Bericht zur wirtschaftlichen Landesversorgung 2017-2020
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Vorwort Vor Ihnen liegt der Bericht zur wirtschaftlichen Die von der wirtschaftlichen Landesversorgung Landesversorgung der Jahre 2017 bis 2020. Bei (WL) eingesetzten Instrumente lassen sich in zwei der Redaktion des Textes dominierten die Gescheh- Gruppen einteilen. Einerseits erlaubte die stra- nisse des Jahres 2020 unsere Gedanken. Die tegische Vorratshaltung, Lager freizugeben und COVID-19-Pandemie stellte alles andere in den den Markt mit lebenswichtigen Waren zu alimen- Schatten. Die Bevölkerung stand vor immensen tieren. Anderseits konnte die WL die Wirtschaft privaten und beruflichen Herausforderungen. unterstützen, indem sie ihr mittels verschiedener Wenn das öffentliche Leben teilweise stillsteht, Bewirtschaftungsmassnahmen ermöglichte, die Betriebe vorübergehend schliessen und persön- vorhandenen Ressourcen möglichst optimal zur liche Kontakte möglichst zu vermeiden sind, wird Krisenbewältigung einzusetzen. So schränkte sie vieles, was bisher selbstverständlich war, in Frage beispielsweise die Abgabe von knappen Arznei- gestellt. Lange war unser Alltag kaum wieder- mitteln ein, sorgte mit zielgerichteten Massnahmen zuerkennen. für die Aufrechterhaltung von Transportkapazitäten und schaffte mit einer Freigabe von Pflichtlagern Das Risiko insbesondere einer Influenza-Pandemie ein zusätzliches Angebot an lebenswichtigen Anti- ist allgemein bekannt. Das Bundesamt für Bevöl- infektiva. Vieles funktionierte gut. Es zeigten sich kerungsschutz bezeichnet in seiner Analyse eine aber auch Lücken in unserer Krisenvorbereitung. Pandemie denn auch als das grösste gesellschaft- Diese Lücken gilt es nun zu schliessen. liche Risiko. Doch die gegenüber den Szenarien harmlosen Verläufe der vergangenen pandemischen Bei der periodischen Überprüfung der Vorrats- Ereignisse – Vogelgrippe, Schweinegrippe – liessen haltung müssen neben den Erkenntnissen aus uns teilweise in falscher Sicherheit wiegen. Die vergangenen Jahren auch die Erfahrungen aus hohe Geschwindigkeit, mit der sich das Virus ab der COVID-19-Krise mitberücksichtigt werden. Februar 2020 weltweit ausbreitete, überraschte Die Einführung einer Pflichtlagerhaltung von die meisten. Als sich die Pandemie wahrhaftig Ethanol wurde bereits 2020 in Angriff genommen; manifestierte, zeigte sich, wie wichtig vorbereitete ab 2021 erfolgen Anpassungen im Bereich der Instrumente zur Krisenbewältigung sind. Nahrungsmittel. Die Heilmittelpflichtlager werden im Rahmen der Pandemieaufarbeitung neu zu beurteilen sein. Gleichzeitig sind aber auch Resilienz-
massnahmen zu fördern, um die zunehmend Der vorliegende Bericht fasst die zentralen Akti- wichtigen Dienstleistungen wie die Logistik oder vitäten der WL in den vergangenen vier Jahren die IKT in einer Krise besser stützen zu können. zusammen und zeigt die anstehenden Heraus- Versorgungssicherheit ist jedoch nicht gratis. forderungen auf. In der Berichtsperiode von Wie bei einer privaten Versicherung geht jede 2017–2020 hat die WL die Gefährdungen der zusätzliche Absicherung einher mit einer höheren Versorgungsprozesse neu evaluiert, ihre strate- Prämienrechnung. Die Sensibilität für die Vorsorge- gische Ausrichtung vertieft überprüft sowie ihre thematik und Bereitschaft, diese Rechnung zu Instrumente und Massnahmen bezüglich Wirk- bezahlen, dürfte in Anbetracht der besonderen samkeit und Einsatzbereitschaft analysiert. In Umstände in 2020 gestiegen sein. einem separaten Kapitel werden die Arbeiten der WL im Zusammenhang mit der COVID-19- Damit die WL ihre Aufgaben auch künftig möglichst Pandemie zusammengefasst. Die Lehren daraus gezielt angehen und auf die immer verletzlichere sowie die raschen Veränderungen der wirtschaft- Gesellschaft ausrichten kann, ist das Zusammen- lichen, gesellschaftlichen, technologischen und wirken von Privatwirtschaft und Staat möglichst klimatischen Rahmenbedingungen werden die effizient und effektiv zu gestalten. Eine 2020 im Arbeiten der WL in den kommenden Jahren Auftrag des WBF durchgeführte Administrativ- nachhaltig prägen. Eine erste Analyse der Auswir- untersuchung zur Führungs- und Organisations- kungen wird mit der zu überarbeitenden Gefähr- struktur der WL hat ergeben, dass sich die heutige dungsanalyse 2021 erfolgen. Struktur der wirtschaftlichen Landesversorgung grundsätzlich bewährt hat und beibehalten Werner Meier werden soll. Aufbauend auf den Empfehlungen Delegierter für wirtschaftliche Landesversorgung dieser Untersuchung werden 2021 insbesondere das Optimierungspotenzial in den Führungs- und Bern, im März 2021 Organisationsstrukturen der WL und des BWL eingehender geprüft und danach gegebenenfalls angepasst. Der Bundesrat hat den «Bericht zur wirtschaftlichen Landesversorgung 2017–2020» am 19. Mai 2021 zur Kenntnis genommen.
Inhalt 1 Ausgangslage 5 6 Intensivierung der Zusammenarbeit mit den Kantonen 41 2 Auftrag und Strategie 6 2.1 Auftrag der wirtschaftlichen 7 Internationale Zusammenarbeit 42 Landesversorgung 6 2.2 Strategie 7 8 Bekämpfung des Coronavirus (COVID-19) 43 3 Versorgungslage Schweiz 9 8.1 Nahrungsmittel 43 8.2 Energie 43 4 Gefährdungen 17 8.3 Heilmittel 43 4.1 Nahrungsmittel 17 8.4 Informations- und Kommunikations- 4.2 Erdöl 17 technologien 45 4.3 Erdgas 18 8.5 Industrie 45 4.4 Elektrizität 19 8.6 Logistik 46 4.5 Trinkwasser 19 8.7 Kantone und Kommunikation 46 4.6 Heilmittel 19 8.8 Lehren aus der Pandemie, 4.7 Logistik 21 weiteres Vorgehen 47 4.8 IKT 22 4.9 Interventionen der WL 2017–2020 23 9 Entwicklung der WL 48 9.1 Megatrends 48 5 Instrumente und Massnahmen 24 9.2 Künftige Stossrichtungen der WL 49 5.1 Instrumente zur systematischen Erfassung der Versorgungslage 24 10 Anhang 51 5.2 Sicherstellung der Stromversorgung 26 10.1 Organisation der wirtschaftlichen 5.3 Sicherstellung der Informations- und Landesversorgung 51 Kommunikationstechnologien 27 10.2 Ergänzende Daten zur Vorratshaltung 52 5.4 Sicherstellung der Logistik 28 10.3 Massnahmenübersicht 53 5.5 Vorratshaltung 30 10.4 Quellenverzeichnis 54 5.6 Bezüge aus Pflichtlagern 35 10.5 Abbildungsverzeichnis 56 5.7 Importerleichterungen 36 10.6 Abkürzungsverzeichnis 57 5.8 Produktionslenkung 37 10.7 Anmerkungen 58 5.9 Verbrauchseinschränkungen 37 5.10 Trinkwasserversorgung in Notlagen 39 5.11 Sicherstellung industrieller Güter in Notlagen 39 5.12 Zahlungsverkehr in Notlagen 40 4
1 Ausgangslage Aufgabe Die wirtschaftliche Landesversorgung (WL) sorgt Dieser Strategieprozess beginnt im ersten Jahr mit der Landes- dafür, dass Versorgungsstörungen und -engpässe, einer umfassenden Gefährdungs- und Verwund- versorgung die von der Wirtschaft selbst nicht bewältigt wer- barkeitsanalyse als Basis für die im zweiten Jahr den können, für die Schweiz möglichst geringe erfolgende Überprüfung der strategischen Ausrich- negative Auswirkungen haben. Zu diesem Zweck tung der WL. Danach werden im dritten Jahr die trifft die WL Massnahmen, um im Krisenfall die Ver- Massnahmen und Instrumente hinsichtlich der stra- fügbarkeit wichtiger Güter und Dienstleistungen tegischen Ausrichtung auf ihre Zweckmässigkeit sicherzustellen, welche für die Wirtschaft unent- und Umsetzbarkeit untersucht, bevor der Strategie- behrlich oder für die Bevölkerung lebenswichtig prozess im vierten Jahr mit dem Bericht zur WL sind. Dazu gehören neben gewissen Grundnah- abgeschlossen wird. rungsmitteln, Energieträgern und Heilmitteln insbe- sondere Versorgungsinfrastrukturen wie die Logistik, die Energienetze und die Informations- und Kom- Abbildung 1: Strategieprozess der WL munikationstechnologien sowie die darauf basie- renden Dienstleistungen. Die Sicherstellung dieser versorgungsrelevanten Güter, Infrastrukturen und Gefährdungsanalyse Dienstleistungen setzt von Seiten der WL effektive Instrumente zur Krisenvorsorge und -bewältigung voraus. Die vorbereiteten Massnahmen müssen umsetzbar und auf die aktuellen Herausforderungen ausgerichtet sein. Bericht zur Überprüfung der wirtschaftlichen Strategie Landesversorgung Zweck des Der vorliegende Bericht zeigt auf, wie die WL den Berichts sich stets ändernden Rahmenbedingungen für die Versorgung begegnet. Er liefert einen Rückblick auf die zentralen Aktivitäten der WL in den vergan- genen vier Jahren, einen Überblick über den aktu- ellen Vorbereitungsstand sowie einen Ausblick auf Überprüfung der Massnahmen die anstehenden Herausforderungen. Der Bericht wird jeweils im Rahmen des vierjährigen Strategie- prozesses der wirtschaftlichen Landesversorgung aktualisiert. 5
2 Auftrag und Strategie 2.1 Auftrag der wirtschaftlichen Das hohe Tempo der heutigen wirtschaftlichen Dynamisierung Landesversorgung Abläufe verlangt, dass bei Versorgungsstörungen rasch reagiert werden kann. Die WL interveniert Auftrag der WL Im Artikel 102 der Bundesverfassung ist festge- deshalb bereits, wenn sich eine schwerwiegende halten, dass der Bund die Versorgung des Landes Versorgungsstörung unmittelbar anbahnt. Das mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen Kriterium für den Einsatz von WL-Massnahmen sicherstellt, wenn die Wirtschaft in einer Mangel- ist eine eingetretene oder unmittelbar drohende lage dies selbst nicht mehr kann. Er bereitet Mass- schwere Mangellage, welche die Wirtschaft selber nahmen vor, die er bei Bedarf einsetzen kann. nicht mehr ausreichend bewältigen kann. Diese Massnahmen dürfen, soweit notwendig, vom Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit abweichen. Gezielte Vorbereitungsmassnahmen tragen dazu bei, Stärkung der lebenswichtige Versorgungssysteme und kritische Widerstands- Die WL fokussiert sich auf Güter und Dienstleistun- Infrastrukturen im Hinblick auf Krisensituationen fähigkeit gen, die für Wirtschaft oder Bevölkerung lebens- widerstandsfähiger zu machen. Die Massnahmen wichtig sind. Diese hängen ab von der Verfügbarkeit sind auf die Bedürfnisse der Volkswirtschaft ausge- von bestimmten Ressourcen wie Werkstoffen oder richtet. In bestimmten Bereichen, die aus Sicht der Arbeitskräften. Eine ausreichende Güterversorgung Landesversorgung als besonders kritisch eingestuft kann nur sichergestellt werden, wenn für die Pro- werden, besteht zudem die Möglichkeit, Betriebe duktions- und Versorgungsprozesse der Wirtschaft zu vorsorglichen Massnahmen zu verpflichten. auch essenzielle Grundleistungen wie Stromversor- gung, Information und Telekommunikation sowie Logistik zur Verfügung stehen. Die wichtigsten Rechtsgrundlagen: Im Falle eines Versorgungsengpasses unterstützt Artikel 102 der Bundesverfassung: die WL mit gezielten Massnahmen die Wirtschaft, damit diese entstandene Versorgungslücken zu 1 Der Bund stellt die Versorgung des Landes schliessen vermag. Der Umfang einer Intervention mit lebenswichtigen Gütern und Diensleistungen hängt von der voraussichtlichen Dauer und dem sicher für den Fall machtpolitischer oder erwarteten Ausmass einer Unterversorgung ab. Der kriegerischer Bedrohungen sowie in schweren Fokus liegt auf der Behebung von kurz- und mit- Mangellagen, denen die Wirtschaft nicht telfristigen Versorgungsstörungen. Die langfristige selbst zu begegnen vermag. Er trifft vorsorgliche Sicherstellung der Versorgung der Schweiz durch Massnahmen. strukturpolitische Massnahmen liegt hingegen 2 Er kann nötigenfalls vom Grundsatz der nicht im Aufgabenbereich der WL, sondern in der Wirtschaftsfreiheit abweichen. Verantwortung der zuständigen Bundesämter und Departemente. Ebenfalls stellt ein abrupter Mehr- Bundesgesetz über die wirtschaftliche bedarf, zum Beispiel aufgrund einer Pandemie, Landesversorgung (SR 531) einen Ausnahmefall dar, zu dessen Bewältigung die Landesversorgung nur einen subsidiären Beitrag Verordnung über die wirtschaftliche leisten kann. Landesversorgung (SR 531.11) Eine vollständige Übersicht findet sich unter: Primat der Die Versorgung des Landes mit Gütern und Dienst- www.admin.ch/ch/d/sr/53.html Wirtschaft leistungen ist grundsätzlich Sache der Wirtschaft. Die WL agiert nur subsidiär und greift erst dann unterstützend und koordinierend ein, wenn die Wirtschaftsakteure ihre Versorgungsfunktion nicht mehr selber wahrnehmen können. 6
Abbildung 2: Versorgungsziele der WL Schwere Vorsorgephase Mangellage, Interventionsphase welcher die Stärkung der Wirtschaft Widerstandsfähigkeit nicht selber Stufe A Überbrückung von Teilausfällen der Versorgungsprozesse zu begegnen vermag Stärkung der Eigenverantwortung Stufe B Versorgung mit Einschränkungen Angemessene Vorbereitung auf schwere Mangellagen Versorgung auf reduziertem Stufe C Niveau 2.2 Strategie und die Bevölkerung, damit diese ihrer Verant- wortung betreffend der Krisenvorsorge gerecht Die WL hat 2018 ihre strategische Ausrichtung ein- werden. Zudem entwickelt die WL in enger Zusam- gehend überprüft und angepasst, damit der im LVG menarbeit mit Unternehmen und Branchenverbän- festgeschriebene Auftrag weiterhin den aktuellen den Massnahmen zur Verbesserung der Resilienz. In Erfordernissen entsprechend erfüllt werden kann der Vorsorgephase bereitet die WL zudem geeignete (BWL, 01.12.2018). Massnahmen im Hinblick auf die Interventionsphase vor. Dabei stimmt sie sich auch mit ähnlich gelager- Die WL konzentriert sich auf die Sicherstellung ten Arbeiten anderer Behörden, wie zum Beispiel der Versorgung mit lebenswichtigen Gütern und denjenigen zum Schutz kritischer Infrastrukturen, Dienstleistungen auf den Gebieten Lebensmittel, ab. Auf Gesuch der Branche beantragt die WL beim Energie, Heilmittel, Logistik und IKT. Für alle Ver- Vorsteher WBF die Inkraftsetzung geeigneter Mass- sorgungsprozesse lässt sich die Strategie in eine nahmen. Dabei kommen keine Automatismen zum Vorsorge- und Interventionsphase unterteilen (vgl. Zuge. Der Bundesrat entscheidet situativ über Ein- Abbildung 2). griffe des Staates in den Markt. Die Strategie der WL konkretisiert die Versorgungs- Die Interventionsphase ist in drei Stufen aufgeteilt. Interventions- ziele für lebenswichtige Güter und Dienstleistungen Abhängig vom Schweregrad des Versorgungseng- phase (Lebensmittel, Energie, Heilmittel, Logistik und IKT) passes stehen andere Massnahmen zur Verfügung. und bestimmt jeweils Ziele für die Vorsorgephase Je schwerwiegender sich ein Versorgungsengpass sowie die einzelnen Interventionsstufen. Generelle auswirkt, desto einschneidender sind die Instrumente Absicht ist, soweit wie möglich in der jeweils tiefst und die Eingriffe in die Wirtschaft. möglichen Interventionsstufe zu verbleiben und staatliche Eingriffe getreu dem Subsidiaritätsprinzip In Stufe A (vgl. Abbildung 2: Versorgungsziele der so gering wie möglich zu halten. WL) wird die Versorgung durch Überbrückung von Teilausfällen gewährleistet. In Stufe B besteht das Vorsorgephase Das generelle Versorgungsziel der WL in der Vor- Ziel darin, die Versorgung durch Massnahmen wie sorgephase ist die Stärkung der Widerstandsfähigkeit Angebots- und Verbrauchslenkung sicherzustellen. der Versorgungsprozesse. Hierzu sensibilisiert und unterstützt die WL die versorgungsrelevanten Akteure 7
In Stufe C wird angestrebt, eine entsprechend den stammen muss. Er leitet nebenamtlich die Gesamt- gegebenen Umständen noch mögliche Versorgung organisation der WL. Rund 250 Expertinnen und des Landes mit lebenswichtigen Gütern und Dienst- Experten aller versorgungsrelevanten Branchen der leistungen auf reduziertem Niveau aufrechtzuer- Schweizer Wirtschaft, aber auch Vertreterinnen halten. und Vertreter aus anderen Bundesämtern und Organisationen sind in die verschiedenen Bereiche Ist die Mangellage überstanden, so werden die der WL eingebunden. Sie bringen ihr Fachwissen Interventionen in geordneter Art und Weise wieder und ihre Netzwerke ein, tauschen sich über die beendet. Wo nötig und angebracht muss sich die aktuelle Versorgungslage aus und beteiligen sich WL auch in dieser Phase engagieren, um den Nor- an der Vorbereitung und Umsetzung von Massnah- malbetrieb wiederherzustellen. Die Kommunikation men. Unterstützt und koordiniert werden sie vom und Koordination mit den betroffenen Branchen BWL, das die staatliche Seite in diesem Koopera- und den zuständigen Fachämtern stehen dabei im tionsmodell vertritt. Der Vollzug von hoheitlichen Zentrum. Massnahmen kann unter bestimmten Vorausset- zungen an einzelne Branchen oder Branchenorga- Ganzheitlicher Die WL ist intersektoriell tätig; sie koordiniert die nisationen übertragen werden. Fokus Vorsorgemassnahmen zwischen den verschiedenen Wirtschaftssektoren. Dabei fokussiert sie sich auf Das BWL arbeitet insbesondere bei der Krisenvor- Zusammenarbeit die Stabilität des Gesamtsystems. Damit die Ver- bereitung von Massnahmen mit Fachleuten und mit Kantonen sorgung des Landes in einer schweren Mangellage Vertreterinnen und Vertretern aus den Kantonen und Gemeinden sichergestellt ist, müssen auch die dazu erforder- und Gemeinden zusammen. Es koordiniert die lichen Infrastrukturen und Dienstleistungen verfügbar Krisenvorsorge zwischen den verschiedenen Stellen sein. Dazu gehören zum Beispiel Logistiksysteme der öffentlichen Verwaltung. für den Gütertransport, Informations- und Kom- munikationsinfrastrukturen für den Informations- Der Fokus der WL liegt auf der Inlandversorgung. Internationale austausch zwischen den Wirtschaftsakteuren oder Dabei darf aber nicht vergessen gehen, dass auch Zusammenarbeit Stromnetze für die Übertragung elektrischer Ener- die internationale Kooperation für die Versorgungs- gie. Die WL konzentriert sich bei ihrer Arbeit auf sicherheit der importabhängigen, globalisierten diese Schnittstellen zwischen den zentralen Ver- Schweizer Volkswirtschaft von zentraler Bedeutung sorgungsprozessen und deren Ressourcen. ist. Deshalb pflegt die WL einen Informations- und Erfahrungsaustausch mit anderen Staaten und Zusammenarbeit Zur Umsetzung der Strategie arbeiten Wirtschaft internationalen Organisationen, zum Beispiel mit zwischen Staat und Staat eng zusammen. Die Wirtschaft spielt so- der Internationalen Energieagentur oder den zivilen und Wirtschaft wohl bei der Vorsorge als auch bei der Bewältigung NATO-Gremien im Rahmen der Partnerschaft für von schweren Mangellagen die zentrale Rolle. den Frieden. Hoheitliche Massnahmen seitens der WL gelangen nur subsidiär zum Einsatz. Im Ereignisfall kann und will die WL die Wirtschaft nicht ersetzen, sondern unterstützt sie lediglich so lange, bis sie ihren Ver- sorgungsauftrag wieder selbstständig erfüllen kann. Die Koordination der WL-Massnahmen erfolgt durch den Delegierten für wirtschaftliche Landes- versorgung, welcher per Gesetz aus der Wirtschaft 8
3 Versorgungslage Schweiz Die heutige Versorgungslage der Schweiz ist gut. abhängiger von Stromimporten. Vor allem im Winter Dabei darf aber nicht ausser Acht gelassen werden, kann die Spitzenlast nur ungenügend durch die dass in den letzten Jahren die Versorgungsrisiken inländische Produktion gedeckt werden, da der und versorgungsrelevanten Ereignisse zugenommen Stromverbrauch in dieser Jahreszeit höher, die Pro- haben. So ist die Schweiz stark von einer reibungs- duktion der Wasserkraftwerke jedoch tiefer ist. los funktionierenden Logistik abhängig. Dies zeigte Bei den Heilmitteln machen weltweite Unter- sich etwa im Herbst 2018, als die Rheinschifffahrt nehmensfusionen, der Preisdruck bei nicht mehr wegen des tiefen Wasserstands fast zum Erliegen patentgeschützten Produkten, der Marktrückzug kam und die übrigen Verkehrsträger nicht in der von Produkten sowie die Zentralisierung und Ver- Lage waren, die Transporte vollumfänglich zu kom- lagerung von Produktionszentren nach Asien ins- pensieren. Der Bund sah sich deshalb veranlasst, besondere die Grundversorgung verletzlicher. Der Mineralöl- und Dünger-Pflichtlager einzusetzen. Auch während der COVID-19-Pandemie erhöhte Bedarf im Frühling 2020 stützte der Bund während der an gewissen Arzneimitteln sowie Medizin- und COVID-19-Pandemie die inländische Logistik mit Hygieneprodukten war exemplarisch für diese Pro- kapazitätssteigernden Massnahmen. blematik. In der Logistik spielen IKT-Systeme eine immer wichtigere Rolle; wenn sie breitflächig aus- Im Bereich der Elektrizität erhöht sich durch den fallen, drohen abrupt eintretende Versorgungs- vermehrten Einsatz von erneuerbaren Energien und störungen. Sämtliche Versorgungsprozesse hängen der damit verbundenen dezentralen Produktion die stark von den Querschnittsfunktionen Logistik und Komplexität und damit auch die Verletzlichkeit einer Energieversorgung ab. sicheren Stromversorgung. Mit der definitiven Abschaltung des Kernkraftwerks Mühleberg im Dezember 2019 wurde die Schweiz zudem noch 9
Nahrungsmittel Die inländische Produktion wird durch Importe ergänzt. Importiert werden unter anderem Grund- Nahrungsmittel- Seit Anfang des 20. Jahrhunderts ist die Wohnbe- nahrungsmittel wie Hartweizen, Reis oder Futter- Eigenversor- völkerung der Schweiz um den Faktor 2,7 auf über mittel. Bei schlechten inländischen Ernten werden gungsgrad von 8,6 Millionen angewachsen. Gleichzeitig wurde die auch weitere Fehlmengen durch zusätzliche Importe rund 60% Nahrungsmittelproduktion dank technischem und abgedeckt. Ebenfalls importiert werden müssen züchterischem Fortschritt gesteigert. Die Produk- viele Produktionsmittel, welche für die inländische tion findet hingegen auf immer weniger Fläche Produktion nötig sind. Die Kombination von inlän- statt. Zwischen 1985 und 2009 gingen 850 km2 discher Produktion und Importen ist deshalb unab- (-5,4 Prozent) der Land- und Alpwirtschaftsflächen dingbar für eine gute Versorgung der Schweiz mit verloren (BFS, 2020). Die Schweiz gehört somit zu Nahrungsmitteln. den europäischen Ländern mit der geringsten land- wirtschaftlichen Nutzfläche pro Person (vgl. Abbil- dung 3). Der durchschnittliche Brutto-Nahrungsmittel- selbstversorgungsgrad veränderte sich in den letzten 20 Jahren deshalb kaum und liegt bei rund 60 Prozent. Die Versorgungslage bei den Nahrungs- mitteln ist in der Schweiz sehr gut. Abbildung 3: Landwirtschaftsfläche pro Einwohner 105 100 100 Natürliche Weiden 94 90 davon Bio Naturwiesen 80 76 71 70 davon Brachen 69 davon Kunstwiesen 58 Aren/Person 60 davon Bio 55 56 Ackerfläche und Dauerkulturen 50 44 46 41 40 Zahl unten: Landwirtschaftsfläche 38 36 des Landes total in Mio. ha 33 35 35 29 30 30 30 26 20 20 22 20 18 18 11 11 12 10 2 3 0 0.0 4.4 1.8 0.1 1.4 1.5 1.0 16.6 12.4 0.1 17.4 0.6 2.7 3.0 3.5 1.9 3.6 1.5 14.5 2.3 28.7 2.6 5.3 26.2 6.1 13.4 5.0 1.0 4.5 1.9 2.9 Malta Japan Niederlande Zypern Belgien Schweiz Norwegen Deutschland Italien Luxemburg Grossbritannien Slowenien Österreich Schweden Tschechien Slowakei Portugal Kroatien Polen Finnland Frankreich Dänemark Ungarn Spanien Griechenland Rumänien Bulgarien Estland Irland Lettland Litauen (FAO, 2020) 10
Energie Mit einem Anteil von knapp 50 Prozent am End- energieverbrauch ist Erdöl jedoch nach wie vor der Erdöl: Der Erdölbedarf der Schweiz liegt per 2019 bei wichtigste Energieträger der schweizerischen Ener- diversifizierte rund 10 Mio. Tonnen, was ungefähr 2 Promille des gieversorgung (vgl. Abbildung 4). Er kann in vielen Importe weltweiten Erdölbedarfs ausmacht. Im Gegensatz Anwendungsbereichen nicht innert nützlicher Frist zur weltweiten Entwicklung ist der Erdölverbrauch durch andere Energieträger ersetzt werden. Dies in der Schweiz seit Jahren vor allem wegen des macht Erdöl aus versorgungspolitischer Sicht zu sinkenden Heizölverbrauchs leicht rückläufig. Der einem wichtigen Gut. Die Schweiz verfügt über Absatz an Heizöl hat sich seit dem Jahr 2000 un- keine eigenen Erdölvorkommen und ist zu 100 gefähr halbiert. Gründe dafür sind die Verwendung Prozent importabhängig. Hinzu kommt, dass sich von alternativen Heizsystemen, verbesserte Gebäude- viele Ölfelder in politisch instabilen Weltregionen isolationen und die Reduktion der Heizgradtage befinden. infolge milderer Durchschnittstemperaturen. Abbildung 4: Aufteilung des Endverbrauchs nach Energieträgern (2019) Erdölbrennstoffe 12,7 % 13,5 % Treibstoffe Elektrizität 13,8 % Gas Rest 35,3 % 24,7 % (BFE, 2020) 11
Abbildung 5: Energiekennzahlen Schweiz 2019 Erdölimporte der Schweiz 2019 Erdgasimporte der Schweiz 2019 Rohöl nach Herkunft nach Förderländern Afrika 59,7 % EU 15 % Asien/Ozeanien 28,8 % Russland 53 % Amerika 10,5 % Norwegen 27 % Übrige Länder Europa 1,1 % Sonstige 5% Total t 2‘738’910 t nach Herkunft gemäss Sitz Fertigprodukte nach Herkunft der Liefergesellschaft Deutschland 46,8 % Deutschland 72 % Frankreich 13,6 % Niederlande 2% Belgien 13,4 % Frankreich 23 % Italien 8,0 % Italien 3% Niederlande 16,5 % Importe Erdgas total 37,85 TWh Übrige Länder 1,6 % (gazenergie, 2020) Total t 8’190’808 t Importe Rohöl und Fertigprodukte in die Schweiz, nach Verkehrsträgern Pipeline 34,7 % Elektrizitätsverkehr der Schweiz Schiene 32,3 % mit dem Ausland 2019 Schifffahrt 26,2 % Strasse 6,8 % Einfuhr-/Ausfuhr-Saldo, TWh vertragliche Werte (Avenergy, 2020) Frankreich Schweiz 12,9 Österreich Schweiz 2,0 Schweiz Deutschland 0,6 Schweiz Italien 20,4 Importe total 30,3 Exporte total 36,5 Einfuhr-/Ausfuhr-Saldo -6,2 (BFE, 2019) Die Versorgung der Schweiz mit Erdöl erfolgt aus Zentralasien. Die Einfuhr des Rohöls erfolgt ab dem verschiedensten Bezugsquellen sowohl in Form von Mittelmeerhafen Fos-sur-Mer bei Marseille über verbrauchsfertigen Mineralölprodukten als auch eine Pipeline. Die bereits verarbeitet in die Schweiz von Rohöl. Eine Diversifikation der Quellen und importierten Mineralölprodukte stammen haupt- Transportwege reduziert das Risiko eines Versor- sächlich aus Raffinerien in der Europäischen Union gungsengpasses. Das Rohöl wird in der einzigen (vgl. Abbildung 5). Diese Raffinerien wiederum noch betriebenen Schweizer Raffinerie in Cressier beziehen ihr Rohöl derzeit hauptsächlich aus der (NE) zu Fertigprodukten verarbeitet. Die Raffinerie Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), dem deckt rund 25 bis 30 Prozent der Inlandnachfrage mittleren Osten sowie Nord- und Westafrika. nach Mineralöl ab. Die Herkunft des in die Schweiz eingeführten Rohöls variiert von Jahr zu Jahr stark. In den vergangenen Jahren stammte es vor allem aus Nord- und Westafrika, Nordamerika sowie 12
Abbildung 6: Das europäische Erdgastransportnetz Transporte von verflüssigtem Erdgas Erdgas-Pipelines Bohrinseln und Unterwasser- leitungen Planung/Bau Planung/Bau (VSG, 2019) Erdgas: Der Anteil des Erdgases am gesamten Endenergie- Frankreich und Italien. Das über den zentralen integriert im verbrauch der Schweiz betrug im Jahr 2019 13,8 Handelspunkt NCG in Deutschland bezogene Erd- europäischen Prozent. Es muss zu 100 Prozent importiert werden. gas stammt zu einem grossen Teil aus russischen Transportnetz Früher geschah dies vor allem auf Basis von langfris- Fördergebieten. Die westeuropäische Förderung ist tigen Gasbezugsverträgen mit grossen Lieferanten eher rückläufig. Derzeit werden grosse Investitionen aus den Nachbarländern, die über ein breites Netz- in die Gaspipeline Nordstream II für den Transport werk verfügten und auf verschiedene Produzenten- von Erdgas aus Sibirien getätigt. Der Anteil des im- länder, Transportrouten und Speicher zurückgreifen portierten Erdgases aus Russland ist daher markant konnten. Seit einigen Jahren beschafft die Schweizer gestiegen: 2015 betrug er noch einen Drittel, 2019 Gaswirtschaft das Erdgas jedoch zunehmend bereits 53 Prozent. Weiter wurde 2019 Erdgas aus kurzfristig an den Spotmärkten der europäischen Norwegen, dem EU-Raum und kleinere Mengen Handelspunkte. Vertragspartner sind europäische auch aus Algerien, Libyen und Katar eingeführt. Zwischenhändler in Deutschland, den Niederlanden, Dank des grossen Angebotes von Erdgas am freien 13
Markt ist die Versorgungssicherheit grundsätzlich von Importen abhängig (vgl. Abbildung 7). Mit hoch. Die indirekte Abhängigkeit von russischem der Stilllegung des Kernkraftwerks Mühleberg Erdgas hat jedoch zugenommen. Ende 2019 hat sich die Importabhängigkeit noch verstärkt. Auch die häufigeren Trockenperioden Der Transport von Erdgas in flüssiger Form, soge- und die dadurch verursachte Leistungsminderung nanntes LNG (liquefied natural gas), ist nicht von der Laufwasserkraftwerke führt zeitweise zu mehr Pipelines abhängig und wird beispielsweise auch Importen. aus dem arabischen Raum oder Übersee zu den europäischen Häfen geliefert. Dort wird das Erdgas Aufgeteilt nach Kraftwerkstypen präsentiert sich die oft wieder in gasförmigem Zustand in Pipelines ein- inländische Stromproduktion im Jahresdurchschnitt gespeist. LNG erweitert das Angebot an Lieferanten 2019 wie folgt: 56,4 Prozent lieferten die Wasser- und Logistikwegen und macht die Versorgung kraftwerke (31,8 Prozent Speicherwerke und dadurch insgesamt robuster. 24,6 Prozent Laufwerke), 35,2 Prozent die Kern- kraftwerke und 4,2 Prozent konventionelle ther- Elektrizität: Für die Schweiz spielt die elektrische Energie eine mische Kraftwerke. Weitere 4,2 Prozent entfallen Angebot und zentrale Rolle. Sie ist aufgrund ihrer Schlüssel- auf erneuerbare Energiequellen; deren Anteil steigt Nachfrage stellung in vielen Anwendungsbereichen wie der stetig. Die Stromproduktion stützt sich in den saisonal Kommunikation und Automatisierung kaum durch verbrauchsintensiven Wintermonaten zu einem schwankend andere Energiequellen substituierbar. Die inländische grossen Teil auf die Kernkraft. Im Sommer leisten Stromproduktion kann im Sommer den Verbrauch die Laufwasserkraftwerke einen bedeutenderen im Durchschnitt decken. Im Winter ist die Schweiz Beitrag, da die Gewässer mehr Wasser führen und jedoch aufgrund des höheren Energiebedarfs und die Kernkraftwerkbetreiber ihre Anlagen für War- der geringeren Produktionsmenge der Laufkraft- tungsarbeiten temporär ausser Betrieb nehmen. werke und anderen erneuerbaren Energiequellen Abbildung 7: Monatliche Stromerzeugungsanteile und Landesverbrauch 2019 Landesverbrauch Speicherkraftwerke Laufkraftwerke Kernkraftwerke Konventionell- thermische und erneuerbare Kraftwerke Monat (BFE, 2019) 14
Holzenergie: Holz ist ein einheimischer Rohstoff, der vor allem im Anders sieht es hingegen im Bereich der medizi- Potenzial Wärmebereich im Fall einer schweren Energiekrise nischen Grundversorgung aus, wo mehrheitlich noch nicht einen Beitrag zur Kompensation anderer, fehlender Produkte mit abgelaufenem Patentschutz2 sowie ausgeschöpft Brennstoffe leisten kann. Die vorhandenen Lager an Generika zum Einsatz kommen. Diese decken rund Energieholz in kommerziellen Lagern und im Wald 75 Prozent der Schweizer Arzneimittelversorgung könnten bei konstanter Nachfrage den Normalbe- ab (PharmaSuisse, 2020).3 Hier ist die Schweiz – wie darf von zwei Wintern abdecken. Das Potenzial von auch viele andere europäische Staaten – nahezu Energieholz ist noch nicht ausgeschöpft, aber öko- vollständig von Importen abhängig. Knapp 80 Pro- nomisch vielfach nicht sinnvoll nutzbar, da der in zent der importierten Medikamente stammen aus der Schweiz erzielbare Verkaufspreis die hohen Holz- dem EU-Raum; der zweitwichtigste Handelspartner erntekosten kaum deckt. Die jährliche Zunahme sind die USA (Interpharma, 2019).4 Importiert wer- der Waldfläche beträgt zurzeit 5’000 m2 im Jahr. den müssen unter anderem etwa lebenswichtige Insuline, diverse Antiinfektiva (Antibiotika, Anti- Im Jahr 2018 hat die WL die Einführung einer mykotika), Blutdruckmedikamente, etablierte Krebs- Pflichtlagerhaltung von Holzpellets geprüft. Ange- medikamente, wichtige Schmerzmittel und Seda- sichts des heute geringen Anteils von ungefähr tiva sowie Impfstoffe. Insbesondere die Wirkstoff- 2 Prozent der Holzpellets am Wärmemarkt, der produktion wurde in den vergangenen Jahren in konstanten Importmenge, des Ausbaus der einhei- den Mittleren und Fernen Osten verlagert: Vier von mischen Produktionskapazitäten und der teilweisen fünf Wirkstoffen werden heutzutage in China oder Substitutionsmöglichkeit durch Holzschnitzel ist Indien hergestellt (Bundesrat, 2016). Ähnlich sieht dies jedoch nicht notwendig. die Situation auch bei den Medizinprodukten aus. Schweizer Herstellerfirmen fokussieren sich vor Heilmittel allem auf die Produktion von Spezialitäten und Nischenprodukten. Die Pharmaindustrie ist für die Schweiz von grosser Bedeutung. Sie ist insbesondere im Bereich der Bio- Massengüter zum einmaligen Gebrauch wie etwa und Gentechnologie, der personalisierten Medizin Hygienemasken oder Schutzhandschuhe werden und der Diagnostika sehr erfolgreich. Im Jahr 2018 grösstenteils aus dem asiatischen Raum importiert. exportierte sie chemisch-pharmazeutische Wirkstoffe Im Bereich Desinfektionsmittel und dem zur Herstel- und Medikamente im Wert von über 104 Mia. lung benötigten Rohstoff Ethanol bestand aufgrund Franken – mehr als jede andere Branche. Aufgrund veränderter Marktverhältnisse infolge der Auflösung des kleinen Binnenmarktes entsprechen diese des Importmonopols der Eidgenössischen Alkohol- Exporte rund 95 Prozent der in der Schweiz her- verwaltung und Privatisierung der Alcosuisse AG gestellten chemisch-pharmazeutischen Produktion. eine verminderte Lagerhaltung. Längerfristig ist eine Ungefähr 50 Prozent der Exporte gingen nach Europa Pflichtlagerhaltung von Ethanol vorgesehen. Um die und rund 24 Prozent in die USA (Interpharma, Versorgung in der Zeit bis zur Einführung und Um- 2019).1 setzung dieser definitiven Pflichtlagerhaltung sicher- zustellen, liess der Bund ab Herbst 2020 eine rasch verfügbare Ethanolreserve beschaffen. 15
Logistik Sowohl im grenzüberschreitenden Güterverkehr als auch im schweizerischen Binnenverkehr entfällt der Rohstoffe, Halbfabrikate und Endprodukte sind nur grösste Anteil der transportierten Tonnage auf die dank ausgeklügelten Logistiksystemen zur richtigen Strasse. Aber auch die Schiene und die Rheinschiff- Zeit am richtigen Ort. Ein grosser Teil der versor- fahrt sind für die Landesversorgung wichtig. Sie gungsrelevanten Güter erreicht die Konsumentin- sorgen für eine starke Anbindung der Schweiz an nen und Konsumenten über spezifische, auf die die Häfen in Amsterdam, Rotterdam, Antwerpen, jeweilige Warenart abgestimmte Logistikketten, die die norddeutschen und italienischen Häfen sowie sich auf verschiedene Verkehrsträger stützen. Funk- die europäischen Wirtschaftszentren. Bei der Beför- tionierende Umschlagsplattformen zwischen den derung versorgungsrelevanter Massengüter dient Verkehrsträgern sind deshalb von entscheidender die Schiene oder der Rhein in der Regel zum Über- Bedeutung. In der Schweiz sind vor allem die winden grosser Distanzen. Die Feinverteilung erfolgt Rheinhäfen, die Rangierbahnhöfe und zahlreiche auf der Strasse. Umschlagterminals des kombinierten Verkehrs für einen reibungslosen Güterstrom unerlässlich. 16
4 Gefährdungen Ereignisse wie Naturkatastrophen, Konflikte in tausch angewiesen. Bei einem plötzlichen Ausfall rohstoffreichen Weltregionen sowie grossflächige der Importe aufgrund einer Krise in Verbindung mit Ausfälle zentraler Kommunikations-, Logistik- oder der Einführung von Ausfuhrbeschränkungen durch Energienetze können die wirtschaftliche Versorgung die Hauptlieferländer der Schweiz, kann nur kurz- eines Landes unmittelbar stark beeinträchtigen. So fristig und bei lebenswichtigen Gütern mit Vorräten kann ein Ausfall eines marktbeherrschenden Liefe- kompensiert werden. Ein solches Risiko wird jedoch ranten wichtiger Grundversorgungsgüter in kurzer durch die Tatsache begrenzt, dass Lebensmittel oft Zeit zu weltweiten Versorgungsengpässen führen. substituierbar sind und der Bezug aus verschie- Oder eine regionale Naturkatastrophe kann sich denen Regionen der Welt möglich ist. Ein weiteres landesweit oder gar global auswirken. Eine stabile Risiko stellen klimatische oder andere Extremereig- Elektrizitätsversorgung sowie funktionierende Logis- nisse dar. Dadurch verursachte Ertragsausfälle oder tik- und Kommunikationssysteme sind für Unter- längerdauernde Logistikstörungen können dazu nehmen, aber auch für private Haushalte essenziell. führen, dass die WL die Versorgung mittels Import- Ein längerer Ausfall des Stroms, der Logistik oder förderung, Umstellung der inländischen Produktion der IKT würde sämtliche Versorgungsbereiche stark oder einer Reduktion der Konsummöglichkeiten in Mitleidenschaft ziehen. Für die WL ist es deshalb stützen muss. von zentraler Bedeutung, fundierte Kenntnisse der Gefährdungen für die Versorgungssicherheit der Verschiedene, gleichzeitig auftretende Ereignisse Schweiz zu haben, um sich auf Ereignisse vorbereiten können eine schwere Mangellage von wenigen zu können, die weit ausserhalb ihres Einflussbereichs Wochen bis im Extremfall mehreren Jahren auslö- ihren Anfang nehmen. sen. Es ist davon auszugehen, dass die Risiken für die Lebensmittelversorgung aufgrund international 4.1 Nahrungsmittel steigender Nachfrage und extremerer klimatischer Bedingungen weiter zunehmen werden. Der Verfassungsartikel 104a zur Ernährungssicher- heit wurde 2017 von den Stimmberechtigten mit 4.2 Erdöl fast 80 Prozent Jastimmen angenommen. Zur Sicher- stellung der Versorgung der Bevölkerung mit Lebens- Anschläge, Kriege sowie extreme Wetterphänomene Ausland- mitteln schafft der Bund strukturelle Voraussetzun- oder ungeplante Betriebsschliessungen können die abhängigkeit gen, um die Grundlagen für die landwirtschaftliche Verfügbarkeit von Mineralölprodukten in Europa und Störungen Produktion zu sichern. Dazu gehören insbesondere und der Schweiz gefährden. Ausfälle von Raffine- im Transport das Kulturland, eine standortangepasste und res- rien, beispielsweise aufgrund von Unfällen oder sourceneffiziente Lebensmittelproduktion, eine auf Streiks wirken sich besonders dann negativ auf die den Markt ausgerichtete Land- und Ernährungs- Versorgung aus, wenn sie mit Problemen im Logis- wirtschaft, grenzüberschreitende Handelsbeziehun- tikbereich einhergehen. Die Logistik wiederum gen und ein ressourcenschonender Umgang mit kann etwa durch Schäden an wichtigen Pipelines, Lebensmitteln. Das eigentliche Ziel ist es, die Lebens- Einschränkungen der Rheinschifffahrt infolge Hoch- mittelversorgung langfristig sicherzustellen. oder Niedrigwasser oder Problemen im Schienen- und Strassenverkehr gestört werden. Generell Das Kulturland ist für die einheimische Produktion betrachtet ist eher mit einer Verknappung der von wesentlicher Bedeutung. Wichtig ist auch, Fertigprodukt-Einfuhren zu rechnen als mit einem dass inländische Produktionskapazitäten erhalten weltweiten Rohöl-Engpass. Versorgungsrisiken sind bleiben, sodass in Krisensituationen eine bedarfs- daher vor allem ausserordentliche Ereignisse in der gerechte Anpassung der Produktion möglich ist. Schweiz oder den Nachbarländern oder eine Kom- Gleichzeitig ist die Schweiz sowohl für die Inland- bination von Schadensereignissen in der Versorgungs- produktion wie auch für die Nahrungsmittelversor- kette. gung insgesamt auf den internationalen Güteraus- 17
4.3 Erdgas der Schweizer Transitgas-Pipeline in Wallbach (AG) zusätzliche Kapazitäten geschaffen. Schon die Klumpenrisiko Die Schweiz fördert selbst kein Erdgas und ist voll- Kapazität nur einer TENP Leitung bietet genügend Transitgas- ständig auf Importe angewiesen. Die Transitgas- Leistung, um den Bedarf der Schweiz zu decken. leitung Pipeline birgt ein gewisses Klumpenrisiko, da drei Seit Herbst 2018 ist es dank der Installation des Viertel des Schweizer Gasverbrauchs über diese Lei- Reverse Flow zudem möglich, Gas auch in der um- tung eingeführt werden. Ihre zentrale Bedeutung gekehrten Flussrichtung aus Italien in die Schweiz für die Gasversorgung der Nachbarländer garan- zu importieren. Dadurch konnte die Versorgungs- tiert aber gleichzeitig, dass die Einspeisung für die sicherheit insgesamt erhöht werden. Die Logistik ausländischen Erdgaslieferanten auch in Krisen- der Gasversorgung ist komplex. Konflikte oder zeiten interessant bleibt. Umwelteinflüsse in Förderländern können die inter- nationale Versorgungskette rasch beeinträchtigen. Weil im Winter 2017/2018 eine der beiden Leitungen Ausfälle von Importen aus einzelnen Produktions- der Trans-Europa-Naturgas-Pipeline (TENP) – einer ländern oder von Infrastrukturen hatten aber bisher der wichtigsten transeuropäischen Transportleitungen keine signifikanten Auswirkungen auf das Gas- für Erdgas – ausfiel, wurden am Nordeinspeisepunkt angebot in Europa oder der Schweiz. Abbildung 8: Einspeisung in die Transitgas Einspeisung in die Transitgas Swissgas AG Transitgas AG Übrige Hochdrucknetzbetreiber Zollmess-Station Einspeisung in Transitgas Druckreduzier- und Mess-Station Einspeisung in Transitgas aus Einspeisepunkte Reverse Flow (ab 2017/18) (Swissgas, 2020) 18
4.4 Elektrizität 4.5 Trinkwasser Beschränkte Die Prozesse in Wirtschaft und Gesellschaft hängen Eine sichere Versorgung mit Trinkwasser bedarf Herausforderung Importmöglich- sehr stark von einer störungsfreien Elektrizitätsver- einer gut ausgebauten und bewirtschafteten Infra- Nutzungs- keit und hohe sorgung ab. Die heutige Versorgung stützt sich auf struktur zur Gewinnung und Verteilung des Was- konflikte Netzbelastung Eigenproduktion, Übertragungsinfrastruktur, Verteil- sers. Auch in der Schweiz, dem Wasserschloss Euro- netz und Importe. Diese vier Stützen sind verletzlich pas, kann es zu Störungen der Wasserversorgung gegenüber Umwelteinflüssen wie extremes Wetter kommen. Die Trockenheitsperioden in den Jahren oder Naturkatastrophen sowie von Menschen ver- 2003, 2015 und 2018 sind Beispiele dafür. ursachten Störungen wie Unfälle oder Sabotage. Bei einer Störung kann wegen den beschränkten Die Wasserversorgung steht heute im Spannungs- Kapazitäten im Übertragungsnetz nicht beliebig feld der Landwirtschaft, der Ausdehnung der viel Strom importiert werden. Der Ausbau von Siedlungsfläche, des Gewässerschutzes und der dezentralen und stochastischen erneuerbaren Ener- Wasserversorger. Manchmal werden Gewässer- gien – dazu gehören zum Beispiel die Wind- und schutzzonen nicht rechtskonform ausgeschieden Photovoltaik-Energie – verschärft diese Problematik und Wasserfassungen müssen aufgrund von Verun- zusätzlich. Es ist zeitlich nicht vorhersehbar, wann reinigungen aufgegeben werden. Dadurch wird die solche Energie produziert und ins Netz eingespeist Anzahl hydrologisch unabhängiger Bezugsquellen wird. Diese Art der Stromproduktion bedingt des- verringert und die Wasserversorgung geschwächt. halb zur Deckung von Verbrauchsspitzen zusätzliche 2019 mussten bereits einzelne Wasserfassungen Speicherkapazitäten, einen reibungslosen interna- im Mittelland aufgrund von Verunreinigungen ge- tionalen Elektrizitätsaustausch sowie genügend schlossen werden. Kraftwerksreserven. Sie schafft zusätzliche Redun- danzen für einen Störfall, macht das System aber 4.6 Heilmittel auch komplexer und belastet das Netz stärker. Die Sicherheitsmargen im Schweizer Stromnetz sind Die Schweiz verfügt über eine leistungsfähige Heil- derweil auf den Normalbetrieb und nicht auf Krisen- mittelproduktion sowie ein gutes Verteilsystem. situationen ausgerichtet. Der Ausbau erneuerbarer Dennoch haben in den vergangenen Jahren die Energien kann mittel- bis längerfristig auch ein Lieferengpässe bei vielen Arzneimitteln zugenom- Potenzial bieten, die Eigenproduktion zu stärken men. Davon betroffen sind meist nicht innovative und damit die Abhängigkeit von Importen zu redu- und hochpreisige Produkte, sondern seit langem zieren. eingeführte, für die medizinische Grundversorgung jedoch unabdingbare Wirkstoffe und Fertigarznei- Durch die erste Stufe der Marktöffnung bei der mittel. Die Ursachen dieser Versorgungsstörungen Elektrizität ist heute die Verantwortung für die liegen in einer Konzentration der Produktionsstätten Versorgungssicherheit der Schweiz auf zahlreiche von Wirkstoffen und Medikamenten in Asien so- verschiedene Akteure verteilt. Deshalb ist eine klare wie in den stark segmentierten und entsprechend Rollenverteilung zwischen den involvierten Parteien verletzlichen Logistikketten. Zudem sind teilweise sowie eine abgestimmte Koordination aller Aktivitä- kaum noch Ausgleichs- bzw. Kompensationsmög- ten zentral. Eine weitere Gefährdung besteht durch lichkeiten im Markt vorhanden, um Engpässen Cyber-Angriffe auf sogenannte SCADA-Systeme5. entgegenzuwirken. Marktrückzüge bei älteren Medi- Diese Systeme erlauben dem Benutzer, physische kamenten der Grundversorgung sowie die ver- Prozesse im Bereich Stromerzeugung, -übertragung gleichsweise geringe Anzahl inländischer Zulassun- und -verteilung zentral zu überwachen und zu gen engen das Produktesortiment zusätzlich ein. steuern. Schliesslich haben in den letzten Jahren die inlän- dischen Industriebetriebe und Spitäler viele Infra- 19
strukturen zur Verarbeitung von Ausgangsstoffen Auch führte die Corona-Krise in der Schweiz zu zu marktfähigen Heilmitteln reduziert. Der Einsatz Bestrebungen, eine Maskenproduktion vor Ort zu von Pflichtlagern – teilweise verbunden mit Abgabe- etablieren, die momentan den Bedarf aber nicht zu beschränkungen – nimmt deshalb zu. Eine spezielle decken vermag. Anfangs 2021 lag die monatliche Herausforderung zeichnet sich auch bei den unspe- inländische Produktionskapazität bei rund 25 Mio. zifischen Immunglobulinen6 ab. Die Verfügbarkeit Hygienemasken (Typ II R) und 2 Mio. Atemschutz- dieser hochpreisigen Heilmittel ist bereits heute masken (FFP2). Ob eine inländische Produktion län- kritisch und in den nächsten Jahren wird der Bedarf gerfristig aufrechterhalten werden kann, wird unter aufgrund der demografischen und medizinischen anderem davon abhängen, inwieweit die Abnehmer Entwicklungen weiter steigen. Seit 2020 werden bereit sind, dauerhaft einen gewissen Mehrpreis für deshalb Pflichtlager aufgebaut. inländische Produkte in Kauf zu nehmen. Bei den für die Maskenproduktion benötigten Rohstoffen Im Rahmen der Einführung der Medical Device wurden die Produktionskapazitäten in Deutschland Regulation (MDR, 2017) in der EU müssen viele und anderen europäischen Ländern ausgebaut; Medizinprodukte neu zertifiziert werden, damit sie gleichwohl bleibt hier eine gewisse Auslandabhän- weiterhin rechtmässig verwendet werden dürfen. gigkeit der Schweiz bestehen. Eine Bevorratung Viele Firmen werden deshalb voraussichtlich ihr von Schutzmaterialien in der Schweiz wird deshalb Produktesortiment aufgrund des steigenden finan- auch künftig unabdingbar sein. So scheint es prü- ziellen und administrativen Aufwands für die Zer- fenswert, die derzeit im Influenza-Pandemieplan tifizierung einschränken. Hinzu kommt, dass ohne des BAG (BAG, 2018) hinsichtlich der Pandemievor- Aktualisierung des zu den Bilateralen I gehörenden räte festgehaltenen Empfehlungen an die Gesund- Mutual Recognition Agreements (Schweizerische heitseinrichtungen durch verbindlichere Auflagen Eidgenossenschaft, 1999) zwischen der Schweiz und des Bundes und der Kantone zu ersetzen. Gege- der EU in Zukunft ein Warenaustausch ohne techni- benenfalls werden die aufgrund der Empfehlungen sche Handelshemmnisse von Medizinprodukten nicht gehaltenen Lager durch zusätzliche Lager zu ergän- mehr möglich wäre. Dies dürfte die Versorgungs- zen sein, wobei die Möglichkeiten der wirtschaft- situation wie auch die Wettbewerbsfähigkeit von in lichen Landesversorgung dazu nur einen subsidiären diesem Bereich tätigen Schweizer KMU schwächen. Beitrag werden leisten können. Besonders herausgefordert wird die Heilmittel- In der Schweiz decken fünf grössere Logistikanbieter versorgung im Pandemiefall. Die Nachfrage nach rund 80 Prozent der Heilmittelbelieferung von antiviralen Medikamenten, Schutzmasken, Schutz- Institutionen des Gesundheitswesens ab. Bei Aus- handschuhen, Desinfektionsmitteln sowie Anti- fall eines Lieferanten kompensieren aufgrund einer biotika zur Bekämpfung von Sekundärinfektionen Branchenvereinbarung die anderen Firmen dessen steigt in solchen Fällen rasch und markant an. Lieferungen. Da es diesen nicht in allen Fällen mög- Ähnlich wie bei der Wirkstoffproduktion bei den lich ist, einen Ausfall zu kompensieren, können Arzneimitteln besteht auch bei den Einweg-Schutz- lebenswichtige Arzneimittel priorisiert werden. materialien eine grosse internationale Abhängig- keit von Lieferanten aus dem asiatischen Raum. Dies führte in der Corona-Krise dazu, dass sich die Schweiz dringend benötigtes Material auf einem bereits weltweit angespannten Markt beschaffen musste. 20
Abbildung 9: Segmentierte Versorgungsketten (fiktives Beispiel) 3 7 6 1b 1a 4 5 2 Sieben Stationen auf dem Weg zum Arzneimittel (fiktives Beispiel zur Illustration der segmentierten Versorgungsketten): 1a. Herstellung Komponente A 1b. Herstellung Komponente B 2. Synthese Wirkstoff 3. Galenische Form 4. Primärverpackung 5. Sekundärverpackung 6. Lagerung 7. Verkauf in der Schweiz 4.7 Logistik schlag, Distribution, Verzollung etc. Kommt es zu einer Störung in einem Teilprozess, zum Beispiel Logistikprozesse sind in hohem Masse auf die Ver- durch den Ausfall einer Ressource, kann die ganze fügbarkeit der verschiedenen Energieträger ange- Logistikkette unterbrochen werden. Logistikprozesse wiesen. Für Strassen- und Lufttransporte sind insbe- hängen zudem meist von der Verfügbarkeit von sondere Treibstoffe eine unabdingbare Ressource. Fachkräften wie zum Beispiel Lokführern ab. Ein Bei Störungen der Stromversorgung können die vorübergehender Personalmangel aufgrund einer Transporte auf der Schiene nicht mehr durchgeführt Pandemie kann den gesamten Prozess aus dem und Strassentransporte wegen dem Ausfall von Sig- Takt bringen. nalanlagen oder Sperrungen von Tunnels behindert werden. Zudem sind die Lager- und Umschlags- Das Transportvolumen nimmt langfristig zu. Per- logistik, insbesondere aber auch Tankstellen, auf sonen- und Güterverkehr teilen sich oft dieselben Strom angewiesen. Massengüter wie beispielsweise Infrastrukturen, welche einer zunehmenden Belas- Mineralölprodukte, Futtermittel oder Dünger werden tung standhalten müssen. Diese Entwicklung kann zu einem grossen Teil über den Rhein importiert. das Ausfallrisiko der Verkehrsträger erhöhen. Hoch- und mehr noch Niedrigwasser können die dafür nötige Kapazität massiv beeinträchtigen. Bei komplexen Logistikprozessen kommen unter- schiedliche Verkehrsträger über Landesgrenzen Das Just-In-Time-Prinzip bedingt effiziente Logistik- hinaus zum Einsatz, wobei mehrere Unternehmen und Transportprozesse, welche wiederum das stö- an der Beförderung beteiligt sind. Die Planung rungsfreie Funktionieren jedes Glieds der Versor- und Durchführung funktionieren heute nur dank gungskette voraussetzen. Damit besteht eine grosse den sie unterstützenden Informations- und Kom- Abhängigkeit von Teilprozessen wie Produktion, munikationsinfrastrukturen. Effizienzsteigerungen, Beschaffung, Lagerhaltung, Kommissionierung, Um- Rückverfolgbarkeit und jederzeitige Verfügbarkeit 21
von Gütern führen zu hohen Anforderungen an Menschliches Versagen: die IKT-Systeme. Neben dem Ausfall der Energie- versorgung stellt dementsprechend der Ausfall der IKT-Dienste sind durch vielfältige Arten von mensch- IKT-Dienstleistungen das grösste Risiko für den Ver- lichem Versagen gefährdet. Beispielsweise kann ein sorgungsprozess Logistik dar. System durch Einspielen eines fehlerhaften Updates ausfallen, genauso wie durch das irrtümliche Löschen 4.8 IKT von Dateien oder Software-Komponenten. Mensch- liches Versagen kann aber auch erst zu einem spä- Informatik- und Telekommunikationssysteme sind teren Zeitpunkt relevant werden, wenn etwa Fehler selbst eine kritische Infrastruktur, die für die Sicher- im Quellcode von Software unentdeckt bleiben. heit der Bevölkerung – so etwa für Notrufe oder Krisenkommunikation – sowie die Funktionsfähig- Cyberangriffe: keit von Wirtschaft und Staat unabdingbar gewor- den sind. Gleichzeitig stellt die Verfügbarkeit von Stark gewachsen ist die Gefährdung durch Cyber- IKT-Dienstleistungen auch eine kritische Ressource angriffe. Cyberangriffe können politisch-ideologisch, für die übrigen Versorgungsprozesse der Landes- finanziell, terroristisch, machtpolitisch, nachrichten- versorgung wie etwa die Stromversorgung, die dienstlich oder militärisch motiviert sein. Sie gefähr- Logistikprozesse oder den Zahlungsverkehr dar. den potenziell die Vertraulichkeit von Daten sowie die Integrität und die Verfügbarkeit von Daten und Die Verfügbarkeit kritischer IKT-Dienstleistungen ist Systemen. Wird ein kritisches System beispielsweise heute durch vielfältige Gefährdungen bedroht: von Schadsoftware befallen, die Daten verschlüsselt, um damit Lösegeld zu erpressen (sogenannte Ransom- Physische Gefährdungen: ware-Angriffe), ist die Verfügbarkeit der Daten nicht mehr gewährleistet. IKT-Dienste bauen auf physischer Infrastruktur auf. Dazu zählen insbesondere Rechenzentren, Daten- Systemische und politische Risiken: leitungen und Mobilfunksendeanlagen. Diese phy- sischen Infrastrukturelemente können etwa durch Bei Informatiksystemen besteht sowohl bei Hard- Elementarereignisse wie Stürme, Überschwemmun- als auch bei Software eine grosse Abhängigkeit von gen, Blitzschlag oder Erdrutsche beschädigt werden. einer relativ kleinen Anzahl von Herstellerfirmen. Auch unbeabsichtigte physische Beschädigungen, Insbesondere Windows-Systeme von Microsoft wer- beispielsweise das Durchtrennen von Datenleitun- den von fast allen Unternehmen eingesetzt. Damit gen bei Bauarbeiten, kommen regelmässig vor. Bei besteht das Risiko, dass beispielsweise Software- Informatiksystemen, die Industrieprozesse überwa- fehler gleichzeitig für eine grosse Anzahl von Unter- chen oder steuern, gehören auch Sensoren zu den nehmen zum Problem werden. IKT-Hardware wird kritischen, physisch gefährdeten IKT-Elementen. hauptsächlich in Asien produziert, insbesondere in China. Die Mehrheit der führenden Softwarepro- Ausfall der Stromversorgung: duzenten stammt aus den USA (Microsoft, Apple, Google, Oracle usw.). Eine Ausnahme bildet das Bei der Verfügbarkeit kritischer IKT-Dienstleistungen deutsche Unternehmen SAP. Die führenden Anbieter besteht eine grosse Interdependenz mit der Strom- von Cloud-Lösungen sind mit Amazon, Microsoft versorgung. Ein Ausfall der Stromversorgung ist und Google ebenfalls US-amerikanisch. eine zentrale Gefährdung für die Versorgung mit IKT-Diensten. Dies gilt auch umgekehrt: Ohne IKT-Dienste ist insbesondere die Steuerung der Ver- teilung von elektrischem Strom nicht denkbar. 22
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