der Kommunikation mit und/oder ohne                 → Um Verantwortungen abzugeben, Konsequenzen oder
     Einflussnahme auf andere, z.B.:                                     zwischenmenschliche Herausforderungen zu
     – Kommunikation von Leiden                                          vermeiden, z.B.:
     – Erhalten von Zuwendung und Aufmerksamkeit                         – Sich selbst stellvertretend für andere verletzen
     – Veranlassen bestimmter Maßnahmen (z.B. Medikation                 – Sich selbst verletzen, bevor man durch andere verletzt
       erhalten; nicht nach Hause entlassen werden)                        wird

Krisen provoziert) und dass stigmatisierende Narben zu-             Insgesamt helfen diese Erkenntnisse aus der Verhal-
rückbleiben.                                                     tensforschung in der Therapie von Patienten mit NSSV:
   Zu diesem psychologischen Verstärkermodell passen             Zum Beispiel kann in einer Verhaltensanalyse wie dem
gut neuere neurobiologische Beobachtungen, die im Be-            Stimulus-Organismus-Response-(Konsequenz)-Contin-
reich des limbischen Systems gemacht wurden: In einer            genz-(SORKC- oder SORC-) Modell [Kanfer und Saslow,
fMRT-Studie reduziert NSSV die Aktivität der Amygdala            1965] dem Klienten im Sinne einer Psychoedukation ver-
bei Borderline-Patienten und verbessert gleichzeitig die         deutlicht werden, wie die Selbstverletzung als negativer
Konnektivität zum Gyrus frontalis superior [Reitz et al.,        Verstärker wirkt und so die Wahrscheinlichkeit erhöht,
2015]. Klinisch zeigt sich durch die NSSV eine sofortige         dass man sich in der nächsten Stresssituation wieder ver-
Abnahme aversiver Anspannung und die Betroffenen                 letzen wird. Da der erleichternde Effekt der NSSV beim
können wieder klarer denken. Darüber hinaus aktiviert            Klienten oft so stark ist, sollte der Therapeut immer wie-
NSSV das Belohnungssystem, wobei Strukturen des Opi-             der verdeutlichen, dass es notwendig ist, Selbstverletzun-
oid- und wahrscheinlich auch Endocannabinoid-Sys-                gen abzubauen und alternative Fertigkeiten zur Span-
tems beteiligt sind [Kirtley et al., 2015]. In einer prospek-    nungsreduktion (“Skills” in der dialektisch-behavioralen
tiven Studie mit Borderline-Patienten, die sich mit einer        Therapie) aufzubauen [Linehan, 1993]. Denn nur so
hohen Frequenz selbst verletzten, erfassten Houben et al.        kann die Kontingenz des Belohnungsreizes der NSSV
[2017] über Palmtop-Geräte kontinuierlich die emotio-            aufgebrochen werden.
nalen Zustände über mehrere Tage. Hier zeigte sich ein
enger Zusammenhang zwischen dem Auftreten von aver-                 Kann Suizidalität bei Borderline ähnlich verstanden
siven Gefühlszuständen mit einer darauffolgenden                    werden wie NSSV?
Selbstverletzung. Erstaunlicherweise konnte so nicht nur            Brown et al. [2002] waren bei den ersten, die die Hin-
die NSSV mit einer hohen Wahrscheinlichkeit vorherge-            tergründe von NSSV und SV miteinander verglichen ha-
sagt werden, sondern auch ein darauffolgender, aversiver         ben. In beiden Fällen fanden sie, dass Emotionsregulation
Gefühlszustand nach einer NSSV (z.B. Scham, “weil ich            eine bedeutende Rolle spielt. Im Vergleich zu SV wurde
mich wieder verletzt habe”; “versagt habe, anders mit            NSSV allerdings häufiger eingesetzt, um bestimmte Ge-
dem Stress umzugehen”) sowie eine weitere NSSV als               fühle herzustellen, sich selbst zu bestrafen, Ärger zum
Folge auf diese unangenehme Emotion (Abb. 1). Aus die-           Ausdruck zu bringen oder sich abzulenken. SV hingegen
ser kontingenten Abfolge aus (kurzfristiger) Erleichte-          wurden signifikant häufiger durchgeführt, damit es ande-
rung (negative Verstärkung) und Aktivierung selbstab-            ren besser geht. Tabelle 2 gibt nach dem aktuellen Stand
wertender Gedanken kann man sich gut vorstellen, wie es          der Literatur eine Übersicht zu den Gemeinsamkeiten
bei unseren Patienten zu einem Teufelskreis mit wieder-          und Unterschieden von NSSV und SV.
holten Selbstverletzungen (mitunter an nur einem Tag)               Nichtsdestotrotz sind SV nur ein Symptom von Suizi-
kommen kann [Houben et al., 2017].                               dalität. Auch wenn Borderline-Patienten keine SV unter-

Das Verstärkermodell der Suizidalität                            Verhaltenstherapie                                             3
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Abb. 1. Kontingenz von NSSV. A NSSV
tritt bei BPS in der Folge auf eine (meist)
aversive Emotion auf. B Auf das NSSV
folgt (nach einer kurzfristigen Erleichter-
ung) jedoch wiederum eine aversive Emo-
tion (z.B. Scham, Selbsthass). C Die sich so
einstellende, kontingente Abfolge von
Emotion, NSSV und Emotion macht es
möglich, mit einer hohen Wahrscheinlich-
keit sogar die anschließende aversive Emo-
tion nach einer nächsten NSSV vorhersa-
gen zu können. Modifiziert nach Houben
et al. [2017].

nehmen, leiden sie oft unter wiederkehrenden Suizidide-       wegen Krisen oder NSSV noch häufig in Notaufnahmen
ationen, beschäftigen sich mit dem Tod und Suizid im          und geschützten Stationen behandelt werden, sondern
Internet oder tauschen Suizidmethoden in sozialen Me-         eher nach Jahren erfolgloser Therapien in einem fortwäh-
dien aus [Forsthoff et al., 2006]. Tatsächlich finden ge-     renden Zustand chronischer Suizidalität [Paris, 2019]. Es
häufte NSSV und SV typischerweise in einer umschriebe-        spricht daher Einiges dafür, neben dem klinischen Ma-
nen, relativ frühen Krankheitsphase der BPS statt [Zana-      nagement von NSSV und SV, frühzeitig in der Psychothe-
rini et al., 2008], Suizidideationen hingegen sind häufig     rapie wiederkehrende Suizidgedanken gezielt zu behan-
über viele Jahre vorhanden [Paris, 2019]. Nicht selten        deln, um spätere Suizide zu verhindern. An dieser Stelle
werden letztere als “nicht akute” Suizidalität auch im pro-   kommt jetzt die Frage auf, ob wir das bei NSSV hilfreiche
fessionellen Umfeld abgetan. Brisanterweise kommt es          Verstärkermodell auch auf chronische Suizidalität über-
aber dann tatsächlich bei diesen Patienten vor allem im       tragen und ähnliche Konsequenz-Kontingenz-Abfolgen
späteren Krankheitsverlauf zu vollendeten Suiziden [Pa-       für das Auftreten von Suizidgedanken als Antwort auf
ris und Zweig-Frank, 2001]. D.h., Borderline-Patienten        aversive Gefühlszustände angenommen werden können.
haben – statistisch gesehen – nicht ihr höchstes Suizidri-    Mit anderen Worten:
siko im jungen Alter und in der Krankheitsphase, wo sie

4                      Verhaltenstherapie                                        Hennings
                       DOI: 10.1159/000518239
Abb. 2. Das Problemlöse-Modell der Suizidalität. In einer als un-      zid eine Lösung jeglicher Problemsituationen darstellt und dass
erträglich, unendlich oder unausweichlich erlebten Situation (eng-     andere Strategien nicht zur Verfügung stehen oder nicht erfolgs-
lisch: “The Three Is”: intolerable, interminable and inescapable)      versprechend sind. Als antisuizidale Intervention geht es nach die-
werden Problemlösestrategien benötigt, um das Leiden zu been-          sem Modell einerseits darum, das Leid zu reduzieren (z.B. durch
den. Theoretisch steht am Ende einer Kette von möglichen Maß-          eine Medikation) und andererseits Fertigkeiten aufzubauen, mit
nahmen, wenn sie erfolglos waren, immer auch der Suizid. Men-          einer Situation umzugehen oder sie zu verändern. Modifiziert
schen mit wiederholten suizidalen Krisen sind überzeugt, dass Sui-     nach Chiles und Strosahl [2004] und Bilsker und Forster [2003].

Tabelle 2. Funktionen von nichtsuizidaler Selbstverletzung und Suizidversuchen1

Nichtsuizidale Selbstverletzung                                          Suizidversuch

Regulation negativer Affekte, Emotionsregulation (häufigste              Emotionale Erleichterung, Nachlassen von psychischen
Nennung (63–78% in Taylor et al. [2018])                                 Schmerzen (von den meisten Patienten in Brown et al. [2002]
                                                                         angegeben)
Selbstbestrafung                                                         Interpersonelle Einflussnahme (wahrscheinlich weniger
                                                                         bedeutsam als bei NSSV)
Antidissoziativ (z.B. Schmerzreize stoppen Taubheitsgefühl)              Damit es anderen besser geht/keine Last mehr für andere zu
                                                                         sein (stärker als bei NSSV)
Interpersonelle Einflussnahme (z.B. Not/Leiden kommunizieren;            Gefühl von Kontrolle
das Verhalten anderer beeinflussen; aktiv andere bestrafen/
Schmerz zufügen; insgesamt weniger bedeutsam als
Affektregulation; 33–56% in Taylor et al. [2018])
Antisuizidal (z.B. Stoppen von Suizidgedanken/-impulsen)
Sensationslust, Ablenkung (“etwas Aufregendes tun“)
Zugehörigkeit (z.B. Teil einer Peer-Gruppe werden, mit anderen
ähnlich (nicht anders) sein)
   1
     Bitte beachten Sie, dass die Daten [Tullis, 1998; Brown et al., 2002; Klonsky, 2007; Klonsky et al., 2013; Taylor et al., 2018] aus un-
terschiedlichen Erhebungsformen mit unterschiedlichen Definitionen entstammen (validierte, strukturierte Fragebögen, klinische In-
terviews und Fallberichte). Aus diesem Grund sind Faktoren, die wahrscheinlich zusammenhängen oder ähnlich sind, in einer Zelle
dargestellt.

   Können Gedanken ähnlich wie ein Verhalten in ein                    können diese Konsequenzen mich dahingehend verstär-
   Verstärkermodell gefasst werden?                                    ken, dass ich in einer vergleichbaren Situation nächstes
   Wenn wir in der Psychotherapie mit Verhaltensanaly-                 Mal ähnlich handeln werde. Zum Beispiel, wenn ich in
sen arbeiten, fokussieren wir uns üblicherweise auf ein                einer als ausweglos empfundenen Situation mit hoher
(meist) dysfunktionales Verhalten – also Dinge, die wir                Anspannung erfahren habe, dass Schneiden unmittelbar
getan haben, die gewisse angenehme oder unangenehme                    zu einer Erleichterung führt (negative Verstärkung) oder
Konsequenzen nach sich ziehen. Wie oben beschrieben,                   mir sogar das Gefühl gibt, ich habe mich/die Situation

Das Verstärkermodell der Suizidalität                                  Verhaltenstherapie                                                 5
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unter Kontrolle (positive Verstärkung). Ist es aber wirk-     für Suizidassoziationen in einer ähnlichen aversiven Situ-
lich etwas anderes, wenn ich mich stattdessen gedanklich      ation erhöht (Abb. 3).
mit Suizid beschäftige, und ich dadurch eine Erleichte-          Der (negativ) verstärkende Effekt, den jemand durch
rung erfahre, weil ich eine Vorstellung entwickle, dass ich   die Erleichterung in einer solchen Situation erfährt, in
aus der Situation herauskommen kann? Chiles und Stro-         dem er an den Tod denkt, mag sogar noch größer sein,
sahl [2004] haben beobachtet, dass Jugendliche, die durch     wenn er sich genau vorstellt, wann, wo und wie er Suizid
Auslöser von innen (z.B. Denken an eigene Unzuläng-           begeht [Chiles und Strosahl, 2004]. So kann es zu einer
lichkeit) oder außen (z.B. durch Mobbing) starken seeli-      Gewohnheit werden, im Internet nach Suizidmethoden
schen Schmerz empfinden, Erleichterung erfahren, wenn         zu recherchieren, Suizid auf entsprechenden Online-
sie in der Situation an Suizid denken. Kürzlich konnte in     Plattformen zu diskutieren oder den Suizid vorzubereiten
einer Echtzeit-Untersuchung über 28 Tage mit Smart-           (z.B., indem Tabletten gesammelt, Orte zum Erhängen
phones (ähnlich wie bei der oben erwähnten Studie von         oder eine Brücke zum Springen ausgesucht werden). Je-
Houben) dargestellt werden, dass bei Patienten mit einer      mand, der Suizidideationen hat, erfährt von dieser Pers-
Vorgeschichte von SV sich der Affekt immer dann ver-          pektive aus die “ultimative Verstärkung” – einen Weg,
besserte und Traurigkeit abnahm, wenn Suizidgedanken          der es ihm erlaubt, dauerhaft und vollständig schwierige
auftraten [Kleiman et al., 2018]. Die Autoren stellten da-    emotionale Erfahrungen zu kontrollieren [Chiles und
her die Frage, ob hier Suizidgedanken als Verstärker fun-     Strosahl, 2004].
gieren können. Ähnlich wie verschiedene Verhaltens-
muster (wie z.B. NSSV, Essstörung, Substanzkonsum) im             Süchtig machende und ansteckende Suizidalität?
Sinne der von Hayes [2004] beschriebenen Erfahrungs-              Tullis [1998] hat in seiner Theorie der Suizid-Abhän-
vermeidung verstanden werden können (Verlassen, Ver-          gigkeit (A theory of suicide addiction, 1998) die hier er-
meiden oder Ändern einer unangenehmen Erfahrung),             wähnten Verstärkermechanismen an seinen Patienten
kann die gedankliche Beschäftigung mit Suizid die Funk-       eindrucksvoll beschrieben: “Über Suizid nachzusinnen
tion haben, Emotionen zu unterdrücken und seelisches          kann bei einigen Menschen durchaus angenehm sein,
Leiden zu kontrollieren [Murrell et al., 2014]. In der Be-    oder es stoppt zumindest psychisches Leiden. Suizidale
zugsrahmentheorie [Hayes et al., 2001] und der Akzep-         Gedanken oder Verhalten kann eine Form der Selbstme-
tanz-Commitment-Therapie (ACT) [Hayes, 2004] geht             dikation bei diesen Menschen sein; das erneute Durchle-
Hayes davon aus, dass menschliches Verhalten immer            ben früherer Suizidversuche in Gedanken oder die bildli-
eine Funktion hat. So kann auch die gedankliche Beschäf-      che Vorstellung des eigenen Tods kann zu einem Ritual
tigung (eine Form von “Verhalten”) mit Suizid als eine        (oder gar Trance-ähnlichem Rauschzustand) werden, das
gelernte und verstärkte Art des Problemlösens betrachtet      ein Gefühl von Kontrolle und einen möglichen Ausweg
werden, z.B. indem intensive negative Emotionen abge-         aus dem Leiden vermittelt.” Tullis selbst beobachtete bei
schaltet oder vermieden werden[Chiles und Strosahl,           seinen Patienten diesen Beruhigungseffekt von Suizidge-
2004] (Abb. 2). Nach Hayes ist die Erleichterung (relief)     danken, der bis hin zu rauschähnlichen oder euphori-
in solchen Situationen nicht direkt konditioniert (d.h.,      schen Zuständen reichte (rush, high, thrill, exhilaration).
die Person hat nicht bereits erlebt, dass der Tod von see-    Er stellte auch einen Toleranzeffekt dieser Wirkung über
lischen Schmerzen befreit), wie es bei der klassischen        die Zeit fest, so dass Patienten – ähnlich wie es bei Subs-
Konditionierung der Fall ist (z.B. Vermeiden geschlosse-      tanzabhängigkeiten beobachtet wird – zwangsähnliche
ner Räume bei der Agoraphobie oder dem Nachlassen             Rituale und Verhaltensmuster entwickelten, wenn sie z.B.
von Zwangsgedanken (z.B. Kontamination) beim Aus-             Tabletten oder allerhand Paraphernalien für den Suizid
führen von Zwangshandlungen (z.B. exzessivem Hände-           sammeln und horten. Tullis Beobachtungen unterstützen
waschen)). Stattdessen werden sogenannte verbale              also die Hypothese, dass bei manchen Menschen die Be-
“wenn…, dann”-Assoziationen konstruiert (z.B.: ”Wenn          schäftigung mit Suizidgedanken angenehm ist, seelische
ich sterbe, werde ich nicht mehr von meinen Klassenka-        Schmerzen reduziert und eine Art “Way of life” werden
meraden gemobbt”) [Hayes, 1992]. Dieses “verbale Ver-         kann [Paris, 2004] – psychologisch gesprochen: eine Be-
halten” unterliegt Langzeit-Konditionierungsprozessen         schäftigung, die Verstärker- und Kontingenzmechanis-
und kann aversive (negative) oder appetitive (positive)       men unterliegt.
Konsequenzen beinhalten (zur Übersicht: Murrell et al.            Es wird (z.B. in akut-psychiatrischen Stationen) nicht
[2014]).                                                      selten beobachtet, dass Borderline-Patienten dysfunktio-
    Wendet man nun dieses Modell auf die chronische Su-       nale Verhaltensweisen von anderen Borderline-Mitpati-
izidalität bei der BPS an, können Suizidideationen (das       enten “abgucken” und übernehmen. So fängt z.B. eine Pa-
“verbale Verhalten”) Hoffnungslosigkeit, Hilflosigkeit        tientin an, sich zu ritzen, obwohl sie es nie zuvor getan
und unerträgliche Wut reduzieren und gleichzeitig als ein     hatte, was wiederum nahelegt, dass es (zumindest kurz-
negativer Verstärker wirken, der die Wahrscheinlichkeit       fristig) eine deutlich positive Konsequenz beinhaltet: He-

6                   Verhaltenstherapie                                            Hennings
                    DOI: 10.1159/000518239
Abb. 3. Kettenanalyse und SORKC-Modell von Suizidalität. Jes-          chenden Internetseiten beruhigt Jessica und lässt in ihr ein Gefühl
sicas Verhaltens-(Ketten-) Analyse von suizidalen Symptomen            von Hoffnung und Kontrolle entstehen (“Ich kann da immer noch
(hier: Suizidgedanken, Internetrecherche, Suizidvorbereitung),         rauskommen”, “Es gibt einen Ausweg”, “Ich muss nicht weiter
die auftraten, nachdem ihr Freund die Beziehung in Frage gestellt      leiden”). Die Kontingenz zwischen psychischem Schmerz und der
hat (Auslöser, S). Jessica ist zunächst perplex und hat Angst, Peter   Erleichterung (K/C) wirkt als ein negativer Verstärker (¢-), der die
zu verlieren (primäre Emotionen; Traurigkeit wäre hier z.B. auch       Wahrscheinlichkeit erhöht, dass in der nächsten Anspannungssit-
denkbar). Die ersten Gefühle verschwinden rasch, nachdem Jes-          uation ebenfalls Suizidalität auftritt. Andererseits folgen langfris-
sicas maladaptive kognitive Schemata (O) aktiviert sind (ihre In-      tig (beinhaltet hier alles direkt nach “kurzfristig”) auch aversive
terpretation der Situation vor dem Hintergrund ihrer Kindheitser-      Emotionen wie Insuffizienzgefühle, Scham, Einsamkeit (“Ich ge-
fahrungen). Diese Bewertungen wiederum aktivieren sogenannte           höre einfach nicht in diese Welt”, “Ich bin beziehungsunfähig”,
sekundäre Emotionen (wie z.B. Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit,       “Ich bin alleine, der Tod ist mein einziger Freund”), die wiederum
Panik) und verursachen zusätzliches seelisches Leid und Anspan-        die dysfunktionalen Grundannahmen bestärken und bestätigen.
nung. Es sei darauf hingewiesen, dass der Übergang von primären        So entsteht ein Teufelskreis aus der Verstärkung der Suizidalität
zu sekundären Emotionen vor allem bei BPS sehr schnell gehen           und der wiederholten Bestätigung zentraler kognitiv-emotionaler
kann. Oft sogar so schnell, dass die primäre Emotion überhaupt         Schemata, die letztendlich zu wiederkehrender, anhaltender und
nicht wahrgenommen wird [Linehan, 1993]. Gedanken an den ei-           schließlich chronischer Suizidalität führen.
genen Suizid, der Austausch mit Peers oder im Chat auf entspre-

rausfinden, was im Moment am besten hilft, Spannung zu                 lich existenziell. In der Sprache der Verhaltensanalyse be-
reduzieren; mit Peers verbunden fühlen, die mich verste-               stimmt die Organismus-Variable, wie wir einen Stimulus
hen [Taiminen et al., 1998; Prinstein et al., 2010]. Jetzt             verarbeiten und letztendlich darauf reagieren [Ellis,
können wir spekulieren, dass der Austausch von Sui-                    1969]. Neben rein biologischen Faktoren (z.B. Wachheit,
zidthemen über soziale Medien ein ähnliches Phänomen                   genetische Disposition, andere körperliche Einflussfak-
darstellt: Patienten “testen” verschiedene Suizidassoziati-            toren) ist die Organismus-Variable wesentlich durch un-
onen an, während sie untereinander darüber diskutieren                 sere eigenen Erfahrungen beeinflusst – Botschaften, die
und erfahren in dieser Konditionierung eine (erstmalige)               wir als Kind erhalten haben, oder Verhaltensmodelle, die
Verstärkung.                                                           wir vor uns hatten [Young et al., 2003]. Ähnlich wie in
                                                                       dem klinischen Beispiel in Abbildung 1 haben suizidale
   Bewertungen und Glaubenssätze sind die toxischen                    Jugendliche und Borderline-Patienten nach ihren frühen
   Zutaten des Verstärkermodells der Suizidalität                      Erfahrungen von Invalidierung oder Traumatisierung
   Wenn wir nach einem geeigneten Ansatz suchen, Sui-                  häufig Vorstellungen, wertlos, unangemessen, zurückge-
zidalität bei BPS anzugehen, wird die Auseinanderset-                  wiesen oder schuldig zu sein [Young et al., 2003; Murrell
zung mit den Hintergründen und Motiven sprichwört-                     et al., 2014]. Typische Beispiele hierfür sind Gedanken,

Das Verstärkermodell der Suizidalität                                  Verhaltenstherapie                                                 7
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wie “Ich kann nicht alleine leben”, “Ich bin falsch”, “Ich     hafte Gedanken, sich das Leben zu nehmen – das ist nicht
habe keinen Platz in der Welt”, “Ich bin ein schlechter        so ungewöhnlich oder komisch”) kann Scham (mit den An-
Mensch”, “Das schaffe ich nicht”. Diese automatischen          forderungen des Lebens nicht zurecht zu kommen) abbau-
Gedanken sind sehr robuste Überzeugungen von sich              en [Murrell et al., 2014]. In dem so geschaffenen von Ak-
und der Welt um einen herum (“Glaubenssätze” in der            zeptanz getragenen Behandlungsrahmen kann Suizidalität
dialektisch-behavioralen Therapie), die durch Signale          aufrichtig und ehrlich diskutiert werden.
von innen oder außen aktiviert (bewusst) werden [Beck,            Die Arbeit mit dysfunktionalen Grundannahmen und
1976], z.B., jedes Mal, wenn man sich beleidigt, ent-          Überzeugungen ist wahrscheinlich einer der herausfor-
täuscht, zurückgewiesen, einsam (…) fühlt. Es konnte           derndsten aber langfristig unausweichlichen Schritte in
kürzlich gezeigt werden, dass aversive Gefühlszustände in      der Psychotherapie der chronischen Suizidalität. Um an
Abhängigkeit der Schwere der BPS hoch kontingent mit           dieser Stelle eine kognitiv-emotionale Neubewertung zu
spezifischen dysfunktionalen Verhaltensmustern ver-            erreichen, kommen sowohl kognitive als auch emotiona-
knüpft werden (z.B. heftige Wut nach Beleidigung, NSSV         le Expositionstechniken zum Einsatz [Linehan, 1993;
nach Enttäuschung) [Miskewicz et al., 2015].                   Young et al., 2003]. Auch können sogenannte Defusions-
   Mit Hilfe der Verhaltensanalyse kann der Therapeut          Techniken der ACT (Distanzierungs- und Trennungs-
nun diese Verstärkerkontingenzen innerhalb des Teufels-        techniken von Gedanken und Gefühlen) negative Urteile
kreises aus Schlüsselreizen, aktivierten Glaubenssätzen        und Glaubenssätze abschwächen [Murrell et al., 2014].
und darauffolgenden Suizidgedanken aufdecken. Er kann             Vor dem Hintergrund hoher Raten von Traumatisie-
nun adaptivere Verhaltensalternativen erarbeiten und           rung und tiefgreifender Invalidierungserfahrungen bei
Hindernisse (z.B. intensive Gefühle, Angst, Scham, Schuld      chronisch suizidalen Patienten hat insbesondere die ex-
oder falsche Annahmen wie “Ich bin ein Versager”, “Ich         positionsbasierte Traumatherapie einen hohen Stellen-
habe kein Recht dazu”) identifizieren, die die Anwendung       wert in der Behandlung suizidaler Symptome. Wie die
funktionalen Verhaltens verhindern [Linehan, 1993].            neusten Entwicklungen bei der dialektisch-behavioralen
   Ähnlich wie im Verstärkermodell von NSSV können             Therapie für die posttraumatische Belastungsstörung
wir annehmen, dass die Verstärkerfunktion von Suizid-          zeigen, kann (und wahrscheinlich sollte) diese Konfron-
gedanken und -handlungen zentrale Grundannahmen                tation frühzeitig im Rahmen eines spezialisierten Be-
bestätigt und so das dysfunktionale System der chroni-         handlungsrahmens erfolgen [Bohus et al., 2013, 2019].
schen Suizidalität stabilisiert und aufrechterhält. In die-    Aus der ACT und der mitgefühlsorientierten Therapie
sem Punkt der langfristigen Dynamik verhält es sich bei        (compassion-focussed therapy) nach Gilbert kommen
NSSV anders: Das schnelle Auftreten einer erneuten             Techniken, die den anschließend notwendigen Trauer-
aversiven Emotion als Antwort auf das NSSV wie oben            prozess und schließlich die Akzeptanz dessen, was in der
beschrieben [Houben et al., 2017] kann hier als Bestra-        Vergangenheit passiert ist, unterstützen [Hayes, 2004;
fung im behavioralen Sinne wirken und trägt möglicher-         Gilbert, 2010].
weise dazu bei, dass von dem selbstverletzenden Verhal-           Parallel ist es wichtig, alternative nicht suizidale Ver-
ten mit der Zeit abgelassen wird (eine häufige klinische       haltensweisen aufzubauen, die zumindest anfänglich
Beobachtung im Verlauf der BPS). Bei der chronischen           durch den Therapeuten verstärkt werden. Langfristig ist
Suizidalität fehlt dieser ungewünschte Effekt, so dass sie     das Ziel, ein natürliches Verstärkersystem einzurichten,
oft über viele Jahre bestehen bleibt.                          z.B. indem die Werte des Patienten genutzt werden: Auf-
                                                               bau und Zugehörigkeit zu einem Freundeskreis, Gefühl
   Therapeutische Interventionen, die aus dem                  von Verbundensein, indem man sich sozial integriert und
   Verstärkermodell der Suizidalität abgeleitet werden         Verantwortung übernimmt (ehrenamtliche Tätigkeit,
   können                                                      sich ein Haustier halten, …). Werteorientierung oder
   Die situationsspezifischen Motive und psychischen           werteorientiertes Handeln kann man als eine Form von
Funktionen hinter suizidalem Verhalten anzusprechen            Hayes “verbalem Verhalten” auffassen und davon ausge-
mag ein erster, aber sehr wirkungsvoller Schritt in der the-   hen, dass es ebenso langfristig konditioniert werden
rapeutischen Arbeit mit suizidalen Borderline-Klienten         kann: “Wenn ich lebe/am Leben bleibe, werden meine
sein. Der Klient kann eine substantielle Validierung erfah-    Eltern vielleicht sehen, wie ich eines Tages einen Schul-
ren, indem er seine eigene Verhaltensanalyse mit dem The-      abschluss erreiche” oder “Wenn ich Suizid begehe, wird
rapeuten bespricht und beide Seiten die aufrechterhalten-      es meinen Eltern sehr weh tun, zu meiner Beerdigung zu
den Verstärkermechanismen verstehen (Abb. 3). Die Nor-         gehen” [Murrell et al., 2014].
malisierung von Suizidgedanken und -verhalten aus der             Ohne Anspruch auf Vollständigkeit soll die Tabelle im
Perspektive des Betroffenen (“Wenn ich in dieser Situation     Anhang eine Übersicht über mögliche Interventionen ge-
gewesen wäre, hätte ich ähnlich gehandelt/gefühlt”) und im     ben, die aus einem individuellen Verstärkermodell der
Vergleich zu anderen (“Viele in deinem Alter haben ernst-      Suizidalität abgeleitet werden können (online suppl. Zu-

8                    Verhaltenstherapie                                             Hennings
                     DOI: 10.1159/000518239
Tabelle 3. Therapeutische Begriffe

ACT                    Akzeptanz-Commitment-Therapie
CFT                    Mitgefühlsorientierte Therapie (compassion-focussed therapy)
Commitment             Bereitschaft; Umfassendes Einlassen auf die Therapie/einen therapeutischen Schritt. Geht über
                       Therapiemotivation hinaus
Der neue Weg           Werte- und zielorientierter Weg unter Einsatz funktionaler Strategien zur Problembewältigung (in
                       Abgrenzung zum “alten Weg”)
DBT                    Dialektisch-behaviorale Therapie
Glaubenssatz           Automatische Gedanken, dysfunktionale Überzeugungen von sich und der Welt
Hochstress             Psychische Anspannung, die in der DBT im Bereich von 70–100% definiert wird; typische Symptome sind:
                       Tunnelblick, Gedankenkreisen, starke muskuläre Anspannung, verminderter Realitätsbezug bis hin zur
                       Dissoziation
Kettenanalyse          Form der Verhaltensanalyse, bei der Emotionen, Kognitionen und sichtbares Verhalten in
                       aufeinanderfolgenden Kettenelementen dargestellt werden
Primäre Emotion        Emotion, die direkt mit der Situation zu tun hat und in der Regel auch als erste Emotion wahrgenommen
                       wird; bei BPS kann sie vor dem Hintergrund schwieriger Erfahrungen sehr kurz oder gar nicht
                       wahrgenommen werden, da rasch oder sofort sekundäre Emotionen präsent sind
Sekundäre Emotion      Emotion, die nach Bewertung/Interpretation eines Auslösers auftritt; im Gegensatz zur primären Emotion
                       kann sie keinen Bezug zur aktuellen Situation aufweisen oder aber unangemessen stark sein
Skill                  Fertigkeit. Im Sinne der DBT eine alltagstaugliche, selbstinstruierte Selbstregulation (auf mentaler oder
                       Handlungsebene), die weder für mich noch andere kurz- oder langfristig schädlich ist – oder zumindest
                       deutlich weniger schädlich als das ursprüngliche Problemverhalten (z.B. Riechen an Ammoniak statt
                       Selbstverletzung)
Telefoncoaching        Form der therapeutischen Unterstützung in Krisensituationen; der Therapeut coacht den Klienten am
                       Telefon während einer Krise
Validierung            Durch Mimik, Gestik, Körperhaltung oder Sprache verdeutlichen, dass man die subjektive Sicht des
                       Gegenübers für stimmig und nachvollziehbar hält; wiederholte und intensive Erlebnisse von Invalidierungen
                       (“Du spinnst doch”, “Kannst du nicht einfach so sein wie ein normales Kind”, “Warum weinst du schon
                       wieder”, Gewalterfahrungen, Mobbing …) spielen im Genesemodell der Borderline-Störung eine zentrale
                       Rolle

satztab. 1; für das ganze online suppl. Material, siehe             den Betroffenen dazu, dass seelische Schmerzen abneh-
www.karger.com/doi/10.1159/000518239). Es handelt                   men, sei es durch die Reduktion aversiver Spannung, sei
sich hierbei um Standardtechniken der Verhaltensthera-              es, indem sie einen möglichen Ausweg aufzeigen, oder
pie, wie sie auch in der dialektisch-behavioralen Thera-            indem sie ein Gefühl von Kontrolle über schwierige Ge-
pie, ACT oder der mitgefühlsorientierten Therapie zur               fühle wie Schuld und Scham geben. Es ist also gut nach-
Anwendung kommen: Validierungstechniken, Psycho-                    vollziehbar, dass Verstärkermechanismen auch bei der
edukation, kognitive Techniken, Techniken der Emoti-                chronischen Suizidalität eine Rolle spielen. Tatsächlich
onsregulation und -exposition, Aufbau alternativer Ver-             konnte dieses Konzept in einer kürzlich erschienen Stu-
haltensweisen und Fertigkeiten (therapeutische Begriffe             die neurobiologisch erhärtet werden: Mittels autobiogra-
in Tab. 3). Sie beziehen sich auf das klinische Beispiel in         fischer Transkripte und Imaginationen wurden frühere
Abbildung 1, können aber auch auf andere Klienten mit               suizidale Episoden während einer funktionellen Kern-
chronischer Suizidalität übertragen werden.                         spin-Tomografie wiedererlebt. Hierbei zeigte sich, dass
                                                                    der seelische Schmerz, der suizidales Verhalten getrig-
                                                                    gert hatte, mit einer Abnahme präfrontaler Hirnaktivität
   Diskussion                                                       verbunden war, das Planen und Ausführen von suizida-
                                                                    len Impulsen (in der gedanklichen Vorstellung) als Ant-
  Ähnlich wie bei der NSSV können suizidale Gedan-                  wort auf den seelischen Schmerz aber mit einer Zunah-
ken und Verhaltensweisen verschiedene Hintergründe                  me der Hirnaktivität im medialen präfrontalen Kortex,
und Funktionen haben. Im Wesentlichen führen sie bei                dem anterioren Cingulum sowie dem Hippocampus –

Das Verstärkermodell der Suizidalität                               Verhaltenstherapie                                             9
                                                                    DOI: 10.1159/000518239
was nach Einschätzung der Autoren nahelegt, dass ziel-        früher bereits den Verlust physischer Integrität und Un-
gerichtetes suizidales Verhalten (in der Vorstellung) zu      verletztheit erfahren zu haben (z.B. NSSV, früherer SV,
einer Abnahme von seelischem Schmerz führt [Reisch et         Kindesmissbrauch). Auf der anderen Seite steht das Ge-
al., 2010].                                                   fühl von Verbundensein als eines der stärksten suizid-
    Immer noch besteht eine große Lücke in der Literatur,     protektiven Faktoren [Klonsky und May, 2015]. Nichts-
was die psychologischen Funktionen der einzelnen suizi-       destotrotz mag die Zuverlässigkeit selbst der besten Prä-
dalen Symptome betrifft. Lebensüberdruss, passive To-         diktoren (d.h. der negativ-prädiktive Wert in diesem
deswünsche, die gedankliche Vorstellung des eigenen           Fall) zu gering sein, um es dem Therapeuten zu erlauben,
Todes oder die Durchführung eines SV können mögli-            einen Suizid auszuschließen – mit anderen Worten: Der
cherweise sehr unterschiedliche Funktionen und neuro-         klinische Nutzen von Prädiktoren in der konkreten Situ-
biologische Effekte haben – und zwar zwischen den Be-         ation, wo es um eine Risikoeinschätzung geht, ist be-
troffenen, aber auch innerhalb einer Person in Abhängig-      schränkt [Burke et al., 2018; Paashaus et al., 2019; Ren et
keit der Situation. In einer vergleichenden Untersuchung      al., 2019]. Und es bleibt natürlich die Frage, was man
der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren (HPA)-                dann mit einem Borderline-Patienten in der Psychothe-
Achse bei depressiven Patienten zeigte sich z.B., dass nach   rapie macht, der Suizidrisikofaktoren trägt? Wie soll der
einem Suizidversuch die Stresshormon-Antwort stark            Therapeut anhand dieser Informationen vorgehen, was
herunterreguliert ist im Vergleich zu Patienten, die “nur”    soll er unterlassen? Ohne Zweifel sollte die chronische
Suizidgedanken hatten [Pfennig et al., 2005]. In einer        Suizidalität gerade bei diesen Patienten psychotherapeu-
prospektiven Studie über 18 Monate war induzierter            tisch angegangen werden. Nach einem allgemeinen Ver-
Peer-Stress prädiktiv für das Auftreten von Suizidgedan-      ständnis in der dritten Welle der Verhaltenstherapie
ken unabhängig von der HPA-Achsen-Regulation, für             kann unser Gehirn ein neues Verhalten nur lernen, bzw.
das Auftreten eines Suizidversuches jedoch nur bei Pati-      eine korrigierende Erfahrung machen, wenn wir uns in
enten mit einer herunterregulierten HPA-Achse [Eisen­         derselben oder einer ähnlichen Situation befinden, die
lohr-Moul et al., 2018]. Epigenetische Mechanismen            sonst das alte (dysfunktionale) Verhalten ausgelöst hat
scheinen bei der Pathophysiologie der Suizidalität, insbe-    (diskutiert bei Young et al. [2003]). Mit anderen Worten
sondere auch der Regulation der HPA-Achse, eine Rolle         muss der Patient in einer Situation alternativ handeln
zu spielen [Roy und Dwivedi, 2017]. Sie könnten einige        (oder denken), in der er bisher suizidal wurde. An dieser
zeitlich überdauernde Effekte (z.B. die Hyporeaktivität       Stelle würde er nun wahrscheinlich keine neuen Erfah-
der HPA-Achse), wie sie bei wiederholten Suizidversu-         rungen machen, wenn er in ein Krankenhaus eingewie-
chen beobachtet werden, erklären. Die Bedeutung dieser        sen und somit die ambulante Therapie unterbrochen
Befunde und deren Zuordnung in psychologische Mo-             würde. Es würden vielmehr alte Grundannahmen bestä-
delle der Suizidalität müssen sicher weiter erforscht wer-    tigt werden (“Ich habe wieder versagt”, “Ich bekomme es
den. Die Herausforderung hierbei wird sein, anspruchs-        alleine einfach nicht hin”, “Ich gehöre bestraft, weil ich
volle neurobiologische und psychologische Untersu-            mich schlecht verhalte”, “Suizid ist noch die beste Opti-
chungsmethoden miteinander zu kombinieren und eine            on”). Im Gegenteil sollte der Therapeut dem Patienten
klare Abgrenzung einzelner suizidaler Symptome vorzu-         gerade in dieser Zeit aktiv zur Seite stehen. Das könnte
nehmen.                                                       z.B. in einer Krise oder in einem Zustand aktivierter kri-
    Auch aus der klinischen Sicht ist eine genaue Erhe-       tischer Emotionen (von denen der Therapeut weiß, dass
bung des Schweregrades der Suizidalität anhand der li-        sie mit suizidalem Verhalten bei dem Patienten ver-
nearen Symptomatologie (Lebensüberdruß, passive To-           knüpft sind) so aussehen, dass der Therapeut den Pati-
deswünsche, handlungsweisende Suizidideationen und            enten anleitet, seine Emotionen zu regulieren, mit ihm
suizidvorbereitende Handlungen sowie Suizidversuch)           die Situation reflektiert (Metaperspektive) und ihn kon-
wichtig, um eine zuverlässige Risikoeinschätzung für die      kret unterstützt, alternatives Verhalten anzuwenden. Te-
Suizidgefahr beim Patienten vorzunehmen. Der Thera-           lefon- und Online-Coaching, Techniken der Emotions-
peut möchte an dieser Stelle auch wissen, welche Fakto-       regulation und Stresstoleranz sowie eine eingehende
ren den Patienten von einem Suizidideator zu einem Su-        Verhaltensanalyse von suizidalem Verhalten und Den-
izidversucher werden lassen. In verschiedenen Modellen        ken sind therapeutische Werkzeuge, die hier hilfreich
zur Suizidalität kommen Furchtlosigkeit vor dem Tod           sein können.
und Schmerztoleranz bei dieser Frage eine besondere Be-           Die intensive Arbeit an der Seite suizidaler Patienten
deutung zu [Joiner, 2005; O’Connor, 2011; Klonsky et al.,     ist oft herausfordernd und braucht auch für den Thera-
2013; Klonsky und May, 2015; Franklin et al., 2017]. Sehr     peuten einen sicheren Rahmen. Neben einem Commit-
wahrscheinlich stehen die robustesten Prädiktoren für         ment auf beiden Seiten (“den neuen Weg zu gehen”, “ei-
einen späteren SV mit diesen beiden Faktoren in engem         nen Weg zu finden, am Leben zu bleiben”, “bereit zu sein
Zusammenhang, weil sie die Tatsache widerspiegeln,            für die Konfrontation”) werden folgende Bedingungen

10                  Verhaltenstherapie                                            Hennings
                    DOI: 10.1159/000518239
für eine Psychotherapie der chronischen Suizidalität bei                         meinsames Commitment zu finden, gezielte therapeuti-
Borderline empfohlen [Linehan, 1993]: Ein Non-Suizid-                            sche Interventionen zu planen, die die bisherigen
vertrag mit möglichst konkreten und individuell zutref-                          suizidalen Kontingenzen hilft aufzulösen.
fenden Formulierungen (“Ich werde keinen Suizidver-
such unternehmen”, “Ich werde keine Tabletten für ei-
                                                                                     Hinweis
nen Suizid sammeln”, “Ich lege Suizidpläne gegenüber
meinem Therapeuten offen”…), ein funktionierender                                    Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige
und eingeübter (!) Krisenplan (Skillskette mit Hoch-                             Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers
stress-Skills, Fertigkeiten zur Emotionsregulation und                           (m/w/d) verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten
Krisenkontakten mit Prioritätenreihenfolge) sowie klare                          gleichermaßen für alle Geschlechter.
Kontingenzvereinbarungen (was passiert nach NSSV, ei-
nem Suizidversuch, die Therapie schädigendem Verhal-
ten, …).                                                                             Acknowledgement
    Es besteht weiterhin ein großer Bedarf, validierte anti-                       Der Autor dankt Frau Cordula Leutenbauer und Frau Julia
suizidale Interventionen einer größeren Zahl Betroffener                         Mayer für den hervorragenden fachlichen Austausch.
zugänglich zu machen. Neuere Suizidpräventionspro-
gramme über das Internet und soziale Medien sollen nie-
derschwellig Risikopopulationen erreichen und das Wis-                               Statement of Ethics
sen über Suizidprävention verbreiten [Wasserman et al.,
2015; Robinson et al., 2018]. Es braucht in der Therapie                             Bei den im Artikel berichteten klinischen Beispielen handelt es
aber oft Zeit, eine vertrauensvolle Therapeut-Patienten-                         sich um typische, jedoch fiktive Fälle. Etwaige Gemeinsamkeiten
                                                                                 mit real existierenden Personen sind rein zufällig.
Beziehung sowie eine nichtwertende Haltung des Thera-
peuten, um den individuellen Hintergrund von Suizida-
lität zu verstehen und Funktionalitäten herauszuarbeiten.                            Conflict of Interest Statement
Das hier vorgestellte Verstärkermodell der Suizidalität
wendet klassische verhaltenstherapeutische Techniken                                 Der Autor erklärt hiermit, dass kein Interessenkonflikt besteht.
bei chronisch suizidalen Borderline-Patienten an und ist
insofern nicht neu. Es integriert theoretische Konzepte,
die sich bereits für das Verständnis verwandter Phäno-                               Funding Sources
mene wie NSSV oder SV als hilfreich erwiesen haben. Es
beinhaltet bekannte Interventionen, die in der Behand-                              Es besteht keine finanzielle Unterstützung für die Erstellung
                                                                                 oder Veröffentlichung des Manuskripts.
lung von Suizidalität und der BPS wirkungsvoll sind, wie
z.B. die dialektisch-behaviorale Therapie und ACT. Be-
sonders (und insofern neu) ist in diesem Modell jedoch
                                                                                     Author Contributions
die Betonung von Verstärkermechanismen für die Ent-
stehung und Aufrechterhaltung von chronischer Suizida-                              Der Autor bestätigt, der alleinige Autor der Arbeit zu sein und
lität. Es unterstützt uns dabei, mit dem Patienten ein ge-                       einer Veröffentlichung zugestimmt zu haben.

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Das Verstärkermodell der Suizidalität                                            Verhaltenstherapie                                                        11
                                                                                 DOI: 10.1159/000518239
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