Bericht zur wirtschaftlichen Landesversorgung 2017-2020

 
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Bericht zur wirtschaftlichen Landesversorgung 2017-2020
Bericht zur wirtschaftlichen
Landesversorgung
2017–2020
Bericht zur wirtschaftlichen Landesversorgung 2017-2020
Vorwort
Vor Ihnen liegt der Bericht zur wirtschaftlichen       Die von der wirtschaftlichen Landesversorgung
Landesversorgung der Jahre 2017 bis 2020. Bei          (WL) eingesetzten Instrumente lassen sich in zwei
der Redaktion des Textes dominierten die Gescheh-      Gruppen einteilen. Einerseits erlaubte die stra-
nisse des Jahres 2020 unsere Gedanken. Die             tegische Vorratshaltung, Lager freizugeben und
COVID-19-Pandemie stellte alles andere in den          den Markt mit lebenswichtigen Waren zu alimen-
Schatten. Die Bevölkerung stand vor immensen           tieren. Anderseits konnte die WL die Wirtschaft
privaten und beruflichen Herausforderungen.            unterstützen, indem sie ihr mittels verschiedener
Wenn das öffentliche Leben teilweise stillsteht,       Bewirtschaftungsmassnahmen ermöglichte, die
Betriebe vorübergehend schliessen und persön-          vorhandenen Ressourcen möglichst optimal zur
liche Kontakte möglichst zu vermeiden sind, wird       Krisenbewältigung einzusetzen. So schränkte sie
vieles, was bisher selbstverständlich war, in Frage    beispielsweise die Abgabe von knappen Arznei-
gestellt. Lange war unser Alltag kaum wieder-          mitteln ein, sorgte mit zielgerichteten Massnahmen
zuerkennen.                                            für die Aufrechterhaltung von Transportkapazitäten
                                                       und schaffte mit einer Freigabe von Pflichtlagern
Das Risiko insbesondere einer Influenza-Pandemie       ein zusätzliches Angebot an lebenswichtigen Anti-
ist allgemein bekannt. Das Bundesamt für Bevöl-        infektiva. Vieles funktionierte gut. Es zeigten sich
kerungsschutz bezeichnet in seiner Analyse eine        aber auch Lücken in unserer Krisenvorbereitung.
Pandemie denn auch als das grösste gesellschaft-       Diese Lücken gilt es nun zu schliessen.
liche Risiko. Doch die gegenüber den Szenarien
harmlosen Verläufe der vergangenen pandemischen        Bei der periodischen Überprüfung der Vorrats-
Ereignisse – Vogelgrippe, Schweinegrippe – liessen     haltung müssen neben den Erkenntnissen aus
uns teilweise in falscher Sicherheit wiegen. Die       vergangenen Jahren auch die Erfahrungen aus
hohe Geschwindigkeit, mit der sich das Virus ab        der COVID-19-Krise mitberücksichtigt werden.
Februar 2020 weltweit ausbreitete, überraschte         Die Einführung einer Pflichtlagerhaltung von
die meisten. Als sich die Pandemie wahrhaftig          Ethanol wurde bereits 2020 in Angriff genommen;
manifestierte, zeigte sich, wie wichtig vorbereitete   ab 2021 erfolgen Anpassungen im Bereich der
Instrumente zur Krisenbewältigung sind.                Nahrungsmittel. Die Heilmittelpflichtlager werden
                                                       im Rahmen der Pandemieaufarbeitung neu zu
                                                       beurteilen sein. Gleichzeitig sind aber auch Resilienz-
Bericht zur wirtschaftlichen Landesversorgung 2017-2020
massnahmen zu fördern, um die zunehmend               Der vorliegende Bericht fasst die zentralen Akti-
wichtigen Dienstleistungen wie die Logistik oder      vitäten der WL in den vergangenen vier Jahren
die IKT in einer Krise besser stützen zu können.      zusammen und zeigt die anstehenden Heraus-
Versorgungssicherheit ist jedoch nicht gratis.        forderungen auf. In der Berichtsperiode von
Wie bei einer privaten Versicherung geht jede         2017–2020 hat die WL die Gefährdungen der
zusätzliche Absicherung einher mit einer höheren      Versorgungsprozesse neu evaluiert, ihre strate-
Prämienrechnung. Die Sensibilität für die Vorsorge-   gische Ausrichtung vertieft überprüft sowie ihre
thematik und Bereitschaft, diese Rechnung zu          Instrumente und Massnahmen bezüglich Wirk-
bezahlen, dürfte in Anbetracht der besonderen         samkeit und Einsatzbereitschaft analysiert. In
Umstände in 2020 gestiegen sein.                      einem separaten Kapitel werden die Arbeiten
                                                      der WL im Zusammenhang mit der COVID-19-
Damit die WL ihre Aufgaben auch künftig möglichst     Pandemie zusammengefasst. Die Lehren daraus
gezielt angehen und auf die immer verletzlichere      sowie die raschen Veränderungen der wirtschaft-
Gesellschaft ausrichten kann, ist das Zusammen-       lichen, gesellschaftlichen, technologischen und
wirken von Privatwirtschaft und Staat möglichst       klimatischen Rahmenbedingungen werden die
effizient und effektiv zu gestalten. Eine 2020 im     Arbeiten der WL in den kommenden Jahren
Auftrag des WBF durchgeführte Administrativ-          nachhaltig prägen. Eine erste Analyse der Auswir-
untersuchung zur Führungs- und Organisations-         kungen wird mit der zu überarbeitenden Gefähr-
struktur der WL hat ergeben, dass sich die heutige    dungsanalyse 2021 erfolgen.
Struktur der wirtschaftlichen Landesversorgung
grundsätzlich bewährt hat und beibehalten             Werner Meier
werden soll. Aufbauend auf den Empfehlungen           Delegierter für wirtschaftliche Landesversorgung
dieser Untersuchung werden 2021 insbesondere
das Optimierungspotenzial in den Führungs- und        Bern, im März 2021
Organisationsstrukturen der WL und des BWL
eingehender geprüft und danach gegebenenfalls
angepasst.

                                                      Der Bundesrat hat den «Bericht zur wirtschaftlichen
                                                      Landesversorgung 2017–2020» am
                                                      19. Mai 2021 zur Kenntnis genommen.
Inhalt

1     Ausgangslage                          5   6     Intensivierung der Zusammenarbeit
                                                      mit den Kantonen                     41
2     Auftrag und Strategie                 6
2.1   Auftrag der wirtschaftlichen              7     Internationale Zusammenarbeit        42
      Landesversorgung                      6
2.2   Strategie                             7   8     Bekämpfung des Coronavirus
                                                      (COVID-19)                           43
3     Versorgungslage Schweiz               9   8.1   Nahrungsmittel                       43
                                                8.2   Energie                              43
4     Gefährdungen                         17   8.3   Heilmittel                           43
4.1   Nahrungsmittel                       17   8.4   Informations- und Kommunikations-
4.2   Erdöl                                17         technologien                         45
4.3   Erdgas                               18   8.5   Industrie                            45
4.4   Elektrizität                         19   8.6   Logistik                             46
4.5   Trinkwasser                          19   8.7   Kantone und Kommunikation            46
4.6   Heilmittel                           19   8.8   Lehren aus der Pandemie,
4.7   Logistik                             21         weiteres Vorgehen                    47
4.8   IKT                                  22
4.9   Interventionen der WL 2017–2020      23   9     Entwicklung der WL                   48
                                                9.1   Megatrends                           48
5    Instrumente und Massnahmen            24   9.2   Künftige Stossrichtungen der WL      49
5.1  Instrumente zur systematischen
     Erfassung der Versorgungslage         24   10 Anhang                                  51
5.2 Sicherstellung der Stromversorgung     26   10.1 Organisation der wirtschaftlichen
5.3 Sicherstellung der Informations- und             Landesversorgung                      51
     Kommunikationstechnologien            27   10.2 Ergänzende Daten zur Vorratshaltung   52
5.4 Sicherstellung der Logistik            28   10.3 Massnahmenübersicht                   53
5.5 Vorratshaltung                         30   10.4 Quellenverzeichnis                    54
5.6 Bezüge aus Pflichtlagern               35   10.5 Abbildungsverzeichnis                 56
5.7 Importerleichterungen                  36   10.6 Abkürzungsverzeichnis                 57
5.8 Produktionslenkung                     37   10.7 Anmerkungen                           58
5.9 Verbrauchseinschränkungen              37
5.10 Trinkwasserversorgung in Notlagen     39
5.11 Sicherstellung industrieller Güter
     in Notlagen                           39
5.12 Zahlungsverkehr in Notlagen           40

4
1 Ausgangslage
Aufgabe       Die wirtschaftliche Landesversorgung (WL) sorgt        Dieser Strategieprozess beginnt im ersten Jahr mit
der Landes-   dafür, dass Versorgungsstörungen und -engpässe,        einer umfassenden Gefährdungs- und Verwund-
versorgung    die von der Wirtschaft selbst nicht bewältigt wer-     barkeitsanalyse als Basis für die im zweiten Jahr
              den können, für die Schweiz möglichst geringe          erfolgende Überprüfung der strategischen Ausrich-
              negative Auswirkungen haben. Zu diesem Zweck           tung der WL. Danach werden im dritten Jahr die
              trifft die WL Massnahmen, um im Krisenfall die Ver-    Massnahmen und Instrumente hinsichtlich der stra-
              fügbarkeit wichtiger Güter und Dienstleistungen        tegischen Ausrichtung auf ihre Zweckmässigkeit
              sicherzustellen, welche für die Wirtschaft unent-      und Umsetzbarkeit untersucht, bevor der Strategie-
              behrlich oder für die Bevölkerung lebenswichtig        prozess im vierten Jahr mit dem Bericht zur WL
              sind. Dazu gehören neben gewissen Grundnah-            abgeschlossen wird.
              rungsmitteln, Energieträgern und Heilmitteln insbe-
              sondere Versorgungsinfrastrukturen wie die Logistik,
              die Energienetze und die Informations- und Kom-        Abbildung 1: Strategieprozess der WL
              munikationstechnologien sowie die darauf basie-
              renden Dienstleistungen. Die Sicherstellung dieser
              versorgungsrelevanten Güter, Infrastrukturen und                              Gefährdungsanalyse
              Dienstleistungen setzt von Seiten der WL effektive
              Instrumente zur Krisenvorsorge und -bewältigung
              voraus. Die vorbereiteten Massnahmen müssen
              umsetzbar und auf die aktuellen Herausforderungen
              ausgerichtet sein.                                          Bericht zur                                Überprüfung der
                                                                        wirtschaftlichen                                Strategie
                                                                       Landesversorgung
Zweck des     Der vorliegende Bericht zeigt auf, wie die WL den
Berichts      sich stets ändernden Rahmenbedingungen für die
              Versorgung begegnet. Er liefert einen Rückblick
              auf die zentralen Aktivitäten der WL in den vergan-
              genen vier Jahren, einen Überblick über den aktu-
              ellen Vorbereitungsstand sowie einen Ausblick auf                               Überprüfung der
                                                                                               Massnahmen
              die anstehenden Herausforderungen. Der Bericht
              wird jeweils im Rahmen des vierjährigen Strategie-
              prozesses der wirtschaftlichen Landesversorgung
              aktualisiert.

              5
2 Auftrag und Strategie
                 2.1 Auftrag der wirtschaftlichen                      Das hohe Tempo der heutigen wirtschaftlichen Dynamisierung
                 Landesversorgung                                      Abläufe verlangt, dass bei Versorgungsstörungen
                                                                       rasch reagiert werden kann. Die WL interveniert
Auftrag der WL   Im Artikel 102 der Bundesverfassung ist festge-       deshalb bereits, wenn sich eine schwerwiegende
                 halten, dass der Bund die Versorgung des Landes       Versorgungsstörung unmittelbar anbahnt. Das
                 mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen       Kriterium für den Einsatz von WL-Massnahmen
                 sicherstellt, wenn die Wirtschaft in einer Mangel-    ist eine eingetretene oder unmittelbar drohende
                 lage dies selbst nicht mehr kann. Er bereitet Mass-   schwere Mangellage, welche die Wirtschaft selber
                 nahmen vor, die er bei Bedarf einsetzen kann.         nicht mehr ausreichend bewältigen kann.
                 Diese Massnahmen dürfen, soweit notwendig, vom
                 Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit abweichen.          Gezielte Vorbereitungsmassnahmen tragen dazu bei, Stärkung der
                                                                       lebenswichtige Versorgungssysteme und kritische Widerstands-
                 Die WL fokussiert sich auf Güter und Dienstleistun-   Infrastrukturen im Hinblick auf Krisensituationen fähigkeit
                 gen, die für Wirtschaft oder Bevölkerung lebens-      widerstandsfähiger zu machen. Die Massnahmen
                 wichtig sind. Diese hängen ab von der Verfügbarkeit   sind auf die Bedürfnisse der Volkswirtschaft ausge-
                 von bestimmten Ressourcen wie Werkstoffen oder        richtet. In bestimmten Bereichen, die aus Sicht der
                 Arbeitskräften. Eine ausreichende Güterversorgung     Landesversorgung als besonders kritisch eingestuft
                 kann nur sichergestellt werden, wenn für die Pro-     werden, besteht zudem die Möglichkeit, Betriebe
                 duktions- und Versorgungsprozesse der Wirtschaft      zu vorsorglichen Massnahmen zu verpflichten.
                 auch essenzielle Grundleistungen wie Stromversor-
                 gung, Information und Telekommunikation sowie
                 Logistik zur Verfügung stehen.                        Die wichtigsten Rechtsgrundlagen:

                 Im Falle eines Versorgungsengpasses unterstützt         Artikel 102 der Bundesverfassung:
                 die WL mit gezielten Massnahmen die Wirtschaft,
                 damit diese entstandene Versorgungslücken zu
                                                                         1
                                                                           Der Bund stellt die Versorgung des Landes
                 schliessen vermag. Der Umfang einer Intervention        mit lebenswichtigen Gütern und Diensleistungen
                 hängt von der voraussichtlichen Dauer und dem           sicher für den Fall machtpolitischer oder
                 erwarteten Ausmass einer Unterversorgung ab. Der        kriegerischer Bedrohungen sowie in schweren
                 Fokus liegt auf der Behebung von kurz- und mit-         Mangellagen, denen die Wirtschaft nicht
                 telfristigen Versorgungsstörungen. Die langfristige     selbst zu begegnen vermag. Er trifft vorsorgliche
                 Sicherstellung der Versorgung der Schweiz durch         Massnahmen.
                 strukturpolitische Massnahmen liegt hingegen            2
                                                                          Er kann nötigenfalls vom Grundsatz der
                 nicht im Aufgabenbereich der WL, sondern in der
                                                                         Wirtschaftsfreiheit abweichen.
                 Verantwortung der zuständigen Bundesämter und
                 Departemente. Ebenfalls stellt ein abrupter Mehr-       Bundesgesetz über die wirtschaftliche
                 bedarf, zum Beispiel aufgrund einer Pandemie,           Landesversorgung (SR 531)
                 einen Ausnahmefall dar, zu dessen Bewältigung die
                 Landesversorgung nur einen subsidiären Beitrag          Verordnung über die wirtschaftliche
                 leisten kann.                                           Landesversorgung (SR 531.11)

                                                                         Eine vollständige Übersicht findet sich unter:
Primat der       Die Versorgung des Landes mit Gütern und Dienst-
                                                                         www.admin.ch/ch/d/sr/53.html
Wirtschaft       leistungen ist grundsätzlich Sache der Wirtschaft.
                 Die WL agiert nur subsidiär und greift erst dann
                 unterstützend und koordinierend ein, wenn die
                 Wirtschaftsakteure ihre Versorgungsfunktion nicht
                 mehr selber wahrnehmen können.

                 6
Abbildung 2: Versorgungsziele der WL

                                                      Schwere
                 Vorsorgephase                        Mangellage,        Interventionsphase
                                                      welcher die
                 Stärkung der
                                                      Wirtschaft
                 Widerstandsfähigkeit                 nicht selber        Stufe A       Überbrückung von Teilausfällen
                 der Versorgungsprozesse              zu begegnen
                                                      vermag
                 Stärkung der
                 Eigenverantwortung
                                                                          Stufe B       Versorgung mit Einschränkungen
                 Angemessene
                 Vorbereitung auf
                 schwere Mangellagen
                                                                                        Versorgung auf reduziertem
                                                                          Stufe C       Niveau

                2.2 Strategie                                           und die Bevölkerung, damit diese ihrer Verant-
                                                                        wortung betreffend der Krisenvorsorge gerecht
                Die WL hat 2018 ihre strategische Ausrichtung ein-      werden. Zudem entwickelt die WL in enger Zusam-
                gehend überprüft und angepasst, damit der im LVG        menarbeit mit Unternehmen und Branchenverbän-
                festgeschriebene Auftrag weiterhin den aktuellen        den Massnahmen zur Verbesserung der Resilienz. In
                Erfordernissen entsprechend erfüllt werden kann         der Vorsorgephase bereitet die WL zudem geeignete
                (BWL, 01.12.2018).                                      Massnahmen im Hinblick auf die Interventionsphase
                                                                        vor. Dabei stimmt sie sich auch mit ähnlich gelager-
                Die WL konzentriert sich auf die Sicherstellung         ten Arbeiten anderer Behörden, wie zum Beispiel
                der Versorgung mit lebenswichtigen Gütern und           denjenigen zum Schutz kritischer Infrastrukturen,
                Dienstleistungen auf den Gebieten Lebensmittel,         ab. Auf Gesuch der Branche beantragt die WL beim
                Energie, Heilmittel, Logistik und IKT. Für alle Ver-    Vorsteher WBF die Inkraftsetzung geeigneter Mass-
                sorgungsprozesse lässt sich die Strategie in eine       nahmen. Dabei kommen keine Automatismen zum
                Vorsorge- und Interventionsphase unterteilen (vgl.      Zuge. Der Bundesrat entscheidet situativ über Ein-
                Abbildung 2).                                           griffe des Staates in den Markt.

                Die Strategie der WL konkretisiert die Versorgungs-     Die Interventionsphase ist in drei Stufen aufgeteilt. Interventions-
                ziele für lebenswichtige Güter und Dienstleistungen     Abhängig vom Schweregrad des Versorgungseng- phase
                (Lebensmittel, Energie, Heilmittel, Logistik und IKT)   passes stehen andere Massnahmen zur Verfügung.
                und bestimmt jeweils Ziele für die Vorsorgephase        Je schwerwiegender sich ein Versorgungsengpass
                sowie die einzelnen Interventionsstufen. Generelle      auswirkt, desto einschneidender sind die Instrumente
                Absicht ist, soweit wie möglich in der jeweils tiefst   und die Eingriffe in die Wirtschaft.
                möglichen Interventionsstufe zu verbleiben und
                staatliche Eingriffe getreu dem Subsidiaritätsprinzip   In Stufe A (vgl. Abbildung 2: Versorgungsziele der
                so gering wie möglich zu halten.                        WL) wird die Versorgung durch Überbrückung von
                                                                        Teilausfällen gewährleistet. In Stufe B besteht das
Vorsorgephase   Das generelle Versorgungsziel der WL in der Vor-        Ziel darin, die Versorgung durch Massnahmen wie
                sorgephase ist die Stärkung der Widerstandsfähigkeit    Angebots- und Verbrauchslenkung sicherzustellen.
                der Versorgungsprozesse. Hierzu sensibilisiert und
                unterstützt die WL die versorgungsrelevanten Akteure

                7
In Stufe C wird angestrebt, eine entsprechend den       stammen muss. Er leitet nebenamtlich die Gesamt-
                   gegebenen Umständen noch mögliche Versorgung            organisation der WL. Rund 250 Expertinnen und
                   des Landes mit lebenswichtigen Gütern und Dienst-       Experten aller versorgungsrelevanten Branchen der
                   leistungen auf reduziertem Niveau aufrechtzuer-         Schweizer Wirtschaft, aber auch Vertreterinnen
                   halten.                                                 und Vertreter aus anderen Bundesämtern und
                                                                           Organisationen sind in die verschiedenen Bereiche
                   Ist die Mangellage überstanden, so werden die           der WL eingebunden. Sie bringen ihr Fachwissen
                   Interventionen in geordneter Art und Weise wieder       und ihre Netzwerke ein, tauschen sich über die
                   beendet. Wo nötig und angebracht muss sich die          aktuelle Versorgungslage aus und beteiligen sich
                   WL auch in dieser Phase engagieren, um den Nor-         an der Vorbereitung und Umsetzung von Massnah-
                   malbetrieb wiederherzustellen. Die Kommunikation        men. Unterstützt und koordiniert werden sie vom
                   und Koordination mit den betroffenen Branchen           BWL, das die staatliche Seite in diesem Koopera-
                   und den zuständigen Fachämtern stehen dabei im          tionsmodell vertritt. Der Vollzug von hoheitlichen
                   Zentrum.                                                Massnahmen kann unter bestimmten Vorausset-
                                                                           zungen an einzelne Branchen oder Branchenorga-
Ganzheitlicher     Die WL ist intersektoriell tätig; sie koordiniert die   nisationen übertragen werden.
Fokus              Vorsorgemassnahmen zwischen den verschiedenen
                   Wirtschaftssektoren. Dabei fokussiert sie sich auf      Das BWL arbeitet insbesondere bei der Krisenvor- Zusammenarbeit
                   die Stabilität des Gesamtsystems. Damit die Ver-        bereitung von Massnahmen mit Fachleuten und mit Kantonen
                   sorgung des Landes in einer schweren Mangellage         Vertreterinnen und Vertretern aus den Kantonen und Gemeinden
                   sichergestellt ist, müssen auch die dazu erforder-      und Gemeinden zusammen. Es koordiniert die
                   lichen Infrastrukturen und Dienstleistungen verfügbar   Krisenvorsorge zwischen den verschiedenen Stellen
                   sein. Dazu gehören zum Beispiel Logistiksysteme         der öffentlichen Verwaltung.
                   für den Gütertransport, Informations- und Kom-
                   munikationsinfrastrukturen für den Informations-        Der Fokus der WL liegt auf der Inlandversorgung. Internationale
                   austausch zwischen den Wirtschaftsakteuren oder         Dabei darf aber nicht vergessen gehen, dass auch Zusammenarbeit
                   Stromnetze für die Übertragung elektrischer Ener-       die internationale Kooperation für die Versorgungs-
                   gie. Die WL konzentriert sich bei ihrer Arbeit auf      sicherheit der importabhängigen, globalisierten
                   diese Schnittstellen zwischen den zentralen Ver-        Schweizer Volkswirtschaft von zentraler Bedeutung
                   sorgungsprozessen und deren Ressourcen.                 ist. Deshalb pflegt die WL einen Informations- und
                                                                           Erfahrungsaustausch mit anderen Staaten und
Zusammenarbeit Zur Umsetzung der Strategie arbeiten Wirtschaft             internationalen Organisationen, zum Beispiel mit
zwischen Staat und Staat eng zusammen. Die Wirtschaft spielt so-           der Internationalen Energieagentur oder den zivilen
und Wirtschaft wohl bei der Vorsorge als auch bei der Bewältigung          NATO-Gremien im Rahmen der Partnerschaft für
               von schweren Mangellagen die zentrale Rolle.                den Frieden.
               Hoheitliche Massnahmen seitens der WL gelangen
               nur subsidiär zum Einsatz. Im Ereignisfall kann und
               will die WL die Wirtschaft nicht ersetzen, sondern
               unterstützt sie lediglich so lange, bis sie ihren Ver-
               sorgungsauftrag wieder selbstständig erfüllen kann.
               Die Koordination der WL-Massnahmen erfolgt
               durch den Delegierten für wirtschaftliche Landes-
               versorgung, welcher per Gesetz aus der Wirtschaft

                   8
3 Versorgungslage Schweiz
Die heutige Versorgungslage der Schweiz ist gut.       abhängiger von Stromimporten. Vor allem im Winter
Dabei darf aber nicht ausser Acht gelassen werden,     kann die Spitzenlast nur ungenügend durch die
dass in den letzten Jahren die Versorgungsrisiken      inländische Produktion gedeckt werden, da der
und versorgungsrelevanten Ereignisse zugenommen        Stromverbrauch in dieser Jahreszeit höher, die Pro-
haben. So ist die Schweiz stark von einer reibungs-    duktion der Wasserkraftwerke jedoch tiefer ist.
los funktionierenden Logistik abhängig. Dies zeigte    Bei den Heilmitteln machen weltweite Unter-
sich etwa im Herbst 2018, als die Rheinschifffahrt     nehmensfusionen, der Preisdruck bei nicht mehr
wegen des tiefen Wasserstands fast zum Erliegen        patentgeschützten Produkten, der Marktrückzug
kam und die übrigen Verkehrsträger nicht in der        von Produkten sowie die Zentralisierung und Ver-
Lage waren, die Transporte vollumfänglich zu kom-      lagerung von Produktionszentren nach Asien ins-
pensieren. Der Bund sah sich deshalb veranlasst,       besondere die Grundversorgung verletzlicher. Der
Mineralöl- und Dünger-Pflichtlager einzusetzen. Auch   während der COVID-19-Pandemie erhöhte Bedarf
im Frühling 2020 stützte der Bund während der          an gewissen Arzneimitteln sowie Medizin- und
COVID-19-Pandemie die inländische Logistik mit         Hygieneprodukten war exemplarisch für diese Pro-
kapazitätssteigernden Massnahmen.                      blematik. In der Logistik spielen IKT-Systeme eine
                                                       immer wichtigere Rolle; wenn sie breitflächig aus-
Im Bereich der Elektrizität erhöht sich durch den      fallen, drohen abrupt eintretende Versorgungs-
vermehrten Einsatz von erneuerbaren Energien und       störungen. Sämtliche Versorgungsprozesse hängen
der damit verbundenen dezentralen Produktion die       stark von den Querschnittsfunktionen Logistik und
Komplexität und damit auch die Verletzlichkeit einer   Energieversorgung ab.
sicheren Stromversorgung. Mit der definitiven
Abschaltung des Kernkraftwerks Mühleberg im
Dezember 2019 wurde die Schweiz zudem noch

9
Nahrungsmittel                                                                      Die inländische Produktion wird durch Importe
                                                                                                      ergänzt. Importiert werden unter anderem Grund-
Nahrungsmittel-   Seit Anfang des 20. Jahrhunderts ist die Wohnbe-                                    nahrungsmittel wie Hartweizen, Reis oder Futter-
Eigenversor-      völkerung der Schweiz um den Faktor 2,7 auf über                                    mittel. Bei schlechten inländischen Ernten werden
gungsgrad von     8,6 Millionen angewachsen. Gleichzeitig wurde die                                   auch weitere Fehlmengen durch zusätzliche Importe
rund 60%          Nahrungsmittelproduktion dank technischem und                                       abgedeckt. Ebenfalls importiert werden müssen
                  züchterischem Fortschritt gesteigert. Die Produk-                                   viele Produktionsmittel, welche für die inländische
                  tion findet hingegen auf immer weniger Fläche                                       Produktion nötig sind. Die Kombination von inlän-
                  statt. Zwischen 1985 und 2009 gingen 850 km2                                        discher Produktion und Importen ist deshalb unab-
                  (-5,4 Prozent) der Land- und Alpwirtschaftsflächen                                  dingbar für eine gute Versorgung der Schweiz mit
                  verloren (BFS, 2020). Die Schweiz gehört somit zu                                   Nahrungsmitteln.
                  den europäischen Ländern mit der geringsten land-
                  wirtschaftlichen Nutzfläche pro Person (vgl. Abbil-
                  dung 3). Der durchschnittliche Brutto-Nahrungsmittel-
                  selbstversorgungsgrad veränderte sich in den letzten
                  20 Jahren deshalb kaum und liegt bei rund 60
                  Prozent. Die Versorgungslage bei den Nahrungs-
                  mitteln ist in der Schweiz sehr gut.

                  Abbildung 3: Landwirtschaftsfläche pro Einwohner

                                                                                                                                                                           105
                                                                                                                                                                     100
                            100                   Natürliche Weiden
                                                                                                                                                                94
                                 90               davon Bio
                                                  Naturwiesen
                                 80                                                                                                                        76
                                                                                                                                                     71
                                 70               davon Brachen                                                                                 69
                                                  davon Kunstwiesen
                                                                                                                                          58
                   Aren/Person

                                 60               davon Bio                                                                         55 56
                                                  Ackerfläche und Dauerkulturen
                                 50
                                                                                                                            44 46
                                                                                                                       41
                                 40            Zahl unten: Landwirtschaftsfläche                                  38
                                                                                                            36
                                               des Landes total in Mio. ha                         33 35 35
                                                                                        29 30 30
                                 30                                                26
                                                                  20 20 22
                                 20                         18 18
                                               11 11 12
                                 10
                                      2    3
                                  0
                                      0.0 4.4 1.8 0.1 1.4 1.5 1.0 16.6 12.4 0.1 17.4 0.6 2.7 3.0 3.5 1.9 3.6 1.5 14.5 2.3 28.7 2.6 5.3 26.2 6.1 13.4 5.0 1.0 4.5 1.9 2.9
                                            Malta
                                            Japan
                                      Niederlande
                                           Zypern
                                                           Belgien
                                                          Schweiz
                                                        Norwegen
                                                       Deutschland
                                                             Italien
                                                                                 Luxemburg
                                                                             Grossbritannien
                                                                                  Slowenien
                                                                                   Österreich
                                                                                  Schweden
                                                                                  Tschechien
                                                                                    Slowakei
                                                                                    Portugal
                                                                                                               Kroatien
                                                                                                                  Polen
                                                                                                               Finnland
                                                                                                             Frankreich
                                                                                                             Dänemark
                                                                                                                Ungarn
                                                                                                                Spanien
                                                                                                                                           Griechenland
                                                                                                                                              Rumänien
                                                                                                                                               Bulgarien
                                                                                                                                                            Estland
                                                                                                                                                              Irland
                                                                                                                                                           Lettland
                                                                                                                                                            Litauen

                  (FAO, 2020)

                  10
Energie                                                 Mit einem Anteil von knapp 50 Prozent am End-
                                                                          energieverbrauch ist Erdöl jedoch nach wie vor der
Erdöl:            Der Erdölbedarf der Schweiz liegt per 2019 bei          wichtigste Energieträger der schweizerischen Ener-
diversifizierte   rund 10 Mio. Tonnen, was ungefähr 2 Promille des        gieversorgung (vgl. Abbildung 4). Er kann in vielen
Importe           weltweiten Erdölbedarfs ausmacht. Im Gegensatz          Anwendungsbereichen nicht innert nützlicher Frist
                  zur weltweiten Entwicklung ist der Erdölverbrauch       durch andere Energieträger ersetzt werden. Dies
                  in der Schweiz seit Jahren vor allem wegen des          macht Erdöl aus versorgungspolitischer Sicht zu
                  sinkenden Heizölverbrauchs leicht rückläufig. Der       einem wichtigen Gut. Die Schweiz verfügt über
                  Absatz an Heizöl hat sich seit dem Jahr 2000 un-        keine eigenen Erdölvorkommen und ist zu 100
                  gefähr halbiert. Gründe dafür sind die Verwendung       Prozent importabhängig. Hinzu kommt, dass sich
                  von alternativen Heizsystemen, verbesserte Gebäude-     viele Ölfelder in politisch instabilen Weltregionen
                  isolationen und die Reduktion der Heizgradtage          befinden.
                  infolge milderer Durchschnittstemperaturen.

                  Abbildung 4: Aufteilung des Endverbrauchs nach Energieträgern (2019)

                                Erdölbrennstoffe
                                                                        12,7 %            13,5 %
                                Treibstoffe

                                Elektrizität

                                                        13,8 %
                                Gas

                                Rest

                                                                                                       35,3 %

                                                                24,7 %

                  (BFE, 2020)

                  11
Abbildung 5: Energiekennzahlen Schweiz 2019

 Erdölimporte der Schweiz 2019
                               Erdgasimporte der Schweiz 2019

Rohöl nach Herkunft		          nach Förderländern
Afrika                  59,7 % EU                        15 %
Asien/Ozeanien          28,8 % Russland                  53 %
Amerika                 10,5 % Norwegen                  27 %
Übrige Länder Europa     1,1 % Sonstige                   5%
Total t		 2‘738’910 t
                               nach Herkunft gemäss Sitz
Fertigprodukte nach Herkunft   der Liefergesellschaft
Deutschland             46,8 % Deutschland               72 %
Frankreich              13,6 % Niederlande                2%
Belgien                 13,4 % Frankreich                23 %
Italien                  8,0 % Italien                    3%
Niederlande             16,5 % Importe Erdgas total		 37,85 TWh
Übrige Länder            1,6 % (gazenergie, 2020)
Total t		 8’190’808 t

Importe Rohöl und Fertigprodukte
in die Schweiz, nach Verkehrsträgern
Pipeline                 34,7 %                         Elektrizitätsverkehr der Schweiz
Schiene                  32,3 %                         mit dem Ausland 2019
Schifffahrt              26,2 %
Strasse                   6,8 %                         Einfuhr-/Ausfuhr-Saldo,		TWh
                                                        vertragliche Werte
(Avenergy, 2020)
                                                        Frankreich     Schweiz		         12,9
                                                        Österreich     Schweiz		          2,0
                                                        Schweiz     Deutschland		         0,6
                                                        Schweiz     Italien		            20,4

                                                        Importe total		                  30,3
                                                        Exporte total		                  36,5
                                                        Einfuhr-/Ausfuhr-Saldo		-6,2

                                                        (BFE, 2019)

Die Versorgung der Schweiz mit Erdöl erfolgt aus       Zentralasien. Die Einfuhr des Rohöls erfolgt ab dem
verschiedensten Bezugsquellen sowohl in Form von       Mittelmeerhafen Fos-sur-Mer bei Marseille über
verbrauchsfertigen Mineralölprodukten als auch         eine Pipeline. Die bereits verarbeitet in die Schweiz
von Rohöl. Eine Diversifikation der Quellen und        importierten Mineralölprodukte stammen haupt-
Transportwege reduziert das Risiko eines Versor-       sächlich aus Raffinerien in der Europäischen Union
gungsengpasses. Das Rohöl wird in der einzigen         (vgl. Abbildung 5). Diese Raffinerien wiederum
noch betriebenen Schweizer Raffinerie in Cressier      beziehen ihr Rohöl derzeit hauptsächlich aus der
(NE) zu Fertigprodukten verarbeitet. Die Raffinerie    Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), dem
deckt rund 25 bis 30 Prozent der Inlandnachfrage       mittleren Osten sowie Nord- und Westafrika.
nach Mineralöl ab. Die Herkunft des in die Schweiz
eingeführten Rohöls variiert von Jahr zu Jahr stark.
In den vergangenen Jahren stammte es vor allem
aus Nord- und Westafrika, Nordamerika sowie

12
Abbildung 6: Das europäische Erdgastransportnetz

                              Transporte von
                              verflüssigtem Erdgas

                              Erdgas-Pipelines

                              Bohrinseln und
                              Unterwasser-
                              leitungen

                              Planung/Bau

                              Planung/Bau

                (VSG, 2019)

Erdgas:         Der Anteil des Erdgases am gesamten Endenergie-         Frankreich und Italien. Das über den zentralen
integriert im   verbrauch der Schweiz betrug im Jahr 2019 13,8          Handelspunkt NCG in Deutschland bezogene Erd-
europäischen    Prozent. Es muss zu 100 Prozent importiert werden.      gas stammt zu einem grossen Teil aus russischen
Transportnetz   Früher geschah dies vor allem auf Basis von langfris-   Fördergebieten. Die westeuropäische Förderung ist
                tigen Gasbezugsverträgen mit grossen Lieferanten        eher rückläufig. Derzeit werden grosse Investitionen
                aus den Nachbarländern, die über ein breites Netz-      in die Gaspipeline Nordstream II für den Transport
                werk verfügten und auf verschiedene Produzenten-        von Erdgas aus Sibirien getätigt. Der Anteil des im-
                länder, Transportrouten und Speicher zurückgreifen      portierten Erdgases aus Russland ist daher markant
                konnten. Seit einigen Jahren beschafft die Schweizer    gestiegen: 2015 betrug er noch einen Drittel, 2019
                Gaswirtschaft das Erdgas jedoch zunehmend               bereits 53 Prozent. Weiter wurde 2019 Erdgas aus
                kurzfristig an den Spotmärkten der europäischen         Norwegen, dem EU-Raum und kleinere Mengen
                Handelspunkte. Vertragspartner sind europäische         auch aus Algerien, Libyen und Katar eingeführt.
                Zwischenhändler in Deutschland, den Niederlanden,       Dank des grossen Angebotes von Erdgas am freien

                13
Markt ist die Versorgungssicherheit grundsätzlich       von Importen abhängig (vgl. Abbildung 7). Mit
                hoch. Die indirekte Abhängigkeit von russischem         der Stilllegung des Kernkraftwerks Mühleberg
                Erdgas hat jedoch zugenommen.                           Ende 2019 hat sich die Importabhängigkeit noch
                                                                        verstärkt. Auch die häufigeren Trockenperioden
                Der Transport von Erdgas in flüssiger Form, soge-       und die dadurch verursachte Leistungsminderung
                nanntes LNG (liquefied natural gas), ist nicht von      der Laufwasserkraftwerke führt zeitweise zu mehr
                Pipelines abhängig und wird beispielsweise auch         Importen.
                aus dem arabischen Raum oder Übersee zu den
                europäischen Häfen geliefert. Dort wird das Erdgas      Aufgeteilt nach Kraftwerkstypen präsentiert sich die
                oft wieder in gasförmigem Zustand in Pipelines ein-     inländische Stromproduktion im Jahresdurchschnitt
                gespeist. LNG erweitert das Angebot an Lieferanten      2019 wie folgt: 56,4 Prozent lieferten die Wasser-
                und Logistikwegen und macht die Versorgung              kraftwerke (31,8 Prozent Speicherwerke und
                dadurch insgesamt robuster.                             24,6 Prozent Laufwerke), 35,2 Prozent die Kern-
                                                                        kraftwerke und 4,2 Prozent konventionelle ther-
Elektrizität:   Für die Schweiz spielt die elektrische Energie eine     mische Kraftwerke. Weitere 4,2 Prozent entfallen
Angebot und     zentrale Rolle. Sie ist aufgrund ihrer Schlüssel-       auf erneuerbare Energiequellen; deren Anteil steigt
Nachfrage       stellung in vielen Anwendungsbereichen wie der          stetig. Die Stromproduktion stützt sich in den
saisonal        Kommunikation und Automatisierung kaum durch            verbrauchsintensiven Wintermonaten zu einem
schwankend      andere Energiequellen substituierbar. Die inländische   grossen Teil auf die Kernkraft. Im Sommer leisten
                Stromproduktion kann im Sommer den Verbrauch            die Laufwasserkraftwerke einen bedeutenderen
                im Durchschnitt decken. Im Winter ist die Schweiz       Beitrag, da die Gewässer mehr Wasser führen und
                jedoch aufgrund des höheren Energiebedarfs und          die Kernkraftwerkbetreiber ihre Anlagen für War-
                der geringeren Produktionsmenge der Laufkraft-          tungsarbeiten temporär ausser Betrieb nehmen.
                werke und anderen erneuerbaren Energiequellen

                Abbildung 7: Monatliche Stromerzeugungsanteile und Landesverbrauch 2019

                                                                                               Landesverbrauch

                                                                                               Speicherkraftwerke

                                                                                               Laufkraftwerke

                                                                                               Kernkraftwerke

                                                                                               Konventionell-
                                                                                               thermische und
                                                                                               erneuerbare
                                                                                               Kraftwerke

                                                                                          Monat

                (BFE, 2019)

                14
Holzenergie:   Holz ist ein einheimischer Rohstoff, der vor allem im   Anders sieht es hingegen im Bereich der medizi-
Potenzial      Wärmebereich im Fall einer schweren Energiekrise        nischen Grundversorgung aus, wo mehrheitlich
noch nicht     einen Beitrag zur Kompensation anderer, fehlender       Produkte mit abgelaufenem Patentschutz2 sowie
ausgeschöpft   Brennstoffe leisten kann. Die vorhandenen Lager an      Generika zum Einsatz kommen. Diese decken rund
               Energieholz in kommerziellen Lagern und im Wald         75 Prozent der Schweizer Arzneimittelversorgung
               könnten bei konstanter Nachfrage den Normalbe-          ab (PharmaSuisse, 2020).3 Hier ist die Schweiz – wie
               darf von zwei Wintern abdecken. Das Potenzial von       auch viele andere europäische Staaten – nahezu
               Energieholz ist noch nicht ausgeschöpft, aber öko-      vollständig von Importen abhängig. Knapp 80 Pro-
               nomisch vielfach nicht sinnvoll nutzbar, da der in      zent der importierten Medikamente stammen aus
               der Schweiz erzielbare Verkaufspreis die hohen Holz-    dem EU-Raum; der zweitwichtigste Handelspartner
               erntekosten kaum deckt. Die jährliche Zunahme           sind die USA (Interpharma, 2019).4 Importiert wer-
               der Waldfläche beträgt zurzeit 5’000 m2 im Jahr.        den müssen unter anderem etwa lebenswichtige
                                                                       Insuline, diverse Antiinfektiva (Antibiotika, Anti-
               Im Jahr 2018 hat die WL die Einführung einer            mykotika), Blutdruckmedikamente, etablierte Krebs-
               Pflichtlagerhaltung von Holzpellets geprüft. Ange-      medikamente, wichtige Schmerzmittel und Seda-
               sichts des heute geringen Anteils von ungefähr          tiva sowie Impfstoffe. Insbesondere die Wirkstoff-
               2 Prozent der Holzpellets am Wärmemarkt, der            produktion wurde in den vergangenen Jahren in
               konstanten Importmenge, des Ausbaus der einhei-         den Mittleren und Fernen Osten verlagert: Vier von
               mischen Produktionskapazitäten und der teilweisen       fünf Wirkstoffen werden heutzutage in China oder
               Substitutionsmöglichkeit durch Holzschnitzel ist        Indien hergestellt (Bundesrat, 2016). Ähnlich sieht
               dies jedoch nicht notwendig.                            die Situation auch bei den Medizinprodukten aus.
                                                                       Schweizer Herstellerfirmen fokussieren sich vor
               Heilmittel                                              allem auf die Produktion von Spezialitäten und
                                                                       Nischenprodukten.
               Die Pharmaindustrie ist für die Schweiz von grosser
               Bedeutung. Sie ist insbesondere im Bereich der Bio-     Massengüter zum einmaligen Gebrauch wie etwa
               und Gentechnologie, der personalisierten Medizin        Hygienemasken oder Schutzhandschuhe werden
               und der Diagnostika sehr erfolgreich. Im Jahr 2018      grösstenteils aus dem asiatischen Raum importiert.
               exportierte sie chemisch-pharmazeutische Wirkstoffe     Im Bereich Desinfektionsmittel und dem zur Herstel-
               und Medikamente im Wert von über 104 Mia.               lung benötigten Rohstoff Ethanol bestand aufgrund
               Franken – mehr als jede andere Branche. Aufgrund        veränderter Marktverhältnisse infolge der Auflösung
               des kleinen Binnenmarktes entsprechen diese             des Importmonopols der Eidgenössischen Alkohol-
               Exporte rund 95 Prozent der in der Schweiz her-         verwaltung und Privatisierung der Alcosuisse AG
               gestellten chemisch-pharmazeutischen Produktion.        eine verminderte Lagerhaltung. Längerfristig ist eine
               Ungefähr 50 Prozent der Exporte gingen nach Europa      Pflichtlagerhaltung von Ethanol vorgesehen. Um die
               und rund 24 Prozent in die USA (Interpharma,            Versorgung in der Zeit bis zur Einführung und Um-
               2019).1                                                 setzung dieser definitiven Pflichtlagerhaltung sicher-
                                                                       zustellen, liess der Bund ab Herbst 2020 eine rasch
                                                                       verfügbare Ethanolreserve beschaffen.

               15
Logistik                                              Sowohl im grenzüberschreitenden Güterverkehr als
                                                      auch im schweizerischen Binnenverkehr entfällt der
Rohstoffe, Halbfabrikate und Endprodukte sind nur     grösste Anteil der transportierten Tonnage auf die
dank ausgeklügelten Logistiksystemen zur richtigen    Strasse. Aber auch die Schiene und die Rheinschiff-
Zeit am richtigen Ort. Ein grosser Teil der versor-   fahrt sind für die Landesversorgung wichtig. Sie
gungsrelevanten Güter erreicht die Konsumentin-       sorgen für eine starke Anbindung der Schweiz an
nen und Konsumenten über spezifische, auf die         die Häfen in Amsterdam, Rotterdam, Antwerpen,
jeweilige Warenart abgestimmte Logistikketten, die    die norddeutschen und italienischen Häfen sowie
sich auf verschiedene Verkehrsträger stützen. Funk-   die europäischen Wirtschaftszentren. Bei der Beför-
tionierende Umschlagsplattformen zwischen den         derung versorgungsrelevanter Massengüter dient
Verkehrsträgern sind deshalb von entscheidender       die Schiene oder der Rhein in der Regel zum Über-
Bedeutung. In der Schweiz sind vor allem die          winden grosser Distanzen. Die Feinverteilung erfolgt
Rheinhäfen, die Rangierbahnhöfe und zahlreiche        auf der Strasse.
Umschlagterminals des kombinierten Verkehrs für
einen reibungslosen Güterstrom unerlässlich.

16
4 Gefährdungen
Ereignisse wie Naturkatastrophen, Konflikte in            tausch angewiesen. Bei einem plötzlichen Ausfall
rohstoffreichen Weltregionen sowie grossflächige          der Importe aufgrund einer Krise in Verbindung mit
Ausfälle zentraler Kommunikations-, Logistik- oder        der Einführung von Ausfuhrbeschränkungen durch
Energienetze können die wirtschaftliche Versorgung        die Hauptlieferländer der Schweiz, kann nur kurz-
eines Landes unmittelbar stark beeinträchtigen. So        fristig und bei lebenswichtigen Gütern mit Vorräten
kann ein Ausfall eines marktbeherrschenden Liefe-         kompensiert werden. Ein solches Risiko wird jedoch
ranten wichtiger Grundversorgungsgüter in kurzer          durch die Tatsache begrenzt, dass Lebensmittel oft
Zeit zu weltweiten Versorgungsengpässen führen.           substituierbar sind und der Bezug aus verschie-
Oder eine regionale Naturkatastrophe kann sich            denen Regionen der Welt möglich ist. Ein weiteres
landesweit oder gar global auswirken. Eine stabile        Risiko stellen klimatische oder andere Extremereig-
Elektrizitätsversorgung sowie funktionierende Logis-      nisse dar. Dadurch verursachte Ertragsausfälle oder
tik- und Kommunikationssysteme sind für Unter-            längerdauernde Logistikstörungen können dazu
nehmen, aber auch für private Haushalte essenziell.       führen, dass die WL die Versorgung mittels Import-
Ein längerer Ausfall des Stroms, der Logistik oder        förderung, Umstellung der inländischen Produktion
der IKT würde sämtliche Versorgungsbereiche stark         oder einer Reduktion der Konsummöglichkeiten
in Mitleidenschaft ziehen. Für die WL ist es deshalb      stützen muss.
von zentraler Bedeutung, fundierte Kenntnisse der
Gefährdungen für die Versorgungssicherheit der            Verschiedene, gleichzeitig auftretende Ereignisse
Schweiz zu haben, um sich auf Ereignisse vorbereiten      können eine schwere Mangellage von wenigen
zu können, die weit ausserhalb ihres Einflussbereichs     Wochen bis im Extremfall mehreren Jahren auslö-
ihren Anfang nehmen.                                      sen. Es ist davon auszugehen, dass die Risiken für
                                                          die Lebensmittelversorgung aufgrund international
4.1 Nahrungsmittel                                        steigender Nachfrage und extremerer klimatischer
                                                          Bedingungen weiter zunehmen werden.
Der Verfassungsartikel 104a zur Ernährungssicher-
heit wurde 2017 von den Stimmberechtigten mit             4.2 Erdöl
fast 80 Prozent Jastimmen angenommen. Zur Sicher-
stellung der Versorgung der Bevölkerung mit Lebens-       Anschläge, Kriege sowie extreme Wetterphänomene        Ausland-
mitteln schafft der Bund strukturelle Voraussetzun-       oder ungeplante Betriebsschliessungen können die       abhängigkeit
gen, um die Grundlagen für die landwirtschaftliche        Verfügbarkeit von Mineralölprodukten in Europa         und Störungen
Produktion zu sichern. Dazu gehören insbesondere          und der Schweiz gefährden. Ausfälle von Raffine-       im Transport
das Kulturland, eine standortangepasste und res-          rien, beispielsweise aufgrund von Unfällen oder
sourceneffiziente Lebensmittelproduktion, eine auf        Streiks wirken sich besonders dann negativ auf die
den Markt ausgerichtete Land- und Ernährungs-             Versorgung aus, wenn sie mit Problemen im Logis-
wirtschaft, grenzüberschreitende Handelsbeziehun-         tikbereich einhergehen. Die Logistik wiederum
gen und ein ressourcenschonender Umgang mit               kann etwa durch Schäden an wichtigen Pipelines,
Lebensmitteln. Das eigentliche Ziel ist es, die Lebens-   Einschränkungen der Rheinschifffahrt infolge Hoch-
mittelversorgung langfristig sicherzustellen.             oder Niedrigwasser oder Problemen im Schienen-
                                                          und Strassenverkehr gestört werden. Generell
Das Kulturland ist für die einheimische Produktion        betrachtet ist eher mit einer Verknappung der
von wesentlicher Bedeutung. Wichtig ist auch,             Fertigprodukt-Einfuhren zu rechnen als mit einem
dass inländische Produktionskapazitäten erhalten          weltweiten Rohöl-Engpass. Versorgungsrisiken sind
bleiben, sodass in Krisensituationen eine bedarfs-        daher vor allem ausserordentliche Ereignisse in der
gerechte Anpassung der Produktion möglich ist.            Schweiz oder den Nachbarländern oder eine Kom-
Gleichzeitig ist die Schweiz sowohl für die Inland-       bination von Schadensereignissen in der Versorgungs-
produktion wie auch für die Nahrungsmittelversor-         kette.
gung insgesamt auf den internationalen Güteraus-

17
4.3 Erdgas                                                der Schweizer Transitgas-Pipeline in Wallbach (AG)
                                                                          zusätzliche Kapazitäten geschaffen. Schon die
Klumpenrisiko   Die Schweiz fördert selbst kein Erdgas und ist voll-      Kapazität nur einer TENP Leitung bietet genügend
Transitgas-     ständig auf Importe angewiesen. Die Transitgas-           Leistung, um den Bedarf der Schweiz zu decken.
leitung         Pipeline birgt ein gewisses Klumpenrisiko, da drei        Seit Herbst 2018 ist es dank der Installation des
                Viertel des Schweizer Gasverbrauchs über diese Lei-       Reverse Flow zudem möglich, Gas auch in der um-
                tung eingeführt werden. Ihre zentrale Bedeutung           gekehrten Flussrichtung aus Italien in die Schweiz
                für die Gasversorgung der Nachbarländer garan-            zu importieren. Dadurch konnte die Versorgungs-
                tiert aber gleichzeitig, dass die Einspeisung für die     sicherheit insgesamt erhöht werden. Die Logistik
                ausländischen Erdgaslieferanten auch in Krisen-           der Gasversorgung ist komplex. Konflikte oder
                zeiten interessant bleibt.                                Umwelteinflüsse in Förderländern können die inter-
                                                                          nationale Versorgungskette rasch beeinträchtigen.
                Weil im Winter 2017/2018 eine der beiden Leitungen        Ausfälle von Importen aus einzelnen Produktions-
                der Trans-Europa-Naturgas-Pipeline (TENP) – einer         ländern oder von Infrastrukturen hatten aber bisher
                der wichtigsten transeuropäischen Transportleitungen      keine signifikanten Auswirkungen auf das Gas-
                für Erdgas – ausfiel, wurden am Nordeinspeisepunkt        angebot in Europa oder der Schweiz.

                Abbildung 8: Einspeisung in die Transitgas

                  Einspeisung in die Transitgas

                       Swissgas AG
                       Transitgas AG
                       Übrige Hochdrucknetzbetreiber       Zollmess-Station
                       Einspeisung in Transitgas           Druckreduzier- und Mess-Station
                       Einspeisung in Transitgas aus       Einspeisepunkte
                       Reverse Flow (ab 2017/18)

                (Swissgas, 2020)

                18
4.4 Elektrizität                                        4.5 Trinkwasser

Beschränkte      Die Prozesse in Wirtschaft und Gesellschaft hängen      Eine sichere Versorgung mit Trinkwasser bedarf Herausforderung
Importmöglich-   sehr stark von einer störungsfreien Elektrizitätsver-   einer gut ausgebauten und bewirtschafteten Infra- Nutzungs-
keit und hohe    sorgung ab. Die heutige Versorgung stützt sich auf      struktur zur Gewinnung und Verteilung des Was- konflikte
Netzbelastung    Eigenproduktion, Übertragungsinfrastruktur, Verteil-    sers. Auch in der Schweiz, dem Wasserschloss Euro-
                 netz und Importe. Diese vier Stützen sind verletzlich   pas, kann es zu Störungen der Wasserversorgung
                 gegenüber Umwelteinflüssen wie extremes Wetter          kommen. Die Trockenheitsperioden in den Jahren
                 oder Naturkatastrophen sowie von Menschen ver-          2003, 2015 und 2018 sind Beispiele dafür.
                 ursachten Störungen wie Unfälle oder Sabotage.
                 Bei einer Störung kann wegen den beschränkten           Die Wasserversorgung steht heute im Spannungs-
                 Kapazitäten im Übertragungsnetz nicht beliebig          feld der Landwirtschaft, der Ausdehnung der
                 viel Strom importiert werden. Der Ausbau von            Siedlungsfläche, des Gewässerschutzes und der
                 dezentralen und stochastischen erneuerbaren Ener-       Wasserversorger. Manchmal werden Gewässer-
                 gien – dazu gehören zum Beispiel die Wind- und          schutzzonen nicht rechtskonform ausgeschieden
                 Photovoltaik-Energie – verschärft diese Problematik     und Wasserfassungen müssen aufgrund von Verun-
                 zusätzlich. Es ist zeitlich nicht vorhersehbar, wann    reinigungen aufgegeben werden. Dadurch wird die
                 solche Energie produziert und ins Netz eingespeist      Anzahl hydrologisch unabhängiger Bezugsquellen
                 wird. Diese Art der Stromproduktion bedingt des-        verringert und die Wasserversorgung geschwächt.
                 halb zur Deckung von Verbrauchsspitzen zusätzliche      2019 mussten bereits einzelne Wasserfassungen
                 Speicherkapazitäten, einen reibungslosen interna-       im Mittelland aufgrund von Verunreinigungen ge-
                 tionalen Elektrizitätsaustausch sowie genügend          schlossen werden.
                 Kraftwerksreserven. Sie schafft zusätzliche Redun-
                 danzen für einen Störfall, macht das System aber        4.6 Heilmittel
                 auch komplexer und belastet das Netz stärker. Die
                 Sicherheitsmargen im Schweizer Stromnetz sind           Die Schweiz verfügt über eine leistungsfähige Heil-
                 derweil auf den Normalbetrieb und nicht auf Krisen-     mittelproduktion sowie ein gutes Verteilsystem.
                 situationen ausgerichtet. Der Ausbau erneuerbarer       Dennoch haben in den vergangenen Jahren die
                 Energien kann mittel- bis längerfristig auch ein        Lieferengpässe bei vielen Arzneimitteln zugenom-
                 Potenzial bieten, die Eigenproduktion zu stärken        men. Davon betroffen sind meist nicht innovative
                 und damit die Abhängigkeit von Importen zu redu-        und hochpreisige Produkte, sondern seit langem
                 zieren.                                                 eingeführte, für die medizinische Grundversorgung
                                                                         jedoch unabdingbare Wirkstoffe und Fertigarznei-
                 Durch die erste Stufe der Marktöffnung bei der          mittel. Die Ursachen dieser Versorgungsstörungen
                 Elektrizität ist heute die Verantwortung für die        liegen in einer Konzentration der Produktionsstätten
                 Versorgungssicherheit der Schweiz auf zahlreiche        von Wirkstoffen und Medikamenten in Asien so-
                 verschiedene Akteure verteilt. Deshalb ist eine klare   wie in den stark segmentierten und entsprechend
                 Rollenverteilung zwischen den involvierten Parteien     verletzlichen Logistikketten. Zudem sind teilweise
                 sowie eine abgestimmte Koordination aller Aktivitä-     kaum noch Ausgleichs- bzw. Kompensationsmög-
                 ten zentral. Eine weitere Gefährdung besteht durch      lichkeiten im Markt vorhanden, um Engpässen
                 Cyber-Angriffe auf sogenannte SCADA-Systeme5.           entgegenzuwirken. Marktrückzüge bei älteren Medi-
                 Diese Systeme erlauben dem Benutzer, physische          kamenten der Grundversorgung sowie die ver-
                 Prozesse im Bereich Stromerzeugung, -übertragung        gleichsweise geringe Anzahl inländischer Zulassun-
                 und -verteilung zentral zu überwachen und zu            gen engen das Produktesortiment zusätzlich ein.
                 steuern.                                                Schliesslich haben in den letzten Jahren die inlän-
                                                                         dischen Industriebetriebe und Spitäler viele Infra-

                 19
strukturen zur Verarbeitung von Ausgangsstoffen       Auch führte die Corona-Krise in der Schweiz zu
zu marktfähigen Heilmitteln reduziert. Der Einsatz    Bestrebungen, eine Maskenproduktion vor Ort zu
von Pflichtlagern – teilweise verbunden mit Abgabe-   etablieren, die momentan den Bedarf aber nicht zu
beschränkungen – nimmt deshalb zu. Eine spezielle     decken vermag. Anfangs 2021 lag die monatliche
Herausforderung zeichnet sich auch bei den unspe-     inländische Produktionskapazität bei rund 25 Mio.
zifischen Immunglobulinen6 ab. Die Verfügbarkeit      Hygienemasken (Typ II R) und 2 Mio. Atemschutz-
dieser hochpreisigen Heilmittel ist bereits heute     masken (FFP2). Ob eine inländische Produktion län-
kritisch und in den nächsten Jahren wird der Bedarf   gerfristig aufrechterhalten werden kann, wird unter
aufgrund der demografischen und medizinischen         anderem davon abhängen, inwieweit die Abnehmer
Entwicklungen weiter steigen. Seit 2020 werden        bereit sind, dauerhaft einen gewissen Mehrpreis für
deshalb Pflichtlager aufgebaut.                       inländische Produkte in Kauf zu nehmen. Bei den
                                                      für die Maskenproduktion benötigten Rohstoffen
Im Rahmen der Einführung der Medical Device           wurden die Produktionskapazitäten in Deutschland
Regulation (MDR, 2017) in der EU müssen viele         und anderen europäischen Ländern ausgebaut;
Medizinprodukte neu zertifiziert werden, damit sie    gleichwohl bleibt hier eine gewisse Auslandabhän-
weiterhin rechtmässig verwendet werden dürfen.        gigkeit der Schweiz bestehen. Eine Bevorratung
Viele Firmen werden deshalb voraussichtlich ihr       von Schutzmaterialien in der Schweiz wird deshalb
Produktesortiment aufgrund des steigenden finan-      auch künftig unabdingbar sein. So scheint es prü-
ziellen und administrativen Aufwands für die Zer-     fenswert, die derzeit im Influenza-Pandemieplan
tifizierung einschränken. Hinzu kommt, dass ohne      des BAG (BAG, 2018) hinsichtlich der Pandemievor-
Aktualisierung des zu den Bilateralen I gehörenden    räte festgehaltenen Empfehlungen an die Gesund-
Mutual Recognition Agreements (Schweizerische         heitseinrichtungen durch verbindlichere Auflagen
Eidgenossenschaft, 1999) zwischen der Schweiz und     des Bundes und der Kantone zu ersetzen. Gege-
der EU in Zukunft ein Warenaustausch ohne techni-     benenfalls werden die aufgrund der Empfehlungen
sche Handelshemmnisse von Medizinprodukten nicht      gehaltenen Lager durch zusätzliche Lager zu ergän-
mehr möglich wäre. Dies dürfte die Versorgungs-       zen sein, wobei die Möglichkeiten der wirtschaft-
situation wie auch die Wettbewerbsfähigkeit von in    lichen Landesversorgung dazu nur einen subsidiären
diesem Bereich tätigen Schweizer KMU schwächen.       Beitrag werden leisten können.

Besonders herausgefordert wird die Heilmittel-        In der Schweiz decken fünf grössere Logistikanbieter
versorgung im Pandemiefall. Die Nachfrage nach        rund 80 Prozent der Heilmittelbelieferung von
antiviralen Medikamenten, Schutzmasken, Schutz-       Institutionen des Gesundheitswesens ab. Bei Aus-
handschuhen, Desinfektionsmitteln sowie Anti-         fall eines Lieferanten kompensieren aufgrund einer
biotika zur Bekämpfung von Sekundärinfektionen        Branchenvereinbarung die anderen Firmen dessen
steigt in solchen Fällen rasch und markant an.        Lieferungen. Da es diesen nicht in allen Fällen mög-
Ähnlich wie bei der Wirkstoffproduktion bei den       lich ist, einen Ausfall zu kompensieren, können
Arzneimitteln besteht auch bei den Einweg-Schutz-     lebenswichtige Arzneimittel priorisiert werden.
materialien eine grosse internationale Abhängig-
keit von Lieferanten aus dem asiatischen Raum.
Dies führte in der Corona-Krise dazu, dass sich die
Schweiz dringend benötigtes Material auf einem
bereits weltweit angespannten Markt beschaffen
musste.

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Abbildung 9: Segmentierte Versorgungsketten (fiktives Beispiel)

                                                        3

                                                   7    6
                                                                              1b
                                                            1a
                                             4
                                                  5                       2

                                                                  Sieben Stationen auf dem Weg zum
                                                                  Arzneimittel (fiktives Beispiel zur Illustration
                                                                  der segmentierten Versorgungsketten):
                                                                  1a. Herstellung Komponente A
                                                                  1b. Herstellung Komponente B
                                                                  2. Synthese Wirkstoff
                                                                  3. Galenische Form
                                                                  4. Primärverpackung
                                                                  5. Sekundärverpackung
                                                                  6. Lagerung
                                                                  7. Verkauf in der Schweiz

4.7 Logistik                                            schlag, Distribution, Verzollung etc. Kommt es zu
                                                        einer Störung in einem Teilprozess, zum Beispiel
Logistikprozesse sind in hohem Masse auf die Ver-       durch den Ausfall einer Ressource, kann die ganze
fügbarkeit der verschiedenen Energieträger ange-        Logistikkette unterbrochen werden. Logistikprozesse
wiesen. Für Strassen- und Lufttransporte sind insbe-    hängen zudem meist von der Verfügbarkeit von
sondere Treibstoffe eine unabdingbare Ressource.        Fachkräften wie zum Beispiel Lokführern ab. Ein
Bei Störungen der Stromversorgung können die            vorübergehender Personalmangel aufgrund einer
Transporte auf der Schiene nicht mehr durchgeführt      Pandemie kann den gesamten Prozess aus dem
und Strassentransporte wegen dem Ausfall von Sig-       Takt bringen.
nalanlagen oder Sperrungen von Tunnels behindert
werden. Zudem sind die Lager- und Umschlags-            Das Transportvolumen nimmt langfristig zu. Per-
logistik, insbesondere aber auch Tankstellen, auf       sonen- und Güterverkehr teilen sich oft dieselben
Strom angewiesen. Massengüter wie beispielsweise        Infrastrukturen, welche einer zunehmenden Belas-
Mineralölprodukte, Futtermittel oder Dünger werden      tung standhalten müssen. Diese Entwicklung kann
zu einem grossen Teil über den Rhein importiert.        das Ausfallrisiko der Verkehrsträger erhöhen.
Hoch- und mehr noch Niedrigwasser können die
dafür nötige Kapazität massiv beeinträchtigen.          Bei komplexen Logistikprozessen kommen unter-
                                                        schiedliche Verkehrsträger über Landesgrenzen
Das Just-In-Time-Prinzip bedingt effiziente Logistik-   hinaus zum Einsatz, wobei mehrere Unternehmen
und Transportprozesse, welche wiederum das stö-         an der Beförderung beteiligt sind. Die Planung
rungsfreie Funktionieren jedes Glieds der Versor-       und Durchführung funktionieren heute nur dank
gungskette voraussetzen. Damit besteht eine grosse      den sie unterstützenden Informations- und Kom-
Abhängigkeit von Teilprozessen wie Produktion,          munikationsinfrastrukturen. Effizienzsteigerungen,
Beschaffung, Lagerhaltung, Kommissionierung, Um-        Rückverfolgbarkeit und jederzeitige Verfügbarkeit

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von Gütern führen zu hohen Anforderungen an                Menschliches Versagen:
die IKT-Systeme. Neben dem Ausfall der Energie-
versorgung stellt dementsprechend der Ausfall der          IKT-Dienste sind durch vielfältige Arten von mensch-
IKT-Dienstleistungen das grösste Risiko für den Ver-       lichem Versagen gefährdet. Beispielsweise kann ein
sorgungsprozess Logistik dar.                              System durch Einspielen eines fehlerhaften Updates
                                                           ausfallen, genauso wie durch das irrtümliche Löschen
4.8 IKT                                                    von Dateien oder Software-Komponenten. Mensch-
                                                           liches Versagen kann aber auch erst zu einem spä-
Informatik- und Telekommunikationssysteme sind             teren Zeitpunkt relevant werden, wenn etwa Fehler
selbst eine kritische Infrastruktur, die für die Sicher-   im Quellcode von Software unentdeckt bleiben.
heit der Bevölkerung – so etwa für Notrufe oder
Krisenkommunikation – sowie die Funktionsfähig-            Cyberangriffe:
keit von Wirtschaft und Staat unabdingbar gewor-
den sind. Gleichzeitig stellt die Verfügbarkeit von        Stark gewachsen ist die Gefährdung durch Cyber-
IKT-Dienstleistungen auch eine kritische Ressource         angriffe. Cyberangriffe können politisch-ideologisch,
für die übrigen Versorgungsprozesse der Landes-            finanziell, terroristisch, machtpolitisch, nachrichten-
versorgung wie etwa die Stromversorgung, die               dienstlich oder militärisch motiviert sein. Sie gefähr-
Logistikprozesse oder den Zahlungsverkehr dar.             den potenziell die Vertraulichkeit von Daten sowie
                                                           die Integrität und die Verfügbarkeit von Daten und
Die Verfügbarkeit kritischer IKT-Dienstleistungen ist      Systemen. Wird ein kritisches System beispielsweise
heute durch vielfältige Gefährdungen bedroht:              von Schadsoftware befallen, die Daten verschlüsselt,
                                                           um damit Lösegeld zu erpressen (sogenannte Ransom-
Physische Gefährdungen:                                    ware-Angriffe), ist die Verfügbarkeit der Daten nicht
                                                           mehr gewährleistet.
IKT-Dienste bauen auf physischer Infrastruktur auf.
Dazu zählen insbesondere Rechenzentren, Daten-             Systemische und politische Risiken:
leitungen und Mobilfunksendeanlagen. Diese phy-
sischen Infrastrukturelemente können etwa durch            Bei Informatiksystemen besteht sowohl bei Hard-
Elementarereignisse wie Stürme, Überschwemmun-             als auch bei Software eine grosse Abhängigkeit von
gen, Blitzschlag oder Erdrutsche beschädigt werden.        einer relativ kleinen Anzahl von Herstellerfirmen.
Auch unbeabsichtigte physische Beschädigungen,             Insbesondere Windows-Systeme von Microsoft wer-
beispielsweise das Durchtrennen von Datenleitun-           den von fast allen Unternehmen eingesetzt. Damit
gen bei Bauarbeiten, kommen regelmässig vor. Bei           besteht das Risiko, dass beispielsweise Software-
Informatiksystemen, die Industrieprozesse überwa-          fehler gleichzeitig für eine grosse Anzahl von Unter-
chen oder steuern, gehören auch Sensoren zu den            nehmen zum Problem werden. IKT-Hardware wird
kritischen, physisch gefährdeten IKT-Elementen.            hauptsächlich in Asien produziert, insbesondere in
                                                           China. Die Mehrheit der führenden Softwarepro-
Ausfall der Stromversorgung:                               duzenten stammt aus den USA (Microsoft, Apple,
                                                           Google, Oracle usw.). Eine Ausnahme bildet das
Bei der Verfügbarkeit kritischer IKT-Dienstleistungen      deutsche Unternehmen SAP. Die führenden Anbieter
besteht eine grosse Interdependenz mit der Strom-          von Cloud-Lösungen sind mit Amazon, Microsoft
versorgung. Ein Ausfall der Stromversorgung ist            und Google ebenfalls US-amerikanisch.
eine zentrale Gefährdung für die Versorgung mit
IKT-Diensten. Dies gilt auch umgekehrt: Ohne
IKT-Dienste ist insbesondere die Steuerung der Ver-
teilung von elektrischem Strom nicht denkbar.

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