Der Bayernplan 2020 Strategien und Handlungsempfehlungen für die Land- und Ernährungswirtschaft - vlf Bayern

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Der Bayernplan 2020 Strategien und Handlungsempfehlungen für die Land- und Ernährungswirtschaft - vlf Bayern
Zukunftskommission Landwirtschaft

         Der Bayernplan 2020
Strategien und Handlungsempfehlungen
 für die Land- und Ernährungswirtschaft

www.stmelf.bayern.de/zukunftskommission/
Impressum
Herausgeber
Zukunftskommission Landwirtschaft
Geschäftsstelle: Bayerisches Staatsministerium
für Ernährung, L
               ­ andwirtschaft und Forsten
Ludwigstraße 2, 80539 München
www.stmelf.bayern.de/zukunftskommission/
www.stmelf.bayern.de
www.landwirtschaft.bayern.de
E-Mail: info@stmelf.bayern.de
Stand: Mai 2010
Bildnachweis
© Ernst Rose/Pixelio (Titel)
Inhaltsverzeichnis

I.    Präambel..................................................................................................................................................... 5

II.   Kurzfassung................................................................................................................................................ 7

III. Hauptteil.....................................................................................................................................................11
      1	Globale Trends und Herausforderungen für die bayerische
          Land- und Ernährungswirtschaft......................................................................................................11
      1.1 Wachsende Weltmarktabhängigkeit und Marktliberalisierung......................................................11
      1.2 Klimawandel......................................................................................................................................11
      1.3 Biodiversität.......................................................................................................................................11
      1.4 Flächendeckende Landbewirtschaftung in Gefahr......................................................................... 12
      1.5 Ländliche Räume unter Anpassungsdruck..................................................................................... 12

      2       Das gesellschaftliche und politische Umfeld.................................................................................. 13
      2.1     Gesellschaft und Landwirtschaft..................................................................................................... 13
      2.2     Ernährung......................................................................................................................................... 13
      2.3     Agrarpolitik....................................................................................................................................... 14
      2.4     Verbände und Nicht-Regierungsorganisationen............................................................................ 15
      2.5     Öffentliche Verwaltung..................................................................................................................... 15
      2.6     Forschung und Innovation............................................................................................................... 15
      2.7     Bildungs- und Beratungseinrichtungen.......................................................................................... 16
      2.8     Medien.............................................................................................................................................. 17

      3       Stärken und Schwächen in der bayerischen Land- und Ernährungswirtschaft........................... 17
      3.1     Konsum............................................................................................................................................. 17
      3.2     Vermarktung..................................................................................................................................... 17
      3.3     Verarbeitung und Logistik................................................................................................................ 18
      3.4     Zusammenarbeit von Handel, Verarbeitern und Landwirten in Produktketten........................... 18
      3.5     Landwirtschaft und ländliche Räume...............................................................................................19
      3.6     Landwirtschaftliche Dienstleistungen............................................................................................. 20
      3.7     Überbetriebliche Zusammenarbeit................................................................................................. 20
      3.8     Landwirte als Unternehmer............................................................................................................. 21
      3.9     Produktionsbedingungen und Agrarstrukturen............................................................................. 21
      3.10    Soziale Absicherung der Landwirte und Daseinsvorsorge........................................................... 22

      4   Werte und Ziele der bayerischen Land- und Ernährungswirtschaft............................................. 23
      4.1 Zentrale Werte................................................................................................................................... 23
      4.2 Zentrale Ziele.................................................................................................................................... 23

      5       Strategien und Empfehlungen für konkrete Maßnahmen............................................................ 25
      5.1     Ernährung, nachhaltige Lebensstile und Verbraucherinformation............................................... 25
      5.2     Die Chancen auf den Lebensmittelmärkten optimieren................................................................ 26
      5.3     Ein wettbewerbsstarker Verarbeitungssektor................................................................................. 26
      5.4     Zukunftsunternehmen Bauernhof................................................................................................... 27
      5.5     In Produktketten zusammenarbeiten.............................................................................................. 27
      5.6     Der Landwirt als Biomasseproduzent und Energiedienstleister.................................................. 28
      5.7     Der Landwirt als Landschaftspfleger und Bewahrer der Umwelt................................................. 28
      5.8     Diversifizierung................................................................................................................................ 29

                                                                                                                                                                   3
5.9 Forschung und Innovation............................................................................................................... 29
      5.10 Bessere Chancen durch persönliche Entwicklung......................................................................... 30
      5.11	Land- und Ernährungswirtschaft brauchen soziale Sicherheit
            und gerechte Besteuerung.............................................................................................................. 32
      5.12 Landwirtschaft und Gesellschaft..................................................................................................... 33
      5.13 Neue Anforderungen an Verwaltung und Verbände...................................................................... 33

      6       Politische Forderungen.................................................................................................................... 35
      6.1     Politische Forderungen an die Bayerische Politik.......................................................................... 35
      6.2     Politische Forderungen an die Bundespolitik................................................................................. 36
      6.3     Politische Forderungen an die Gemeinsame EU-Agrarpolitik...................................................... 36

IV. Anhang...................................................................................................................................................... 39

4
I. Präambel

Die Land- und Ernährungswirtschaft steht wieder     schaft und das Suchen nach neuen Strategien
einmal auf dem Prüfstand.                           und Instrumenten ausgelöst, die es möglich
                                                    machen sollen, mit allen diesen Herausforderun-
Sie soll allen Ansprüchen der Gesellschaft, auch
                                                    gen besser fertig zu werden.
wenn sie noch so widersprüchlich sind, gerecht
werden und zudem die öffentlichen Haushalte
entlasten. Der Sektor soll den immer individuel-
ler und damit vielfältiger werdenden Vorstellun-    Der Auftrag
gen von unseren Lebensmitteln genauso gerecht
werden wie der Vorstellung, dass es noch billiger   Es zeigt von hohem Verantwortungsbewusstsein
gehen könnte. Dabei liegen die Haushaltsausga-      der Bayerischen Staatsregierung, dass sie die
ben für die Ernährung im Durchschnitt bei 11 %      Zeichen der Zeit rechtzeitig erkannt und Verant-
und die Ansprüche an eine gesunde Ernährung         wortliche aus allen Bereichen der bayerischen
und das tatsächliche Ernährungsverhalten klaffen    Gesellschaft eingeladen hat, zusammen mit
immer weiter auseinander.                           FachexpertInnen einen mittelfristigen Plan für die
Es genügt auch nicht mehr einen hohen Selbst-       Weiterentwicklung der bayerischen Land- und
versorgungsgrad zu erzielen, nein, die Land- und    Ernährungswirtschaft auszuarbeiten. Der Auftrag
Ernährungswirtschaft ist gefordert, global zu       war, die Schlüsselprobleme des Sektors zu iden-
denken und einen substantiellen Beitrag zur         tifizieren und Vorschläge zu machen, was alle
Sicherung der Welternährung zu leisten.             Beteiligten tun sollten, um die Zukunftschancen
                                                    zu optimieren und den Betroffenen Entschei-
Es genügt nicht einmal mehr auf die Erzeugung       dungshilfen an die Hand zugeben, die ihnen die
von Lebensmitteln abzustellen, sondern es geht      künftige Ausrichtung ihrer Unternehmen erleich-
genauso darum, industrielle Rohstoffe und           tern sollen.
erneuerbare Energieträger zu produzieren, um
dadurch den Ausstieg aus dem fossilen Zeitalter
zu erleichtern.
                                                    Die Ausführung
Keines dieser ehrgeizigen Ziele darf aber zu Las-
ten der Umwelt gehen, sondern die Landwirt-
                                                    Die von Ministerpräsident Horst Seehofer und
schaft hat dafür zu sorgen, dass unsere Kultur-
                                                    Staatsminister Helmut Brunner eingerichtete
landschaften möglichst noch attraktiver und
                                                    unabhängige Zukunftskommission hat in der Fol-
unsere Seen sowie Gewässer sauberer werden
                                                    ge einen breiten gesellschaftlichen Dialog über
und unsere Böden fruchtbar bleiben.
                                                    die Rolle und Wertigkeit der bayerischen Land-
Das Bild, das die Gesellschaft von der Land- und    und Ernährungswirtschaft geführt, in dem auch
Ernährungswirtschaft hat, ist zwar grundsätzlich    fundamental gegensätzliche Auffassungen über
positiv, aber über weite Strecken unrealistisch,    die Rolle der Land- und Ernährungswirtschaft zu
romantisch oder zumindest zweischneidig. Weite      Tage getreten sind. Eine Gruppe von Teilnehmern
Teile der Bevölkerungen hängen einer agrarro-       verlangte, dass es in Bayern zu einem Rückbau
mantischen „Heile Welt“-Idylle nach und wollen      des Sektors kommen müsse, in dem die Produk-
von Kostendruck, Strukturwandel oder der            tion auf die regionale Versorgung abgestellt
Anwendung neuer Technologien nichts wissen.         wird, der ökologischer Landbau als Leitbild die-
Dennoch wird aber ausschließlich der urbane         nen soll und die regionalen Wirtschaftskreisläufe
Lebensstil als modern und zukunftsweisend           wieder belebt werden sollen. Förderungen soll-
angesehen und das Leben auf dem Bauernhof           ten ausschließlich als Gegenleistungen für die
als rückständig disqualifiziert.                    Erbringung von öffentlichen Gütern eingesetzt
Doch damit nicht genug. Der Sektor findet sich      werden und der Sektor sollte von den Weltmärk-
gerade im Lichte der Erfahrungen der drei letzten   ten entkoppelt werden.
Jahre in einer Situation wieder, in der immer       Demgegenüber stand die Mehrheitsposition,
mehr äußere Faktoren wie der Klimawandel, der       dass es darum gehen muss, ein vernünftiges
Ölpreis, der Wechselkurs zwischen Euro und Dol-     Gleichgewicht zwischen Ökonomie, Ökologie und
lar oder Spekulationen sein Einkommen deutlich      sozialer Verantwortung zu schaffen und dieses
stärker beeinflussen.                               nachhaltig zu sichern. Ebenso wurde angemahnt,
Dies hat weltweit einen breiten Nachdenkprozess     dass die Machbarkeit der Vorschläge ein wichti-
über die Zukunft der Land- und Ernährungswirt-      ges Kriterium für den Bayernplan sein müsse.

                                                                                                    5
Weil eine Harmonisierung dieser konträren Auf-       Dank
fassungen unmöglich ist, hat die Zukunftskom-
mission im Wesentlichen einen pragmatischen          Als Vorsitzender der Zukunftskommission danke
Ansatz gewählt und einen möglichst hohen Grad        ich allen Mitgliedern für ihre konstruktive und
an Überlappung der verschiedenen Standpunkte         engagierte Mitarbeit, ich danke allen ExpertInnen
angestrebt. Das bedeutet, dass nicht von jedem       für ihre wertvollen und kritischen Beiträge und
Mitglied der Kommission jede einzelne Maßnah-        darüber hinaus danke ich allen BürgerInnen
me in vollem Umfang mitgetragen werden kann          ­Bayerns, die die Kommission mit Stellungnah-
und zum Teil auch andere Prioritäten gesehen          men und Meinungsäußerungen begleitet haben.
werden, dennoch war die Kommission erfolg-
reich in ihrem Bemühen, Strategien und Empfeh-       Mein besonderer Dank gilt den Mitgliedern
lungen für konkrete Maßnahmen zu entwickeln,         des Arbeitsteams, Herrn Ministerialrat Anton
die diesen Sektor zukunftsfähig machen sollen.       ­Dippold, Herrn Präsidenten Jakob Opperer, Herrn
                                                      Prof. Dr. Otmar Seibert und Herrn Ministerial­
Außerdem hat dieses unabhängige Gremium               dirigenten Dr. Theodor Weber.
eine Reihe von Forderungen an das Land, den
Bund und an die Europäische Union formuliert
und hofft mit dem „Bayernplan 2020“ einen
wesentlichen Beitrag für eine erfolgreiche Weiter-
entwicklung der bayerischen Land- und Ernäh-         München, im Mai 2010
rungswirtschaft und ihre noch stärkere Veranke-
rung im Bewusstsein der bayerischen Gesell-
schaft zu leisten.
Dieses Bemühen bedeutet aber nicht, dass mit
diesem Plan die vielen Spannungen über den
richtigen Weg in die Zukunft, die auch in den Dis-
kussionen innerhalb der Zukunftskommission           Vorsitzender
deutlich zu Tage getreten sind, weggewischt wer-
den sollen. Ganz im Gegenteil: Der Bayernplan
soll auch zur Fortführung der Debatte über die
künftige Ausrichtung der bayerischen Land- und
Ernährungswirtschaft anregen.
Die Zukunftskommission ist sich bewusst, dass
für die legistische und technische Umsetzung der
Maßnahmenempfehlungen auch noch die dafür
jeweils zuständigen Gremien ihren Teil der Arbeit
leisten müssen. Sie erwartet sich aber, dass die
Staatsregierung möglichst viele der Vorschläge
aufgreift. Jedenfalls werden die TeilnehmerInnen
an der Zukunftskommission diesen Prozess wei-
ter kritisch begleiten.

6
II. Kurzfassung

Chancen und Herausforderungen                       wirtschaft zu berücksichtigen, wie z. B. den ver-
                                                    stärkten Außer-Haus-Verzehr oder die zunehmen-
Die Land- und Ernährungswirtschaft ist sowohl in    de Nachfrage nach Convenience-Produkten.
Bayern als auch weltweit von zentraler und wei-     Die Zukunftskommission Landwirtschaft hat
ter wachsender Bedeutung.                           unter Berücksichtigung dieser vielfältigen Her-
                                                    ausforderungen ein ganzes Bündel an Strategien
In hochentwickelten Ländern wie Bayern ist mit
                                                    und Empfehlungen für konkrete Maßnahmen
einer weiter wachsenden Segmentierung der
                                                    entwickelt, um die bayerische Land- und Ernäh-
Märkte und damit mit einem weiter steigenden
                                                    rungswirtschaft für die zukünftigen Aufgaben
Interesse an hochqualitativer Markenware oder
                                                    nachhaltig zu stärken und die VerbraucherInnen
an Bioprodukten zu rechnen, während der stei-
                                                    zu einem gesunden Ernährungsverhalten und
gende Wohlstand in den Schwellenländern die
                                                    einem nachhaltigen Lebensstil anzuregen.
Nachfrage nach tierischem Eiweiß anheizt. In vie-
len Entwicklungsländern steigt aufgrund des
Bevölkerungswachstums in erster Linie die Nach-
frage nach Grundnahrungsmitteln. Der Bedarf an      Das gesellschaftliche und politische
erneuerbaren Energieträgern und die notwendi-       Umfeld
ge Verbesserung der Energiesicherheit wird die
Nachfrage nach Nachwachsenden Rohstoffen            Die Land- und Ernährungswirtschaft Bayerns ist
ebenfalls weiter erhöhen.                           auf vielfältige Weise mit der gesamten Gesell-
Die bayerische Land- und Ernährungswirtschaft       schaft und Wirtschaft verzahnt. Sie stellt die Ver-
hat sehr gute Voraussetzungen, um auch in           sorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln
Zukunft eine bedeutende Stellung am Markt ein-      sicher, gestaltet und pflegt die vielfältigen Kultur-
zunehmen, denn Bayern verfügt über fruchtbare       landschaften Bayerns als Grundlage für Erholung
Böden, ein günstiges Klima, hoch motivierte         und Tourismus und leistet wichtige Beiträge zum
Landwirte und eine gute Infrastruktur. Bayerische   Erhalt vitaler ländlicher Räume.
Produkte genießen über die Grenzen hinaus ein       In der öffentlichen Wahrnehmung genießt die
hohes Ansehen.                                      Landwirtschaft überwiegend ein positives Image.
                                                    Weite Teile der Gesellschaft verfügen aber kaum
Auf der anderen Seite steht die bayerische Land-
                                                    noch über einschlägige Kenntnisse zur tatsäch-
und Ernährungswirtschaft auch vor großen Her-
                                                    lichen Situation in der Landwirtschaft und haben
ausforderungen. Diese ergeben sich u. a. aus der
                                                    teilweise idealisierende Vorstellungen über die
Deregulierung der Agrarmärkte und der Globali-
                                                    reale Lebenswelt der Landwirte. In weiten Krei-
sierung der Wirtschaft, die den Standortwettbe-
                                                    sen der Bevölkerung fehlen mittlerweile auch
werb weiter verschärfen. Volatilere Agrarmärkte
                                                    weitgehend das Wissen und das Bewusstsein
und höhere Preisschwankungen sind die Folge.
                                                    über die Bedeutung einer gesunden Ernährung
Gerade auf marginalen Standorten wird dies den
                                                    und eines nachhaltigen Lebensstils mit ausrei-
Druck auf die landwirtschaftlichen Betriebe wei-
                                                    chend Erholung und Bewegung.
ter erhöhen und die flächendeckende Landbe-
wirtschaftung gefährden. Für viele ländliche Räu-   Ziel der Zukunftskommission war es, einen brei-
me hätte eine solche Entwicklung gravierende        ten gesellschaftlichen Dialog über die Rolle und
negative Folgen, denn die Disparität zwischen       Wertigkeit der bayerischen Land- und Ernäh-
Ballungszentren bzw. prosperierenden ländlichen     rungswirtschaft in Gang zu setzen. Dies ist umso
Räumen und strukturschwachen ländlichen Räu-        wichtiger, weil auch in den Diskussionen der
men würde weiter zunehmen. Vermehrte Land-          Zukunftskommission über die Frage, auf welche
flucht wäre die Folge. Die bayerische Landwirt-     Ziele die bayerische Land- und Ernährungswirt-
schaft muss zudem die Auswirkungen des Klima-       schaft ausgerichtet werden soll, deutliche Auffas-
wandels bewältigen, den weiter steigenden           sungsunterschiede zu Tage getreten sind.
Anforderungen an den Umwelt- und Natur-
                                                    Der hohe wirtschaftliche und politische Stellen-
schutz, Klimaschutz, Tierschutz und Verbraucher-
                                                    wert der Land- und Ernährungswirtschaft sowie
schutz gerecht werden, das Wassermanagement
                                                    der ländlichen Räume drückt sich nicht zuletzt in
verbessern und einen noch größeren Beitrag
                                                    einer starken Agrarpolitik aus. Die breit gefächer-
zum Erhalt der Biodiversität leisten.
                                                    ten Agrarumweltprogramme und die Ausgleichs-
Nicht zuletzt gilt es, die veränderten Ansprüche    zulage für benachteiligte Gebiete unterstreichen
der Verbraucher an die Land- und Ernährungs-        die frühzeitige Ausrichtung der Bayerischen

                                                                                                       7
Agrarpolitik auf die Interessen der gesamten         Stärken und Schwächen in der bayeri-
Gesellschaft. Die Grenzen des politisch Machba-      schen Land- und Ernährungswirtschaft
ren wurden allerdings in der Vergangenheit zum
Teil nicht deutlich genug herausgestellt und sind
                                                     In Bayern werden, wie in allen anderen hochent-
deshalb künftig stärker zu kommunizieren.
                                                     wickelten Wirtschaftsregionen Europas, die
In Bayern ist der Organisationsgrad der Land-        Lebensmittelmärkte von der Nachfrage gesteuert
wirtschaft verhältnismäßig hoch. Das gilt sowohl     bleiben und ihre Segmentierung voranschreiten.
für die berufsständische Vertretung als auch für     Trotz der hohen Kaufkraft der KonsumentInnen
die Mitgliedschaft in Spartenverbänden. Die          sind diese Märkte stark auf Billigprodukte ausge-
Möglichkeiten, sich zu artikulieren und zu organi-   richtet. Lediglich besondere Markennamen oder
sieren, sind damit gut. Durch eine bessere Koor-     ökologische oder nach hohen ethischen Stan-
dinierung und eine frühzeitige und eindeutige        dards erzeugte Produkte bilden Segmente mit
Positionierung zu zentralen und die gesamte          bedeutendem Wachstumspotential.
Gesellschaft betreffenden Themen, könnten
                                                     Auf der Angebotsseite braucht Bayern mit ande-
jedoch der Politik klarere Signale gegeben wer-
                                                     ren deutschen Anbietern keinen Vergleich zu
den.
                                                     scheuen, allerdings stoßen die Erzeuger im inter-
Die bayerische Landwirtschaftsverwaltung zeich-      nationalen Wettbewerb auf beträchtliche Schwie-
net sich durch hohe Kundenfreundlichkeit und         rigkeiten. Die natürlichen Produktionsbedingun-
Bürgerorientierung aus. Es bestehen umfangrei-       gen für die Landwirtschaft sind in Bayern zwar in
che und vielfältige Serviceleistungen für die        der Regel sehr gut und auch die Agrarstruktur ist
Land- und Ernährungswirtschaft. Aufgrund der         im Vergleich zum EU-Durchschnitt besser als viel-
zunehmenden Aufgabenfülle bei gleichzeitigem         fach kolportiert. Ebenso ist auch der Verarbei-
Personalabbau ist die Landwirtschaftsverwaltung      tungssektor mit seiner Mischung aus kleinen und
inzwischen allerdings vielfach überlastet, was zu    mittelständischen Unternehmen (KMU), Genos-
höherer Fehleranfälligkeit in der Förderverwal-      senschaften und Ernährungshandwerksbetrieben
tung führt, die Förderabwicklung beeinträchtigt      breit aufgestellt, aber dennoch mangelt es an
und Personal bindet, das in der angewandten          Wettbewerbskraft.
Forschung, Bildung und Beratung fehlt.
                                                     Diese Schwäche ist auf eine Reihe von Faktoren
An der Notwendigkeit einer intensiven For-           zurückzuführen. Zu den wesentlichsten Proble-
schung wird angesichts der globalen Herausfor-       men zählt die zu geringe Innovationskraft, die auf
derungen in den Bereichen Ernährung und Nah-         Mängel in der Forschung, in der zu geringen
versorgung, Energie und Umwelt, Klimawandel          Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Wirt-
und Entwicklung der ländlichen Räume nicht           schaft und Staat sowie auf eine zu langsame Pra-
mehr gezweifelt. Die darauf aufbauende Anwen-        xiseinführung von Forschungsergebnissen
dung nachhaltiger Strategien wird mehr und           zurückzuführen ist. Ebenso weisen die berufliche
mehr zum Schlüssel für künftige wirtschaftliche      Aus-, Fort- und Weiterbildung sowie die Beratung
Erfolge. Dies erfordert eine Innovationsoffensive    noch deutlichen Verbesserungsbedarf auf und es
und die intensivere sowie raschere Umsetzung         ist sowohl die horizontale Integration in der Tier-
neuer Erkenntnisse und Technologien in allen         produktion als auch die vertikale Integration in
Bereichen des Agrar- und Ernährungssektors.          Form von Produktketten, nur schwach entwickelt.
In Bayern gibt es eine große Vielfalt staatlicher    Zu den Stärken des bayerischen Agrarsektors
und nichtstaatlicher Bildungsangebote, die eine      zählt der im Vergleich zu vielen anderen Regio-
umfassende Aus-, Fort - und Weiterbildung für        nen hohe Standard in der Landschaftspflege und
Bäuerinnen und Bauern im fachlichen und per-         das Erbringen anderer öffentlicher Dienstleistun-
sönlichen Bereich kostengünstig anbieten.            gen. Wenngleich auch in Bayern die Landwirt-
Schwächen bestehen in der teilweise nicht aus-       schaft in der Vergangenheit spürbare Umweltbe-
reichenden landwirtschaftlichen Kompetenz der        einträchtigungen verursacht hat, so wurden in
Lehrkräfte in den Berufsschulen und im Mangel        der Zwischenzeit Rahmenbedingungen geschaf-
an Qualifizierungs- und Beratungsangeboten zur       fen, mit denen künftige Beeinträchtigungen deut-
Sicherung der Nachhaltigkeit und der Multifunk-      lich reduziert werden können und ökologisch
tionalität. Auch die zukünftig immer wichtiger       richtiges Verhalten belohnt werden kann.
werdenden Kompetenzen und Zukunftsthemen,
                                                     Leider hat das Bemühen um eine intakte Umwelt
wie Unternehmerqualifikation, Krisen- und Risi-
                                                     und um gepflegte Kulturlandschaften teilweise
komanagement, Marktkompetenz, Kommunika-
                                                     zu einer Überbürokratisierung geführt, die es in
tion und Persönlichkeitsbildung sowie Diversi-
                                                     Zukunft abzubauen gilt, ohne dass dabei qualita-
fizierung werden in der Aus-, Fort- und Weiterbil-
                                                     tive Verluste hingenommen werden müssen.
dung bisher zu wenig behandelt.

8
Die ländlichen Räume Bayerns sind zum Großteil        5 zentrale Ziele
wirtschaftlich stark und die Lebensbedingungen
mit städtischen Agglomerationsräumen durch-           Angesichts der aktuellen Herausforderungen,
aus vergleichbar. Es kann aber nicht übersehen        empfiehlt die Zukunftskommission, basierend
werden, dass ländliche Räume von der Globali-         auf den vorgenannten Werten, die folgenden fünf
sierung in der Regel härter getroffen werden als      zentralen Ziele nachhaltig und energisch zu ver-
städtische Zonen. Deshalb sind gerade in den          folgen:
landwirtschaftlich dominierten ländlichen Räu-
men neue zukunftsweisende Technologien und            • Es ist ein verstärktes Bewusstsein für gesunde
Innovationen mit Nachdruck zu forcieren. Es             Ernährung und nachhaltige Lebensstile zu
mangelt hier nicht an neuen Ideen, etwa könnten         schaffen.
über eine gezielte Diversifizierung und der Wei-      • Die Rahmenbedingungen für nachhaltig
terentwicklung von landwirtschaftlichen Unter-          erfolgreiche landwirtschaftliche Unternehmer
nehmen zu „ländlichen Unternehmen“ neue                 und Verarbeiter sind zu optimieren.
Impulse gesetzt werden. Das setzt jedoch u. a.
eine flächendeckende Versorgung mit moderner          • Es ist für alle in der Land- und Ernährungswirt-
Infrastruktur voraus (z. B. Breitbandnetze).            schaft Tätigen eine angemessene soziale
                                                        Sicherheit zu gewährleisten.
Ein anderer Impuls könnte aus der Entwicklung
einer Bioökonomie kommen. Hier geht es um die         • Die vielfältigen Kulturlandschaften und eine
Ausweitung der stofflichen und energetischen            tiergerechte Nutztierhaltung sind zu sichern
Nutzungsmöglichkeiten von Biomasse.                     und es sind möglichst nachhaltige Produk-
                                                        tionsverfahren anzustreben.
Zu den Schwächen des Sektors zählt sicher auch,
dass es bisher zu wenig gelungen ist, ihn nach-       • Die ländlichen Räume sind zu vitalen und
haltig zu machen, die Steigerung der Produktion         lebenswerten Lebensräumen weiterzuentwi-
vom Verbrauch an natürlichen Ressourcen zu ent-         ckeln.
koppeln, die Energieeffizienz zu steigern und die
Natur ausreichend zu schonen.
Unabhängig von diesen Stärken und Schwächen           5 zentrale Projekte
der bayerischen Land- und Ernährungswirtschaft
hat die Zukunftskommission folgende zentrale          Aufbauend auf dem breiten gesellschaftlichen
Werte identifiziert, die es auch in Zukunft nach      Dialog über die Rolle und Wertigkeit der bayeri-
Kräften zu bewahren gilt:                             schen Land- und Ernährungswirtschaft, hat die
                                                      Zukunftskommission eine ganze Reihe von Stra-
Das sind zunächst der volkswirtschaftliche Wert
                                                      tegien und eine große Zahl an Maßnahmenemp-
des Agribusiness, das mit rd. 100 Milliarden Euro
                                                      fehlungen entwickelt, mit denen die bayerische
Umsatz und 700 000 Arbeitsplätzen den vierten
                                                      Land- und Ernährungswirtschaft für die Zukunft
Platz in der bayerischen Wirtschaft einnimmt. Das
                                                      gut aufgestellt und eine breite Akzeptanz in der
sind ebenso der Reichtum an Kulturlandschaften,
                                                      Gesellschaft erreicht werden soll. Die Zukunfts-
eine ländliche Kultur, die ja zu einem Gutteil Aus-
                                                      kommission war sich einig, dass für den Erfolg
druck bäuerlicher Lebensart ist und die vitalen
                                                      dieser Strategien und Maßnahmen nicht nur die
ländlichen Räume. Dazu kommt, dass auf dem
                                                      Politik, sondern insbesondere auch die Wirt-
Land sowohl die Bindungen in den Familien, als
                                                      schaftsbeteiligten, die Umfeldakteure und die
auch in den dörflichen Beziehungen und das bür-
                                                      Verbraucher verantwortlich sind. Die Zukunfts-
gerschaftliche Engagement noch deutlich stärker
                                                      kommission empfiehlt, dabei vorrangig folgende
ausgeprägt sind als im urbanen Milieu. Zu den
                                                      fünf Projekte zu verfolgen:
besonderen Werten, gerade in Bayern, zählen
darüber hinaus das Bekenntnis zur Bäuerlichkeit       • Es soll ein Kompetenzzentrum für Ernährung
und die Absage an industrielle Großstrukturen           und nachhaltige Lebensstile geschaffen wer-
sowie das Bekenntnis zu Multifunktionalität und         den.
Nachhaltigkeit der Land- und Ernährungswirt-
                                                      • Die Innovationskraft der Land- und Ernäh-
schaft sowie einer breiten Streuung des Eigen-
                                                        rungswirtschaft ist auf allen Ebenen zu stär-
tums und die Betonung des eigenverantwortli-
                                                        ken, die Forschung und Entwicklung zu forcie-
chen Unternehmertums.
                                                        ren und der Transfer in die Praxis zu beschleu-
                                                        nigen sowie die Wettbewerbsfähigkeit der
                                                        Land- und Ernährungswirtschaft über eine ver-
                                                        stärkte vertikale Integration zu verbessern.

                                                                                                       9
• Die landwirtschaftliche Aus-, Fort- und Weiter-   Auf Bundesebene:
  bildung ist unter besonderer Beachtung des
                                                    • Günstige steuerliche Rahmenbedingungen
  lebenslangen Lernens zu reformieren.
                                                      gewährleisten sowie eine steuerliche Risiko-
• Die Diversifizierung der ländlichen Unterneh-       ausgleichsrücklage einführen,
  men ist zu fördern, um die endogenen Poten-
                                                    • die agrarsoziale Sicherung als eigenständiges
  ziale des ländlichen Raums besser auszu-
                                                      System ebenso beibehalten wie die dafür
  schöpfen.
                                                      bereitgestellten Bundeszuschüsse,
• Die Land- und Ernährungswirtschaft ist konse-
                                                    • das landwirtschaftliche Fachrecht vereinheit-
  quent auf Nachhaltigkeitsziele auszurichten,
                                                      lichen und verschlanken,
  und die Chancen im Bereich der Nachwach-
  senden Rohstoffe müssen intensiver genutzt        • das Bundesprogramm „Ökologischer Land-
  werden.                                             bau“ fortführen und entsprechend der Markt-
                                                      entwicklung ausbauen,
                                                    • verlässliche Rahmenbedingungen für erneuer-
5 zentrale Forderungen an die jeweiligen              bare Energien schaffen.
Politikebenen
                                                    Auf EU-Ebene:
Auf bayerischer Ebene:
                                                    • Ausreichende finanzielle Mittel für eine wett-
• Neue Marktstrategien für die wichtigsten Pro-
                                                      bewerbsfähige, multifunktionale und nachhal-
  duktbereiche entwickeln,
                                                      tige Landwirtschaft sicherstellen,
• im Bereich der Land- und Ernährungswirt-
                                                    • die verbliebenen Marktsteuerungsinstrumente
  schaft Forschung und Entwicklung intensivie-
                                                      zu einem wirkungsvollen Sicherheitsnetz bei
  ren, den Wissenstransfer beschleunigen und
                                                      Marktkrisen weiterentwickeln und neue Instru-
  die Bildung modernisieren,
                                                      mente zur Reduktion der negativen Folgen der
• im Rahmen der Agrarumweltprogramme den              Marktvolatilität entwickeln,
  Klimaschutz, Gewässerschutz, Erosionsschutz
                                                    • das Betriebsprämienmodell verbessern incl.
  und Naturschutz (Biodiversität) ausbauen
                                                      Maßnahmen zur Vereinfachung von Cross
  sowie den ökologischen Landbau entspre-
                                                      Compliance und dem Kontrollwesen initiieren,
  chend der Marktentwicklung weiter fördern,
                                                    • die bewährte ländliche Entwicklungspolitik
• die notwendige Gegenfinanzierung für die
                                                      bedarfsorientiert weiterentwickeln und dabei
  Umsetzung der ELER- und GAK-Maßnahmen
                                                      regionale Gestaltungsspielräume erhalten,
  zur Sicherung vitaler ländlicher Räume mit
  einer starken Land- und Ernährungswirtschaft      • Innovationen in den Bereichen Lebensmittel-
  im Landeshaushalt bereitstellen,                    produktion, energetische und stoffliche Nut-
                                                      zung von nachwachsenden Rohstoffen sowie
• konkrete Maßnahmen zur Reduktion der
                                                      Dienstleistungen fördern und die Bildung von
  außerlandwirtschaftlichen Flächeninanspruch-
                                                      Produktketten erleichtern.
  nahme entwickeln und umsetzen.

10
III. Hauptteil

1 G
   lobale Trends und Herausforderungen für die bayerische Land- und
  Ernährungswirtschaft

1.1 W
     achsende Weltmarktabhängigkeit                 ten. Dies setzt zuverlässige und aktuelle Markt-
    und Marktliberalisierung                         informationen, professionelles Marketing, aber
                                                     auch Innovationen und eine kontinuierliche Qua-
                                                     lifizierung der Unternehmer und Beschäftigten
Die mittelfristige Entwicklung der Weltmärkte ist
                                                     voraus.
schwer vorhersehbar. Einerseits wächst die Welt-
nachfrage nach Agrargütern und Lebensmitteln
als Folge steigender Weltbevölkerung und zuneh-
menden Wohlstands in den Schwellenländern.           1.2 Klimawandel
Auch die Notwendigkeit, höhere Anteile des
Energiebedarfs aus erneuerbaren Ressourcen zu        Der Klimawandel lässt sich nicht leugnen und hat
erzeugen, treibt die Agrarproduktion an. Auf der     weltweit schon heute erkennbare Auswirkungen
anderen Seite beruht das Wachstum des Agrar-         auf die Agrarproduktion. Auf welche Veränderun-
angebots in erheblichem Umfang auf Produk-           gen sich die bayerische Landwirtschaft in Zukunft
tionsausweitungen gerade in Schwellenländern.        einstellen muss, wird zwar hinsichtlich der Aus-
Gleichzeitig wirken sich Klimawandel, Ölpreis-       maße noch diskutiert, unstrittig ist aber, dass der
schwankungen und der Euro-Dollar-Wechselkurs         Temperaturanstieg, längere Trockenperioden,
entscheidend auf das Auf und Ab der Preise aus.      Witterungsextreme wie Stürme und Starkregen
Das Volumen des Weltagrarhandels wird weiter         sowie das Auftreten bisher in Mitteleuropa nicht
zunehmen.                                            gekannter Krankheiten und Schädlinge neue
Aufgrund der Internationalisierung und Vernet-       Anbau- und Haltungsmethoden sowie Anpassun-
zung der Märkte wird auch die Entwicklung des        gen im Arten- und Sortenspektrum erfordern.
bayerischen Agrar- und Ernährungssektors             Gleichzeitig werden negative Auswirkungen auf
immer stärker von diesen weltwirtschaftlichen        den Wasserhaushalt und auf die Bodenfruchtbar-
Einflüssen und den Mechanismen des globalen          keit erwartet. In der Land- und Forstwirtschaft
Marktes bestimmt. Es ist davon auszugehen,           wird aber auch Kohlendioxid gebunden und
dass der wachsende internationale Wettbewerb         damit ein aktiver Beitrag zum Klimaschutz geleis-
den Preisdruck weiter verstärken, die Preisvolati-   tet. Dies gilt besonders auch für den Anbau und
lität steigern und die Risiken von Investitionen     die Verwertung nachwachsender Rohstoffe. Da
erhöhen wird. Dies gilt insbesondere für die         die Landwirtschaft gleichzeitig Betroffener, Mit-
Märkte von Grundprodukten.                           verursacher und Problembegrenzer der Klima-
                                                     veränderung ist, müssen sowohl Anpassungs-
Dieser Entwicklung muss einerseits durch die         als auch Vermeidungsstrategien entwickelt und
Festigung der regionalen Absatzverflechtungen        umgesetzt werden.
gegengesteuert werden, anderseits ist insbeson-
dere in der Milch- und Fleischwirtschaft aufgrund
der hohen Produktionsleistungen eine stärkere
Weltmarktorientierung notwendig, wobei gezielt       1.3 Biodiversität
Märkte mit hochverarbeiteten Produkten bedient
werden sollten.                                      Der Verlust von biologischer Vielfalt macht auch
                                                     vor Bayern nicht halt. 40 % der bewerteten hei-
Beide Szenarien – Reaktion auf Marktdruck sowie
                                                     mischen Tierarten und die Hälfte der Gefäßpflan-
Ausnutzen von Marktchancen – stellen erhöhte
                                                     zen sind inzwischen Bestandteil der Roten Liste.
Anforderungen an die beteiligten Unternehmer.
                                                     Bis 2020 soll sich gemäß der bayerischen Biodi-
Das betrifft die effiziente Gestaltung von Produk-
                                                     versitätsstrategie die Gefährdungssituation für
tionsprozessen ebenso wie die Nutzung von
                                                     mehr als 50 % der Rote-Liste-Arten um wenigs-
Kooperationsmöglichkeiten, konsequentes Quali-
                                                     tens eine Stufe verbessert haben. Dazu muss
tätsmanagement und angepasstes Risikoverhal-
                                                     auch die Landwirtschaft wesentliche Beiträge
ten. Von entscheidender Bedeutung wird die
                                                     leisten.
Fähigkeit sein, Produktion und Angebot flexibel
auf die jeweiligen Marktverhältnisse auszurich-

                                                                                                     11
Die wesentlichen agrarischen Ursachen für den         Bayern zeichnet sich auch durch vielfältige und
Artenrückgang und für Bestandseinbußen liegen         besonders attraktive Naturräume aus, deren
im Verlust von Kleinstrukturen, Fruchtfolgever-       Bewirtschaftung mit erhöhten Aufwendungen
engungen und in der intensiven Flächenbearbei-        verbunden ist und in der die Landwirtschaft
tung. Aber auch die Aufgabe der Bewirtschaftung       allein nicht in der Lage ist, einem verschärften
führt häufig zur Verschlechterung der Lebensbe-       Wettbewerb standzuhalten. Dazu zählen zum Bei-
dingungen bedrohter Arten. Typische artenreiche       spiel die Grünlandgebiete in den Berg- und Mit-
Biotope von traditionellen Kulturlandschaften,        telgebirgsregionen oder andere Gebiete mit kli-
wie Magerrasen, Heiden, Streuwiesen oder              matischen oder anderen naturräumlichen
Feuchtbiotope können durch Nutzungsaufgabe            Benachteiligungen. Auch für diese speziellen
oder Nutzungsänderungen bedroht sein.                 Regionen Bayerns, die vor allem auch für den
                                                      Tourismus besonders bedeutsam sind, müssen
Bayern hat es mit seinen Agrarumweltprogram-
                                                      Zukunftsperspektiven entwickelt werden.
men, wie Kulturlandschaftsprogramm und Ver-
tragsnaturschutzprogramm geschafft, dass auf          In günstigen Lagen wächst die Konkurrenz um
über einer Million Hektar landwirtschaftlicher Flä-   Grund und Boden weiter, zumal neben der Pro-
che die Bewirtschaftungsintensität reduziert,         duktion von Lebensmitteln auch die Erzeugung
wertvolle Landschaftsbestandteile erhalten und        von Biomasse zur energetischen und stofflichen
dem Verlust an Biodiversität entgegengewirkt          Nutzung zunimmt und sich die Flächeninan-
wird.                                                 spruchnahme für Siedlungs- und andere nicht-
                                                      landwirtschaftliche Zwecke fortsetzt. Eine der Fol-
Der Eintrag von Bodenpartikeln in die Gewässer
                                                      gen sind steigende Pachtpreise, die viele Betrie-
wird im Wesentlichen durch den erosiven Abtrag
                                                      be in ihrer Entwicklung behindern, in dem sie
von Oberboden auf landwirtschaftlichen Flächen
                                                      den Gewinn drücken, die Bereitschaft zur
verursacht. Er kann zu einer Verschlammung der
                                                      Betriebsübernahme senken und zu einer weite-
Gewässersohle führen. Dadurch wird die Besie-
                                                      ren Einkommensumverteilung von den Bewirt-
delung des Kieslückensystems mit wirbellosen
                                                      schaftern zu den Bodeneigentümern führen.
Kleintieren ebenso beeinträchtigt wie die Nut-
zung als Lebensraum von kieslaichenden Fisch-
arten.
Obwohl in Bayern der Stickstoffüberschuss auf         1.5 L
                                                           ändliche Räume unter Anpassungs-
landwirtschaftlichen Nutzflächen in der Vergangen-        druck
heit deutlich zurückgegangen ist, besteht auf
intensiv bewirtschafteten Flächen weiterhin das       Unabhängig von der Entwicklung der Landwirt-
Risiko des Austrags von Nitrat in Grundwasser         schaft stehen die ländlichen Räume, insbesonde-
und Oberflächengewässer sowie einer empfind-          re durch Landflucht und die wachsende Urbani-
lichen Störung der Ökosysteme. Stickstoffüber-        sierung, weltweit unter hohem Anpassungs-
schüsse in Böden können auch zu Lachgasemissio-       druck. Unstrittig ist, dass sich in Bayern eine Rei-
nen führen, die den Klimawandel beschleunigen.        he ländlicher Regionen seit Jahren günstiger
                                                      entwickelt hat als der Durchschnitt der städti-
                                                      schen Regionen. Dies gelingt vor allem am Ran-
                                                      de von Ballungsräumen sowie bei Existenz eige-
1.4 Flächendeckende Landbewirt­                      ner regionaler Zentren und einer diversifizierten
     schaftung in Gefahr                              Wirtschaftsstruktur.
                                                      Dennoch ziehen die Defizite auf den regionalen
Marktliberalisierung, Preisdruck und die Verände-
                                                      Arbeitsmärkten sowie in der Ausstattung mit
rung natürlicher Standortfaktoren werden in Bay-
                                                      höherwertigen Bildungseinrichtungen und
ern selbst bei Einsatz neuer Technologien die flä-
                                                      moderner Infrastruktur viele junge Menschen
chendeckende Landbewirtschaftung noch
                                                      schon früh in die Stadt. Dieser Prozess wird
schwieriger machen. Dies betrifft vorrangig mar-
                                                      durch die Änderungen der Lebensstile, insbeson-
ginale, wenngleich landschaftlich besonders
                                                      dere durch den Wunsch nach mehr Individualität
attraktive Standorte, auf denen mit der Aufgabe
                                                      und der Höherbewertung von Mobilität und Frei-
der Bewirtschaftung auch die Erbringung von
                                                      zeit, noch beschleunigt. Niedrige Geburtenraten,
Gemeinwohlleistungen auf dem Spiel steht.
                                                      rückläufige Zuwanderungen und Wanderungs-
Damit verbunden wären negative Folgen für
                                                      verluste in den jungen Altersgruppen entziehen
Landschaft, Regionalwirtschaft und die ländliche
                                                      der ländlichen Gesellschaft künftige Leistungs-
Bevölkerung. Beschäftigungsverluste als Folge
                                                      träger und lassen sie schneller altern. Der Land-
der Einstellung der Landbewirtschaftung gehen
                                                      und Ernährungswirtschaft fällt eine wichtige Rol-
deshalb weit über die Aufgabe landwirtschaftli-
                                                      le bei der Sicherung von Beschäftigungsmöglich-
cher Arbeitsplätze hinaus.
                                                      keiten zu. Eine wirtschaftliche Aufwärtsentwick-

12
lung im gesamten ländlichen Raum wird jedoch         heiten, zur Anpassung der Wohn- und Infrastruk-
nur gelingen, wenn dort auch höherwertige            tureinrichtungen, zu einem Mehrbedarf an
außerlandwirtschaftliche Beschäftigungsfelder        Betreuungsangeboten sowie zu einem Wandel
erschlossen werden. Dafür ist es auch wichtig,       im Bewusstsein der Gesamtgesellschaft. Gleich-
die ländlichen Lebensverhältnisse weiterhin          zeitig eröffnen diese Herausforderungen ein brei-
attraktiv zu gestalten und im Bewusstsein der        tes Betätigungsfeld für aufgeschlossene land-
Menschen besser zu verankern.                        wirtschaftliche Familien, weil in den ländlichen
                                                     Räumen die verschiedenen Ansprüche in der
Die Folgen der zunehmenden Alterung unserer          Regel besser miteinander kombiniert werden
Gesellschaft werden die meisten ländlichen           können als im städtischen Umfeld. Neue Chan-
Regionen stärker zu spüren bekommen als die          cen bieten sich auch durch den Auf- und Ausbau
städtischen Ballungsgebiete. Diese Entwicklung       von Stadt-Land-Kooperationen in den Bereichen
führt auch zu veränderten Ernährungsgewohn-          Ernährung, Bildung, Freizeit und Kulturerleben.

2 Das gesellschaftliche und politische Umfeld

2.1 Gesellschaft und Landwirtschaft                  2.2 Ernährung

Das Image der Landwirtschaft in der Öffentlich-      Das Thema Ernährung und Fragen der individuel-
keit hat sich in den vergangenen Jahren stetig       len Lebensstile sind unumstritten Leitthemen des
verbessert. Zweischneidig bleiben jedoch die teil-   21. Jahrhunderts. Fragen der „richtigen“ Ernäh-
weise idealisierenden Vorstellungen über die         rung betreffen alle gesellschaftlichen Gruppie-
Landwirtschaft, die eine Kinderbuchidylle zeich-     rungen und beeinflussen maßgeblich das Wohl-
nen. Diese Bilder sind zwar gut geeignet, um den     ergehen und die Gesundheit jedes Einzelnen.
Zugang zu Verbrauchern zu finden und werden
                                                     Daher wurde schon vor einiger Zeit das „Netz-
deshalb auch oft in der Werbung verwendet,
                                                     werk Ernährung in Bayern“ aufgebaut, das Ser-
haben aber vielfach mit den Realitäten in den
                                                     viceangebote rund um das Thema Ernährung
landwirtschaftlichen Betrieben nur wenig zu tun.
                                                     anbietet. Die Netzwerkpartner haben sich zu pro-
Von Kostendruck, Strukturwandel, der Notwen-         duktneutraler Beratung, unabhängig von Ver-
digkeit zur Vergrößerung der Produktionseinhei-      kaufsgeschäften, verpflichtet. Zudem sind mitt-
ten, vom Bau neuer Ställe oder der Anwendung         lerweile in acht Ämtern für Ernährung, Landwirt-
neuer Technologien, wollen Gesellschaft und          schaft und Forsten (ÄELF) Sachgebiete für den
Politik häufig nichts wissen. Besonders ausge-       Bereich Gemeinschaftsverpflegung eingerichtet
prägt ist die Technikfeindlichkeit in Teilen der     worden. Zahlreiche Akteure in der Gesellschaft,
Gesellschaft deshalb, weil es in den 1960er und      z. B. die Verbraucherorganisationen, entfalten
1970er Jahren tatsächlich durch eine Intensivie-     vielfältige Aktivitäten zur Verbraucherbildung
rung der Landnutzung zu spürbaren Umwelt-            (Ernährung, Bewegung und Entspannung), so
schäden und Beeinträchtigungen des Land-             dass sich die Bildungsangebote in Bayern zu
schaftsbildes gekommen ist, aber auch, weil          einer sinnvollen Angebotsvielfalt entwickelt
Technik und Chemie nicht in das romantische          haben.
Bild passen, das viele Menschen mit der Land-
                                                     Auf der einen Seite besitzt Bayern viele regionale
wirtschaft verbinden.
                                                     Spezialitäten, die ein hohes Ansehen genießen.
Auch der Vorwurf, die Landwirtschaft erhielte zu     Das Label „Qualität aus Bayern (GQ-Bayern) und
viele Subventionen, hält sich immer noch in der      einzelne regionale Siegel zeigen dem Verbrau-
öffentlichen und politischen Diskussion. Das         cher die Qualität bzw. Herkunft von bayerischen
zeigt, dass umfassende Aufklärungsarbeit not-        Lebensmitteln. Alle diese Initiativen sind zwar
wendig ist, um den Wert der Gemeinwohlleistun-       durchaus sinnvoll, bleiben aber viel zu punktuell
gen der Landwirtschaft bewusst zu machen und         und daher ohne die notwendige Breitenwirkung.
in der Gesellschaft eine breite Akzeptanz für
                                                     Auf der anderen Seite besteht durch immer grö-
deren Honorierung zu schaffen.
                                                     ßere und international ausgerichtete Unterneh-
                                                     men der Ernährungswirtschaft die Gefahr, dass
                                                     regionale Spezialitäten verschwinden. Die Vielfalt
                                                     geht zugunsten von einheitlichen, industriell und
                                                     in großer Menge billig gefertigten Produkten
                                                     zurück.

                                                                                                    13
In weiten Kreisen der Bevölkerung fehlt inzwi-       land von keinem anderen Bundesland übertrof-
schen weitgehend das Wissen und Bewusstsein          fen wird. Zentrale Grundsätze bayerischer Politik,
über die Bedeutung einer gesunden Ernährung.         wie breite Eigentumsstreuung, Steuerung durch
Die Folgekosten für ernährungsbedingtes Fehlver-     finanzielle Anreize vor Ordnungspolitik, Stärkung
halten liegen in Deutschland in einer Größenord-     der Multifunktionalität und Förderung von KMU,
nung von jährlich rd. 65 Milliarden Euro. Kinder,    begleitet von einer beispielhaften Infrastruktur-
Jugendliche, junge Erwachsene sowie Anbieter         und regionalen Wirtschaftspolitik für die ländli-
von Gemeinschaftsverpflegung sind die wichtigs-      chen Räume, haben zu einer außerordentlich
ten Zielgruppen, um hier eine Trendumkehr in die     positiven Entwicklung in den meisten ländlichen
Wege zu leiten. Vor allem eine zu energiereiche      Gebieten Bayerns beigetragen.
Kost in Kombination mit zu wenig Bewegung ist
                                                     Die Initiativen zum Aufbau Bayerns als Agrarex-
ein häufiger Grund für die Entstehung von Über-
                                                     portland haben dazu geführt, dass inzwischen
gewicht und dessen Folgeerkrankungen. Gerade
                                                     knapp 20 % des Gesamtumsatzes des Ernäh-
für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene
                                                     rungsgewerbes außerhalb Deutschlands erwirt-
gibt es diesbezüglich zu wenig in Theorie und Pra-
                                                     schaftet werden. Dennoch muss sich Bayern
xis stimmige Bildungsangebote. Dazu kommt,
                                                     sowohl auf der Produktions- als auch auf der Ver-
dass Ernährungsfragen in der Forschung immer
                                                     arbeitungsstufe noch besser für die fortschreiten-
noch eher stiefmütterlich behandelt werden.
                                                     de Globalisierung der Wirtschaft und Liberalisie-
In Einrichtungen zur Gemeinschaftsverpflegung        rung der Agrarmärkte rüsten.
wird oft Aspekten der Regionalität, der Saisonali-   Eine große Stärke bayerischer Agrarpolitik ist
tät und der Lebensmittelqualität zu wenig Rech-      auch ihre frühzeitige Ausrichtung auf die Interes-
nung getragen und die Verpflegung erfolgt über-      sen der gesamten Gesellschaft. Die Programme
wiegend nach Kostenkriterien. Zum Teil wider-        zur Erhaltung einer flächendeckenden Landbe-
sprüchliche Empfehlungen in der privatwirt-          wirtschaftung (Ausgleichszulage für benachteilig-
schaftlich organisierten Ernährungsberatung          te Gebiete), der Ausbau der Agrarumweltmaß-
führen ebenfalls dazu, dass die Verbraucher eher     nahmen (KULAP, VNP) sowie die Maßnahmen
verunsichert als überzeugt werden. Auch die          zur Diversifizierung und Stärkung einer multi-
Kennzeichnung der Produkte ist für den Verbrau-      funktionalen Landwirtschaft sind beispielhaft.
cher nicht transparent genug und er kann             Zur Sicherung ihrer hohen Wirkung ist es wich-
Lebensmittelqualität, Herkunft und Erzeugungs-       tig, die bayerischen Programme immer wieder
bedingungen oftmals nicht identifizieren bzw.        anzupassen.
nachvollziehen.
                                                     Die bayerische Land- und Ernährungswirtschaft
Ein weiterer Schwachpunkt ist, dass die Zustän-      und die bayerische Agrarpolitik müssen sich
digkeiten für Ernährungsfragen über mehrere          jedoch in den meisten Bereichen nach den Vor-
Ministerien und zahlreiche Einrichtungen verteilt    gaben aus Brüssel und Berlin richten. Zahlreiche
sind und eine Koordination noch dazu kaum            Kompetenzen, z. B. die Agrarsozialpolitik und die
stattfindet.                                         Steuerpolitik, liegen beim Bund. Um etwas ver-
Gentechnisch veränderte Lebensmittel haben bis       ändern zu können, ist Bayern deshalb mit Aus-
jetzt weder für die Verbraucher noch für die Land-   nahme der Bereiche Bildung, Beratung und For-
wirtschaft einen erkennbaren Nutzen gebracht.        schung auf Bündnispartner angewiesen. Den-
Das derzeit geltende Verbot des Anbaus gentech-      noch ist es Bayern immer wieder gelungen, auch
nisch veränderter Pflanzen ist die Konsequenz dar-   eigene konzeptionelle Vorstellungen auf Bundes-
aus. Um die tierische Veredelung in bisherigem       und EU-Ebene zu verankern.
Umfang in Bayern halten zu können, ist eine baye-    Die bayerische Politik hat es aber leider zum Teil
rische Eiweißfuttermittel-Strategie notwendig.       versäumt, die Grenzen des politisch Machbaren
                                                     deutlicher herauszustellen. So entzieht sich die
                                                     international immer stärker verflochtene Wirt-
2.3 Agrarpolitik                                     schaft zunehmend der Regelungsmöglichkeit ein-
                                                     zelner Staaten. Agrarpolitik lässt sich nicht an der
                                                     wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politi-
Das Agribusiness und der gesamte ländliche           schen Realität vorbei gestalten und erfordert eine
Raum haben in Bayern einen hohen wirtschaft-         intensive Koordination mit anderen Politikberei-
lichen und politischen Stellenwert. So erwirt-       chen. Angesichts der schwierigen Situation der
schaftet das Agribusiness einen jährlichen           öffentlichen Haushalte auf EU-, Bundes- und Lan-
Umsatz von rd. 100 Milliarden Euro und bietet        desebene muss in den nächsten Jahren hart dar-
gut 700 000 Menschen Beschäftigung. Bayern           um gerungen werden, für die bayerische Agrar-
stellt für den „grünen Sektor“ ein Budget auf        wirtschaft ausreichende Finanzmittel sicherzu-
Landesebene bereit, das zumindest in Deutsch-        stellen.

14
2.4 V
     erbände und Nicht-Regierungs-                  lich. Auch die Landesanstalten sind dazu überge-
    organisationen                                   gangen, das von ihnen generierte und aufberei-
                                                     tete Wissen über Internet- und Mailservicedien-
                                                     ste zur Verfügung zu stellen.
Der Organisationsgrad der Landwirtschaft ist in
Bayern verhältnismäßig hoch. Das gilt sowohl         Aufgrund der zunehmenden Aufgabenfülle bei
für die berufsständische Vertretung als auch für     gleichzeitigem Personalabbau ist die Landwirt-
die Mitgliedschaft in Spartenverbänden. Die          schaftsverwaltung inzwischen allerdings vielfach
Möglichkeiten, sich zu artikulieren und zu organi-   überlastet. Eine wesentliche Ursache dafür sind
sieren, sind damit gut. Eine mangelnde Koordi-       die vielfältigen und komplexer gewordenen För-
nation mindert jedoch die Einflussmöglichkeiten      derprogramme. Das Streben nach einer Rund-
auf Wirtschaft, Gesellschaft und Politik deutlich.   umversorgung und einer möglichst großen Ein-
                                                     zelfallgerechtigkeit führt nach und nach zu einer
Außerhalb der Landwirtschaft bringen zahlreiche      Vielzahl von Ausnahmetatbeständen, die die Feh-
Naturschutzverbände, Tierschutzgruppen und           leranfälligkeit in der Förderverwaltung erhöhen
Konsumentenorganisationen sowie sich ad hoc          und die Förderabwicklung erheblich beeinträchti-
bildende Bürgerinitiativen großes Interesse für      gen. Erschwerend kommt die oft fehlende För-
landwirtschaftliche Themen auf und sind deshalb      derkontinuität hinzu, die das Entstehen von
wichtige Gesprächs- und Diskussionspartner der       Abwicklungsroutinen nahezu verhindert. Parade-
Landwirtschaft im gesellschaftlichen Dialog.         beispiele für komplexe, verwaltungsaufwändige
Solange sie jedoch mit konträren Positionen auf-     und fehleranfällige Förderprogramme sind die
treten, finden sie nicht ausreichend Gehör.          Agrarumweltmaßnahmen KULAP und VNP mit
Insgesamt könnten durch eine bessere Koordi-         ihren vielfältigsten Kombinationsmöglichkeiten.
nierung der Verbände untereinander und eine          Durch verschiedene suboptimale Lösungen in
frühzeitigere eindeutige Positionierung zu land-     der Landwirtschaftsverwaltung wird noch zu viel
wirtschaftlichen Themen klare Signale an die         Personal gebunden, z. B. aufgrund zu vieler
Politik gegeben werden.                              Dienststellen. Dies verhindert notwendige Syn-
                                                     ergieeffekte und behindert den Aufbau entspre-
                                                     chender Kompetenzen in den Bereichen Schule,
2.5 Öffentliche Verwaltung                           Beratung und Förderabwicklung.
                                                     Mitschuld an dieser Situation trägt auch die
Die von der bayerischen Verwaltung gebotene          Landwirtschaftsverwaltung, die lange Zeit ver-
hohe Rechtssicherheit, Kundenfreundlichkeit und      sucht hat, die geforderte Rundumversorgung zu
Bürgerorientierung kommt in besonderer Weise         gewährleisten, und ebenso die Politik, die nach
auch der Landwirtschaft zugute. Sie wird jedoch      dem Prinzip der Einzelfallgerechtigkeit die Prob-
häufig als selbstverständlich vorausgesetzt und      leme der Landwirte zu lösen versucht hat, was
gar nicht mehr wahrgenommen.                         auch notwendige Anpassungsprozesse verhin-
                                                     dert oder hinausgezögert hat.
Die Landwirtschaftsverwaltung in Bayern zeich-
net sich durch umfangreiche und vielfältige Ser-
viceleistungen für die Land- und Ernährungswirt-
schaft aus, die in keinem anderen Bundesland in      2.6 Forschung und Innovation
dem selben Ausmaß bestehen. So gibt es für alle
Landwirte in erreichbarer Entfernung kompeten-       An der Notwendigkeit einer intensiven For-
te Ansprechpartner in allen Fragen der gemein-       schung wird angesichts der globalen Herausfor-
wohlorientierten Beratung (Trinkwasserschutz,        derungen in den Bereichen Ernährung und Nah-
Naturschutz, Gewässerschutz, Bodenschutz, Tier-      versorgung, Energie und Umwelt sowie Klima-
schutz), für die Antrags- und Förderberatung         wandel und Entwicklung ländlicher Räume nicht
sowie zu Fragen der Aus- und Weiterbildung. Die      mehr gezweifelt. Die darauf aufbauende Anwen-
Landwirtschaftsverwaltung entlastet damit die        dung nachhaltiger Strategien wird mehr und
Landwirte von vielen Verwaltungsaufgaben und         mehr zum Schlüssel für künftige wirtschaftliche
nimmt ihnen wesentliche Informationspflichten        Erfolge. Dies setzt Innovationen und die intensi-
ab. Dabei wird zwischen Haupt- und Neben-            vere Nutzung neuer Erkenntnisse in allen Berei-
erwerbsbetrieben kein Unterschied gemacht.           chen des Agrar- und Ernährungssektors voraus,
                                                     einschließlich neuer Ansätze zur Stabilisierung
Mit Hilfe der modernen Kommunikationstechno-
                                                     ländlicher Räume.
logien werden immer mehr Angebote auch auf
elektronischem Weg bereitgestellt und für eine       Es sind innovative, leistungsstarke und ressour-
Reihe von Einzelmaßnahmen ist inzwischen             censchonende Produktionssysteme notwendig,
bereits eine elektronische Antragstellung mög-       die trotz der fortdauernden Flächeninanspruch-

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